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Predigten

Einige Predigten der letzten Zeit zum Nachlesen, Ansehen und Anhören.

In unserem Youtube-Kanal finden Sie Gottesdienste, Andachten und Lieder.

am 19.2.2023 von Dekan Volkhard Guth zur Ausstellungseröffnung ′Was bleibt.′

Was bleibt.“ Punkt. Kein Fragezeichen. Es bleibt was. Es kann etwas bleiben, es darf etwas bleiben. Es soll etwas bleiben. Das ist die Grundprämisse der Aussage: was bleibt.

Was bleibt. Das ist doch eher ein Thema für das Ende des Lebens – ganz gleich wie lange es gedauert haben mag?! Ganz sicher. Aber ganz sicher auch nicht nur.

Dass etwas bleibt, ist der Wunsch eines bewussten Lebens. Eines Lebens, das sich seiner selbst bewusst ist und das sich auch seines Eingebundenseins in Beziehungen bewusst ist.
Denn wäre da niemand, mit dem wir in Beziehung sind und gewesen sind, wäre es im Grunde doch auch gleichgültig, dass oder ob etwas bleibt.

Beinahe tragisch mutet da der Wunsch und die Möglichkeit mancher Menschen an, etwas Bleibendes in eine Zeitkapsel stecken zu können, um es dann beispielsweise ins All zu schießen, wo dann et-was von meinem Leben in Zeitlosigkeit überdauern kann.

Oder die Idee und die Möglichkeit, ich könnte eine Textbotschaft sprechen und Bilder meines gelebten Lebens in einen virtuellen Erinnerungskosmos des Internets hochladen, die dann für alle Zeiten im digitalen Netz abrufbar sind.

Oder aus meiner Asche einen Diamanten pressen zu lassen, der bis zu 2 Karat haben kann.

Das alles „bleibt“ auch dann, wenn ich längst nicht mehr bin.

Dass etwas bleibt, scheint eine menschliche Vorstellung zu sein. Und sie hat mit dem Wunsch und der Vorstellung zu tun, Resonanz zu erzeugen.
Ganz gleich, ob es sich um etwas Materielles handelt, um Erinnerungsstücke oder um prägende Werte und Einstellungen.

Kritisch muss man einwerfen: Was gegenwärtig von uns zu bleiben droht, könnten für alle Nachgeborenen die Folgen eines in den letzten Jahrzehnten hemmungslos gelebten Lebensstils unserer westlichen Welt sein.
Wir haben über die Maßen gelebt und verbraucht – und tun es noch immer.
Laut UNICEF verbrauchen wir Deutschen im Weltmaßstab 2,9 Erden.
Was also bleiben könnte, ohne dass wir es beabsichtigt hatten, ist eine gefährdete Zukunft. Klimaaktivisten machen mit zum Teil drastischen Mitteln darauf aufmerksam. Und sie schrecken nicht einmal davor zurück, bleibende Kulturgüter mit einzubeziehen: Kartoffelbrei auf einem Monet in Potsdam...

Ich beginne zu ahnen: was bleibt, ist mehr als die Antwort auf die Überlegungen, was mit unseren materiellen Gütern geschieht. Wäre nur dies das Thema, müssten sich ohnehin nur die Gedanken machen, die etwas weiterzugeben haben.
Nicht dass das unwesentlich wäre – eingedenk der Jesu Rede von den Schätzen auf Erden, die Rost und Motten fressen. Das ist eine verantwortliche Aufgabe im Leben:
Denn wenn ich auf die Jahre meines Gemeindepfarrdienstes schaue und auf die vielen Beerdigungsgespräche, dann gibt es da viele Erfahrungen mit der Frage nach dem Umgang mit dem, was am Ende noch da ist. Und ich glaube, alle Pfarrerinnen und Pfarrer könnten Geschichten erzählen, über´s Erben und den Streit oder den Segen, der damit verbunden sein kann.
Die Ausstellung will ausdrücklich Mut machen, auch darauf einen Blick zu werfen.

Aber: 13,8 Mio. Menschen in Deutschland sind arm. Würden wir das, was bleibt, ausschließlich materiell verstehen, müssen sich also 16,7% der Deutschen damit nicht befassen. Denn was ihnen heute zum täglichen Leben oft schon fehlt, wird auch morgen nicht bleiben.
Und das gilt für viele Menschen auf unserer Erde.

Die Aussage, was bleibt, materiell zu fassen, betrifft weltweit Viele nicht.
Das zeigen uns auch die Begegnungen mit den Geschwistern in unserer nordindischen Partnerdiözese Amritsar. Wer nur das hat, was für ihn oder sie gerade mal so für das Überleben des Tages nötig ist, hat nichts in der Rücklage, was bleibt.

Ist also „Was bleibt“ eher ein Delikatessbegriff für einen sehr ausgesuchten Kulturkreis mit entsprechenden Ressourcen?!

Wohl nicht.

Denn wenn die Überlegung, was bleibt, mit Resonanz zu tun haben muss, dann geht es um mehr und um etwas Tieferes unseres Menschseins.
Dann ist das, was im Schatzkästlein des Lebens steckt, mehr als das, was ich mit Händen greifen kann.

Das wussten auch schon meine Urgroßeltern. Ich erinnere mich an viele Ferienbesuche im Haus meiner Großeltern. Ein altes Bauernhaus mit großem Speicher und vielen alten Schränken und Truhen.
Wir spielten als Kinder gerne dort oben Verstecken. Vieles stand da aus früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten. Es war einfach dort geblieben. – „Was bleibt“. - Stumme Zeugen einer mir fremden Zeit.

In der Schublade einer alten Kommode fand ich weiße Hemden, die geeignet schienen, um sich zu verkleiden. Als die Großmutter das mitbekam, war die Aufregung jedoch groß. Die Hemden mussten sofort zusammen- und zurück in die Kommode gelegt werden. Es waren die Totenhemden der Urgroßeltern gewesen, die wir gefunden und benutzt hatten.
Es war, das wurde mir später klar, damals noch nicht klar, ob es eben nicht auch die Totenhemden der Großmutter und ihrer Schwester werden sollten. Eines Tages aber hörte ich von meiner Oma den Satz: „Das letzte Hemd hat keine Taschen“. Den Sinn verstand ich wohl noch nicht. Aber wissen wollte ich es doch. Und ich wusste ja, wo die Hemden lagen. Ich schlich mich also auf den Speicher, an die Kommode, und öffnete die Schublade, um nachzusehen. Und tatsächlich: das letzte Hemd hatte keine Taschen.

Was immer wir haben, wieviel auch immer es ist, wir können nichts mitnehmen. Mit leeren Händen sind wir auf diese Welt gekommen. Mit leeren Händen werden wir gehen.

Was gehört in das Schatzkästlein meines Lebens?

Ja, das kann der abgewetzte Teddy meiner großen Cousine sein, den ich irgendwann auf demselben Speicher gefunden und als kleiner Junge adoptiert hatte – bis heute. Das kann die Erinnerung an riesige Federbetten im Haus meiner Oma sein, unter denen ich mich kaum bewegen konnte! Die handgeschriebenen Rezepte meiner Mutter und Schwiegermutter. Das handwerkliche Talent meines Vaters, das er mir vermittelt hat. Oder die gepflanzten und gepflegten Obstbäume auf meiner Wiese! Ein altes Auto…

Was gehört in das Schatzkästlein meines Lebens?

Was war und ist mir besonders wertvoll: Freundschaften, die erste und die große Liebe meines Lebens; Dinge, die ich geschafft, angeschafft, erarbeitet, überstanden habe?! Der eigene Glaube? Und jene, die ihn mir vermittelt haben?!

Ich gehe wohl mit leeren Händen von hier weg, aber nicht mit leerem Herzen.

Eben nicht ohne all diese Erinnerungen und geprägten und prägenden Erfahrungen meines eigenen Lebens. Nicht ohne Vorstellungen und Entscheidungen, wie ich mein Leben wollte und gelebt habe.
Was uns wichtig war, was uns bewegt hat, was uns ausgemacht hat.
Das mögen wir auch an Kinder weitergeben können und an Enkel. Und dann bleibt da auch etwas.

Aber was bleibt, ist in diesem Sinne noch viel mehr. Es sind meine Vorstellungen und Erfahrungen, Begegnungen, Engagements an den unterschiedlichsten Stellen und Orten, Werte und Verhalten, die zu allen Zeiten unseres gelebten Lebens Resonanzen bewirkt haben.
Das sind nicht immer Erfolgsgeschichten. Aber immer eigene Geschichte und Geschichten. Prägungen und Entscheidungen, die Sinn gemacht haben und Sinn gestiftet haben. Im eigenen Leben und in der Begegnung mit anderen. Was bleibt. Das hat auch mit Sinnstiftung zu tun.

Was bleibt, ist auch, was mich ausmacht im Innersten meines Ichs. Und diese Erkenntnis macht mein Leben ja heute schon reich.
Das findet sich auch in meinem Schatzkästchen des Lebens wieder. Gerade weil Leben in jeder Hinsicht hier begrenzt ist, lohnt es sich in jeder Phase dieses Lebens, danach zu schauen, was es ist, was bleibt. Weil es uns einen kostbaren Blick auf das geschenkte Leben öffnet – auf das eigene und das der anderen – hier und jetzt.

Deshalb ist beim Lesen der Worte „was bleibt“ neben dem Blick zurück auch der Blick nach vorn angesagt: Was bleibt, wenn ich einmal nicht mehr bin? Was will ich weitergeben an Gütern, an Ideen, Werten, an Träumen?
Habe ich die Möglichkeit, bei einer Herzensangelegenheit Spuren zu hinterlassen? Kann und will ich beispielsweise ermöglichen, dass irgendwo in Indien Kinder einen Schulplatz bekommen? Dass dort Bäume angepflanzt werden, um die Wasserversorgung zu verbessern? Dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien hier am Leben teilhaben können, mitfahren bei Klassenfahrten, mitspielen im Fußballverein oder Singen im Kinderchor? Oder liegt mir ein Arbeitsfeld meiner Kirchengemeinde am Herzen?  Die Kantorei, die Renovierung der Orgel, die Jugend?

Was bleibt. - Resonanzen.

Und dann ist da ja noch eine Resonanz, die mir wichtig ist. Jesus sagte einmal: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Jeder Name!
Das ist mehr als ein bloßes Stück Erinnerungsgeschichte in den digitalen Weiten des Internets, von der niemand weiß, ob sie jemals angehört und angeschaut werden wird.

Mein Name ist im Himmel aufgeschrieben. Mein Name gehört zu mir, vom Anfang bis zum Ende. „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“
Da spielt es dann Gott sei Dank gar keine Rolle, was ich im Leben leisten und erreichen konnte. Keine Rolle, wie viel Besitz wir erwerben. Unwichtig, wie groß unsere Macht, unser Ansehen, unsere Schönheit sind.

Wohl aber spielt meine Beziehung zu Gott eine Rolle. Dem Gott, der unseren Namen mit seinem Namen verbunden hat. Wenn er mich ruft, entsteht ein Resonanzraum!

Das ist auch eine Beziehung. Eine, die schon gestiftet wird, bevor unser Leben überhaupt entsteht. „Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.“, so heißt es im wunderbaren Psalm 139.
Gott hat uns und unsere Namen längst in sein Buch des Lebens eingetragen, bevor unser Leben auf den Weg kommt. Nicht weil wir leben, kommen wir ins Buch des Lebens, sondern weil wir bereits im Buch verzeichnet sind, kommen wir ins Leben. Mit unserem Namen aufgehoben, notiert und dann auch gerufen von Gott.

Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“

Von Anfang an ist mein Name in Gottes Buch eingeschrieben, und der bleibt, wie immer auch ein Leben verläuft.
Fast alles können wir gewinnen und verlieren – diesen himmlischen Eintrag aber nicht. Gott hat in unserem Leben das erste und das letzte Wort, er schlägt unser Lebensbuch auf und klappt es am Ende vorsichtig wieder zu.
Die ersten und die letzten Dinge sind Gottes Sache.

Für mich bedeutet diese Gewissheit eine große Entlastung – und eine große Chance. Weil der Rahmen unseres Lebens längst von Gott gesetzt ist, kann ich die Zeit, die mir geschenkt ist, in seinem Sinne gestalten – befreit und mit lachendem Herzen. Ich kann die Aufgaben angehen, die Gott mir stellt.

Und ich kann mich deshalb auch an die schwierigen, die tiefgehenden Fragen meines Lebens wagen und schauen, was bleibt.

Schenke mir ein hörendes Herz“, das ist der tiefe Wunsch des weisen Königs Salomo. Das hörende Herz setzt sich in Beziehung; es lauscht in das Eigene und es nimmt wahr, den anderen – Mensch und Gott. Und dann nimmt es wahr, „was bleibt“. Was für ein Segen!

Was bleibt.“ Punkt. Kein Fragezeichen! – Punkt! Das ist die Einladung, hinzuhören und hinzusehen. Amen

am 12.2.2023 von Pfarrerin Meike Naumann

Liebe Gemeinde,

ich sehe ihn stehen, den Propheten. Oder ist es eine Frau, eine Prophetin? Am Eingang des Tales steht sie und schaut in die fruchtbare Ebene an einem der Flüsse Babels. Die Wolken türmen sich, Wind treibt sie weiter. Die Prophetin sinnt nach, entdeckt manches und betet zugleich. Folgen möchte ich heute mit Ihnen / mit euch ihrem Gedankenstrom:

„Es wird Regen kommen, wie jedes Jahr. Regen, der die Erde feucht und fruchtbar macht. Da, die Tropfen fallen, seht hin. Hört das Rauschen. Wie gut! Wie genial doch alles geschaffen ist! Welch grandioses Zusammenspiel! Alles hat seinen Platz in Gottes Schöpfung. Und da - ob es andere auch gerade sehen? – ein Regenbogen spannt sich über die Hügel in der Ferne. Ein Farbenspiel, schillernd, bunt wie Gott selbst. So prächtig und schön, leicht und weit zugleich, alles umspannend. Hier stehend und schauend kann ich Gott in all diesen Zeichen der Schöpfung entdecken. Ach, würden doch meine Schwestern und Brüder ebenso staunen können! Wie lange schon rede ich und rede und überrede sie, dass sie Gott, wieder wahrnehmen, die Schönheit Gottes, sein Rufen, ihre Liebe!

Doch wenn ich so nachdenke: Zu viele sind in der Bitterkeit gefangen, welche die Eltern und Großeltern ausgießen. Sie halten daran fest: „Uns wurde alles genommen,“ sagen sie: „Wir mussten unsere Heimat verlassen, haben gesehen, wie Häuser zerstört und Felder vernichtet wurden. Der Tempel ist ein Trümmerhaufen. Und wo war Gott? Gott hat das alles zugelassen. Nichts hat Gott getan! Nichts! Die Feinde haben gesiegt. In der Fremde, hier an den Kanälen Babels, werden wir alt. In der Fremde bleibt uns nur die Erinnerung und mit der Zeit kommt das Vergessen.“ So jammern sie. Dabei kann ich verstehen, dass der Verlust traurig gemacht hat. Wieviel Kraft brauchte es, sich hier einzurichten! Sie haben vieles erleben und auch erleiden müssen. Ich sehe sie vor mir und denke, gerade jetzt in dieser Zeit der Krise und mancher Leere brauchen wir doch wieder Hoffnung, eine Hoffnung, die Gott uns neu ins Herz legt. Können sie das nicht spüren? Es ist gerade vieles in Bewegung. Die Babylonier sind nicht mehr so stark wie noch vor Jahrzehnten. Ihre Macht bröckelt. Sie werden unruhig. Kyros, der Perserkönig, gewinnt an Kraft und macht ihnen Angst. Für mich klingt es, als würde Gott uns damit zu rufen: „Los, kommt, nutzt die Zeit! Ich ebne euch einen Weg. Ich mache Hügel niedrig und krumme Straßen gerade. Kommt, zieht los, kehrt heim! Ich gehe mit euch, wie ich schon vor Zeiten mit euren Vorfahren unterwegs war, durch Wasser und Wüsten, so ebne ich euch jetzt die Bahn.“

Wenn ich in dieses Tal schaue, dann ist mein Herz weit und wieder klopft Gott an und flüstert in mir: ‚Geh hin und rede mit ihnen! Sag ihnen, dass ich mitgehe, so wie immer wieder Regen fällt und die Erde fruchtbar macht, jedes Jahr neu, so will ich jeden Weg mitgehen.‘

Nicht alle sind bitter geworden und in Trauer gefangen. Einige haben sich hier gut eingefunden. Sie machen ihre Geschäfte. Sie kommen gut aus mit den Nachbarn, die hier schon immer wohnen. Sie sind was geworden, auch als Fremde im Land. Ich gönne es ihnen. Es ist eine Freude zu sehen, dass sie nicht in einer verklärten oder verbitterten Vergangenheit leben. Sie haben getan, was der Prophet Jeremia vorzeiten schrieb: ‚Sucht der Stadt Bestes, pflanzt Gärten, baut Häuser, verheiratet eure Kinder, betet für die Orte, in denen ihr jetzt seid. Ja, wenn es der Stadt gut geht, die ihr bewohnt, wird es auch euch gut gehen.‘ Sie haben das beherzigt. Sie sind hier angekommen.

Nur beginnen sie zu vergessen, wer sie sind! Sie übersehen, dass auch hier manches anders wird. Wollen sie es nicht merken oder spüren sie es wirklich nicht? Es ist an der Zeit wieder aufzubrechen. Unsere Zeit hier naht sich dem Ende. Den Städten wird es nicht auf ewig gut gehen. Ob es wohl immer so sein wird, frage ich mich, dass wir aufbrechen und weiterziehen? Irgendwo ankommen und mit Gottes Hilfe wird es ein Zuhause. Doch ein paar Generationen später braucht es wieder Bewegung. Es scheint fast, als würde etwas um uns und in uns kaputtgehen, wenn wir zu lange, gar auf immer, an einer Stelle festhängen. Ach, das sind wohl nur meine eigenen Hirngespinste! Wie gern würde ich meinen gut hier eingelebten Geschwistern diesen Regenbogen zeigen! Ob sie ihn gerade auch sehen? Er ist wie ein Tor, das Gott auf die Erde stellt, auf das wir hindurchziehen, gen Westen ins Land unserer Vorfahren. Dort wartet unsere Aufgabe: Land und Leben und Gemeinschaft neu aufzubauen. Jeder wird gebraucht mit seinen Träumen und jede mit ihrer Hände Arbeit, auch die Kleinsten mit ihren Liedern und Spielen und die Alten, die noch Bilder in sich tragen, wie es gewesen sein könnte, was werden möge oder auch ganz anders sinnvoll ist. Kommt, meine Freunde, komm mit, Freundin!

Ja, es gibt noch andere, die in den Jahren/Jahrzehnten hier in der Fremde besonders nach Gott fragen. Oder vor allem danach, welche Ordnungen und Regeln wichtig sind. Sie entdeckten Gott in diesen Weisungen, die uns aufzeigen, wie Gemeinschaft gelingt, als lebe ein guter Geist auf: Den Schwächsten helfen, lesen wir da. Witwen sollen nicht auf sich selbst gestellt sein und Ernteerträge geteilt werden. Wo wir so leben, wird Gottes Wort für uns das, was Regen und Schnee für die Erde sind. Fruchtbar wird unser Miteinander. Ich schätze die Männer und Frauen, die sich darum kümmern, dass alte Weisungen weitergegeben werden, damit es nicht wieder dazu kommt, dass wir Gott und den Nächsten vergessen.

Manches ist hier in der Fremde ganz neu entstanden wie dieser Gesang auf das Leben, das Gott, durch sein Wort geschaffen hat: „Es werde, und es ward.“ Licht, Tag und Nacht, Himmel und Erde, Land und Meer, Bäume und Pflanzen, Sterne und Mond, Vögel und Fische, Tiere des Landes und Gewürm und Mann und Frau nach deinem Bild und Ruhe, Ruhe auch. Es werde und es ward so. Wie köstlich, gesegnet und geheiligt ist das Leben. (Dieser Absatz kann auch weggelassen werden.)

Gern höre ich ihnen zu. Manchmal jedoch beschleicht mich die Sorge, dass sie zu viel und fest regeln wollen. Nicht dass dabei Gott in ein festes Werk gepresst wirst und in unseren Gedanken erstarrt! Denn eines wird mir klar. Ich kann es nur betend stammeln:

‚Du, Gott, bist mehr als das alles. Mehr als Gebote, mehr als unser Denken, mehr als wir uns vorstellen. Größer, weiter, manchmal auch ferner. Denn ja, es gab die Zeit, da hast du zugelassen, dass wir in die Irre gehen, dass wir boshaft mit unseren Mitmenschen umgehen. Du hast zugelassen, dass die Erde um uns wüst und leer wurde. Felder brannten, Wälder schrien auf, Wassermassen türmten sich zur Unzeit und haben gutes Land und Leben verschlungen. Du hast zugelassen, dass wir uns in Kriegen verrannten und dass wir den Sprüchen und tönernen Worten der Mächtigen mehr vertrauten als dir. Das hat uns in die Irre gehen lassen und in die Fremde vertrieben. Du hast zugelassen, dass wir uns selbst höher und wichtiger nahmen als das Leben und die Gemeinschaft und dich, Gott. Ich stehe hier, schaue in die Weite dieses fruchtbaren Tales und gestehe, ich verstehe dich nicht! Deine Wege sind so ganz anders als unser Denken. Du lässt uns in unserer Dummheit auch vor die Wand laufen. Kannst du uns nicht aufhalten? Oder sind wir es, die sich nicht aufhalten lassen wollen? Aber jetzt, ich spüre es, jetzt, ist der Moment gekommen, wo du uns aus dem Staub des Niedergangs aufhebst. Du willst mit uns losziehen, damit wir wieder zurückkehren, um Land und Leben, Gemeinschaft und Häuser und wer weiß, wer weiß, irgendwann sogar den Tempel wieder neu aufbauen. Ist es das, was wir hier in der Fremde lernen mussten? Neue Gesänge vom Leben – du Gott des Himmels und der Erde, du Gott unseres Volkes und aller Völker und der Menschenkinder durch die Zeiten? Ist es das, was wir von hier mitnehmen, wenn wir in das Land unserer Vorfahren umkehren? Ach, und sind nicht einige dieser Vorfahren sogar ebenso von hier aus dem Osten aufgebrochen? Ist so immer alles mit dir in Bewegung? Deine Wege sind nicht unsere Wege – aber irgendwie gehst du doch auf unseren Wegen mit. Deine Pläne sind nicht unsere Pläne – wie könnten wir begreifen, was du uns noch alles mitgeben willst? Geht das immer so weiter? Immer weiter Lernen durch die Zeiten? Wird man eines Tages sogar die Tiere achten und die Bäume bewahren, als wären sie unsere Schwestern und Brüder, die das Leben mit uns teilen? Wird man Insekten umgarnen und lieben, weil sie die Blüten der Obstbäume befruchten? Wird man die großen Seeungeheuer im Meer, riesige Fische, Wale, was auch immer als deine Lieblinge des Wassers umarmen und bewahren? Jetzt geht aber wirklich die Fantasie mit mir durch. (Prophet/in lacht) Ich stand wohl zu lange im Regen. Deine Pläne sind nicht unsere Pläne. Soll ich das unseren Frauen und Männern sagen, denen, die gern blieben und denen, die festschreiben wollen, wie alles zu sein hat? Deine Wege sind anders. Du führst uns heraus, zurück und zugleich in die Weite.‘

Doch etwas ist anders. Mittlerweile höre ich immer wieder auch andere Stimmen. Die Stimme derer, die die neuen Lieder aufgreifen. Lieder, die wir ihnen vorgesungen haben; Worte, die Gott uns ins Herz gelegt hat. Vor allem die Jüngeren sind mit diesen Hoffnungsliedern unterwegs: ‚Tröstet, tröstet mein Volk…‘ so haben wir vor ein paar Jahren angefangen von Gottes Erbarmen zu erzählen. ‚Redet freundlich mit ihnen, erzählt, predigt, dass die Knechtschaft ein Ende hat!‘ Sie greifen unsere Worte und darin Gottes Werben auf und singen davon: beim Arbeiten und bei Festen auch. Ja, glaubt es, hört es, vertraut darauf: Gott will etwas Neues mit uns wagen. Gott hat nicht vergessen, hat uns nicht vergessen. Wie schön wäre es, die Älteren würden die Begeisterung der Jungen aufgreifen! Wie wäre es, sie würden deren Träume mitleben?! Wie wäre es, wenn sie gemeinsam aufbrechen, gemeinsam das Neue aufbauen! Ja, die Jungen, sie sind mutiger, ihren Aufbruchsgeist brauchen wir. Manchmal müssen sie uns ein wenig antreiben, sonst bleiben wir Alten zu träge.

Jetzt nach dem Regenschauer steigt mit der Sonne im Tal der Dunst auf. Der Regenbogen ist verblasst. Die schlanken Zypressen stehen in sattem Grün. Ja, Zypressen wachsen hier, kein Dornengestrüpp, und duftende immergrüne Myrte statt karger Steppenpflanzen. Sie stehen da und locken uns, dort entlangzugehen. Wiegen sie sich nicht im Wind, tanzen sie gar oder narren mich die Nebelschwaden? Ach was, das wird ein Fest, wenn wir aufbrechen und heimkehren! Selbst die Schöpfung jubelt mit, die Zypressen winken, die Myrten verströmen Duft und würzen uns die Freude. Und wieder kann ich nur staunend innehalten und erkennen: ‚Du, Gott, du bist es, du willst, dass wir in Freude ausziehen. Du bist es. Du verheißt uns Frieden, Frieden auf den Wegen der Umkehr, wenn wir zurückkehren. Zurück zu dir, zurück ins Land der Vorfahren, zurück zum gemeinschaftlichen Leben miteinander. Dein Schalom umgibt und leitet uns.‘

Auch ich bin alt geworden, hier an den Wassern Babels. Doch noch einmal will ich meine Stimme erheben. Ich will sagen, was Gott mir ins Herz legt. Ich vertraue, dass sich die Worte erfüllen. Wie der Regen diese Erde nass und fruchtbar macht, so wird Gottes Wort fruchtbar sein und lebendig werden. Ob ich es noch erlebe? Keine Ahnung! Doch ich weiß, dass Gott wirkt, auf vielfältige Weise und immer neu, in unserer Zeit und auch in ferner Zukunft. Die Zeichen göttlicher Zuwendung werden nie vergehen. Daran glaube ich fest - auch für meine Geschwister und auch für euch, wann immer ihr meine Gedanken hört und lest. Vertraut ebenso! Wer weiß, auf welche Wege Gott euch ruft, wohin ihr zurückkehren sollt oder wohin euer Aufbruch geht. Wagt es, wie hoffentlich meine Freunde und Freundinnen es wagen werden! So werden und bleiben Freude und Frieden, ja sogar die Schöpfung jubelt mit, als würde sie mit uns aufatmen und mit uns feiern.

Jetzt aber, jetzt muss ich zurück ins Dorf. Ich werde sagen und aufschreiben, was meine Schwestern und Brüder unbedingt noch erfahren sollen.“

Kehren wir zurück in unsere Zeit. Heute noch können wir lesen und hören, was damals weitergegeben und auch für uns heute und nachfolgende Zeiten festgehalten wurde. Hört die letzten Verse aus dem zweiten Teil des Jesajabuches, die ins Ende der Exilszeit in Babel gehören:

Jesaja 55, 8-13

8So lautet der Ausspruch Gottes: Meine Pläne sind anders als eure Pläne und meine Wege anders als eure Wege. 9Wie weit entfernt ist doch der Himmel von der Erde! So fern sind meine Wege von euren Wegen und meine Pläne von euren Plänen.

10Regen oder Schnee fällt vom Himmel und kehrt nicht dahin zurück, ohne die Erde zu befeuchten. So lässt er die Pflanzen keimen und wachsen. Er versorgt den Sämann mit Samen und die Menschen mit Brot.11So ist es auch mit dem Wort, das von mir aus geht: Es kehrt nicht wirkungslos zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will. Was ich ihm aufgetragen habe, gelingt ihm.

12Voll Freude werdet ihr aus Babylon fortziehen und wohlbehalten nach Hause gebracht werden. Berge und Hügel brechen in Jubel aus, wenn sie euch sehen. Die Bäume in der Steppe klatschen in die Hände.13Statt Dornsträuchern wachsen dort Kiefern und statt Brennnesseln Myrtenbüsche. Das alles geschieht zur Ehre des Herrn. Er setzt ein unvergängliches Zeichen, das niemals ausgelöscht wird.

am 23.10.2022 von Pfarrerin i.R. Barbara Wilhelmi

Liebe Gemeinde!
er heutige Sonntag steht ganz unter dem Aspekt Heilung. Schon im Wochenspruch haben wir eine Art von Mantra gehört: Heile mich, Gott, so werde ich heil, hilf mir so wird mir geholfen – aus dem Jeremiabuch, das in Notsituationen sehr empfehlenswert ist, sich wiederholend zuzusprechen.

Im Neuen Testament steht auch die Heilung an erster Stelle, denn die Jünger, Schülerinnen und Schüler Jesu werden losgeschickt zu den Leuten, mit verschiedenen Methoden zu heilen… meist die Hände aufzulegen, zu beten, vielleicht noch anderes, was wir heute nicht mehr wissen. Was wir aber wissen ist die Praxis der ersten Gemeinden, wie wir sie in der Lesung aus dem Jakobusbrief vernommen haben.
Da wird beschrieben, dass die Angehörigen von Kranken die Gemeindevorsteherinnen und -vorsteher zu Kranken rufen, damit sie mit spirituellen Methoden helfen: Hier wird genau aufgezählt, was zu machen ist: Hände auflegen, beten, heilen und von Sünden lossprechen – zunächst einmal hingehen und besuchen - und was auch immer zum Gesundmachen hilft. Das scheint die Aufgabe von Gemeinde zu sein, von Glaubenden allgemein.

Das mag verwundern, weil das bei uns nicht so recht praktiziert wird. Da wurde der Anschluss verpasst, als die Kirche des Mittelalters aus Angst vor okkulten Bräuchen das Heilen – speziell von Frauen/Kräuterfrauen – verbot und verfolgte. Dennoch finden wir weiterhin den Heilungsauftrag Jesu an uns in der Bibel – vor allem in den vielen Heilungsgeschichten, an die wir anknüpfen können – in unserer eigenen Praxis als Christinnen und Christen.

Sehen wir also in unserem heutigen Predigttext nach, ob wir für uns aktuell etwas entdecken können: Markusevangelium 2,1–12. Nach einigen Tagen ging er wieder nach Kapernaum. Es wurde bekannt, dass er in einem Hause war. Es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür. Jesus predigte. Es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vier Leuten getragen. Da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen die Bahre herunter, auf dem der Gelähmte lag.
Als Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.

Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!

In dieser Geschichte stehen Menschen im Mittelpunkt. Sie beginnt mit der Schilderung, dass da viele Leute um Jesus stehen, sodass der Zugang für andere versperrt ist. Aber es gibt vier Menschen, denen etwas einfällt, wie sie den Kranken auf einer Bahre zu Jesus hintragen können, damit derjenige, der es nicht selbst kann, zum Heiler kommt.
Zunächst meinen wir, es komme in erster Linie auf den Kranken an, der von Jesus geheilt werden soll, aber die Geschichte hält sofort inne: „Jesus sieht die Helfenden und findet, dass  i h r  Glauben groß sei. “Es kommt anscheinend nicht auf den Glauben des Kranken an, sondern auf die anderen… auf den Glauben der anderen Personen, die stellvertretend glauben und fürsorglich sind: Glauben steht hier vielleicht auch als Selbstvertrauen, als Zuversicht, dass sie es schaffen, dass ihnen etwas einfällt... Vielleicht tun sie das noch nicht einmal ohne Murren, vielleicht stört es sie, dass der Kranke selbst nichts kann und sie ran müssen, aber sie tun es: Sie organisieren sich… Vielleicht hielt der Kranke noch nicht einmal etwas von Jesus, darauf könnte ja der 2. Teil des Satzes deuten, in welchem von der „Sünde“ des Kranken die Rede ist.

Aber bleiben wir aber noch eine Weile bei den Vier Tragenden.
Das Bild erinnert mich an die Grablegung auf dem Friedhof, wo wir es heute noch so praktizieren. Aber das sind dann nicht mehr die Bekannten und Nachbarn aus der Dorfgemeinschaft, so wie ich es früher noch kennengelernt habe, sondern das übernehmen Friedhof Angestellte.
Wie viel besser ist es, einen Lebenden zur Heilung zu tragen...

Aber auch da haben wir eine Wandlung erlebt. In unserer Zeit leben Menschen weniger in Gruppen, allenfalls in mehr oder minder großen Familien zusammen. Bei uns kommt es vor allen Dingen auf das Individuum an, die Einzelne oder den Einzelnen… gerade bei Krankheiten … da gibt es den Begriff „Der mündige Patient“, der sich oft überfordert fühlt, auch noch in dem geschwächten Zustand an alles zu denken und seine Krankheit zu organisieren, zu wissen, wie man sich entscheiden soll, für welche Heilbehandlung.. und was lieber nicht…

Wenn man da nicht eine befreundete Ärztin kennt, einen Ratgeber, oder jemand, der einen schnell mal wohin fährt… dann wird es schwer....

Wenn wir uns an unsere Eingangsfrage erinnern:
Wir können wir den Heilungsauftrag Jesu in unserer Zeit beherzigen?…
Dann gibt es Antworten aus dieser Geschichte:
      Wir sollten auf die soziale Dimension des Heilens und Gesundwerdens schauen:
Sich gegenseitig helfen, wenn die kranke Person es nicht kann. Wobei nicht nur die körperliche Einschränkung gemeint ist, sondern auch das innere, die innere Aufgeben; das gar nicht mehr gesund werden wollen, die Depression, der Unglaube als fehlendes Vertrauen und Selbstvertrauen. Es geht auch darum ein Zusammenleben zu gestalten im Bild der vier Helfenden - d.h. es sollte für jede einzelne Person leistbar sein, das ¼ der Gemeinschaftsaktion, nicht eine oder zwei Leute, die sich völlig überlasten…

Wir merken, gerade nach fast drei Jahren Corona, dass gerade in unserer Gesellschaft Überlastung im Gesundheitswesen und in der Pflege einkalkuliert und es genau das Gegenteil ist. Aktuell gehört nicht nur die Verausgabung zu diesen Berufen, nein auch die chronische Unterbezahlung, während gleichzeitig Berufe, in denen es um wirtschaftlichen oder finanziellen Profit geht, weitaus mehr Geld bekommen – was die Wertschätzung der Gesellschaft wiederspiegelt.

Diese Geschichte rüttelt uns einmal mehr auf, eine soziale Perspektive einzunehmen und uns an die Werte aus dem Evangelium zu erinnern – um dieses auch in der Gesellschaft einzufordern.

Als Jesus ihren Glauben sah, sagt er zum Kranken: Deine Sünden sind Dir vergeben. Er sagt nicht, „deine Knochen sind wieder heile“, „deine Traurigkeit ist weggeblasen, selbst der altjüdische Heilungsbefehl: „“Steh´ auf“ - spricht Jesus erst später aus. Bei diesem Satz („Deine Sünden sind Dir vergeben“) kam wohl schon Luther ins Nachdenken und er übersetzte den Kranken mit „Gichtbrüchigen“, so, als ob er die Sünde des Kranken mit dessen ausschweifendem Lebensstil erklärte, was ja zu Gicht führen kann – und was Luther vielleicht aus seinem Leben kannte….

Aber an anderer Stelle in den Evangelien, bei der Heilung eines blind geborenen Kindes, verwahrt sich Jesus gegen diese Annahme. „Niemand hat gesündigt und so die Krankheit verursacht – weder die Eltern, noch das Kind“, sagt Jesus. Das passt eher zu ihm und den Nachfolgenden, die immer – ohne Ansehen der Person und Lebensgeschichte – heilten und auf der Seite der Gekränkten und Schwachen stehen. Das meint auch der altgriechische Begriff für unseren Kranken aus der Geschichte, denn die vier Helfenden tragen einen Aufgelösten, auch Entkräfteten. Über das Wunder der Heilung können wir wenig sagen – das ist letztendlich immer unerklärlich, aber wir können einzelne Schritte dazu aufnehmen, die hier wichtig sind:
Wir sind soziale Wesen als Menschen und können einander beistehen. Selbst wenn wir in der Gemeinde nicht mehr wissen, wie die Heilmethoden Jesu genau gingen, können wir manches doch praktizieren: Einander zu tragen… und nicht einem alleine alle Last aufzubürden, sondern nach dem ¼ zu suchen, was ich einbringen kann.

Zusammen kreative Lösungen zu finden - hier in unserer Geschichte so bildlich geschildert:
Sich nicht von Hindernissen abschrecken zu lassen und aus einem versperrten Zugang eine Öffnung herzustellen…. Und auf der Seite des Kranken können wir lernen, uns tragen lassen… uns ertragen lassen… helfen zu lassen… Die eigene Schwäche – öffentlich zu machen und zu akzeptieren….

Aber diese Geschichte endet nicht mit der Schwäche sondern damit, dass der Kranke irgendwann selbst wieder mit Gottes Hilfe aufsteht … und nicht liegen bleibt – genau wie der Kranke am Teich Bethesda, der hier in der Dankeskirche auf dem Fenster dargestellt zu sehen ist, von dem es heißt, dass er Jahrzehnte lang vorher liegen geblieben ist … und dann doch von Jesus gesagt bekommt: Nun steh auf und geh selbst los!

Aber auch die Helfenden sollen kein Helfersyndrom ausbilden und den Kranken loslassen wie auch die Kranken ihre Krankheit loslassen dürfen, sich nicht daran gewöhnen – sondern die Veränderung feststellen zu danken, sich einerseits zu erinnern, in der Schwachheit getragen worden zu sein, aber jetzt auch das Zutrauen zu sich neu zu fassen… und weiter im Leben zu gehen.

Es könnte kräftigen, wenn man weiß, nicht alles alleine tragen zu müssen… auch nicht die belastenden Lebenszeiten, Fehler, Irrtümer…
Das ist die Aufgabe einer Gemeinschaft – einer Gemeinde, dieses immer neu zu erschaffen mit Gottes Hilfe.

Amen

am 25.9.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Liedpredigt zu EG 326 Sei Lob und Ehr, 1

Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut,
dem Vater aller Güte,
dem Gott, der alle Wunder tut,
dem Gott, der mein Gemüte
mit seinem reichen Trost erfüllt,
dem Gott, der allen Jammer stillt.
Gebt unserm Gott die Ehre!

Predigt

Der Friede und die Liebe unseres Gottes, sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,
mit großen Schritten gehen wir auf das Erntedankfest zu. Am Erntedankfest steht der Dank im Mittelpunkt. Aber Dank und Lob gehören eng zusammen, deshalb möchte ich heute - eine Woche vor Erntedank mit Ihnen über das Loben nachdenken.

Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut,
dem Vater aller Güte.

Glauben wir eigentlich, was wir eben gesungen haben? Das Lob eines Gottes, der mit aller Güte alle Wunder tut und damit allem Jammer auf Erden ein Ende macht? Wenn das wahr wäre … das hieße doch: Es gibt nichts, was wir fürchten müssten, nichts, was uns den Lebensmut nehmen darf. Keine Krankheit und kein Krieg, keine Energiekrise. Keine Misserfolge bei der Arbeit und keine Schwierigkeiten mit anderen Menschen. Kein Unwetter. Keine Einsamkeit, keine Angst. Nicht einmal der Tod. Alles ist schön, alles ist gut. Gott sei Dank!

Gut und schön, höre ich Sie sagen, aber ist das auch wahr? In der Kirche klingt das ja ganz erbaulich, aber das Leben draußen ist halt was anderes.

In der Tat. Aber: Gott loben und ihm die Ehre geben – das heißt ja nicht, das Leben nach Plus und Minus durchrechnen, die Quersumme ziehen und fragen: Hat sich’s gelohnt? Wäre es so, dann dürften nur sonnige Gemüter, unverbesserliche Optimisten und selbstbewusste Glückspilze das Lob Gottes, das Lob des Lebens singen.

Nein, anders wird ein Schuh draus! Loblieder sind etwas für Leute, die mitten drin stecken in ihren Sorgen und Problemen. Die auch im Glauben mehr Fragen haben als Antworten. Denn Loblieder sind Protestlieder. Gesungen gegen die eigenen Zweifel. Gegen die Angst, die manchmal ganz tief von innen kommt und alle Lebensfreude auffrisst. Und nicht zuletzt gegen die Mutlosigkeit, die sich als Realismus tarnt: So ist das Leben! So ist nun mal die Welt! Da kann man halt nichts machen!

Wer Loblieder singt, der findet sich nicht ab mit offenen Fragen, mit Leiden, Schmerz und Tod. Der erinnert sich und andere in allem Jammer an den Gott, der Wunder tut. Denn nicht der nüchterne Realismus, sondern das Lob des Glaubens öffnet die Augen für die Schönheiten der Welt und den Reichtum des Lebens.

Gemeinde singt V. 2–3
Es danken dir die Himmelsheer,
o Herrscher aller Thronen;
und die auf Erden, Luft und Meer
in deinem Schatten wohnen,
die preisen deine Schöpfermacht,
die alles also wohl bedacht.
Gebt unserm Gott die Ehre!

Was unser Gott geschaffen hat,
das will er auch erhalten,
darüber will er früh und spat
mit seiner Gnade walten.
In seinem ganzen Königreich
ist alles recht, ist alles gleich.
Gebt unserm Gott die Ehre!

Jede/r von uns weiß zur Genüge: Dank und Lob sind keineswegs die Leitmelodie des Lebens. Es gibt jede Menge Stimmen, die lauter und einleuchtender sind als die Stimme des Glaubens und der Zuversicht. Wir erleben Spannungen, Rätsel, Misstöne, die sich lange nicht auflösen. Oft nehmen uns die alltäglichen Aufgaben und Geschäfte so in Anspruch, dass für alles andere Zeit und Kräfte fehlen.

Aber wer sagt denn, dass es für Lob und Dank immer einen Anlass geben muss! Wer sagt denn, dass wir ständig zu versichern hätten: Ich bin ja so dankbar! Wer sagt denn, wir müssten immer aus eigenem Erleben etwas von Gottes Schöpfermacht zu singen und zu sagen haben.

Gott sei Dank hängt nicht alles von uns ab. Gottes Schöpfung ist reicher, als wir ahnen. Da sind die »Himmelsheere«, wie unser Lied sagt. Da sind außer uns ungezählte Geschöpfe auf der Erde, in der Luft, im Meer: Sie alle ein wortloses Lob ihres Schöpfers.

Für das Lob Gottes, das Ja zum Leben gibt es noch andere Gründe als unsere Erfahrungen, Gefühle oder gar Stimmungen. Gut zu wissen: Der Dank verstummt auch dann nicht, wenn es uns die Stimme verschlägt. Und Gott gibt seine Welt nicht auf, wenn wir wieder mal alles hinwerfen wollen. Gott sei Dank!

Deshalb singen wir von dem Gott, der erhalten will, was er geschaffen hat: Erde, Luft und Meer, seine Schöpfung – und uns, seine Menschen. Gott hat unseren Dank und unser Lob nicht nötig. Aber wir das Danken. Das brauchen wir, damit uns immer wieder die Augen für Gottes Güte aufgehen. Dafür haben wir nämlich in der Regel ein schlechtes Gedächtnis. Dabei ist es lebensnotwendig, dass wir uns inmitten aller Spannungen und Probleme, und erst recht, wenn wir uns ratlos und hilflos vorkommen, an Gottes erstes Urteil über seine Schöpfung, unsere Erde, erinnern: Siehe, es war alles sehr gut.

Wenn wir Gott loben, dann halten wir fest: Das gilt, heute und morgen und unter allen Umständen. Darum: »Gebt unserm Gott die Ehre!«

Gemeinde singt V. 7 (Choralbegleitung wie unten beschrieben)
Ich will dich all mein Leben lang,
o Gott, von nun an ehren.
Man soll, Gott, deinen Lobgesang
an allen Orten hören.
Mein ganzes Herz ermuntre sich,
mein Geist und Leib erfreue dich!
Gebt unserm Gott die Ehre!

Haben Sie’s beim Singen gemerkt? Durch alle Stimmen ist die Melodie gelaufen. Mal strahlend in der Oberstimme. Mal als Bassfundament. Dann wieder, schon schwerer zu verfolgen, in den Mittelstimmen.
Aber immer der eine cantus firmus, die eine Grundstimme, ja Grundstimmung: »Gebt unserm Gott die Ehre!«
Gott loben, das ist nicht nur eine Sache der Worte. Sondern eine Lebensäußerung des ganzen Menschen. Mit Herz, Geist und Leib.
Du lobst Gott, wenn du spürst, dass jemand einen Kummer hat und dich braucht, um seine Sorgen loszuwerden.
Du lobst Gott, wenn du die Fähigkeiten nicht verkümmern lässt, die er dir gegeben hat.
Du lobst Gott, indem du nicht nur deine Interessen verfolgst, sondern zugleich bedenkst, was andere brauchen.
Du lobst Gott, wenn du auf Dinge verzichten lernst, die deine Gesundheit ruinieren.
Du lobst Gott, wenn du bei allem, was du tust, auch überlegst, welche Folgen dein Tun für andere hat.
Du lobst Gott, wenn du, soweit es in deiner Macht steht, verhinderst, was Leben zerstört.
Du lobst Gott, wenn du zu deinem Leben von Herzen Ja sagen kannst, weil es aus seiner Hand kommt.
So »gebt unserm Gott die Ehre!« – nicht nur mit der Stimme, sondern mit dem ganzen Leben.

Gemeinde singt V. 8–9
Ihr, die ihr Christi Namen nennt,
gebt unserm Gott die Ehre;
ihr, die ihr Gottes Macht bekennt,
gebt unserm Gott die Ehre!
Die falschen Götzen macht zu Spott;
der Herr ist Gott, der Herr ist Gott!
Gebt unserm Gott die Ehre!

So kommet vor sein Angesicht
mit jauchzenvollem Springen;
bezahlet die gelobte Pflicht
und laßt uns fröhlich singen:
Gott hat es alles wohl bedacht
und alles, alles recht gemacht.
Gebt unserm Gott die Ehre!

Wer Gott lobt, behauptet, dass er oder sie vom Leben Gutes zu erwarten hat. Das Lob Gottes setzt allen schlechten Erfahrungen gute Erwartungen entgegen und besteht darauf, dass sie wahr werden.
Das Lob Gottes ist wie eine Wünschelrute: Es spürt die verborgenen Quellen auf. Das Ja zum Leben, das oftmals unter vielen Enttäuschungen verschüttet ist. Kräfte des Körpers und der Seele, an die wir selbst schon nicht mehr glauben. Wer Gott zu loben weiß, sieht weiter – über den Tellerrand dessen hinaus, was wir Lebensumstände oder Realität nennen. Wer Gott zu loben weiß, sieht tiefer – unter die Oberfläche von Veranlagung oder Lebensgeschichte. Der entdeckt das Versprechen, das seit der Schöpfung mit dem Namen Gott gegeben ist: Alles ist gut.

Darum, gegen alle Lebensangst und gegen alle Lebensverachtung gesungen: Gebt unserm Gott die Ehre! Gegen alle Müdigkeit und alle Lähmung der Herzen und Sinne gesagt: Gebt unserm Gott die Ehre! Allen Kräften der Zerstörung entgegengehalten: Gebt unserm Gott die Ehre!
Davon wollen wir singen. Dafür wollen wir leben. Amen.

am 24.7.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Römer 6, 3-11

Ihr wisst doch: Wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, sind einbezogen worden in seinen Tod. Und weil wir bei der Taufe in seinen Tod mit einbezogen wurden, sind wir auch mit ihm begraben worden. Aber Christus wurde durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt. So werden auch wir ein neues Leben führen.

Denn wenn wir ihm im Tod gleich geworden sind, werden wir es auch in der Auferstehung sein. Wir wissen doch: Der alte Mensch, der wir früher waren, ist mit Christus am Kreuz gestorben. Dadurch wurde der Leib vernichtet, der im Dienst der Sünde stand. Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterworfen. Wer gestorben ist, auf den hat die Sünde keinen Anspruch mehr. Wir sind nun also mit Christus gestorben. Darum glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. Wir wissen doch: Christus wird nicht mehr sterben, nachdem er vom Tod auferweckt wurde. Der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Denn sein Sterben war ein Sterben für die Sünde – das ist ein für alle Mal geschehen. Aber das Leben, das er jetzt lebt, lebt er ganz für Gott. Genau das sollt ihr auch von euch denken: Für die Sünde seid ihr tot. Aber ihr lebt für Gott, weil ihr zu Christus Jesus gehört.

Liebe Gemeinde,

„Wie können wir dafür sorgen, dass möglichst viele ins Paradies kommen?“, wurde eine Kindergruppe einer evangelikalen Kirche einmal gefragt. Ein Mädchen antwortete sekundenschnell: „Wir müssen sie töten.“ Für mich ist die Frage schon eher befremdlich, die Antwort lässt mich innerlich zusammenzucken.

In dieser religiösen Gemeinschaft aber war der Gegensatz Hölle-Paradies ein immer wiederkehrendes Thema in der religiösen Unterweisung der Kinder und das Leben im Diesseits war ganz ausgerichtet darauf, alles zu tun, um ins Paradies zu kommen.

„Wir müssen sie töten.“

Aus der Kinderlogik macht das Sinn, denn nur Tote können ins Paradies kommen. Ich bin trotzdem froh, dass sich dieser radikale Ansatz nicht durchgesetzt hat.

Paulus wählt für seine Erklärung der Taufe an die Gemeinde in Rom, die er nicht gegründet hat und noch nicht kennt, auch eine etwas radikale Form. Er hätte wahrscheinlich sogar mit der schnellen Antwort des Mädchens etwas anfangen können. Es könnte sein, dass er ihn etwas umformuliert hätte, in: „Sie müssen sterben.“

Viele der Taufsprüche der Taufen in den letzten Monaten und Jahren seit ich hier in Bad Nauheim als Pfarrerin tätig bin, kamen und kommen aus den Psalmen, z.B.:

„Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ (Psalm 91,11-12 Luther 2017)

„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ (Psalm 139,5 Luther 2017)

„Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht.“ (Psalm 121,3 Luther 2017)

Paulus erklärt der Gemeinde in Rom die Taufe, aber er spricht von Tod und Beerdigung, dem Kreuz und der Auferstehung.

Die Verse aus den Psalmen, die als Taufsprüche ausgewählt werden, sie drücken die Hoffnung auf Schutz und Beistand aus. Paulus dagegen lenkt den Blick auf einen radikalen Neuanfang, der mit der Taufe für den Menschen beginnt. Für mich wird hier der Unterschied zwischen Kindertaufe und Erwachsenentaufe sehr deutlich.

Ein Kind soll behütet und beschützt sein. Das wünschen wir uns als Eltern und Kirche. Wir Erwachsene sehen die Möglichkeiten, aber auch die Gefahren und die Unsicherheiten. Wir sehen unseren kindlichen Anteil und die Dinge, vor denen wir nicht beschützt wurden, wovor wir andere bewahren wollen.

Es käme mir sehr gewagt vor, den Eltern eines Täuflings, dessen/deren Leben gerade erst begonnen hat, mit dem Tod und dem Kreuz zu kommen.

Doch wie ist es, wenn wir diese Worte nicht mit den Ohren eines Elternteiles eines kleinen Kindes hören, sondern mit den Ohren von Erwachsenen, die schon einiges erlebt haben, die sich nach einem Neuanfang sehnen und nach einer Hoffnung? Da kann sich das schon vielversprechend anhören. Da kann der Tod z.B. als klare Machtgrenze verstanden werden. Alles was davor Macht und Einfluss hatte, ist jetzt machtlos.

In einer Fernsehdokumentation über Menschen, die aus ihren Heimatländern wegen politischer Verfolgung fliehen mussten, wurde von einem Projekt der Stadt Graz berichtet. In Graz gibt es die Tradition der „Writer in Exile – Schriftsteller im Exil“. Die Stadt Graz vergibt ein Stipendium für verfolgte Autorinnen und Autoren, damit sie ihre Arbeit in Sicherheit fortsetzen können. 2018 war der georgische Lyriker Zviad Ratiani „Writer in Exile“ in Graz. Er wurde in Georgien öffentlich bloßgestellt, angegriffen und verleumdet, so dass die Flucht die einzige Möglichkeit war. Die Stadt Graz hat ihm einen Neustart ermöglicht. Er sagt in einem Interview über seine Ankunft in Graz:

„Bei meiner Ankunft in Graz sagte ich zu mir selbst: ‚Mein Gott, das ist das Paradies. Ich kann mich nicht erinnern gestorben zu sein.‘ … Am Anfang war es schwer für mich, von all dieser Schönheit und Freundlichkeit umgeben zu sein und zugleich die Verwundung zu spüren, die ich kurz zuvor in Tiflis erfahren hatte … Das reale Leben vor Ort stand in keiner Relation zu den Sorgen, die ich in mir trug. Am Ende hat mich Graz geheilt, es war mir ‚Krankenhaus‘ und ‚Paradies‘.“ (Natalie Resch, Graz als Krankenhaus und Paradies, in: Megaphon, Juli 2021, S. 24, www.megaphon.at)

Zviad Ratiani schreibt hier nicht von seiner Taufe. Aber er schreibt von dem Gefühl, es nicht fassen zu können, dass eine Veränderung möglich ist. Er beschreibt, wie sich jemand fühlt, der von einer bedrohten Existenz in Sicherheit gekommen ist und zu Beginn gar nicht recht weiß, wie er das aufnehmen kann.

Was ist real?

Was gilt?

Gilt die Erinnerung, die Vergangenheit, das, was noch vor ein paar Wochen war? Die Spuren, die Menschen noch am Körper tragen?

Oder gilt der aktuelle Moment? Wo er friedlich und hofiert in einem Haus in am Schlossberg sitzt und sich wie im Paradies fühlt?

Manche Verwandlungen sind schnell sichtbar: Wenn jemand abgenommen hat, wenn eine die Haare gefärbt hat, wenn eine schwanger ist, wenn jemand das Land verlassen hat. Andere Verwandlungen sind nicht so schnell zu erkennen: Wenn sich der Blick auf etwas verändert hat, wenn eine neue Idee in mir entsteht, wenn ein Zweifel sich regt, wenn neuer Glaube in mir zu wachsen beginnt.

In den letzten Jahren gab es auch bei uns wieder vermehrt Erwachsenentaufen. Zumeist von erwachsenen Flüchtlingen. In ihnen hat eine innere Veränderung stattgefunden, oft schon lange vor der Flucht. Sie haben eine klare Entscheidung getroffen. In ihrem Leben sollte eine neue Macht regieren. Das Alte sollte nicht mehr gelten. Die Taufe ist für sie so ein deutlicher Übergang von einer inneren Veränderung zu einer sichtbaren Handlung.

Für Paulus war es wichtig zu sagen, dass die Taufe einen Effekt hat. Durch die Taufe hat das ‚alte Ich‘ ein Ende genommen und ein ‚neues Ich‘ ist aus der Taufe aufgetaucht. Eine neue Person mit einer neuen Hoffnung. Noch nicht im Paradies, aber mit einem neuen Blick auf dieses Leben.

Martin Luther soll immer dann, wenn er sich bedroht fühlt und Angst hatte, „Ich bin getauft“ mit Kreide auf den Tisch geschrieben haben. Als Erinnerung an sich selbst, als Mantra gegen die Angst.

Was müssen wir tun, damit möglichst viele ins Paradies kommen?

  • An die mitgehende Liebe Gottes glauben, der durch den Tod in ein neues Leben gegangen ist und uns mitnimmt.
  • Uns daran erinnern, dass wir getauft sind und die geliebten Kinder Gottes.
  • In dieser fröhlichen Gewissheit mitbauen am Paradies, denn „Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist, wenn die Liebe das Leben verändert“ (EG 153,5).

Amen.

 

am 17.7.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Liebe Gemeinde,
noch eine Woche, dann beginnen die Sommerferien. Bei dem Wort Sommerferien beginnen die Augen der Konfis zu leuchten. Der Sommer, dass ist die Zeit in der ganz viele von uns sich auf den Weg machen. Auf den Weg in ferne Länder oder auch ganz in die Nähe. Auf den Weg, Neues zu entdecken oder einfach mal das zu tun wofür sonst keine Zeit ist. Manche machen sich mit Freund*innen auf den Weg, andere mit der Familie und wieder andere ganz bewusst allein. Die Bibel erzählt an vielen Stellen davon, wie Menschen sich auf den Weg machen. Freiwillig oder unfreiwillig. Allein oder in Gemeinschaft. Einer, der sich auf den Weg macht, ist Abraham. Wir haben in der Lesung eben von ihm gehört. Abraham kommt in Bewegung, er macht sich auf den Weg und zieht andere mit. Er geht nicht allein. Er hat eine Frau, Knechte und Mägde und er hat einen Neffen, der auch wieder mit Menschen verbunden sind, die mitgehen.

Die Bibel liebt Bewegungen, innere und äußere – insbesondere natürlich solche, die mit Gott in Zusammenhang stehen. Einer der zentralsten und wichtigsten Texte über so eine Bewegung ist die Geschichte von Abraham. Da macht sich einer, der mit seinen 75 Jahren den Großteil seines Lebens eigentlich schon hinter sich hat, noch einmal ganz neu auf den Weg. Auf den Weg ins Unbekannte. Er geht einen sehr weiten Weg. Angestoßen wurde seine äußere Bewegung von einer inneren, von Gott.

1 Da sprach Adonaj zu Abram: „Geh los! Weg aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft, aus deinem Elternhaus in das Land, das ich dich sehen lasse. 2 Ich werde dich zu einem großen Volk machen und dich segnen und deinen Namen groß machen. Werde so selbst ein Segen! 3 Ich will segnen, die dich segnen; wer dich erniedrigt, den verfluche ich. In dir sollen sich segnen lassen alle Völker der Erde.“
4 Da ging Abram los, wie Adonaj ihm gesagt hatte, und Lot ging mit ihm
(Genesis. Das erste Buch der Tora (1. Mose) 12,1-4a BigS 2011)

Da hört einer Gottes Stimme. Er hört zu, erkennt und dann gehorcht er. Er stellt sein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf und zieht los.
Abraham geht los.
Abraham vertraut auf diese Verheißung.
Abraham vertraut diesem Segen.

Es geht um Aufbruch und Ankommen.
Es geht um Vertrauen und Zweifel.
Es geht um Hoffnung und Resignation.
Es geht um den Ruf Gottes und die Freiheit, darauf zu hören und diesen Ruf umzusetzen.
Es geht darum, sich auf Gott einzulassen und Gott zu vertrauen.

Gott wird für Abraham zu einem Gegenüber und Gott redet mit ihm. Verständlich. Menschlich. Klar und deutlich. Gott redet zu einem einzigen Mann. Ganz privat, aber doch so ins Herz hinein, dass dieser Mensch ihn deutlich hört.
Gott ist kein nebulöses Prinzip, eine Ethik oder ein Gefühl. Sondern Gott bekommt auf einmal eine Stimme, eine Identität, wird ein Gegenüber, ein DU! Gott geht in eine Beziehung zu Abraham.

Abraham hört – und weiß sofort, wer da redet. Er weiß, es ist keine Halluzination, sondern es ist Gott. Das hört Abraham ohne Zweifel.

Was Gott aber sagt, ist eine einzige Zumutung: Geh weg von allem, mit dem Du vertraut und verbunden bist! Geh weg aus Deinem Land, weg von Deiner Großfamilie, weg vom Elternhaus! Geh von dort weg, wo Du geboren und aufgewachsen bist, wo dein Leben bisher stattgefunden hat – in ein Land, das ich Dir zeigen werde!
„Geh für Dich“ (Benno Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart 2000, 333) – so übersetzt Benno Jacob diesen hebräischen Imperativ Lech Lecha. Denn es geht auch um diese innere Bewegung, diese Loslösung. Geh für Dich! Geh weg aus dem, was Dir bisher so vertraut war, was bisher Dein Leben war!

Geh heraus, geh weg von allem, was Dir vertraut ist! Fast einzigartig ist dieser Imperativ in der Bibel. Und radikal: heraus aus allen Bindungen und hinein in eine neue, ganz andersartige – in eine Bindung an Gott.
Heimatlosigkeit auf Dauer ist die Folge. Die Bibel beschreibt, dass Abraham an vielen Orten umherzieht und tatsächlich nie im gelobten Land ankommt.

Dreimal wird er zum Verlassen aufgefordert und dreifach ist die Verheißung, die Abraham bekommt: Er wird in ein Land kommen, das Gott ihn erst noch sehen lassen wird. Aus ihm soll ein großes Volk werden. Gott wird ihn dazu machen. Und sein Name wird durch Gott groß gemacht werden.

All das ist in einem Wort zusammengefasst: Segen.

Und zwar so sehr Segen, dass er Abrahams gesamte Persönlichkeit, seine ganze Identität ändern wird: Er wird selbst zum Segen werden. Abraham ist nicht nur ein Mensch. Er selbst wird Segen!

Gott sucht einen segensreichen Weg zu den Menschen. Gott sucht ihn mit Abraham. Er setzt mit diesem einen Menschen eine Geschichte in Gang, nicht nur einen persönlichen Lebensweg, sondern eine Geschichte – mit einem ganzen Volk – und damit letztendlich auch mit uns. Denn dieses Volk soll zum Segen werden. Segen weitergeben, Segen vermehren. Zum Wohl aller Menschen!

Durch Abraham und seine Frau Sara bekommt die ganze Menschheit Zugang und Anteil an diesem Segen. So will es Gott hier ganz deutlich.

Menschenwege sind verwoben mit Gotteswegen. Kein Umweg, keine Sackgasse und kein Umkehren Abrahams wird Gott zu weit sein, als dass Gott nicht mitgeht. Das macht die Geschichte Gottes mit Abraham so besonders, bis heute. Das macht diese Verheißung des Segens so besonders, der an ein Land und ein Leben dort gebunden wird.

Abraham ist kein heroisches Vorbild, dem wir uns im Glauben respektvoll unterzuordnen hätten. Er hat zutiefst menschliche Eigenarten. Er ist ungeduldig. Er will den Segen Gottes wirken sehen. Er hilft dem Segen nach, indem er eine Leihmutter nimmt. Er lügt und er betrügt auf seinem Weg – aus Angst und um die eigene Haut zu retten! Das ist kein Leben eines Helden, sondern ein Leben mit Höhen und Tiefen. Aber ein Leben, das immer verbunden ist und im Dialog ist mit Gott.

Abraham ist Abraham. Sein immer wieder neues Suchen nach Gott, sein Vertrauen auf diese Stimme ist absolut beeindruckend. Abraham lässt Gott nicht los. Und Gott lässt Abraham nicht los. So leben sie beide in dieser Verbindung, die sich öffnet und zum Segen wird. Nicht nur für die Familie Abrahams, sondern am Ende für ganze Völker.
Es ist eine einzigartige, unglaubliche Geschichte, die sich nicht wiederholt, sondern die in Abraham begonnen hat und bis in unsere heutige Zeit reicht. Abraham zeigt uns: Glauben heißt Vertrauen auf das Wort, das Gott gegeben hat.

