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01.03.2024

Geistliches Wort

Sophie-Lotte Immanuel, Ober-Mörlen und Langenhain-ZiegenbergSophie-Lotte Immanuel, Ober-Mörlen und Langenhain-Ziegenberg

Unsere Pfarrerinnen und Pfarrer kommen hier im Wechsel zu Wort. Somit können Sie sich als Leser aus unterschiedlichen Perspektiven der Kirchengemeinden in unserer Stadt und deren Ortsteilen anregen lassen.

Von der Gleichzeitigkeit der Dinge

Kurz bevor wir bei unserer letzten Indienreise den Heimflug antraten, haben wir für eine Nacht ein Hotel in der Nähe des Flughafens gebucht. Aus dem Fenster unserer Unterkunft konnten wir auf eine gemauerte Blechdachhütte schauen. Wahrscheinlich nicht einmal so groß wie unser Hotelzimmer. Die Toilette außerhalb, wie früher bei meiner Oma auf dem Hof. Für mich ist Indien das: ein Land der Gleichzeitigkeiten. Wunderschöne Natur neben achtlos entsorgtem Müll; riesige Einkaufsmalls in denen Menschen arbeiten, die nicht einmal Geld für Schuhe haben; das Land der Tech-Giganten voller Schlaglöcher.

Ich glaube, in Deutschland gibt es alle diese Gleichzeitigkeiten auch, nur sind sie weniger offensichtlich, ihre Konflikthaftigkeit ist gut verborgen. Sie zeigt sich nicht nur in der Schere zwischen Armut und Reichtum sondern darin, dass es uns immer schwerer fällt als Gesellschaft eine gemeinsame Basis zu finden von der aus wir auf die Anforderungen unserer Zeit reagieren können. Es wäre so schön, wenn es einfache Antworten auf komplexe Probleme gäbe.

Diese Gleichzeitigkeit ist also nichts kulturell Eigenes, sondern etwas Menschliches. In der Gesellschaft und im öffentlichen Raum spiegelt sich auf gewisse Weise etwas dem Menschen Innerlichstes wider.

Ich finde, die Bibel ist dabei ein einzigartiges Beispiel für genau das: wer nämlich versucht, sie als einfache Gebrauchsanweisung zu lesen, der wird ihr nicht gerecht. Die Bibel erzählt von der Ambivalenz des Menschen schonungslos ehrlich: von Noah, der als beispielhafter und von Gott erwählter Überlebender der Sintflut dem Alkohol verfällt oder vom großen König David, der die Frau eines anderen Mannes begehrt. Und ich finde, eines kann man sich gut abschauen: Gott wendet sich von seiner Menschheit trotz all dieser Gleichzeitigkeiten nicht ab. Seine Gnade bleibt bestehen!

Eine wahrhaft christliche, ja, biblische Angelegenheit ist das: Gegensätzliches, Unvereinbares als Ganzes zusammenzudenken. Schwierige Antworten auf schwierige Fragen suchen. Manchmal sogar zwei Antworten auf die gleiche Frage nebeneinander stehen lassen. Sich im Inneren und im Äußeren in Gnade zu üben.

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