In der momentanen Ausstellung in der Bad Nauheimer Dankeskirche wird ein Künstler vorgestellt, der in höchster Perfektion Meister seines Faches ist. Der Bildhauer Georg Hüter, weit über die Grenzen Hessens bekannt, kennt die Schwere und Härte seiner Steine, er kennt das Spiel mit Illusion und Realität , mit Nähe und Distanz und mit einer vorsichtigen Installation seiner Arbeiten.
Georg Hüter ist quasi in der Steinmetz Werkstatt aufgewachsen. In Seligenstadt geboren, beginnt er nach seiner Schulzeit eine Steinmetzlehre im väterlichen Betrieb und lernt nicht nur die Begebenheiten der verschiedenen Werkstoffe kennen, er erfährt auch vieles von den Abläufen eines solchen Betriebes, von der Handwerksethik und den Unterschieden der jeweiligen Aufträge, die eine solche Werkstatt auszuführen hat. Nach seiner Meisterprüfung kommt er dennoch zu dem Entschluss, sich nicht dem wirtschaftlichen Zwang eines Handwerksbetriebes zu unterwerfen, sondern den Weg eines freien Bildhauers einzuschlagen. Anstatt den väterlichen Betrieb zu übernehmen studiert er von 1973-1978 an der Frankfurter Städelschule freie Bildhauerei bei Michael Croissant. Es folgten Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen. Zurzeit unterrichtet er an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Der wichtigste Teil seiner Arbeit besteht jedoch in der freien Bildhauerei.
Schon bevor wir in das Innere der Kirche treten, sehen wir Georg Hüters Steine in ihrer ganzen Schönheit im Spitzbogen des Kirchturmes. Nicht nur die Spannung zwischen den rauen, teils moosgrünen, unbehauenen Oberflächen zu den, aus dem Stein hervorgebrachten tiefschwarzen, geglätteten Flächen reizen das Auge und die taktile Neugier des Betrachters. Auch die vermutete ungeheure Wucht der Basaltblöcke lässt den Betrachter stocken. Es ist die Einfachheit der Formensprache, die Senkrechte und die Waagerechte, die in Beziehung zueinander stehen, die die Basaltblöcke zu einer Skulptur werden lassen und von den elementaren Dingen der Bildhauerei erzählen.
Vor uns sind zwei Basaltsäulen so zueinander geordnet, dass man meint, der leiseste Hauch würde den aufgesetzten Block aus seiner Gewichtung bringen und ihn umkippen lassen. Dieser Moment trifft nicht ein, keiner aber weiß, wie kurz wir vor diesem Punkt stehen. Es ist der Punkt kurz vor dem Kippen, der alle Spannung in sich trägt. Dort wo die Schwerkraft den Block hält, und auf der anderen Seite zum Kippen bringen will, dort ist die Leichtigkeit und die Schwere der Steine vereint, dort liegt der formale Sinn der Skulptur verborgen. Dennoch müssen wir hier etwas genauer überlegen, denn Georg Hüter macht es sich zur Aufgabe in einem sakralen Raum Arbeiten zu präsentieren, die inhaltlich einen Bezug zur religiösen Botschaft des christlichen Gotteshauses haben. Auch wenn wir uns bei der Rezeption dieser Skulptur auf grundlegende Parameter der Bildhauerei beschränken können, so werden wir der Arbeit nur zum Teil gerecht.
Die Form der Arbeit bezieht sich zum einen auf das Innere der Kirche, indem sie die Grundrissform der Architektur aufgreift, zum anderen spielt sie in ihrer Erscheinung mit der Kreuzesform und einem quer aufliegenden, an einen Fisch erinnernden Stein. Und Kreuz und Fisch sind die allgemein verbreiteten Symbole Jesu Christi. Damit stimmt Georg Hüter den Besucher der Kirche auf die Thematik seiner Installation im Kircheninneren ein.
Unser Blick schweift weiter in das Kircheninnere und wieder sehen wir ein Beispiel Georg Hüters Spiel mit der Balance. Betreten wir das Kirchenschiff, fühlen wir uns plötzlich wie in einer weiteren Architektur im Kirchenraum. Die scheinbar bezugslos angeordneten Steine formen sich zu einem Raum im Raum und treten in Beziehung zueinander. Plötzlich wissen wir nicht mehr wie wuchtig diese Basaltsteine sind, sie wirken durch ihre sparsame aber genaue Bearbeitung beinahe grazil. Aber es sind drei Steine oder Stehlen. Diese gewaltigen Säulen sind sehr bewusst im Raum platziert. Wir alle wissen, dass der Grundriss unserer christlichen Kirchenbauten die Form des Kreuzes nachempfindet, wobei der Chor und die Apsis, der Raum, wo sich der Altar befindet in Richtung Osten zeigt, dorthin, wo sich die heilige Stadt Jerusalem befindet.
Auch hier in der Dankeskirche haben wir den Grundriss eines Kreuzes. Georg Hüter platziert seine Steine an die imaginären Stellen des Kreuzes, wo sich die Kreuzesnägel befinden. Wuchtige, schwere Nagelsymbole. Und die Betrachter, in diesem Fall die Gemeinde sitzt mitten in dieser Passion der Kreuzigung. Es ist gleichsam eine Erinnerung an die täglichen Leidensgeschichten, von denen wir durch Presse und Nachrichten erfahren, oder die wir selbst kennen, manchmal aus nächster Nähe.
Noch dazu ist die Zahl drei von großer Bedeutung. Georg Hüter hat seine Steine in eine Dreiteilung gegliedert, wobei der mittlere Teil bearbeitet ist und das Innere des Steines preisgibt. Der Stein im Eingangsbereich der Kirche zeigt eine Gestaltung von drei in den Stein gemeißelten Säulen im mittleren Teil der Stehle. Es ist eine klassische Dreierteilung, wie es Georg Hüter nennt, aber es gibt wiederum den möglichen Bezug zur christlichen Theologie, indem wir an die heilige Dreifaltigkeit, Gottvater, Sohn und heiliger Geist denken können.
Ich will mit dieser Erwähnung deutlich machen, dass in einer Installation wie wir sie hier vorfinden, wenig dem Zufall überlassen ist und Material, Bearbeitung und Inhalt Hand in Hand gehen. In dieser Ausstellung sehen wir sehr deutlich zum einen die wunderbare handwerkliche und künstlerische Gestaltung des Steines, doch noch wichtiger ist Georg Hüters Sensibilität bei der Auswahl der Exponate und bei der Platzierung der Steine, die dadurch sein künstlerisches Konzept schlüssig machen und genau auf ihren momentanen Ort abgestimmt sind.
Dr. Michael Herrmann, Kunsthistoriker