Und wir? Kann Abraham uns Vorbild sein? Wie finde ich Gewissheit in meinem Leben? Worauf kann ich vertrauen?
Gott ist mein Grund. Gott zeigt mir seine Wege – durchs Leben. Und von Gott kommt der Segen – auch durch andere Menschen. Besonders durch Gottes Volk Israel. Und durch Jesus Christus, der zu diesem Volk gehört.
Worauf vertrauen wir?

Alles, woran wir uns normalerweise absichern: unsere Versicherungen, unsere Häuser, unser Besitz, unsere Geldanalagen usw. sind nicht wirklich bis zum letzten Ende ein verlässlicher Grund. Sie sichern uns anders, sozusagen wie ein doppelter Boden. Das ist gut so.

Gott will mehr! Gott will etwas in uns Menschen bewegen. Gott will, dass wir ihn suchen und Gott vertrauen.
Nur wenige Menschen schaffen es, sich ganz und gar wie Abraham auf Gott zu verlassen.

Aber was gibt mir Sicherheit, wenn das, was sonst trägt, eben nicht mehr trägt? Wenn Beziehungen zerbrechen oder andere Dinge, auf die ich fest gesetzt habe, plötzlich nicht mehr da sind, nicht mehr tragen. Was bleibt dann?
Dann bleibt das, was schon Abraham trug: Die innere Stärke, die innere Bewegung, Gott.

Wenn wir Abraham und seine Geschichte hören, dann müssen wir sagen: Abrahams Nachfolgerinnen und Nachfolger, das sind jüdische, muslimische und christliche Menschen. Wir alle sind gemeinsam auf dem Weg. Wir sind unterwegs, damit durch uns zu erkennen ist, was Gott meint, wenn Gott sagt: „Ich will segnen, die dich segnen; wer dich erniedrigt, den verfluche ich. In dir sollen sich segnen lassen alle Völker der Erde.“ (Gen 12,3 BigS 2011)
Amen.

am 26.6.2022 von Pfarrer Rainer Böhm

Die Gnade unsres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde!
Bevor ich mit meiner Predigt beginne, möchte ich eine kurze Umfrage machen und bitte Sie, sich jeweils mit Handzeichen zu melden:
Am 11.09. um 14 Uhr ist meine Verabschiedung hier im Rahmen des Gemeindefestes. Um besser planen zu können, die Frage:
Wer von Ihnen kommt?
Wer kann nicht kommen?
Wer weiß es noch nicht genau? :

Gut, dann müssen wir halt ein paar Obdachlose aus dem Karl-Wagner-Haus einladen.
Und die, die nicht kommen, brauchen in Zukunft gar nicht mehr zum Gottesdienst  erscheinen!! Soweit die Umfrage.

Dann lese ich mal den Predigttext: Lk 14,15-24
Jesus war am Sabbat gemeinsam mit anderen zu Gast im Hause eines Pharisäers.
15 Da ergriff einer von den Gästen das Wort und sagte zu Jesus: »Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!«
16 Jesus antwortete ihm mit einem Gleichnis; er sagte:
»Ein Mann hatte viele Leute zu einem großen Essen eingeladen.
17 Als die Stunde für das Mahl da war, schickte er seinen Diener, um die Gäste zu bitten: 'Kommt! Denn es ist alles bereit!'
18 Aber einer nach dem andern begann, sich zu entschuldigen.
Der erste erklärte: 'Ich habe ein Stück Land gekauft, das muss ich mir jetzt unbedingt ansehen; bitte, entschuldige mich.'
19 Ein anderer sagte: 'Ich habe fünf Ochsengespanne gekauft und will gerade sehen, ob sie etwas taugen; bitte, entschuldige mich.'
20 Ein dritter sagte: 'Ich habe eben erst geheiratet, darum kann ich nicht kommen.'
21 Der Diener kam zurück und berichtete alles seinem Herrn. Da wurde der Herr zornig und befahl ihm: 'Lauf schnell auf die Straßen und Gassen der Stadt und hol die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Gelähmten her!'
22 Der Diener kam zurück und meldete: 'Herr, ich habe deinen Befehl ausgeführt, aber es ist immer noch Platz da.'
23 Der Herr sagte zu ihm: 'Dann geh auf die Landstraßen und an die Zäune draußen vor der Stadt, wo die Landstreicher sich treffen, und dränge die Leute hereinzukommen, damit mein Haus voll wird!'«
24 Jesus schloss: »Das sollt ihr wissen: Von den zuerst geladenen Gästen kommt mir niemand an meinen Tisch!«

Zugegeben, ich habe mit meiner Umfrage so ziemlich alles falsch gemacht, was man in einer Predigt falsch machen kann:

  • Man kann ein Reich-Gottes-Gleichnis nicht 1:1 übertragen auf die Gemeindesituation und ein anstehendes Gemeindefest.
  • Die Gemeinde, auch nicht unsere in Bad Nauheim, ist nicht das Reich Gottes.
  • Die, die am Samstag nicht kommen können, werden nicht in alle Ewigkeit verdammt.
  • Und, das mag Sie mehr oder weniger überraschen: ich bin nicht Gott.

Wie können wir das Gleichnis dann auslegen? Ich möchte vier Aspekte beleuchten.

1. Oft ist das Gleichnis so verstanden worden: die zuerst Eingeladenen sind das Volk Israel. Das hat die Einladung nicht angenommen, deshalb sind nun die Heidenvölker an der Reihe.
Auch dies wäre eine unzulässige 1:1 – Übertragung des Gleichnisses. Man muss darauf achten, was die Pointe des Gleichnisses ist. Sie ist dann der Vergleichspunkt. Und da können wir zwei Schwerpunkte bei Lukas ausmachen:
Zum einen: Lukas legt einen deutlichen Schwerpunkt auf den sozialen Aspekt, in Anlehnung an das Alte Testament: Nur wenn die Ärmsten der Armen, die körperlich und geistig Behinderten, die Vernachlässigten und die Obdachlosen eingeladen sind und Platz in der Gemeinde haben, ist auch noch Raum für uns. Nicht vorher.
Und das zweite: die Verkündigung des Reiches Gottes wird von Israel aus in die ganze Welt ausgeweitet, zu den „Heidenvölkern“.
Das drücken die Einladungen aus, die  immer weiter gezogen werden:
zuerst die engsten Freunde, dann die aus der Stadt und zuletzt die von den Landestraßen.
Sowohl Lukas als auch Paulus sprechen davon, dass Israel zu Gunsten der Heidenvölker zurücktritt. Und wir haben keinen Grund, uns deshalb Israel überlegen und als etwas Besseres zu fühlen. So warnt Jesus unmittelbar vor unserem Predigttext: Wenn dich jemand zu einem Hochzeitsmahl einlädt, dann setz dich nicht gleich auf den Ehrenplatz. Es könnte ja sein, dass eine noch vornehmere Person eingeladen ist. Setz dich lieber auf den letzten Platz, wenn du eingeladen bist. Wenn dann der Gastgeber kommt, wird er zu dir sagen: 'Lieber Freund, komm, nimm weiter oben Platz!' So wirst du vor allen geehrt, die mit dir eingeladen sind.
Übrigens: viele von uns nehmen das sehr ernst und sitzen im Gottesdienst immer ganz hinten. Das ist sehr bescheiden.

2. Jesus ist zum Sabbatmahl bei einem führenden Pharisäer eingeladen. Und Jesus nimmt im Gleichnis das auf, was der Sabbat in jüdischer Tradition bedeutet: er ist ein Vorgeschmack auf das Reich Gottes. Es ist etwas Besonderes, eine geschenkte Zeit, ein Mehr an allem, was wir leisten können.
Die Mahlgemeinschaft zieht sich wie ein roter Faden durch das Auftreten Jesu.  Er feiert mit bei Hochzeiten und sorgt dort sogar für ungetrübten Weingenuss. Er setzt sich zusammen mit Zöllnern, Sündern und Prostituierten, mit denen sonst niemand gerne gesehen wurde. Er war gerne gesehener Gast bei Marta und Maria und deren Bruder Lazarus.  Und er war auch immer wieder bei Pharisäern eingeladen. Wahrscheinlich hat er bei solchen Mahlzeiten auch gerne von Rabbi zu Rabbi, also unter seinesgleichen, die Tora diskutiert. Und bei solchen Gesprächen kam die Rede natürlich auch auf das Reich Gottes.
Jesus lädt uns mit seinem Verhalten und mit diesem Gleichnis dazu ein, es ihm nach zu tun: miteinander Gemeinschaft zu haben und über Gott und die Welt zu diskutieren. Und das mit einem Querschnitt durch die Gesellschaft, bis zu den Ärmsten der Armen. Für die meisten Gemeinden, ja für die Kirche insgesamt, ist das sicher eine große Herausforderung und auch kaum zu schaffen. Wichtig ist aber, dass wir dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren.  Nur wenn die Ärmsten der Armen Platz in unserer Gemeinde haben, dann ist auch noch Raum für uns.

3. Schauen wir uns mal die Gründe für die Absagen an. Sie sind alle sehr stichhaltig.
Der eine sichert mit dem Kauf der Äcker seine Lebensgrundlage, der zweite sichert mit den Ochsen seine Arbeitsgrundlage, und der dritte mit der Heirat seine familiäre Grundlage. Alles existentielle Entschuldigungen. Und ich denke, wir würden jede davon akzeptieren.
Allen dreien geht es um das individuelle Glück. Sie sind Ich-bestimmt. Im Reich Gottes geht es aber um ein Wir, um eine gemeinschaftliche Freude. Nicht umsonst ist das Bild für das Reich Gottes ein Fest und ein gemeinschaftliches Mahl – Konvivenz, gemeinschaftliches Zusammenleben und Zusammenfeiern stehen im Mittelpunkt., dass biblisches Denken immer von einer Solidargemeinschaft ausgeht. Auch hier wieder: erst wenn die Ärmsten der Armen Platz in unserer Gemeinde haben, dann ist auch noch Raum für uns.
Zeichenhaft deutlich wird dies, wenn wir gemeinsam Abendmahl feiern. Und die einladenden Worte stammen ja gerade aus unserem Gleichnis, und sie sind im Plural gehalten: Kommt, denn es ist alles bereit!

4. Ich möchte Sie anregen, sich mit einer Figur des Gleichnisses zu identifizieren, die nicht so sehr im Blick ist. Nämlich mit dem Diener. Vielleicht ist das unsere Hauptaufgabe: im Namen Gottes einzuladen, an die Hecken und Zäune, in die Gassen und Straßen zu gehen und von dieser wunderbaren Einladung zu erzählen.
Wir sollen die Einladung Gottes hinaustragen, weitergeben.
Wir sind nicht die Einladenden selbst – das ist Gott. Leider ist dies im ökumenischen Gespräch immer noch einer der Hauptunterschiede zwischen evangelischem und katholischem Verständnis des Abendmahls: nach evangelischem Verständnis ist Jesus Christus der Einladende, und deshalb sind alle eingeladen, egal welcher Konfession sie angehören. Es ist nicht unsere Aufgabe, Menschen von dieser Einladung auszuschließen. Wir sind nur die Diener Gottes, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Deshalb kommt, denn es ist alles bereit!
Amen

am 12.6.2022 von Pfarrer Rainer Böhm

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Lesung Röm 11,33-36:
O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13) Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?« (Hiob 41,3) Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Liebe Gemeinde,
1. Am Ende bleiben diese drei: Staunen, Loben und die Gewissheit, dass Gott da ist. Paulus ist in seinem Römerbrief an die Grenzen des Denkbaren gegangen. Wie kann er seine Überzeugung, allein der Glaube an Jesus rettet und die bleibende Erwählung Israels zusammen denken? Gibt es für Israel einen Sonderweg zum Heil, an Christus vorbei? Diese Frage ist nicht nur für Israel bedeutsam, sondern für Gott selbst. Bleibt Gott seiner Verheißung an Israel treu? Bleibt er seinem Bund, ja: bleibt Gott sich selbst treu?

Für Paulus ist das alles nicht nur ein theologisches Rätsel, eine knifflige Logikaufgabe oder ein intellektuelles Gedankenspiel. Diese Fragen betreffen den Kern seiner Person, war er doch selbst Jude bevor er Christ wurde, traute er doch dem alten Bund bevor er den neuen einging. Paulus steht an der Grenze – an der Grenze seiner Identität, an der Grenze seines Glaubens, an der Grenze seines Denkens.

In drei Kapiteln seines Römerbriefs versucht er die bleibende Erwählung Israels und den neuen Bund in Jesus Christus zusammen zu denken, in immer wieder neuen Anläufen findet er immer wieder neue Antworten. Ganz löst es sich nicht auf; es bleiben mehr Fragen als Antworten und der Eindruck: Nicht alles lässt sich eben begreifen und erforschen, so sehr es Herz und Kopf auch möchten. Dann der Bruch, der Sprung, der intellektuelle Abbruch.

Am Ende argumentiert Paulus nicht mehr, sondern verharrt im Staunen: O welch eine Tiefe des Reichtums! Paulus hört auf abzuwägen, nachzudenken, immer wieder neue Fragen zu bedenken, er beginnt zu lobpreisen und davon zu singen, wie das Erforschbare im Unerforschlichen aufgehoben wird, wie das Begreifbare dem Unbegreiflichen weicht, wie die Weisheit und die Erkenntnis Gottes alles menschliche Denken und Erfahren übersteigen. „Wir können ihn loben, aber nicht erfassen, denn er ist größer als alle seine Werke“ (Sir 43,28). Am Ende hat Paulus keine Fragen und Zweifel mehr, am Ende steht für ihn eine Gewissheit, festgeschrieben in seinem Herzen: Gott ist alles, Anfang und Ziel von allem, Schöpfer von allem: „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen“.

2. Wie Paulus kommen Menschen immer wieder an die Grenzen des Denkbaren, gerade wenn es um Gott geht. Manchmal ist man gezwungen, sich selbst, seinen Gott, ja vielleicht alles, was trägt, in Frage zu stellen. Wie kann Gott zugleich gerecht und barmherzig sein? Wenn er jedem Täter vergibt, wer setzt dann die Opfer ins Recht? Wie kann ein allmächtiger und barmherziger Gott all das Leid zulassen? All den Krieg, die Katastrophen, die Krisen im Leben und die zum Tod?

Diese Fragen sind nicht nur für all die Menschen, die Gott erleiden, bedeutsam, sondern für Gott selbst. Muss und kann er sich rechtfertigen? Muss und kann er sich fragen, hinterfragen oder gar widerlegen lassen? In immer wieder neuen Anläufen finden Glaube und Theologie immer wieder neue Antworten. Ganz löst es sich nicht auf. An jeder Antwort entzündet sich eine neue Frage, an jeder Frage eine Gegenfrage. Die Argumentationen bleiben lückenhaft, die Gedankengebäude brüchig und durch die Fundamente gehen Risse. Wenn man die Maßstäbe menschlicher Logik anlegt, bleibt vieles an Gott unverständlich, ja Gott selbst erscheint nicht selbstverständlich. Wenn das passiert, steht man auf der Grenze – des Denkens, des Glaubens, des Aushaltbaren. Dann bleiben entweder die Ablehnung Gottes oder die Anbetung Gottes. Oder beides zugleich.

Der Holocaustüberlebende Elie Wiesel berichtet von einer Szene im KZ, wo Gott selbst vor Gericht gestellt wird, weil er scheinbar seinen Bund mit Israel gebrochen und all das Leid an seinem erwählten Volk zugelassen hat. „Die Verhandlungen des Tribunals zogen sich lange hin. Und schließlich verkündete mein Lehrer, der Vorsitzender des Tribunals gewesen war, das Urteil: Schuldig. Und dann herrschte Schweigen – ein Schweigen, das mich an das Schweigen am Sinai erinnerte, ein endloses, ewiges Schweigen. Aber schließlich sagte mein Lehrer, der Rabbi: Und nun, meine Freunde, lasst uns gehen und beten. Und wir beteten zu Gott, der gerade wenige Minuten vorher von seinen Kindern für schuldig erklärt worden war.“ (Elie Wiesel).
 
3. Ich kenne auch solche Momente, in denen mein Denken an Grenzen kommt und ich einfach nur fühle: Gott ist da. Trotz allem. Nur diese Gewissheit hält mich, hält mich im Glauben, hält mich in Gott. Diese Momente, in denen alle Widersprüche sich auflösen, in denen ich aufhöre zu rechten und zu richten, zu verstehen und zugrunde zu gehen. Da lasse ich los, lasse alles von mir abfallen, lasse mich fallen in jene Tiefe, die mich nach oben trägt, bin ganz Ohr, ganz Auge, ganz Herz und mir scheint, als trage alles ein Geheimnis in sich, das sich nur den Glaubenden und Liebenden erschließt. Es ist nicht mehr rational.

Der Schriftsteller und Philosoph Albert Camus hat es bei der Beschreibung der römischen Ruinen seiner am Meer gelegenen Heimatstadt so formuliert: „Im Frühling wohnen in Tipasa die Götter. Sie reden durch die Sonne und durch den Duft der Wermutsträucher, durch den Silberkürass des Meeres, den grellblauen Himmel, die blumenübersäten Ruinen und die Lichtfülle des Steingetrümmers.“ Wie sehr kann ich seine Worte nachempfinden, wie sehr trösten sie mich und wie sehr wecken sie meinen kindlichen Trotz, trotz allem nicht an den Klippen des Unerforschlichen zu zerschellen und am Unbegreiflichen zu kentern.

4. Dann staune ich nämlich selbst: Wenn ich jetzt am Morgen von Ranstadt hierherfahre, dann liegt noch leichter Morgennebel über der Niederung; Störche stehen im Ried; die Morgensonne bescheint die Taunushänge; Kirchtürme ragen über die Wiesenränder; Kirchglocken sind aus den Dörfern zu hören. Manche scheppern etwas, klingen ärmer als die mächtigen Glocken der Dankeskirche – aber nicht weniger innig.

In der Ferne Altkönig und Große Feldberg. An dessen anderer Seite habe ich gelebt, bin ich aufgewachsen. Weit bin ich also nicht herumgekommen.

Dann lobsinge ich – vielleicht mit unbeholfenen Worten, vielleicht mit der Faust in der Tasche und Narben auf meiner Haut, vielleicht verborgen und verschüttet wie eine Sehnsucht, die dem Licht entgegenwächst. Dann bin ich gewiss: Gott ist da – trotz der Dinge, die ich nicht begreifen und erforschen kann, trotz der Dinge, die ich kaum ertragen und tragen kann, trotz aller Fragen, in allem Verzagen: Ich falle in seine Tiefe, die mich auffängt und trägt.

Am Ende bleiben diese drei, Staunen, Loben und die Gewissheit, dass Gott da ist – und ein neuer Anfang wächst hervor, gewebt aus heiligen Trotz und sanftem Trost, ein Hauch, ein Lied, ein Wimpernschlag. Wie genau, bleibt ein Geheimnis.

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX. Amen

Gottesdienst am Pfingstmontag 2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

Herzlich Willkommen zu unserem Gottesdienst am Pfingstmontag. Ein besonderes Willkommen gilt denen unter uns, die heute in diesem Gottesdienst ihre goldene Konfirmation feiern. Schön, dass Sie da sind!

50 Jahre – das ist eine lange Zeit. Haben Sie sich gleich wiedererkannt? Waren Sie damals eigentlich in einer Konfigruppe? Manche von Ihnen ist auch gar nicht hier in Bad Nauheim konfirmiert worden, weil Sie damals noch gar nicht hier gelebt haben. Vielleicht haben Sie sich gewundert, dass wir Sie eingeladen haben. Aber uns als Gemeinde ist es wichtig, dieses Jubiläum mit Ihnen zu feiern – egal in welcher Gemeinde Sie konfirmiert worden sind. Und wir freuen uns, dass Sie den Weg hierher zu uns gefunden haben.

Viel ist in diesen 50 Jahren passiert: Schönes und Trauriges. Ereignisse, die glücklich gemacht haben, aber auch solche die traurig gemacht haben. So manches Vorhaben ist gelungen, anderes eher nicht.
Alles, was uns bewegt wollen wir in diesem Gottesdienst vor Gott bringen. Und so sind wir hier zusammen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Lied: 503, 1-3. 8 Geh aus mein Herz

EG 711 Psalm 23

Eingangsgebet
Lasst uns zu Gott beten:
Bei dir bleiben, Gott, - ein Leben lang.
Manchmal ist es leicht.
Wenn wir die Liebe kennenlernen.
Wenn wir sehen wie Kinder heranwachsen.
Wenn alles leicht von der Hand geht.
Wenn wir staunend deine Schöpfung ansehen.
Grüne Auen, frisches Wasser. Wunderbar gemacht.

Bei dir bleiben, Gott, ein Leben lang.
Manchmal ist es schwer.
Wenn der Alltag uns hart macht.
Wenn Menschen nicht mehr da sind.
Gestorben oder weggegangen.
Wenn Traurigkeit das Herz schwer macht.
Wenn Sorgen die Augen verdunkeln. Bist du wirklich bei uns im finsteren Tal?

Wir sind heute hier in deiner Kirche und denken an den Tag unserer Konfirmation zurück. Du hast uns deinen Segen geschenkt. Wir wollten bei dir bleiben ein Leben lang.
In der Stille sagen wir dir, was uns bewegt.

Gott, wenn wir uns verirren – du bist da.
Wenn wir dich verlassen – du verlässt uns nicht.
Wenn wir schuldig werden – du führst uns auf rechter Straße.
Wenn wir mutlos sind – du erquickst unsere Seele.
Dafür danken wir dir.

Lesung: 1 Kor 12, 4-11

Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. 5Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. 6Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. 7Durch einen jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller.8Dem einen wird durch den Geist ein Wort der Weisheit gegeben; dem andern ein Wort der Erkenntnis durch denselben Geist; 9einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; 10einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei
Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen. 11Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist, der einem jeden das Seine zuteilt, wie er will.

Credo

Lied: eg+  96

Ansprache
Liebe Goldkonfirmand*innen, liebe Gemeinde,

im letzten Jahr machte ein Videoclip die Runde mit dem Lied eines Kabarettisten. Leider habe ich weder das Video gespeichert noch mir den Namen des Kabarettisten gemerkt. Aber den Inhalt des Liedes. Immerhin das! Der Kabarettist, so um die 60, stellte in seinem Lied die Frage: Wie haben wir, also meine Generation, eigentlich unsere Kindheit überlebt? Rückblickend, so seine Überlegungen, ist es kaum zu glauben, dass Menschen, die als Kind in den späten 50er und dann in den 60er Jahren groß geworden sind, diese Kindheit überhaupt überleben konnten. Als Kinder sind sie ohne Kindersitz und ohne Gurt im Auto mitgefahren, haben Wasser einfach direkt aus dem Wasserhahn getrunken, nicht aus Flaschen. Sie sind in die Schule gelaufen. In den Ferien oder am Wochenende haben sie das Haus morgens zum Spielen verlassen und sind oft erst zum Mittagessen oder noch später zurückgekommen. Sie haben sich selbst Spiele ausgedacht mit Holzstöcken oder Tennisbällen. Im Wald wurde Räuber und Gendarm gespielt oder Budchen gebaut. Niemand wusste genau wo die Kinder waren – es gab keine Handys. Es gab keine Playstation und das Fernsehprogramm begann auch erst abends um 18:00 mit der Sesamstraße. Die Kinder gingen einfach raus und trafen sich mit anderen Kindern auf der Straße. Ohne langfristige Terminplanung und ohne das Absprachen der Eltern untereinander nötig waren. Vielleicht war diese Kindheit wirklich unbeschwerter und stressfreier als heute.

Die Jugendzeit dann in einer BRD, die aufgerüttelt worden war von der Studentenbewegung. Neue Offenheit machte sich breit, aber auch die Anfänge der Radikalisierung. Der Club of Rome veröffentlichte seine erste Studie: Wachstum ist nicht unendlich, die Ressourcen unserer Erde sind nicht unerschöpflich. Ich weiß nicht wie viel man damals von all dem in Bad Nauheim mitbekommen hat. Ob Sie musikalisch noch mehr bei Jürgen Drews und seinem Bett im Kornfeld waren. Oder bei Peter Maffay. Oder doch mehr in Richtung Elton John und Chicago. John Lennon veröffentlichte das unvergessene „Imagine“ und das Album „Sergeant Peppers Loneley Heartclub Band“ der Beatles war auch noch in den Charts. Und ein Lied aus diesem Album, dass Sie vermutlich alle kennen, weil es bis heute im Radio immer mal gespielt wird, ist das Lied: „When I’m 64“.

Orgel: When I’m 64

Ein junger Mann sitzt da und denkt über das Alter nach. Paul Mc Cartney war übrigens 16 Jahre alt, als er diesen Song geschrieben hat.

„Wie wird es sein, wenn ich einmal 64 bin? Wirst du an mich denken, wirst du mich durchfüttern? Bin ich dann noch etwas wert?“

Er sieht Menschen um sich herum, die so alt sind – 64. Die Großmutter, den alten Mann in der Nachbarschaft, die Lehrerin kurz vor dem Ruhestand. Alles alte Menschen aus seiner Sicht. Wie sieht das Leben eines 64jährigen aus der Sicht eines Vierzehnjährigen aus? Im Lied heißt es: Er braucht gestrickte Seelenwärmer am Kamin, darf dankbar sein, wenn er noch genug Kraft hat, den Garten umzugraben und am Sonntag mal für einen kleinen Ausflug rauszukommen. Er muss sich einschränken und sparen – es reicht gerade, Enkelkinder auf dem Schoß zu haben. Kurz: er gehört zum alten Eisen – und ist sich nicht sicher, ob noch jemand da sein wird, der ihn durchfüttert. Für einen Vierzehnjährigen vor 50 Jahren war es keine erstrebenswerte Aussicht 64 zu sein. Spannend auch zu sehen, wie sich die Wahrnehmung von Alter und die Einstellung gegenüber dem Alter in diesen Jahren geändert hat. Denn von all dem, was in dem Lied beschrieben wird, trifft wohl kaum etwas auf Ihre heutige Lebenssituation zu. Mit 64 steht man heute nicht am Rand, gehört längst nicht zum alten Eisen. So manche fängt da gerade noch einmal ganz neu an.

Damals vor 50 Jahren sind Sie auch aufgebrochen in einen neuen Lebensabschnitt. Manche haben bald danach die Schule beendet und eine Lehre begonnen. Andere haben studiert. Familien wurden gegründet, Kinder großgezogen. Sie haben sich positioniert in der Gesellschaft, manche hat mitgestaltet. Freundschaften wurden geschlossen und beendet. Manchen Abschied haben Sie nehmen müssen. Die Jahre sind dahingegangen und irgendwann kam vielleicht auch einmal der Gedanke, dass das Leben nicht ewig dauert. Und vielleicht tauchte ab und an auch der Gedanke auf: Was wird sein, „When I‘m 64?“. Und nun ist es soweit. Sie sind 64, oder ganz in der Nähe davon. Aber fühlt es sich so an, wie Paul Mc Cartney es sich als Jugendlicher vorgestellt hat? Langweilig, banal und nichtig?

Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie aus vollem Herzen sagen können: Nein. So fühlt es sich eben nicht an. Vielmehr ist da so ein unglaubliches Erstaunen, weil man sich ganz anders erlebt. Ganz und gar nicht als ob man zum alten Eisen gehört. Auch wenn Vieles nicht mehr vor, sondern hinter einem liegt. Es hat sich gelohnt bis hierher zu kommen. Natürlich spürt man immer mal wieder, dass die eigenen Kräfte sich verändern. Und längst hat man begriffen, was die Alten meinten, wenn sie sagten: Alles dauert länger – ich tue viel weniger als früher und trotzdem ist der Tag angefüllt. Man hat manches Zipperlein und Erkrankungen haben ihre Spuren hinterlassen. Aber da ist auch Neues gewachsen: Lebensweisheit. Man weiß, dass nicht gleich die Welt untergeht, wenn etwas nicht gelingt, ein Wunsch sich nicht erfüllt. Man hat erlebt, dass es neue Anfänge gibt, wenn man gescheitert ist. Gelassenheit ist eine Gabe des Alters. Für viele beginnt bald ein neuer Lebensabschnitt: Der Ruhestand. Geschenkte Zeit. Man darf die Verantwortung in jüngere Hände legen und schauen, ob es nicht noch ganz neue Plätze gibt, wo man gebraucht wird – mit der Kraft und der Erfahrung, die man gerade hat. Oder einfach Dinge für sich tun, die bisher zu kurz gekommen sind. Da geht noch was! Herauszufinden, was das ist und es zu wagen – das mag eien Aufgabe für diesen neuen Lebensabschnitt sein. „WHEn I’m 64! Werde ich dann noch gebraucht? Werde ich noch etwas wert sein?

So fragte Paul Mc Cartney. Am Tag Ihrer Konfirmation vor 50 Jahren haben Sie im Gottesdienst Gottes Segen zugesprochen bekommen. Gottes Segen für Ihren Lebensweg. Sie sollten, wie die Konfis heute, spüren: Du bist Gott wertvoll! Du bist Gottes geliebtes Kind. Egal wie alt oder jung du bist. Egal, ob du erfolgreich bist oder durchschnittlich. Egal ob du die Herausforderung suchst oder die Beständigkeit liebst. Du bist wertvoll, so wie du bist.

Wer sich selbst liebt, weil er sich von Gott geliebt weiß, der wird auch andere lieben. Die braucht keine Angst zu haben, das ihr das Leben entgleitet. Mit 14 nicht, mit 30 nicht, mit 50 nicht und nicht mit 64. Wer sich gesegnet weiß, lebt aus dem Bewußtsein, Gutes zu empfangen und wird frei Gutes weiterzugeben. Es gibt Zeiten im Leben, da kann man das nicht glauben. DA ist man verzweifelt und fühlt sich allein. Von den Menschen verlassen und von Gott. Und doch ist Gott da und streckt uns seine Hand entgegen. Wir dürfen sie ergreifen.

Paul Mc Cartney hofft in seinem Lied aus ganzem Herzen, dass immer jemand da ist – jemand, dem ich etwas wert bin. Selbst „When I’m 64!“

Ich wünsche Ihnen das Vertrauen und die sichere Hoffnung, dass Gott in Ihnen und um sie ist. Dass Gott die Kraft schenkt, die wir brauchen und wir mit Gott das Leben in Fülle finden. Amen.

Lied: When I’m 64

Gebet
„Ja“, hast du gesagt, Gott.
Zu diesen Männern und Frauen.
„ja“, haben sie gesagt. Damals am Tag ihrer Konfirmation.
„nein“, hat manches Herz geflüstert.
In diesen Jahren.
„Es kann nicht sein. Du bist nicht da.
Nicht für mich. Nicht für die, die ich liebe.
Zu schwer war manches.“

„ja“, hat manches Herz gejubelt.
In diesen Jahren.
„Du hast mich bewahrt.
Du hast mir diese wunderbaren Menschen an die Seite gestellt.
Ich habe Glück erleben dürfen.
Und Vertrauen. Und Liebe.“

Jetzt stehen sie vor dir Gott.
Mit ihrem JA und mit ihrem Nein.
Und wir stellen uns neben sie.
In der Stille legen wir dir hin, was uns bewegt.
    Stille
Gott, nimm unser Nein und nimm unser JA in deine Hand.
Ohne Urteil, ohne Verneinung,
sondern behutsam und sanft.
Und sprich dein Ja zu uns.
Heute, morgen und in Ewigkeit. Amen

Segnung der Goldkonfirmand*innen und Überreichung der Urkunden

Vor 50 Jahren sind Sie hier vorn allein oder in Dreier-oder Vierergruppen eingesegnet worden. Ein ganz besonderer Moment. Und auch jetzt wollen wir um Gottes Segen bitten.

Der Segen Gottes,
der euch bis heute begleitet hat,
durch schöne und durch schwere Zeiten,
der bleibe bei euch
und stärke euch für den Weg,
der vor euch liegt, bis ihr ans Ziel kommt. Amen.

Lied: 580

Gebet
Gott des Lebens. Von den Früchten der Erde bringen wir dir dieses Brot auf deinen Tisch, damit es uns zum Brot des Lebens werde. Groß ist deine Güte. Dafür danken wir dir.
Zu unserer Stärkung schenkst du uns diese Trauben, die Frucht des Weinstockes und der Arbeit des Menschen. Groß ist deine Güte. Dafür danken wir dir. Mit unserer Sehnsucht kommen wir zu dir. Mit unserer Schwäche, unserer Sorge, unserer Lebensfreude und unserer Kraft. Nimm du an, was wir bringen. Erhalte und belebe uns! Lass dankbar erkennen, was uns alles durch dich geschenkt ist so dass wir einstimmen in das Lob, das deine Schöpfung dir singt. Darum bitten wir dich durch Jesus Christus und singen:

Heilig, heilig

Vater unser

Einsetzungsworte
Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach es. Gab es seinen Jünger*innen und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis.
Und er den Kelch nach dem Mahl. Gab ihnen den und sprach: dieser Kelch ist das neuen Testament in meinem Blut, das vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches tut zu meinem Gedächtnis.

Christe du Lamm Gottes

Friedensgruß

Christus ist unser Friede. Diesen Frieden ersehen wir für unsere friedlose Welt. An diesem Frieden können wir mitarbeiten, wenn wir, untereinander Frieden schließen. Diesen Frieden erbitten wir im Gebet und wir geben unserer Hoffnung, dass dieser Frieden kommen wird Ausdruck, wenn wir ihn uns gegenseitig zusprechen.

Einladung und Mahlgemeinschaft
Brot von dem einen Brot. Die Frucht des Weinstocks.  Gemeinschaft in dem einen Raum und weit darüber hinaus. Schaut, denn es ist alles bereit. Schmecket und sehet, wie freundlich Gott ist!

Nehmt das Brot! Das Brot des Lebens – es stärke euch!
Gemeinsam wird das Brot gegessen.

Nehmt die Trauben, die Frucht des Weinstocks. Christi Blut!
Er schenke Euch Heil und Leben.

Sendung
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück. Du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich!
Geht euren Weg im Vertrauen auf Gott! Amen.

Dankgebet
Gott, wir sind deine Gäste gewesen. Du hast uns an deinen Tisch eingeladen, dafür für danken wir dir. Wir danken dir, für das Brot und die Trauben. Wir danken dir, dass du zu uns hältst, was immer auch geschieht. Wir danken dir, dass du uns trägst durch dunkle Täler und an grüne Auen zu neuem Leben. Amen.

Fürbitten

Himmlischer Vater, dein Geist ist der Atem,
durch den wir zu dir beten.
Er schenkt den Betrübten Trost,
und den Strauchelnden neue Kraft.
Er entfacht in uns das Feuer,
durch das wir dich erkennen und lieben können.
Er führt uns in die Weite und befreit uns von den Zwängen,
in denen wir uns verfangen haben.
Wir möchten auf die Kraft deines Geistes vertrauen.
Führe uns durch deinen Geist in die Weite,
damit wir von unserer inneren Enge loskommen
und auch innerlich frei werden.
Damit wir ohne Neid auf das schauen,
was andere haben oder können,
damit wir uns an den Erfolgen unseres Nächsten freuen können.
Schenke uns durch deinen Geist die Sprache der Liebe,
die denen ihre Stimme leiht, die keine Stimme haben.
Lege uns Worte in den Mund,
mit denen wir uns für die einsetzen,
die zu müde sind, um noch etwas zu fordern,
oder zu ängstlich, um zu widersprechen.
Lass uns durch deinen Geist
immer wieder von neuem Hoffnung wagen
und Visionen und Träume entdecken,
damit wir Menschen zum Glauben führen,
Traurige trösten und Mutlose aufrichten.
Lass deinen Geist wirken,
damit wir überzeugend dein Wort verkündigen
in unseren Häusern und Kirchen.
Amen.

Lied: eg+  142 Verleih uns Frieden

Abkündigungen

Segen

Musik zum Ausgang

an Christi Himmelfahrt 2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Apg 1,3-13
Ihnen zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. Und als er mit ihnen beim Mahl war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr – so sprach er – von mir gehört habt; denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel? Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. Und als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berg, der Ölberg heißt und nahe bei Jerusalem liegt, einen Sabbatweg entfernt. Und als sie hineinkamen, stiegen sie hinauf in das Obergemach des Hauses, wo sie sich aufzuhalten pflegten: Petrus, Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon der Zelot und Judas, der Sohn des Jakobus.

Liebe Gemeinde,
wenn ich diese Szene aus der Apostelgeschichte verfilmen müsste, würde eine Folge von Raumschiff Enterprise daraus werden. Menschen stehen herum und plötzlich löst sich einer von ihnen in Luft auf. „Beam me up, Scotty!“ Steht hier zwar nicht, aber bei mir schwingt es automatisch mit.

Beamen ist die Erfindung der Serie Enterprise, von der ich mir schon seit jeher wünschen, dass unsere Wissenschaftlerinnen das hinbekommen würden. Kein Verkehr mehr, ohne Zeitverlust überall hinkönnen.
Wo würden Sie sich hin beamen, wenn Sie es könnten? Oder gebe es etwas oder gar eine Person, die Sie wegbeamen würden, wenn Sie die Macht dazu hätten?

Eine Möglichkeit uns weg zu beamen haben wir. Wir können unseren Geist und unseren Verstand ablenken. Im Guten, mit einem guten Buch oder Film oder beim Spielen mit den Kindern, auch beim Lernen. Aber auch im Negativen, mit Alkohol, Drogen, Adrenalin.

Im Star Trek Universum gibt es die oberste Direktive, die besagt, dass sich eine höher entwickelte Kultur nicht in die Entwicklung einer weniger entwickelten Kultur einmischen darf. Jede Gesellschaft soll sich in ihrem Tempo entwickeln können. Das funktionierte nicht ganz, weil oft durch technische Defekte oder andere Umstände Mitglieder der Crew auf solchen Planeten landen und dann mit den Menschen leben und sie eben doch beeinflussen. Wenn so eine Situation eintrat, dann schafften es die Crewmitglieder meist nicht, Ungerechtigkeit tatenlos anzusehen, sondern versuchten positiv auf die Situation zu wirken. Soweit zu Star Trek. Nun zurück zur Apostelgeschichte.

Das Leben Jesu auf der Erde war kein Unfall. Trotzdem sehe ich auch hier eine Parallele zur obersten Direktive. Der Gedanke, dass die Menschen sich selbst weiter entwickeln sollen, der kommt mir auch bei dieser biblischen Erzählung.
Jesus lebte mit den Jüngerinnen und Jüngern. Er versuchte ihnen und denen, die ihm zuhörten einen Lebens- und Glaubensweg aufzuzeigen. Er legte gemeinsam mit ihnen die heiligen Texte aus und fragte danach, wie sie damals in Hier und Jetzt zu verstehen seien, wie sie zu Lebens-Mitteln werden könnten. Jesus bemüht sich Menschen ihre Ängste zu nehmen. Die Angst nicht geliebt, nicht wertvoll zu sein, die Angst vor dem Ausgestoßen werden, die Angst zu kurz zu kommen, die Angst vor den Fremden, sogar die Angst vor dem Tod.

In den drei Jahren seines öffentlichen Wirkens hat er viele Menschen getroffen, mit vielen geredet, die Sicht- und Denkweise von manchen verändert.

Das eine ist das Hören und Lernen; das andere ist die Anwendung. Den Transfer vom Hören zum Tun, den muss jede und jeder Einzelne selbst leisten.

Es kommt der Moment, wo die Schülerinnen und Schüler die Schule verlassen, damit sie ohne die Personen, die sie unterrichtet haben, weiterwachsen. Kinder ziehen von zu Hause aus; junge Erwachsene machen Abitur; Azubis beenden ihre Lehre; Studierende verlassen die Unis.

Immer wenn so ein Abschied passiert, ist es gleichzeitig traurig und aufregend. Ich habe ja lange hier in Bad Nauheim  an einem Gymnasium unterrichtet und wenn der Abschied von den Abiturientinnen und Abiturienten nahte, dann bin ich, aber auch viele Kolleg*innen immer sehr gerührt gewesen. Immerhin kannten wir uns oft acht Jahren. Aber es ist klar, dass es nicht so bleiben kann. Sie müssen gehen, neues lernen, hinaus in die Welt.

Die Erzählung von der Aufnahme Jesu in den Himmel ist emotional ambivalent. Zum einen ist es ein kirchliches Fest. Da gibt oder gab es durchaus interessanteste Bräuche, zumindest in katholischen Gegenden. Von die Jesusstatue auf das Dach ziehen, bis einen riesigen Weihrauchbehälter durch die Kirche schwenken.

Jesus ist übrigens nicht die erste und einzige religiöse Persönlichkeit, von der erzählt wird, dass sie in den Himmel aufsteigt. Der bekannteste Vorgänger ist der Prophet Elia. Der bekannteste Nachfolger ist Mohammed. Er wurde emporgehoben und kehrte zurück. Es ist klar, dass mit dieser Erzählform weniger das Außerkraftsetzen von physikalischen Gesetzen angesprochen wird, sondern die besondere Verbundenheit dieser Menschen mit dem Göttlichen und ihre besondere Bedeutung für Menschen, die ihnen anhingen.

Mit dem Wort Himmel verbinden wir meist etwas Positives. Einen Sehnsuchtsort. Wo es Glück gibt, ohne Hindernisse. „Wie im Himmel“, „im siebten Himmel“, „himmlisch“. Der Himmel ist der Ort Gottes, und auch die geliebten Verstorbenen werden in den Himmel gedacht. Gleichzeitig ist der Himmel auch etwas Fernes.

An diesem 40. Tag nach Ostern, als die Jüngerinnen und er das Gefühl hatten, jetzt werden sie von Jesus endgültig allein gelassen, werden sie zunächst nicht erfreut gewesen sein und nicht gefeiert haben. Die letzten 50 Tage müssen für sie eine emotionale Achterbahn gewesen sein. Erst der fröhliche Einzug in Jerusalem, nur wenige Tage danach der Verrat, die Verhaftung, die Hinrichtung. Am Punkt der tiefsten Trauer und Angst, die Nachricht, dass es nicht aus ist, dass die Geschichte mit Jesus weitergeht. Und jetzt 40 Tage später schon wieder alleingelassen.

Ab jetzt mussten sie wirklich ohne Jesus als Rabbi weitergehen. Ihre Aufgabe ist es ab jetzt, von der Rolle der Lernenden in die Rolle der Lehrenden zu wechseln. Dafür gibt es eigentlich kaum einen richtigen Moment. Ich glaub fast jede und jeder hat davor den Gedanken, immer noch nicht genug zu können. Aber irgendwann hilft nur der Schritt nach vorne ins Ungewisse in der Hoffnung, dass der Boden trägt.

Vielleicht erinnern Sie sich an Ihre eigenen ängstlichen Schritte in eine neue Situation? Wie haben Sie sich gefühlt? Wer hat Sie dabei unterstützt? Gab es etwas, das Ihnen dabei geholfen hat?

Wann immer ich so einen Übergang hatte, hat sich das bei mir auf den Magen geschlagen und in Schlaflosigkeit gezeigt. Ich konnte nicht essen. Ich hatte Alpträume davon, was alles schiefgehen kann. Ich hatte die Stimmen im Kopf, die mich abwerteten und mir sagten, dass ich das sicher nicht schaffen würde. Ich hätte mir gewünscht, der Moment würde nie kommen. Ich habe dann jede dieser Situationen bewältigt. Manchmal mit Scheitern, manchmal mit Erfolg, aber nie war es mein Untergang. Nie war das Scheitern so schlimm wie meine Vorstellung vom Scheitern.

Jesus weiß, dass es schwer ist. Er lässt die Seinen nicht allein. Er verspricht ihnen, dass sie göttliche Kraft bekommen werden. Aber im Moment sind sie in einer Warteposition. Jesus ist weg und das Neue ist noch nicht da. Es werden zehn harte Tage gewesen sein, bis sie diese Kraft gespürt haben.

Zehn Tage warten! In unserer Zeit, wo schon zwei Stunden warten auf ein Antwortmail sich wie eine Ewigkeit anfühlen. Zehn Tage warten und keine wirkliche Ahnung worauf! Eine mühsame Zeit!
Kein Wunder, dass die Jüngerinnen und Jünger in den Himmel schauen.

Wann schauen wir in den Himmel? Mir fallen verschiedene Dinge ein. Zum Träumen und aus Verzweiflung.
Beim Hochblicken, erinnern wir uns an die Zukunft oder denken an sie. Im Hier und Jetzt, sind wir nicht.
Dort oben soll der Blick der Jüngerinnen und Jünger nicht verweilen. Von da ist nichts mehr zu erwarten. Die zwei weiß gekleideten Gestalten machen jede in diese Richtung gehende Hoffnung zunichte.

Was aber sehen die Jüngerinnen und Jünger, wenn sie ihren Blick vom Himmel senken? Sie sehen einander. Sie sehen die Menschen, die die den gleichen Weg haben, dieselben Erfahrungen, denselben Auftrag. Sie merken, dass sie nicht alleine sind. Schon jetzt nicht. Sie sehen in die Augen von Menschen, mit denen sie in Freundschaft leben. In Augen, die wahrscheinlich genauso ratlos sind wie die eigenen, vielleicht nass von Tränen. Sie merken, sie sind nicht allein. Sie sind der Leib Christi. Spätestens jetzt wird klar, wir alle sind der Körper von Christus. Wenn wir in den Himmel sehen, uns an Vergangenes erinnern oder an die Zukunft denken, dann sehen wir nicht, was um uns herum gerade ist. Nicht im Himmel sollen wir nach ihm suchen, sondern in jedem und jeder Einzelnen von uns.

In gewisser Weise ist durch die Himmelfahrt mehr von Jesus geworden, nicht weniger. Seine Botschaft hat sich verbreitet von einer kleinen Gruppe in Jerusalem zu einer Gemeinschaft, die weltweit zu finden ist.

Wenn sie auf die Erde geblickt hätten, dann hätten sie vielleicht noch die Fußabdrücke gesehen, die Jesus hinterlassen hat. Den Weg, den er vorgegangen ist, den sie jetzt weitergehen sollen. Wir kennen das Sprichwort: „In die Fußstapfen von jemanden treten…“

Leben ist weitergehen.
Glauben ist weitergehen.
Jesus Christus ist der Weg. Amen.

am 22.5.2022 von Pfarrer i.R. Friedhelm Pieper

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Predigttext: Lk 11, 1 – 4  - Das Vaterunser nach Lukas
1Und es begab sich, dass Jesus an einem Ort war und betete. Als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte. 2 Er aber sprach zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht:
Vater! / Dein Name werde geheiligt. / Dein Reich komme. / 3 Gib uns unser täglich Brot Tag für Tag / 4 und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird. / Und führe uns nicht in Versuchung.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,

Jesus betet. Seine Anhänger, seine Jünger bekommen mit, wie Jesus immer wieder sich zurückzieht, um zu beten. Er sucht Plätze der Stille auf. Auf einem Berg oder irgendwo abseits der Gruppe. Dort, wo er für sich allein ist und sich dem Gebet hingeben kann. Seine Anhänger spüren, dass diese Gebete eine Wirkung haben. Diese Gebete geben etwas. Was genau, erzählt uns Lukas nicht. Vielleicht eine Stärkung, eine Kraftquelle, ein neues Ausgerichtet-sein, eine Vergewisserung für seinen besonderen Weg. -- Jedenfalls erfahren wir in der Erzählung des Lukas, dass die Anhänger Jesu von dessen Beten beeindruckt sind und dass sie auch solche Erfahrungen mit dem Beten machen möchten. So bitten sie ihn: „Herr lehre uns beten“.

Es sind einfache Menschen, die Jesus umgeben. Fischer, Zöllner, Frauen, die mit Land und Vieh wirtschaften und ihr Gut verwalten. Sie wollen von Jesus lernen, wie man betet.

Und Jesus antwortet ihnen mit einem Verweis auf kurze Sätze, die nur aus wenigen Worten bestehen, ja einmal sogar nur aus einem Wort: Vater! Was uns Lukas hier erzählt, ist eine kompakte Kurzform des Vaterunsers. Nur sechs Sätze. Ein kurzes knappes Gebet. So wenige Worte, die auch einfache Menschen sprechen können und behalten können. Beten heißt nicht viele Worte machen. Beten heißt die entscheidenden Worte zu sprechen und diese Worte ganz auf sich wirken zu lassen. Sich von diesen Worten mitnehmen zu lassen. Sich für das zu öffnen, was in diesen Worten uns nahekommen will.

Alles beginnt mit der Anrede. Und diese Anrede ist der entscheidende Einstieg in das Beten. Vater! Der kürzeste Satz. Nur ein Wort: Vater! Jesus lehrt seine Anhängerinnen und Anhänger: so kommt ihr hinein in das Beten. Nehmt euch Zeit für euch allein und sprecht: Vater! Ganz Da-sein, vielleicht die Augen schließen und dann ganz gegenwärtig dies aussprechen: Vater!

Nicht jede und nicht jeder mag vielleicht in diese Anrede Gottes einstimmen. Manche empfinden, dass Gott hier einseitig ganz männlich gedeutet wird. Andere haben vielleicht schlechte Erfahrungen mit ihren Vätern gemacht und fühlen sich daher nicht wohl darin, Gott als Vater anzusprechen. Und ja, die biblischen Texte sagen uns: Gott ist weder männlich noch weiblich, er ist kategorial etwas ganz anderes, er/sie ist grundsätzlich von anderer Art. Aber unsere Sprache ist begrenzt. Die Bibelübersetzung „Bibel in gerechter Sprache“ versucht hier, kreative Antworten zu finden. Sie sucht nach vielen unterschiedlichen Möglichkeiten, Gott anzusprechen, Gott zur Sprache zu bringenDabei wechselt sie männliche und weibliche Formen ab. „Die Ewige“, „der Heilige“, „die Eine“, „der Name“, „die Lebendige“, „Adonaj“, „Du, Gott bist uns Vater und Mutter“. Ich finde das gut! Zunächst wird hier ernst gemacht mit den biblischen Hinweisen, dass Gott weder Mann noch Frau in unserem Sinne ist, sodann werden hier auch den Forderungen nach Gleichberechtigung von Frauen und Männern Rechnung getragen. Vor allem aber werden hier viele unterschiedliche Zugänge eröffnet und jede und jeder kann für sich herausfinden, mit welcher Form der Anrede, sie oder er Gott im Gebet ansprechen möchte.

Wie immer da die Anrede aussieht, wie immer man Gott anreden möchte, das Gebet, das Jesus seinen Anhängerinnen und Anhängern lehrt, es ist eine Einladung, unser Leben noch einmal in einer anderen Beziehung zu sehen. Unser Leben geht nicht auf in dem, was wir tagtäglich vor uns sehen. Über unser Leben spannt sich der Himmel. Mitten in unserem Leben wird uns gesagt, es gibt da jemand, der sich ansprechen lässt. Es gibt da jemand, zu dem wir Vater sagen können. Es gibt da jemand, der uns wie eine Mutter begleiten möchte. Unser Vater, unsere Mutter im Himmel. Dem wir das Leben verdanken, die unser Leben erhalten und stärken will.

Nein, das löst nicht alle unsere Probleme. Nein, das nimmt uns nicht heraus aus den Grenzen, die wir tagtäglich erfahren. Die Krankheiten, die uns treffen, das Älter- und gebrechlicher-Werden, ja, auch das Sterben, all das verschwindet nicht. Auch unsere Sorgen und unser Zorn angesichts des grausamen, mörderischen militärischen Überfalls von Wladimir Putin und seinen Gefolgsleuten über die Menschen in der Ukraine, das verschwindet so einfach nicht. Und doch wird uns gesagt, dass wir mit alledem nicht allein bleiben müssen. Wir können das mit hineinnehmen in diese Anrede: Vater!

Es kann geschehen, dass in diesem Anreden, in diesem Sich-Ausrichten Kräfte gestärkt werden. Es ist möglich, wenn wir unsere ganzen Belastungen mit hineinnehmen in das Gebet, dass wir dann unsere Last besser schultern können. Dass wir unser Leben und seine Grenzen tiefer und besser annehmen können. Aber auch, dass wir Stärkung erfahren. Stärkung für die Gestaltung unseres Lebens. Stärkung für unseren Kampf zur Überwindung von Gewalt und Aggressionen; Kraft finden, um Wege zum Frieden zu finden. Der Tag muss doch kommen, an dem die Waffen wieder schweigen. Und es ist unser Gebet, dass wir die richtigen Wege finden, um dorthin zu gelangen. Und es ist unser Gebet, dass die Ukrainer die Kraft finden, sich den russischen Angriffen kraftvoll entgegen zu werfen – und dass sie dafür auch von uns alle verfügbaren Mittel erhalten. Alle verfügbaren Mittel.

Das Gebet aber zu dem einen Vater im Himmel hält uns dafür offen, dass am Ende ein Waffenstillstand mit den Russen gefunden werden muss. Dass am Ende Wege für ein neues Zusammenleben gefunden werden müssen, gerade auch im Osten Europas. Das Gebet zu dem einen Vater ist ein Gebet dafür, dass es in Russland vielleicht doch noch ein Einsehen geben möge. Der jetzige furchtbare und grausame Weg von Putin und seiner willigen Helfer führt Russland in eine katastrophale Sackgasse. Da ist keine Zukunft zu gewinnen. Und die Gegenwart ist voller entsetzlicher Leidenserfahrungen insbesondere der ukrainischen Menschen. Das Gebet zu dem einen Vater ist ein Gebet zur Umkehr aus diesen Wegen voller Gewalt und Leid: Vater, hilf, dass Wege gefunden werden, die aus der furchtbaren Gewalt in der Ukraine herausführen. Du, Schöpferin des Lebens, hilf, dass die Waffen zum Schweigen kommen, dass ein Aufatmen wieder möglich wird!

Vater, Dein Name werde geheiligt! Diese Bitte erinnert uns daran, wie sehr uns ein Empfinden von Ehrfurcht abhandengekommen ist. Wie sehr uns ein Empfinden von Achtung, von Wertschätzung, von Anerkennung verloren geht in unserem alltäglichen Leben.

Am vergangenen Dienstag wurde in der Wetterauer Zeitung ein Interview mit dem Rocksänger Marius Müller-Westernhagen abgedruckt. Darin sagte er: „Die Mitmenschlichkeit geht uns mehr und mehr verloren. Wir dreschen lieber aufeinander ein, anstatt gemeinsam nach Lösungen zu suchen. … Die Leute haben außerdem eine immer kürzere Lunte. Die Fähigkeit und der Wille zur Vergebung gehen uns abhanden. Auf jede Kleinigkeit wird heutzutage heftig und nicht selten überzogen reagiert. Die Gelassenheit, die so wichtig ist, wenn man vernünftig nebeneinander existieren will, ist auf dem Rückmarsch. So kann man auf Dauer als Gesellschaft nicht funktionieren.“ – Wir haben gelernt, sehr gut „Ich“ zu sagen. Und das ist auch wichtig! Wir können und sollen uns nicht von anderen klein machen lassen. Aber, wo bleiben wir, wenn wir nur noch „Ich“ sagen. Was wir brauchen, ist das Einüben des Empfindens von Achtung vor dem Anderen, Wertschätzung gegenüber anderen. Wenn wir mit dem Gebet Jesu sprechen, Vater, Dein Name werde geheiligt!, dann üben wir uns ein, in das Empfinden von Ehrfurcht. Da gibt es jemand, dessen Namen wir heilig halten sollen. Da gibt es jemand, von dem wir Wertschätzung lernen können. Der Gott, den wir ehren, ist ein Gott, der Menschen wertschätzt, der Menschen nicht niedermacht, der Menschen annimmt und fördert.

Gott ehren, bedeutet ein Gefühl für Größe zu entwickeln. Aus den Niederungen und der Niedertracht unseres Lebens aufsteigen. Fehler der anderen mit Großmut betrachten können. Nicht alles persönlich nehmen. Mit größerer Gelassenheit zu reagieren: auf die Konflikte, den Neid, das Konkurrieren und Rangeln mit anderen. Gott ehren, seinen Namen heiligen, hilft uns, dass wir uns nicht in den Niederungen unseres alltäglichen Lebens verlieren. Wir lernen, menschliche Fehlerhaftigkeit anzunehmen, aber sie auch nicht allzu ernst zu nehmen. Wir lernen, auf unsere Fehler und die der anderen auch mit Humor und einem Lachen zu reagieren. Vor Gott, den wir ehren und dessen Namen wir heiligen, können wir uns als Menschen annehmen mit unseren Grenzen und unserer Fähigkeit, uns zu verfehlen. Wenn der Gott, den wir ehren, bereit ist, uns zu vergeben, um wieviel mehr sollten wir bereit sein, uns selbst zu vergeben und den anderen, die an uns schuldig geworden sind. Da können wir uns einüben in das, was Marius Müller-Westernhagen so sehr vermisst: „die Fähigkeit und der Wille zur Vergebung“.

Vater! Dein Name werde geheiligt! Dein Reich komme!

Mit der Bitte um das Kommen des Reiches Gottes wird unser Blick zu unseren Mitmenschen gelenkt. Wenn ich nur für mich lebe, wer bin ich dann, so fragte schon der große jüdische Gelehrte Hillel vor zweitausend Jahren. Der Gott, den wir ehren, möchte uns zueinander führen. Er führt uns aus dem Gebet hin zur Begegnung mit anderen. Er will uns anstiften zu menschlicher Gemeinschaft. Dass wir einander wahrnehmen. Dass wir Anteil nehmen am Leben der Menschen um uns herum. Dass wir uns einbringen in die Gemeinschaft mit den Gaben und den Möglichkeiten, die wir haben.

So haben sich Christinnen und Christen zu allen Zeiten aufgemacht, nach dem Gebet des Vaterunser, Kirchengemeinden zu gründen und weiter zu entwickeln. Sie haben das in der ganzen Welt getan, und so auch hier in Bad Neuheim. Gemeinschaften, die eben dieses Gebet beten und diesem Gebet entsprechend ihr Tun und Handeln ausrichten. Gemeinschaften, in denen das gelebt werden soll: ein Anteilnehmen aneinander, eine Wertschätzung gegeneinander, Großmut im Umgang miteinander, ein Entspannen im Konkurrieren und Gerangel miteinander. Nein, das klappt nicht gänzlich überall in den Kirchengemeinden. Auch in den Kirchengemeinden zeigen sich Grenzen und menschliche Fehlerhaftigkeit. Aber, die Kirchengemeinden werden täglich zur Umkehr gerufen durch dieses Gebet:  Dein Reich komme! Das hilft, den Blick zu heben. Von sich selbst absehen zu können. Sich wieder und wieder öffnen zu lassen für die Menschen um uns herum.

Und schließlich stellt uns diese Bitte darum, dass Gottes Reich komme, auch kritisch hinein in diese Welt. Hier in unserer Welt streiten die Reiche dieser Welt im Konkurrieren und im Gerangel miteinander. Und manchmal führt dieses Gerangel auch zu schrecklichen Auswüchsen, wie wir es jetzt in dem verheerenden Angriff auf die Ukraine von Seiten der russischen Führung unter Wladimir Putin und seiner willigen Helfer erleben müssen. Aber so soll es nach dem Willen Gottes nicht sein! Deshalb lehrt Jesus uns zu Gott zu beten: Dein Reich komme! – Der Apostel Paulus schreibt an die christliche Gemeinde in Rom, also an die christliche Gemeinde im Herzen des römischen Reichesdes römischen Imperiums: das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist (Röm. 14,17). Wenn wir als Kirchengemeinde zu Gott beten: Dein Reich komme, dann beten wir darum, dass Frieden und Gerechtigkeit und Freude sich durchsetzen, gegen Gewalt, gegen Vergewaltigungen und Unterdrückung, gegen die Zerstörung von Lebensfreude in dieser Welt. Diese Welt hat genug Leiden gesehen! Wir sehnen uns nach einer menschlichen Welt, wir sehnen uns nach einer Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden herrschen, wir sehnen uns nach einer Welt, in der Freude erfahren und erlebt wird. Und wir bringen diese ganze Sehnsucht mit hinein in das Gebet Jesu zu Gott: Dein Reich komme! Damit in allem, was geschieht - und trotz allem, was geschieht – wir in dieser Ausrichtung bleiben: wir lassen nicht nach in unseren Bemühungen, Schritte zum Frieden, Schritte zur Gerechtigkeit, Schritte zur Freude zu suchen und zu finden. Wir werden von dem Gebet Jesu angespornt, diese Welt nicht an die Kräfte der Gewalt und der Ungerechtigkeit preiszugeben. Wir werden angespornt, unablässig danach zu suchen, was unser Leben wärmer und menschlicher machen kann, gerechter, friedvoller und froher. Dein Reich komme, guter Gott!

Ich habe nun in dieser Predigt nur die ersten drei Sätze des Vaterunsers behandelt. Dabei aber haben wir gemerkt, wieviel in jeden der einzelnen Sätze steckt, wieviel uns da ansprechen kann. Ich würde mir wünschen, dass diese Predigt auch für Sie eine Anregung enthält, diese ersten drei Sätze und auch all die anderen Sätze des Vaterunsers weiter und tiefer zu entdecken. Das Vaterunser ist und bleibt der Kern und die Summe allen Betens in der Kirche. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

am 15.5.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Liebe Gemeinde,

»Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.«  (wiederholen)

So formuliert Martin Buber in seinem Buch »Ich und Du«. Der Mensch wird erst am anderen Menschen er selbst. Ich werde erst in der Begegnung Ich. (Martin Buber, Ich und Du, Heidelberg 111983, 18)

Diese Erkenntnis Martin Bubers spricht mich an, auch wenn sie vielleicht beim ersten Hören etwas sperrig ist. Da steckt für mich viel Wahres drin. Erfahrungen, die ich gemacht habe. Empfindungen, die ich von mir kenne.

Ich finde mich nicht in mir selbst. Ich bin mir im letzten nicht genug, kann meine Bedürfnisse nicht vollkommen selbst stillen. Vielleicht liegt darin der Grund meiner Sehnsucht: dass ich den anderen, die andere brauche, um zu mir selbst zu kommen. Meine Sehnsucht zeigt mir, dass ich nicht ›ganz‹ bin, wenn ich auf mich selbst gestellt bleibe.
Und zugleich kann ich eine solche heilende Begegnung, in der meine Sehnsucht gestillt wird, nicht ›machen‹, kann sie nicht erzwingen. Begegnung geschieht und sie ist ein kostbares Geschenk und Gnade. Schmerzhaft erlebe ich, dass meine Sehnsucht auch ungestillt bleiben kann. Besonders dann, wenn keine Begegnung mit anderen möglich ist, oder nur sehr eingeschränkt. Dann finde ich mich im trockenen, dürren Land wieder. Ich ahne, dass ich darauf angewiesen bin, dass mir das Wesentliche geschenkt wird. Ich kann es mir nicht verdienen.

