„Was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst; und des Menschen Kind, dass Du Dich seiner annimmst?“ Diese existenzielle Frage stellt der unbekannte Verfasser von Psalm 8, den Pfarrerin Barbara Wilhelmi bei der Eröffnung von Stephan Gubers Ausstellung „ecce homo 2.0“ am Samstagnachmittag, den 05. Juli 2014, in der Dankeskirche vortrug. Die lebensgroßen, hellen Pappelholzskulpturen des in Bad Nauheim geborenen und in Nidda ansässigen Künstlers stehen wie stille Gäste im Halbkreis vor dem Eingang zur Kirche, vor dem Chor, auf der Orgelempore und vor der sitzenden Christusgestalt. Über das Kirchenschiff verteilt sitzen einige von ihnen auf Bänken.
Etliche Figuren halten ihre Augen geschlossen; andere wiederum blicken den Betrachter mit weit geöffneten Augen an. Vorab umgibt sie eine Aura der Distanz. Hält man jedoch ihren blinden oder sehenden Blicken stand, wird der Abstand zwischen ihnen und dem Betrachter zunehmend geringer – im besten Fall beginnt jetzt ein stummer Dialog.
„Ecce homo“: „Seht diesen Menschen!“ Pontius Pilatus spricht die Worte, als er den gefangenen Jesus der wütenden Menge präsentiert. An anderer Stelle fragt er resigniert: „Was ist Wahrheit?“ Verbinden wir beide Aussagen, ergibt sich daraus die oben genannte Frage „Was ist der Mensch?“ Der Friedberger Kunsthistoriker Dr. Friedhelm Häring beginnt seine mit viel Beifall aufgenommene Einführung in Gubers Ausstellung mit der Aussage: „Kunst und Religion stellen, mögen ihre Antworten auch unterschiedlich sein, im Kern dieselben Fragen. Deshalb gehören Kunst und Kirche untrennbar zusammen. Mensch und Gott, Gott und Mensch – in welchem Verhältnis stehen sie zueinander?“. Liegt unendliche Distanz zwischen ihnen, oder gibt der Verfasser des achten Psalms die richtige Antwort, wenn er schreibt: „ Du hast ihn (den Menschen) nur wenig geringer gemacht als Gott. Mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“
Sind Gubers „bescheidene“, bewusst schlicht gehaltene Skulpturen ein stummes Zeugnis für die Gottebenbildlichkeit des Menschen? Sind sie ein Spiegel unserer selbst? Dr. Häring verweist auf den Philosophen Ludwig Wittgenstein. Von ihm stammt der oft zitierte Satz: „Worüber man nicht sprechen kann, davon soll man schweigen.“ Der Dialog mit Gubers so fremdartigen wie nahestehenden Gestalten wird stumm bleiben müssen. Dass eine andere künstlerische Ausdrucksform des Menschen, die Musik, seine Begleitung mit bildender Kunst nicht nur begleiten, sondern auch befördern kann, haben Stadtkantor Frank Scheffler und der Frankfurter Saxofonist Claus Dillmann mit vier kurzen Interludien eindrucksvoll dargetan.
Wetterauer Zeitung vom 09.Juli 2014