Ich spüre meiner Sehnsucht nach.
Wonach sehne ich mich?
Wonach dürstet es mich?
Wo liegt meine persönliche, ganz eigene Wüste, das »trockene, dürre Land, wo kein Wasser ist« (Ps 63)?

Ist es eine Beziehungsdürre, das Gefühl der Fremdheit, wenn ich die Erfahrung machen muss, dass Menschen sich verschließen, die mir nahestehen?
Ist es der Eindruck des Unfriedens mit mir selbst und anderen, wenn ich nicht bei mir selbst bin und mich vom Wesentlichen entzweit fühle?
Fühle ich mich unfrei und beherrscht, kontrolliert und abhängig, kann nicht eigenständig handeln, sondern nur reagieren?
Ist es eine diffuse oder eine konkrete Verzweiflung, die mir meine Energie und Hoffnung raubt und mich lähmt?
Wonach sehne ich mich im Tiefsten, und wo suche ich die Erfüllung meiner Sehnsucht?
Versuche ich mir meine Wünsche und Bedürfnisse selbst zu erfüllen? Nehme ich einen anderen, bewusst oder unbewusst, in die Pflicht und gebe ihm die Verantwortung, meine Sehnsucht zu beenden?
Oder bedrängt mich meine Sehnsucht so sehr, dass ich sie wegzuschieben versuche?

Vielleicht ist das Sehnen so tief in mir, dass ich es gar nicht fassen kann und keine Worte dafür finde. Vielleicht ist das Sehnen überdeckt und überlagert von den lauten Eindrücken meines Alltags, mit denen ich mich von meiner Sehnsucht nach Leben ablenke.

Lied: Da wohnt ein Sehnen, Strophe 1
Da wohnt ein Sehnen tief in uns, Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zu sein. Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück, nach Liebe, wie nur du sie gibst. Um Frieden, um Freiheit, um Hoffnung bitten wir. In Sorge, im Schmerz, sei da, sei uns nahe, Gott.

Es tut gut innezuhalten und dem Sehnen nachzuspüren.
Ein sich sehnender Mensch ist ein verletzlicher Mensch, denn er oder sie lässt eine offene, schmerzende Stelle in seinem oder ihrem Leben zu. Mir meine Sehnsucht einzugestehen, sie zu spüren, sie auszuhalten, das braucht Mut. Es tut weh, denn es fordert mich heraus, mich dem Unfertigen in mir zu stellen, den Brüchen und dem Schmerz. Sehnsucht fordert mich heraus, mir einzugestehen, dass ich mir nicht selbst genug sein kann.
»Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.«
Welche Begegnung brauche ich, damit meine Sehnsucht gestillt wird? Mit welchem Du kann ich zu meinem Ich finden?

In den Psalmen richten Menschen ihre Sehnsucht auf Gott, von dem sie erwarten, dass er ihren Durst löscht. Den Durst nach Glück, nach Liebe, nach Frieden, Freiheit und Hoffnung. Sie legen Gott seine Verheißung vor. Halten sich daran fest, dass gilt, was er sagt: »Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Gott: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.« (Jer 29,11) Sie richten ihre Sehnsucht auf Gott und öffnen ihre Hände, um zu empfangen, was er gibt.
»Ich schaue aus nach dir«, sagt der Psalm, »ich möchte deine Macht und Herrlichkeit sehen.« Und wir singen »da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehen, dir nah zu sein …« Können wir denn Gott sehen? Dürfen wir Gott sehen? Dürfen wir uns danach sehnen, Gott zu sehen, den Unsichtbaren, von dem wir uns kein Bild machen sollen?

Bei all dem, was meine Augen sehen müssen, sehne ich mich danach, meine Augen zur Ruhe kommen zu lassen. Frieden zu finden und auszuruhen. »Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir«, so wird es mir im Segen zugesprochen. Gott blicke dich freundlich an. Mich in Gottes Segensblick zu stellen, Gottes freundliches Gesicht über mir zu spüren – das stillt meine Sehnsucht und lässt mich meinen Blick wenden.
»Die auf Gott sehen, werden strahlen vor Freude.« (Ps 34,6) Nach dieser Freude sehne ich mich. Nach der Freude, die sich einstellt, wenn ich die Last meiner Vergangenheit und die Sorgen meiner Zukunft abgelegt habe. Ganz in der Gegenwart sein, in der Gegenwart Gottes zur Ruhe kommen darf. Im Segen wird meine Sehnsucht, Gott zu sehen, gestillt. Denn in Gottes freundlichem Blick komme ich zur Ruhe und richte meine Augen auf das Wesentliche.

Lied: Da wohnt ein Sehnen, Strophe 2+3
2. Um Einsicht, Beherztheit, um Beistand bitten wir.
In Ohnmacht, in Furcht, sei da, sei uns nahe, Gott.
3. Um Heilung, um Ganzsein, um Zukunft bitten wir.
In Krankheit, im Tod, sei da, sei uns nahe, Gott.

Wer sich sehnend nach Gott ausstreckt, öffnet die Hände und spürt: Ich schaffe es nicht allein. Ich bin darauf angewiesen, dass ich geschenkt bekomme, was ich brauche. Ich kann mir nicht selbst beistehen, mich nicht selbst ganz und heil machen. Und ich muss es nicht allein schaffen. Denn Gott ist da, der Geber alles Guten.

Wer sich sehnend nach Gott ausstreckt, spürt: Es tut gut, meine Hände zu öffnen. Loszulassen. Wer loslässt, hat die Hände frei. Mit meinen geöffneten Händen empfange ich, was Gott mir gibt. Ich fordere nicht, ich bitte. Ich halte meine Bedürftigkeit hin, ich halte sie aus. Ich gestehe mir die Ohnmacht ein und die Furcht. Ich laufe nicht weg vor meiner Angst. Für alles erbitte ich Gottes Segen, seinen freundlichen Blick. Alles, jeden einzelnen Schritt, vertraue ich Gott an. Auch die letzten meiner Schritte, bis in Krankheit und Tod. Denn ich vertraue darauf, dass er es gut mit mir meint, dass er mich nicht verlässt und zu seiner Verheißung steht, mir Hoffnung und Zukunft zu schenken.

Alles Gute von Gott erwarten. Es nicht selbst schaffen wollen. Mich ihm öffnen … Ich spüre, welche Entlastung darin liegt. Meine Maßstäbe rücken sich zurecht. Gott gibt, ich empfange. Ich bin Geschöpf, geliebtes Kind, gesegnete Tochter, gesegneter Sohn Gottes, über deren Leben gesprochen ist wie über der ganzen Schöpfung: Und Gott sah es an, und es war sehr gut. Und Gott segnete es.

Lied: Da wohnt ein Sehnen, Strophe 4
4. Dass du, Gott, das Sehnen, den Durst stillst, bitten wir.
Wir hoffen auf dich, sei da, sei uns nahe, Gott.

Es tut gut, meine Bedürftigkeit auszuhalten und nicht zu verstecken. Nicht vor mir selbst, nicht vor Gott und nicht vor anderen. Mein Ich steht nicht in mir selbst. Ich werde Ich am Du, am Gegenüber, das mich anspricht. Gott gibt sich mir als Du zu erkennen. Er lässt mich spüren und hören, wie gut er es mit mir meint. Auch wenn er es mir zumutet, mich immer wieder meine Gebrochenheit, meine Bedürftigkeit spüren zu lassen und manche Sehnsucht nicht stillt, und auch wenn er mir sogar den Tod nicht erspart. Gott verlässt mich nicht. Unter seinem Segen und unter seiner Verheißung kann ich leben. Gottes freundlicher Blick schenkt mir Hoffnung und Zukunft.   Amen.

am 8.5.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag über dem Urmeer. Über dem Wasser schwebte Gottes Geist. Gott sprach: »Es soll Licht werden!« Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war, und Gott trennte das Licht von der Finsternis. Er nannte das Licht »Tag« und die Finsternis »Nacht«. Es wurde Abend und wieder Morgen – der erste Tag.
Gott sprach: »Ein Dach soll sich wölben mitten im Urmeer! Es soll das Wasser darunter von dem Wasser darüber trennen. «Und so geschah es. Gott machte das Dach und trennte das Wasser unter dem Dach von dem Wasser über dem Dach. Gott nannte das Dach »Himmel«. Es wurde Abend und wieder Morgen – der zweite Tag.
Gott sprach: »Das Wasser unter dem Himmelsoll sich an einem Ort sammeln, damit das Land sichtbar wird!« Und so geschah es. Gott nannte das Land »Erde« und das gesammelte Wasser »Meer«. Und Gott sah, dass es gut war.
Gott sprach: »Die Erde soll frisches Grün sprießen lassen und Pflanzen, die Samen tragen! Sie soll auch Bäume hervorbringen mit eigenen Früchten und Samen darin!« Und so geschah es. Die Erde brachte frisches Grün hervor und Pflanzen, die Samen tragen. Sie ließ auch Bäume wachsen mit eigenen Früchten und Samen darin. Und Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend und wieder Morgen – der dritte Tag.
Gott sprach: »Lichter sollen am Himmelsdach entstehen, um Tag und Nacht voneinander zu trennen! Sie sollen als Zeichen dienen, um die Feste, die Tage und Jahre zu bestimmen. Als Leuchten sollen sie am Himmelsdach stehen und der Erde Licht geben.« Und so geschah es. Gott machte zwei große Lichter. Das größere Licht sollte den Tag beherrschen und das kleinere die Nacht. Dazu kamen noch die Sterne. Gott setzte sie an das Himmelsdach, um der Erde Licht zu geben. Sie sollten am Tag und in der Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis trennen. Und Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend und wieder Morgen – der vierte Tag.
Gott sprach: »Das Wasser soll von Lebewesen wimmeln, und Vögel sollen fliegen über der Erde und am Himmel!« Gott schuf die großen Seeungeheuer und alle Arten von Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt. Er schuf auch alle Arten von Vögeln. Und Gott sah, dass es gut war. Gott segnete sie und sprach: »Seid fruchtbar, vermehrt euch und füllt das ganze Meer! Auch die Vögel sollen sich vermehren auf der Erde!« Es wurde Abend und wieder Morgen – der fünfte Tag.
Gott sprach: »Die Erde soll Lebewesen aller Art hervorbringen: Vieh, Kriechtiere und wilde Tiere!« Und so geschah es. Gott machte die wilden Tiere und das Vieh und alle Kriechtiere auf dem Boden. Er machte sie alle nach ihrer eigenen Art. Und Gott sah, dass es gut war.)
Gott sprach: »Lasst uns Menschen machen – unser Ebenbild, uns gleich sollen sie sein! Sie sollen herrschen über die Fische im Meer und die Vögel am Himmel, über das Vieh und die ganze Erde, und über alle Kriechtiere auf dem Boden.« Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Als Gottes Ebenbild schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie und sprach zu ihnen: »Seid fruchtbar und vermehrt euch! Bevölkert die Erde und nehmt sie in Besitz! Herrscht über die Fische im Meer und die Vögel am Himmel und über alle Tiere, die auf dem Boden kriechen!«
Gott sprach: »Als Nahrung gebe ich euch alle Pflanzen auf der Erde, die Samen hervorbringen –dazu alle Bäume mit Früchten und Samen darin. Die grünen Pflanzen sollen Futter für die Tiere sein: für die Tiere auf der Erde, die Vögel am Himmel und alle Kriechtiere auf dem Boden.« Und so geschah es. Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut. Es wurde Abend und wieder Morgen – der sechste Tag.
So wurden Himmel und Erde vollendet mit allem, was darin ist. Am siebten Tag vollendete Gott sein Werk, das er gemacht hatte. An diesem Tag ruhte er aus von all seiner Arbeit, die er getan hatte. Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn zu einem heiligen Tag. Denn an diesem Tag ruhte Gott aus von all seinen Werken, die er geschaffen und gemacht hatte. Das ist die Entstehungsgeschichte von Himmel und Erde: So wurden sie geschaffen.

Liebe Gemeinde,
Gottes Güte, Gottes Freundlichkeit, Gottes Heiliger Geist sei mit uns allen.

Diese wunderschöne, alte Geschichte, diese Urgeschichte aus dem Buch Genesis führt es uns deutlich vor Augen, was Gott tut, in welcher Beziehung Gott zu uns steht. In einem Gegenüber, voller Liebe und Güte wird uns als Menschen gesagt, worauf es ankommt: Wir sind Teil der Schöpfung und wir sind gut geschaffen. Von Gott „gut“ bewertet. Und wir haben eine Bestimmung – auf dieser Erde, in diesem Leben. Unser Glück, unser Glücklichsein, das hängt auch davon ab, ob wir merken, wer wir eigentlich sind.

Wir sind wie die Tiere am sechsten Tag durch Gott erschaffen worden und sind doch herausgenommen aus dem Schöpfungswerk, weil Gott zu uns eine besondere Beziehung aufbaut. Uns Menschen, Frauen, Männer, Kinder hat Gott sich zum Gegenüber gewählt. Wir sind es, die mit dieser Schöpfung leben sollen und mit dem Schöpfer.

Geschichten dieser Art wie dieser Schöpfungsbericht aus der Bibel sind Urbilder für unsere Seele. Es sind keine naturwissenschaftlichen Berichte. Das wissen wir heute noch viel besser als die Menschen, die damals diese Geschichte in die Bibel geschrieben haben. Geschichten wie der Schöpfungsbericht erzählen nicht Ereignisse aus einer fernen Zeit, sondern sie erzählen Sinnbilder, die uns hier und jetzt etwas sagen wollen.

Der Mensch entsteht wie der ganze Kosmos. Durch Gottes Willen. Gott spricht – und es geschieht. Ein ganzes Universum entsteht. Der Mensch, ja selbst der Planet Erde ist da eigentlich nur ein ganz kleiner Teil einer ungeheuer großen Schöpfung. Ein Miniteil. Aber für die, die die Texte verfasst haben, ein wichtiger. Im ganzen Gefüge vielleicht: der Wichtigste?

Sie wollen, dass wir etwas erkennen. Menschen, Frauen, Männer, Kinder sind kein Zufall. Sie sind nicht eine Laune der Natur, sondern genau so gewollt, gewünscht, geschaffen worden wie alles andere. Von einem Gott, der auch Licht und Schatten, trockenes Land und Wasser, Luft und Naturkreisläufe bildete. Sie gehören hinein in einen größeren Zusammenhang, in eine Ordnung, in die Ordnung, die Gott der Schöpfung gibt. Alles hat eine Ordnung. Selbst die Tage, Wochen, Monate und Jahre sind kein Zufall. Alles gehorcht einer Ordnung, alles hat seinen Sinn und vor allem seinen Ursprung. Und irgendwann auch sein Ziel!

Die Menschen wussten damals noch nicht, dass es Milliarden Jahre gebraucht hatte, ehe sich das alles entwickelte. Aber sie wollten doch etwas klarstellen.

Die Forschung geht davon aus, dass der erste Schöpfungsbericht im Exil in Babylonien entstand. Die Israelitinnen und Israeliten waren nach einem Krieg aus ihrer Heimat weggeführt worden. In Babylonien arbeiteten sie für eine fremde Großmacht. Sie waren entwurzelt worden, aber sie blieben ihrem Glauben an den einen Gott treu. Sie saßen an den Flüssen von Babylon und weinten, aber sie beteten auch Psalmen. Und sie schufen diesen Text, der der Anfang der Bibel wurde.

Die Menschen in Babylon aber verehrten Sonne, Mond und Sterne als Gottheiten. Sie bauten Stufentempel, hatten ganz exakte Kalender und berechneten astronomische Erscheinungen. Sie brachten der Sonne Opfer dar.

Das Volk Israel verehrte keine Sonne und hatte auch keinen Opferkult für die Himmelserscheinungen. So kam es, dass sie diesen Gegentext schufen: den Schöpfungsbericht, der erzählt, dass es nur eine Gottheit gibt und alles andere geschaffen ist. Diese Gottheit macht auch die Gestirne. Sie macht auch den Wechsel von Tag und Nacht. Sie hat auch die Natur erschaffen, Pflanzen und Tiere und alles Land, auf dem sie leben können und dann auch den Menschen. Diese Gottheit hat allem eine Ordnung gegeben und einen Sinn.

Wenn wir unseren Körper einmal in seine chemischen Bestandteile zerlegen würden, dann hätten wir schon mal 70 bis 80 Prozent Wasser, dazu kommen dann Kalzium in den Knochen, Magnesium in den Muskeln, Eisen im Blut, eine ganze Menge Luft usw., alles Bestandteile, die genau so auch in der unbelebten Natur vorkommen. Der Mensch ist eine Schöpfung aus dem, was dieser Planet Erde zu bieten hat, ein „Erdling“. Aber das Besondere und Geheimnisvolle ist, dass er lebendig ist, dass er Atem schöpft und ein- und ausatmet. So ist der Mensch in einem ständigen Austausch mit der Natur. Solange er lebt, ist er Teil der geschaffenen Natur und folgt der Ordnung, die entstanden ist. Und das ist Gottes Werk.

Die Schöpfung wird in dem Bibeltext sehr oft als „gut“ bezeichnet. Wie kommt das? Warum legen die Verfasser:innen solch einen Wert darauf?

Wir lesen wieder und wieder: „Und siehe, es war gut.“

Gut ist da, wo Menschen eine Bestimmung haben. Wenn ein Mensch einen Sinn im Leben sieht und sich im Gegenüber zu Gott befindet. Wo sie oder er sich bewußt wird, dass das Leben von Gott kommt, jeder Atemzug, jede Lebendigkeit.

Ohne zu verschweigen, dass es in jedem Leben auch die Erfahrung von Entfremdung und Schuld gibt. Wenn ein Mensch, egal welchen Alters oder Geschlechts, mit Gott in  Kontakt ist, dann rechnet sie auch mit ihm. Dann entsteht ein Austausch und ein gegenseitiges Lieben. Und das ist eine ganz starke Bindung. Damit gelingt auch Verantwortung. Und damit ist jede/r vorsichtig im Umgang mit der Natur und den Mitgeschöpfen, den Pflanzen und Tieren. Dann ist eine Vertrautheit da und eine Ehrfurcht vor dem Leben, aber auch so manche Entscheidung wird dann ganz anders gefällt.

Wenn in einem Menschen Gott immer stärker und stärker wird, wird auch das Menschliche in ihm stärker und stärker. Im Gegenüber, in einem lebendigen Gespräch mit Gott ist das möglich. Aber dazu muss jede und jeder anerkennen, wer sie oder er ist, nämlich eine Frau oder ein Mann oder ein Kind, von Gott erschaffen und gewollt, in einem Gegenüber untereinander und zu Gott.

Die Schöpfung und das eigene Leben wahrzunehmen als ein Geschenk, als etwas Wunderbares, das ist keine Verharmlosung der Realität, sondern eine große Kraftquelle. Wir sind Teil der Schöpfung und wir sind gut geschaffen. Von Gott „gut“ bewertet. Wir haben eine Bestimmung auf dieser Erde, in diesem Leben. Unser Glück, unser Glücklichsein, das hängt auch davon ab, ob wir merken, wer wir eigentlich sind.

Werde, die du bist, der du bist. Das wünsche ich Ihnen und uns allen. Amen.

am 1.5.2022 von Pfarrer i.R. Friedhelm Pieper

Text Joh 21,15–17
15 Da sie zusammen gegessen hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus:
Simon, Sohn des Johannes, hast du mich mehr lieb, als alle anderen hier? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!
16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

Mitten in der österlichen Zeit wird unser Blick über diese Zeit hinaus gerichtet. Die österliche Zeit ist erfüllt von den Geschichten der Begegnung mit Jesus, dem Auferstandenen. Die Hinrichtung Jesu am Kreuz hatte nicht das letzte Wort behalten. Die Mächtigen seiner Zeit konnten die Bewegung nicht zerstören, die von Jesus ausgelöst wurde. Eine neue Gruppe war entstanden im Volk Israel und auch der gewaltsame Tod Jesu am Kreuz konnte sie nicht aufhalten. Durch die Begegnungen mit dem auferstanden Jesus erhielt die Gemeinschaft seiner Anhänger:innen ganz neuen Auftrieb, ganz neue Kraft, ganz neue Motivation, ihren Weg weiter zu gehen.

Und nun aber, mitten in der österlichen Zeit, lenkt Jesus den Blick über diese Zeit hinaus. Die Zeit der Begegnungen mit dem Auferstandenen geht vorbei. Nur kurz währt dies österliche Zeit: 40 Tage lang. Dann wird sie vorbei sein. Petrus, der eine zentrale Rolle in der Anhängerschaft Jesu einnimmt, wird von Jesus in die Aufgaben dieser nachösterlichen Zeit eingewiesen: „Weide meine Schafe“.

So ist es gedacht, so ist es gewollt: Die christliche Gemeinschaft soll selbst Verantwortung für ihren weiteren Weg übernehmen. Die beginnende Kirche soll in eigener Verantwortung ihren Weg weiter gestalten, sie soll ihren Weg in eigener Verantwortung selber durchführen. Da ist dann kein Jesus mehr, den man in direkten Begegnungen befragen kann.

Nein, die christliche Gemeinschaft bleibt dabei nicht allein sich selbst überlassen. Sie hat die guten Worte und das Leben Jesu vor Augen. Das gibt Orientierung, das ist ein guter Kompass. Und sie darf darauf vertrauen, dass der von Jesus Christus verheißene göttliche Geist sie begleitet und stärkt. Dass der gute göttliche Geist ihre Sinne schärft für nötige Entscheidungen, dass er ihre Herzen ermutigt für die nächsten Schritte, auch in schwierigen und unruhigen Zeiten. - Und die christliche Gemeinschaft geht ihren Weg auch unter der Zusage Jesu, dass er, der Auferstandene selbst, immer wieder auch nahe sein will, wo Menschen in seinem Namen zusammenkommen und zusammenwirken.

So ausgerüstet, wird nun der Kirche eben zugetraut, wird uns zugetraut: dass wir damit zurechtkommen. Dass wir sie annehmen: diese zugemutete und zugetraute Eigenverantwortlichkeit.

Können wir das? Kommen wir damit zurecht? Dass wir selber Verantwortung tragen, nicht nur für die Kirche, sondern für unser ganzes Leben. Dass niemand sie uns abnimmt, diese Verantwortung für unser Leben, diese Verantwortung für alle Entscheidungen, die wir zu treffen haben, von morgens bis abends.

Und sollte uns diese Eigenverantwortung zu groß erscheinen, dann bekommen wir heute zu hören: der Himmel traut es uns zu, dass wir damit zurechtkommen, Jesus traut es uns zu, dass wir damit umgehen können.

Es gibt Zeiten, da fragt man sich, ob der Himmel dem Menschen nicht doch zu viel zutraut. Was ist los in unserer Welt? Da gibt es einen gewalttätigen Machthaber in Moskau, der im Stile alter barbarischer Herrscher sein Nachbarland überfällt und es sich einverleiben will, der dabei gnadenlos Tod und Zerstörung verbreitet. Ihn stört die Ausbreitung des Westens nach Osten; dem will er jetzt eine Gegenbewegung von Osten nach Westen entgegensetzen. Um jeden Preis! Entsetzlich viele Menschen leiden und sterben. Eine furchtbare Zerstörungswalze wälzt sich über ukrainische Städte und Dörfer. Was für ein Grauen! Wir wissen noch nicht, wie lange es dauern wird, und welche Auswüchse dies alles noch nehmen wird.

Was bedeutet all dies für die Eigenverantwortung des Menschen? Was sollen wir tun in dieser mit so viel Leid erfüllten Zeit? Die menschliche Eigenverantwortung steht in dieser Situation vor einer doppelten Herausforderung: auf der einen Seite muss alles dafür getan werden, dass die Verteidigung gegen den wütenden Überfall mit allen verfügbaren Mitteln unterstützt wird. Mit allen verfügbaren Mitteln! Auf der anderen Seite dürfen wir nicht nachlassen, nach einem Weg aus dieser verheerenden Situation zu suchen und alles dafür zu tun, dass die Waffen zum Schweigen gebracht werden. Es scheint unlösbar – und es muss doch gelingen. Damit das entsetzliche Leiden aufhört, damit Angst und Panik überwunden werden.

Und natürlich müssen wir alles uns Mögliche tun, um die ukrainischen Flüchtlinge zu unterstützen, deren Heimat von russischen Befehlshabern und Soldaten in ein grauenvolles Schlachtfeld verwandelt wurde. -

In diesen finsteren Stunden wird uns am heutigen Sonntag in den biblischen Texten das Bild vom guten Hirten vor Augen geführt. Wir haben eben mit den Worten von Psalm 23 gesprochen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele.“ – Das Bild vom guten Hirten ist ein Gegenbild gegen den Tyrannen. Der gute Hirte sorgt für Ernährung, er sorgt für Stärkung, er kümmert sich um die Schwachen und Verletzten. Er hilft ihnen auf. Der gute Hirte ist ein Gegenbild gegen den mörderischen Herrscher, der eiskalt seine Befehle zum Morden und Zerstören ausgibt, der sich anmaßt, auf das Schwache niederzutreten.

Unsere Welt braucht solche Gegenbilder gegen die Tyrannei. Wir brauchen Bilder, die das Leben fördern und stärken. Gegen völlig unbeherrschte Herrscher brauchen wir Bilder zur Überwindung unbeherrschter Macht.

Der Evangelist Matthäus erzählt von einem Gespräch Jesu mit seinen Nachfolgern, in dem Jesus sagt: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So aber soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.“

Völlig ohne jegliche Illusionen wird hier in den Worten Jesu beschrieben, was wir heute noch immer und schon wieder erleben: Dass Herrscher ihre Völker niederhalten und Mächtige ihnen Gewalt antun. Völlig ohne Illusionen gehen diese Worte Jesu offenbar davon aus, dass sich das so schnell auch nicht ändern wird. Dass immer wieder einmal solche Herrscher mit Gewalt und Unterdrückung auftreten werden.

Aber: dieses Reden ohne alle Illusionen führt nicht zur Resignation. Unsere Welt braucht Alternativen zur unbeherrschten Macht. Und Jesus ruft seine Anhänger auf, ein Gegenmodell zur unterdrückenden Macht zu leben und zu fördern. Ein Gegenmodell, in dem Leben wertgeschätzt und beschützt wird. So wie es zum Beispiel in dem Bild des guten Hirten zum Ausdruck kommt. Nicht zufällig sagt Jesus von sich selbst – nach dem Johannesevangelium: Ich bin der gute Hirte.  

In dieser Welt, die so ist, wie sie ist, sollen Zeichen für eine Alternative gesetzt werden. Nichts muss so bleiben, wie es ist, Es kann anders werden.

Es braucht dazu Menschen, die ein anderes Zusammenleben wollen und auch wirklich leben. Es braucht dazu Menschen, die sich jedem Aufbau von unterdrückender Herrschaft widersetzen. Die sich verweigern, dort, wo niederdrückende Macht sich durchsetzen will.

Von Gotthold Ephraim Lessing gibt es dieses Kurzgedicht über „Das schlimmste Tier“. Es lautet: „Wie heißt das schlimmste Tier mit Namen? / So fragt‘ ein König einen weisen Mann. / Der Weise sprach: Von wilden heißts Tyrann, / Und Schmeichler von den zahmen.“  

Der Tyrann braucht die Schmeichler, sonst kann er seine Tyrannei nicht ausführen. Ein diktatorisches System braucht seine willigen Helferinnen und Helfer. Sonst kann es nicht funktionieren. Am Ende aber wird jede Tyrannei genau daran zugrunde gehen. Wenn ein Diktator nur noch von Ja-Sagern umgeben ist, verliert er den Kontakt zur Realität. Es kommt zu Fehleinschätzungen, er kommt zu Verlusten, hochtrabende realitätsferne Ziele erweisen sich in der harten Wirklichkeit als unerreichbar. All das sehen wir auch jetzt, wie das Machtsystem Putins an seine Grenzen gerät und Verluste erfährt.

Das Gegenbild zum Tyrannen ist der gute Hirte. Dieses Gegenbild vom guten Hirten hilft uns, die Mechanismen der Tyrannei zu durchschauen. Dieses Gegenbild hilft uns darin, die Widerstandskräfte zu stärken gegen unbeherrschte Macht, gegen die Lügen der Mächtigen, gegen das Schmeicheln und Ja-Sagen im Umfeld von sich tyrannisch gebärdender Macht.

„So aber soll es nicht sein unter euch!“ sagt Jesus mit Blick auf niederdrückende Herrscher und deren Gewalt. Die christliche Gemeinschaft ist aufgerufen, eine Alternative zu verkünden und zu leben. Im Angesicht der Feinde des Lebens, sollen wir eintreten für alles, was menschliches Leben wertschätzt und fördert. Uns wird der gute Hirte vor Augen gestellt. Er ist das Leitbild der Kirche.

Umso enttäuschender ist daher die Haltung der russisch-orthodoxen Kirche, die den Krieg in der Ukraine als Eindämmung des westlichen Einflusses und damit als gut und gerechtfertigt bezeichnet - und ihn so legitimiert. Da wird dem Töten und Zerstören auch noch ein kirchlicher Segen verliehen. Da ist das Leitbild des guten Hirten völlig verloren gegangen.

Und eben deshalb, weil das geschehen kann, dass das Leitbild des guten Hirten verloren gehen kann, auch in den Kirchen, und auch, weil wir erinnern, dass das Leitbild des guten Hirten auch in der Geschichte der deutschen Kirchen in manchen Zeiten verloren ging, eben deshalb ist es gut, dass wir heute wieder daran erinnert werden. Heute am Sonntag „Misericordias Domini“, dem Sonntag, der an die Barmherzigkeit Gottes und an die göttliche Güte erinnern will. Wir brauchen solche Erinnerungen gerade in schwierigen Zeiten.

Das Bild vom guten Hirten will hineinscheinen in unsere Dunkelheiten. Die Erinnerung an Gottes Güte und Barmherzigkeit ist das Licht, das unser Leben erhellt und wärmt. Es ist das Licht, das uns hilft, unsere Wege weiter zu gehen. Amen.

Gottesdienst am 20.2.2022 von OKRin Pfarrerin Dr. Melanie Beiner

Vorspiel

Begrüßung

Votum „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Lied:      Und ein neuer Morgen, EG+ 145

Psalm:  Ps 119, EG 748  - im Wechsel gebetet

Wohl denen, die ohne Tadel leben, die im Gesetz des HERRN wandeln!

Wohl denen, die sich an seine Zeugnisse halten, die ihn von ganzem Herzen suchen,

die auf seinen Wegen wandeln und kein Unrecht tun.

Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, so werde ich nicht zuschanden.

Ich danke dir mit aufrichtigem Herzen, dass du mich lehrst die Ordnungen deiner Gerechtigkeit.

Deine Gebote will ich halten; verlass mich nimmermehr!

Öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.

Zeige mir, HERR, den Weg deiner Gebote, dass ich sie bewahre bis ans Ende.

Meine Seele verlangt nach deinem Heil; ich hoffe auf dein Wort.

Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort und sagen: Wann tröstest du mich?

Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend.

Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.

Erhalte mich nach deinem Wort, dass ich lebe, und lass mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung.

Stärke mich, dass ich gerettet werde, so will ich stets Freude haben an deinen Geboten.

Gebet

Guter Gott, heute Morgen kommen wir zu dir.

Hören auf dein Wort, bitten um deinen Geist,

loben dich mit unserem Gesang und Gebet.

Lass für diese Stunde die Stimmen leiser werden,

die uns im Ohr und im Kopf dröhnen.

Unterbrich unser Selbstgespräch.

Öffne Herzen und Sinne für deine Worte der Verheißung,

die Früchte tragen und unser Leben hell machen.

Lesung:                Lukas 8, 4-15

Halleluja

Glaubensbekenntnis

Lied:      Herr, dein Wort die edle Gabe, EG 198, 1-2

Predigt

Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es
ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen. Hebräer 4, 12-13

Lebendig, kräftig und schärfer – heute scheint der Predigttext ordentlich anzuheizen. Klare Worte, endlich mal, kein freundlich-schwammiges Darumherumgerede; kein abwägendes „Es könnte so und anders sein“, das immer auch etwas von Gleichgültigkeit, Langeweile und Desinteresse ausstrahlt.

Heute heizt das Wort Gottes ein. Lebendig, kräftig und schärfer.

Das habe ich oft gehört in den letzten Monaten: „Bezieht Stellung, positioniert euch, sagt etwas in der Kirchenleitung zu...“

Meistens waren es Aufforderungen, gegen die staatlichen Corona-Vorgaben Stellung zu beziehen. Die Kirche muss auch mal Kante zeigen. Sie kann sich doch nicht so unkritisch verhalten und einfach machen, was andere ihr sagen.

Hat sie überhaupt noch einen Standpunkt, eine Haltung, eine Vision? Lebt sie noch aus dem Glauben oder hat sie sich längst im Alltag gesellschaftlicher Konvention bequem eingerichtet? Solche Fragen habe ich dahinter und manchmal auch deutlich gestellt gehört.

Es scheint eine Zeit zu sein, in der man durch kräftige Worte seine Erkennbarkeit und sein Profil sichtbar machen muss. Und in der es so viele verschiedene Meinungen gibt, dass deutliche Worte wie etwas Festes und damit Wahres im Meer der Einschätzungen gebraucht zu werden scheinen.

Das ist nicht nur in der Kirche so. Das ist auch in der Politik so. Je klarer, kräftiger und schärfer Worte sind, desto lebendiger erscheinen sie und machen sichtbar, vereindeutigen und vor allem machen darin verantwortlich.

Das finde ich wichtig daran: Je klarer Worte sind, desto eher kann man sie mit den Taten vergleichen. Wird getan, was gesagt wird? Können wir den Worten vertrauen? Oder kreisen Worte mit nebulösen Formulierungen um das Nichtgesagte, so dass man Beruhigung verbreitet und sich später im Zweifel jeder Verantwortung entziehen kann?

„Der einzige Weg zur Glaubwürdigkeit ist der: Sagen, was man tut und dann tun, was man gesagt hat.“ Der Satz stammt von dem ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, der ja auch ein engagierter evangelischer Christ war. Klare Worte ermöglichen anderen, sich daran zu orientieren und sich dazu zu verhalten. Sie sind die Voraussetzung für Vertrauen und gute Beziehung.

„Nichts ist gut in Afghanistan.“ – einer der klarsten Worte kamen 2010 aus dem Mund einer kirchlichen Leitung, der ehemaligen Bischöfin Margot Käßmann in Hannover. Wie viel Kritik hat sie sich damit eingehandelt. Wie mutig und verantwortlich ist sie mit den Taten in ihrem Leben umgegangen. Für viele, auch für katholische Christen, ist sie bis heute darum eine glaubwürdige Zeugin, trotz oder gerade weil sie Fehler, Schwächen und Brüche in ihrem Leben benannt hat – und sich verantwortlich gemacht hat.

Klare Worte brauchen wir; sie müssen nicht verletzen, sie müssen andere nicht abwerten, aber sagen, wozu ich stehe – und wozu nicht. Nur so helfen sie, die Geister zu scheiden. Nur dann entstehen wirkliche demokratische Diskurse, wenn man sich die je eigene Wahrheit und Sichtweise zumutet.

Allerdings: Die Verse aus dem Hebräerbrief geben dem Ganzen insgesamt noch eine andere Richtung:

„Es dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“

Was mir daran auffällt: Die Worte sind eigentlich nicht nach außen gerichtet, sondern nach innen. Es geht nicht nur um die Worte, die ich öffentlich spreche, sondern um die Worte, das Wort Gottes, das ich höre. Und das mich infrage stellt. Meine Seele und meinen Geist scheidet, mein Mark und Bein, meine Gedanken und Sinne. Da wird es ungemütlich. Es gibt Momente, da tut das das Wort Gottes erstmal nicht nur gut und bestätigt. Es ist deutlich und klärt, will klären, will auch mich klar machen.

Und deckt dabei vielleicht etwas auf in mir, das ich gar nicht so gerne sehen möchte.

„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt.“ Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann ich diesen Vers das erste Mal bewusst gehört habe. Da war ich noch Jugendliche. Aber mit der Erklärung, dass wir – nach Jesu Maßstäben und Verhältnissen – hier alle zu den Reichen gehören, wurde mir die Bedeutung bewusst: Mit meinem Wohlstand, mit meinem Leben, da gehöre ich zu denen dazu, von denen Lukas sagt, dass sie kaum in den Himmel kommen. Ich kann mich nicht mehr genau an die Umstände erinnern, aber ich weiß noch, dass es mir tatsächlich durch Mark und Bein gegangen ist. Ich engagiere mich so – aber eigentlich bin ich weit weg. Glaube und bin aktiv für und in der Gemeinde, aber aus einer unglaublich gesicherten Position heraus. Dieses Wort Gottes hat mich sehr infrage gestellt. Erstmal war ich wütend: Ich kann ja auch nichts für meine Lebensumstände, habe ich gedacht. Das ist ungerecht. Aber dann konnte ich mich der Klarheit der Worte auch nicht entziehen. Mache ich das eigentlich doch nur für mich? Reicht das, was ich tue, auch nur ansatzweise heran an das, was Jesus Nachfolge genannt hat?

Bis heute bleibt diese Spannung in mir, diese Frage….dringt durch Mark und Bein. Lässt etwas offen, hält etwas in mir wach, schießt immer wieder quer, wenn ich meiner selbst zu gewiss werde, macht, dass in den deutlichen, klaren Sätzen, die ich akademisch gut durchreflektiert bilden kann, dass in  diesen Sätzen der leise Unterton des Zweifels immer mitschwingt…

Die Kirchen sehen sich im Moment einer großen öffentlichen Aufmerksamkeit und großer Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit entgegengestellt. Sind sie glaubwürdig, wenn sie von der Nächstenliebe sprechen und sich lange so wenig um den sexuellen Missbrauch und den Umgang mit Menschen, die lesbisch oder schwul sind, in ihren Kirchen gekümmert haben? Als evangelische Kirche haben wir uns da immer etwas besser gesehen als die katholische Kirche. Aber auch das gehört zur Wahrheit dazu, zu dem Wort Gottes, das durch Mark und Bein einer Kirche dringt: Auch wenn wir längst um Aufarbeitung und Prävention bemüht sind und beides rechtlich verankern – vor Missbrauchssituationen, vor fehlender Transparenz, vor einer institutionellen Selbstabschließung und vor der Unsicherheit, wie man angemessen mit dem Thema umgeht, davor sind wir in der evangelischen Kirche auch überhaupt nicht gefeit. Und Scham und Schuld darüber, dass Missbrauch in der evangelischen Kirche geschehen ist und geschieht – die sind ja nicht kleiner, nur weil die Zahlen der Betroffenen möglicherweise kleiner sind.

Die Frage der Lebensformen und wer mit wem zusammenleben darf und wer nicht, weil er oder sie als Vertreter*in der Kirche sichtbar ist – auch das war lange, lange in der evangelischen Kirche genauso problematisch. Noch einige meiner Kolleg*innen haben ihre Lebensform geheim gehalten, weil sie nicht erwünscht war und in der Gemeinde zu großem Aufsehen geführt hätte – und das ist noch keine zwei Jahrzehnte her.

Das Wort Gottes scheidet Mark und Bein. Wir sollten uns eingestehen: Manchmal kommt das Wort Gottes eben nicht durch uns als Kirche zu den Menschen, manchmal werden der Menschen Worte Fragen, Klagen, auch Anklagen Worte Gottes für uns, die uns schneiden wie ein zweischneidiges Schwert. Und die sehr genau sehen können, was muss sich ändern, was sollte geschehen, wie kann es weiter gehen?

Sie ermöglichen Veränderung, weil sie mir eine andere Sicht, einen anderen Blick zur Verfügung stellen. Für mich ist das die eine gute Nachricht, die aus diesen so deutlichen Worten spricht. Und die andere?

„Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.“

Vor den Augen Gottes aufgedeckt sein, da geht es dann nicht nur um die Klarheit eines Augenblicks. Wie die Augen Gottes sehen, das stelle ich mir anders vor. Gottes Augen – so glaube ich – sehen uns nicht nur im Moment. Sie sehen, wie wir geworden sind, von Anbeginn an. Vom ersten Atemzug. Sehen unsere Geschichte, unsere Entwicklung, sehen unsere Begabungen und unsere Begrenzungen. Unsere Weite und unsere Enge, unsere Hoffnung und unsere Not. Die Augen Gottes, das glaube ich, schauen nicht strafend, sondern verstehend, nicht mit dem Ziel zu richten und zu verurteilen, sondern zu retten und zu heilen.

„Schaue gnädig auf unser Kind, das wir dir einst in der Taufe gebracht haben…“ – auch dieser Satz begleitet mich schon ein Leben lang. Er ist Teil eines Gebets, das meine Mutter aufgeschrieben hat anlässlich meiner Konfirmation.

Seitdem sind die Augen Gottes für mich mit dieser Gnade verbunden. Mit einem Blick, der uns nicht durchbohrt, sondern über uns wacht, der uns erkennt, besser als wir uns selbst erkennen können, der uns leitet und führt. Nicht um uns vor den Richterstuhl zu verurteilen, sondern um uns zur Klarheit zu verhelfen und zu einem Leben, das frei und lebendig sein kann.

Lied:      Schenke mir Gott ein hörendes Herz, EG+ 140

Fürbittengebet

Gott, du hast uns versprochen uns zu hören, wenn wir zu dir reden.

Wir beten zu dir und bringen vor dich, was uns bewegt.

Wir hören die Worte der Politiker*innen aus Europa, den USA und Russland, die immer beschwörender werden. Warnungen an politische Führungen, Mobilmachungsaufrufe an Kämpfende. Wir sitzen da, schauen zu, warten ab – und können nur bitten:

Um Frieden, dass der nächste Schritt nicht mit Waffen, sondern mit Worten und Diplomatie gegangen wird,

um den Willen zur Einigung auf allen Seiten, um Kraft für die Verantwortlichen, sich noch einmal und wieder zu Gesprächen an den Tisch zu setzen,

um Schutz für die Bevölkerung und Ruhe in ihren Herzen.

Wir bitten dich für Menschen, die schweigen, weil sie Angst haben, kleingemacht zu machen,

in Betrieben, in Schulen, in der Gesellschaft.

Höre du sie, stärke sie, stellen ihnen Menschen an ihre Seite, die für sie eintreten.

Gott, wir bitten dich für uns, wenn wir schweigen, wenn Scham und Schuld uns im Magen und auf der Seele liegen. Wenn dein Wort uns durch Mark und Bein geht, Gott, dann wende deinen Blick nicht von uns, höre du uns zu, schaue du schaue gnädig auf deine Menschenkinder und lass uns uns in deinen Augen neu sehen.

Wir bitten dich für uns als Gemeinschaft von Christinnen und Christen. Es gibt Zeiten, da trägt dein Wort der Verheißung erst Früchte, wenn wir auf die Worte von außen hören. Gib uns offene Ohren hinzuhören und offene Augen hinzusehen.

Vater unser

Abkündigung

Lied:      Bewahre uns Gott, EG 171

Sendung und Segen

Und nun geht hin, stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie. Sagt den verzagten Herzen seid getrost, fürchtet euch nicht. Seht, da ist unser Gott.

Gott segne dich und behüte dich. Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

Gott erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden.

Orgelnachspiel

OKR´in Dr. Melanie Beiner, Kirchenverwaltung der EKHN, Paulusplatz 1, 64285 Darmstadt, Mail

Gottesdienst am 23.1.2022 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
Herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst in der Dankeskirche.
„Es werden kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes“ (Lk 13,29).

Auch das sehen wir auf dem Bild vorne auf Ihrem Gottesdienstblatt: einen römischen Centurio, der vor jesus auf die Knie geht. Um ihn wird es gleich in Lesung und Predigt gehen. Mit diesen Worten aus dem Lukasevangelium verheißt Jesus allen Menschen das Heil. Egal welcher Herkunft und Sprache – alle sind willkommen. Das gilt ja auch für uns hier: alle sind willkommen.
So feiern wir diesen Gottesdienst …

Votum

Eingangspsalm:  Psalm 100   EG 740
Danket dem Herrn, lobet seinen Namen
Jauchzet dem Herrn, alle Welt!
Dienet dem Herrn mit Freuden,
kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken!
Erkennet, dass der Herr Gott ist!
Er hat uns gemacht und nicht wir selbst
zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.
Gehet zu seinen Toren ein mit Danken, zu seinen Vorhöfen mit Loben;
danket ihm, lobet seinen Namen!
Denn der Herr ist freundlich, und seine Gnade währet ewig
und seine Wahrheit für und für.
 
Gebet
Eingeladen in dein Haus, unter dein Dach, Gott, kommen wir – so wie wir sind.
Manche von uns beladen mit Lasten, manche müde und erschöpft,
manche leichtfüßig und unbeschwert, und manche sind garnicht da.
Du lädst uns ein, du schenkst uns deine Liebe.
Hilf uns, dass wir uns vor dir öffnen,
dass wir dein Wort nicht nur hören, sondern auch verstehen,
mit unseren Ohren, mit unserem Herzen, mit unserem Verstand.
Dass wor deine Liebe empfangen und annehmen.
Hiöf uns und erbarme dich unser – du Gott, der du uns einlädst unter dein Dach.
Das bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn. Amen

Lesung
Der Hauptmann von Kapernaum, Mt 8, 5 - 13
5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's.
10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! 11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; 12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. 13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

Glaubensbekenntnis

Lied
593 Licht, das in die Welt gekommen
1. Licht, das in die Welt gekommen, Sonne voller Glanz und Pracht,
Morgenstern, aus Gott entglommen, treib hinweg die alte Nacht,
zieh in deinen Wunderschein bald die ganze Welt hinein.

2. Gib dem Wort, das von dir zeuget, einen allgewaltgen Lauf,
dass noch manches Knie sich beuget, sich noch manches Herz tut auf,
eh die Zeit erfüllet ist, wo du richtest, Jesu Christ.

3. Es sei keine Sprach noch Rede, da man nicht die Stimme hört,
und kein Land so fern und öde, wo man dein Gebot nicht ehrt.
Lass den hellen Freudenschall siegreich ausgehn überall.
Text: Ewald Rudolph Stier 1827 (nach Psalm 19)
Melodie: Gott des Himmels und der Erden (Nr. 445)

Predigt
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Liebe Gemeinde,
Das Wort
„Herr, ich bin nicht würdig dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, dann wird meine Seele gesund.“ Dieses Gebet aus der katholischen Messe begleitet mich seit meiner Kindheit. Manchmal ist es wie ein Mantra für mich. Nur ein Wort! Ein einziges Wort! Als würde dies schon genügen. Dieser Satz wurde für die Abendmahlsliturgie übernommen, um die passende Haltung für den Empfang von Brot und Wein einzunehmen: Vertrauen darauf, dass das Sakrament uns heil macht und auch eine gewisse Demut.
“Herr, ich bin nicht würdig.” Das kurze Gebet macht mir bewusst, wer ich bin und wer Gott ist. Es ist ein Gebet des Vertrauens in Gottes Wirken. „Sprich nur ein Wort so wird meine Seele gesund.“
Welches Wort könnte das sein? Liebe?  Oder das „Ja“, das mir zugesprochen wird. Ganz sicher geht es dabei nicht um eine Generalamnestie für alles, was ich an Schuld auf mich geladen habe. Ein solches „Ja“ kann es also nicht sein.
Der griechische Text benutzt in diesem Bibelvers keinen Artikel. Im Original steht also: Sprich Wort, und mein Diener wird gesund. Wort heißt dort Logos. Logos Gottes, Wort Gottes ist aber neutestamentlich immer Jesus Christus selbst. Er ist das Wort, der Logos, der im Anfang bei Gott war, der Gott selbst ist (Joh 1,1) Womit sich auch die Stelle des Gebetes in der Liturgie erklärt. Genau das, worum die Gemeinde hier bittet, geschieht im nächsten Moment: Die Kommunion wird ausgeteilt, Christus kommt in den gewandelten Gaben zu den Glaubenden und sie werden gewandelt. Sie empfangen den Leib Christi und sie werden Leib Christi.
Zu diesem einzelnen Gebet gehört aber eine Geschichte:

Die Heilung
Es ist schon ein starkes Stück. Jesus wandert mit seinen Jüngern nach Kapernaum. Der Weg ist staubig. Da hört man heraneilende Schritte. Es ist ein Ausländer, ein Römer. Die Metallschnallen seiner Uniform gleissen im Sonnenlicht. Ein römischer Hauptmann, ein Nichtjude. Einer von denen, die Israel besetzen und unter Kontrolle halten. Und dieser Fremde fragt Jesus, den Juden, um Hilfe. – Und Jesus hilft.
Es gibt Berichte, die von wundersamer Heilung sprechen. Und es gibt genauso viele Berichte, die erzählen, dass auch nach 10 Jahren Gebet Schmerzen und Krankheiten nicht geheilt wurden. War das Gebet also nutzlos? Der Glaube zu klein? – In meiner Erfahrung hat das Gebet immer etwas bewirkt: Die Kranken und Angehörigen konnten besser mit der Krankheit umgehen. Da war jemand, der sie hörte, wenn sie beteten. Eine Kraft, die sie stärkte, ein Friede, der half, die Last zu tragen. Gott half anders als erwartet.
Glauben Sie, dass Gott heilt? – Ich glaube ja. Doch wie er heilt, ist für uns unverfügbar. Gott gibt die Kraft weiterzugehen und wie unser Hauptmann nach Jesus Ausschau zu halten.

Der Chef
Die Heilung des Knechts steht im Vordergrund. Doch der Knecht wäre nicht geheilt worden, ohne die Initiative seines Chefs. Nur weil dieser sich an Jesus wandte, wurde der Knecht gesund. Wer er wohl war, dieser Hauptmann, dieser Römer, der vor Jesus kniet auf unserem Bild.
Ein römischer Hauptmann, auch Centurio genannt, befehligte eine Hundertschaft. Er war für die Disziplin und Ausbildung seiner Leute zuständig und bildete mit den anderen Centurios das Rückgrat der römischen Armee. Unser Hauptmann spricht selbst davon, dass Soldaten und Diener seinem Kommando unterstehen. Auch der Knecht ist einer seiner Untergebenen. Der Centurio ist sein Chef und Ausbilder.
War er wohl ein guter Hauptmann? Und was machte einen guten Hauptmann aus? War es einer, der seine Truppe im Griff hatte? Einer der keinen Ungehorsam duldete und erwartete, dass man ihm aufs Wort gehorcht?
Was macht für Sie einen guten Chef aus? Wen haben Sie in Ihrer Schulkarriere als gute Lehrperson erlebt? Welche Adjektive passen zu dieser Person?

Der Unterschied
Und was macht den Unterschied zwischen einer guten und einer herausragenden Chefin? Einer herausragenden Lehrperson? Das sind die Personen, die noch einen Schritt weitergehen, unterstützen, wo sie nicht müssten. Es sind die Chefs, die längere Familienzeit gewähren, Teilzeitarbeit ermöglichen. Es sind die Lehrpersonen, die gratis Nachhilfe anbieten, ein offenes Ohr für Probleme haben. Diejenigen, die alles tun, damit man den Schritt ins nächste Schuljahr doch noch schafft.
Was unseren Centurio besonders macht, ist nicht die Disziplin, die er von seinen Untergebenen erwartet, sondern dass er mehr tut, als er muss. Die Krankheit seines Knechtes lässt ihn nicht kalt. Für ihn nimmt er den Weg zu Jesus auf sich. Er geht weiter, als es üblich ist. Er kümmert sich um seinen Untergebenen. Der Hauptmann geht so weit, dass er als Römer einen Juden um Hilfe bittet. Er befiehlt nicht, sondern bittet.
Die Kontrolle abgeben, um Hilfe bitten, wenn ich nicht mehr weiterweiß. Fällt Ihnen das leicht? Oder wahren sie lieber die Fassade, aus Angst, es könnte noch schlimmer werden? Wenden Sie sich an Jesus, an Gott, wenn Sie verzweifelt sind? Glauben Sie, dass er etwas bewegen kann, auch wenn er nicht physisch anwesend ist?

Gleichen Sinnes
Der Hauptmann entscheidet sich fürs Vertrauen. Und im Einsatz für seinen Untergebenen begegnet er einem Gleichgesinnten. Jesus, der die Macht hat, Menschen zu heilen, benützt seine Macht nicht, um Menschen zu unterwerfen. Jesus, wäscht seinen Jüngern die Füße. Er isst mit den Ausgestoßenen, berührt Kranke, ohne mit der Wimper zu zucken. Jesus ist es, der zeigt: Dient einander.
Der Hauptmann, der vor ihm steht, zeigt mit seinem Einsatz, dass er, Jesu Botschaft schon verstanden hat. Dient einander. Der Hauptmann kehrt die Hierarchie um – sein Knecht ist wichtiger als er und sein Ruf. Und so begegnet ihm Jesus auch nicht als Römer, als Ungläubigem, sondern als Mensch. Und zeigt damit allen Umstehenden, dass nicht nur Juden und Jüdinnen, sondern auch andersgläubige Menschen zu ihm gehören.
Er sagt sogar: Solchen Glauben habe ich bei niemandem in Israel gefunden!

Enterbung?
Dabei bleibt es nicht. Jesus fährt fort - Und plötzlich sind wir in einem Horrorfilm gelandet. Bei Heulen und Zähneklappern – die Erben und Erbinnen des Reichs werden verstoßen und in die völlige Finsternis verbannt. Jesus, der gerade eben noch dem Hauptmann mit Menschlichkeit begegnet, zeichnet nun ein düsteres Gerichtsbild. Israelkritisch und wie eine Drohung klingen Jesu Worte. Die, die das Reich erben sollen, die Nachfahren von Abraham, Isaak und Jakob, werden verstoßen werden. Also Jesu eigene Lands- und Glaubensleute, die Juden und Jüdinnen.
Über Jahrhunderte hinweg wurde diese Drohung benutzt, um zu behaupten, dass Gott die Versprechen, die er dem Volk Israel gegeben hat, nicht mehr hält. Das Erbe des jüdischen Volkes sei auf die Christen und Christinnen übergegangen. Mit diesem Vers könne man erklären, weshalb Juden und Jüdinnen es verdienten, verfolgt zu werden. Sie seien für den Tod Jesu verantwortlich und dafür sollten sie büßen. Antisemitismus vom feinsten. Auslegungen, die über Jahrhunderte durch das Christentum weitergereicht wurden. Bibelverse, die eine Blutspur hinter sich herziehen.
Die Christen und Christinnen waren eine Minderheit und standen mit ihrem neuen Glauben oft in der Kritik ihrer Mutterreligion – dem Judentum. Diese Worte wurden Jesus in den Mund gelegt, um sich damals gegen die mächtige Ursprungsreligion abzugrenzen. Doch sie haben zu großer Überheblichkeit geführt. Sie haben jahrhundertelang Pogromen verursacht, Gewalt gegen Juden. Die Katastrophe des zweiten Weltkriegs hat ein für alle Mal gezeigt: Kein Christ kann von sich behaupten, dass sie besser ist als ein Jude. Die Christenheit hat versagt. Und die Kirche voran. Und sie zeigt es auch jetzt gerade wieder beschämend eindrucksvoll.

Gesundwerden, Heilung
Wir brauchen unter den Christinnen und Christen mehr Centurios, die sich wider allen Wissens für die Machtlosen stark machen. Wir brauchen Chefinnen, die sich hingebungsvoll für ihre Untergebenen einsetzen und Lehrpersonen, die ihren Schülern mit großer Menschlichkeit begegnen. Wir brauchen Menschen, die wider Erwarten zu hoffen wagen, die für ihre Untergebenen einstehen, auch wenn sie sich dafür klein machen, oder sich in unbequeme Situationen begeben müssen. Und wir brauchen Menschen, die auf einen Gott vertrauen, den sie nur vom Hörensagen kennen.
Ich bin sicher: Gott kann heilen. Er heilt den Knecht eines Römers. Er stellt unsere Hierarchien auf den Kopf und begegnet uns als Diener. Er heilt uns, von unserer Überheblichkeit, unserem Egoismus und unserer Selbstbezogenheit.
Und so können wir mit dem Hauptmann bitten: Herr, es steht mir nicht zu, dich in mein Haus zu bitten, doch sprich nur ein Wort… befreie mich von aller Unmenschlichkeit, von jeglicher Überheblichkeit, machtgierigem Verhalten und dem Urteilen über andere. Begegne mir Jesus, mit deiner Menschlichkeit, so dass mein Vertrauen in dich und meine Mitmenschen wächst. Dann werde ich gesund.
Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX. Amen

Lied
610 Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer
1. Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer,
wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.
Frei sind wir, da zu wohnen und zu gehen.
Frei sind wir, ja zu sagen oder nein.
Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer,
wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.

4. Herr, du bist Richter! Du nur kannst befreien,
wenn du uns freisprichst, dann ist Freiheit da.
Freiheit, sie gilt für Menschen, Völker, Rassen,
so weit, wie deine Liebe uns ergreift.
Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer,
wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.
Text: Ernst Hansen 1970 Melodie: Lars Åke Lundberg 1968

Fürbitte
Gütiger Gott
Du willst, dass wir Menschen Heil erfahren und Heilung und das Leben finden in dir. Dafür danken und preisen wir dich zusammenmit den Menschen anderer Völker, Kulturen und Religionen. Du führst uns in die Weite, aber unsere Welt ist voller Grenzen. Deshalb kommen wir mit unseren Bitten zu dir:
Wir denken vor dir an die Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen. Manche leiden unter schweren Krankheiten. Viele alte Menschen leben alleine. Junge Menschen können sich niemandem anvertrauen.
Für alle bitten wir: Dass andere Menschen ihnen offen begegnen und ihnen deine Liebe weitergeben.
Wir denken vor dir an all diejenigen, die unter den Grenzen leiden, die zwischen den Menschen gezogen werden. In vielen Ländern werden Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft verfolgt. Andere erfahren Hass und Gewalt, weil sie sich in ihrem Aussehen, ihrem Lebensstil, ihrer Liebe von anderen unterscheiden.
Für alle bitten wir: dass sie Freiheit erleben, ein besseres Leben finden, Gerechtigkeit erfahren.
Wir denken heute vor dir aber auch daran, dass Grenzen Schutz bieten und es wichtig ist, sie zu achten. Das lernen wir gerade in diesen Tagen. Und das gilt für die Grenze zwischen Staaten wie Russland und der Ukraine, wo ein Krieg droht. Aber das gilt auch für die körperliche Grenze zu Schutzbefohlenen, die vielfach überschritten wurde, auch in deiner Kirche, Gott, von Geistlichen, Erziehern, Vorgesetzten.
Für uns und alle bitten wir: dass wir Wege des Friedens suchen und finden, des Ausgleichs, der Buße und Strukturen, die Missbrauch verhindern, ihm entgegenwirken.
Mache alle anderen Stimmen in uns leise und lass uns ganz auf deine Stimme hören …

Vater unser

Lied
630 Wo ein Mensch Vertrauen gibt
1. Wo ein Mensch Vertrauen gibt,
nicht nur an sich selber denkt,
fällt ein Tropfen von dem Regen,
der aus Wüsten Gärten macht.

2. Wo ein Mensch den andern sieht,
nicht nur sich und seine Welt,
fällt ein Tropfen von dem Regen,
der aus Wüsten Gärten macht.

3. Wo ein Mensch sich selbst verschenkt,
und den alten Weg verlässt,
fällt ein Tropfen von dem Regen,
der aus Wüsten Gärten macht.
Text: Hans-Jürgen Netz 1975; Melodie: Fritz Baltruweit 1977
 
Abkündigungen

Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 9.1.2022 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung und Votum                                      
Ich heiße Sie und euch herzlich zum Gottesdienst an diesem Morgen willkommen!
„Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder“ – diese Worte des heutigen Wochenspruchs stehen am Anfang dieses 1.Sonntags nach Epiphanias. Man könnte diesen Tag auch den „Sonntag der Kinder Gottes“ nennen. Den Kindern Gottes ist gemeinsam, dass sie in guter Verbindung zum Geist Gottes stehen, von ihm motiviert, von ihm korrigiert und angetrieben, Gutes zu tun. Was das heißt und wie es sich lebenspraktisch auswirkt, davon handeln die Lieder und die Texte dieses Morgens.
So lasst uns den Gottesdienst feiern im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

EG 452,1.2.5 Er weckt mich alle Morgen

Psalm 27 im Wechsel
Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?
Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne:  dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu betrachten.
Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes und erhöht mich auf einen Felsen.
Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe: sein mir gnädig und erhöre mich!
Mein Herz hält dir vor dein Wort: „Ihr sollt mein Antlitz suchen.“
Darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz. Verbirg dein Antlitz nicht vor mir, verstoße nicht im Zorn deinen Knecht!
Denn du bist meine Hilfe; verlass mich nicht und tu die Hand nicht von mir ab, Gott, mein Heil!
Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf.
Ich glaube aber dich, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen.
Harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!

Kollektengebet
Du, liebevoller Gott, du schenkst mir diesen neuen Tag und noch immer ein ganz junges Jahr. Ich habe das tiefste Dunkel durchgestanden und habe das Licht gefeiert. Ich habe verschenkt und ausgewickelt, Freude empfangen und Freude verteilt. Ich habe begrüßt, verabschiedet und neu begonnen. Ich habe die Feiertage verlassen und finde mich wieder ein in meinen Alltag.
Und nun bin ich hier. Mit allem, was in mir ist und mich beschäftigt. Ich komme in deine Gegenwart, mein Gott. Du bist da – das ist dein Name. Und das ist dein Versprechen. Dafür danke ich dir.
Sprich du zu mir. Darum bitte ich dich. Im Namen deines Sohnes Jesus Christus.  Amen.

Lesung Philipper 2,4-11

Glaubensbekenntnis

EG 70,1.3.4

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Der Predigttext dieses Tages, liebe Gemeinde, spricht von einer ganz enorm großen Aufgabe: das Recht und das Licht sollen in die Welt gebracht werden. Recht schaffen auf der Erde – und Licht für die Völker, das wird dringend gebraucht. Aber wer kann das tun? Wen kann man dafür bestimmen?

Hören wir den Text für diesen Tag aus dem Buch des Profeten Jesaja, Kap. 42, die Verse 1 – 9:

„Gott spricht: ‚Seht, hier ist mein Diener, zu dem ich stehe. Ihn habe ich auserwählt, und ich freue mich über ihn. Ich habe ihm meinen Geist gegeben, und er wird den Völkern das Recht verkündigen.

Aber er schreit es nicht hinaus; er ruft nicht laut und lässt seine Stimme nicht durch die Straßen der Stadt hallen. Das geknickte Schilfrohr wird er nicht abbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Unbeirrt setzt er sich für das Recht ein.

Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf der ganzen Erde für Gerechtigkeit gesorgt hat. Selbst die Bewohner der Inseln und der fernen Küsten warten auf seine Weisung.“

Gott, der Herr, hat den Himmel geschaffen und ihn wie ein Zeltdach ausgespannt. Die Erde hat er in ihrer ganzen Weite gebildet. Und den Menschen hat er Leben und Atem gegeben. Nun sagt er zu seinem Diener: „Ich habe dich berufen, meine gerechten Pläne auszuführen. Ich halte dich an der Hand und helfe dir, ich beschütze dich. Durch dich schließe ich einen Bund mit den Menschen, ja, für alle Völker mache ich dich zu einem Licht, das ihnen den Weg zu mir zeigt. Den Blinden sollst du das Augenlicht geben und die Gefangenen aus ihren Zellen holen. Alle, die in Finsternis sitzen, sollst du aus ihrer Gefangenschaft befreien. Ich heiße „Herr“, das ist mein Name. Niemand anderem will ich meine Ehre geben. Und das, was ich früher verkündigt habe, ist gekommen. Nun kündige ich etwas Neues an.“

Hier wird von einem großen Programm gesprochen. Wer ist dieser Mensch? Wer kann diese große Rolle ausfüllen? Offenbar braucht Gott für seinen Plan jemanden, der sich mit „mein Diener, mein Knecht“ anreden lässt. Das wird kaum einer der Großen und Mächtigen der Erde sein. Gott setzt sein Vertrauen in einen Menschen, der für sich erkannt hat: ich selbst brauche Gottes Hand, die mich hält. Sonst verliere ich meinen Halt und gerate ins Straucheln. Auch die Stars und die vielen Promis unserer Tage, die unentwegt auf sich aufmerksam machen müssen, kommen als Lichtgestalten im Sinne des Textes nicht in Frage. Denn der Diener Gottes ist nicht einer, der Lärm macht. Nicht einer, wegen dem es irgendein Spektakel oder einen großen Bahnhof gibt.

Er ruft nicht laut. Seine Wirkung liegt vielmehr darin, dass er still und behutsam seinen Auftrag erfüllt. „Die Weisheit wächst in der Stille“, sagt ein Sprichwort. Die Stärke dieses Menschen liegt darin, dass er sanft und behutsam mit den Menschen umgeht. Wie ein guter Seelsorger bricht er das geknickte Rohr nicht ab und löscht auch den glimmenden Docht nicht aus. Wie ein guter Seelsorger stützt und stärkt er diejenigen, die gefährdet sind und keinen Halt haben.

Nach allem, was wir wissen, war es zunächst ein Profet der Exilszeit, der diese Rolle einnahm. Er sprach zu den gefangenen Israeliten, zu denen, die verschleppt und deportiert worden waren. Die sich in der großen babylonischen Gefangenschaft des 6. vorchristlichen Jahrhunderts befanden und fernab ihrer Heimat leben mussten. Ihnen spricht der Profet im Namen Gottes Mut zu. Und Hoffnung, dass sie eine andere Zukunft haben werden als die der Gefangenschaft. Dass sie wieder Licht sehen dürfen und Freiheit. Und dass ihnen Recht widerfahren wird. Und tatsächlich darf das Volk dann unter dem persischen König Kyros wieder nachhause zurückkehren, es darf einen neuen Anfang geben und den neuen Aufbau des Tempels, des religiösen Zentrums des Glaubens.

Der Profet des 6. Jahrhunderts hat seine Lebensaufgabe erfüllt. Aber die große Aufgabe, die von Gott gestellt war, sie war damit nicht zuende. Die Rolle war wieder frei. Immer noch gab es gebrochene Herzen, immer noch gab es diese große Sehnsucht nach Licht und nach Gerechtigkeit unter den Menschen.

Und in diese Sehnsucht hinein wurde Jesus geboren. Als kleines Kind. Er wächst in seine Rolle hinein. In der Taufe am Jordan hört er die Stimme Gottes, die zu ihm sagt: „Du bist mein lieber Sohn; an dir habe ich Wohlgefallen.  Dich liebe ich.“ Jesus hört Gottes Du; und er antwortet. Er findet dazu sein eigenes Ja. Jesus nimmt die Aufgabe an. „Er nimmt Knechtsgestalt an, wird einem Sklaven gleich“, so werden es die ersten Christen später singen.

Auch Jesus ist der, der nicht laut ruft und seine Stimme nicht durch die Stadt hallen lässt. Sanftheit und Behutsamkeit sind seine Stärke. Hinhören, danach fragen, was der Andere braucht, das gehört zu seinem Programm. Als ein guter Seelsorger fragt er sein Gegenüber: „Was brauchst du? Was willst du, das ich dir tun soll?“ So beginnt er das Gespräch. Und so bringt Jesus sein Licht zu denen, die im Schatten seiner Gesellschaft sitzen: zu den Kranken und zu den Aussätzigen.  Den Blinden bringt er das Augenlicht. Und den Frauen verhilft er zu ihrem Recht:  der gekrümmten Frau. Der Ehebrecherin.  Und der Frau, die aus ihrer sozialen Not heraus ihren Körper verkauft, und die ihm unter Tränen die Füße salbt, weil sie in ihm endlich jemanden findet, der ihr ganzes Leid sieht und sie nicht einfach verurteilt. Jesus ist der Gottesknecht, der die Gewaltlosigkeit durchhält – inmitten eines römischen Machtsystems, das vor Waffen nur so starrt. Er bleibt mit seiner Sanftmut, mit seiner Friedfertigkeit der Zeuge Gottes. Genau darin liegt seine Stärke, seine Überzeugungskraft und seine Wirkung. Jesus gibt sich für die Menschen hin bis in den Tod. Darum schenkt Gott ihm die Auferweckung, und so wird Jesus zum Licht der Völker, zum Licht, das allen Völkern den Weg zu Gott zeigt.

Jesus hat seine Aufgabe erfüllt. Man könnte meinen, nun sei die Sache entschieden und abgeschlossen. Doch die Geschichte der Menschen geht ja weiter. Und schon die ersten Christinnen und Christen sahen, dass in unserer Welt weiterhin Bedarf ist an Menschen, die bereit sind, sich als Knecht oder Magd Gottes zu verstehen. Die Aufgabe, Licht in die Welt zu tragen, bleibt weiterhin bestehen. Der Apostel Paulus und sein Freund Barnabas zum Beispiel wagen, diese Lücke auszufüllen. Und so tragen sie mit der Verkündigung des Evangeliums das Licht Israels zu den Völkern des Mittelmeerraumes weiter. Die ersten Christinnen und Christen waren sich bewusst, dass sie mit Gottes Geist begabt waren und dazu berufen waren, das Licht weiterzutragen, das ihr Leben hell gemacht hatte. „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder“, so hatte Paulus es ihnen ins Stammbuch geschrieben.

Die Aufgabe also, Licht für die Welt zu sein und das Recht aufzurichten, geht für uns weiter. Die Rolle bleibt ausgeschrieben. Und Gott wartet darauf, dass seine Kinder die Rolle annehmen. Gott wartet auf die Hilfe des Menschen, um seinen Plan zu verwirklichen. (So heißt es schon bei dem Profeten Jesaja 63,5: „Ich suchte, aber weit und breit war niemand, der mir helfen wollte. Ich war erstaunt, dass keiner mir beistand.“)

Da kann schnell der Einspruch aufkommen, der sagt: Licht für die Völker zu sein und das Recht aufzurichten auf dieser Erde – das ist eindeutig zu viel für mich. Diese Aufgabe ist für mich zu groß. Damit übernehme ich mich vollkommen. Aber vielleicht ist es schon ganz viel, im Kleinen dabei zu sein, Teil der Bewegung zu sein, mit hineinzufinden in diesen Strom der Menschen, die etwas verändern wollen. Deshalb bin ich z.B. dankbar dafür, wenn ich sehe, dass Menschen da sind, die noch immer einen langen Atem haben, die Geflüchteten im Alltag beistehen und ihnen hindurchhelfen durch das Gestrüpp von behördlichen Anträgen und Anordnungen. Dass faire Waren gekauft werden, die Menschen in Übersee helfen, einen gerechten Lohn zu bekommen, d.h. Gerechtigkeit am eigenen Leib zu erfahren. Oder dass Menschen in unserer schwierigen Zeit ein Licht sind in ihrer Nachbarschaft, indem sie einfach danach fragen, wobei der Nächste, die Nächste Unterstützung braucht. Und dann helfend zur Seite stehen, ohne große Worte zu machen. Ich bin dankbar für alle, die für Aufrichtigkeit, Transparenz und Wahrhaftigkeit eintreten. Ich selbst kann ein Licht sein. „Viele kleine Leute, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten
AA: Du, ewiger Gott, wir loben dich, denn durch deinen Sohn ist das Licht zu uns gekommen. Du begleitest uns durch die Kraft und den Trost deines Heiligen Geistes. So kommen wir mit unserem Dank und mit unseren Bitten zu dir.
SP: Wir danken dir für das Geschenk der Hoffnung, dass es immer wieder hell werden kann für uns und für unsere Welt. Lass dein Licht in uns und in unserer Welt leuchten. Wir bitten dich für uns selbst, dass wir die Hoffnung auf eine gute Zukunft behalten und dass unser Glaube nicht vergeblich ist, sondern durch dich eine immer neue Kraft erhält.
AA: Gib uns die innere Stärke, uns für Gerechtigkeit einzusetzen. Gib uns den Mut, für die Menschen zu sprechen, deren Mund vor Angst verschlossen bleibt, die ausgenutzt werden oder der Willkür und Misshandlungen ausgesetzt sind.
SP: Wir bitten dich, schenke all denen Begleitung, die aus ganz unterschiedlichen Gründen verstört oder verängstigt sind, die nach einem Ziel für sich suchen oder nach einer persönlichen Perspektive.
AA: Wir blicken in diesen Tagen nach Kasachstan und bitten: stärke die Menschen, die sich um Deeskalation bemühen und um eine gewaltfreie Lösung der Konflikte. Wir bitten dich für die Genfer Gespräche, die in diesen Tagen im Blick auf die Ukrainekrise geführt werden: Hilf, dass Kompromisslinien gefunden werden, die dem Frieden dienen und die für alle Seiten tragbar sind.
SP: Bitte für Verstorbene in unserer Gemeinde

Vaterunser

EG  599,1-4

Abkündigungen

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Musik

Gottesdienst an Neujahr 2022 von Pfarrerin Susanne Pieper

Musik
Begrüßung und Votum

Ein neues Jahr hat begonnen. Noch liegt es voller Geheimnisse vor uns. Wir aber gehen zuversichtlich in es hinein; denn wir tragen das Vertrauen in uns, dass einer mit uns geht.

Ich begrüße Sie alle herzlich zu diesem ersten Gottesdienst im Jahr 2022 hier in unserer Dankeskirche! Es ist schön, dass wir ihn gemeinsam feiern können. Im Anschluss an den Gottesdienst heute gibt es die Möglichkeit, sich persönlich für das neue Jahr segnen zu lassen. Dazu wird  sich Pfarrerin Pieper am alten Taufstein einfinden. Sie wird  sich gern für Sie bereithalten und auf Ihren Wunsch nach einem stärkenden Segen eingehen.

Nun grüße ich Sie mit dem biblischen Wort aus dem Hebräerbrief Kap. 13, Vers 13: „Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit.“

Er ist der Eckstein, der Grund unseres Glaubens. So feiern wir den Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

EG 61,1.2 Hilf, Herr Jesu, lass gelingen

Meditation zu Psalm 121
P: Unsere Augen blicken in die Zukunft. Sie suchen nach dem rechten Weg. Wird Gott bei uns sein, wenn wir den Weg gehen? Wird er uns nahe sein, um uns zu helfen?
G: Unsere Hilfe kommt von ihm, der den Himmel gebogen und die Erde gegründet hat. Bei jedem unserer Schritte ist er uns nahe und bewahrt uns davor zu fallen.
P: Gott schläft und schlummert nicht. Er behütet uns nicht nur am Tage, sondern auch in der Nacht.
G: Schatten spendet er am Tage, dass die Sonne uns nicht sticht, und des Nachts erquickt er Seele und Leib.
P: Gott behüte uns vor allem Bösen, er beschütze unsere Seele, er behüte unser Hinausgehen und unser Heimkommen von nun an bis in Ewigkeit. Amen.

Gebet
Du, unser Gott, Quelle des Lebens, am Anfang dieses neuen Jahres kommen wir zu Dir. Wir bringen mit, was uns bewegt: unsere Unsicherheit, ob es ein gutes Jahr für uns werden wird. Unsere Fragen, ob unser Leben so weitergeht, wie wir es uns wünschen. Unsere Sorgen, ob wir im Frieden und in Freiheit leben werden. Unsere Bedenken, ob wir genug Kraft haben werden für die Zumutungen des Lebens. Wir bitten Dich: Schenke uns Zuversicht und Freude für unseren Weg. Berühre uns durch Deine guten Worte. Wir vertrauen uns Dir an, der Du lebst und Leben schenkst, heute und an jedem neuen Tag, bis in Deine Ewigkeit hinein. Amen.

Lesung: Jesaja 55,6-13

Glaubensbekenntnis

+89 Du bist da, du bist da, bist am Anfang der Zeit

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde, es war erst vor einigen Tagen. Ich war nur kurz einkaufen gegangen, kam nach Hause zurück und steckte den Haustürschlüssel ins Schloss.  Doch nichts tat sich, nichts ging mehr. Er ließ sich nicht mehr drehen. Zum Glück öffnete sich da die Tür von der anderen Seite. Mein Mann hatte es noch geschafft, hineinzukommen. Sogleich rief er den Schlüsselnotdienst an und der kam dann auch bald. „Das hat keinen Zweck mehr,“ sagte der freundliche Mann. „Der Zylinder ist verschlissen. Sie brauchen ein neues Schloss!“  Und so fand dieses Problem glücklicherweise bald eine Lösung.

Vor einer geschlossenen Tür stehen. Jede, jeder von uns kennt das. Wenn auch hoffentlich nicht immer so dramatisch. Eine geschlossene Tür – von der wir hoffen, dass sie sich gleich öffnet. Die Sekunden davor sind erfüllt mit Spannung und Unsicherheit. Was wird mich hinter dieser Tür erwarten? Ich denke z.B. an eine Wohnungsbesichtigung: könnte sich hinter dieser Tür ein neues Zuhause verbergen? Oder die Situation unmittelbar nach einer Prüfung: wie wird es sein, wenn die Tür sich öffnet und ich das Ergebnis erfahre? Oder ein Besuch bei Freunden - ich stehe vor der Tür und frage mich im Stillen: wird es ein schöner gemeinsamer Abend? Wir alle kennen solche Türmomente und wir haben unsere Erfahrungen damit.  An genau diese Erfahrung knüpft Jesus an, wenn er sagt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Dieses Jesuswort stammt aus dem Johannesevangelium. Es ist die Jahreslosung für dieses neue Jahr 2022. Und in diesem Wort liegt tatsächlich der Kern der christlichen Botschaft. Eine große Einladung liegt darin: „Komm zu mir! Du bist herzlich eingeladen! Ich meine es ernst. Ich warte auf dich und ich freue mich auf dich!“ Und dann das Versprechen: „Ich öffne dir und lasse dich herein, wenn du an meiner Tür anklopfst! Ich weise niemanden ab.“ Vielleicht fragen wir uns, was uns hinter dieser Tür erwartet. Worauf wir uns einstellen können. Es ist das wohl größte Willkommensgeschenk, das es nur geben kann: Jesus will uns die Fülle des Lebens schenken. Und die Teilhabe am Reich seines Vaters, die Teilhabe am Reich Gottes.

Vielleicht ist das für uns erst einmal schwer zu greifen. Aber zeichenhaft lässt sich das Reich Gottes in unserer Welt schon erkennen.  Wenn wir genau hinschauen, können wir schon etwas davon sehen. Denken wir an alle die schönen Momente im vergangenen Jahr, in denen wir Gottes Nähe spüren konnten. Das ist die Chance beim Jahreswechsel, dass wir noch einmal in Ruhe zurückblicken auf das, was alles war, dass wir in unseren Kalendern blättern oder in unseren Tagebüchern und all die Monate noch einmal Revue passieren lassen. Hat es nicht wirklich schöne Zeiten gegeben? Gemeinsame Zeiten mit der Familie oder mit guten Freunden? Ein Tauffest, ein Ehejubiläum, ein Sommerfest, sonnige Urlaubstage am Strand, oder ein Gottesdienst zusammen mit der Gemeinde, der uns ganz besonders berührt hat? Ein Weihnachtsglück?  Erfüllte Momente, glückliche Augenblicke, diamantene Zeiten, von denen die Seele leben kann und die wir weiter in uns tragen werden. Sie füllen unseren Hoffnungstank auf. In ihnen blitzt schon etwas von Gottes Reich auf!

Und dann klafft dagegen doch auch noch die ganze Unvollkommenheit in dieser Welt auf, zu der auch die traurigen Momente gehören. Immer noch hat diese Pandemie unser Leben im Griff, auch wenn wir schon so sehr gehofft hatten, dass sie überwunden sein könnte. Menschen leiden und sind massiv gefährdet. Pflegekräfte kämpfen mit dem Burnout. Schnelltests, PCR–Tests gehören inzwischen zu unserem Alltag. Wir wissen nun zur Genüge, was Impffreude ist, was Impfneid ist, und was Impfangst ist. Wir sehen, dass die Kulturszene immer noch am Boden liegt. Wir hoffen, dass die Türen der Kitas und die Türen der Schulen offengehalten werden können. Und dann sind da die Schicksale aus unserem persönlichen Umfeld:  in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, in der Gemeinde. Nachrichten und Ereignisse, die unser Herz ganz besonders berühren, auch wenn sie nicht in den Medien zu finden sind.

Schöne und traurige Momente. Wir alle können sie wohl aufzählen. Unser Leben hat beide Seiten. Freud und Leid, Licht und Schatten sind zu finden, und sie durchdringen sich gegenseitig. So war es im letzten Jahr, und wahrscheinlich wird es so ähnlich wohl auch im neuen Jahr sein. Schon zeigt sich das Reich Gottes in dieser Welt, und doch müssen wir immer noch mit der Unvollkommenheit in dieser Welt zurechtkommen.  Wenn es nun aber beides gibt, sowohl das Licht als auch den Schatten, sowohl die Schönheit wie die Zerbrechlichkeit, sowohl die wunderbare Musik eines Johann Sebastian Bach oder eines Ludwig van Beethoven wie auch das Virus, dann müssen wir wählen, welcher der beiden Waagschalen wir mehr Gewicht geben wollen. Es liegt in unserer Entscheidung, welcher Seite wir mehr innere Aufmerksamkeit geben. Durch diese letzten zwei Jahre sind wir alle ausgebremst worden. Wir sind gestoppt worden in unserem hektischen und manchmal rasenden Lebensrhythmus. Diese Zeit fordert uns alle heraus. Wir müssen uns ganz neu orientieren, und es gilt, neue Wege zu finden. Neben allem Organisatorischen fordert diese Zeit uns heraus, nach dem zu fragen, was denn eigentlich wesentlich für uns ist. Was wir wirklich brauchen.  Viele von uns sind ins Nachdenken gekommen: welche tieferen Antworten gibt es denn für mich? Von welchen Kraftquellen kann ich denn tatsächlich leben? Was zählt denn noch, was bleibt konstant, wenn so Vieles unsicher geworden ist? Wie kann ich Boden unter die Füße bekommen, wenn ich mit so Vielem konfrontiert bin? Viele Menschen sind jetzt auf der Suche nach einer neuen Spiritualität.

Die Pandemiezeit ist das beherrschende Konfliktfeld unserer Zeit. Und sie birgt für Manche auch die Versuchung in sich, den eigenen Glauben über Bord zu werfen. Vom Glauben her gesehen, geistlich gesehen, ist diese Zeit eine Zeit der Versuchung. Und deshalb ist es umso wichtiger, Gott darum zu bitten, dass er uns seinen guten Geist schenkt -  gerade jetzt. Gottes Geist hilft uns, innerlich zu widerstehen und uns auf die Kräfte zu konzentrieren, die Gott für uns bereithält. Gottes Geist hilft uns dabei, dass wir uns unserer eigenen Würde bewusst bleiben. Und Gottes Geist und der Glaube helfen uns dabei, dass wir das Vertrauen nicht aufgeben, sondern dass wir es neu lernen!

Ich glaube, dass diese neue Jahreslosung deshalb gerade jetzt für uns eine Hilfe ist. Mit ihr können wir hoffnungsvoll in ein neues Jahr gehen. Sie lenkt nämlich unseren Blick auf etwas ganz Wesentliches, auf etwas Entscheidendes für unser Leben. Sie erinnert uns daran, dass wir einen Ansprechpartner haben, ein Gegenüber. Wir sind in dieser Welt nicht allein. Gott ist uns in seinem Sohn Jesus Christus unendlich nah gekommen. Er hat uns in dieser Welt nicht preisgegeben. Er ist zu uns gekommen, auch in das Elend dieser Welt. Er hat sich in seinem Sohn selbst hingegeben, in einer grenzenlosen Liebe zu uns Menschen. Und er will das Gute für uns. Jesus Christus sagt von sich: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Wenn wir uns an ihn wenden, dann wird unser Lebenshunger gestillt. Wenn er eine tiefe Bedeutung für unser Leben gewinnt, dann finden wir die Antwort auf unseren Lebensdurst. Dann finden wir auch die Kraft, um durch die Notzeiten und durch die Wüstenzeiten unseres Lebens hindurchzukommen. Dann erfüllt uns ein tiefes Glück, eine tiefe Zuversicht erfüllt unser Inneres. Er ist nur ein Gebet weit von uns entfernt. Manchmal reicht schon ein Stoßgebet: „Jesus, hilf mir. Sei du einfach bei mir!“ Er wartet auf uns. Er hat ein offenes Ohr für uns. Wir sind mit unseren Anliegen jederzeit bei ihm willkommen. Mir mehr Zeit für ihn nehmen – auch das wäre mal ein Neujahrsvorsatz.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen,“ das ist sein Versprechen. Ich lade Sie ein, nun die Karte in die Hand zu nehmen, die Sie am Eingang zusammen mit dem Liedblatt bekommen haben.

Wir sehen eine junge Frau, wie sie dasteht auf einer Anhöhe. Ihre Arme hat sie weit ausgebreitet, so weit, wie es nur geht. Ich male mir aus, was in ihr vorgeht. Ich male mir aus, was sie gerade erlebt.  Und gebe ihr eine Stimme:

„Ich atme durch. Ich lasse meine Ängste los. Ich lasse das Licht in mich ein. Ich darf heute leben. Ich darf da sein. Jeder Tag ist ein Geschenk an mich. Jeder Morgen ist ein Anfang meiner Zukunft.

Ich bin geliebt. Ich bin willkommen bei Gott. Ich bin willkommen bei seinem Sohn. Ich bin gesegnet.

Diesen Tag heiße ich willkommen. In dieses neue Jahr gehe ich mit Gottes Kraft.“
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Musik

Fürbitten
SP: Willkommen sind wir bei dir, unser Gott. Gesegnet durch deine Liebe. So gehen wir mit Dir in das Jahr 2022.  Wir danken Dir für Deine Begleitung. Wir danken Dir, dass wir mit wirklich allem zu Dir kommen können.

FS: Wir bitten Dich um Zuversicht bei dem, was uns Probleme bereitet. Um Geduld und klaren Verstand inmitten aller Prognosen, die uns erwarten. Wir bitten Dich um Hoffnung und Trost, damit wir auch in schweren Tagen das Licht sehen können.

SP: Sei Du bei allen, die verzagt in dieses neue Jahr gehen. Gib ihnen einen neuen Mut. Stärke alle, die schwer erkrankt sind, durch deine wohltuende Nähe. Lass sie Deine Wärme und Deinen Trost spüren.

FS: Sei Du bei allen, die Brücken des Friedens bauen wollen – innerhalb unserer gespaltenen Gesellschaft, aber in diesen Tagen genauso zwischen Ost und West, zwischen den Machtblöcken. Beschenke sie mit Ausdauer und mit Phantasie. Gib ihren Bemühungen Erfolg.

SP: Wir bitten Dich für unsere Kirche, dass wir unserem Auftrag treu bleiben, auf die Menschen zugehen und ein offenes Ohr für die haben, die uns benötigen. Lass uns Zeugen deiner Liebe und Freude sein. Lass unsere Kirche immer ein Ort der Geborgenheit sein, ein Treffpunkt der Freundschaft und des Zuhause seins.  Wir vertrauen Dir, dass Du auch in diesem neuen Jahr mit uns auf unseren Wegen gehst.
Und gemeinsam beten wir das

Vaterunser

EG 171,1.3.4 Bewahre uns, Gott

Abkündigungen

Ich wünsche Ihnen und Euch allen ein frohes, gesundes und gesegnetes neues Jahr!

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen
Musik

Gottesdienst am 2. Weihnachtstag 2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

Lied: eg 27,1.2.3.6 Lobt Gott ihr Christen alle gleich

Licht scheint auf in der Dunkelheit.
Alte Lieder erklingen.
Glocken läuten.
Augen leuchten.
Wangen glühen.
Engelflügel rascheln.
Ein junger Zweig wächst aus einem alten Stamm.
Es ist Weihnachten.
Wir halten inne.
Wir sind hier miteinander vor Gott.

Gebet
So vieles hat uns müde gemacht in diesem zurückliegenden Jahr.
Wir bringen es zu dir, Gott:
ein langer Weg durch die Pandemie,
Unsicherheit,
Sorge um die Gesundheit,
Neid und Missgunst,
Ungerechtigkeit,
Streit und Krieg,
Flut und Zerstörung,
Gott, erbarme dich!

Zuspruch:
„Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neu Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler.
Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.“ (Jesaja 40, 31 BigS 2011)

Lass uns die Zeichen Deiner Nähe erfahren:
in den neugeborenen Kindern,
in der Liebe, die wir einander schenken,
im Licht, das Weihnachten unser Haus erleuchtet,
in jedem Geschenk,
im Lächeln.
Du gehst mit uns durch den Wechsel der Zeiten.
Immanuel „Gott mit uns“ ist dein Name.
Amen.

Schriftlesung

Marias Lobgesang Lukas 1,46-56

Da sagte Maria:
»Ich lobe den Herrn aus tiefstem Herzen.
47Alles in mir jubelt vor Freude
über Gott, meinen Retter.
48Denn er wendet sich mir zu,
obwohl ich nur seine unbedeutende Dienerin bin.
Von jetzt an werden mich alle Generationen
glückselig preisen.
49Denn Gott, der mächtig ist, hat Großes an mir getan.
Sein Name ist heilig.
50Er ist barmherzig zu denen, die ihm Ehre erweisen –
von Generation zu Generation.
51Er hebt seinen starken Arm
und fegt die Überheblichen hinweg.
52Er stürzt die Machthaber vom Thron
und hebt die Unbedeutenden empor.
53Er füllt den Hungernden die Hände mit guten Gaben
und schickt die Reichen mit leeren Händen fort.
54Er kommt seinem Diener Israel zu Hilfe
und erinnert sich an seine Barmherzigkeit.
55So hat er es unseren Vorfahren versprochen:
Abraham und seinen Nachkommen für alle Zeit!«
56Maria blieb etwa drei Monate bei Elisabet.
Dann kehrte sie nach Hause zurück.

Glaubensbekenntnis

Lied 32 Zu Bethlehem geboren

Predigt
Weihnachten ist voller Zeichen: Licht scheint in der Dunkelheit. Ein Reis geht auf aus Davids Stamm. In Bethlehem wird ein Kind geboren. Die ersten Christinnen und Christen lasen diese Zeichen in ihrer Hebräischen Bibel, dem Alten, dem Ersten Testament. Sie entdeckten viele Zeichen, die auf Jesus hindeuteten. Sie entdeckten in Jesus den, auf den Israel schon so lange wartete. Besonders die Zeichen des Propheten Jesaja sprachen zu den christlichen Leserinnen und Lesern. Und so entdecken sie: Licht in der Nacht auf den Feldern von Bethlehem, eine junge Frau und ein in Windeln gewickeltes Kind.

Wer heute Weihnachten feiern will, muss auch Zeichen lesen können. Vieles muss freigelegt werden, anderes weggeräumt, um zu den Zeichen vorzudringen, die Gott in diese Welt gelegt hat. Manche Zeichen sagen uns nichts mehr. Oft sind sie mehrdeutig. Sie sind nicht so einfach zu fassen. Ja, es ist, als entglitten sie uns, sobald wir sie festhalten wollen. Andere liegen am Rande unserer Aufmerksamkeit, so dass wir schnell an ihnen vorbeigehen. Denn vieles andere ist heute zu Weihnachten laut und schrill und schiebt sich vor die Zeichen, die Gott setzt.

Der Predigttext für den zweiten Weihnachtstag aus dem Buch des Propheten Jesaja erzählt von solchen weihnachtlichen Zeichen. Sie leuchten heilsam in unsere Wirklichkeit hinein. Ich lese die Verheißung aus dem siebenten Kapitel des Buches Jesaja:

10Gott redete weiter zu Ahas: 11„Fordere dir ein Zeichen von Gott, deiner Gottheit! Unten in der Tiefe fordere es oder oben in der Höhe!“ 12Aber Ahas sagte: „Ich werde nicht fordern, und ich werde Gott nicht versuchen.“ 13Jesaja sagte: „Höre doch, du Haus Davids! Ist es euch nicht genug, Menschen zu ermüden, dass ihr auch noch meine Gottheit ermüdet? 14Deshalb wird euch die Herrschaft selbst ein Zeichen geben: Sieh doch, eine junge Frau ist schwanger, sie wird ein Kind gebären und es ‚Gott-ist-mit-uns‘ nennen.“ (Jes 7,11-14 BigS 2011)

Ahas, der König von Juda, befindet sich in einer politisch schwierigen Situation. Sein Regierungssitz, Jerusalem, steht kurz vor der Belagerung durch feindliche Truppen, deren Führer ihn absetzen wollen. Das sind die politischen Zeichen der Zeit: klar, eindeutig und bedrohlich. Da muss gehandelt werden. Der König weiß das und steht mit dem Rücken zur Wand. Der Feind kann jeden Tag vor den Toren der Stadt stehen. Er ist klein. Seine Feinde sind riesig. Ja, wenn Gott doch ein Zeichen geben würde! Doch auch das Vertrauen des Königs ist klein und seine Furcht riesig. „Ich werde nicht fordern, und ich werde Gott nicht versuchen.“ (Jes 7,12 BigS 2011) Er traut sich nicht, Gott um ein Zeichen zu bitten. Der König fürchtet nicht, dass das Zeichen ausbleibt, sondern er fürchtet, dass das Zeichen in eine Richtung weist, in die er nicht gehen will. Er will sich von dem Propheten und von Gott nicht reinreden lassen. (Vgl. Nico ter Linden, Es wird erzählt…, Bd. 4 Von den Visionen und Verkündigungen der Propheten, Gütersloh 2002, 24) Der Prophet Jesaja hält dagegen: „Deine Skepsis macht mich müde, dein Unglaube lähmt das ganze Volk. Mach deinen Gott nicht müde“, schimpft er. „Gott wird dir trotzdem ein Zeichen geben: Eine junge Frau ist schwanger und bringt ein Kind zur Welt! Das ist dein Zeichen!“

Ein Kind? Ja, du lieber Himmel. Kinder werden jeden Tag geboren. Vielleicht war König Ahas enttäuscht. Ein Kind!? In der Gefahr eines Krieges. Ein Kind!? Mit einem Kind geht das Leben weiter. Es ist ein Neuanfang, ein Lebenszeichen. Auch wenn jetzt der Feind vor den Toren der Stadt steht, wird es immer Menschen geben, die dort wohnen. Es werden noch Kinder geboren. Das Leben ist stärker als der Tod. Es gibt Hoffnung.

Das Zeichen ist größer, als es auf den ersten Blick erscheint. Es gilt nicht nur für den Moment. Es wird zum Hoffnungszeichen vieler Generationen. Israel hält an dieser Hoffnung fest. Es hält die Hoffnung lebendig. Viele Jahrhunderte später hören die Hirtinnen und Hirten es erneut auf den Feldern von Bethlehem. „Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ (Lk 2,12 Luther 2017) Es hat mich schon immer gewundert, dass sich die Hirtinnen und Hirten ohne Widerspruch aufgrund dieser wenigen Worte auf den Weg gemacht haben. Doch die alte Hoffnung von einem Kind war in ihnen lebendig. Ihnen reichte dieses Zeichen. Sie verstanden es sofort.

Oft sehnen wir uns nach einem Zeichen für unser eigenes Leben als Entscheidungshilfe. „Gott, gib mir ein Zeichen!“ Um den richtigen Weg zu finden, um an einer Hoffnung festzuhalten, um eine Krankheit durchzustehen oder eine Erfahrung zu verarbeiten. „Gib mir ein Zeichen!“ Vielleicht wäre uns etwas Übersinnliches, Großes lieber: ein himmlischer Engelchor, ein Naturwunder, eine Himmelserscheinung? Doch zum Zeichen wird dies alles nicht. Erst das Kind in Windeln gewickelt in einer Krippe wird zum Zeichen. Das Alltägliche wird zum Zeichen. Leicht können wir daran vorbeigehen. Der Stall liegt am Rand. Er ist zugig und unbequem. Es ist kein schöner Ort. Die zahlreichen bunten Weihnachtsmänner mit großen Einkaufstüten voller Geschenke sehen viel einladender aus.

„Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ (Lk 2,12 Luther 2017) Tragen nicht alle Kinder Windeln, frage ich mich. Was ist das für ein unspezifisches Zeichen? Zum Glück liegen die meisten Kinder in einem Bettchen und nicht in einer Futterkrippe. Doch arme und heimatlose Kinder gibt es genug. Das Bild eines Säuglings, gerettet vom Rücken seiner Mutter aus dem Mittelmeer, ging im Mai 2021 um die Welt. Ist dieses eine Kind von Maria und Josef überhaupt von den anderen Kindern zu unterscheiden? Oder soll es ihnen vielmehr zum Verwechseln ähnlich sein? „Gott-ist-mit-uns“ (Jes 7,14 BigS 2011) soll es heißen „Gott in uns!“ „Gott so wie wir?“

Ein Zeichen ist ein Zeichen, nicht das Ganze. Das Leben bleibt mehrdeutig. Nicht alle sehen in ihm dasselbe. Aber mit Gottes Zeichen bleibt die Welt verheißungsvoll. In ihr gibt es mehr als das, was auf den ersten Blick zu erkennen ist. In allem, auch im Unscheinbaren, kann Gottes Wirklichkeit aufscheinen. Selbst das Kleinste kann zum Zeichen werden. Ebenso muss nichts, auch nicht das Riesige, ein Zeichen für Gott sein.

Versuchen wir mit den Zeichen von Weihnachten unsere Wirklichkeit zu lesen. Die Zeichen können uns hellsichtiger machen für unsere Welt. Vielleicht so: Das Licht von Weihnachten wendet den Blick weg von der persönlichen Dunkelheit. Selbst an den dunkelsten Tagen des Jahres können wir in den Lichterglanz der Kerzen am Weihnachtsbaum schauen. Ich muss nicht nur den Mangel sehen, sondern darf mich zur Fülle hinwenden.

Denn selbst in den Zweigen der kahlen Bäume, die äußerlich tot scheinen, pulsiert das Leben. Der Lebensstrom ist stärker. Die Natur lebt es uns vor. Im Winter erscheint alles leblos. Doch der Frühling wird das Leben zurückbringen. Gewiss!

Eine junge Frau mit Kind findet sich in vielen christlichen Kirchen. Kirchen tragen ihren Namen: St. Marien. Das Kind und die junge Frau sind in der Christenheit ein weit verbreitetes Hoffnungs- und Trostbild. Ungezählte Statuen und Bilder zeigen Maria und das Kind. Vor ihnen wird gebetet. Hier schütten Menschen ihr Herz aus, weinen und lachen und zünden Kerzen an. Die junge Frau und ihr Kind verströmen eine besondere Kraft. Was für ein Zeichen! Ein Zeichen voll Schönheit, Innerlichkeit, Liebe, Fürsorge und Zukunft.

Maria und Immanuel. Immanuel heißt das Kind: „Gott mit uns.“ In jedem Kind, das geboren wird, liegt das Versprechen: Gott mit uns. Im Kleinen, Hilflosen: Gott mit uns. Im Unfertigen: Gott mit uns. Selbst im Scheitern: Gott mit uns. Auch an diesem Weihnachtstag: Gott mit uns.
Amen.

Lied 49

Fürbitten
Du bringst Licht in unsere Nacht, Gott.
Lass auch uns licht werden, damit andere in uns erkennen,
wie Du Glanz in diese Welt bringst.

Du gehst auf wie ein Reis aus einem alten Stamm.
Lass uns dort die Hoffnung nicht verlieren, wo alles leblos erscheint.
An unserer Hoffnung auf Frieden lass uns festhalten.
Wir bitten dich um Versöhnung zwischen Menschen Israels und Palästina....
Zeige Wege zu einer friedlichen Lösung.

Du wirst in Bethlehem am Rande der Weltgeschichte geboren.
Lass auch uns das Kleine und Unscheinbare nicht übersehen.
Öffne unsere Augen für deine Zeichen und Wunder.

Du bringst durch eine junge Frau ein Kind zur Welt.
Sei bei denen, die ungewohnte Wege gehen,
die sich für Unerwartetes öffnen und in denen Neues entsteht.
Allen schutzlosen Kindern dieser Welt sei nah.

Du kommst als Kind zu uns und reißt alle Barrieren nieder,
die Menschen errichten können zwischen Arm und Reich,
zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Jung und Alt.
Mach auch uns zu Zeuginnen deiner grenzenlosen Liebe.

Mit den Worten Jesu beten wir: Vater unser

Vaterunser

Abkündigungen

Lied 45

Segen

Musik zum Ausgang: O du fröhliche  44

Christvesper an Heiligabend 2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung und Votum
Die Glocken haben uns hergerufen. Die Lichter am Weihnachtsbaum öffnen uns das Herz. Und die Musik schließt unsere Seele auf. Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst an diesem Heiligen Abend!

Wir schön, dass wir uns heute und hier gemeinsam auf das Fest der Geburt Christi einstimmen können! So hören wir die Botschaft des Engels: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“
Wir feiern Gottesdienst. Gott ist der Schöpfer unseres Lebens. Jesus, sein Kind, wurde Mensch, voller Liebe und Wahrheit. Und Gottes Geist nährt unsere Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt.

Lied:  45, 1+3+4 Herbei, o ihr Gläubigen

Gebet
Guter, barmherziger Gott, heute an diesem Heiligen Abend komme ich zu dir.
 Angestrengt, müde, erwartungsvoll. Hilf mir, alles abzulegen, was ich mitbringe. Loszulassen, was mich beschwert. Ruhig zu werden und mich zu spüren mit meinem Atem, mit meinen Gefühlen, mit meinen Sorgen und Hoffnungen. Lass mich ein paar Atemzüge lang zur Ruhe kommen.
Erfülle du mein Herz mit deinem Licht.  Und erfülle meinen Geist mit deinem Wort. Das bitte ich dich im Namen deines Sohnes, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und wirkt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Lesung: Lukas 2, 1-7

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Lied: 30, 1 Es ist ein Ros entsprungen

Lesung: Lukas 2, 8-14

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und
Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Lied: 54, 1+3 Hört der Engel helle Lieder

Lesung: Lukas 2, 15-20

Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Lied: 37, 1+3 Ich steh an deiner Krippen hier

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde, heute am Heiligabend,
beim Profeten Micha im 5. Kapitel finden wir den Predigttext dieses Tages. Dort schreibt er: „Zu Bethlehem im Gebiet Efrat spricht der Herr: ‚Du bist zwar eine der kleinsten Städte in Juda, doch aus dir wird der kommen, der das Volk Israel in meinem Namen führen wird. Sein Ursprung liegt weit zurück, er ist von Ewigkeit her. So wie ein Hirte seine Herde weidet, so wird der neue König regieren. Er wird auftreten in der Kraft Gottes, und in der Macht des Herrn. Dann wird das Volk in Sicherheit wohnen, denn seine Macht reicht, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.‘“

Was kann denn aus Bethlehem schon Großes kommen? So fragten wohl die Zeitgenossen des Profeten. Aber die Größe einer Stadt allein hat eben keine besondere Aussagekraft. „Was kann denn aus Mainz schon Großes kommen?“ diese Frage haben zwei Menschen im Laufe ihrer wissenschaftlichen Karriere immer wieder gehört. Vor einigen Monaten wurden sie vom Bundespräsidenten Frank–Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Ich meine Frau Dr. Özlem Türeci und Herrn Prof. Ugur Sahin. Schon vor einigen Jahren hatten die beiden davon gesprochen, man könne die Boten-RNA-Technologie nutzen, um im Falle einer Pandemie schnell einen Impfstoff zu entwickeln. Und in diesem Jahr war es nun tatsächlich soweit. Und wie notwendig war das - im wahrsten Sinne des Wortes! „Lichtgeschwindigkeit“ nannten die beiden ihr Projekt und entwickelten einen überaus wirksamen Impfstoff. Und als der Bundespräsident den beiden den Orden verlieh, da zitierte er den Schriftsteller Oscar Wilde, der einmal gesagt hatte: “Die Zukunft gehört denen, die die Möglichkeiten erkennen, bevor sie offensichtlich werden.“ Die Beiden aus Mainz hatten genau das erkannt: die neuen Möglichkeiten – und so gab und gibt es einen Weg, der Katastrophe noch einmal zu entrinnen. Gott sei Dank, und ihnen sei Dank. Wie sehr kann aus Mainz Großes kommen!

Wenn wir heute zweitausend Jahre zurückgehen, wenn wir an diesem Tag zurückgehen an den Startpunkt unserer Zeitrechnung, so gibt es da eine ganz ähnliche Frage: Was kann denn aus Bethlehem schon Großes kommen? In diesem kleinen, verschlafenen Nest am Rande der großen, weiten Welt, da wird ein Kind geboren. Ohne warmes Kinderbettchen, ohne medizinische Versorgung und ohne eine Hebamme. In billigste Windeln gewickelt und hineingelegt in einen Futtertrog mit Stroh, weil es gerade nichts Anderes für das Kind gibt und weil das einfach für diesen Moment eine kreative Lösung ist. Weihnachten lehrt uns, noch einmal ganz genau hinzuschauen: es lehrt uns, gerade im Kleinen das Großartige zu sehen. Im Unscheinbaren das Besondere. Und im Randständigen das Einmalige. So kommt der Himmel auf die Erde. So kommt Gott zu den Menschen. Ausgesprochen leicht zu übersehen. So kommt Gott zu den Menschen. Kaum zu glauben und doch wahr.

Und dann ist da ein Engel. Er steht vor den Hirten auf dem Feld und richtet ihnen Gottes Nachricht aus: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Und dann öffnet sich der Himmel und viele Gottesboten kommen mit dazu, die Gott loben mit den Worten: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

„Fürchtet euch nicht!“ Diese Weihnachtsbotschaft des Engels ist hochaktuell. Gab es nicht in diesem Jahr verschiedenste Gründe, Furcht oder zumindest eine gewisse Unruhe zu entwickeln? Ich habe die unterschiedlichsten Schlagzeilen vor Augen. Ich denke an die Menschen im Ahrtal und an der Erft, die so Vieles verloren haben. An die Folgen der Klimakrise, die da deutlich geworden sind, so dicht vor unserer Haustür. Ich denke an das Elend in Afghanistan, an die Unterdrückung derer, die für die Menschenrechte, für die Grundrechte der Frauen eintreten, und an die Unterernährung der Kinder. Ich denke an die Geflüchteten an den Grenzen Europas, die ohne Obdach sind und ohne Versorgung. Und an weltpolitische Entwicklungen, die unruhig machen. Da klingt das „Fürchtet euch nicht!“ des Engels schon waghalsig und fast so, als wäre es nicht von dieser Welt.

Und dann ist es ja auch so, dass wir gerade an den Weihnachtstagen eine ganz besondere Sehnsucht nach Frieden haben, nach Ruhe und Geborgenheit. Gerade in dieser Zeit wünsche ich mir, dass die Welt für ein paar Tage in Ordnung sein soll. Mit einem guten Essen, mit Geschenken, mit der Familie und einem friedlichen und fröhlichen Beisammensein. Wenigstens ein paar Tage heile Welt! Aber vielleicht ist das mit dem Weihnachtsfest und mit der Weihnachtsbotschaft doch noch mal eine Runde anders. Vielleicht setzt die Weihnachtsbotschaft des Engels doch noch einmal tiefer an. So, dass Gott in eine Welt hineinkommt, die gerade nicht heil ist. Und auf diese Welt mit einer Botschaft reagiert, die gerade deshalb heißt: „Fürchtet euch nicht!“ Wenn diese Welt heil wäre, so bräuchte sie keinen Retter.  Gott aber sendet seinen Sohn gerade deshalb, weil diese Welt so ist, wie sie ist. Er kommt mitten hinein in diese „nicht heile“ Welt. Er wartet nicht, bis alles schön ist, aufgeräumt, fertig geschmückt und perfekt aussieht. Er nimmt die Welt so, wie sie ist und will bei ihr sein. Das Zeichen, das der Engel nennt, ist: „Ein Kind. In Windeln gewickelt. Und in einem Futtertrog.“ Der König des Himmels und der Erde kommt nicht mit Pomp, in einen Palast und in Windeln mit Auslaufschutz. Ja, es ist fast so, dass man ihn eben nicht sofort als Gott erkennt. Da muss der Engel schon genau sagen, wo und wie die Hirten ihn finden. So einfach, so normal und unauffällig ist er. Klein und arm. Völlig bedürftig und angewiesen auf die Liebe der Menschen. Und uns genau damit so nah.

Könnte das der Schlüssel von Weihnachten sein? Könnte es sein, dass Gott uns genau mit diesem bedürftigen kleinen Geschöpf anrühren möchte? Unsere besten Seiten, die in uns stecken? Könnte es sein, dass er die Saite der Zärtlichkeit anrühren möchte, die in uns steckt, und sie neu zum Klingen bringen möchte? Die Saite der Barmherzigkeit und des tiefen Mitgefühls, die wir ja auch in uns haben? Und die wir sonst im Alltag und in der Kälte unserer verdrängenden Ellenbogengesellschaft öfter einfach mal übertönen oder ignorieren? Könnte es sein, dass Gott gerade deshalb als kleiner Mensch zu uns kommt, damit wir es neu und wieder lernen, menschlich und menschlicher auf dieser Welt miteinander umzugehen und füreinander Sorge zu tragen?  Das wäre doch ein genialer Gedanke.

Am Heiligen Abend danken wir Gott dafür, dass er uns Menschen so nahekommt wie es nur geht. Gott bleibt nicht im Himmel, in seiner heilen und vollkommenen Welt. Er kommt zu uns, mitten in unsere Welt, die manchmal zum Fürchten ist. Kommt uns nahe und tritt an unsere Seite. Und sagt zu jeder und zu jedem von uns: „Ich bin da. An deiner Seite. Du bist nicht allein in deiner Dunkelheit. In der Ungewissheit von Morgen, in deinen Fragen und Unsicherheiten. Ich bin da. Hab keine Angst.“

Gott mitten unter uns. Darum taucht nach den Worten des einen Engels in der Geschichte ein ganzer Chor auf. Der lobt Gott und singt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“ Diese Welt und die Menschen auf ihr sind Gott nicht egal. Auch wenn wir es manchmal so denken. Gott will den Frieden für diese Welt. Und dann denke ich manchmal, vielleicht gibt es einen ganz tiefen Zusammenhang zwischen dem „Ehre sei Gott in der Höhe“ und dem „Frieden auf Erden“. Es könnte doch sein, dass gerade in dem Maße, wie wir es lernen, Gott die Ehre zu geben und ihn zu loben, wir wohltuend von uns selbst absehen lernen. Ihn ins Zentrum stellen, uns auf ihn, die Mitte unserer menschlichen Gemeinschaft, konzentrieren, auf ihn blicken.

Auf diesem Wege werden wir uns und unsere Mitmenschen anders anschauen: werden unsere eigenen Bedürfnisse und die unserer Nächsten in ein neues Verhältnis kommen, werden wir neu und anders verstehen, was Gerechtigkeit bedeutet und Frieden zwischen einander. Das gemeinsame Lob Gottes, die Konzentration auf ihn als die gemeinsame Mitte unseres Lebens und das gemeinsame Fragen danach, was sein Wille für uns ist, all das kann zum Frieden unter uns führen. Da entsteht ein Raum des Friedens in uns. Und da entsteht ein Raum des Friedens zwischen uns. Wir erleben das ja schon, wenn wir miteinander singen und Gott in unserer Mitte feiern, uns gemeinsam auf ihn ausrichten. In dieser Haltung können wir uns auch aus jedem Zimmer, aus jeder Wohnung und aus jedem Haus gemeinsam auf den Weg machen, um für eine gerechtere und friedvollere Welt zu arbeiten und einzutreten. Darum:  was sollten wir anderes tun, als heute unseren Gott zu loben!

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten
Du, Gott, willst uns nahe sein. Wir bitten dich:  stille unsere Sehnsucht nach Heil und Leben, nach Frieden und Geborgenheit.

Wir legen dir die Menschen ans Herz, die uns anvertraut sind, in den Familien und in der Gemeinde, in der Nähe und in der Ferne.

Wir legen dir die Menschen ans Herz, die anderen Geborgenheit und Sicherheit geben. Die, die sanftmütig sind und lieben, die, die heilen und pflegen, die, die ihre Kräfte hingeben, die, die andere begleiten in den Krankenhäusern und in den Heimen, in den Flüchtlingsunterkünften und den Schutzräumen.

Wir legen dir die Menschen ans Herz, die für Gerechtigkeit, Wertschätzung und Teilhabe kämpfen. In den Frauenhäusern und den Kinderheimen, in den Schulen und in den Wohnstätten für behinderte und kranke Menschen.

Wir legen dir die Menschen ans Herz, deren Welt zerbrochen ist durch die Pandemie, durch Kriege und Stürme, die sehnsüchtig um ihre Zukunft bangen.

Wir legen dir alle ans Herz, deren Herz voller Trauer ist. Stärke sie, tröste sie, lass sie ein neues Licht sehen.

Wir bitten für uns alle, dass wir dir und deinen Verheißungen neu vertrauen. Dass wir Gutes beitragen zu dem, was in unserer Macht steht und uns von dir schenken lassen, was du für uns bereithältst. Mit dir, Gott, fängt alles an: Zeit und Ewigkeit, Leben und Hoffen, Lieben und Vertrauen. Lass auch uns mit dir neu anfangen. Lass uns im Schimmer, im Licht und in der Freude der Heiligen Nacht leben, so wie du es für uns willst. Und gemeinsam beten wir das

Vaterunser

Abkündigungen

Segen
Ich wünsche euch und Ihnen allen ein frohes, ein erfülltes und gesegnetes Weihnachtsfest! Und wir alle gehen in diesen Abend mit dem guten Segen unseres Gottes:
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.  Amen.

Lied: 44, 1-3 O du fröhliche

Gottesdienst am 4. Advent 2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
Herzlich willkommen …
Die Welt verwandelt sich im Advent Gottes: Krummes wird gerade; Hohes niedrig, Traurige werden fröhlich; und Erniedrigte werden erhöht. Das löst Verwunderung und Freude aus. Das sehen wir auf dem Altarbild aus Bad Wildungen- Die Szene in der die junge Maria erfährt, dass sie einen Sohn gebären wird. Sie ist hier als kluge Frau in ihrem Studierzimmer dargestellt. Und das hören wir bald in der Geburtsgeschichte von den Hirten auf dem Feld.
Die Freude, von der da überall die Rede ist, kommt es der engen Berührung mit dem Heiligen. Sie soll auch in uns aufleuchten, und von ihr wollen wir zuletzt auch ein Lied singen.

Votum

Aus Psalm 102
 
13Du aber, Herr, bleibst ewiglich
und dein Name für und für.
14Du wollest dich aufmachen und über Zion erbarmen;
denn es ist Zeit, dass du ihm gnädig seist, und die Stunde ist gekommen
16dass die Völker den Namen des Herrn fürchten
und alle Könige auf Erden deine Herrlichkeit,
17wenn der Herr Zion wieder baut
und erscheint in seiner Herrlichkeit.
18Er wendet sich zum Gebet der Verlassenen
und verschmäht ihr Gebet nicht.
20Denn er schaut von seiner heiligen Höhe,
der Herr sieht vom Himmel auf die Erde,
21dass er das Seufzen der Gefangenen höre
und losmache die Kinder des Todes,
22dass sie in Zion verkünden den Namen des Herrn
und sein Lob in Jerusalem,
23wenn die Völker zusammenkommen
und die Königreiche, dem Herrn zu dienen.

Eingangsgebet
Ganz nah bist du uns, Gott:
In deinem Wort: das baut uns auf.
In deiner Treue: sie hält uns fest, wenn wir resignieren.
In deiner Güte: die umgibt uns, wenn wir an die zweifeln.
Nah, ganz nah bist du uns, Gott:
Im Blick des Verstehens;
Im guten Wort, das man uns gibt.
Nah, ganz nah bist du uns, Gott:
Deshalb stimmen wir ein in den Ruf des Paulus:
„Freuet euch in Gott allewege; und abermals sage ich:
Freuet euch! Denn Gott ist nahe.

Lk 1, 26 – 38 Die Ankündigung der Geburt Jesu
26Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, 27zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. 28Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? 30Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. 31Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. 32Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, 33und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.

34Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? 35Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. 36Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. 37Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
38Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Glaubensbekenntnis

Lied
Es kommt ein Schiff geladen

1. Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein’ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.

2. Das Schiff geht still im Triebe, es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.

3. Der Anker haft’ auf Erden, da ist das Schiff am Land.
Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.

4. Zu Bethlehem geboren im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren; gelobet muss es sein.

Text: Daniel Sudermann nach einem älteren Marienlied 1626

Predigt
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,
Edward VIII. war elf Monate lang König von England und Kaiser von Indien. Schon bevor er auf den Thron kam führte er ein freies und liberales Leben im konservativen England. Als er dann eine zweimal geschiedene Amerikanerin heiraten wollte, brachte er das Fass zum überlaufen. Staat und englische Kirche haben ihn vor die Alternative gestellt: Thron oder Liebe. Und so dankte Edward VIII. ab, noch bevor er gekrönt worden war. Denn er entschied sich für die Liebe.
Auch Gott folgt immer wieder seiner großen Liebe, dem Volk Israel und seinen Menschen. Von diesem Bund konnte ihn nichts abbringen, denn Gott ist stur und beharrlich. So brachte er einen Engel auf den Weg zu Zacharias und hielt zu Elisabeth. Eine uralte Frau, der ihr ganzes Leben lang ihr Kinderwunsch versagt geblieben war. Nun sollte er ihr erfüllt werden: besser ganz spät als überhaupt nicht.

Die Nachbarschaft wird tuscheln: „Das ist nun aber wirklich unpassend für solch eine alte Frau.“ Aber ein zu spät gibt es bei Gott nicht. „Das ist unmöglich“, sagen alle. Aber Gott steigt von seinem Thron und wendet sich seinen Menschen zu. Zacharias, ihr Mann, verstummt von einem Tag auf den anderen, und der alten Frau glänzen die Augen, erfüllt von diesem späten Glück.
Dann erwählt Gott Maria. Die ist nicht zu alt, sondern zu jung. Wieder geht das Getuschle los: „Viel zu jung für ein Kind.“ „Das arme Ding!“ „Wo ist überhaupt der Mann dazu?“ Ihr wachsender Bauch und ihr kämpferisches Lächeln werden unübersehbar. Die junge Mutter, für unsere Vorstellungen noch kindlich, ahnt, dass nichts bleibt wie es ist.

„Was ist denn hier los“?“, fragen sich alle, die davon hören. Dahinter steht die Ahnung davon, dass Gott noch einmal neu beginnt. Er setzt eine zunächst alle verwirrende Zäsur mitten in die Weltgeschichte. Er beginnt neu: mit einer greisen Frau und einem jungen Mädchen, einer Jugendlichen.
Gott trifft eine ungewöhnliche Entscheidung. Er verzichtet auf alles Majestätische. Es ist wie der Verzicht auf eine Krone. Als bekäme stattdessen jeder eine Krone von ihm. Denn er sendet seinen Engel zuerst zu Elisabeth und dann zu Maria. Und schließlich auch zu Dir und mir. Und auch unsere Nachbarn hätten einiges zu tuscheln. Gerade jetzt, um Weihnachten.
Vor lauter Freude singt Maria ein Lied. Darin ein Satz, der ihr Erleben zusammenfasst: „Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“ So erlebt sie es selbst. So soll es mit Gott in Zukunft sein.

Mit dem Überraschenden zu rechnen – dafür ist wohl der Advent eine gute Zeit. Ein überraschender Besuch. Eine überraschende Fahrt. Ein überraschender Wechsel, ein bevorstehender Umzug. Doch noch einmal neu anfangen. Die Lust am Neuen fühlen dürfen. Das Seniorenheim – eigentlich eine Endstation, wird für die beiden zu einem neuen Beginn. Beide waren zu Hause lange Zeit alleine gewesen. Jetzt haben sie sich gefunden und Spaß miteinander und aneinander, soviel zu erzählen. „Skandal“, flüstern die Nachbarn im Haus. „Die haben‘s gut“, die Neidischen. Die Kinder beider Seiten machen sich Sorgen. Die beiden aber leben auf und fühlen sich plötzlich jünger denn je.
„Du bist doch noch viel zu jung“, sagt die Mutter. Sie würde es anders machen, sie hat es anders gemacht. Aber die Tochter hat nur geschwiegen. Jetzt sieht man es ihr an, sie ist schwanger. Dabei ist sie kaum 18 Jahre alt. „Musste das sein?“, denkt die Mutter, fragt die Mutter. „Mama, ich schaffe das“, hört sie ihre Tochter sagen, „auch alleine!“ Die Mutter spürt, die Tochter hat Kraft, Mut und Entschlossenheit. Das Kind wird es bei der jungen Mutter guthaben. Warum sollte sie etwas dagegen sagen?

„Was ist denn hier los?“ Da ist auf einmal etwas anders geworden. Advent und Weihnachten verändert die Welt, außen und innen. Da stehen Buden vor der Kirche und im Park. Da hängen Sterne im Fenster, es stehen Kränze auf dem Tisch und bald Bäume im Zimmer. Und Gott krönt unser Leben und schickt seine Engel los.
Er sendet sie zu Menschen, die auf den ersten Blick gar nicht geeignet sind: Zu alt; zu jung; zu doof; zu wenig fromm; zu politisch; zu krank. Es fallen immer Gründe ein, warum etwas gerade nicht geht: Keine Zeit; zu wenig Geld; das Risiko viel zu groß; unmöglich. Aber Gott hält es nicht auf seinem Thron, er setzt alles in Bewegung, um zu uns zu kommen. Elisabeth ist eindeutig zu alt, das ist fern jeglicher Diskussion und Vernunft. Maria ist skandalös jung für eine Schwangerschaft. Aber genau durch diese Frauen wirkt Gott.
Wenn wir nun Weihnachten vorbereiten, dann wird das perfekte Leben vom Thron gestoßen. Dann wird das Runde eckig, das Eckige rund, das Bergige eben und das Ebene steil. Auch für die kommenden Wochen bleibt das so. Gottes Boten sind unterwegs und legen uns ein überraschtes „Was ist denn hier los?“ auf unsere Lippen.

Nach seinem Thronverzicht führte Edward VIII: ein unstetes Leben. Er reiste dauernd, lebte in Frankreich und den USA, hatten selten noch Kontakt zu seiner Familie. Reich und unzufrieden hoffte er auf den Sieg der Nazis. Gut vielleicht, dass er den Thron verlassen hatte. Königliche Irrtümer und Fehler sind nicht ausgeschlossen. Das sind alles auch nur Menschen.
Gott ist geblieben. Er ist im Amt. Und er bietet und im Advent viel Gelegenheit, über ihn zu tuscheln. Denn er nimmt Menschen in seinen Dienst, Frauen im hohen Alter und die ganz jungen. Männer, die verstummen, wenn sie dem ersten Engel ihres Lebens begegnen. Mütter und Väter, die von der Vorfreude ihrer Kinder auf Weihnachten überfordert sind. Die alleine sind in ihren Wohnungen und auf unsere Hilfe angewiesen. Die in den Ruinen ihrer Häuser sitzen und trotzdem Weihnachten feiern. Alle sind in Gottes Namen unterwegs, und manche auch auf uns angewiesen.
Gott will sich nicht zurückziehen. Aber er will es anders machen, als wir es gewohnt sind und von ihm erwarten. „Was ist denn hier los?“, fragen wir uns da, und der Engel hat eine Botschaft für uns.

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX. Amen

Lied
Lobt den Herrn

1. Lobt den Herrn, lobt den Herrn, unter uns erblüht sein Stern.
Lobt den Herrn, lobt den Herrn, unter uns erblüht sein Stern.
Er will uns zu Hilfe kommen, und er ist uns täglich nah;
er kommt nicht nur zu den Frommen, er ist für uns alle da.

2. Lobt den Herrn, lobt den Herrn, er ist nicht mehr hoch und fern.
Lobt den Herrn, lobt den Herrn, er ist nicht mehr hoch und fern.
Er hat allen Glanz verlassen, der ihn von den Menschen trennt,
er geht jetzt durch unsre Straßen, wartet, dass man ihn erkennt.

3. Lobt den Herrn, lobt den Herrn, er hat seine Menschen gern.
Lobt den Herrn, lobt den Herrn, er hat seine Menschen gern.
Hast du ihn noch nicht getroffen? Wird dir nicht sein Wort gesagt?
Halte deine Türen offen, denn er hat nach dir gefragt.

Text: Gerhard Valentin 1973; Melodie: aus Israel

Gebet
Deinen Engel sende, guter Gott,
dass er die Schwachen kröne mit Stärke,
die Strauchelnden mit festem Gang,
die am Boden sind mit neuer Kraft.
Deinen Engel sende,
dass wir uns erheben und dich preisen,
mit unseren Worten und mit unseren Taten.

Bring deine Boten auf den Weg, unser Gott,
lass sie deine Wunder preisen.
Das Wort vom Mut; die Tat der Liebe; Gedanken des Friedens
schenke uns ins Ohr und in den Verstand.
Spare nicht mit Überraschungen,
lass uns staunen über deine neuen Wege.

Die Stunde der Vergebung,
der Augenblick des Aufbruchs,
Gedanken voller Gnade,
lege uns bereit in unser Tun und Lassen.
Kröne unser Leben mit deinem Wort,
lass es wirken in deiner ganzen Schöpfung.

Die Tage des Festes,
die Begegnung mit Christus,
die Suche nach den Nächsten -
bereite uns durch deinen Engel und deine Zeichen.
Amen

Vater Unser

Schlusslied
Nun jauchzet, all ihr Frommen

1. Nun jauchzet, all ihr Frommen, zu dieser Gnadenzeit,
weil unser Heil ist kommen, der Herr der Herrlichkeit,
zwar ohne stolze Pracht, doch mächtig, zu verheeren
und gänzlich zu zerstören des Teufels Reich und Macht.

5. Ihr Armen und Elenden zu dieser bösen Zeit,
die ihr an allen Enden müsst haben Angst und Leid,
seid dennoch wohlgemut, lasst eure Lieder klingen,
dem König Lob zu singen, der ist eu’r höchstes Gut.

6. Er wird nun bald erscheinen in seiner Herrlichkeit
und all eu’r Klag und Weinen verwandeln ganz in Freud.
Er ist’s, der helfen kann; halt’ eure Lampen fertig
und seid stets sein gewärtig, er ist schon auf der Bahn.

Text: Michael Schirmer 1640 Melodie: Johann Crüger 1640

Abkündigungen

Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 3. Advent 2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Konfis zünden die Kerzen am Adventskranz an.
Jesaja schreibt: Und sie schmieden Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert und übt nicht mehr den Krieg.

Begrüßung mit Votum

"Bereitet dem HERRN den Weg; denn siehe, der HERR kommt gewaltig." | Jes 40,3.10

MEDITATION zu Psalm 85
Wende dich zu uns, Gott,
und schenke uns dein Heil!
Lass uns doch hören und glauben,
was dein Wort uns verheißt,
dass du Frieden zusagst deinem Volk
und denen, die an dich glauben;
dass deine Hilfe nahe ist, allen, die dich fürchten;
dass Wahrhaftigkeit wieder einzieht in unser Land;
dass Güte und Treue sich begegnen,
Gerechtigkeit und Frieden sich küssen;
dass Vertrauen wächst
und Gerechtigkeit sich vom Himmel zu uns neigt;
dass du uns Gutes tust
und reiche Frucht hervorbringen lässt;
dass Friede sich ausbreitet,
wenn du kommst, um bei uns zu wohnen.
Wende dich zu uns, Gott,
und schenke uns dein Heil!

GEBET
Komm du uns nahe, guter Gott.
Komm mit deinem Frieden
in unsere unheile Welt.
Komm in unsere Herzen,
uns zu erlösen und zu heilen.
Wecke uns auf
und führe uns aus unserer Trägheit
und unserer Lieblosigkeit.
Mache es hell,
dass wir von deinem Licht ergriffen werden,
dass wir es heraustragen können zu unseren Nächsten
und einander gerecht werden.
Amen.

Lesung Jes 40,1-11
1Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. 2Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn  sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden.
Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4Alle Täler sollen erhöht werden, und
alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat’s geredet.
Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. 9Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10siehe, da ist Gott der Herr! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11Er wird seine Herde weiden wie ein
Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

Glaubensbekenntnis

Musik: EG 13

Predigt

Liebe Gemeinde,

es gibt Lieder, die haben einen wunderbaren Text. Deshalb werden sie oft gesungen. Und die Melodie hilft dabei, sich den wunderbaren Text zu merken. Und es gibt Lieder, da ist der Text fast egal – denn sie haben eine wunderbare Melodie. Solche Lieder singen sich einfach fantastisch, es macht Spaß, aus voller Kehle mit einzustimmen. Die wunderbare Melodie setzt sich im Ohr fest und der Text ist zweitrangig.

Das Lied „Tochter Zion, freue dich“, das wir eben gesungen haben – das ist solch ein Lied mit einer wunderbaren Melodie! Es ist eines der wenigen „alten“ Lieder in unserem Gesangbuch, das Menschen aller Altersstufe auch heute noch gerne singen. „Tochter Zion“ rangiert bei den Lieblingsliedern ganz oben und ist in jeder Weihnachtsliedersammlung zu finden.

Über den Text des Liedes denken viele beim Singen gar nicht groß nach. Er enthält eine Menge frommer Worte: Hosianna, sei gesegnet dem Sohnes Davids, Tochter Zion… Es ist eben ein altes Kirchenlied. Das versteht man heute nicht mehr so ganz. Aber das macht nichts! Es wird trotzdem gerne gesungen.

Dabei ist gerade dieser Text, der erst später zur Melodie dazu gedichtet wurde, ziemlich wichtig und interessant. Doch dazu nachher mehr.

Die wunderbare Melodie stammt von Georg Friedrich Händel, dem bekannten Komponisten des Barock. Hänel hat diese Melodie 1747 in London für sein Oratorium „Joshua“ komponiert. In diesem Oratorium ist sie ein Triumphgesang für den siegreich heimkehrenden Kundschafter Kaleb. Die Melodie kam damals so gut an, dass Händel sie gleich weiterverwendete und in die Neufassung seines Oratoriums „Judas Makkbäus“ einbaute. Dadurch ist die dann richtig berühmt geworden. See, the conquering heroe comes!“  - in der deutschen Übersetzung: „Seht, er kommt mit Preis gekrönt!“ Das war der ursprüngliche Text. Und dieser Triumphtext passte nicht nur zu den alttestamentlichen Gestalten, sondern genauso zu weltlichen Herrschern unterschiedlichster Epochen. Zu militärischen Zwecken wurde die Melodie mit dem Triumphtext immer wieder gebraucht – bis – ja, bis Händels Melodie gut 70 Jahre später einen neuen Text bekam!
Es ist der Text, den wir alle kennen und singen. Tochter Zion!

Worte, die so gar nicht militärisch – triumphierend klingen, an kein Schwertergeklirr erinnern – und doch von einem König sprechen: Aber was für ein König! Ein König, der allen König-Klischees widerspricht: Er reitet auf einem Esel, er ist mild, ein Friedefürst, dem es um ein ewiges Reich geht, ohne Siegesgeschrei und Waffengewalt.

Händels Melodie ist mit dem neuen Text noch bekannter geworden – das sieht man schon daran, dass das Lied in unserem Gesangbuch abgedruckt ist. Der neue Text verändert das Lied stark. Man könnte sogar einen Vergleich mit dem berühmten Prophetenwort „Schwerter zu Pflugscharen“ wagen: Die Worte de Lied „Tochter Zion schmieden die musikalischen Schwerter von Georg Friedrich Händel um zu friedlich-fröhlichen christlichen Pflugscharen, die im Dienste des gewaltfreien Davidssohnes Jesus stehen.

Orgel spielt Tochter Zion

Lassen Sie uns eine kleine Zeitreise machen. Wir sind zu Gast bei einem besonderen Abend vor knapp 190 Jahren.

Wir befinden uns in der Nähe von Nürnberg, im Haus des Lehrers und späteren Professors für Naturgeschichte Karl Georg Raumer. Er hat wieder einmal Freunde und Bekannte zu einem „musikalischen Salon“ eingeladen. Eine schöne Veranstaltung: Man isst zusammen, singt, musiziert und unterhält sich, auch über den Glauben. Denn der Glaube ist der Familie Raumer und ihren Freund:innen aus der Erweckungsbewegung sehr wichtig. Deshalb werden viele christliche Lieder bei diesen Hausmusikabenden gesungen und neue Texte ausprobiert.

Unter den Gästen ist auch der Lehrer Friedrich Heinrich Ranke, der wie Karl Georg Raumer an einer Reformschule in Nürnberg unterrichtet. Friedrich Ranke ist 25 Jahre alt, Theologe und noch auf der Suche nach dem richtigen Beruf.

Als Selma Schubert diesen Friedrich Ranke zum ersten Mal traf, hat sie ihn nicht weiter beachtet. Schließlich verkehrten viele interessante junge Männer bei der Familie Raumer. Selma ist regelmäßig zu Gast im musikalischen Salon, zusammen mit ihrem Vater Gotthilf Schubert. Nach einigen Wochen kommt Friedrich öfter in das Haus der Schuberts, denn Selmas Vater wird zu seinem Freund und Berater.

Und dann kommt jener besondere Hausmusikabend, der für Selma Schubert alles verändern sollte.     Man sang – wie schon öfter zuvor – den schönen Triumphchor aus Händels Oratorium „Judas Maccabäus“. Selma wagte danach zu sagen: „Eigentlich schade, dass diese festliche Melodie gar keinen richtig christlichen Text hat…“
Daraufhin blickte Friedrich Ranke Selma an, als sähe er sie zum ersten Mal, und meinte: Da kann ich helfen! Ich habe vor einigen Jahren einen eigenen Text zu dieser Melodie geschrieben. Es ist ein Lied für den Palmsonntag, mit vier Strophen.“

Selbstverständlich musste Friedrich Ranke seinen neuen Text in mehreren Abschriften zum nächsten musikalischen Salon mitbringen. Alle waren begeistert.
Selma Schubert aber und Friedrich Ranke hatten seit diesem Abend nur noch Augen füreinander. 1825 heirateten die beiden und Friedrich Ranke wurde ein Jahr später Pfarrer in Rückersdorf bei Nürnberg.

Im selben Jahr wurde sein Lied „Tochter Zion“, das er zu Händels Melodie geschrieben hatte, zum ersten Mal veröffentlicht. Auch ein weiteres Lied von ihm ist dabei: „Herbei o ihr Gläub’gen“.

Selma und Friedrich Ranke bekamen 8 Kinder, und als eines Tages ihr Sohn Johannes aus der Schule kam, meinte Selma ihren Ohren nicht zu trauen: Johannes sang „Tochter Zion“ vor sich hin. Das Lied hatte er in der nicht zuhause gelernt, sondern in der Schule. Selma fand heraus, dass das Lied mittlerweile so berühmtgeworden war, dass es in mehreren Schulliederbüchern zu finden war. Allerdings nur die ersten drei Strophen. Die Strophe für den Palmsonntag, in der der Esel erwähnt wird, ist bald weggefallen. Als der Dichter 1866 Oberkonsistorialrat in München wurde, sang man Händels Melodie nur noch mit den Worten „Tochter Zion“. Selma Ranke wunderte sich oft darüber, denn der Text ihres Mannes war doch so schlicht: kurze Sätze und kurze Strophen – sie hätte nie gedacht, dass sein Lied einmal berühmt werden könnte. Sie selbst hat es immer geliebt – gerade weil es so schlicht war. Wenn sie es sang, fühlte sie sich Jesus besonders nah. Als um 1900 Friedrich Rankes Text als „Geistliches Volkslied“ sogar ins Evangelische Gesangbuch aufgenommen wurde, haben das nur noch seine Kinder miterleben können.

Musik

Wir sind sozusagen zu Gast bei einer ganz normalen Familie, bei Ehepaar Schmidt mit ihren Kindern Anne und Paul.

Frau Schmidt ist am ersten Advent mit ihrer achtjährigen Tochter Anne im Gottesdienst. Eigentlich geht die Familie nur sehr selten in die Kirche, am Sonntag ist immer so viel anderen… Aber heute ist der 1. Advent und in der Adventszeit ist doch einfach schön. Mit den Kerzen und der Musik. Außerdem spielt Herr Schmidt seit kurzem im Posaunenchor mit, und der gestaltet den Gottesdienst musikalisch. Und Anne will unbedingt ihren Papa spielen hören.

Schon Wochen vorher hat Herr Schmidt immer wieder sein Lieblingslied mit der Trompete durchs Haus geschmettert: „Tochter Zion“. Eigentlich ist es nicht schwer zu spielen, dass man es dauernd üben müsste. Aber er spielt es einfach so gerne. Jede:r Blechbläser:in liebt dieses Lied! Das kann richtig geschmettert werden und ist nicht so ruhig und verhalten viele andere Adventslieder. Als Herr Schmidt nun dieses Lied mit dem Posaunenchor in der Kirche spielt – da wird für ihn Advent. Er vergisst seinen Ärger im Büro, den Familienstress beim Frühstück und ist einfach glücklich. Er lächelt seiner Frau und seiner Tochter in der dritten Bankreihe zu.

Anne freut sich über das Lied, das sie von Papas Trompete spielen zuhause so gut kennt, und sie singt eifrig mit in der Kirche. „Tochter Zion“. der Text kommt ihr allerdings reichlich komisch vor. Sie stupst ihre Mutter an und fragt: „Du, wer ist denn dieser Zion? Und was hat er für eine Tochter? Den Hosianna kenne ich auch nicht. War das wirklich ein Sohn von David?“ Frau Schmidt ist einigermaßen verblüfft über die Fragen ihrer Tochter. SO schnell fällt ihr dazu keine Antwort ein. „Erklär ich dir nachher zuhause!“, vertröstet sie Anne. Frau Schmidt ist mit ihren Gedanken gerade ganz woanders. Das letzte Mal war sie nämlich am Palmsonntag in der Kirche – und da wurde aus der Bibel als Evangelium die gleiche Geschichte vorgelesen wie heute. Der Einzug Jesu in Jerusalem – darüber hat sie noch nie nachgedacht, dass das auch eine Geschichte für den Advent sein könnte. Jetzt versteht sie das Lied „Tochter Zion“ ganz neu: Klar, da jubelt das Volk von Jerusalem Jesus zu. Er ist der Friedefürst und der ganz andere, milde König. Nur der Esel, auf dem Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem geritten ist, der fehlt in dem Lied „Tochter Zion!“ Aber sonst: Das Lied könnte man auch am Palmsonntag singen. Anscheinend gehören Advent und Passion, Weihnachten und Ostern mehr zusammen, als sie bisher wusste.

Später, beim Mittagessen zuhause, stellt Anne wieder ihre Frage: Sie hat sie nicht vergessen. „Wer ist eigentlich dieser Zion in dem Lied? Und was hat er für eine Tochter?“

Es ist einen Augenblick ganz still am Tisch.  Auch Anne Bruder Paul guckt betreten auf seinen Teller – wie in der Schule, wenn er eine Frage nicht beantworten kann. Dann sagt Frau Schmidt: „Zion, Anne, das ist kein Mensch, Anne. Das ist ein Berg. Und das ist wirklich schwer zu verstehen. Mittlerweile hat sich auch Paul wieder an das erinnert, was er letzte Woche im Konfiunterricht gelernt hat. Da haben sie das Lied auch gesungen und besprochen. „Zion ist ein Hügel in Jerusalem, Und bald hat man ganz Jerusalem auch Zion genannt. Das ist wie ein zweiter Name für die Stadt geworden. Und die Menschen von Jerusalem hat man damals als Volk eben „Tochter Zion“ genannt. Das ist so als wenn man alle Nauheimer „Kinder der Usa“ nennen würde.“ Herr Schmidt ergänzt noch: „In dem alten Lied sind mit „Tochter Zion“ alle Christ:innen gemeint. Sie sollen sich freuen, dass Jesus an Weihnachten auf die Erde kommt.“

„Ach so“, meint Saskia. „Dann verstehe ich das. Aber was ist mit dem Hosianna?“

Paul gluckst und Sagt: „das ist auch kein Mensch. Das sagte man früher halt so, wenn man jemanden toll fand und für ihn jubelte. Das heißt so viel wie „juhu, ich freu mich total, dass du da bist!“

Und Frau Schmidt ergänzt, was sie am Morgen in der Predigt gehört hat: „Ursprünglich hieß Hosianna „Hilf doch! Und war eine Bitte an Gott. Dann bedeutet das im Lied, dass der Sohn Davids uns helfen soll. Der Sohn Davids – damit ist Jesus gemeint. Jesus ist zwar Gottes Sohn, aber sein irdischer Vater Josef kam aus der großen Familie des Königs David. Deshalb nennt man Jesus auch Davids Sohn.“

Jetzt sind Anne Fragen alle beantwortet. Das meiste hat sie verstanden. Aber eigentlich gefällt ihr die Melodie viel besser als der Text. Die ist wenigstens nicht so schwierig. „Papa, spielst du das Lied nachher nochmal auf der Trompete? Vor unserem Adventskranz? Dann ist bei uns Zuhause auch richtig Advent!“ Amen.

Musik EG 19

Fürbitte
Gott, Du Lebendiger,
wir warten auf Dich.
Weihnachten, die Krippe, sind Zeichen deines Kommens,
so heißt es.

Andere warten darauf, dass endlich wieder Regen fällt,
dass wieder etwas auf den Feldern wächst für sie und ihre Familien,
sie warten, dass das Unwetter vorbei geht,
sie warten, dass ihr Asylantrag genehmigt wird,
dass sie endlich aus Schmutz und Vernachlässigung erlöst werden.

Gott, Du Barmherziger,
wir warten auf Dich.

Menschen warten, dass der Schmerz schwächer wird,
dass die Nacht endlich endet,
dass es heute nicht so schlimm wird,
dass sie endlich auch einmal ein bisschen Glück erleben.
Besonders bitten wir dich für die Angerhörigen  von denen wir in dieser Woche Abschied nehmen mussten. Sie warten auf deinen Trost, auf deine Liebe, die Ihnen hilft, die Trauer auszuhalten. Sei du bei ihnen und lass sie nicht allein. Lass dein Licht leuchten in ihre Dunkelheit. Und nimm unsere Verstorbenen auf in deinen ewigen Frieden. Wir zünden eine Kerze für sie an.

Gott, Du Verändernder,
wir warten auf Dich.

Menschen warten, dass die einsamen Feiertage schnell vorbei sind
oder die durch zu viel Nähe erdrückenden Tage,
andere warten auf einen Anruf, Besuch, einen anerkennenden Blick.

Lass alle Wartenden Deine Barmherzigkeit spüren,
Deine Nähe, die mitträgt.
Sie sind es, die die Wunde der Sehnsucht offen halten.

Wir bitten für uns
mit allem, was uns quält und was uns glücklich macht:
Gib uns Teil an deiner Verletzlichkeit und an deiner Heilkraft,
an Deinem Erbarmen.

Gott, Du Liebhaber allen Lebens.
Du wartest auf uns.

Vater unser

Musik: EG 21

Abkündigungen

Segen

Gottesdienst am 2. Advent 2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper + Team

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung

Herzlich willkommen zum Gottesdienst am 2. Advent, den wir Frauen vorbereitet haben.
Was meinen Sie, wie viele Stunden im Jahr verbringen wir mit Warten? Warten in der Supermarktschlange, am Telefon oder im Wartezimmer. Das sind bestimmt zig Stunden. Für mich würde ich sagen, da kommt im Jahr schon mal eine ganze Woche zusammen. Und dann gibt es das Warten noch in viel größeren Zusammenhängen. Warten auf Versöhnung, auf Heilung, auf Glück. Geduldig sein, das gehört zu unserem Leben. Und trotzdem ist es manchmal eine echte Herausforderung mit der Geduld.

Langmut, Gelassenheit, Verzweiflung und auch Wut.  Vielfältige Gefühle können aufsteigen, wenn Geduld gefragt ist. Erst recht, wenn uns das Leben mehr Geduld abverlangt als wir aufbringen können. Wir wollen heute zusammen darüber nachdenken, wie wir unsere Herzen stärken können.
Woraus schöpfen wir die Kraft, die wir in solchen Momenten im Leben brauchen? Was tröstet uns und was ermutigt uns?

Übung und Aufforderung zum aufrecht sein

Wir hören den Wochenspruch für diesen 2. Sonntag im Advent. Er steht bei dem Evangelisten Lukas im 21. Kapitel und heißt: „Richtet euch auf und erhebt euren Kopf! Denn eure Befreiung ist nahe!“

Die beiden Kerzen am Adventskranz werden entzündet.

Wir feiern diesen Adventsgottesdienst im Namen Gottes,
Liebe, die uns trägt,
Hoffnung, die uns aufrichtet
und Kraft, die uns ermutigt und bewegt. Amen.

Wir singen nun das Lied aus dem Liedblatt „Tochter Zion, freue dich“

Früher, als ich noch ein Kind war, dachte ich, nur Kinder müssen geduldig sein. Irgendwie hatte sich in meinem Kopf die Vorstellung festgemacht, dass man aus dem „Geduldig sein müssen“ eines Tages rauswächst. Nach und nach musste ich feststellen, dass ich völlig falsch lag. Vielmehr wurde mir klar, was alles in meinem Leben nicht in meinen Händen liegt. So Vieles können wir nicht erzwingen, ganz gleich wie sehr wir es wollen. Auf Manches können wir nur warten.

Also, ich muss zugeben, das mit dem Warten ist manchmal so eine Sache. Ich warte nicht gern. Das fängt schon morgens mit der Schlange beim Bäcker an. Mein Geduldsfaden reißt schnell. Ich will euch ein Beispiel geben zum Thema „Geduld“:

Ich erinnere mich an das „Bohnentagebuch“ meiner Tochter. Sie schrieb es für eine Schulaufgabe in der 2. Klasse. Jedes Kind bekam zwei weiße Bohnen, die es zunächst wässern und danach einpflanzen und beobachten sollte. Die Fortschritte sollten in einem „Bohnentagebuch“ festgehalten werden. Das Tagebuch meiner Tochter sah folgendermaßen aus:

1.    Tag: Habe die Bohnen gut gewässert.
2.    Tag: Heute habe ich sie in die Erde gepflanzt.
3.    Tag: Die Bohnen sind gegossen.
4.    Tag: Ich beobachte meine Bohnen.
5.    Tag: Jetzt heißt es abwarten.
6.    Tag: Es ist immer noch nichts zu sehen.
7.    Tag: Langsam habe ich keine Lust mehr.
8.    Tag: Immer noch bloß Erde!
9.    Tag: Oh Mann!

Oje, sowas kann sich aber auch hinziehen. Kam denn dann irgendwann der erhoffte Spross?

Das zog sich noch.
10.    Tag: Bohnen sind gut gegossen.
11.    Tag: Ich habe die Bohnen gerettet, Mama wollte sie wegwerfen.
12.    Tag: Immer noch nichts zu sehen.
13.    Tag: Sie wachsen endlich! Ich sehe etwas Grünes!

Ein Glück! Da wurde eure Geduld schlussendlich doch noch belohnt!

Dieses Bohnenexperiment hat meine Geduld auf die Probe gestellt.  Ich muss aber sagen, daraus habe ich viel gelernt. Viele Dinge brauchen zum Wachsen und Reifen Zeit. Aber wie viel Zeit sie benötigen, das liegt leider oft nicht in unseren Händen.
Gehen Sie nun mit unserer Bilderschau auf eine persönliche Entdeckungsreise zu den vielfältigen Facetten von Geduld:
 (Powerpoint – Präsentation)

Lassen Sie uns nun Verse aus Psalm 80 im Wechsel sprechen. Sie finden den Text in Ihrem Liedblatt:
Höre uns, Gott, du Hirte Israels,
der du dein Volk hütest wie eine Herde.
Komm und hilf uns doch!
    Richte uns, dein Volk, wieder auf.
    Lass dein Angesicht leuchten, blicke uns freundlich an,
    dann sind wir gerettet.
Gott der Himmelsmächte, kümmere dich doch
um deinen Weinstock, den du gepflanzt hast.
Dann wollen wir nie mehr von dir weichen.
    Erhalte uns am Leben,
    damit wir dich loben und deinen Namen
    anrufen. Amen.

(Kyriegebet) Wir beten:
Ewige Geistkraft, ach, könnten wir nur die Wege verstehen, die vor uns liegen. Es gibt so vieles, auf das wir warten, ja das wir erwarten:

Wir warten endlich wieder auf eine Veränderung zum Guten. Wir warten auf Heilung der Risse in unserer Gesellschaft. Wir warten auf Liebe und Nähe, wir warten auf dein Licht, das auch unser Leben erhellt.

Komm zu uns und mache hell, wo Finsternis die Herzen schwermacht. Gott, erbarme dich!

(Gloria) Gott hat sich über uns erbarmt und erwartet uns voll Langmut und Gnade: „Barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig und von großer Güte!“ (Psalm 103,8)

(Gebet) Du, Gott, erwartest uns geduldig, wenn wir nach dir suchen.

Mal zögernd, mal erwartungsfroh sind wir auf unserem Weg. Du kommst uns entgegen und sendest deinen Sohn in unsere Welt. Hilflos und klein.  Ein Zeichen der Hoffnung -  wie ein Same der Liebe – in unsere Herzen gelegt. Dafür danken wir dir. Amen.

Lied „Sehen können, was kein Auge sieht“ EG +3

Lesung
Der Bibeltext zum 2. Advent steht im 5. Kapitel des Jakobusbriefes. Die Menschen damals kannten dieses „Ringen mit dem eigenen Geduldsfaden“ nur zu gut. Es war keine einfache Zeit. In den noch jungen Gemeinden gab es viele Auseinandersetzungen. Oft ging es um die Frage, was macht Christsein wirklich aus? Was ist gutes und richtiges Verhalten?

Es war regelrecht ein Balanceakt, mit den verschiedenen Lebensrealitäten umzugehen, die in den Gemeinden zunehmend aufeinanderprallten. Immer mehr Reiche kamen dazu und der Jakobusbrief beklagt, dass solch wohlhabende Christinnen und Christen innerhalb des Gemeindelebens bevorzugt wurden.  Hingegen hatten es Witwen, Waise, Armen und kranke Menschen schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen und der Umgang miteinander führten zu Spannungen. Darum legt der Brief den Finger in die Wunde und sagt: Messt ihr euer eigenes Handeln überhaupt an eurem christlichen Glauben? Setzt ihr überhaupt in die Tat um, was ihr glaubt und betet?! Das ist an die Wohlhabenden gerichtet.

Zugleich ermutigt der Jakobusbrief aber auch die Gemeindemitglieder, die mit ihren schwierigen sozialen Lebensumständen zu kämpfen haben. Er fordert sie auf, geduldig auszuharren.

Denn über allem stand die Hoffnung der frühen Christinnen und Christen, dass der auferstandene Christus in nicht allzu ferner Zeit zurückkommen würde. Dann wären Ungerechtigkeiten, Schmerzen und Leid an ihr Ende gekommen. Und allen würde Gerechtigkeit widerfahren, die unter Unrecht litten. Bis dahin aber mussten die frühen Gemeinden zum geduldigen Durchhalten ermutigt werden. Doch nicht nur Ermutigung, sondern auch Trost steckt in den Worten, um die es heute morgen gehen soll.

Ich lese die Verse 7 und 8 in er Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache:
„Geduldet euch nun, meine Schwestern und Brüder, bis Jesus kommt. Auch diejenigen, die vom Acker leben, erwarten die kostbare Frucht der Erde so, dass sie sich gedulden, bis die frühen oder die späten Früchte reif sind. Geduldet auch ihr euch, stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald!“

Wir singen nun das Lied: „O Heiland, reiß die Himmel auf!“

„Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald“, schreibt Jakobus. Aber wie geht das…die Herzen stärken? Was macht mein Herz stark, wenn es verunsichert, erschrocken, verletzt oder vollkommen entmutigt ist?

Als Physiotherapeutin arbeite ich hier in Bad Nauheim in einer Rehaklinik. Täglich bekomme ich es bei meinen Patienten mit und habe es auch schon am eigenen Leib gespürt:  es ist schwer, auf einmal etwas nicht mehr so zu können wie früher.

Vielleicht sogar um Hilfe bitten zu müssen, für Sachen, die sonst selbstverständlich sind.

Wenn ich wieder lernen muss:  was kann ich meinem Körper an Belastung zumuten und wann brauche ich eine Pause…

Es ist wichtig, sich zu bewegen -  eine leichte Anstrengung zu spüren. Und es ist wichtig, sich zu entspannen, um die Selbstheilungskräfte zu fördern.

Es braucht Geduld, um dieses Gleichgewicht zu finden, wenn ich eine Krankheit durchgemacht habe. Aber auch im Alltag, als Eltern zum Beispiel, vergisst man gerne die Ruhepausen.

Und manchmal, das kennt jeder von uns, muss man sich auch bei schlechtem Wetter zu einem Spaziergang oder zur Bewegung ermutigen.

Bewegung ist wichtig, genauso wichtig wie richtige Entspannung.

Es ist für uns alle wichtig, immer wieder neu zu schauen:  Was ist für mich gut? Wie kann ich mein Herz stärken? Diesen Weg zu finden, das braucht Geduld.

Musik: Mache dich auf und werde licht EG +1

„Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald!“ Manchmal können es auch andere Menschen sein, die stärken und aufrichten. Mir gibt das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammenhalt viel zurück.

Uns hat der Bericht einer Frau erreicht, die für kirchliche Frauengruppen verantwortlich ist: „Es ist noch gar nicht so lange her“, schreibt sie. „Es war im letzten Dezember. Unsere Frauengruppen hatten sich nun seit Monaten nicht getroffen. Und irgendwann machten sich Zweifel breit: würde es nach der Pandemie wieder so werden wie es einmal war? Oder haben sich bis dahin womöglich alle an die neue Routine gewöhnt? Und was ist mit den Frauen, die keine oder wenig Familie haben? Fühlten die sich womöglich abgehängt und allein gelassen? Im Leitungsteam überlegten wir hin und her, wie wir mit unserem Weihnachtsgruß ein Stück unserer Verbundenheit zueinander wieder aufleben lassen könnten. Meiner Kollegin kam dann die zündende Idee. Unserem Rundbrief legten wir eine Wunderkerze bei. Wir richteten den Wunsch an die Frauen, diese auch wirklich anzuzünden und nicht in der Schublade verschwinden zu lassen. Sie sollten sie anzünden in dem Bewusstsein, dass unsere Gedanken aneinander uns etwas Licht in diese dunklen Zeiten bringen können. Wir alle brauchten in jenen Tagen eine Ermutigung weiterzumachen und wollten die Verbindung untereinander wieder spüren. Die Reaktionen auf die Wunderkerze waren sehr zahlreich. Viele reagierten erfreut, beinahe überschwänglich. Eigentlich war es doch eine einfache Geste. Aber sie hat uns an unsere Gemeinschaft erinnert. Und uns im Leitungsteam hat die Freude darüber so unendlich viel zurückgegeben.

Musik: Mache dich auf und werde licht EG +1

„Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald!“

Unser alltägliches Leben ist von Routinen und Ritualen durchzogen. Manchmal ist mir das gar nicht so bewusst. Aber Rituale sind mehr als bloße Gewohnheit. Rituale können in uns etwas bewirken.

In der Zeit um den Ewigkeitssonntag geht es mir oft nicht gut. Es ist die Zeit, in der ich einen für mich unendlich wichtigen Menschen verloren habe.  Wenn dann in der folgenden Woche der erste Advent ist, trifft mich das wie ein Schlag. Von dieser Vorfreude im Advent bin ich meilenweit entfernt. Meine Kinder sind noch klein. Sie platzen fast vor Neugierde auf ihre Adventskalender, das gemeinsame Backen, den Adventskranz und all die adventlichen Lichter im Haus. Pünktlich zum ersten Advent also werden all die Schachteln aus dem Keller geholt und unser Zuhause geschmückt und hergerichtet mit allem, was für uns dazu gehört.    Jahr für Jahr passiert dann etwas Eigenartiges: die erste Kerze am Adventskranz zünde ich um der Kinder willen an und die Schachteln mit dem Adventsschmuck öffne ich zögerlich, beinahe widerwillig. Und dann, Tag für Tag, kommt es mir so vor, als zögen mich nach und nach all die Lichter, die adventlichen Düfte und Klänge aus meiner Trauer heraus.  Sie machen Raum in mir. Sie schaffen Platz in mir für die große Hoffnung, die wir mit dem Kind von Bethlehem verbinden.

Musik: mache dich auf und werde licht EG +1

Aktion
Sie alle haben eine Postkarte von uns erhalten. Nehmen Sie diese nun gern zur Hand und betrachten Sie mit mir das Bild.

Ich sehe eine Frau, die ihr Herz weit öffnet. Sie schaukelt mit beinahe kindlicher Freude. Sie fühlt sich leicht. Vielleicht stellt sie sich vor, sie fliegt. Mit allen Sinnen präsent ist sie genau in diesem einen Augenblick. Sie strahlt Lebensfreude aus. Mit Selbstvertrauen tut sie, was ihr guttut. Am Abend wird sie sich mit einem Lächeln an die Schaukel erinnern. Sie spürt, was ihr Herz stärkt.

Spüren, was uns guttut und belebt. Wahrnehmen, was uns aufrichtet und stärkt. Das wollen wir nun, jede und jeder für sich, bedenken. Sie haben mit der Karte auch einen Stift erhalten. Bitte drehen Sie die Karte nun um. Und nehmen Sie sich einen Augenblick für sich selbst. Überlegen Sie, überlegt: was stärkt Ihr Herz? Was stärkt euer Herz? Und welchen Wunsch möchten Sie jemandem weitergeben?

Bitte vervollständigen Sie während der Musik die Satzanfänge der Karte. Nach dem Gottesdienst dürfen Sie die Karte gern mit nachhause nehmen.

Fürbitten
Wir wollen nun miteinander die Fürbitten halten.

Unser Gott, lebendige Geistkraft, du begleitest uns auf unseren Wegen und wartest mit Geduld auf unser Bitten und Danken. Du hältst auch unsere Ungeduld aus, die Momente, wo uns der Geduldsfaden reißt.  Auf dich vertrauen wir.

Unser Gott, lebendige Geistkraft, wir bitten dich für alle, die auf dich warten. Für die Menschen, die auf der Suche sind nach Sinn, nach neuen Wegen, nach Sicherheit.  Dabei denken wir an alle, die einen Menschen verloren haben und nun den Neuanfang suchen. (Bitte für Verstorbene und ihre Familien).

Wir bitten dich für alle, die müde und ausgebrannt sind, die nicht wissen, wo sie neue Kraft schöpfen können -  in den vielen Belastungen im Alltag, in der Schule und im Beruf. Nach Krankheiten, nach der langen Isolation durch Corona. Ganz besonders denken wir an die Pflegekräfte und Ärzte. Lass sie alle wieder ein Licht sehen.
SP: Wir bitten dich für uns und alle Menschen, deren Geduld immer wieder an Grenzen stößt. Schenke uns Lichtblicke, Fantasie und freundliche Menschen, die unsere müden Herzen beleben und stärken.

Unser Gott, lebendige Geistkraft. Wir sind erschrocken über das Unrecht, über die Kriege und den Hunger auf unserer Welt. Wir bitten dich um das Ende deiner Geduld. Beseitige Hass und Gier, Ausbeutung und Unterdrückung. Lass die Mächtigen verantwortungsvoll handeln und die Reichen ihren Überfluss teilen.   Und in der Stille bringen wir unsere Bitten vor dich.  …….. Erhöre unser Gebet.

Und gemeinsam beten wir nun das

Vaterunser
Abkündigungen

Segen
Gott segne und behüte dich.
Gottes Sohn erfülle dich mit Geduld und Kraft.
Gottes Geist stärke dir dein Herz.
Und Gott begleite dich auf allen deinen Lebenswegen.
So segne dich Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.   Amen.
Musik

Gottesdienst am 1. Advent 2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Brot für die Welt 63. Aktion - Schenken wir unserem Traum das Leben

Musik zum Eingang

Kerze am Adventskranz anzünden
Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel.  (Sacharja 9,9)

Begrüßung und Votum

Lied 1: Macht hoch die Tür, 1-3

MEDITATION ZU PSALM 24

Macht die Tore weit
und alle Türen in der Welt hoch,
dass Gott wie ein König einziehe.

Warum sollen wir die Türen öffnen,
damit Gott zu uns kommt wie ein König?
Gehört ihm nicht schon die Erde,
die er aus dem Chaos geschaffen hat?
Und sind nicht alle Geschöpfe des Erdkreises
das Werk seiner Hände?

Macht die Tore weit
und alle Türen in der Welt hoch,
dass Gott wie ein König einziehe.

Wer kann die Gegenwart Gottes ertragen,
wenn er zu uns kommt, um bei uns zu wohnen?
Wer für Gerechtigkeit eintritt
und nach Frieden trachtet
und sich vergeben lässt,
wo er schuldig geworden ist.

Macht die Tore weit
und alle Türen in der Welt hoch,
dass Gott wie ein König einziehe.

Wer Gott die Tore öffnet
und für ihn die Tür seines Herzens weit macht,
der wird Segen empfangen,
und seine Gebete werden den Weg zu Gott finden.
Darum machet die Tore weit
und alle Türen in der Welt hoch,
dass Gott wie ein König einziehe.

Musik: Engel wird angekündigt

Anspiel

Musik

Ansprache

Jeremia 23,5-8
Seht, es kommt eine Zeit, in der ich für David einen Nachfolger einsetzen werde, einen gerechten Spross.– Ausspruch des Herrn –Er wird als König herrschen und gut regieren. Recht und Gerechtigkeit werden ihn auszeichnen, und er wird sie im Land durchsetzen.6Zu dieser Zeit wird Juda gerettet werden, und Israel wird in Sicherheit leben. Das wird der Name sein, den man ihm geben wird: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit!«
7Seht, es kommt eine Zeit, in der man Gott einen anderen Beinamen geben wird.– Ausspruch des Herrn –Dann sagt man beim Schwören nicht mehr: »So gewiss der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägypten geführt hat!«8Stattdessen wird man sagen: »So gewiss der Herr lebt, der die Nachkommenschaft Israels herausgeführt hat! Er hat sie aus dem Land im Norden befreit. Er hat sie aus allen Ländern zurückgebracht, in die er sie vertrieben hatte. Jetzt leben sie auf ihrem eigenen Land.«

Liebe Gemeinde,
„Seht, es kommt eine gute Zeit…“ so beginnt die Botschaft des Propheten Jeremia an seine Mitmenschen. Eine Botschaft, die wie ein Traum klingt. Denn das Leben der Menschen, zu denen Jeremia da spricht, ist bedroht. Krieg steht vor der Tür. Der babylonische König Nebukadnezzar erobert nach und nach die um ihn herumliegenden Länder und ist dabei nicht zimperlich. Wer sich in den Weg stellt wird zerstört. Jerusalem wird zerstört und die Menschen werden verschleppt. Das Leben, so wie es bisher gewesen ist – es ist unwiederbringlich vorbei. Auch uns heute ist dieses Gefühl bekannt, dass nichts mehr so ist, wie wir es über Jahre und Jahrzehnte kannten.

In diese Situation ruft Jeremia den Menschen die Zusage Gottes zu: „Seht, es kommt eine gute Zeit, in der ich für David einen Nachfolger einsetzen werde, einen gerechten Spross. Er wird als König herrschen und gut regieren. Recht und Gerechtigkeit werden ihn auszeichnen, und er wird sie im Land durchsetzen“ Eine Botschaft wie ein wunderschöner, aber ferner Traum.

Auch unsere Träumenden hier sehnen sich nach Gerechtigkeit. So wie wir alle diesen Wunsch in uns tragen. Wir feiern heute den ersten Advent. Viele Lichter leuchten schon in unserer Stadt und in unseren Häusern. Lichter, die etwas von Sehnsucht verraten nach Gerechtigkeit und Frieden. Lichter, die das Dunkel in und um uns erhellen. Die Spannung und die Vorfreude wachsen in jedem Advent, je näher das Weihnachtsfest rückt. Wie wird der Weihnachtsbaum wohl geschmückt sein? Welche Geschenke werden für mich auf dem Gabentisch liegen? Werden die anderen sich über meine Geschenke freuen? Anstatt der ersehnten Ruhe breitet sich meist Hektik und Unruhe aus.

Doch auch in diesem Jahr drängen sich Fragen und Sorgen in diese Adventszeit: Wie wird sich die Corona-Lage in unserem Land, in unserer Stadt entwickeln? Welche Einschränkungen werden auf uns zu kommen, um die Lage in den Krankenhäusern in den Griff zu bekommen? Werden wir weiter gemeinsam Gottesdienste feiern können? Wie werden wir Weihnachten feiern? Gemeinsam oder einsam? – Fragen, von denen ich im letzten Jahr gehofft hatte, sie mir nie mehr stellen zu müssen.

Wir bereiten uns auf Weihnachten vor, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf vieles davon kurzfristig ändern zu müssen. Hier in der Gemeinde, aber auch in der Familie.
 
Die Menschen in Juda damals wussten nur eins: Unsere Heimat, unsere Häuser sind zerstört. Wir werden nicht mehr beisammen sein. Verzweiflung und Schmerz machten sich unter den Menschen breit.

Auch heute leiden Menschen darunter, dass ihr Alltag, ihr Leben bedroht ist. Die Bedrohung heute hat viele Namen. Einer dieser Namen ist der Klimawandel unter dem Jantti aus Bangladesh mit ihrer Familie schon heute jeden Tag leidet. Der Weltklimagipfel in Glasgow hat daran nicht wirklich etwas ändern können. Und das verzwickte an der Sache mit dem Klima ist ja, das wir alle, so wie wir hier sitzen, an dieser Sache beteiligt sind, ohne dass wir es wollen. Einfach, weil wir unseren Alltag so leben wie wir es gewohnt sind. Jantti räumt davon, einmal sicher leben zu dürfen. Wird dieser Traum ihr Kraft geben?

Pia träumt von einer Welt mit sauberer Luft und Straßen ohne Autos, dafür mit viel Platz zum Spielen. Ob unsere Welt je so sein wird?

Kommen wir zurück zu Jeremias Wunschvorstellung: Da soll einer kommen, der für Recht und Gerechtigkeit sorgen wird. Für uns heute ist ganz klar, dass damit Jesus gemeint ist. Gottes Sohn, der Messias. Aber für die Menschen, die 700 Jahre vor Jesu Geburt gelebt haben, war das keineswegs klar. Sie ahnten nicht, dass da einer kommen würde, der den Menschen ganz viel von Gottes Liebe zu uns Menschen erzählen würde. Davon, dass wir alle bei Gott geborgen sind – auch über den Tod hinaus.

Dietrich Bonhoeffer glaubte, dass Gott auf verantwortliche Taten wartet und antwortet. Und die Theologin Dorothee Sölle hat einmal gesagt: „Gott hat keine Hände, nur unsere Hände.“ Ob Gott nun Hände hat oder nicht – wer weiß das schon. Aber eines wissen wir sicher. Gott möchte, dass wir unsere Hände tatkräftig einsetzen – uns Menschen einander zum Wohl und Gott zum Lob. Und das können wir in unserem Alltag ganz sicher.

Seht, es kommt eine Zeit, in der ich für David einen Nachfolger einsetzen werde, einen gerechten Spross.– Ausspruch des Herrn –Er wird als König herrschen und gut regieren. Recht und Gerechtigkeit werden ihn auszeichnen, und er wird sie im Land durchsetzen.6Zu dieser Zeit wird Juda gerettet werden, und Israel wird in Sicherheit leben. Das wird der Name sein, den man ihm geben wird: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit!«

Gott hat uns seinen Sohn geschickt, um allen Menschen auf der Welt von seiner Liebe zu erzählen. Aus Israel ging diese Kunde um die Welt und immer mehr Menschen nahmen sie ernst und sahen sich als Weltgemeinschaft. Nahmen Rücksicht aufeinander, bewahrten Gottes Schöpfung und sorgten für ein gutes Leben in Frieden für alle auf dem Planeten.

Das wäre doch ein schöner Traum, den wir alle mit unseren Händen Stück für Stück ein wenig mehr in die Realität holen könnten und einen guten Handabdruck hinterlassen. Lasst uns doch damit in diese Adventszeit gehen. Amen.

Musik

Fürbitten mit Liedruf eg+ 1

Gott, du bist das Leben.  
Du hast uns Menschen durch  
die Geschichte begleitet.
Schenk uns das Bewusstsein dafür,  
dass wir nicht nur durch die Zeit  
sondern auch weltweit  
mit allen Menschen verbunden sind.  
Lass uns aufmerksam werden  
auf unsere Entscheidungen  
und was sie für Menschen bedeuten,  
die weit entfernt von uns leben.  
Denn: Gott kommt!

Liedruf: Mache dich auf und werde Licht!

Gott, du bist das Wort.  
Das Wort, das am Anfang war  
und das auch nach  
unserem Ende noch sein wird.  
Sei bei uns und sei besonders  
bei den Menschen,  
die als Politikerinnen und Politiker  
unsere Welt maßgeblich gestalten.  
Schenke ihnen ein tiefes Verständnis  
für die weltweite Verbundenheit  
aller Menschen und hilf ihnen,  
ihre Verantwortung gut zu tragen.
Denn: Gott kommt!

Liedruf: Mache dich auf und werde Licht!

Gott, du bist die Hoffnung.  
Die Hoffnung auf eine gerechtere Welt,
 die sich nicht von allein einstellt,  
sondern die wir bauen müssen ‒  
im Großen wie im Kleinen.  
Öffne uns die Augen für das,  
was wir tun können,  
um etwas dazu beizutragen.  
Zeige uns, wie wir unseren Träumen  
zum Leben verhelfen können.
Denn: Gott kommt!

Liedruf: Mache dich auf und werde Licht!

Gott, du bist die Liebe.  
So lass uns auch nun voller Liebe  
in die kommenden Adventswochen gehen.
Lass unsere Liebe so groß werden,  
dass sie die Menschen überall  
auf der Welt einschließt: die Menschen,  
die unseren Kaffee, Tee und Kakao
irgendwo auf der Welt geerntet haben.  
Die Kleider genäht haben,  
die wir am Körper tragen.  
Die so mit uns verbunden sind.
Denn: Gott kommt!

Liedruf: Mache dich auf und werde Licht!

Gott, die bist unsere Hoffnung auch über den Tod hinaus. Und so bitten wir dich für unsere Gemeindeglieder _, von denen wir Abschied nehmen mussten und die wir unter deinem Wort bestattet haben.  Wir zünden eine Kerze für sie an. Schließe du sie in deine Arme und schenke ihnen Ruhe und deinen ewigen Frieden. Sei bei ihren Angehörigen mit deinem Trost und zeige ihnen Wege zurück ins Leben.

Vater unser

Abkündigungen und Kollektenansage

Lied: EG 18 Seht die gute Zeit ist nah

Segen

Musik zum Ausgang

Andacht zum 1. Advent 2021 von Pfarrerin Meike Naumann

Musik zum Anfang

Begrüßung mit Votum

Psalm 24: EG 712

Gebet
Ja, komm,
und wohne unter uns,
guter Gott.

Streu deinen Frieden
Uns ins Herz.

Lass leuchten unser Antlitz
Unter deinem Segen.
Sprich dein „Fürchte dich nicht!“
In unser Verzagen.

Lass einen Stern aufgehen
In unseren Nächten.

Und beflügele uns,
damit wir hier und da
zu Engeln werden.

Lied: EG 1 Macht hoch die Tür

Ansprache zur Karte „bewegt“

Was kommt da auf uns zu? So mag sich manche und mancher jedes am Übergang in das neue Kirchenjahr denken. Denn der Advent ist ja wie eine Schelle. Er öffnet die Tür in eine andere Zeit. Wir betreten damit stets Neuland, mag es uns aus all den Jahren unserer Lebensgeschichte auch noch so vertraut sein.

Advent heißt Ankunft. Darin verbirgt sich jede Menge an Vorfreude, Spannung und Bewegung. Eine Zeit voller Erwartung, voller Hoffnung. Durchaus auch mit mancherlei äußerlicher Vorbereitung verbunden.

Mit dem Übergang in die adventlichen Tage gehen wir auf etwas zu. Aber zugleich kommt uns auch etwas entgegen. Es kommt was auf uns zu. Denn der Advent lockt heraus aus der Routine des Jahres, das durch elf Monate hindurch müde geworden ist.
Ein Jahr, das, wie einige davor, geprägt war vom Blick auf steigende und sinkende Inzidenzen, Impfquote, Vorsichtsmaßnahmen und Abstand voneinander halten, um sich und andere nicht zu gefährden. Ein Jahr auch, in dem die Klimaveränderungen deutlicher und für viele existentieller und schmerzlicher als je zuvor spürbar geworden sind.

Advent: Worauf gehen wir zu, was kommt uns entgegen?

Als Glaubensgemeinschaft sind wir zu unserer Zeit, heute, Teil einer langen Hoffnungsgeschichte. Einer Geschichte, in der Menschen – gegen jeden Augenschein – ihr Vertrauen immer wieder auf Gott gesetzt haben.  Ich stelle mir vor: Für einen Augenblick öffnet sich der Vorhang der Geschichte. Er gibt uns Einblick in das 6. Jahrhundert vor Christus. Wir befinden uns mitten im Neubabylonischen Reich, dem Zentrum der damaligen Weltmacht. Dort herrscht König Nebukadnezar II. Er galt als angesehener Staatsmann, Heerführer, Friedensstifter und Bauherr. Jedoch nicht bei allen und für alle.

Zu dieser Zeit gab es einen, der hatte schon immer mal eine leise Stimme in sich vernommen. Sie sang ein Hoffnungslied; das sich wie ein Summen auf seine verzagte Seele gelegt hat. Nun ist es kräftiger geworden. Soll er ihm trauen? Soll er sein Herz davon bewegen lassen und es laut sagen, was sich in ihm anstimmt? Soll er den Menschen Mut machen, auch wenn er sich selber noch nicht sicher ist?

Seit drei Generationen leben sie nun schon hier in Babylon in der Verbannung. Nur die wenigsten glauben noch daran, dass es eine Rückkehr in die Heimat geben kann. Die Heimat: Das ersehnte und oft beweinte Jerusalem.

Die meisten haben sich ja in der Zwischenzeit gut eingerichtet hier in der Fremde. Die Wunden des Krieges und der Verschleppung bluten nicht mehr. Sie sind vernarbt. Ja sicher, es war wie ein Erdbeben damals, als Jerusalem geplündert worden war und der Tempel zerstört. Vieles wofür man gelebt, was Orientierung gegeben hatte, war vernichtet. Doch das ist lange her. Man hat sich Häuser gebaut im fremden Land, macht Geschäfte, sorgt sich um das tägliche Auskommen. Der Götterkult der Herren des Landes wir vorsichtig und von weitem beäugt. Von ihrem Gott JHWH erwarten sich nur noch die wenigsten etwas. Ob er sein Volk vergessen hat? Auch diese Frage wird nicht mehr sehr oft gestellt. Die Jungen wissen längst nicht mehr, wovon die Älteren sprechen, wenn sie von „daheim“ reden.

Hier in Babylon ist wohl auch lange Zeit hin keine Änderung in Sicht. Hier ist kein Advent zu ersehnen.

Und doch: Da ist sie wieder diese Stimme, die sich in ihm festsetzt. Sie raunt ihm ermunternd zu:

„Tröstet, tröstet mein Volk!,  spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; …Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserem Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade und was hügelig ist, soll eben werden.“ (JEs 40,1-3)

Ein Weg, den Gott zu seinem Volk nimmt? Er wird selber kommen?
Soll sich der Prophet, in dem sich diese Worte festgesetzt haben, von der Botschaft Gottes bewegen lassen? Wird er sich ein Herz nehmen und si den Menschen weitersagen?
Jesaja hat der Stimme vertraut. Durch ihn wird der Trost zur Muttersprache Gottes.

Jesaja hat die Heimkehr verheißen. Sie hat sich erfüllt.
Das Volk Israel hat nach bewegten Jahren in der Fremde mit der Zeit und nach mühsamen Aufbauarbeiten wieder in der Heimat Fuß gefasst.
Nun lebt es jedoch seit über 60 Jahren unter der Herrschaft der Römer. Mehr denn je ersehnen die Menschen den von Gott verheißenen Messias. Auch, um durch ihn das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln.

So sind wir hier, wieder in Tagen des Advents, der Erwartung auf große Ereignisse, angekommen.

Der Advent bringt Menschen in Bewegung. Zu jeder Zeit. Er macht der Sehnsucht Beine. Der Evangelist Lukas ermöglicht uns in seinem Evangelium einen Blick auf die Wege sehr unterschiedlicher Menschen. Viele sind aufgebrochen, haben sich auf den Weg gemacht. Manche vom Himmel bewegt, andere von ihrer Vorfreude oder durch einen Stern. Und wieder andere wurden durch kaiserliche Vorgaben genötigt, unterwegs zu sein. Der Blick geht zuerst zu Maria. Sie eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa heißt im Lukasevangelium 1,39-43

„Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mit, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“

Sie hat es eilig, schreibt der Evangelist. Lukas verwendet dieses Wort wieder als die Hirten die Botschaft erhalten, dass in der Stadt Davids der Retter geboren wurde. Auch sie gingen eilends zum Stall um zu sehen, was da geschehen war.

Die adventliche Bewegung, die von Gott ausgeht, hat nichts mit Hetze, Zeitnot oder Stress zu tun. Es ist eine Bewegung, die sanft entsteht, dann aber Beine macht. Denn diese Gotteseile entspringt einer inneren Anziehung, einer bewegenden Verlockung. Wenn Gott im Kommen und am Werk ist, dann wird und darf man sich durch nichts und niemanden aufhalten lassen. Maria also sputet sich. Sie hat inneren Rückenwind, ist voll gespannter Erwartung, ob es wirklich stimmt, dass ihre Verwandte Elisabeth ebenfalls guter Hoffnung ist.

Guter Hoffnung sein. Das ist eine Grundbewegung des Advents. Denn in der Tat verbinden sich mit dem Kind, das in Maria heranwächst, unzählige Hoffnungen. Jesus wird – für die Menschen aller Zeiten – eine Leuchtspur der Hoffnung sein. Im Lobgesang des Zacharias heißt es über ihn, dass er das aufstrahlende Licht aus der Höhe ist, das allen leuchtet, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes. Um dies anzudeuten, kommt auch das werdende Leben im Schoß von Elisabeth in Bewegung. Johannes macht einen Freudensprung, als wäre er bereits geboren und würde den begrüßen, von dem er später sagen wird, dass dieser bedeutender sei als er.

Lied: Wie soll ich die empfangen EG 11,1-2

Zum Bild:
Sie hat Würde, diese Frau, die durch das offene Tor geht.
Wie eine Königin schreitet sie aus.
Eingehüllt in ein Kleid aus Zuversicht.
Es wird mit den Händen gerafft, damit der saum nicht zum Stolpern verleitet.
Mit einem Fuß hat sie die Schwelle ins Neuland bereits überschritten.
Ihr Blick ist nach vorne gerichtet.
Hat sie ein Ziel vor Augen oder geht sie einfach los?
Was sie wohl an diesem Durchschritt durch das Tor bewegt?
Bemerkt sie den Übergang?
Übergänge vollziehen sich ja immer zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“.
Das nimmt ihnen manchmal die Leichtigkeit, kann unsicher machen, zögern oder zaudern lassen.
Aber hier ist der erste entscheidende Schritt bereits getan. Sie geht ja offentlichtlich voller Beherztheit und Kraft.
Kein Blick zurück auf das Vergangene, das längst hinter ihr liegt.
So macht sie Mut, den Tagen des Advents getrost entgegenzugehen.

Der Advent bewegt: innerlich und äußerlich. Gott kommt uns entgegen. Wir gehen auf ihn zu.
Advent ist bis heute eine Bewegung auf ein Ziel hin: zum Stall, zur Krippe, zum Kind. In ihm zeigt sich uns der unfassbare Gott. In einem hilflosen Kind, das uns entgegenlächelt.
Auf, lasst uns nach Bethlehem gehen!

Lied: 18 Seht die gute Zeit ist nah!

Gebet
Die Wege des Advents
Haben ihre ganz eigene Gestalt.
Nicht immer sind sie geradlinig,
gut beschildert oder ohne Hindernisse.

Es gibt so vieles, was aufhält und ablenkt,
was anstrengt, müde macht oder zaudern lässt.

Aber du Gott bist mit denen, die dich suchen,
sei es auf geraden oder verschlungenen Wegen,
in der Alltäglichkeit des Arbeitens, der Verpflichtungen,
der Sorge und Fürsorge für andere.

Du begleitest die Übergänge und kennst die Schwellenängste.

Du bist verlässlicher Garant dafür,
dass die adventlichen Wege
die Verheißung eines Zieles in sich tragen.

Sie führen zum Kind.
Zu Jeschua: Gott rettet.
Zu Immanuel: Gott mit uns.

Das ist der Name des Kindes.
Das ist dein name, Gott.
Du bist das Warten, das nach uns Ausschau hält.
DU bist der Weg, der uns bewegt,
der unserer Hoffnung
und Sehnsucht nach Sinn Beine macht.

Vater unser

Segen
Gott, der uns bewegt
Und stärkenden Rückenwind gibt,
wenn wir ihm entgegengehen,
er segne und behüte uns.

Gott sei uns nahe
In den Tagen des Advents,
der Vorbereitung und der Erwartung.

Gott stärke uns im Alltag
Und trage uns,
wenn die Hoffnung schwächer ist als die Zuversicht.
So segne und behüte uns,
Gott, Vater, Sohn und heiliger Geist.

Lied: Macht hoch die Tür, EG 1, 4-5

Gottesdienst am 21.11.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

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Musik

Begrüßung
Zum Gottesdienst begrüße ich Sie herzlich hier in der Dankeskirche.
Gottesdienst am Toten- oder Ewigkeitssonntag. Viele Gedanken und Gefühle sind heute mit den Verstorbenen verbunden. Wir denken an Gespräche mit ihnen, an Erlebnisse, an die Nähe mit den Menschen, die uns lieb waren und sind und die nun nicht mehr bei uns leben.
Und wir spüren: es tut uns weh.

Der Wochenspruch will uns Hoffnung machen: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen.“ (Lk 12,35) – Das bedeutet: Bleibt in der Hoffnung, seid bereit für das was auf euch zukommt und für den, der auf euch zukommt. Denn bald schon ist sein Advent.

Angesichts hoher Inzidenzen sind wir froh darüber, weiter Gottesdienst feiern zu können.
Wir bitten Sie unbedingt auf Abstände zu achten /  /
Beim Singen entweder Ihre Maske aufzusetzen oder nicht zu singen.
Ich wünsche uns einen sicheren und gesegneten Gottesdienst.

Eingangslied:        450, 1 – 4     Morgenglanz der Ewigkeit

Votum

Psalmgebet

Aus Psalm 90 EG W 735
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen
 
Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.
Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden,
bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
     Der du die Menschen lässest sterben
und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!
 Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist,
und wie eine Nachtwache.
     Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom,
sie sind wie ein Schlaf,
     wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst
und des Abends welkt und verdorrt.
 Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen,
und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen.
     Denn unsre Missetaten stellst du vor dich,
unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht.
 Darum fahren alle unsre Tage dahin durch deinen Zorn,
wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz.
     Unser Leben währet siebzig Jahre,
und wenn’s hochkommt, so sind’s achtzig Jahre,
 und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe;
denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.
     Wer glaubt’s aber, dass du so sehr zürnest,
und wer fürchtet sich vor dir in deinem Grimm?
 Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.
     Herr, kehre dich doch endlich wieder zu uns
und sei deinen Knechten gnädig!
 Fülle uns frühe mit deiner Gnade,
so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang.
     Erfreue uns nun wieder, nachdem du uns so lange plagest,
nachdem wir so lange Unglück leiden.
 Zeige deinen Knechten deine Werke
und deine Herrlichkeit ihren Kindern.
     Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich
und fördere das Werk unsrer Hände bei uns.
Ja, das Werk unsrer Hände wollest du fördern!

Eingangsgebet
Und ich?
Wie oft fragen wir das, barmherziger Gott.
Wir fragen es laut und leise, verzweifelt und trotzig.
Und ich? Zurückgelassen fragen wir es heute.
Verloren haben wir einen Menschen, der mit uns das Leben und die Zeit teilte, den Weg, den Morgen, den Mittagstisch, die Sorgen und die Freuden.
An seinem Ende waren wir da, haben es versucht, bei ihm zu sein, so vieles, jetzt sind wir nach seinem Ende immer noch da.
Er ist vorausgegangen: in Richtung Auferstehung.
Und wir? Zurückgelassene. Hinterbliebene.
Dich fragen wir das, gütiger Gott, oft unverständlicher Gott. Und ich? Was wird mit uns?
Schaue auf uns, in unsere Gesichter, auf unsere Hände, hinein in unser Leben.
Das bitten wir dich, durch Jesus Christus, deinen Sohn.
Amen.
 
Lesung und Predigttext
5. Mose 34, 1 – 8 , Moses Tod 1 Und Mose stieg aus der Wüste von Moab auf den Berg Nebo, auf den Gipfel des Pisga gegenüber von Jericho. Und der HERR liess ihn das ganze Land sehen, von Gilead bis nach Dan, 2 ganz Naftali und das Land Efraims und Manasses und das ganze Land Judas bis an das westliche Meer, 3 den Negev und die Ebene des Jordan, die Talebene von Jericho, der Palmenstadt, bis nach Zoar. 4 Und der HERR sprach zu ihm: Dies ist das Land, von dem ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe: Deinen Nachkommen will ich es geben. Ich habe es dich mit deinen Augen schauen lassen, aber du wirst nicht dort hinüberziehen. 5 Und Mose, der Diener des HERRN, starb dort im Land Moab nach dem Befehl des HERRN. 6 Und er begrub ihn im Tal, im Land Moab gegenüber von Bet-Peor, und bis heute kennt niemand sein Grab. 7 Mose aber war hundertzwanzig Jahre alt, als er starb, seine Augen waren nicht trübe geworden, und seine Frische hatte ihn nicht verlassen. 8 Und die Israeliten beweinten Mose in den Steppen von Moab dreissig Tage lang; dann waren die Tage des Weinens und der Trauer um Mose zu Ende.

Lied        184    Wir glauben Gott im höchsten Thron

Predigt
Die Gnade unseres Herrn JX, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des HG Sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
Am Ende steht Mose auf dem Gipfel. Am Ende der fünf Bücher Mose, am Ende der Thora. Am Ende seines Weges, seiner Geschichte, seines Lebens. Sein Weg war zu ende, vollendet, wenn auch nicht in seinem Sinn. Er steht dort mit allem was er ist und war: der kleine Säugling im Weidenkorb; der Gottesfürchtige am Dornbusch; der Mörder eines ägyptischen Aufsehers; der Verhandler beim Pharao; der Befehlsempfänger Gottes auf dem Berg Horeb; der Führer durch die Wüste; der Wundertäter und Geistbegabte.

Wo stehen wir Menschen am Ende unseres Weges, unseres Lebens? Menschen liegen, atmen schwer, sterben, mit all dem, wer sie sind: gewesenes Kind, aufgewachsen, groß geworden, einen Beruf gelernt, gearbeitet, Vater, Ehemann, Lebenspartner. Am Ende alles in einem Moment. Am Ende stehen Menschen an den Betten, in denen Menschen sterben. Sie erleben das Ende, und es ist nicht ihr Ende. Es ist das Ende des anderen, manchmal ist es eine Erlösung. Am Ende verknüpft sich das Leben, so verschieden die Geburt, so verschieden und besonders jedes Ende. Am Ende stehen Menschen, und halten Hände und weinen und tragen Wegbilder in sich.

Mose sieht von Gipfel aus das verheißene Land. Er sieht die Schönheit der Landschaft, er sieht die Menschen, die mit ihm gingen, Aaron und Josua, was sie gemeinsam erlebten und getrennt, was ihnen und ihm verheißen worden war. – Was sehen Menschen am Ende ihres Lebens vor sich?

Nichts oder ganz viel? Einen Tunnel, Licht, einzelne Lebensszenen? Können sie loslassen, haben sie Angst? Fällt das Sterben vielleicht leichter, wenn man alleine ist oder wenn man gehalten wird?

Und ist der Tod eine letzte Offenbarung? "und ewig kreist die Schattenschrift/ leblang stehst du im dunklen Spiel/ bis dich des Spieles Deutung trifft/ die Zeit ist um – du bist am Ziel“ – so lautet die Inschrift auf dem Darmstädter Hochzeitsturm. Mose hat seinen Nachfolger bestimmt. Hat Rückschau mit den Stammesführern gehalten, gemahnt und gesegnet. Nun schaut er ins gelobte Land, das er nicht mehr erreichen darf.

„Ich will es deinen Nachkommen geben, aber du sollst nicht hinübergehen.“ Das wird nicht weiter begründet. Ist es Strafe oder verborgener Sinn? Bleibt das Ziel unerreicht, weil Mose sich einiges zuschulden kommen ließ im Leben? Es bleibt offen und ungelöst. Am Ende nur die Frage: Und ich? Welche Fragen stellen sich Sterbende? Wo komme ich hin? Was darf ich erreichen? So nahe wir auch Menschen sind, wir können nur vermuten, welche Fragen sich das Ich am Ende stellt, stellen kann.

Mose wird von Gott zurückgeworfen auf seine eigene Lebensgeschichte. Sein Ich wird von Gott gleichsam gewendet in den Blick auf diejenigen, die mit ihm unterwegs waren, die er geführt hat, die bleiben und weitergehen werden. Und ich? Und Gott antwortet ihm und sagt: Und die anderen? Die anderen erreichen das Gelobte Land. Ich werde ihnen das Land geben, dass ich schon Abraham, Isaak und Jakob versprochen habe. Den Nachkommen. Du aber bleibst hier.

Jeder hat Nachkommen, auch dann, wenn man keine Kinder hatte. Eine Reihe näherer oder fernerer Menschen, die uns umgeben, vorausgegangen sind oder nachfolgen werden, deren Leben mit dem unseren verbunden ist. Sie ziehen weiter, in ein anderes gelobtes Land, in dem Corona längst beherrschbar sein wird, wie früher die Spanische Grippe, in dem die Energiefrage gelöst sein wird und es gegen Krebs und andere Krankheiten eine Impfung geben wird. Und ich? Und Gott? Am Ende wird seine Verheißung erfüllt. Und wir werden ein Teil davon gewesen sein, auf dem Weg, unterwegs.

„Und Mose starb“. Kürzer kann man es kaum sagen. Als sei das das Gewöhnlichste der Welt, dass einer stirbt. Aber wo immer das gesagt wird oder gehört oder gelesen, da weiß man, es ist nichts Gewöhnliches und Normales. Es ist das Schmerzlichste vielleicht. Es ist das Ende von einem.

Mose Tod liest sich wie eine kleine Todesanzeige, auf Papier gedruckt, für Zeitung und Trauerkarten. Mit Angabe von Ort und Zeit und Alter und davon, wie sein körperlicher Zustand zum Zeitpunkt des Todes gewesen ist. Die Rede ist davon, dass sein Grab unbekannt blieb und dass die Menschen, seine Nachkommen, um ihn weinten, aber ihre Trauerzeit klar begrenzt war. 30 Tage, ein Monat. Denn sie zogen dann ja weiter.
So starb Mose, so sterben Menschen. Mit Namen, Ort und Zeit, mit einem genauen Alter und wie es ihnen am Ende in und mit ihrem Körper erging, der ihnen zur Last geworden war. Das ist das Äußerliche, aber doch mehr als nur Zahlen und Fakten. Wie sie innerlich starben, froh, zagend, gefasst, getröstet, gehalten, einsam – das wissen wir nicht, wir können es nur ahnen. Sie nehmen es mit in ihr Grab.

Wer uns begräbt, das mag keine Frage sein, sie sich unbedingt aufdrängt. Aber dass wir begraben werden und vielleicht auch wie, das ist schon wichtig. Nicht, wer es tun wird. Der Tod wird kommen, er wird uns begraben. Und seien wir ehrlich: er beginnt damit schon, wenn wir noch leben. Wenn eine Hoffnung begraben wird, eine Liebe erlischt, wenn Furcht das Leben verdunkelt.

Die Bestatter organisieren unser Begräbnis, bieten Sarg und Leintuch, Organisation und Worte, Rat und Rechnung. Und auch der Pfarrer oder die Pfarrerin sind mit dabei, sie schauen darauf, dass neben dem Begraben auch die Würdigung des Lebens, der Segen, das Hoffen und vielleicht manchmal auch das Lachen seinen Platz hat. Oft werfen sie als Erste die Erde ins Grab. Dem folgt die Familie und so mancher andere. So begraben uns die Nachkommen.

Bei Mose heißt es fast wie nebenbei: „Und er begrub ihn …“ „Er“ muss Gott sein, es ist der Gleiche, der ihm oben auf dem Gipfel das Land zeigte. Unten im Tal begrub er ihn, in einem unbekannten Grab, damit das Volk, die Nachkommen, nicht an diesen Ort gebunden sein würden, an das Grab und an den Tod. Damit die Trauer ein Ende haben darf und nicht die Toten, sondern das Leben verehrt wird, die Erinnerung, das Gute.
Gott begräbt Mose, legt ihn in seine Erde, seinen Mose, an seinen Ort. Den er als Säugling rettete; den er berief; dessen Zweifel er überwand; den er Wunder hat tun lassen. Als sähen wir Gott, wie er den Mose fast zärtlich nimmt, in seine Hände, ihn in den Boden legt, von dem er einmal genommen wurde, und dreimal die Erde auf ihn wirft. Und ich?

Als bekäme Mose auf diese Art endlich seine Antwort: Ja du! Und wir fragen am Ende: Und ich? Und mein Verstorbener? Gott begräbt ihn, ist bei ihm im Sterben, und wir Christen hoffen: Gott lässt ihn auferstehen. So sterben wir. Wir alle. Ich auch.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX.  Amen

Lied:        407    Stern auf den ich schaue

Kerzen – Aktion
Dazu: Orgelmusik

Lied:        258    Zieht in Frieden eure Pfade

Fürbitte
Am Ende sind Menschen, und wir sehen sie nicht.
Wir können sie nicht sehen, weil sie verborgen sind.
Aber unserer Fürbitte sind sie nicht verborgen.
Am Ende sind Menschen; und wir wollen für sie beten:
Am Ende ihres Lebens, ihrer Hoffnungen, ihres Einmaleins,
ihres Mutes, ihrer Kraft, ihrer Geduld, ihrer Liebe.

Am Ende an einem bestimmten Punkt sind Menschen,
und so schenke uns, Gott, die Gabe:
ein Anfang für sie zu sein.
Dort, wo sie enden, lass uns neu beginnen,
lass uns nicht aufhören
zu seufzen und zu klagen,
zu suchen und zu finden,
einzutreten für andere und zu fordern,
zu gestalten, hervorzubringen, ein Teil der Auferstehung zu werden.
Am Ende sind Menschen, gnädiger Gott. Du bist ihr Neubeginn.

Vater Unser

Schlusslied:        171, 1 – 3        Bewahre uns Gott        

Abkündigungen

Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 14.11.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung

Ich begrüße Sie und euch alle herzlich zu diesem Gottesdienst! Heute begehen landesweit viele Menschen den Volkstrauertag, einen Tag des Schmerzes und der Erinnerung, einen Tag auch der Bitte um Vergebung.

Unser Glaube aber kennt auch den Ausblick nach vorn; die Hoffnung gehört ganz zentral dazu. Was wir voller Sehnsucht erwarten dürfen, davon spricht der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief; es ist die himmlische Heimat bei Gott. Doch auf dem Weg dorthin heißt es auch im Wochenspruch (2. Korintherbrief 5,10): „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richtersitz Christi.“

Zum Gericht gehört nach christlichem Verständnis auch die Rettung. Darum lasst uns heute unseren Gott feiern, der uns mit offenen Armen erwartet – heute und wenn wir einmal in den Himmel eingehen werden.

Wir feiern den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wenn wir nun gleich das erste Lied gemeinsam singen, denken Sie bitte daran, dazu wieder die Masken aufzusetzen. Herzlichen Dank!

Lied 452,1-3.5 Er weckt mich alle Morgen

+ 179 als Psalmgebet

Leitvers: Sammelst meine Tränen, Gott, in deinem Krug, und keine, keine, keine geht verlorn.
Alle: Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein.
Eine: Da wird man sagen unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen getan!
Alle: Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich.
Alle: Leitvers
Eine: Herr, bringe zurück unsere Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland.
Alle: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Kollektengebet

Ewiger Gott, nun sind wir hier. In deinem Haus. Wir atmen etwas von deinem guten Geist! Hören auf dein Wort. Und bitten dich: lass uns deine Liebe bei uns spüren! Und lass uns deine wärmende Vergebung annehmen. Stärke unsere Hoffnung, dass wir bei dir geborgen sind bis in Ewigkeit. Amen.

Lesung aus dem 2. Kor.5,1-10 (in Auszügen)

Eines wissen wir: wenn unser irdisches Zelt hier abgebrochen wird, dann bekommen wir einen Wohnort, den Gott uns bereitet, ein Haus, das nicht von Händen gemacht ist, das ewig und im Himmel ist.

Wir seufzen und wir sehnen uns danach, das Himmlische wie ein Kleid überzuziehen. Denn während wir in diesem irdischen Zelt leben, haben wir es schwer. Aber wir wissen, dass Gott uns für das Leben geschaffen hat und uns als Anzahlung seinen Geist gegeben hat.

Wir wissen:  solange wir im Körper zuhause sind, leben wir in der Fremde und fern von dem, dem wir gehören. Manchmal wollen wir lieber das Zuhause des Körpers verlassen, um bei dem zuhause zu sein, dem wir gehören.

Und es ist für uns von größter Bedeutung, ihm zu gefallen. Denn wir alle müssen vor dem Richtersitz Christi offenbar werden, damit jede und jeder von uns etwas dafür erhält, was wir im Laufe des Lebens getan haben, sei es gut oder böse.
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. Halleluja!

Glaubensbekenntnis

Lied 409,1.2.5-8 Gott liebt diese Welt

Ansprache

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,

in früheren Jahren nutzte unsere Familie ab und zu gern ein verlängertes Wochenende, um zelten zu gehen. Ganz besonders erinnere ich mich an ein Ereignis, das wir in Blavand erlebten, an der südlichen Nordseeküste von Dänemark. Es war Abend.  Da zeigten sich schon dunkle Wolken am Horizont. Bald nahmen sie den ganzen Himmel ein und türmten sich übereinander. Der Wind frischte böig auf. Mit einem mulmigen Gefühl zogen wir uns in unser Zelt zurück und schlüpften in unsere Schlafsäcke.  Mitten in der Nacht aber steigerte sich der Wind zum Sturm und zerrte an den Schnüren des Zeltes. Und dann brach das Zelt über uns zusammen. Nun war kein Schlafsack mehr trocken, von den übrigen Sachen und Gegenständen ganz zu schweigen. Schlagartig war uns bewusst geworden, dass ein Zelt keinen wirklich sicheren Unterschlupf bietet. Und so schnell wie wir konnten, packten wir alles zusammen und brachen unseren Urlaub ab, um nachhause zu fahren. Das blieb bis heute unser einziger Aufenthalt in Blavand.

Ein Zelt ist anfälliger und vergänglicher als ein Haus. Wer hätte das besser gewusst als Paulus, der Apostel? Von Beruf war er Zeltmacher. Im Text aus dem 2. Korintherbrief, den wir soeben gehört haben, greift er auf das Motiv des Zeltes zurück: „Wenn unser irdisches Zelt hier abgebrochen wird, bekommen wir einen Wohnort, den Gott uns bereitet, ein Haus, das nicht von Händen gemacht ist, das ewig ist und im Himmel.“ Paulus vergleicht also unseren Körper aus Fleisch und Blut mit einem Nomadenzelt und stellt dieses Zelt dem ewigen, stabilen Haus im Himmel gegenüber. Denn in Gottes Ewigkeit, so der Apostel, bekommen wir einen neuen Körper geschenkt, einen, der nicht altert, der nicht krank wird und nicht stirbt.

Paulus denkt dabei keineswegs leibfeindlich. So wie der griechische Platonismus, der den Körper als ein Gefängnis der Seele betrachtete. Er kann den irdischen Körper sehr wohl wertschätzen, aber er hofft zugleich auf einen neuen und besseren Leib im Himmel. So eine Art freischwebende Seele im Jenseits ist nicht das, was er sich vorstellt.

Paulus denkt nicht leibfeindlich, aber es ist unverkennbar, dass er das Leben auf dieser Erde vor allem als eine Last empfindet.

Er wünscht sich sogar, den Körper zu verlassen. Das klingt alarmierend. Paulus befindet sich in einer extremen Situation. Er schreibt vom Seufzen und von seiner Sehnsucht nach einer himmlischen Heimat. Er möchte seinen auferstandenen Herrn schauen, und zwar so bald wie möglich.  Aus seiner Situation heraus kann ich den Apostel verstehen: Sein Leben war in der Tat alles andere als ein Sonntagsspaziergang. Er war krank. Die vielen Reisestrapazen setzten ihm zu. Genauso wie die zahlreichen Anfeindungen, denen er ausgesetzt war, die Gefängnisaufenthalte, die Schläge, und die Streitereien in den jungen Gemeinden um seine Person. Nach außen hin wirkte es so, als sei er zäh, als könnte er allen Nöten und Gefahren trotzen. Doch nach innen hin und ungeachtet dessen wuchs sein Verlangen nach dem Himmel von Jahr zu Jahr.

Ist dieses Verlangen schlichtweg Schwärmerei? In der Folgezeit wurde es oft als Weltflucht verstanden und nicht nur Paulus allein, sondern dem Christentum insgesamt wurde das zum Vorwurf gemacht. Stellvertretend für viele andere steht Friedrich Nietzsche, der sagte: „Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Verächter des Lebens sind es; so mögen sie dahinfahren!“  

Dieses vernichtende Urteil aber, ein Verächter des Lebens zu sein, wird dem Apostel nicht gerecht.  Allerdings trifft es zu, dass die Hoffnung ein ganz unverzichtbares Element des Glaubens ist, die Hoffnung auf ein jenseitiges Zuhause bei Gott, ohne jedes Leid und ohne jede Last. Davon erzählen die besonders schönen Texte aus der Offenbarung des Johannes: davon, dass der Tod nicht mehr sein wird, dass kein Leid und kein Schmerz mehr sein wird, und Gott alle Tränen von den Augen abwischen wird. Diese Hoffnung auf ein Leben bei Gott ist tatsächlich unendlich viel mehr als die Vorstellung, dass unsere Verstorbenen nur in der Erinnerung ihrer Angehörigen weiterleben.  Unser Glaube trägt einen großen Trost in sich. Da halte ich es gern mit Paulus oder auch mit Romano Guardini, dem Priester und Philosophen, der einmal gesagt hat: „Der Tod ist die uns zugewandte Seite jenes Ganzen, dessen andere Seite Auferstehung heißt.“

Wenn die Hoffnung auf die Auferstehung genannt wird, so verbindet sich damit auch in unserem Glauben die Erwartung des Jüngsten Gerichts. Im Neuen Testament ist öfter vom Gericht die Rede, so wie auch in unserem Predigttext heute: „Wir alle müssen vor dem Richtersitz Christi offenbar werden, damit jede und jeder von uns etwas davon erhält, was wir im Laufe des Lebens getan haben, sei es gut oder böse.“

Das ist keine einfache Sache, überhaupt über das Gericht zu sprechen. Und das aus gutem Grund. In früheren Zeiten wurde damit viel Schindluder betrieben. Gläubige Menschen wurden nur allzu oft durch Gerichtspredigten in Angst und Schrecken versetzt. Und bildliche Darstellungen wie die von Hieronymus Bosch oder Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle taten dazu ihr Übriges. Wie kann man also angemessen darüber denken, darüber sprechen?

Viele Predigerinnen und Prediger scheuen sich heute, dieses Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Aber ein Missbrauch verbietet ja nicht prinzipiell den Gebrauch eines Wortes. Immerhin gibt es diesen einen wichtigen Satz in unserem Glaubensbekenntnis, nämlich den, wo es von Christus heißt, er werde kommen, „zu richten die Lebenden und die Toten“. Ich halte diese Perspektive tatsächlich für eine ganz wichtige, auch wenn sie unpopulär scheint und nicht von unserer Welt oder unserem Weltbewusstsein.

Ich hoffe sehr, dass es am Ende der Zeit eine gerechte Instanz gibt, eine Rechtsprechung, in der Gott alles zurechtbringt, was hier auf der Erde von Menschen ins Unrecht gesetzt wurde. Ich spreche diese Hoffnung gerade heute aus, am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres. Heute wird staatlicherseits dieser Tag als Volkstrauertag begangen.  Wir erinnern uns an die zahllosen Opfer von Gewalt und Krieg. Und die Stimme all dieser Opfer schreit noch immer zum Himmel und verlangt ihr Recht. So viele Gefallene und Getötete der Weltkriege, so viele Opfer von Völkermord, Terrorismus und Rassismus, die zu Unrecht Inhaftierten und die Gequälten in den Lagern und Gefängnissen, die Vertriebenen und die Geflüchteten unserer Tage. Denken wir nur an die Menschen an der Grenze zwischen Belarus und Polen, die zum Spielball eines eiskalten und skrupellosen weissrussischen Diktators geworden sind. Wenn es einen Tag im Jahr gibt, der auf ein jüngstes Gericht hoffen und sehnen lässt, dann ist es dieser Volkstrauertag, dieser Tag, der wie kein anderer von der Schuld und dem Leid der Menschen spricht.

Ich hoffe auf ein Gericht am Ende der Tage, in dem das Leid der Opfer gewürdigt wird und in dem die Täter mit ihren Taten von Gott konfrontiert werden. Denn Gott ist nicht nur ein barmherziger, er ist auch ein gerechter Gott. Daran will ich festhalten. Er allein weiß, wie dann die Strafe aussehen wird.  Vielleicht ist es das Schlimmste, wenn die Täter das ganze Ausmaß dessen erkennen und mit ihrer Seele erfassen, was sie anderen an Bösem angetan haben. Und wenn sie endlich eine tiefe Reue darüber erfasst.  Gott allein weiß es, und nur er allein soll es wissen. Es liegt in seiner Hand.

Zu diesem Thema gehört, dass auch unser eigenes Leben in das Licht Christi gerückt wird. Und es mag sein, dass es dann auch für uns nicht ohne Beschämung abgeht. Dass es wehtun wird zu erkennen, wo und wie wir schuldig geworden sind, was wir versäumt haben, wo wir geschwiegen haben oder das nicht getan haben, was wir hätten tun sollen. Aber wir können darauf vertrauen, dass diese Erkenntnis heilsam sein wird. Und dass wir auf die Vergebung Jesu Christi hoffen können, der sein Leben für uns hingegeben hat. Im Lichte seiner göttlichen Liebe wird auch aus den Bruchstücken unseres Lebens etwas neues, Ganzes werden können. „Wenn er für uns ist, wer kann dann gegen uns sein?“ So fragt Paulus. „Gott ist hier, der gerecht macht.“

Jesus Christus ist größer als unser Herz. Und er richtet nicht, um zu vernichten, sondern um uns aufzurichten. Um uns zu vollenden und um uns ein neues, ewiges, ein schönes, unvergängliches Leben bei Gott zu schenken.

Zu dieser Aussicht und Hoffnung bekenne ich mich. Sie allein hilft zu leben, nicht kirre an dieser Welt zu werden und Gutes zu tun, soweit es möglich ist.

Der Dichter Hermann Hesse hat es einmal so gesagt: „Wir Anspruchsvolleren, wir mit der Sehnsucht, mit der Dimension zu viel, könnten gar nicht leben, wenn es nicht außer der Luft dieser Welt auch noch eine andere Luft zu atmen gäbe, wenn nicht außer der Zeit auch noch die Ewigkeit bestünde.“

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten
Unser Gott, wir danken dir für die reiche Hoffnung auf deine neue Welt. Wir danken dir für deine Liebe und deine lebendige Gegenwart. Sie stärkt uns und trägt uns durch die Zeit. In diesem Vertrauen kommen wir mit unseren Bitten zu dir:

Wir bitten für alle Menschen, die mit uns zusammenleben – hier in unserer Gemeinde, in dieser Stadt und in diesem Land. Wecke die Herzenskräfte, dass wir im Frieden zusammenleben. Hilf, dass die Menschen, soweit es ihnen aus medizinischen Gründen möglich ist, sich impfen lassen, damit unsere Gesellschaft nicht auseinanderbricht.

Wir bitten dich für die Menschen in unserem Land, denen Gewalt angetan wird und die in Angst leben. Befreie sie und sei du an ihrer Seite. Für alle Menschen in den Krisengebieten dieser Erde bitten wir. Lass die Gewalt ein Ende nehmen und die Menschen im Gegner die Schwester und den Bruder erkennen. Gib, dass die Mächtigen dieser Welt ihre Kräfte für den Frieden einsetzen.

Bitte für die Verstorbenen der letzten Woche

Du, Herr, lässt uns nicht allein. Du bist an jedem Tag und zu jeder Stunde bei uns. Wir danken dir für deine Treue, jetzt und allezeit.

Und gemeinsam beten wir das
Vaterunser

Lied: + 110  I am sailing

Abkündigungen

Segen
Musik

Gottesdienst am 7.11.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
Herzlich willkommen zu diesem Gottesdienst hier in der Dankeskirche. Am 1. Sonntag im Monat feiern wir Abendmahl. Sie haben dafür am Eingang ein Glas mit Brot und Traube erhalten.
Manches ist erfüllt und schon da; vieles aber steht noch aus: Gerechtigkeit, die Bewahrung der Schöpfung; Heilung und Leben in Gottes großem Frieden. In diesen letzten Tagen des Kirchenjahres geht es um dieses „Schon – und Noch-Nicht“, das Warten auf den Messias und seinen Tag. Unsere Zeit vergeht, das Reich Gottes kommt – und ist zugleich auch schon da: in  Jesus Christus.

Eingangslied:     450, 1 – 4        Morgenglanz der Ewigkeit

Votum

Eingangsgebet

Ewiger Gott, wir nehmen diesen Sonntag aus deinen Händen und danken dir, dass wir miteinander Gottesdienst feiern können, hier in deinem Haus. In den Chorfenstern unserer Dankeskirche sehen wir deine Heilstaten, vor dir denken wir an deine Gegenwart zu allen Zeiten.
Wecke in uns den Wunsch und die Begeisterung, deinen Willen zu tun, einander mit Achtung zu begegnen, gütig und in gegenseitiger Wertschätzung – so wie es deiner Nähe zu uns entspricht, deiner Gegenwart.
Das bitten wir dich durch JX, unseren Herrn.

Amen

In der Lesung aus dem Lukasevangelium spricht Jesus darüber, wie das Reich Gott kommt. Wir hören auf die Lesung:

Lesung

„Vom Kommen des Gottesreiches“  Lk 17, 20 – 24
20 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen; 21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch. 22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. 23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft nicht hinterher! 24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

Glaubensbekenntnis

Lied:    283, 1 – 3            Herr, der du vormals hat dein Land

Predigt

Die Gnade unseres Herrn JX, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des HG Sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
„Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung.“  Das war ein Schlager in meiner Jugend, als ich eigentlich ganz andere Musik hörte und selbst machte. Das war nicht gerade Cindy und Bert. „Immer wieder sonntags“ läuten bei uns die Kirchenglocken, in der Stadt und auf den Dörfern ringsherum. Sie laden ein, die Gottesdienste mitzufeiern und sich dort an das Wirken Gottes zu erinnern und das eigene Leben im Lichte Gottes zu sehen.
Im Judentum müsste es heißen: „Immer wieder samstags kommt die Erinnerung.“ Juden versammeln sich am Vormittag des siebten Tages der Woche, dem Sabbat, in ihren Gotteshäusern, den Synagogen. Mit dem, was dann aus der Tora vorgetragen wird und wie sie als Gemeinschaft ihre Glaubensfeste feiern, bewahren sie ihre Erinnerung an das Handeln Gottes. Diese religiöse Praxis, Gespräch und Gebet in den Synagogen über all die Jahrtausende der Zerstreuung und Verfolgung, des Holocausts hinweg gab den Juden Vergewisserung und Rückhalt.

Mit den Konfis haben wir in dieser Woche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Judentum und Christentum gesammelt. Übermorgen, am 9.11., besuchen wir jüdische Gedenkstätten und die Synagoge in unserer Stadt. Sukot und Erntedank, Chanuka und Advent, Pessach und Ostern: die Liste der Entsprechungen ist lang Kein Wunder, Jesus war Jude und das Christentum entwickelte sich aus dem Judentum heraus. Es hat lange gedauert, bis unsere Kirchen das endlich anerkennen konnten. Der heutige Bibeltext verbindet den Glauben von Juden und Christen. Die Psalmen sind unser gemeinsames Erinnerungsbuch. Jesus hat darin gelesen, die Psalmen gebetet und daraus zitiert.
Psalm 85 lässt sich in drei Teile gliedern. Im ersten Teil wird Gott an sein gnädiges Handeln erinnert; dafür bedankt sich der Psalmsänger. Dann stellt er Gott die bedrückende Gegenwart vor Augen. Das ist seine Klage. Und schließlich blickt er in die Zukunft und erbittet von Gott neuen Segen für sein Volk.

Psalm 85
Bitte um neuen Segen 1 Ein Psalm der Korachiter, vorzusingen.

2 HERR, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande und hast erlöst die Gefangenen Jakobs; 3 der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk und all ihre Sünde bedeckt hast; – Sela – 4 der du vormals hast all deinen Zorn fahren lassen und dich abgewandt von der Glut deines Zorns:

5 Hilf uns, Gott, unser Heiland, und lass ab von deiner Ungnade über uns! 6 Willst du denn ewiglich über uns zürnen und deinen Zorn walten lassen für und für? 7 Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann? 8 HERR, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil!

 9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten. 10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; 13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; 14 dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge.

Beten wir gemeinsam den ersten Abschnitt des Psalms und beginnen mit Vers 2:
„2 HERR, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande und hast erlöst die Gefangenen Jakobs; 3 der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk und all ihre Sünde bedeckt hast; – Sela – 4 der du vormals hast all deinen Zorn fahren lassen und dich abgewandt von der Glut deines Zorns.“

Vormals – dabei denke ich an mein, an unser „Früher“: als wir den Ehrenamtlichen-Abend als großes Fest mit Büfett und Gesprächen im Gemeindezentrum, feiern konnten. Als wir Gemeindefeste feierten und das Abendmahl im Kreis vor dem Altar und mit Einzelkelchen. Als ich mit meiner Frau in Griechenland war und wir eine Reise auf die Azoren geplant haben.
Vormals – damit meint der Psalmsänger die Befreiung der israelitischen Oberschicht aus der babylonischen Gefangenschaft.  Über einhundert Jahre lebten Adel und Königshaus, Priester und Schriftgelehrte nach der Eroberung Jerusalems an den Flüssen von Babylon. Als dies schon längst von den Persern überrannt worden war ermöglichte deren König, Kyros II. den Gefangenen die Rückkehr in ihre Heimat.
Kurz nach dem 30jährigen Krieg schreibt Paul Gerhardt ein Lied zu unserem Psalm: „Herr, der du vormals hast dein Land/ mit Gnaden angeblicket/ und des gefangnen Volkes Band/ gelöst und es erquicket/ der du die Sünd und Missetat, die es zuvor begangen hat,/ hast väterlich verziehen.“

Wir beten miteinander den 2. Teil unseres Psalms:
„5 Hilf uns, Gott, unser Heiland, und lass ab von deiner Ungnade über uns! 6 Willst du denn ewiglich über uns zürnen und deinen Zorn walten lassen für und für? 7 Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann? 8 HERR, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil!“

Hilf uns – aus bald zwei Jahren Pandemie und Infektionszahlen wie nie. Wir dachten, mit der Impfung sei alles vorbei, jetzt explodieren die Zahlen. In den Krankenhäusern und Arztpraxen werden verzweifelt Mitarbeiterinnen gesucht. Eine Notlage von weltweiter Tragweite.
So ohnmächtig und hilflos wie wir fühlten sich die zurückgekehrten Israeliten Als sie nämlich zurückkamen in ihre Heimat, die sie nur noch aus den überlieferten Erzählungen kannten, waren sie bitter enttäuscht. Von wegen ein Land, in dem Milch und Honig fließen! Es lag immer noch in Schutt und Asche.  “Haben wir uns geirrt? Dauert dein Zorn noch an? Dann hätten wir ja gleich in Babylon bleiben können.“ Schließlich findet der Beter einen Weg heraus aus seiner Klage. „Hilf uns Gott … Willst du uns nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann?“
So sichtet auch Paul Gerhardt in dem Lied, das wir eben gesungen haben „…willst du, oh Vater, uns denn nicht nun einmal wieder laben? Und sollen wir an deinem Licht nicht wieder Freude haben? Ach gieß aus deines Himmels Haus, Herr, deine Güt und Segen aus auf uns und unsre Häuser.“

Wir sprechen miteinander den Schluss des Psalms:
„9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten. 10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; 13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; 14 dass Gerechtigkeit vor ihm hergehe und seinen Schritten folge.“

Ob mit Krieg wie an vielen Orten der Welt, ob in Armut wie auf der südlichen Halbkugel oder selbst in unserem reichen Land, wo die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer: wo die Superlative das Maß aller Dinge sind, da haben es Güte und Treue, Frieden und Gerechtigkeit schwer. Dabei gehören sie unzertrennlich zusammen, wie ein Liebespaar.
Wie der Psalmbeter vor vielen Jahren bleiben auch wir Hoffende: Wir hoffen auf den Segen Gottes, den er uns nicht nur versprochen, sondern ja auch schon gegeben hat, so wie seinem Volk Israel. Seine Zusagen und sein Handeln beflügeln uns, sie sind der Nährboden, auf dem gelebter Glaube gedeiht.

Zum Schluss erinnere ich mich an einen anderen, älteren Schlager. Die Comedian Harmonists mussten eine Zeit erleiden, in der Güte und Treue, Gerechtigkeit und Frieden mit Füßen getreten wurden. Weil der der sechs Sänger Juden waren, durfte die Gruppe nicht mehr auftreten. Das letzte Lied, das sie aufnahmen, heißt: „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück/ und ich träum davon in jedem Augenblick. /Irgendwo auf der Welt gibt’s ein bisschen Seligkeit/ und ich träum davon schon lange Zeit. /Irgendwo auf der Welt fängt der Weg zum Himmel an/ – irgendwo, irgendwie, irgendwann.“
Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX.  Amen

Lied:    +102, 1 – 3             Da wohnt ein Sehnen

Fürbitte
Guter Gott, dein Sohn hat alle seliggepriesen und deine Kinder genannt, die für den Frieden wirken.

Gib uns die Bereitschaft und auch den Mut, immer und überall für Ausgleich und für Gerechtigkeit einzutreten durch Worte und Taten.
Gib uns, dass Güte und Treue Haltungen sind, die wir gerne zeigen und leben wollen.

Wir bitten dich für alle Menschen, die sich nach Liebe sehnen:
Lass sie spüren, dass sie schon längst geliebt werden und hilf uns, deine Liebe selbst an andere weiterzugeben.
Wir bitten dich für alle, die in diesen Tagen an den Gräbern ihrer Lieben trauern:
Komm ihnen nahe mit deinem Trost.

Du kommst uns entgegen mit Augen, die verstehen; mit Worten, die uns aufbauen, mit Zeichen, die uns berühren – in Brot und Wein.

Vater Unser
Friedensgruß
Einsetzungsworte
Christe, du Lamm Gottes

Schlussgebet
Du hast uns eingeladen, mit allem zu dir zu kommen. Du stärkst uns mit deinem Wort und mit dem Mahl deines Sohnes, das uns sagt: du willst uns nahe sein. Lass uns in der kommenden Zeit deine Nähe spüren und die in unserem Alltag vertrauen. Hilf uns, anderen eine Stütze zu sein, wenn sie uns brauchen und denen zu vertrauen, die wir brauchen – durch JX, deinen Sohn. Amen

Schlusslied:     421            Verleih uns Frieden gnädiglich
                
Abkündigungen
Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 31.10.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst am Reformationstag! Vor mehr als 500 Jahren wurde die Kirche aufgerüttelt durch Martin Luther und seine mutigen Mitstreiter und Mitstreiterinnen. Seitdem geht die evangelische Kirche ihren Weg durch die Zeit –  voller Hoffnung und manchmal auch sorgenvoll. In Verfehlungen und doch auch im Vertrauen auf Vergebung.  Wieviel immer sich aber verändert – wir haben einen festen Grund, der uns Halt gibt und auf dem wir stehen. So sagt es Paulus, der Apostel, in seinem 1. Brief an die Gemeinde in Korinth (3,11): „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Auf ihn blicken wir, wenn wir heute den Gottesdienst feiern.
So feiern wir im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Lied: 440,1-4 All Morgen ist ganz frisch und neu

Psalm 46
Gott ist wie eine feste Burg,
er gibt uns Zuversicht und Stärke in den Nöten, die uns getroffen haben.
Selbst wenn die Welt aus den Fugen gerät,
die Berge zerfallen oder das Meer die Küsten unterspült,
stehen wir nicht vor dem Abgrund des Todes.
Wir müssen uns vor der Gefahr nicht fürchten.
Gott ist bei uns und lässt uns nicht untergehen.
Er hilft uns am Morgen und am Abend.
Der den Erdkreis regiert und die Königreiche begrenzt,
ist sich nicht zu schade, bei uns zu sein.
Der den Bogen der Krieger zerbricht
und ihre Wagen mit Feuer verbrennt,
ist uns Schutz und Schild,
eine Burg, in der wir sicher wohnen.

Kollektengebet
Du Gott des Lebens, allein durch den Glauben sollen wir gerettet werden, so hören wir es an diesem Tag. Das ist für uns eine gute Botschaft. Doch immer wieder fällt es uns auch schwer, zu glauben, zu vertrauen, zu hoffen. Gehst du wirklich mit uns durch unser Leben? Wir möchten dir vertrauen – und sind doch oft gefangen in den Zweifeln und Ängsten unserer Zeit. Wir bitten dich: gib uns nicht auf. Zeig uns deine Gegenwart. Und sprich mit deinem Wort zu uns! Das bitten wir dich im Namen deines Sohnes, der mit dir und der Heiligen Geistkraft lebt und Leben schafft von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Lesung: 5. Mose 6,4-9

Glaubensbekenntnis

Lied: 362,1.3.4 Ein feste Burg ist unser Gott

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
eine 18jährige Schülerin wurde kürzlich von ihrer Lehrerin gefragt: „Wie wichtig ist für dich Freiheit?“ „Wichtig!“ war ihre Antwort. „Wie wichtig auf einer Skala von 1-10?“ „12, mindestens!“ „Und was ist Freiheit?“ Darauf gab sie zurück: „Freiheit ist ganz individuell und vielseitig. Aber man merkt sofort, wenn sie fehlt.“

Ja, man merkt sofort, wenn sie fehlt – denn Freiheit ist eines der entscheidenden Grundbedürfnisse des Menschen. Wir sind es gewohnt, mit all den Freiheiten zu leben, die das Grundgesetz uns gewährt: die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Glaubens- und Religionsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Freiheit der Berufswahl. Und zu Recht reagieren wir sehr empfindlich, wenn irgendetwas davon eingeschränkt wird. Diese Freiheiten sind wie ein Schutzraum für uns. Sie sind nichts Selbstverständliches - das haben wir gerade in Bezug auf die Versammlungsfreiheit in den letzten Monaten gemerkt. Wir haben auch gemerkt, wie wichtig es ist, dass Freiheiten nur dann eingeschränkt werden, wenn ein wirklich begründeter Ausnahmefall vorliegt. Leichtfertig darf das nicht geschehen.

Von der Freiheit handelt auch der Predigttext dieses Reformationstages: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“  ruft der Apostel Paulus seinen Gemeinden zu. Zur Freiheit befreit – das „2 F“ der Urchristenheit :).  Welche Freiheit meint Paulus?  Hören wir genauer hin, was er an die Gemeinden in Galatien, der heutigen Türkei, schreibt:

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auferlegen. Seht, ich, Paulus, sage euch: wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge noch einmal jedem, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, wenn ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, ihr seid aus der Gnade herausgefallen. Denn wir warten durch den Glauben auf die Gerechtigkeit. In Jesus Christus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“

Diese Sätze sind nicht leicht zu verstehen! Auf den Punkt gebracht sagt Paulus, dass der Glaube an Jesus Christus ausreicht, um vor Gott gerecht da zu stehen.

Heute am Reformationstag hören wir dabei mit, was Martin Luther ganz ähnlich gesagt hat: Allein durch Christus (solus Christus), allein durch Gottes Gnade (sola gratia) und allein durch den Glauben (sola fide) sind wir gerettet. Kein Mensch kann beurteilen, ob wir vor Gott gerecht werden oder nicht. Und keine kirchliche Instanz hat eine Macht über uns. Es kommt in unserem Verhältnis zu Gott nur und allein auf das Vertrauen an, dass wir zu Jesus Christus haben.

Wenn wir an Paulus denken, so schreibt er seine Gedanken hinein in eine extreme Streitsituation, die in den damaligen Gemeinden herrschte: müssen nichtjüdische Männer sich erst einmal beschneiden lassen, um zur christlichen Gemeinde zu gehören? Muss man also erst einmal dem jüdischen Glauben angehören, damit man auch an den Messias Jesus glauben kann? Für uns heute scheint diese Frage weit weg zu sein, aber Paulus schrieb seinen Brief ja nur gut 20 Jahre nach dem Tod und der Auferstehung Jesu. Da gab es eine verfasste christliche Kirche noch nicht, und die frühen Gemeinden Jesu gehörten zu vielfältigen Strömungen. Viele ihrer Mitglieder waren Jüdinnen und Juden. Andere waren es nicht, aber sie standen dem jüdischen Glauben nahe. Und wieder andere hatten vorher die Gottheiten ihrer eigenen Völker verehrt, sie gehörten also zu den sogenannten Heidenchristen. So herrschte also eine bunte Vielfalt in den Gemeinden, sicher auch in denen in Galatien.

Ihnen legt Paulus nun mit großem Ernst etwas ans Herz: „Gebt die Freiheit nicht auf, die euch der Messias geschenkt hat! Lasst euch nicht wieder zur Sklaverei zwingen!“

Paulus meint: es würde Unfreiheit bedeuten, Unterdrückung, wenn alle erst einheitlich werden müssten, um zur Gemeinde von Jesus zu gehören. Das gilt für Männer ebenso wie für Frauen. Doch bei den Männern macht es sich am sichtbaren Zeichen der Beschneidung fest. Es müssen nicht alle durch dieses Tor gehen, um zum Volk Gottes dazuzugehören. Alle werden so angenommen, wie sie kommen und wie sie sind: Männer aus dem jüdischen Volk als Beschnittene und solche aus den anderen Völkern als Unbeschnittene. Das ist so, weil Jesus einen neuen, einen zweiten Weg zu Gott geöffnet hat. Und wenn Menschen ihm dabei folgen wollen, dann ist es ausreichend und entscheidend, dass sie ihm vertrauen. Vertrauen darauf, dass Gott uns Menschen von Grund auf liebt und annimmt. Das Eintrittsbillett zur christlichen Gemeinde also ist die Taufe, nichts anderes. Die Beschneidung spielt dafür keine Rolle. Sie würde zur Folge haben, dass die jungen Christen aus den Völkern auch alle Speisegebote, die koschere Küche, alle Reinheitsvorschriften und Feiertagsgebote der jüdischen Tradition beachten und einzuhalten müssten.

Es ist klar, dass dieser Gedanke in der frühen Christenheit ganz neu theologisch durchdacht werden musste, und dass es in diesem Zusammenhang etliche Verwerfungen zwischen verschiedenen Gruppen gab. Petrus und Paulus etwa haben darüber heftig gestritten. Nun aber öffnet Paulus mit seiner Position einen Raum - und hält ihn offen. Was für die jungen Gemeinden zählt, ist der Glaube an das, was Jesus gesagt und gelebt hat. Was er allerdings als Sohn seines jüdischen Volkes gesagt und getan hat. Was zählt, ist das Vertrauen auf ihn. Und entscheidend sind die Taten der Nächstenliebe als Antwort der Menschen.

Paulus kämpft hier für eine neue Art der Gemeinschaft, die schon etwas von Gottes Reich vorwegnimmt. Es ist eine offene Gemeinschaft, die einladend ist und nicht ausschließt. Zu der alle dazugehören können, so wie sie eben geprägt sind. In der auch die Unterschiede nicht eingeebnet werden; die Gemeindemitglieder können lernen, einander gelten zu lassen, sich gegenseitig auch auszuhalten. So können sie etwas großartiges Neues miteinander erleben. Das ist ein Wagnis, ein Experiment.  Ich denke, das ist die Freiheit, die er meint. Zu der uns Christus befreit: ein Raum, in dem Menschen einfach da sein dürfen. Auch ein geschützter Raum. In dem sie atmen können, sich angenommen wissen, in dem sie hören und gehört werden, in dem sie sprechen und widersprechen können, in dem sie sich gemeinsam auf den Weg machen, um etwas Neues, Gutes zu gestalten, in dem sie aber auf jeden Fall danach fragen, was nach dem Willen Gottes ist.

Martin Luther hat diesen Raum der Freiheit für sich in seinem Leben wiederentdeckt, auf radikale, umstürzende Weise. Er war in diesem Schutzraum der Freiheit. In dem er sich von Christus angenommen und geliebt wusste. Darum konnte er auch seine Angst überwinden und vor genau 500 Jahren, am 17. und 18. April 1521 in Worms vor den Kaiser und die Kurfürsten (die damaligen Großen aus Politik und Kirche) treten, um seine Thesen und seine reformatorischen Erkenntnisse zu verteidigen. In seiner einfachen Mönchskutte stand er da. Dieser schützende Raum der Freiheit hat ihm die Standfestigkeit gegeben, die er benötigte, und seinen aufrechten Gang, seine Kraft, es zu wagen. Und zugleich hat er diese Freiheit in sich getragen, auch als innere Freiheit, als freien Mut, trotz aller äußeren Bedrängnisse und Unsicherheiten, wie sein Weg wohl ausgehen würde.

Der Glaube an Jesus Christus schenkt uns einen Schutzraum der Freiheit und macht uns zugleich innerlich frei. Mit dieser Freiheit hat z.B. auch Sophie Scholl gelebt. Aus dieser Haltung heraus hat die junge Sophie im Jahre 1942 ihren Vater im Gefängnis besucht und hat ihm auf der Flöte das Lied „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten“ vorgespielt. Welch wichtige Botschaft hat sie ihm auf diesem Weg weitergegeben!

In seiner Schrift von 1520 „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ hat Luther (darüber hinaus) die zwei Dimensionen der christlichen Freiheit unübertroffen beschrieben:

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Ein Christenmensch ist eine freie Frau über alle Dinge und niemandem untertan – eine dienstbare Magd und jedermann untertan?! Wir hören die atemberaubende Souveränität, die innere Unabhängigkeit, ja auch den Stolz, der in dieser Haltung liegt. Sie musste jedem gefährlich vorkommen, der nur Unterwerfung verlangte.

Und zugleich macht diese Souveränität frei, sich den Menschen in der Haltung der Liebe zuzuwenden, für sie da zu sein und ihnen Achtung und Wertschätzung entgegenzubringen. Gute Werke zu tun, wie Luther es nennt, ist eine ganz wichtige Frucht der inneren Freiheit und des Geistes Gottes, der in den Christinnen und Christen wirkt. Ohne sie können wir nicht in der Nachfolge Jesu gehen. Doch gerecht vor Gott macht uns unser Vertrauen.

Ich glaube, dass die Überzeugungen des Paulus und des Martin Luther auch für uns heute noch hilfreich sein können. Wir dürfen uns als freie, von Gott gerechtfertigte Menschen ansehen, als gerechtfertigte Sünder, die letztlich nur ihm allein Rechenschaft schuldig sind und die vor seinem Angesicht leben. Und zugleich stehen wir in der liebevollen, achtsamen und hingebungsvollen Verantwortung zu unseren Mitmenschen und zu denen, die uns anvertraut sind.

Unsere Freiheit findet da ihre Grenze, wo die Freiheit der anderen beginnt. Darum kann es für uns niemals Freiheit ohne Verantwortung geben. Kein gnadenloses sich Durchsetzen auf Kosten anderer. Das gilt z. B. im Blick auf unser Verhalten in Pandemiezeiten. Aber genauso auch für unser ökologisches Verhalten. Für unser Verhalten im Straßenverkehr. Für unser Verhalten unseren Kolleginnen und Kollegen gegenüber. Im Grunde gilt es in allen Räumen unseres Alltags. Wir sind nicht nur für uns selbst da. Wir können im Gegenteil nur miteinander gehen, der Liebe Raum geben und es wagen, in einer offenen, einladenden Gemeinschaft zu leben, wo immer es möglich ist. Dazu möge Gott uns seinen guten Geist schenken.

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten

  1. Wir beten: Wieviel Freiheit können wir wagen? Und was müssen wir tun, um unserer Verantwortung für die Menschen gerecht zu werden? Unser Gott, diese Fragen treiben uns um in dieser Zeit, wenn wir Gottesdienste und Veranstaltungen für unsere Gruppen und die Gemeinde planen. Gib uns deinen Geist und hilf uns in unseren Entscheidungen zum Wohle der Menschen.
  2. Wenn wir dir unsere Fehler bekennen, so vergibst du uns. Deine Barmherzigkeit spricht uns frei und deine Liebe macht uns stark. Dafür danken wir dir. Hilf uns, die Not unserer Nächsten zu sehen und sie zu lindern, soweit es uns möglich ist.
  3. Sei bei denen, die krank sind und erschöpft. Stärke ihre Seele und sende ihnen deine heilenden Kräfte.
  4. Für alle, die auf der Flucht sind vor Hunger und Gewalt, bitten wir: schütze sie. Ihr Leid zerreisst unser Herz. Lass die Politiker und Hilfsorganisationen Wege finden, die aus ihrem Elend herausführen und ihnen einen Ort der Ruhe und des Bleibenkönnens gewähren.
  5. Bitte für Täuflinge und Verstorbene

Vaterunser

Lied: 351,1-3.13 Ist Gott für mich

Abkündigungen

Segen

Musik 

Gottesdienst am 24.10.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
Herzlich willkommen an diesem herbstlichen, kalten Sonntag Ende Oktober hier in der Dankeskirche.
„Um Himmels willen!“, rufen manche aus und meinen damit einen Sturm, ein Unglück, etwas Schlimmes, das geschehen ist.
„Um Himmels willen!“, das sagen uns auch die Bibeltexte dieses Sonntags und meinen es aber ganz anders: Sie mahnen uns, unsere Verantwortung anzunehmen und wahrzunehmen hier auf dieser schönen Erde. Zum Beispiel gleich der Wochenspruch: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Röm 12,21)
Das Gute, die Liebe, mutet uns neue Wege zu: In der Familie, in der Gemeinde, in unserer Gesellschaft, gegenüber Freund und Feind.

Eingangslied: 445, 1 – 3     Gott des Himmels und der Erden

Votum

Psalm Ps 46/ EG 725
Gott ist unser Schutz
 
Gott ist unsre Zuversicht und Stärke,
eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
     Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge
und die Berge mitten ins Meer sänken,
 wenngleich das Meer wütete und wallte
und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.
     Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein,
da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.
 Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie festbleiben;
Gott hilft ihr früh am Morgen.
     Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen,
das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt.
 Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
     Kommt her und schauet die Werke des Herrn,
der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet,
 der den Kriegen steuert in aller Welt,
der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt.
     Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!
Ich will der Höchste sein unter den Heiden, der Höchste auf Erden.
 Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Psalm 46,2-12

Eingangsgebet
Jesus, unser Bruder und Herr, du rufst uns in deine Nachfolge
Und versprichst uns Leben in Fülle.
Wir folgen deinem Ruf und versuchen, in deine Fußstapfen zu treten.
Wir strecken uns nach dem, was du uns versprichst.
Aber es gibt so viele Wege, und manche sehen viel leichter aus als dein Weg.
Immer wieder gehen wir Abkürzungen oder verlieren uns selbst.
Du hörst nicht auf, zu rufen nach jeder und jedem Einzelnen.
Forderst uns heraus, forderst uns auf, nicht träge zu werden, sondern
Zu unserem Glauben zu stehe, für unsere Hoffnung zu kämpfen:
Nach Gerechtigkeit auf der einen Welt, für alle, nach dem Frieden, der nur aus der Gerechtigkeit erwächst.
Wir bitten dich, hilf uns, uns aufzuraffen und verzeihe uns unsere Trägheit.
Auf dem Weg des Glaubens wollen wir einen Fuß vor den anderen setzen,
bis wir am Ende angekommen sind …
durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn …

Entzweiungen um Jesu willen Mt. 10, 34 – 39
34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

Lied: 362, 1+2    Ein feste Burg ist unser Gott

Predigt

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen Amen.

Liebe Gemeinde,
was ist für Sie der Wahlspruch Jesu? Also das Zitat, das ihn ausmacht und das für seine Sache steht.
Vielleicht: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“  Das fällt mir zuerst ein, zusammen mit anderen Seligpreisungen aus der Bergpredigt, wie zB: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
Oder ein Motto, das wie eine Überschrift über dem ältesten Evangelium bei Markus steht: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“ So ruft der charismatische Wanderprediger auf zu Umkehr und Neuanfang angesichts von Gottes neuer Welt, um die sich seine Predigten und Gleichnisse drehen.
Mir persönlich gefällt auch: „Ich bin gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“ (Lk 4)

Aber wie sieht es aus mit dem Wahlspruch, den wir eben in der Lesung des Predigttextes gehört haben: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“  Ist das der Jesus, wie wir ihn uns vorstellen? Auf der einen Seite redet er von Nächsten- und sogar von drastischer, radikaler Feindesliebe. Auf der anderen Seite spricht er sich gegen die Elternliebe aus. Das will nicht so richtig passen. Für einen Wahlspruch von Jesus taugt dieser Satz doch wohl nicht.
Palästina ist zur Zeit Jesu in einem dauernden Zustand von Wirtschaftskrise und Unruhe. Die Römer haben Steuern eingeführt, die es vorher nicht gab, die Bevölkerung verarmt drastisch. Kinder und Alte, Witwen und Waisen sind völlig unversorgt. Kleinere Aufstände werden blutig niedergeschlagen von der Besatzungsmacht, die auch die jüdische Tradition immer wieder infrage stellt. Die Zeloten wollen das nicht mehr mitmachen und gehen in den gewaltsamen Widerstand. Unter ihnen gibt es auch welche, die aus religiöser Motivation handeln. Judas war so einer.
Jesus kritisiert zwar auch die römische Herrschaft und wird den Mächtigen am Ende ja auch so gefährlich durch das was er sagt und was er auslöst, dass sie ihn am Ende hinrichten. Aber sein Widerstand ist gewissermaßen noch subversiver. Er ruft deshalb zu Gewaltverzicht und Feindesliebe auf, weil er das, wie später Gandhi oder Martin Luther King, für den klügeren Widerstand hält. Die römischen Soldaten spielten mitunter ihre Machtspiele. Und von den Hobbyrömern hier weiß ich, wie schwer so eine römische Ausrüstung zu tragen war. Jesus sagt: Wenn dich einer zwingt, sie ihm eine Meile zu tragen, dann gehe zwei mit ihm. Das setzt darauf, den Kreislauf der Gewalt zu überwinden und den Feind oder Gegner zu verunsichern.

„Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Es handelt sich also nicht um einen Aufruf zu Gewalt. Es geht um die Nachfolge Jesu, der Vers steht in der sogenannten Aussendungsrede Jesu. Jesus schickt seine Jüngerinnen und Jünger auf den Weg und bereitet sie darauf vor, dass es ungemütlich werden kann. Es kann etwas kosten, eine Christin oder ein Christ zu sein.
Mein Großvater hatte eine sehr kleine chemische Fabrik oder Werkstatt. Im Sudentenland war sie einmal größer. Auch mein Vater war Chemiker. Mein Opa mischte Reinigungsmittel, Seife und Hautcremes in riesigen Kesseln, Zahnpasta und leider auch Unkrautvernichtungsmittel. Oft traf er sich mit den Vertretern seiner Produkte, Und wenn ich dazu kam, dann stellte er mich vor und sagte, auf mich zeigend: “Das ist der Atomphysiker in unserer Familie.“
Sie und ich wissen, dass es anders kam. Vor dem Abitur beschloss ich, Theologie zu studieren. Meine Familie war davon total überrascht, es erwischte sie gewissermaßen auf dem falschen Fuß. Dazu kam, dass wir katholisch waren und ich auch noch die Konfession wechselte.

Mitunter trifft einen Menschen ein Ruf, und er weiß im gleichen Moment, das ist keine von den Verlockungen, mit denen uns diese Welt ständig in Aufruhr versetzt. Dieser Ruf ist etwas Anderes und er kommt von woanders her. Ich soll dem, was bisher war, den Abschied geben und soll mich zu etwas Neuem aufmachen.
Viele Geschichten in der Bibel erzählen davon, wie Menschen solch einen Ruf vernommen haben, Noah, als er die Arche baute, Abraham, als er im hohen Alter aus seiner Heimatstadt Haran wegzog. Und natürlich die Jünger: Jesus lädt sie ein, folget mir nach! und sie lassen alles stehen und liegen und gehen mit.
Die Nachfolge Jesu muss nicht in Ablehnung oder Verfolgung münden, aber sie kann. An Jesus zu glauben bedeutet nicht einfach Friede, Freude Eierkuchen. Wer ihm wirklich nachfolgt, ist gefordert. Glaube heißt, sich gegen andere zu stellen, gegen das Übliche. Glaube heißt, sich selbst zu hinterfragen und umzukehren. Und Glauben bedeutet auch, zu zweifeln.

Die Worte Jesu rufen uns nicht zum Schwert und auch nicht zum Familienstreit. Aber sie fragen uns danach, was uns wirklich wichtig ist. Welche Bedeutung hat für dich der Glaube, haben christliche Werte? Bist du bereit, dafür etwas in Kauf zu nehmen, einen neuen Weg zu gehen?
Zehn Jahre nach meiner Entscheidung, Theologie zu studieren, haben uns meine Eltern in den USA besucht. Auf dem Flughafen kam mir mein Vater entgegengelaufen und sagte: „Wir sind jetzt Brüder!“, was mich damals sehr verwirrt hat. Er meinte, er sei nun auch evangelisch geworden. Eine Glaubensgeschichte aus unseren Breitengraten.
Gott schenkt uns als Christen in Mitteleuropa ein sicheres und komfortables Leben. Dafür können wir ihm dankbar sein. Das ist nicht allen unseren Glaubensgeschwistern geschenkt. Nicht unseren Geschwistern in der Partnerdiözese Amritsar in Nordindien. Nicht denen in Indonesien oder an vielen anderen Orten dieser Welt. In Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Das also gibt Jesus den Seinen mit auf den Weg, als Warnung und als Trost: “Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Lied: 395    Vertraut den neuen Wegen

Fürbitte
Großer Gott,
du versprichst uns Leben in Fülle und rüstest uns mit allem aus,
was wir brauchen.
Wir wollen die Waffe des Gebetes ergreifen, nicht mehr und nicht weniger und dich bitten:

•    Für alle Menschen, die innerlich einen Kampf ausfechten, die sich täglich neu für den richtigen Weg entscheiden müssen, die um ihren Glauben ringen, die von Zweifeln oder Verzweiflung geplagt werden. – Schütze sie und halte sie in deiner Liebe fest.
•    Für die Menschen, die sich für unsere Gemeinde und die weltweite Kirche einsetzen, die um das Überleben der kirchlichen Gemeinschaften kämpfen, finanziell oder spirituell – lass sie nicht müde werden und schenke ihnen Fantasie und Kraft.
•    Für alle Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, die um ihr Leben fürchten müssen, die ihre Heimat verlassen müssen, und auch für die, die ihren Glauben nur heimlich leben – Erfülle sie mit deinem Frieden und lasse sie nicht los.

Vater Unser

Schlusslied: 625    Wir strecken uns nach dir

Abkündigungen

Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 17.10.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgel
Begrüßung

Willkommen zum Gottesdienst in der Dankeskirche. Und Dank und Dankbarkeit passen auch gut zum Thema dieses Sonntages, an dem es um Gottes gute Ordnungen geht und der uns ein wenig über das Leben lehren will. Schon dem Wochenspruch aus dem Prophetenbuch Micha (6.8) gelingt es in einem Satz: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Gottes gute Ordnungen befreien uns aus eigenen einengenden Normen und öffnen uns für die Weite seiner Liebe. – Als Predigttext hören wir gleich einen Text aus dem Buch des Predigers, der neu in die Perikopenordnung gekommen ist.

Und wir wollen auch wieder singen. Dabei gehe ich davon aus, dass Sie hier alle den vorgeschriebenen Abstand von anderthalb Metern ringsherum eingehalten haben (außer Sie gehören zu einem Haushalt). Wenn nicht, tun sie das bitte oder lassen sie das Singen und setzen ihre Maske bitte wieder auf.
Wir singen vier Lieder – und wir wollen auch einzelne Antwortgesänge wieder anstimmen, das Amen zB, und das Halleluja.

Eingangslied: 444, 1 – 3      Die güldene Sonne
Votum
Aus Psalm 119 / EG  748

Erhalte mich, Herr, durch dein Wort, dass ich lebe

Wohl denen, die ohne Tadel leben,
die im Gesetz des Herrn wandeln!
Wohl denen, die sich an seine Mahnungen halten,
die ihn von ganzem Herzen suchen,
die auf seinen Wegen wandeln
und kein Unrecht tun.
Wenn ich schaue allein auf deine Gebote,
so werde ich nicht zuschanden.
Ich danke dir mit aufrichtigem Herzen,
dass du mich lehrst die Ordnungen deiner Gerechtigkeit.
Deine Gebote will ich halten;
verlass mich nimmermehr!
Öffne mir die Augen,
dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.
Zeige mir, Herr, den Weg deiner Gebote,
dass ich sie bewahre bis ans Ende.
Meine Seele verlangt nach deinem Heil;
ich hoffe auf dein Wort.
Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort
und sagen: Wann tröstest du mich?
 Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre,
so wäre ich vergangen in meinem Elend.
     Dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Wege.
 Erhalte mich durch dein Wort, dass ich lebe,
und lass mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung.
     Stärke mich, dass ich gerettet werde,
so will ich stets Freude haben an deinen Geboten.

Eingangsgebet
Gott, du bist stiller Lebensbegleiter in Tagen des Glücks und der Traurigkeit. Unmerklich bleibst du unser Allernächster. Herr, wir möchten so gerne glauben! Lass uns dich wahrnehmen in den Stunden des Glücks und in der tiefen Verzweiflung, im Alltag und im Fest. Komm, belebe erstarrte Sinne, lass uns wacher und geistesgegenwärtiger leben vor dir. Öffne nun unsere Ohren, damit wir dein schweres Wort an uns wahrhaft heranlassen. Das bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn. Amen.

Lesung/Predigttext Prediger  12, 1 - 7
1 Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«; 2 ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, – 3 zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, wenn finster werden, die durch die Fenster sehen, 4 wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leise wird und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; 5 wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; – 6 ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt. 7 Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat. 8 Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel.

Wochenlied: 295, 1+2     Wohl denen, die da wandeln

Predigt
Die Liebe unseres Herrn Jesus Christus, die Gnade Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
vor vielen Jahren habe ich in der Gutenbergstraße einen alleine lebenden alten Herrn besucht. Er war fast einhundert und erzählte mir von den Schlachtfeldern des 1. WK bei Verdun, die er als junger Mann überlebt hatte und die meisten anderen aber nicht. Vor ein paar Jahren besuchte ich eine über einhundertjährige Frau in der Luisenstraße zum Geburtstag. Ihr achtzigjähriger Sohn hatte ihr Brot in kleine Stückchen geschnitten. Sie erzählte mir, dass sie mit ihrer Mutter frischen Saft zu den Soldaten brachte, die im Frankfurter Hauptbahnhof zu Kriegsbeginn 1914 auf ihre Abfahrt an die Front warteten und fröhliche Lieder sangen.

Zuletzt findet ein Buch Eingang in das Alte Testament, das einen neuen Ton in den biblischen Glauben einbringt. Der Prediger, auf Hebräisch Kohelet, hat am Hof gelebt und zugleich den Alltag und das Leben genau beobachtet. Im Judentum wird sein Buch am freudig gestimmten Laubhüttenfest in den Synagogen verlesen.  Es steckt, wie wir von anderen Stellen daraus wissen, voller Bilder: wir kennen vielleicht die zweifache und die dreifache Schnur, die nicht so leicht entzweireißt, dann, wenn zu einer Verbindung zweier Menschen, die sich gemeinsam wärmen und gegenseitig aufhelfen können nämlich Nachwuchs dazu kommt. So ironisch und augenzwinkernd, so realistisch und pragmatisch schaut der Prediger auf das Leben.  Die Litanei von der Zeit steht ja schließlich auch bei ihm, die damit schließt, dass es nichts Besseres gibt im Leben als sich gütlich zu tun, es sich schmecken zu lassen und fröhlich zu bleiben: Alles hat seine Zeit.

Siebzehn Metaphern für das Altwerden habe ich in unserem Text gezählt. Sie kommen wie ein Echo aus einer fernen Welt daher, in Reihen schnürt der Prediger sie aneinander, das ist typisch für ihn und die biblische Weisheitsliteratur. Er scheint sein Thema zu umkreisen. Denn die Erfahrung des Alters lässt sich nicht leicht auf den Punkt bringen, sondern nur in Bildern umreißen. Das Alter ist die Zeit der abnehmenden Kraft. Wenn Hohes Angst macht und Wege nicht mehr ohne Weiteres gegangen werden können. Es ist die Zeit der Ernte: Wenn Müllerinnen die Arbeit niederlegen, weil das Korn zu Ende gemahlen ist. Wenn die Hülle der Kaper nach langer Zeit endlich aufbricht und ihre Frucht freilegt. Und wenn der Mandelbaum blüht, dann sind spätestens auch die Oliven zu Öl gepresst. Es ist die Zeit, wo dir klar wird, dass das Glück nicht im Haben, sondern im Sein liegt, weil Silber und Gold, Eimer und Rad zerbrechen.

Wenn solche Erfahrungen sich einstellen, dann machst du zugleich mit ihnen die Erfahrung des Alters. Und das ist nicht unbedingt eine Frage des Jahrgangs, Kohelet spricht nicht nur zu Hochbetagten. ER spricht zu Menschen, die sich alt fühlen nach den langen pandemischen Monaten. Er spricht zu Menschen, die auf Heilung warten oder die an der Schwelle sind zwischen zwei Lebensphasen und noch nicht wissen, wie es weitergehen kann. Zu denen spricht Kohelet, die sich hineinnehmen lassen in die Bildsprache seiner Überlegungen.

„Die Wächter des Hauses zittern, weil die Arme und Beine, die Hüter des Körpers, schwach oder untrainiert geworden sind. „Die starken Männer krümmen sich“, weil die Muskelkraft nachlässt oder sie allmählich Osteoporose haben. „Die Müllerinnen stellen die Arbeit ein, weil nur noch wenige übriggeblieben sind.“ Heute lässt sich der Verlust der Zähne mit Implantaten oder einem Gebiss ausgleichen; damals war das nicht möglich. Und wenn schließlich der Mandelbaum blüht, die Heuschrecke sich hinschleppt und die Kaper sich öffnet – dann geht der Mensch in sein ewiges Haus und auf der Straße stimmt man die Totenklage an.

Oktober, der Sommer schließt die Türen an der Gasse. Zwischen Erntedank und den letzten Tagen dieses Kirchenjahres schauen wir zurück und fragen nach unserem Leben und nach dem, dem wir alles zu verdanken haben. „Ist es nun nicht besser für den Menschen, dass er isst und trinkt und guter Dinge ist bei all seinem Mühen? Aber dies sah ich auch, dass alles von Gottes Hand kommt.“ Wirkliches Glück kennt seinen Geber Ich weiß mich bezogen, begleitet und beschenkt. Ich weiß, woher ich komme und wohin ich gehen werde, woher mein Lebensglück kommt und wohin ich es am Ende wieder zurückbringe. Seien wir also dankbar am Ende des Kirchenjahres und am Ende des Lebens.

Sei dankbar für das, was wie die Kaper oder die Olive erst genießbar wird, wenn es eine Weile gelegen hat in deiner Lebensgeschichte. Das, was vergangen und trotzdem gültig ist. Die verheilten und vernarbten Wunden deines Lebens; Die frühere Liebe, die noch immer in deinem Herzen wohnt. Und sei auch dankbar für die Türen, die zugegangen sind. Sie haben dich vielleicht geschützt.

Sei dankbar für die Stimmen, die leise wurden. Aber auch für die, die du gerne länger gehört hättest und die verschwunden sind aus deinem Leben, das waren Schmerz und Liebe und das war dein Leben. Und so, wie es war, genauso, war es gut, lebendig, intensiv. Sei dankbar für die Plagen, die ein Ende genommen haben. Für zu Beklagendes auch und noch mehr für alles, was geblüht hat in deinem Leben wie der schönste Mandelbaum. Für die wild wachsenden und unscheinbaren Geschichten deines Lebens, die in karger Erde sich durchgeschlagen haben und am Ende unverwüstbar sind. Dankbar für das Glück, ausgerechnet in diesem Land hier geboren worden zu sein, mit all den Vorteilen, die das unverdient für dich hat – denn auch dafür hast du nichts getan. Es ist dein eigenes, unverwechselbares Leben, wie es das bei allen Menschen die jemals gelebt haben und leben werden nur dieses eine und einzige Mal gibt.

Was nehmen wir nun mit aus diesem beeindruckenden Bilderrätsel des Predigers? Als jüngerer Mensch könnte es sein: Leben bewusst in deinem Lebensalter jetzt. Danke Gott für die Lebenskraft, die er dir schenkt. Danke ihm für die Gesundheit und die Freude, die er dir schenkt. Fürchte dich nicht vor dem Alter, aber achte die Altgewordenen, die es schwerer haben. Gehe aufmerksam mit ihnen um. Und übe dich in der Dankbarkeit für jeden Tag deines Lebens. Dann wirst du dein Leben tiefer erleben, als wenn du meinst, es selbst in der Hand zu haben.

Als älterer Mensch danke ich Gott, der mich ins Leben gesandt hat und mich bis zu diesem Tag bewahrt und geleitet hat. Ich danke ihm für dieses reiche Leben. Für meine Jugend, die er mir geschenkt hat; dafür, dass ich den Glauben in meinem Leben finden konnte. Dass er mir in den leichten und schönen und auch in den schweren Zeiten meines Lebens Kraft und Segen geschenkt hat. Und auch dafür, dass er mich hat alt werden lassen. Mit ihm will ich meinen Weg weitergehen.

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen

Lied: EG+ 111    Meine Zeit steht in deinen Händen

Fürbitte
Gott, ohne deinen Geist bleiben wir mit uns allein. Mit deiner Geisteskraft lehnen wir uns an dich an. Komm und verwandle unsere Bitten zum Gebet. So rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Für alle, die innerlich auf der Stelle treten, die mutlos und lebensmüde geworden sind; für alle Zeitgenossen, die an sich und ihrem Leben verzweifeln, die leben ohne Richtung und Ziel.
Gemeinsam rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Für die Unscheinbaren, die Unterschätzten, die Gekränkten, die Verlierer. Für die, denen der Herbst und die zunehmende Dunkelheit zusetzt. Für die Obdachlosen und Flüchtlinge, die nicht wissen, wohin sie ihr Haupt hinlegen sollen. Für alle, denen der Himmel nichts mehr sagt und die vom Licht des Glaubens immer weniger erreicht werden.
Gemeinsam rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Für deine Gemeinde, dass sie vielstimmig ist und sein darf – wie der Chor der biblischen Stimmen. Lass sie hellhörig sein für die Zeichen der Zeit, gastfreundlich, mitleidig, ein Zufluchtsort für Unbehauste und Ruhelose.
Gemeinsam rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Für die Starken, die Gesunden, die Erfolgreichen, die Glücklichen, für alle, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen und denen alles gelingt. Lass sie nachdenklich und dankbar bleiben und auf dich als den Geber allen Glückes stoßen.
Gemeinsam rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Unser Leben ist wie ein Windhauch. Doch deine Verheißung, Gott, bleibt.
Auf dich ist Verlass.
Dir sei die Ehre und der Lobpreis, jetzt und in Ewigkeit.

Vater Unser
Schlusslied: 171, 3+4    Bewahre uns, Gott
Abkündigungen
Segen
Orgel

Gottesdienst am 10.10.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik
Begrüßung

Seien Sie alle, seid ihr alle herzlich gegrüßt an diesem neuen Morgen!
Wie können wir leben angesichts der Erkenntnis, dass unser Leben hier begrenzt ist? Was ist uns wichtig?  Und welche Bedeutung messen wir Gott bei  -  in unseren Höhen wie auch in unseren Tiefen? Um diese Fragen geht es heute.
Dabei erreicht uns ein Wort aus der Bibel, aus dem Buch des Profeten Jeremia 17,14. Es erinnert uns daran, dass Gott ansprechbar für uns ist, dass er uns mit seiner Hilfe und Kraft näher ist als wir ahnen und dass er es mit uns wirklich zu tun haben will. „Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.“
Mit diesem Vertrauen feiern wir den Gottesdienst – und feiern ihn im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Lied: 445, 1.2.5 Gott des Himmels und der Erden

Psalm 31 (EG 716)

Kollektengebet
Du, unser Gott, wir haben uns aufgemacht an diesem Morgen. Du lädst uns ein, in dein Haus zu kommen, so wie wir sind.
Gemeinsam wollen wir auf dein Wort hören, uns mahnen und stärken lassen, uns aufrichten und segnen lassen.
Heile, unser Gott, was uns wehtut und schmerzt. Und lass uns dahin kommen, dass wir dich mit unserem Leben neu loben können.
Das bitten wir dich im Namen Jesu Christi, deines Sohnes. Amen.

Schriftlesung: Prediger Salomo (Kohelet) 3,1-13

Glaubensbekenntnis

Lied: + 102,1-4 Da wohnt ein Sehnen

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

In meinem Arbeitszimmer, liebe Gemeinde, liegt ein kleiner, bunter Teppich. Ich habe ihn heute mitgebracht. Schon seit langem gehört er zu mir und zu meiner Geschichte. Eines meiner Kinder hat ihn damals als Grundschulkind selbst gewebt.  Und hat ihn mir geschenkt.  Darum ist er sehr kostbar für mich! Viele bunte, ganz unterschiedliche Wollfäden durchziehen ihn. Dicke und dünne, helle und dunkle, glitzernde und matte Fäden. Dieser kleine, für mich ganz wertvolle Teppich kam mir in den Sinn, als ich den Predigttext dieses Sonntags las. Es ist ein dramatisches Lied des Königs von Juda aus dem 8. Jh.  vor Christus.

Wenn das Leben eines Menschen bedroht ist, dann sagen wir: „Es hängt nur noch an einem seidenen Faden.“ So erging es auch Hiskia. Er war der König des Südreiches Juda. Alles, was er anpackte, schien ihm zu gelingen. Seinen kleinen Staat hielt er handlungsfähig, trotz der beiden großen Supermächte, die zu seiner Zeit das Sagen hatten: Assyrien im Norden und Ägypten im Südwesten. Er war ein gewiefter Taktiker und Politiker; so verhinderte er tatsächlich die Belagerung seiner Hauptstadt. Und er lebte in einer vertrauensvollen, im guten Sinne frommen Beziehung zu Gott. Sein ganzes Volk sah zu ihm auf und vertraute ihm. Hiskia aber wurde auf der Höhe seiner Tage todkrank.

„Bestelle dein Haus, denn du wirst nicht am Leben bleiben“, so sagte es ihm der Profet Jesaja. „Bald ist dein Ende da.“    

Wer immer schon einmal mit einer schlimmen Nachricht konfrontiert war, kann sich vorstellen, was nun in Hiskia vorging. Angst – Panik – Tränen. „Hiskia wandte sein Gesicht zur Wand und betete zu Gott. Und er weinte sehr“, so hören wir aus dem Bibeltext in Jesaja 38.

Keiner soll ihn jetzt sehen. Er braucht Zeit. Er versucht zu begreifen. Und dann kommen ihm Bilder in den Kopf. Von einer Hütte, die abgebrochen wird. Von einem Zelt, das über ihm ist und nun weggenommen wird. Von einem Lebensfaden, der abgeschnitten wird.

„Zu Ende gewebt habe ich mein Leben wie ein Weber; und er schneidet mich ab vom Faden“ -  so wird Hiskia es später im Gebet, in seiner Klage rufen. Zuerst einmal aber ist er sprachlos. Ohne Worte. Hiskia braucht viel Zeit, um überhaupt wieder Worte zu finden.

Dem König Hiskia fällt das Bild vom Weben ein. Und bei allem realistischen Anschauen seiner Situation, bei allem Schmerz - ist mit diesem Bild nicht auch irgendwo ein Trost verbunden? Das Leben als ein filigraner Teppich, das menschliche Leben als ein kunstvolles Webstück – ich stelle mir vor, wie er zurückschaut: Faden ist an Faden geknüpft. Manchmal ist das Muster geordnet und manchmal auch weniger ordentlich.  Aber genau mit diesem Muster und mit den verschiedenen Fäden ist es in sich einmalig! Und im Muster dieses Webstückes sind viele einzelne Geschichten seines Lebens verborgen: zuversichtliche und fröhliche Geschichten, aber auch traurige und schmerzliche. Manchmal ist auf den ersten Blick auch gar kein Zusammenhang zu erkennen; außer diesem, dass der Faden irgendwie weiterläuft, dass er sich durchzieht. Und doch: das Webstück seines Lebens ist abwechslungsreich; es ist bunt.  Und es ist absolut wertvoll in sich selbst.

Unter diesem Blickwinkel schaue ich auf mein eigenes Leben. Und ich sehe, dass auch ich eingespannt bin wie in einen großen Webrahmen, der mich umgibt und der mich hält. Mein Lebensfaden läuft fort, mit seiner Geschichte. Er hat irgendwo angefangen.  Und heute ist er hier. Ich sehe all das, was gelungen ist, aber ich sehe auch die Brüche und die Übergänge, die nicht einfach waren. Ich sehe, was ich noch richtigstellen will, was ich noch tun will, noch erreichen will. Wie gut, dass da noch Platz ist im Webrahmen meines Lebens. Wie gut, dass da noch so mancher Faden weitergesponnen werden kann. Noch so manches neue Muster kann da entstehen! Neue Entdeckungen, die auf mich warten, ein neues Engagement, das ich irgendwann vielleicht finden werde. Ich habe an diesem Kunstwerk gewebt – so wie jeder Mensch an seinem eigenen Kunstwerk webt. Andere haben auch daran mitgewirkt.  Und Gott hat daran auf seine eigene, geheimnisvolle Weise mitgewebt.

Aber fertig ist das Kunstwerk wirklich noch nicht. Noch so manches Neue kann kommen. Es ist noch Platz da auf dem Webrahmen. Und es ist noch Zeit da.

Und dann denke ich wieder an Hiskia, den König von einst: was würde ich tun, wenn es hieße, dass ich schon vorzeitig vom Faden abgeschnitten werden sollte? Bestimmt würde ich - genauso wie er - mit Gott verhandeln wollen. Dann würde ich ihm gern mein buntes, vielfältiges Lebensmuster zeigen und wie sehr es doch mit so vielen Menschen verwoben ist. Die starken Fäden und die dünnen, die dunklen und die strahlend hellen. Die hellen Zeiten, Fäden der Freude, die schönen Zeiten, eingewebte Perlen der Liebe, die Hoffnung auf gute Ausgänge und ihre Erfüllung und wie der Faden trotzdem weiterlief, auch wenn er durch meine Ängste und Aussichtslosigkeiten hindurchgehen musste.

Hiskia sagt es auf seine Weise, auch er verhandelt: „Erinnere dich doch, Gott, an deine Güte. An meine Versuche, dir zu dienen. Denke doch daran, wie ich das getan habe, was dir gefällt.  Tritt für mich ein!“

Und Gottes Herz lässt sich erweichen, als er auf Hiskia blickt. Noch einmal wird ihm eine Spanne Zeit geschenkt. 15 Jahre – auch wenn sie ganz und gar unverdient sind. „Ich habe dein Gebet gehört und habe deine Tränen gesehen“, so lässt Gott es ihm durch Jesaja sagen.

Im Leben des Königs gibt es tatsächlich noch einmal eine Wende:  sein Klagelied verwandelt sich.  Es darf ein Danklied daraus werden. Er darf noch einmal in eine offene Zukunft schauen. Und so singt er schließlich: „Du hast dich meiner Seele herzlich angenommen! Gott hat mir geholfen. Darum lasst uns singen und musizieren, solange wir leben, im Haus des Herrn.“

Hiskia versteht nun ganz neu, dass das Leben bedeutet, Gott zu loben. Dass es bedeutet, im Kontakt mit Gott zu sein. Hiskia hat erfahren, dass Gott da ist – wenn es ihm gut geht, aber genauso auch, wenn er um Hilfe ruft.

Aus eigener Anschauung wissen wir, dass Heilung nicht immer so geschieht wie im Leben des Königs Hiskia. Aus unseren Erfahrungen im Leben wissen wir: nicht jedes Leid wird so aufgehoben.  Nicht jede Krankheit wird so kuriert. Die große Wende tritt längst nicht immer so ein.  Es gibt kein garantiertes Erfolgsrezept.  Es kann sein, dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, dass das Webstück des Lebens unvollendet bleibt, dass es Fragment bleibt in unseren Augen.

Trotzdem aber, denke ich, können wir etwas ganz Wichtiges von Hiskia lernen.

  • Wenn wir in Not sind, dann können wir die Not mit allen Fasern ausdrücken; wir können sie laut benennen, wir müssen sie nicht nur bei uns selbst lassen. Gott ist da - und wenn er als Klagemauer da ist, zu der wir gehen. Er bleibt uns treu und nimmt sich unserer Seele herzlich an.  Er wird uns die Kräfte geben, die wir gerade in dieser Notsituation brauchen.
  • Und wir lernen dieses Andere: unsere Lebenszeit ist uns geschenkt! Auch wenn das Leben fragmentarisch daherkommt, unvollendet: nichts ist selbstverständlich. Jeder Tag ist Gnade. Jedes Jahr unseres Lebens ist letztendlich ein Geschenk. Ein Kunstwerk, wertvoll und aus Gottes Hand. Und es bleibt in Gottes Hand geborgen, egal, wie groß und wie umfangreich es gewebt worden ist. Jeder Tag neu - geschenkte Zeit.

Gerade deshalb ist es gut, innezuhalten und sich zu fragen: wie will ich mein weiteres Leben gestalten? Wie kann ich mit innerem Frieden leben, wie kann ich mit Dankbarkeit und mit Liebe da sein? Wir können Licht der Welt sein, sagt Jesus. Auch durch uns kann die Welt heller und wärmer werden. So weben wir weiter am Kunstwerk des Lebens. Gott aber hält zuletzt den Webrahmen und die Fäden in seiner Hand.

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten
Lasst uns unseren Dank und unsere Bitten zu Gott bringen und beten.

Du, liebevoller Gott, kein Tag ist selbstverständlich. Jeder Tag ist ein Geschenk aus deiner Hand. So oft gehen wir blind und unbewusst durch unsere Zeit. Lass uns achtsamer sein für den Augenblick. Lass uns die Zeit wahrnehmen, genießen und auskosten. Lass uns mit Vorsicht unsere Schritte gehen.

Unser Gott, die Zeit, die wir miteinander erleben, ist ein Geschenk. Lass uns aufmerksam füreinander sein, aufeinander achten und nach dem Anderen, nach der Anderen fragen. Lass uns so der Gleichgültigkeit und Kälte widerstehen, die sich so oft ausbreiten wollen in unserem Land.

Wir bitten dich: schärfe unseren Blick für die Menschen, die sich zurückgezogen haben, die sich ausgegrenzt fühlen oder die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr am gemeinschaftlichen Leben teilnehmen können. Lass uns gemeinsam nach Wegen für ihre Teilhabe suchen und beglückende Erfahrungen miteinander machen.

Wir danken dir für die Zeiten der Genesung, auf die wir im Leben zurückblicken können. Als wir neue Kräfte bekamen nach Zeiten der Schwachheit, als eine neue Hoffnung und Zuversicht in uns gewachsen sind.

Und wir bitten dich für alle Menschen, die krank sind.  Nimm du dich ihrer Seele an. Heile sie, wo es möglich ist. Tröste sie. Bewahre sie vor Verzweiflung. Gib ihnen die Kräfte, die sie gerade jetzt benötigen. Stelle ihnen Menschen wie Engel zur Seite und sei ihnen mit deinem guten Geist nahe.

Bitte für Verstorbene

Vaterunser

Lied: 170, 1-4 Komm, Herr, segne uns

Abkündigungen

Segen

Musik

Erntedankgottesdienst am 3.10.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung und Votum

Lied: Wir pflügen und wir streuen  EG 508

Psalm 104 im Wechsel mit Gemeinde

Gebet

Wir feiern Erntedank und danken dir, Gott,
für alles, was du uns schenkst.
Für das Brot. Das wir essen,
für Wohnung und Kleidung,
für Arbeit und Ausbildung,
für Freude und Freundschaft.
Für die Menschen, die uns vertraut sind.
Hilf uns, Gott, dass wir die nicht vergessen, denen
Es nicht gut geht,
die nicht genug zu essen und zu trinken haben,
die arm sind, ohne Arbeit und Ausbildung.
Und hilf uns, deine Schöpfung zu bewahren,
für die Generationen nach uns, für alle Lebewesen.

Lesung: Lukas 12,13-21

Glaubensbekenntnis

Bericht von der Ernte in der Wetterau: Florian Hartmann

Lied: Ich singe dir mit Herz und Mund EG 324

Predigt zu Jes 58,7-12
Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. 9Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

Liebe Gemeinde,
so verkündet es der Prophet Jesaja seinem Volk: Wenn ihr euch euren Mitmenschen gegenüber zugewandt und liebevoll verhaltet, dann ist Gott da. Dann antwortet Gott auf unser Rufen. Da werden unsere Herzen weit und Gottes Geist strahlt aus in unsere Welt.

Wichtig ist allerdings, dass die Reihenfolge stimmt! Gott lässt sich nicht bestechen oder herbeizwingen. Wenn wir uns nur unseren Mitmenschen zuwenden, um einen eigenen Vorteil zu erlangen, um uns einen gnädigen Gott und einen guten Platz im Himmel zu verdienen, dann wird diese Rechnung nicht aufgehen. Gott ist da, wo Menschen sich ohne Berechnung selbstlos für andere einsetzen. Eben um dem anderen zu helfen, nicht sich selbst.

Im Gleichnis vom Weltgericht erzählt Jesus genau davon. Diejenigen, die Jesus so viel Gutes getan haben, wussten es gar nicht. Sie hatten ohne Berechnung und ohne Hintergedanken, ohne etwas für sich selbst erreichen zu wollen, ihren Mitmenschen geholfen. Ihnen hatten sie Gutes getan und damit auch Jesus. Und die, die keinen Einlass ins Himmelreich finden, die haben ihren Mitmenschen nicht beigestanden, weil sie in ihnen Jesus nicht gesehen haben. Und so versuchen sie auch sich vor Jesus zu rechtfertigen: Hätten wir dich, Jesus, erkannt – wir hätten dich natürlich gekleidet, wir hätten dich besucht! Warum hast du dich denn nicht zu erkennen gegeben, Jesus?

„Siehe, hier bin ich!“ – so spricht Gott. Was werden wir sagen, wenn wir vor Jesus stehen?

Habe ich getan, was vor Gott recht ist? Kann ich mit gutem Grund hoffen, dass Gott sich naht?
Schon Luther hat immer wieder betont, wie wichtig die tägliche Umkehr ist. Ich bin gefragt und kann mich nicht hinter Vorschriften oder dem, was die anderen tun, verstecken. Umkehr tut Not: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut.!“

Die Menschlichkeit einer Gesellschaft entscheidet sich daran, wie menschenwürdig die in ihr leben, die es schwer haben – aus welchen Gründen auch immer. Gott lässt sich finden, wenn die Schere zwischen arm und reich zusammengeht. Wenn wir dafür etwas tun, wenn wir diejenigen an unser Herz heranlassen, die noch nicht oder nicht mehr für sich selber sorgen können.

Politisch ist das alles kompliziert. Gerade in der Landwirtschaft. Zwischen EU und Deutschland, zwischen Agrarindustrie und Biolandwirtschaft. Viele suchen ihren Weg, der es ermöglicht, von der Landwirtschaft zu leben und dennoch nachhaltig ist. Das ist eine schwierige Aufgabe. Der Konkurrenzdruck ist groß. Es müssen so viele Faktoren zusammenspielen, um eine gute Ernte einzufahren. Wir haben eben davon gehört. Das Erntedankfest bindet da vieles zusammen: den Dank dafür, dass wir hier in der Wetterau auf unglaublich fruchtbaren Boden leben, der gute Ernten ermöglicht. Den Dank dafür, dass das Wetter im Großen und Ganzen wieder mitgespielt hat, keine Unwetter die Ernte vernichtet oder den Boden weggespült haben.
Das Erntedankfest zeigt aber auch, dass es nicht darum gehen, immer möglichst hohe Erträge zu erzielen. An der Landwirtschaft und auch an anderen Betrieben, sehen wir, wie wichtig es ist, nachhaltig zu denken, nachhaltig zu handeln und immer auch die kommenden Generationen im Blick zu haben. Reine Profitgier zerstört die Natur hier bei uns – und gleichzeitig auch den in den Ländern des globalen Südens.

Auch die Kultur und unser Gemeinschaftsleben sind in Gefahr, wenn es nur noch um Profit geht. In vielen Dörfern gibt es schon lange keinen Dorfladen und keine Grundschule mehr.  Auch wie es mit der Kirche weitergehen wird ist unklar. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell gemeinschaftliches Leben zum Erliegen kommen kann und wie schwer es ist, danach an Vergangenes wieder anzuknüpfen. Wie viele Menschen unter Einsamkeit gelitten haben und immer noch leiden.

Brich dem Hungrigen dein Brot!“ So ruft Jesaja zur Umkehr auf. Und dieser Ruf gilt bis heute.

Dabei geht es nicht darum, anderen Schuld zu zuweisen. Es ist nicht so, dass die anderen immer alles falsch machen. Wir leben in einem System, in dem wir uns eigentlich gut gefällt, das uns aber oft gefangen hält und an dem wir manchmal leiden. Ich gehe auch gerne einkaufen und gönne mir etwas. Ich vertraue auf das Geld. Geld gibt mir Sicherheit.

Da bleibt Jesaja ein Stachel im Fleisch, der uns helfen will, unser Herz zu öffnen. „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe in dein Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn an, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird Gott sagen: Hier bin ich!“

Jesaja schaut zurück, aber er feiert auch. Er stellt uns vor Augen, wie die Kinder Gottes in einer herrlichen Ernteprozession aufbrechen aus dieser Gefangenschaft des Geldes in die Freiheit der Kinder Gottes: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.!“

Das ist eine große Prozession der Befreiung, die Jesaja da beschreibt. Dass wir alle hineinfinden in die Gemeinschaft Gottes. Eine Gemeinschaft in der nicht entscheidend ist, was die einzelnen besitzen, sondern eine Gemeinschaft, die sich um ihre Menschen sorgt, in der genug für alle da ist.

Liebe wird mehr, wenn wir sie teilen. Wir können sie nicht horten wie da Geld. Liebe lässt erfüllt mich und lässt mich aufstrahlen wie das Licht der Morgenröte. DA lerne ic h teilen ohne Angst, selbst etwas zu verlieren. Da tue ich mutige Schritte für meine Mitmenschen, nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit allen Glaubenden und im Vertrauen auf Gott.

„Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.“
Amen.

Lied: Dass du mich einstimmen lässt ein deinen Jubel 580,1.2

Wir wollen nun das Abendmahl am Platz miteinander feiern. Jesus selbst lädt uns dazu ein. Wir erinnern uns dabei an das Abendmahl, das er am letzten Abend mit seinen Jüngern gefeiert hat:

Gebet
Gott des Lebens. Von den Früchten der Erde bringen wir dir dieses Brot auf deinen Tisch, damit es uns zum Brot des Lebens werde. Groß ist deine Güte. Zu unserer Stärkung schenkst du uns den Saft der Trauben, die Frucht des Weinstockes und der Arbeit des Menschen. Groß ist deine Güte. Mit unserer Sehnsucht kommen wir zu dir an deinen Tisch. Mit unserer Schwäche, unserer Sorge, unserer Lebensfreude und unserer Kraft. Nimm du an, was wir bringen. Erhalte und belebe uns! Darum bitten wir dich durch Jesus Christus unseren Bruder und Herrn. Amen

Vaterunser

Einsetzungsworte: Konfis halten Brot und Kelch

Christe, du Lamm Gottes (von Frank gesungen)

Friedensgruß: legt eure rechte Hand aufs Herz und wendet euch einander mit einer Verbeugung zu

Brot von dem einen Brot. Trauben von der Frucht des Weinstocks. So nehmt nun das Brot! Es stärke euch und werde für euch zum Brot des Lebens. (essen)
So nehmt nun die Trauben. Sie mögen euch stärken, euch Heil und Freude schenken. Die Vergebung Jesu Christi ist euch gegeben. (essen)
Jesus Christus spricht: „Seht, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“
Das stärke und bewahre euch im Glauben bis zum ewigen Leben.  Amen.

Dankgebet
Du hast uns gestärkt, unser Gott. Wir haben deine Freundlichkeit geschmeckt. So gehen wir in diesen Tag: geliebt und gesegnet.
Wir danken dir! Amen.

Lied: 632,1.3.4 Wenn das Brot, das wir teilen

Fürbitten

Gott,
du bist die Quelle des Lebens,
du schenkst uns Nahrung, Kleidung,
ein Dach über dem Kopf,
Menschen, die sich um uns sorgen.
Dafür danken wir dir.

Wir bitten dich für die Menschen,
die sich nicht freuen können,
weil sie Hunger haben,
weil sie ohne Arbeit sind,
weil sie unter Gewalt, Krieg oder Unrecht leiden,
weil sie keinen haben, der sich um sie sorgt.
Hilf uns, die Not der Menschen in der Welt wahrzunehmen,
ohne darüber zynisch zu werden oder abzustumpfen.
Lehre uns teilen,
damit die Hoffnungslosen wieder Mut bekommen.

Gott, wir bitten dich für die Menschen in unserer Stadt,
für die Kinder, die Jugendlichen und die Erwachsenen.
Wir denken an die Kranken, die Traurigen, die Einsamen.
Tröste du sie, gib ihnen neuen Lebensmut
und hilf uns, ihnen beizustehen.

Wir denken an _, die in der vergangenen Woche bestattet wurden. Nimm sie auf in deine Ewigkeit und tröste ihre Angehörigen. Wir zünden eine Kerze für sie an.

Gott, erhöre unsere Bitten, dein ist der Ruhm und Herrlichkeit in Ewigkeit.

Lied: Verleih uns Frieden   eg+

Vorstellung des Projektes und Kollektenabkündigung

Segen
Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 26.9.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum
WOCHENSPRUCH
Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
(1.Johannes 5,4c)

Psalm 138

Dank für Gottes Verheißung
1381VON DAVID.
Ich danke dir von ganzem Herzen.
Ich will dich mit Liedern preisen
vor der versammelten Götterschar.
2Ich bete in Richtung deines heiligen Tempels.
Ich will dir danken für deinen Namen,
der für deine Güte und Treue steht.
Denn du hast eine große Verheißung gegeben,
wie es deinem Namen entspricht.
3Als ich zu dir rief, gabst du mir Antwort
und hast meinem Leben neue Kraft gegeben.
4Es danken dir, Herr, alle Könige der Welt.
Denn sie hören die Worte aus deinem Mund.
5Sie sollen singen von den Wegen des Herrn:
»Groß ist der Herr in seiner Herrlichkeit.
6Hoch ist der Herr, aber er sieht den Geringen.
Er thront in der Höhe, doch er nimmt alles wahr.«
7Wenn ich mitten durch Gefahren gehen muss,
erhältst du mich am Leben.
Wenn meine Feinde vor Zorn toben,
streckst du deine Hand aus und rettest mich.
8Der Herr bringt meine Sache zum guten Ende.
Deine Güte, Herr, bleibt für immer bestehen.
Lass nicht ab von allem, was deine Hände tun.

Gebet
Gott, du bist für uns wie ein Vater und eine Mutter,
du hast uns geschaffen zu deinem Ebenbild
und sprichst uns eine Würde zu,
die uns niemand nehmen kann.
Lass uns in dieser Stunde auf deine Stimme achten,
auf die Weisung deiner Gebote.
Hilf uns, dass wir dich von ganzem Herzen lieben
und unseren Nächsten wie uns selbst.
Dies bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn,
der mit dir und dem Heiligen Geist
lebt und Leben schenkt bis in Ewigkeit.
Amen.

Lesung : Mt 15,21-28
Eine kanaanäische Frau vertraut auf Jesus
Markus 7,24-30

21Jesus verließ Gennesaret und zog sich in das Gebiet von Tyros und Sidon zurück.22Da kam eine kanaanäische Frau aus dieser Gegend zu ihm. Sie schrie: »Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem bösen Dämon beherrscht!«23Aber Jesus gab ihr keine Antwort. Da kamen seine Jünger zu ihm und baten: »Schick sie weg! Denn sie schreit hinter uns her.«24Aber Jesus antwortete: »Ich bin nur zu Israel gesandt, dieser Herde von verlorenen Schafen.«25Aber die Frau fiel vor ihm auf die Knie und sagte: »Herr, hilf mir doch!«26Aber Jesus antwortete: »Es ist nicht richtig, den Kindern das Brot weg zu nehmen und es den Hunden vorzuwerfen.«27Die Frau entgegnete: »Ja, Herr! Aber die Hunde fressen doch die Krümel, die vom Tisch ihrer Herren herunterfallen.«28Darauf antwortete Jesus: »Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, soll dir geschehen! «In demselben Augenblick wurde ihre Tochter gesund.

Glaubensbekenntnis

Lied: EG 346,1.3 Such, wer da will, ein ander Ziel

Predigt
Liebe Gemeinde,
der Glaube steht am heutigen Sonntag im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Das hört sich so selbstverständlich an – um was soll es denn sonst gehen, wenn nicht um den Glauben. Glauben – das ist ein ziemlich großes Wort. Vor knapp drei Wochen haben die neuen Konfirmand*innen sich gemeinsam als Gruppe auf den Weg gemacht, um zu erfahren, zu erleben, zu erspüren, was es mit diesem Glauben auf sich hat, wie das gehen kann zu glauben.
Lässt Glauben sich denn erklären? Ich möchte Sie einladen zu einer Geschichte, in der unterschiedliche Facetten „zu glauben“ zur Sprache kommen.

Sie setzte sich wie jeden Abend an das Bett ihrer Tochter. Diese gähnte herzhaft. Sie lächelte. „Nun wollen wir noch beten, Lilly.“ Das kleine Mädchen faltete die Hände und begann zu sprechen: „Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe meine Augen zu, …“ Nach dem Gebet beugte sie sich über ihre Tochter, um ihr einen Gute-Nacht-Kuss zu geben. „Mama?“ „Ja, mein Schatz.“ „Warum glaubst du?“ Die dunklen Augen der Tochter schauten interessiert. Die Mutter nickte und überlegte ein bisschen. „Keine so einfache Frage! Ich glaube, weil meine Mutter mit mir früher auch gebetet hat und die Kinderbibel mit mir gelesen hat. Und irgendwann in meinem Leben habe ich festgestellt, dass Gott mich in meinem Leben begleitet und unterstützt.“ „Hmm“, hörte sie ihre Tochter nur murmeln. Als sie in das Gesicht ihrer Tochter blickte, sah sie, dass sie ihre Augen bereits geschlossen hatte. Sie deckte ihr Kind noch einmal zu und schlich leise aus dem Zimmer.

Auf dem Flur angekommen drehte sie sich nach links zu der Tür, hinter der ihr Sohn schon in seinem Bett saß. „So, hast du schon Zähne geputzt?“ „Ja, schon längst“, gab ihr Erstgeborener lässig zurück. „Gut, dann können wir ja jetzt beten.“ „Muss das sein, Mama?“ Ihr Sohn verdrehte leicht die Augen. „Ich weiß gar nicht, ob ich daran glaube, ich meine an Gott und so.“ Sie musste ein wenig schmunzeln: Wie unterschiedlich ihre beiden Kinder doch waren. „Vielleicht sollten wir da morgen mal in Ruhe drüber reden und nicht heute Abend, wenn wir beide müde sind.“ Er nickte. „Okay, machen wir. Gute Nacht, Mami, ich hab dich lieb.“ „Ich dich auch, Bela.“

Langsam ging sie die Treppe hinunter. Zwei Kinder, so unterschiedlich. Lilly bedeutete der Glaube Halt, ihr war das gemeinsame Beten wichtig. Bela dagegen hatte kein Interesse an Gott und Glauben. Und doch hatten sie und ihr Mann beiden Kindern aus der Kinderbibel vorgelesen, sie mit in den Gottesdienst genommen, mit ihnen Krabbelgottesdienste besucht. Sie hatten versucht die Erziehung gleich zu gestalten - und doch mit unterschiedlichem Ergebnis.

Sie überlegte, wie ihr Glaube entstanden war, und konnte sich nicht daran erinnern, dass sie irgendwann ohne Glauben gewesen war. Sie war wie so viele als Baby getauft worden. Davon zeugten Bilder in ihrem Fotoalbum. Ihre Mutter hatte immer dafür gesorgt, dass sie in den Kindergottesdienst ging und dort schon früh die Geschichten aus der Bibel erzählt bekam. Im evangelischen Kindergarten war diese christliche Erziehung weiter gegangen. Erst im Jugendalter, kurz nach der Konfirmation, waren ihr Zweifel an ihrem Glauben und ihrem Gottesbild gekommen. Sie hatten damals einen Kreis, in dem Jugendgottesdienste mit aktuellem Thema vorbereitet wurden. Dort wurde engagiert geredet und diskutiert. Eines Tages, sie wusste es noch genau, hatte sie gerade erfahren, dass die kleine Cousine ihrer Freundin an einer Erdnuss erstickt war. Sie war traurig und wütend zur Vorbereitung des Jugendgottesdienstes gefahren und hatte den Pfarrer unter Tränen angeschrien: „Wie kann Gott so etwas nur zulassen? Ich dachte, der ist allmächtig und gütig?“ Alle waren einen Moment still. Den Rest der Stunde versuchten alle eine Antwort zu finden und merkten schnell, dass ihre Antwortversuche diese Frage nicht umfassend beantworten konnten.

Und doch stellten diese Fragen ihren Glauben nicht infrage, sondern sie veränderten ihr Gottesbild und ihren Glauben. Immer wieder begegneten ihr Menschen auf ihrem Lebensweg, die sie und ihren Glauben veränderten: der Lateinlehrer, der in seinem Glauben und in sich ruhte und die Kinder nicht nur in Latein, sondern auch in Herzensbildung unterrichtete. Die Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne auf einer Israelreise. Ihre Freundin im Studium, die alles, gerade gesellschaftliche Themen, das Verhältnis von Frau und Mann und das Thema Rassismus, so anders dachte und anging. Das alles hatte sie zu dem Menschen gemacht, der sie heute war, mit ihrem Glauben, der sie immer noch trug, auch durch Schicksalsschläge und Zeiten des Zweifels.

Wie anders war ihr Lebensweg als der der ersten Christinnen und Christen. Ihr fielen Abschnitte aus der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen ein: Die gute Botschaft, das Evangelium, richtete sich an erwachsene Menschen, die Gottes Wort, verkündet von den Apostelinnen und Aposteln, hörten. Diese zogen von Stadt zu Stadt und erzählten den Menschen von Jesus, seinen Worten und Taten, seiner Auferstehung. Sie erzählten vom Reich Gottes, das schon angebrochen war, aber erst vollendet würde, wenn Jesus Christus wiederkäme. Viele hörten ihnen zu. Einige kamen zum Glauben und ließen sich taufen. Diese erzählten dann ihrerseits die gute Botschaft weiter. Manchmal konnte man aus den alten Schriften die Begeisterung der ersten Christinnen und Christen in den Schriften des Neuen Testaments spüren. Sie brannten für ihren Glauben und hielten auch in Widerständen und Verfolgung an ihm fest.

Sie dachte nochmal an den Predigttext des letzten Gottesdienstes aus dem Brief an die Gemeinde in Rom. Da ging es darum, wie Glauben entstehen und verbreitet werden könnte. Sie holte ihre Bibel aus dem Schrank und las noch einmal: „Wenn ihr also mit dem Mund bekennt: ‚Jesus ist der Herr‘, und im Herzen glaubt, dass Gott ihn vom Tod auferweckt hat, werdet ihr gerettet. Wer mit dem Herzen glaubt, wird von Gott als gerecht anerkannt; und wer mit dem Mund bekennt, wird im letzten Gericht gerettet. So steht es ja in den Heiligen Schriften: ‚Wer ihm glaubt und auf ihn vertraut, wird nicht zugrunde gehen.‘ Das gilt ohne Unterschied für Juden und Nichtjuden. Sie alle haben ein und denselben Herrn: Jesus Christus. Aus seinem Reichtum schenkt er allen, die sich zu ihm als ihrem Herrn bekennen, ewiges Leben. Es heißt ja auch: ‚Alle, die sich zum Herrn bekennen und seinen Namen anrufen, werden gerettet.‘ Sie können sich aber nur zu ihm bekennen, wenn sie vorher zum Glauben gekommen sind. Und sie können nur zum Glauben kommen, wenn sie die Botschaft gehört haben. Die Botschaft aber können sie nur hören, wenn sie ihnen verkündet worden ist. Und sie kann ihnen nur verkündet werden, wenn Boten mit der Botschaft ausgesandt worden sind. Aber genau das ist geschehen! Es ist eingetroffen, was vorausgesagt war: ‚Welche Freude ist es, wenn die Boten kommen und die Gute Nachricht bringen!‘ Doch nicht alle sind dem Ruf der Guten Nachricht gefolgt. Schon der Prophet Jesaja sagt: ‚Herr, wer hat schon unserer Botschaft Glauben geschenkt?‘ Der Glaube kommt also aus dem Hören der Botschaft; die Botschaft aber gründet in dem Auftrag, den Christus gegeben hat.“ (Röm 10,9-17 GUTE NACHRICHT BIBEL, STUTTGART 2018)

Das Bekennen, so überlegte sie, das Bekennen war durchaus eine schwierige Sache. Neulich hatten ihre Kolleginnen und Kollegen in der Teeküche bei der Kaffeepause über den Tod geredet. Erst vor kurzem war eine nette, junge Kollegin an Brustkrebs verstorben. Alle waren noch immer traurig und bestürzt. In der Traueransprache hatte die Pfarrerin auf die christliche Hoffnung Bezug genommen, dass Jesus Christus den Tod überwunden hat und wir auf ein ewiges Leben bei Gott vertrauen können. Sie hatte diese Ansprache getröstet, aber einige Kollegen empfanden sie als Hinwegtrösten. „Diesen ständigen Bezug auf die Ewigkeit, der nervt mich im Christentum. Das Leben findet doch jetzt statt, und nicht erst nach dem Tod.“ Eine Kollegin nickt und fügt hinzu: „Und warum unsere Kollegin sterben musste, konnte die Pfarrerin mir auch nicht erklären.“ Einige nickten. Sie hatte geschwiegen. Zum einen, weil sie auch nicht auf alle Fragen eine Antwort hatte. Zum anderen wollte sie sich nicht für ihren Glauben rechtfertigen müssen. Sie wusste, dass einige ihrer Kolleginnen und Kollegen nichts mit Glauben und Kirche anfangen konnten. Nach dem Gespräch hatte sie sich schlecht gefühlt. Das mit dem Bekennen von der guten Botschaft war bei ihr also durchaus noch ausbaufähig.

Aber die innere Überzeugung, die hatte sie. Die Überzeugung, dass Gott sie begleitete, dass Gott auch in Schwerem an ihrer Seite war. Das Vertrauen, dass Gott eines Tages die Welt gerecht und friedlich gestalten würde, aber schon hier und jetzt damit anfing. Dieses Vertrauen in Gott hatte ihr geholfen, als in ihrer Schwangerschaft Komplikationen aufgetreten waren und sie sich drei Wochen absolut schonen musste, um sich und das Kind nicht zu gefährden. Ja, sie hatte Angst gehabt. Ja, es war eine schlimme Zeit gewesen. Ja, sie hatte Zweifel gehabt. Aber in der Rückschau konnte sie erkennen, dass Gott sie und das Kind in ihr geschützt hatte. Andere würden sagen: Glück gehabt! Sie sagte voller Überzeugung: Gott sei Dank!

Wieder dachte sie an ihre Kinder, die beide in ihren Zimmern schliefen. Wie unterschiedlich die beiden waren, auch in ihrem Glauben oder Nicht-Glauben! Aber vielleicht war es auch einfach eine unterschiedliche Herangehensweise: Während ihre Tochter sich noch den Kinderglauben bewahrt hatte, stellte ihr etwas älterer Sohn gerade alles und auch Gott in Frage. Erst in einigen Jahren, vielleicht auch erst wenn er anfing, seinen Weg getrennt von den Eltern zu gehen, würde zu sehen sein, welche Antworten er gefunden hatte.
Sie lächelte in sich hinein. Dafür war ihr Sohn ein hilfsbereiter und couragierter Jugendlicher, der sich für Gerechtigkeit und gegen Ausgrenzung in seiner Klasse einsetzte. Obwohl viele Jungs einen Klassenkameraden schnitten, sich über ihn lustig machten, zum Teil sogar mobbten, spielte und traf sich ihr Sohn weiter mit ihm. Das war ja auch eine Art Verkündigung, nur nicht mit Worten, sondern mit Taten: Jesus hatte sich auch auf die Seite der Benachteiligten gestellt.

Sie setzte sich nach draußen auf die Terrasse. Es wurde dunkel, sie hörte Geräusche des Lebens um sich herum. Sie überlegt, wie viele Menschen aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis wirklich glaubten. Vielleicht ein Drittel? Sie war sich unsicher, denn über Glauben wurde ja nicht so oft gesprochen. Doch viele hatten ihre Kinder taufen lassen. Die meisten von ihnen gingen später zur Konfirmation. Aber wie tief der Glaube reichte, ob nur ein oberflächliches Lippenbekenntnis oder ein tragendes Vertrauen, das vermochte sie nicht zu sagen. Und man konnte ja selber nicht Glauben machen: Gott wirkte ihn. Durch das Hören der Botschaft. Und diese gute Botschaft wurde ja immer noch und immer wieder durch Worte und durch Taten verkündet. Nicht nur in den Kirchen und in der Predigt, sondern überall. Durch ein freundliches Wort, einen aufmunternden Blick, eine kleine Spende. Ja, Verkündigung kann ebenso vielfältig sein wie der Glaube, dachte sie, klappte die Bibel zu und ging wieder hinein.
Amen.

Lied: EG 329, 1.2 Bis hierher hat mich Gott gebracht

Fürbitten

Barmherziger Gott,
heute bitten wir dich ganz besonders für die, die nicht glauben können,
und auch für die, die gar nicht glauben wollen.
Wir denken an die, die gerne glauben möchten,
die aber durch Erfahrungen in ihren Glauben erschüttert sind.

Gott, wir bitten dich auch für die, die Glauben für Kinderkram halten
und glauben, nur sich selbst vertrauen zu können,
für die, die ihre eigene Schuld nicht sehen, aber andere hart verurteilen.

Gott, wir bitten dich aber auch für die, denen ihre Frömmigkeit zur Heuchelei geworden ist,
und für die, die in ihrem Glauben intolerant geworden sind.

Wir bitten dich schließlich für uns selbst, dass wir nicht hochmütig werden,
denn in allem, was wir an anderen sehen, steckt auch etwas von uns selbst.
Du bist größer und barmherziger, als wir es uns vorstellen können.
Gib uns das, was wir brauchen in unserer jetzigen Situation.

Gott, wir bitten dich für __, die wir in der letzten Woche unter deiner Zusage beerdigt haben, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, weil deine Liebe den Tod überwunden hat. Wir zünden eine Kerze an, als Zeichen dafür, dass du mit deiner Liebe und deinem Trost auch in den dunklen Stunden unseres Lebens an unserer Seite bist. Lass das besonders die Angehörigen spüren. Tröste und stärke sie.

Wir bitten dich für __, der / die in der letzten Woche getauft wurde. Sei bei __, wenn sie deine Welt entdeckt und schenke ihr Lebensfreude, Mut und deinen guten Segen.
Wir zünden eine Kerze an.

Vaterunser

Lied: EG 319

Abkündigungen

Segen

Musik zum Ausgang

zu den Konfirmationen am 19.9.2021 von Pfarrerin Meike Naumann

Lesung: Mk 4, 35-41 

Im Sturm auf die Probe gestellt

Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Wir wollen ans andere Ufer fahren.« Sie ließen die Volksmenge zurück und fuhren mit dem Boot los, in dem er saß. Auch andere Boote fuhren mit. Da kam ein starker Sturm auf. Die Wellen schlugen ins Boot hinein, sodass es schon volllief. Jesus schlief hinten im Boot auf einem Kissen. Seine Jünger weckten ihn und riefen: »Lehrer! Macht es dir nichts aus, dass wir untergehen?« Jesus stand auf, bedrohte den Wind und sagte zum See: »Werde ruhig! Sei still!« Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still. Jesus fragte die Jünger: »Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben?« Aber die Jünger überkam große Furcht. Sie fragten sich: »Wer ist er eigentlich? Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm!«

Predigt

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
liebe Festgemeinde,

manchmal kommt alles ganz anders als geplant. Da wirkt ein See oder das Meer völlig ruhig und harmlos. Alles ist völlig entspannt. Und dann bricht ganz plötzlich ein Unwetter los und versetzt alle in Angst und Schrecken. Vielleicht habt Ihr so einen Wetterumschwung schon einmal erlebt, das kann ja wirklich überall passieren. Am See Genezareth, wo die Geschichte spielt, die wir eben in der Lesung gehört haben, da passiert so etwas öfter. Die örtlichen Begebenheiten dort sind so, dass nach einem wettertechnisch völlig ruhigen Vormittag und Mittag, nachmittags heftige Fallwinde aufkommen können. Und diese Fallwinde sind durchaus stark genug, um kleinere Fischerboote, wie sie zur Zeit Jesus üblich waren, ins Schwanken zu bringen. So kann es gehen. Nicht nur am See Genezareth. So kann es überall zu jeder Zeit geschehen. Ganz unverhofft.

Unser Leben geht seinen ganz alltäglichen Gang. Wir arbeiten, gehen in die Schule, haben unsere Hobbies wie Musik, Sport, Theater oder, oder….unsere Freizeit ist ausgefüllt mit Sachen, die uns Spaß machen oder manchmal auch nicht. Wir planen unseren Urlaub für die Sommerferien oder freuen uns auf ein großes Fest. Wie zum Beispiel Eure Konfirmation. Und dann – ganz plötzlich geschieht etwas, das unser Leben von Grund auf durcheinander bringt. Auf einmal ist nichts mehr so, wie wir es immer gewohnt waren. Wir müssen alles neu sortieren: den Alltag, die Schule, die Arbeit, die Freizeit, unsere Freundschaften. Keine Ahnung wie das funktionieren soll. Wann wird sich wieder Normalität einstellen? Wird es die Normalität, die wir kannten überhaupt wiedergeben? Das alles beunruhigt uns und macht auch richtig Angst.

Die Geschichte, die das Markusevangelium von dieser abenteuerlichen Bootsfahrt erzählt, ist eine wunderbare Geschichte gegen die Angst. Die ersten Christ*innen haben sich solche Wundergeschichten von Jesus erzählt, um sich gegenseitig Mut zu machen. Denn auch sie haben in stürmischen Zeiten gelebt. Ihr Leben war keine ruhige Flusskreuzfahrt, sondern Ihr Lebensboot war vielen Stürmen ausgesetzt. Sie wurden oft wegen ihres Glaubens verfolgt. Und durch diese Bedrohung machten sich auch bei ihnen Zweifel breit, ob der christliche Glaube denn wirklich der richtige Glaube sei. Inmitten solcher Stürme war es gut zu hören: Was auch immer geschehen mag, wie sehr ihr euch auch fürchtet, ihr seid nicht allein. Jesus ist bei euch und steht euch bei.

Das zu hören tut uns heute noch genauso gut wie den Menschen vor 2000 Jahren. Manchmal kommt uns ein Tag, der für andere ganz gewöhnlich wirkt, vor wie ein stürmisches, aufgewühltes Meer. Kaum zu schaffen! In unserer Geschichte ist Jesus mitten im Sturm. Aber was macht er? Er schläft! Ja, er lässt sich nicht in die Angst seiner Jünger*innen hineinziehen. Er ermutigt sie vielmehr, Vertrauen zu haben und die Ruhe zu bewahren.

Liebe Gemeinde, wir sollen uns von der Angst nicht unterkriegen lassen, sagt uns diese Geschichte. Die Angst ist nicht plötzlich weggezaubert. Nein. Aber es lässt sich mit ihr leben. Zu wissen, dass wir nicht allein sind, das tut gut. Gott ist mit uns in einem Boot. Wenn wir darauf vertrauen, dann können wir auch ruhiger werden, so wie der See ruhiger wird. Manchmal hilft es schon, wenn wir in einer chaotischen, stürmischen Situation die Ruhe bewahren. Dann gelingt es uns vielleicht, kleine Schritte zu planen und zu tun. Wir starren nicht wie gelähmt auf das Meer von Problemen, das wir überwinden müssen. Wir können immer einen Schritt nach dem anderen machen. Und irgendwann legt sich auch der heftigste Sturm.

Das beruhigt. Es gilt durchzuhalten und dem Sturm tapfer zu trotzen. Voller Vertrauen darauf, dass Jesus die Macht hat dem Sturm Einhalt zu gebieten und die Wogen zu glätten. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen, darauf dürfen wir vertrauen. Ihr, liebe Konfis, habt eure Zukunft vor euch. Auch da wird es stürmische Zeiten geben. Nicht alles klappt auf Anhieb und der Wind bläst einem direkt ins Gesicht. Aber, da bin ich ganz sicher, es wird viele schöne Erlebnisse und gute Zeiten für euch geben. Im Bild der Geschichte gesprochen: da warten tolle und aufregende Segeltörns auf euch oder erfolgreiche und aufregende Wildwasserfahrten. Da bin ich mir sicher und das wünsche ich euch von Herzen. Ihr könnt euch getrost Jesus als Steuermann und Gott als Kapitän anvertrauen mit all euren Gedanken, Plänen und auch mit euren Sorgen und Zweifeln. Ihr werdet sehen, dass es guttut, sich darauf verlassen zu können, dass Gott immer bei uns ist und uns liebevoll begleitet. Das gibt immer wieder neuen Mut und neue Kraft. Amen.

Gottesdienst am 12.9.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Begrüßung

Herzlich willkommen zum Gottesdienst in der Dankeskirche.
Am vergangenen Sonntag sind wir mit Konfirmandinnen und Konfirmanden eingezogen (und kommenden Sonntag tun wir das wieder). Eben sind 23 Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher hier feierlich eingezogen und haben hier vorne Platz genommen.

Die Konfirmanden nehmen ihren Glauben in die eigene Verantwortung. Sie als Kirchenvorsteher übernehmen Verantwortung als Leitung unserer Kirchengemeinde für die kommenden sechs Jahre. Kein neuer Lebensabschnitt, aber immerhin eine neue Sitzungsperiode unseres Vorstands.

Es ist der 2. Sonntag im September: Das ist der Tag des offenen Denkmals, des Jugendstilfestivals und Orgeltag heute bei uns. Eigentlich ist es auch der Tag unseres schönen Gemeindefestes in und um die Dankeskirche. Schade, dass es nun schon zum 2. Mal ausfallen muss. Aber wir feiern ja trotzdem: Gottesdienst, und die Verabschiedung das alten und die Einführung des neuen Kirchenvorstands.

Predigt

Die Gnade unseres Herrn JX, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des HG sei mit uns allen. Amen.

Liebe Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher, liebe Gemeinde,
dieser Gottesdienst markiert für uns einen Übergang: vom alten zum neuen Kirchenvorstand. Eine Gelegenheit, zurückzutreten und sich zu vergewissern, was wir da eigentlich tun; und um Gottes Segen zu bitten: für das was war und für das was kommt. Und dafür, dass wir unsere unterschiedlichen Gaben zum Nutzen der Gemeinde zusammenführen und gemeinsam wirksam werden lassen, wie wir es eben in der Lesung hörten (1. Kor 12, 4-11). Zu fragen, was führen und leiten in der Kirche eigentlich heißt.

Schauen wir doch einfach mal in der Bibel nach:
Gleich am Anfang leitet Gott. ER legt die Grundstrukturen: Licht und Dunkel, Festes und Fließendes. Er erfindet die Polarität, das Paar, die Lebensräume Wasser, Land und Luft. ER spricht und dann geschieht. ER ordnet und schafft Zusammenhänge, behält den Blick auf das Ganze, schenkt Ruhezeiten. Und ihm liegt anscheinend an der Verantwortung und dem inneren Potenzial seiner Geschöpfe.  ER segnet ausdrücklich die Kreativität und Selbstständigkeit seiner Geschöpfe und freut sich an ihnen. Und zeigt ihnen seine Freude wie ein Lob.

Ich denke an den Auszug aus Ägypten. Eine große Aufgabe, für die es eine gute Organisation, eine klare Leitung und am besten auch eine Arbeitsteilung geben sollte. Gott stellte Mose seinen Bruder Aaron zur Seite: Keine einfache Beziehung, sicher nicht ohne den Geschwisterkonflikt, den wir immer wieder in der Bibel finden. Nicht ohne Konflikte, aber es kommt nicht zum Bruch. Das gemeinsame Ziel steht im Vordergrund, aber keiner von beiden erreicht das gelobte Land. Mose mit der Gesamtleitung, der ältere Aaron wurde sein Sprecher und Stellvertreter. Ihm wurde das Amt des Hoheproesters übertragen, die geistliche Leitung also.

Und schließlich denke ich an Jesus und seine Jünger. Bei genauerem Hinsehen gab es in der Gruppe eine Arbeitsteilung, zB einen Quartiermeister, einen Leiter, einen etwas zwielichtigen Finanzbeauftragten. Bei der Speisung der 5000 haben sie den Auftrag, aus der Menge Gruppen zu bilden, wie in einer Kirchengemeinde. Denn 5000 sind eine anonyme Masse. Aber Konfirmandeneltern, Taufkinder, die Pfadfinder, der Jugendchor oder die Kantorei, der Besuchsdienst oder die Gemeindebriefredaktion: das sind Einzelne, die sich untereinander kennen und voneinander wissen. Und so gab Jesus den Auftrag, sie sich in kleine Gruppen setzen zu lassen. Und so konnte das Wunder seinen Lauf nehmen.

Im Kirchenvorstand geht es also um führen und leiten:
Führen heißt (nach Müller-Weißner, Chef sein im Hause des Herrn):  1. Im beruflichen Umfeld 2. andere Menschen 3. wertschätzend und 4. zielgerichtet 5. in einer spezifischen Situation 6. dazu zu bewegen 7. Aufgaben zu übernehmen und erfolgreich auszuführen.
Die beiden Vorsitzenden des Kirchenvorstandes sind verantwortlich für die Personalführung. Mit der „unmittelbaren Beaufsichtigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ hat der Kirchenvorstand als Ganzes nichts zu tun. Auch nicht mit den Personalgesprächen, welche die Vorsitzenden nach Absprache ihrer Bereiche mit den Angestellten der Gemeinde führen.

Der Kirchenvorstand ist verantwortlich für das Leiten.
Leiten heißt (nach Müller-Weißner): 1. Die Kirchengemeinde 2. als Feld von Strategie und Planung begreifen und 3. in einer vorfindlichen Situation 4. geeignete Lenkungsmittel benutzen, um 5. das Überleben zu sichern und 6. die Zukunft zu gestalten.
Es geht also nicht um den Blumenschmuck in der Kirche, sondern darum, dass er finanziert werden kann. Es geht nicht um das Benehmen einzelner Nutzer unserer Gemeinderäume, sondern um unsere Hausordnung und wie sie überwacht werden kann. Sicherlich manchmal auch um das Detail und genauere Hinsehen – aber vor allem um das Ganze. Auch wenn die Tagesordnungen des KVs oft nach klein/klein aussehen.

Leiten ähnelt in manchem der Aufgabe, die Eltern haben. Es geht darum, Verantwortung für den Rahmen zu übernehmen, für das Klima in der Gemeinde. Entwicklungsräume, also Lebensräume zu gestalten, die vielleicht auch Grenzen brauchen. Jeder Erwachsene hat schon viel damit zu tun, sich selber zu leiten. Gemeinsam leiten ist noch eine Stufe schwerer. Weil es darum geht, dass unterschiedliche Menschen gemeinsam Verantwortung übernehmen. Ganz wesentlich dabei ist, dass die Unterschiede eingebracht und genutzt werden können.

Leiten gelingt, wenn Auftrag und Fähigkeit für eine möglichst klar definierte Aufgabe zusammenkommen. Leitung braucht die für ihre Aufgaben angemessene Möglichkeit, Dinge zu gestalten und durchzusetzen. Gemeinsame Leitung lebt von gegenseitiger Achtung und Loyalität. Auch wenn sich meine Meinung nicht durchsetzen konnte, sollte ich einen gemeinsam getroffenen Beschluss nach außen loyal vertreten.

Von Reiner Kunze gibt es dieses schöne Gedicht:
Rudern zwei
ein boot,
der eine
kundig der sterne,
der andre
kundig der stürme,
wird der eine
führn durch die sterne,
wird der andre
führn durch die stürme,
und am ende ganz am ende
wird das meer in der erinnerung
blau sein

Das macht Sinn: Wenn zwei sich mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten zusammentun, so bringen sie ihr Boot weiter übers Wasser als einer allein. Darum wird das Schiff, das sich Gemeinde nennt, auch nicht von einem allein gesteuert, sondern „Kirchenvorstand und Pfarrerinnen und Pfarrer leiten gemeinsam die Gemeinde“ (KGO). Gemeinsam leiten funktioniert aber nicht automatisch. Die zwei im Gedicht sind in verschiedenen Gebieten kundig; über die Sterne und die Stürme wird nicht diskutiert und abgestimmt, sondern der jeweils Kundige übernimmt Führung. Das ist die hohe Kunst des gemeinsamen Leitens: Unterschiede anerkennen und wertschätzend einsetzen. Verschiedene Gaben zu ihrem Recht kommen lassen. Im Rückblick finde ich, dass uns das sehr gut gelungen ist.

Kirche ist eine hörende Gemeinschaft. Der Ausgangspunkt ist immer das Hören auf Gottes Wort. Im Hören darauf fragen wir nach den Verheißungen der Kirche und dem Auftrag, der ihr gegeben ist.

Dazu gehört auch, als Gemeindeleitung aufeinander zu hören. Geistlich leiten geschieht immer im Miteinander des Kirchenvorstands und in seiner Verschiedenheit. Niemand kann und soll es alleine machen. Gut, wenn jemand den Hut aufhat. Nicht auf die anderen zu hören heißt, sie abzuhängen und zu demotivieren. Sie aber zu fragen heißt, sie zu beteiligen.

Schließlich bedeutet geistliche Gemeindeleitung auch, miteinander zu feiern. Das heißt, es sich nicht nur miteinander gut gehen zu lassen. Das bestimmt auch. Aber vor allem Gott für das zu danken, was wachsen durfte; ihm anzuvertrauen, was nicht verwirklicht werden konnte; und seinen Segen zu erbitten für das, was kommt.

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX. Amen

zur Konfirmation am 5.9.2021 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Konfis und liebe Gemeinde,
um es gleich vorweg zu sagen: ich bin stolz auf euch! Und das sage ich nicht nur so dahin oder weil man es sagen muss in einer Predigt an der Konfirmation. Ich sage das aus tiefstem Herzen. Ich bin stolz auf euch, weil ihr durchgehalten habt. Dieses Konfijahr war so ganz anders als wir alle es geplant und uns vorgestellt haben. Und so anders als viele frühere Konfijahre. Ich will jetzt gar nicht aufzählen, was alles nicht ging.

Aber ihr seid drangeblieben und habt euch auf die besonderen Umstände und Bedingungen eingelassen. Als wolltet ihr damit sagen: Jetzt gerade! Wir lassen uns nicht kleinkriegen! Keine und keiner von euch hat aufgegeben, auch wenn ihr viel habt zurückstecken müssen. Die Welt stand Kopf eineinhalb Jahre lang, aber ihr habt trotzdem nicht die Orientierung verloren. Habt weitergemacht.  Mit Sicherheit hatten auch eure Eltern einen ganz entscheidenden Anteil daran, indem sie euch unterstützt haben. Ihr habt nach vorne geschaut. Genau deshalb bin ich stolz auf euch!

Unser Konfiunterricht hat unter erschwerten Bedingungen stattgefunden, wir alle mussten uns erst einmal mit Online – Meetings und digitalen Formaten anfreunden – und ihr wart mir damit um Längen voraus. Aber zugleich konnten wir viel Neues entdecken: den Schöpfungsbound, andere Actionbounds, den Klimawandel am Beispiel von Vanuatu und was Fairer Handel bedeutet. Wir sind neue Wege gegangen, um uns an die Kernthemen des Lebens heranzupirschen. Und wir waren ja alle in dieser Zeit herausgefordert, neu über unseren Glauben nachzudenken.

Der Präsenzunterricht mit euch hat mir wirklich Spaß gemacht, weil es so lebendig hin und her ging mit euren Fragen, Einwürfen und Ideen. Oft bin ich nach der Stunde nach Haus gekommen und habe gesagt: Was habe ich doch für tolle Konfis!

Diese Zeit hat uns auch herausgefordert, eigene Worte für das Beten zu finden. Stellvertretend will ich nur eine Bitte lesen, die in eurer Konfigruppe entstanden ist: „Herr, wir bitten dich in dieser schweren Zeit, sei auch hier bei uns. Lass uns deine segnende Hand spüren und gib uns Geduld und Kraft, diese Zeit zu bestehen. So segne und bewahre uns.“

Geduld und Kraft finden, um schwierige Zeiten zu bestehen. Vielleicht ist es tatsächlich das, was wir alle – Jugendliche wie Erwachsene – aus diesem Konfijahr mitnehmen.

Es gab eine wirklich lustige Situation mit euch; das war in der ersten virtuellen Konfistunde: als da plötzlich am Bildschirm eine schwarze Kachel zu sehen war und der Name „Jesus“ dazu. Bis heute weiß ich nicht, wer von euch ihn da hineingestellt oder seinen eigenen Namen dahingehend verändert hat. Aber dass es im Chat munter hin und her ging, das habe ich wohl gemerkt und werde es nicht vergessen. Nach der Stunde entdeckte ich dann das fröhliche „Halleluja“ des virtuellen Jesus, als ich den Chatroom aufmachte, und auch manche seiner anderen Kommentare. Eine witzige Idee, mit der ihr mich natürlich auch von rechts überholt habt.

Bei der Vorbereitung zu dieser Predigt aber fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen: ist er nicht wirklich die ganze Zeit über dabei gewesen? Unsichtbar, aber lebendig und tröstend? Hat er uns nicht wirklich die Geduld und die Kraft gegeben, um durch diese Zeit zu kommen?

„Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“, hat er einst zu seinen Jüngern und Jüngerinnen gesagt. Und dieses andere: „Seht, ich bin bei euch alle Tage und bis an das Ende der Welt.“

Ja, ich bin sicher: er ist die ganze Zeit dabei gewesen; und wird auch künftig bei uns sein. Ich möchte euch heute zu etwas ermutigen: nehmt diesen Glauben mit! Er ist eine unendlich große Kraft, um durch das Leben zu kommen. Er ist wie ein Geländer, an dem man sich festhalten kann. Wie ein Felsen unter den Füßen, der euch Halt gibt. Er sagt euch: „Du bist niemals allein. Gott ist die verborgene Kraft deines Lebens. Sie geht mit dir und wird dir helfen.“

Und ich möchte euch ermuntern: nehmt dieses Bild von eurer Kerze mit! Ihr seht sie: die Kerze eurer Gruppe brennt auf dem Altar. Ihr Licht leuchtet! Ihr habt sie gemeinsam gestaltet. Jede und jeder von euch hat den eigenen Teil dazu beigetragen, dass sie nun so schön geworden ist. Und dazu habt ihr ja füreinander noch eine kleinere Kerze gestaltet.
Diese Kerze bleibt ein sichtbares Zeichen eurer Verbundenheit miteinander. Und sie sagt euch etwas Entscheidendes für euer Leben: „Schaut immer in die Richtung, wo es hell ist! Schaut immer nach dem Licht!“

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

zur Konfirmation am 5.9.2021 von Pfarrer Rainer Böhm

Orgel und Trompete
Einzug
Begrüßung

Ich begrüße Sie und Euch ganz herzlich zum Konfirmations-Gottesdienst hier in Bad Nauheim in der Dankeskirche.
11 Konfirmandinnen und Konfirmanden, Eltern und Geschwister, Großeltern und Paten, Ich begrüße die wenigen ganz normalen GD-Besucher aus Bad Nauheim, Gemeindemitglieder und Kurgäste.
Geimpft oder getestet, auf Abstand und in Familiengruppen, Konfirmation im September 2021 – manches ist heute anders. Aber trotzdem:
Feierliche Musik; eine festlich geschmückte Kirche; festlich gekleidete Jugendliche und Erwachsene. Viele haben sich für Euch auf den Weg gemacht: auch von weiter weg; auch aus einer anderen Konfession; oder gar nicht mehr in der Kirche: allen ein herzliches Willkommen in Eurem Namen.
Denn um Euch geht es ja jetzt: Um Euren Lebensweg. Um Eure persönliche Entscheidung, unabhängig von den Eltern, Euren Glauben in die eigene Verantwortung zu nehmen.

Votum

Psalm 23 gemeinsam

Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
Amen.

Wir beten weiter:

Eingangsgebet
Guter Gott
In der Taufe hast du diesen Jugendlichen versprochen, dass du sie auf ihrem Lebensweg begleiten wirst.
Heute, am Tag ihrer Konfirmation schauen wir zurück:
Sie sind äußerlich und innerlich gewachsen.
Wir danken dir für alles, was schön war in ihrer Kindheit, was das, was gelungen ist und auch für das, was schwierig war, was wir aber gemeinsam bestehen konnten.
Wir bitten dich an diesem Festtag:
Hilf unseren Konfirmandinnen und Konfirmanden und uns allen, heute deine Stimme zu hören.
Sei bei uns an diesem Tag und schenk uns, was wir zum Leben brauchen:
Worte, die weiterhelfen.
Vertrauen, das mutig macht,
Freude und Hoffnung für unser Leben und für unsere Welt.
Hilf uns, unser Leben in dir zu gründen und auf dich zu bauen! Das bitten wir dich durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.

Lesung    Abrams Berufung und Zug nach Kanaan (1. Mose 12)
121Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.2Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

Predigt
Und der Herr sprach zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen werde.
1. Mose 12, 1

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Festgemeinde,
am Anfang steht diese Aufforderung: Geh! Geh aus deinem Vaterland! Geh in ein Land, das ich dir zeigen werde! Wenn wir uns fragen, was ist das eigentlich: Konfirmation; was bedeutet das? Dann denke ich: wir feiern diesen Gedanken vom Aufbrechen, vom Aufbruch: Gehe los, und komme woanders an, komme an in dem Land deines Lebens. Und vertraue darauf, du wirst geführt, du brauchst dich nicht alleine zu fühlen. Du findest dieses Land. Gott zeigt es auch dir. Aber die Aufforderung kann einem auch Angst machen!
Natürlich bleibt ihr alle erst mal dort, wo ihr jetzt seid. Und daran wird sich in der nächsten Zeit auch gar nicht so viel ändern, Und doch wird das gehen der eigenen Wege für euch allmählich zu einem Muster werden. Und für Eure Eltern – das gehen lassen und vertrauen.

Deshalb habe ich euch heute diesen Wanderstock mitgebracht. Es ist eigentlich ein Pilgerstab aus Haselnuss. Ich habe ihn selber auf dem Jakobsweg durch die Schweiz dabeigehabt. Heute soll er uns auch an Ingmar Bartsch erinnern, meinen Vikar, der Euch ja auch unterrichtet hat und der mit seiner Frau jetzt den ganzen Jakobsweg läuft, von Butzbach bis Santiago de Compostella. Ich stelle mir vor, Abraham hatte damals einen ähnlichen Stock, als er sich auf den Weg gemacht hat. Stütze und Erleichterung. Vielleicht kauft ihr euch von eurem Konfirmationsgeld ein gescheites Fahrrad oder später einen Roller. Und eure Eltern werden erfahren wie es ist, am Freitag oder Samstag zu warten, bis ihr wieder nach Hause kommt.
Konfirmation bedeutet Aufbruch. Du darfst deinen eigenen Weg gehen. Ihr könntet natürlich sagen: warum soll man das noch besonders betonen: wir gehen ja sowieso. Und das Leben ist ja auch so: dass jede Generation vor neuen Aufgaben steht; dass jeder Mensch sich seine eignen Ziele sucht, seinen eignen Weg dorthin, sein eigenes Leben lebt.

Der Vers, um den es hier geht, spricht von einem Ziel, dem gelobten Land. In der Vorstellungswelt der Israeliten flossen dort Milch und Honig, wie in unserem Schlaraffenland. Mose hat sein Volk dorthin geführt, aus der Vormundschaft in die Freiheit. Das war ein langer, steiniger Weg, ein Weg durch die Wüste, mit Umwegen und dem Gefühl der Unsicherheit. Aber am Ende kamen sie ins gelobte Land, ausgestattet von Gott mit den 10 Geboten, den Grundregeln für die Freiheit.
Das Land eures Lebens ist euer Land. Ihr werdet es gestalten. Vor ein paar Jahren habe ich meinen Sohn Johannes eingeladen, zu einem Rockkonzert mit mir zu gehen: John Fogerty. “Wie alt ist der denn“, war seine Frage. „Naja, der dürfte jetzt über 70 sein.“ Tu mir leid, Papa, aber hat der noch Zukunft.“ Weiß nicht, dachte ich, jedenfalls hat der eine ziemliche Vergangenheit.

Je älter ich werde und je länger ich nun schon konfirmiere, desto deutlicher wird mir: Wir beginnen mit der Konfirmation wirklich, euch auf den Weg in das Land eures Lebens zu verabschieden. Und das ist euer Land, nicht unseres.
Manche Last, manche Hypothek wird euch leider begleiten. Nicht nur der Klimawandel mit allen Konsequenzen, die wir immer deutlicher sehen: alle offenen Weltprobleme. Und auch so manches ungelöste Problem unseres eigenen Lebens können oder konnten wir euch leider nicht ersparen. Wir sind aber auch noch eine ganze Weile für euch da. Ihr habt unseren Rat und unsere Unterstützung solange ihr sie braucht und annehmen könnt.
Zuletzt geht ihr alleine, mit einem Partner oder einer Partnerin vielleicht. Wir können euch von unserem Land erzählen, wie wir es gefunden haben, was gut war oder was missglückt ist und dann aber doch gut wurde. Wir vertrauen darauf, dass euer Weg behütet sein wird und das Land gesegnet. Und auch dass ihr selbst ein Segen seid: das erleben wir ja mit euch. Und das werden andere mit euch erleben: wo ihr es schafft, nicht nur an euch zu denken, wo ihr Verantwortung übernehmt für andere und für die Zukunft unserer Welt, Gottes Schöpfung.

Deshalb sind wir ja jetzt in der Kirche: Wir Christen vertrauen darauf, dass Gott uns führt. So wie er es bei Abraham und Mose getan hat. Deshalb kann man eigentlich sein ganzes Leben als eine Wanderung sehen oder einen Pilgerweg, bei dem sich eigentlich dauernd die Landschaft ändert, als würde man von Butzbach nach Santiago di Compostella wandern.  Unterwegs machen wir manchmal Halt, halten inne, vergewissern uns: so wie heute bei eurer Konfirmation.
Ob ihr den Beruf, den ihr einmal lernt, euer ganzes Leben ausüben werdet; ob ihr für immer an dem Ort, wo ihr einmal wohnt, bleiben werdet; ob eure Freundschaften Bestand haben und alles bleibt wie es ist – dazu können wir in Wahrheit wenig sagen. Wir erleben ja gerade, was sich alles plötzlich ändern kann, quasi von heute auf morgen. Und ich weiß, das habt ihr auch schon erfahren.
Aber eines ist sicher: Gott selbst, der euch heute seinen Segen zusagt, begleitet euch auf dem Weg in das Land eures Lebens.                                    

Amen.

Schlussgebet:
Freundlicher Gott,
Dein Wort haben wir gehört –
Du rufst uns auf deinen Weg.
Dein Brot haben wir geteilt:
Du verbindest uns zu deiner Kirche.
Deinen Kelch haben wir getrunken –
Du willst uns nahe sein.
So bitten wir dich:
Schütze uns in deinem Haus.
Wecke uns mit deinem Ruf.
Leuchte uns mit deinem Licht.
Leite uns mit deinem Wort.
Führe uns auf deinem Weg.

Für die Konfirmierten bitten wir:
Lass sie viel Freude haben an diesem Tag und erfahren,
wie schön es ist, für andere wichtig zu sein.
Für die Familien bitten wir,
dass sie weiter für ihre Kinder sorgen werden.
Und für unsere Kirche bitten wir:
Dass Alte und Junge darin einen guten Platz finden und miteinander reden;
Dass uns die Fragen nicht ausgehen und die Freude daran,
miteinander nach Antworten zu suchen,
in deinem Haus, freundlicher Gott. Amen

Lied
Abkündigungen

Gottesdienst am 29.8.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung

Wochenspruch:
Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan.
(Mt 25,40 LUTHER 2017)

Psalm 136: EG 719

Gebet
Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Dafür danken wir.
Eine Woche liegt hinter uns,
Du weißt, was war.
Was gut war, was schwer.
Was falsch war, vergib uns.

Gott, du hast uns das Leben geschenkt,
du, Gott des Anfangs.
Lass dein gutes Wort in uns wohnen.
Schenk uns neue Kraft.
mach uns Mut für den nächsten Schritt.
Lass uns aufleben, mach uns frei.
Amen.

Schriftlesung: Gen 4

Kain erschlägt Abel
Adam schlief mit seiner Frau Eva. Sie wurde schwanger und brachte Kain zur Welt. Da sagte sie: »Mithilfe des Herrn habe ich einen Sohn bekommen.« Danach brachte sie seinen Bruder Abel zur Welt. Abel wurde Hirte und Kain wurde Ackerbauer.
Eines Tages brachte Kain dem Herrn von dem Ertrag seines Feldes eine Opfergabe dar. Auch Abel brachte ein Opfer dar: die erstgeborenen Tiere seiner Herde und ihr Fett. Der Herr schaute wohlwollend auf Abel und sein Opfer. Doch Kain und sein Opferschaute er nicht wohlwollend an. Da packte Kain der Zorn, und er blickte finster zu Boden. Der Herr fragte Kain: »Warum bist du so zornig, und warum blickst du zu Boden? Ist es nicht so: Wenn du Gutes planst, kannst du den Blick frei erheben. Hast du jedoch nichts Gutes im Sinn, dann lauert die Sünde an der Tür. Sie lockt dich, aber du darfst ihr nicht nachgeben!«
Kain sagte zu seinem Bruder Abel: »Lass uns aufs Feld gehen! «Als sie auf dem Feld waren, fiel Kain über seinen Bruder Abel her und erschlug ihn. Da sagte der Herr zu Kain: »Wo ist dein Bruder Abel? «Kain antwortete: »Das weiß ich nicht. Bin ich dazu da, auf meinen Bruder achtzugeben?« Der Herr entgegnete ihm: »Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit vom Ackerboden zu mir. Verflucht sollst du sein, verbannt vom Ackerboden, den deine Hand mit seinem Blut getränkt hat! Wenn du ihn bearbeitest, wird er dir künftig keinen Ertrag mehr bringen. Du wirst ein heimatloser Flüchtling sein und von Ort zu Ort ziehen.« Kain erwiderte dem Herrn: »Die Strafe ist zu schwer für mich. Du verjagst mich jetzt vom Ackerland und verbannst mich aus deiner Gegenwart. Als heimatloser Flüchtling muss ich von Ort zu Ort ziehen. Jeder, dem ich begegne, kann mich erschlagen.« Der Herr antwortete: »Das soll nicht geschehen! Wer Kain tötet, an dem soll es siebenfach gerächt werden. «Der Herr machte ein Zeichen an Kain. Niemand, der ihm begegnete, durfte ihn töten. Kain zog fort, weg vom Herrn, und ließ sich im Land Nod nieder. Das liegt östlich des Gartens Eden.

Glaubensbekenntnis

Lied: EG 432 Gott gab uns Atem

PREDIGT
Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unsere Herzen.
Amen.

Liebe Gemeinde,
Kain und Abel. Die Geschichte kennen die meisten. Aus der Urgeschichte. Von den Anfängen. Die Schöpfung. Das Licht. Den Tag und die Nacht. Den Himmel und die Erde. Das Wasser und die Erde und das Grüne. Die Sonne, den Mond und die Sterne. Die Wassertiere und die Flugtiere. Das Wild, die Kriechtiere und das Vieh. Schließlich das erste Menschenpaar, Adam und Eva. Den Ruhetag. Den Garten Eden. Und die Vertreibung daraus. Die ersten geborenen Menschen. Der erste Mensch, der stirbt. Der erste Mord. Die erste Sünde. Ein Brudermord.

Kain und Abel. Ich erinnere mich an die Grundschule. Wir bekamen die Aufgabe zu zeichnen. Abels Altar und Kains Altar. Wichtig war der Lehrerin die Gestaltung des Rauchs. Bei Kain wie vom Wind verweht, unruhig und voller Zacken. Bei Abel eine wunderbare aufsteigende Rauchsäule. Gott sieht Abel und sein Opfer. Nimmt es an. Kains nicht. Abels Opfer war das Gott gefälligere, so lernten wir. Viel wertvoller als Kains.

Lange Jahre hielt sich diese Deutung, wohl nicht nur bei mir. Auch im Studium, in der Wissenschaft, wurde weiter nach Gründen gesucht. Es gehe wohl um verschiedene Lebensformen. Ackerbauerkultur und Nomadentum. Doch eigentlich gebe es gar keinen Unterschied zwischen Kain und Abel. Kain habe nichts falsch gemacht. Und Abel habe nichts besser gemacht. Gott handelte einfach so, ohne irgendwelche Gründe.

Lassen Sie sich einladen, der Geschichte heute Morgen etwas auf die Spur zu kommen, indem wir über die Ränder unseres Predigttextes hinausschauen. Schauen, was davor erzählt wird. Und was danach. Das Kapitel zu Ende lesen. Denn: da steht noch etwas! Etwas ganz Wichtiges, Erhellendes. Das Sinn und Tiefe gibt. Auch an unserem Text erst einmal ruhig entlang gehen. Und den Erinnerungen lauschen. Den Erinnerungen von Adam und Kain, von Abel und Eva. Und schließlich ein wenig das Geheimnis lüften können, das sich hinter Gottes Handeln verbirgt, das Geheimnis der Liebe.

„Ich erinnere mich“, sagt Adam, „weil ich von dem Baum gegessen hatte, verfluchte Gott den Ackerboden. Nur mit Mühe sollte ich mich von ihm ernähren, mein Leben lang. Mit Dornen und Disteln mich abplagen. Und am Ende zum Ackerboden zurückkehren. ‚Ja, Erde bist du, und zur Erde kehrst du zurück‘, sagte Gott. Nun waren wir sterblich. Gott machte uns Kleider und schickte uns fort aus dem Garten.

‚Mutter alles Lebendigen‘, hatte ich Eva genannt. Ich erkannte sie. Wir schliefen zusammen und sie wurde schwanger. Kain wurde geboren. Und bald darauf Abel. Viel später dann war sie noch einmal guter Hoffnung und wir bekamen noch einen Sohn. Aber davon soll sie besser selbst erzählen, denn das ist ihre Geschichte. Ich habe mich abgeplagt und geackert. Wie Gott es gesagt hatte. Unsere Söhne wuchsen heran und wurden selbständig ... Jetzt erzählst Du besser selbst weiter, Kain!“

Doch ehe Kain zu Wort kam, begann sehr schnell und leise Abel zu sprechen: „Verzeih, wenn ich mich vordrängle. Ich weiß sehr wohl, ich bin nur der Zweite. Der Ewig-Zweite. Der kleine Bruder eben. Bloß einmal will ich es anders um. Ist auch gar nicht viel, was ich von mir erzählen will. Was ich erinnere. Meinen Namen, Abel. Der ist wichtig. Damit Ihr versteht. Und mit mir fühlt und spürt. Abel. ‚Hauch‘ bedeutet das. Eine Luftnummer bin ich. Abel, das heißt auch ‚ein Nichts‘. Mein Name ist Programm. Schon der erzählt von meiner Vergänglichkeit. Pfffffffffffff. (laut die Luft auspusten)

Ja, ein ‚Nichts-chen‘, mehr bin ich nicht. So wie jeder Mensch. Ein Nichts-chen, ein Hauch, vergänglich, mit kurzer Lebensspanne. So wie jede Frau und jeder Mann. Ein Habenichts bin ich. Ziehe umher mit meiner Kleinviehherde. Von Weide zu Weide. Nomade bin ich, hüte Schafe und Ziegen. Ein Kleinviehhirte. Schlage mich so durch. Reich werde ich damit nicht. Komme grad so zurecht. Bin eher ein Looser, ein Verlierer. Ein Opfer. Mit mir ist wirklich nicht viel los.

Und dann, eines schönen Tages, sehe ich, wie mein großer Bruder, der Kain, von den Früchten seines Feldes opfert. Gute Idee, denke ich. Der Gottheit danken. Und um gute Ernte bitten. Also mache ich es ihm nach. Opfere etwas von den Erstgeburten meiner Herde und von ihren Fettstücken. Und erlebe und erfahre: Gott sieht mich an. Mich. Mein Opfer. Mich, den Hauch, das Nichts-chen. Den, der sonst immer übersehen wird. Das tut so gut. Die Gottheit sieht mich.“

Abel hält inne, fast so, als wäre er schon viel zu laut geworden. Als hätte er schon viel zu viel Raum eingenommen. Sich richtig wichtig gemacht!

Da ergreift auch schon Kain das Wort: „Nun hört mir mal gut zu. Hört, was ich erinnere. Ich war zuerst da. Der Erstgeborene. Der Große. Der Ältere. Das zukünftige Haupt der Familie, der neue Patriarch. Ich trage Verantwortung für die Familie. Das doppelte Erbteil ist mir versprochen. Meine Mutter war sehr stolz, als sie mich bekam. ‚Ich hab's gekonnt, einen Mann erschaffen – mit Adonaj.‘ (Gen 4,1 BigS 2011) Und meinen Namen, Kain, wählte sie mit Bedacht. Da steckt ‚erwerben‘ drin und ‚besitzen‘. Mein Name ist Programm. Ich bin Mutters Hauptgewinn. Ein Gewinner. Mir kann keiner was. Nicht so eine Null, so ein Nichts-chen. So ein Nichtiger. Wie mein Bruder. Der Erste eben. Und der Beste. Der Hauptgewinner. ‚The winner takes it all!‘ Der Sieger bekommt alles. So einer bin ich. Dazu stehe ich.

Auf dem Feld rackere ich mich ab. So wie mein Vater. Mühsam ist es, dem Boden etwas abzuringen. Gewinn zu machen. Aber ich bin stark. Ich schaffe das. Und Abel, der war nie ein echter Konkurrent für mich. Darum macht er wohl auch so ganz was anderes. Der ist und bleibt eben ein Nichts-chen. Meinem Namen mache ich alle Ehre. Sicher ist meine Mutter sehr stolz auf mich. Ich weiß gar nicht mehr, warum ich das machte. Aber eines schönen Tages nahm ich von meiner Ernte, von den Früchten meines Ackers. In denen so viel harte Arbeit und Mühsal steckten. Und ich opferte sie.

Und der Kleine, dieses ‚Nichts-chen‘, musste es mir natürlich nachmachen. Typisch! Wie mich das nervt! Schon immer. Glaubt mir, das kannte ich schon. Daran hatte ich mich längst gewöhnt. Was ich aber dann erlebt hatte, was ich noch nicht kannte, war, wie die Gottheit reagierte. Gott sah mein Opfer nicht an. Genauso wenig wie mich! Aber diese Luftnummer, dieses Nichts-chen und sein Opfer, die sah er. Die beachtete er. Die sah er an. Nicht zu fassen. Ich hatte doch nichts falsch gemacht! Oder? Ach egal, es gelang mir nicht, noch irgendwie einen klaren Gedanken zu fassen.

Gefühle übermannten mich. Überfielen mich. Überrannten mich. In mir tobte es. Mir wurde so heiß. Aufs Äußerste entflammte ich, und ich spürte, wie mir meine Gesichtszüge entglitten. Eifersüchtig war ich. Und wie! Neidisch. Diese Ungerechtigkeit! Zornig wurde ich, richtig gehend wütend. Ich musste zu Boden schauen. Bloß nicht mehr dieses Nichts-chen und sein Opfer sehen! Und trotzdem wurde ich rasend vor Wut.

Es machte es keinen Deut besser, dass Gott mich jetzt doch sah. Ansah. Und mich ansprach. ‚Warum brennt es in dir? Und warum entgleiten deine Gesichtszüge derart? Ist es nicht so: Wenn dir Gutes gelingt, schaust du stolz; wenn dir aber nichts Gutes gelingt, lauert die Sünde an der Tür. ‚Auf dich richtet sich ihr Verlangen, doch du – du musst sie beherrschen.‘ (Gen 4,6-8 BIGS 2011) Das erreichte mich gar nicht. Völlig unmöglich, jetzt darüber nachzudenken. Und auch noch zu antworten! Ich versuchte mich zusammen zu reißen. Wirklich! Wollte meinem Bruder etwas sagen. Doch als wir dann auf dem Feld waren, fehlten mir die Worte. Mein Groll und meine Wut wurden übermächtig. Und so erschlug ich ihn.

Und da! Da war Gott dann plötzlich auch da. Hatte mich gesehen. Und was ich getan hatte. Und fragte mich. ‚Wo ist Abel, dein Bruder?‘ (Gen 4,9a BIGS 2011) Ich sagte nur.
‚Das weiß ich nicht. Habe ich etwa die Aufsicht über meinen Bruder?‘ (Gen 4,9b BIGS 2011) Ja, bin ich denn sein Hüter? Meines Bruders Hüter? Nein. Alles andere bin ich. Aber gewiss nicht der Hüter meines Bruders! Doch Gott machte weiter, ließ nicht locker. Stellte mir die nächste Frage. ‚Was hast du getan? Laut schreit das Blut deines Bruders zu mir vom Acker her. Also: Verflucht bist du, weg vom Acker, der das Blut deines Bruders von deiner Hand geschluckt und aufgenommen hat! Wenn du den Acker weiter bearbeitest, wird er dir seine Kraft nicht mehr geben. Heimatlos und ruhelos musst du auf der Erde sein.‘ (Gen 4,10-12 BIGS 2011)

Ja. Das verstehe ich immer noch nicht. Warum Gott mir das Leben ließ. Mich nicht richtig hart bestrafte. Warum er mich nur verfluchte? Und nicht tötete? Warum war Gott so gnädig? Wo er mich und mein Opfer doch nicht gesehen hatte? Trotzdem bekam ich eine Riesenpanik. Wie würde es mir ergehen, da draußen? So sagte ich ängstlich und voller Sorge: ‚Meine Schuld ist zu groß, sie kann nicht aufgehoben werden. Doch schau, du vertreibst mich heute vom Antlitz des Ackers, und auch vor deinem Antlitz muss ich mich verbergen und soll heimatlos und ruhelos auf der Erde sein – dann kann jeder mich töten, der mich findet.‘ (Gen 4,13-15 BIGS 2011)

Darauf gab Gott mir die klare Zusage: ‚Also denn: Wer Kain tötet, soll siebenfach gerächt werden.‘ (Gen 4,16 BIGS 2011) Damit konnte ich leben. Weiter machen. Ein Schutzzeichen bekam ich auch. Keiner sollte es wagen mich zu töten. Zukunft sollte ich haben. Die bekam ich. Und Nachkommenschaft. Den Henoch. Nach ihm benannte ich eine Stadt, die ich erbaute. Mein Enkel Irad bekam den Mehujaël. Und der den Metuschaël. Und der bekam den Lamech. der sich zwei Frauen nahm. Mit Ada bekam er den Jabal. Auf den das Hirtenleben zurückgeht. Und den Jubal. Auf den alles Spielen auf Instrumenten zurückgeht. Und mit Zilla den Tubal-Kain. Der war ein Schmied von Bronze- und Eisenpflügen. Und auch von Waffen. Lamech sagte seinen Frauen; ‚Einen Mann töte ich für meine Wunde, ein Kind für meine Strieme. Wenn Kain siebenmal gerächt wird, so Lamech siebenundsiebzigmal, denn: Wer Kain tötet, soll siebenfach gerächt werden.‘ (Gen 4,23-24 BIGS 2011) Die Gewalt nahm zu. Das Töten und die Kriege. Der Blutrausch. Viele Lebensjahre hatte ich. Keiner wagte mir etwas anzutun. Nie. Keinen Tag. Ich habe Geschichte gemacht.“ Kain unterbrach sich. Hielt inne. Zufrieden. Stolz. Mit sich und der Welt im Reinen.

Da ergriff Eva das Wort. „Ich erinnere mich auch. Wie glücklich ich war! Und so stolz, als ich den Kain geboren hatte. Mit Gott hatte ich mir einen Mann erworben. Kain. Einen Mann hatte ich erschaffen. Abel, nun ja, das war der zweite. Nur ein Hauch eben. Ein Hauch von Leben. Nicht zu vergleichen mit Kain. Sie wurden beide erwachsen. Kain wurde Ackerbauer, Abel ein Hirte. Und dann verschwanden sie beide aus meinem Leben. Am selben Tag. Mein Kain wurde der Mörder seines Bruders. Das ‚Nichts-chen‘ war verhaucht. Nur sein Blut schrie von der Erde.

Inzwischen bin ich alt geworden. Vieles wurde mir zugetragen. Über das Opfer der beiden. Über den Mord. Über Kains Leben. Meine Enkel und Urenkel und so weiter. All die neuen Generationen. Über die Blutspur, die Kains Nachkommen in der Welt hinterließen. Ich hatte viel Zeit nachzudenken. Inzwischen ist mir so einiges klar geworden. Auch über unsere Gottheit. Die mich Mitschöpferin werden ließ. Die meinen Stolz ertrug. Und meine Geringschätzung für Abel. Kein Wunder, dass Kain auf seinen Bruder herabsah. Von ihm nichts wissen wollte. Für ihn kein Bruder sein wollte. Und darum auch nicht so handelte. Nie und nimmer. Zu keiner Zeit.

Als Gott Abel ansah und sein Opfer. Meinen kleinen, zarten Abel, diesen Windhauch, dies Nichts-chen'. Da ist Kain völlig durchgedreht. Da fühlte der sich total provoziert. Er, der Mann, und sein Opfer werden übersehen. Da sind Gefühle in ihm empor geflammt, die hat er nicht ertragen, nicht ausgehalten. Dass Gott sich von ihm wünschte, dass er ein Bruder sei. Dass er achtgibt auf Abel, diese Nichtigkeit. Das habe auch ich erst spät begriffen. Mein Auftrag, meine Aufgabe als Mutter, wäre ja dieselbe gewesen. Auf den Kleinen, den Schwachen, diesen Hauch, dies Nichts-chen acht zu geben. Es zu schützen. Zu beschützen. Der Erstgeborene hatte ja sowieso alle Vorteile auf seiner Seite.

Ach ja. Es ist so schwer für die Starken. Wenn Gott die Starken verwirft. Und die Schwachen erwählt. Die Gottheit ist frei in ihrer Entscheidung. Tätermutter und Opfermutter bin ich. In einer Person. Als ich Gottes Willen endlich verstanden hatte, für mich akzeptiert hatte, erinnerte ich mich endlich. Eva, Mutter allen Lebens, so heiße ich doch! Also wandte ich mich Adam zu. Und der erkannte mich noch einmal und ich ‚gebar einen Sohn und gab ihm den Namen Set, denn seht, Gott hat mir einen anderen Nachkommen gesetzt anstelle Abels, denn Kain hat ihn getötet.‘ (Gen 4,25 BIGS 2011) Das war mir eine Herzenssache. Set, mein dritter Sohn, für Abel, weil Kain ihn erschlug. So blieb ich Eva, Mutter des Lebens. Und gab das Leben weiter. Für Abel. Auf einer anderen Linie. In Set. Dem Setzling. Für Abel. Und Set bekam den Enosch. Das ‚Menschlein‘. Damals begannen die Menschen, Gott anzurufen.“

Nachdenklich enden Evas Erinnerungen. Eine kluge Frau. Gereift. Widerständig. Erklärt das Richtige der Mächtigen für falsch. Ergreift Partei für Abel, für die Schwachen. Kehrt um zu Recht und Gerechtigkeit. Erkennt die Sünde. Den Mord. Das Handeln gegen die Gottheit und Gottes Schöpfergeist. Die Erkenntnis von Gut und Böse. Auch draußen. Nach dem Rauswurf aus dem Garten Eden. Gottes Parteinahme für die Schwachen und Unterdrückten beginnt früh. Für die Übersehenen und Zarten. Für die ewigen Zweiten. Für die Letzten. Gott wirbt von Anfang an um uns: Seht die im Schatten leben. In Armut und Unterdrückung. Die nicht angesehen werden. Die übersehen werden. Die Bibel erzählt die Geschichte der Opfer. Ist an ihrer Seite. Und Gott mit ihnen.

Haben wir mehr als die Alternative: Kain oder Abel? Täter oder Opfer? Adam und Eva haben ein drittes Kind geboren, Set, der Stammvater war die Linie, die über die Väter Israels und über König David und von dort bis zu Jesus führte. Uns bleibt der dritte Weg: Jesus zu folgen, der sagte: „Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr für mich getan.“ (Mt 25,40 BIGS 2011) Und: „Du sollst die Lebendige, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deinem ganzen Leben und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Denken, und deine Nächsten wie dich selbst.“ (Lk 10,27 unter Bezug auf Lev 19,18 BIGS 2011) Und: „Ich gebe euch ein neues Gebot, dass ihr euch gegenseitig liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr euch gegenseitig liebt.“ (Joh 13,34 BIGS 2011)

Solange wir in dieser Welt leben, sind wir nicht vollkommen. Sünder und Gerechte sind wir, zugleich. Täterinnen und Opfer. Immer noch sind Kain und Abel in uns. Wenn wir die Nachrichten sehen, erkennen wir jeden Tag, wie dünn die Schicht der Zivilisation immer noch ist. Noch immer ist der Mensch dem andern ein Wolf. Doch hat Gott einen neuen Anfang gemacht. Mit dem Wagnis der Liebe. „Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr für mich getan.“ (Mt 25,40 BIGS 2011)
Amen.

Lied: eg +135 Wie ein Fest nach langer Trauer

Fürbitten:
Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Wie Mutter und Vater bist du für uns.
Wir danken dir für deine Liebe.
Du siehst alle Menschen von Geburt an.
Du siehst unsere Vergänglichkeit,
unsere Fehler und unsere Schuld
und doch sorgst du für uns.
Danke für deine Gnade und Liebe.
Wir bitten dich, erbarme dich.

Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Wie Mutter und Vater bist du für uns.
Deine Liebe und Fürsorge gelten nicht nur uns,
sondern allen Lebewesen dieser Welt,
deiner Schöpfung.
Darum legen wir dir heute besonders an dein Herz,
die unter Ungerechtigkeit und Gewalt leiden,
die fliehen müssen und heimatlos sind.
Lass sie Schutz, ein Zuhause und Frieden finden.
Wir bitten dich, erbarme dich.

Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Wie Mutter und Vater bist du für uns.
Deine Liebe und Fürsorge gelten nicht nur uns,
sondern auch den Kranken und Sterbenden,
den Trauernden und Verzweifelten.
Schenke ihnen neue Kraft,
und auch all denen, die andere in ihrer Not begleiten.
Wir bitten dich, erbarme dich.

Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Wie Mutter und Vater bist du für uns.
In der Stille bringen wir die Menschen vor dich,
die uns am Herzen liegen,
und alles andere, was uns sonst noch bewegt:

Wir bitten dich, erbarme dich.

Jesus Christus, Licht der Welt,
öffne uns, wenn wir nun mit den Worten beten,
die du uns geschenkt hast:

Vater unser ...

Abkündigungen

Lied: EG 430 Gib Frieden, Herr, gib Frieden

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 22.8.2021 mit Video von Pfarrer Friedhelm Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

+ Gesang „Ich will den Herrn loben“ (EG 335)

+ Begrüßung
Einen schönen guten Morgen! Herzlich willkommen hier in Dankeskirche zu unserem Gottesdienst heute am 12. Sonntag nach Trinitatis!

Viele Menschen kommen nach Bad Nauheim zur ärztlichen Behandlung in einer der Kliniken. Bad Nauheim nennt sich „Gesundheitsstadt“. Heil werden, von einer Krankheit genesen können. Das ist auch ein zentrales Thema in der Bibel. Auch heute steht eine Heilungsgeschichte im Mittelpunkt des Gottesdienstes, im Mittelpunkt der Predigt. Wie können wir solche Heilungsgeschichten heute hören? Was können wir heute von ihnen lernen? Diesen Fragen wollen in diesem Gottesdienst nachgehen und hoffen, dass wir dabei etwas heilsames entdecken können.

Mit Blick auf die geltenden Hygieneregeln möchte ich Sie noch darauf hinweisen, dass Sie, wenn Sie sich in der Kirche bewegen Ihre Maske bitte tragen möchten, an Ihrem Platz können Sie die  Maske abnehmen. Wie können in der Kirche auch singen, aber beim Singen müssen Sie die Maske dann aufsetzen.
Nun wünsche ich Ihnen und Euch, ich wünsche uns allen einen gesegneten Gottesdienst.

+ Votum

+ Psalm 146 (im Wechsel)

Halleluja! Lobe den HERRN, meine Seele!
Ich will den HERRN loben, solange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, solange ich bin.
Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen.
Denn des Menschen Geist muss davon, und er muss wieder zu Erde werden; dann sind verloren alle seine Pläne.
Wohl dem, dessen Hilfe der Gott Jakobs ist, der seine Hoffnung setzt auf den HERRN, seinen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was darinnen ist; der Treue hält ewiglich,
der Recht schafft denen, die Gewalt leiden, der die Hungrigen speiset. Der HERR macht die Gefangenen frei.
Der HERR macht die Blinden sehend. Der HERR richtet auf, die niedergeschlagen sind. Der HERR liebt die Gerechten.
Der HERR behütet die Fremdlinge und erhält Waisen und Witwen; aber die Gottlosen führt er in die Irre.
Der HERR ist König ewiglich, dein Gott, Zion, für und für. Halleluja!

+  Kollektengebet
Guter Gott, vor Dir sammeln wir uns im Gebet. Wir danken Dir für unser Leben, das wir aus Deiner Hand empfangen haben. Wir danken Dir für alle schönen und beglückenden Momente, die wir erfahren dürfen. Vor Dir aber denken wir auch an das, was uns belastet und begrenzt. - In Deinem Sohn Jesus Christus zeigst Du uns Deine Zuwendung zu uns Menschen, gerade auch in dem, was uns schmerzt, was uns krank macht und niederdrückt. Wir bitten Dich um Deine Nähe in diesem Gottesdienst. Lass uns erfahren, was unser Leben hell macht. Lass uns erfahren, dass dort wo Wege verschlossen sind, sich Öffnungen auftun und Neues möglich wird. – Dies bitten wir im Namen Deines Sohnes Jesus Christus, der mit Dir in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes lebt und wirkt, jetzt und allezeit. Amen.

Lied: EG 440, 1 – 4: „All Morgen ist ganz frisch und neu…“

Lesung: Jes. 35, 1 – 6a
1 Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. 2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unseres Gottes. 3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt … und wird euch helfen.« 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken.

+ Glaubensbekenntnis

+ Gesang u. Gemeinde “Wohl denen, die da wandeln…“ (EG 295, 1 – 4 – 2+4 mit Gemeinde)

+ Predigt über Mk 7, 31 – 37
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in Mk. 7, 31 – 37:

31 Und als Jesus (er) wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. 33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge 34 und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig. 36 Und Jesus gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

So erzählt es uns das Markusevangelium: Jesus kehrt zurück von einer kurzen Reise ins nördliche Nachbarland. Er war im Gebiet des heutigen Libanon unterwegs, in Tyros und Sidon und kommt wieder an den See Genezareth, an das Galiläische Meer. Er geht an dessen östliches Ufer im Gebiet der Zehn Städte, der Dekapolis. Und da bringen die Menschen dort einen Kranken zu Jesus. Der konnte nicht hören und nicht richtig sprechen. Nur ein Stammeln war bei ihm zu vernehmen, nur Wortlaute, aus denen niemand einen Sinn heraushören konnte. Ja, schwierig das richtige Sprechen zu lernen, wenn man nicht richtig hören kann. Welch eine Not! - Je älter ich werde und je mehr bei mir das Hören schwächer wird, desto mehr kann ich etwas nachvollziehen von dieser Not, von diesem Ausgegrenztsein, wenn man nicht mehr richtig hören kann. Nicht mehr verstehen kann, was die Menschen um einen herum erzählen. Man sieht wohl, dass gesprochen wird, manches kann man von den Lippen ablesen, aber manchmal bekommt man nur noch Bruchstücke mit - oder gar nichts mehr. - Die wunderbare Hilfe durch Hörgeräte, die wir heute haben, gab es damals nicht. Was kann dann noch helfen? –

Immerhin, er hat Menschen, die sich um ihn kümmern, die ihn in seiner Not nicht allein lassen. Gut, wenn man in seiner Not nicht allein gelassen wird. Wenn da Menschen sind, die sich zuwenden, die bereit sind zu helfen und zu unterstützen. - Sie bringen den im Hören und Sprechen erkrankten Menschen zu Jesus, sie bringen ihn in der Hoffnung, dass Jesus die Hände auf ihn lege, dass er irgendwie eine Veränderung herbeiführen kann, eine Verbesserung, eine Heilung, wie weitgehend auch immer.

Jesus sieht ihn, berührt ihn, sieht auf zum Himmel und seufzt - dann spricht er zu ihm in seiner Sprache auf Aramäisch: Efata!, das heißt: Tue dich auf!

Jesus sieht ihn, berührt ihn, sieht auf zum Himmel und seufzt. Ein seufzender Jesus! – Erinnern Sie das noch, wann Sie das letzte Mal geseufzt haben? Wann war das, der letzte Seufzer? Gestern vielleicht, oder vielleicht sogar heute Morgen? Oder schon sehr lange zurück? Solange, dass Sie sich gar nicht mehr erinnern können? Der letzte Seufzer. – Was, was geschieht da denn eigentlich, wenn wir seufzen? – Wir seufzen, wenn wir an eine Grenze stoßen, an ein Hindernis. Wir seufzen, wenn wir etwas gerne anders haben möchten und zugleich doch wissen, es ist jetzt so, es kann jetzt nicht sogleich verändert werden. Für den Moment muss ich damit leben. Ach ja.

Wir seufzen, wenn wir Menschen begegnen in ihrer Erkrankung, in ihren Grenzerfahrungen, in ihren Belastungen. Wir seufzen, weil wir wünschen, dass es ihnen besser gehen möge und wir doch zugleich wissen, dass eine Verbesserung so schnell nicht eintreten wird. Dass man erstmal damit leben muss. Ach ja.

Wir haben vielleicht geseufzt, als wir die Nachrichten vernahmen, dass die Corona-Pandemie noch längst nicht überwunden ist und wir jetzt offenbar nun noch mit einer vierten Welle klarkommen müssen.

Wir seufzen vielleicht, angesichts der Klimaveränderungen mit den verheerenden Folgen von extremen Wetter, von extremer Hitze, von Trockenheit und Waldbränden, von sintflutartigem Regen, der in den Tälern zu gewaltigen Fluten wird, die alles mitreißen. Werden wir da noch Wege finden zu einem Lebensstil, der stärker unserer natürlichen Umwelt angepasst ist, der die Erwärmung des Luftraums nicht weiter anheizt?

Wir seufzen angesichts des Schicksals der Menschen in Afghanistan. Und, angesichts dessen, dass die westlichen Streitkräfte einschließlich der Bundeswehr wohl einen Rückzugsplan für die militärischen Einheiten vorbereitet und durchgeführt haben, nicht aber für die Ortskräfte, deren Hilfe man jahrelang in Anspruch nahm. Warum?

Ach ja, offenbar lässt sich da doch so einiges finden, das uns Anlass zum Seufzen gibt. Jede und jeder von uns wird da so eine eigene Liste haben.

In unserer Geschichte von Jesus und dem Taubstummen geht es so weiter: In dem Moment, in dem Jesus seufzt schaut er auf hin zum Himmel. Es ist, als wenn sein Seufzen ein Gebet ist. Ein Gebet um Veränderung, ein Gebet um das Öffnen dessen, was da gerade verschlossen ist. Ein Gebet darum, dass Hören da wieder möglich wird, wo es gerade nicht geht. Ein Gebet darum, dass Sprechen da wieder möglich wird, wo jetzt noch der Mund verstummt oder nur Unverständliches Stammeln kann.

Es ist, als wollte uns die Geschichte sagen, wenn wir Anlass zum Seufzen haben, sollten wir unsere Seufzer zum Himmel richten. Dann wird aus unserem Seufzen ein Gebet. Ein Seufzer-Gebet. Der Apostel Paulus spricht davon, dass ein Gebet schon allein aus einem tiefen, langen Seufzer bestehen kann. Wenn so ein Seufzer-Gebet zum Himmel gerichtet wird, dann kann es geschehen, dass unsere Hoffnung gestärkt wird. Ja, im Moment müssen wir mit dem leben, was ist. Aber wir müssen unsere Hoffnung nicht aufgeben. Es kann geschehen, dass eine Wende zum Guten sich doch noch einstellt. Wir müssen nicht jetzt schon im Angesicht von Grenzen und Belastungen aufgeben. Da ist etwas, das uns hilft beim Tragen. Da gibt es etwas, das unsere Geduld zu stärken vermag.

Effata, so spricht Jesus in Aramäisch zu dem Taubstummen, Effata: Tue dich auf! Ja, es kann geschehen. Es kann sich etwas öffnen. Etwas, das so lange schon verschlossen ist, in uns und um uns herum, es kann sich doch öffnen. Es muss nicht verschlossen bleiben auf immer und ewig. Öffnungen sind möglich. --

Die Menschen zur der Zeit, als das Markus-Evangelium geschrieben wurde, hatten keine Schwierigkeiten damit, sich vorzustellen, dass es bei Jesus auch zu sofortigen Heilungen kommen konnte. Dass sich Ohren nach dem Gebet Jesu sogleich öffnen, dass die Zunge sich sogleich löst und das Sprechen ermöglicht.  - Das ist bei uns heute anders. In unserem modernen Weltbild haben Wunder kaum einen Platz. Wir sind da skeptischer geworden. Wir haben unsere Erfahrungen, wir haben unsere Einsichten. Wir wollen uns auch nicht einfach zu einem Wunderglauben überreden lassen, an dessen Ende dann doch die nüchterne Erkenntnis bleibt, dass wir aus den Bedingungen unseres Lebens nicht einfach so herausspringen können. So einfach lässt sich unser Leben nicht aus den Angeln heben. – Und was können wir dann mit den Wundergeschichten des Neuen Testaments anfangen?

Ich glaube, dass diese Geschichten uns in unserem Seufzen helfen können. Dass aus unserem Seufzen ein Seufzer-Gebet wird. Dass wir nicht nur nach unten starren, sondern uns trauen, den Kopf zu heben und nach oben zu schauen. Dass wir uns so aufrichten und lernen, den Mut nicht zu schnell aufzugeben. Dass wir die Hoffnung nicht zu schnell aufgeben. Dass wir dran bleiben, auch an dem, was uns begrenzt und belastet. Dass wir uns öffnen können dafür, dass sich doch noch neue Wege auftun können. Dass wir dafür offen bleiben: Wer weiß: Wir können doch noch Neues hören, wir können doch noch Anderes hören. Wer weiß: Wir können doch noch neue Worte finden, wir können doch noch aus dem Stammeln herauskommen. - Heilungsgeschichten halten uns offen für Veränderungen zum Guten, und wenn nicht jetzt, dann vielleicht morgen oder eines Tages. Ein Seufzer zum Himmel gerichtet kann dabei helfen.

Interessant ist ja, dass bei dem Taubstummen erst das Hören geheilt wird und dann das Sprechen. Eine interessante Reihenfolge: Erst das Hören und dann das Sprechen. - Wieviel Veränderungen zum Guten könnte es bei uns geben, wenn erst das Hören da wäre und dann erst das Sprechen. Das ist - glaube ich - eine gute Reihenfolge, die zu mancher Gesundung führen könnte: Erst Zuhören, dann Sprechen. Das könnte wahrhaft helfen in unseren Beziehungen, in der Partnerschaft, in den Familien, in den Gemeinden, ja auch in der Politik. Wenn es erst zum Hören kommt und dann zum Sprechen. Wenn erst versucht wird, zu verstehen, bevor man versucht, seine Meinung beizutragen.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zu dem aramäischen Wort: Efata oder Hefata, das übersetzt heißt: Tue dich auf! Da dieses Wort im Markus-Evangelium in einer Geschichte erscheint, in der sich Menschen um einen Kranken kümmern und zu seiner Heilung beitragen, haben viele kirchliche und andere christliche Sozialwerke und Diakoniestationen das Wort „Hephata“ zu ihrem Leitwort und zu ihrem Programm gemacht. So auch hier in Bad Nauheim das Sozialwerk Hephata in der Lindenstraße. Es ist ein Seniorenheim. Und auch hier setzt man sich dafür ein, für den Lebensabend immer wieder danach zu suchen, welche neuen Wege sich auftun können, auch in dieser späten Phase des Lebens. Und so wirkt unsere Geschichte aus dem Markus-Evangelium weiter fort bis in unsere Gegenwart hinein und will uns offenhalten für Linderung, für Heilung für Gesundung.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen

+ Gesang “In dir ist Freude“ (EG 398)

+ Fürbitten
Guter Gott, Du bist ein Freund des Lebens und das Leben ist Deine Gabe. Du überlässt uns nicht den Mächten der Krankheit, der Verzweiflung und der Niedergeschlagenheit. Wir sollen uns am Leben freuen können. Von Dir berufen, deinem Willen zu folgen und das Leben in seinen Möglichkeiten zu bewahren, wollen wir unsere Wege gehen.

Wir bitten um Deine belebende Kraft, der Bedrohung des Lebens zu widerstehen. Segne unsere Anstrengungen, Leben zerstörenden Tendenzen zu wehren, unsere Umwelt achtsam zu behandeln, Ehrfurcht vor dem Leben zu wecken und zu einem Leben im Einklang mit der Natur zu ermutigen.

Tritt auf für die besondere Würde jedes menschlichen Lebens. Mach uns empfindsam für seine Unverfügbarkeit. Alles bedrohte Leben nimm in Deinen Schutz und lass es uns achten und selber schützen. Wir bitten Dich, hilf, dass die in Afghanistan Schutz suchenden Menschen schnell und unbeschädigt aus dem Land herauskommen und ein Asyl finden. Wehre allen Versuchen, Menschen zurückzusetzen oder auszugrenzen, weil ihr Leben durch Krankheit, Behinderung und nahenden Tod gezeichnet ist.

Öffne uns dafür, im Leben anderer deinen Segen zu erfahren. Du hast uns einander gegeben zur Bereicherung und Fülle. Mach uns bereit, Belastungen zu ertragen. Gib uns ein Gespür, was wir in der Gemeinschaft einander zumuten können. Hilf, uns auch in unvorhersehbaren Situationen einzulassen auf Dein Erbarmen.

Sei mit Deiner Gnade in all unserer Schwachheit mächtig. Du kannst Lasten in Segen wandeln. Du hast verheißen, dass denen, die Dich lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Das ist unsere Hoffnung, dass Deine ganze Schöpfung befreit werden soll aus ihrer Vergänglichkeit hin zu der Freiheit, die Du bereiten kannst.

Begegne uns in der Gebrochenheit dieses Lebens schon jetzt mit den Zeichen Deines Heils. Stärke uns Mut und Kraft, mit unserem Verhalten diese Hoffnung zu bezeugen. Darum bitten wir im Vertrauen auf Jesus Christus, deinen Sohn, unsern Bruder und Herrn.

+ Vaterunser

+ Lied EG 432, 1 – 3: „Gott gab uns Atem“

+ Abkündigungen

+ Segen

+ Orgelnachspiel

Gottesdienst am 15.8.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung und Votum
Es ist kein lauter Gottessdienst, zu dem ich Sie und euch heute willkommen heiße. Es ist ein Gottesdienst zur Stille. Und ich begrüße alle herzlich dazu!

Welche Bedeutung hat die Stille für uns Menschen? Was hat sie mit dem Glauben zu tun? Und welche Kräfte können aus der Stille erwachsen?

Mit dem Gottesdienst heute wollen wir versuchen, Antworten darauf zu finden. Ich freue mich, dass es heute Mehrere sind, die den Gottesdienst gemeinsam im Team gestalten.

Wir hören auf ein Wort aus den Klageliedern Jeremias, aus dem 3. Kapitel, die Verse 22 und 23: „Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende. Sie ist an jedem Morgen neu. Wie ist seine Treue so groß!“

So feiern wir den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.

Psalm 65,1-6
Für dich ist die Stille Lobgesang, du Gott, der auf dem Berg Zion wohnt. Du bist es, der Gebete erhört, darum kommen die Menschen zu dir.

Schuld und Vergehen drücken uns hart, doch du mögest sie uns vergeben.

Glücklich sind, die du erwählst und die du dir nahe kommen lässt. Sie dürfen in den Vorhöfen des Tempels zu Hause sein.

Wir sehnen uns nach dem reichen Trost, den du in deinem Haus für uns bereithältst. Gott, auf deine Gerechtigkeit ist Verlass. Dir vertrauen die Enden der Erde. Amen.

Lied: Was für ein Vertrauen

Gebet
Du, unser Gott,
Stille ist ein Geschenk für den Menschen, der sucht und lauscht.
Wir danken dir für den Sonntag,
für die Ruhe des Feiertages,
für die Zeit der Erholung und der Besinnung.
Zeige uns, wie wir das kostbare Geschenk der Stille annehmen können.
Hilf uns, auf die leisen Töne zu hören.
Das bitten wir im Namen deines Sohnes Jesus Christus.
Amen.

Glaubensbekenntnis

Votum G. Eilermann: Die Stille lieben; Stille ist relativ

Musik

Votum Friedhelm Pieper: Die Stille erfahren; Stille kann absolut sein

Musik
Ansprache I, Susanne Pieper:
Ganz besondere Erlebnisse.  Eine ganz besondere Zeit: weit weg. Am Meer, in der Wüste. Wo Stille so ganz besonders intensiv zu erfahren war…Orte der Stille aber können wir auch in der Nähe finden! So wie diesen Kirchenraum: hier wird dir und mir Stille angeboten! Menschen kommen hierher.  Gerade auch dann, wenn die Kirche leer ist. Sie sehnen sich danach, einfach einmal nicht reden zu müssen. Sie möchten einfach Ruhe finden.  Ganz in der Nähe einen Raum der Stille finden.  Davon spricht auch ein berühmter Dichter:  

Zitat (Andrea Vaupel): Reiner Kunze:

„Einladung zu einer Tasse Jasmintee

Treten Sie ein, legen Sie Ihre
Traurigkeit ab, hier
dürfen Sie schweigen“
(Reiner Kunze, Sensible Wege und frühe Gedichte, 1969, S.  105)

Ansprache II, Susanne Pieper: Schweigen kann tröstlich sein, wenn einfach ein Raum da ist, wo ich dasein kann. Schweigen kann entlastend sein, wenn jemand eine Zeit hinter sich hat, in der er sehr viel reden musste.  Dann ist das Schweigen dürfen wohltuend und entspannend. Manchmal, wenn man zu viel allein ist, können aber Schweigen und Stille auch zu viel werden. Dann ist es wichtig, wieder nach außen zu gehen, Kontakte zu suchen. Eine neue Balance zu finden zwischen dem Alleinsein und der Gemeinschaft.

Das Schweigen aber kann uns auch für das Leise öffnen! Wir können anfangen, tiefer zu hören. Im Alten Testament, im 1. Buch der Könige, Kap. 19 wird erzählt, wie Gott sich gerade im Leisen finden lässt: der Profet Elia hatte sich in einer Höhle versteckt,  aus Furcht vor der Königin Isebel,  die ihn verfolgte.

Da sprach Gott zu Elia: „Geh aus deiner Höhle heraus und steige auf den Berg. Denn ich werde dort an dir vorübergehen!“ und ein großer, starker Sturm kam, der die Felsen zerbersten ließ. Aber Gott war nicht in dem Sturm. Danach kam ein Erdbeben. Aber Gott war nicht in dem Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch Gott war nicht in dem Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Martin Buber übersetzt: „Nach dem Feuer eine Stimme verschwebenden Schweigens“.

Und aus dieser sanften Stille spricht Gott mit Elia. Gott lässt sich gerade im Leisen finden.

Das können wir auch an Jesus Christus erkennen.  Auch er suchte die nächtliche Stille, die Einsamkeit, und kam dort mit seinem himmlischen Vater ins Gespräch. Markus berichtet davon.

Mk 1,35: „Und am Morgen, noch bevor der Tag begann, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.“

Das Beten in der Stille ist eine Quelle der Kraft.

Lied: EG 323, 1.3 Man lobt dich in der Stille

Zitat (Andrea Vaupel): Erling Kagge ist ein norwegischer Verleger, Jurist und Abenteurer. Er schreibt in seinem Buch „Stille – Ein Wegweiser“ diese Gedanken:

„Aber die Stille kann auch ein Freund sein. Eine bereichernde Kraft. Die Stille, die im Gras wohnt. An der Unterseite jedes Halms. Und in dem blauen Zwischenraum zwischen den Steinen. Die Stille, die sich wie ein Vogeljunges zwischen deine Hände legt. Allein auf dem Meer hörst du das Wasser, im Wald einen dahinrieselnden Bach oder Zweige, die sich im Wind bewegen, in den Bergen kleine Bewegungen zwischen den Steinen und Moosen. Dann ist die Stille beruhigend. Ich suche danach in mir.  Von Minute zu Minute. Es kann draußen in der Natur sein, aber es kann ebenso gut auf dem Weg ins Büro geschehen; ich halte unmittelbar vor einem Termin einen Moment inne oder steige aus einem Gespräch einfach aus. Die Welt auszusperren heißt nicht, seiner Umgebung den Rücken zuzukehren, sondern im Gegenteil:  es heißt, die Welt ein wenig deutlicher zu sehen, eine Richtung beizubehalten und zu versuchen, das Leben zu lieben.

Die Stille ist eine Bereicherung an sich.  Es ist etwas Exklusives und Luxuriöses. Ein Schlüssel, mit dem sich neue Arten des Denkens erschließen. Eine praktische Ressource für ein reicheres Leben.“

Susanne Pieper: Aus dem Reichtum der Stille, aus dem Schweigen heraus beten wir. Wir bringen unseren Dank, wir bringen unsere Bitten zu Gott.

Fürbitten
Es ist gut, vor dir zur Ruhe zu kommen, barmherziger Gott. Dein Friede will in uns einziehen. Du erquickst unsere Seele. Du bist die Quelle der Kraft, mit der wir unsere Herausforderungen bestehen können.
Dafür loben wir dich!
Lass uns deinen Frieden weitertragen. Liebe üben, wo Gleichgültigkeit herrscht. Verzeihen, wo Menschen sich beleidigen. Brücken bauen, wo Gräben sind.  Hoffnungslichter anzünden, wo Menschen zu verzweifeln drohen. Trost schenken, wo Menschen danach rufen.
Lass deinen Frieden groß werden in uns, damit er sich ausbreitet – hin zu deinem Reich.

Vaterunser

Abkündigungen

Lied: Leg deine Hand in meine Hand

Segen

Musik

Gottesdienst am 8.8.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

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Musik zum Eingang

Begrüßung
Höre, Israel, der Herr ist unser Gott“: So beginnt das Schema Israel, das Grundbekenntnis des Volkes Israel. Am 10. Sonntag nach Trinitatis, dem Israelsonntag, geht es um das Verhältnis und die bleibende Verbindung zwischen Christentum und Judentum. Wir begehen diesen Sonntag als

Tag der Besinnung auf die Verbundenheit zwischen der Kirche und Israel. Denn vieles von dem, was Jesus gelehrt hat, ist nur aus dem Judentum zu verstehen: So die Frage nach dem höchsten Gebot oder die Bedeutung des Gesetzes. Das Volk Israel spielt eine herausragende Rolle in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Und auch wenn wir nicht wissen, was Gottes Plan mit den beiden Religionen ist, so bleibt Israel doch Gottes auserwähltes Volk.

Und so feiern wir unseren Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und heiligen Geistes. Amen.

Psalm 111: EG 744

Kyrie
Ewiger Gott, Richter der Welt,
wir hören die Klage deines Volkes
und müssen erkennen,
wir Christ*innen dazu Anlass boten,
sie aufs Neue anzustimmen.
Nicht nur einmal mussten jüdische Menschen
Die Zerstörung ihrer Gotteshäuser beweinen.
Nicht nur einmal hat sie die Angst
Vor der Gewalttätigkeit der Feinde
Aus ihrer Heimat vertrieben.
Nicht nur einmal wurden viele von ihnen ermordet
Und ganz Israel von Vernichtung bedroht.

Du, Heiliger Israels,
vergiss das Leiden deines Volkes nicht.
Du hast seine Tränen bei dir gesammelt
Und wirst über seine Peiniger richten.
Vor dir bekennen wir die Schuld unserer Kirche,
die oft Hass gegen Jud*innen gesät hat im Namen Christi.

Wir bitten dich, gerechter Gott:
Vergib uns um deiner Barmherzigkeit willen
Und stell uns deinem Volk
In fester Verbundenheit zur Seite.   Kyrie eleison!

Gloria
Wir können uns den Aufgaben und der Verantwortung dieser Zeit stellen, wir können für Gerechtigkeit und Frieden eintreten, denn Gott ist bei uns. So wie er es schon Jesaja versprochen hat:
Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir.
Weiche nicht zurück, denn ich bin dein Gott.
Ich stärke dich und ich helfe dir,
ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit. Jes 41,10
Gott schenkt uns immer

Kollektengebet
Guter Gott,
wir danken dir dafür,
dass wir hier zusammen sein können,
dass du uns zusammenführst,
um miteinander dein Wort zu hören.
Wo wir verzagt sind, richte uns auf!
Wo wir zufrieden sind, mach uns dankbar!
Lass deine Liebe unser Herz erfüllen und die Welt!
Amen.

Schriftlesung
Exodus 19,1-6
191Genau drei Monate nach dem Auszug aus Ägyptenkamen die Israeliten in die Wüste Sinai.2Sie waren von Refidim aufgebrochen und erreichten nun die Wüste Sinai. In der Wüste schlugen sie ihr Lager auf. Dort lagerte sich Israel am Fuß des Berges,3Mose aber stieg zu Gott hinauf. Da rief ihm der Herr vom Berg aus zu: »Sag es dem Haus Jakob! Verkünde es den Israeliten:4Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe. Euch aber habe ich wie ein Adler auf Flügeln getragen und hierher zu mir gebracht.5Hört jetzt auf meine Stimme und haltet meinen Bund! Dann sollt ihr mein Eigentum sein unter allen Völkern. Denn mir gehört die ganze Erde.6Ihr aber sollt für mich ein Volk von Priestern sein, ein heiliges Volk. Diese Worte sollst du den Israeliten sagen.

Glaubensbekenntnis

Lied:  EG 316,1.3.5

Predigt

Liebe Gemeinde,
„Euch aber habe ich wie ein Adler auf Flügeln getragen“ – dieses Bild, dass Gott sich seinem Volk zuwendet wie ein Adler findet sich an mehreren Stellen in der Bibel. Adler nehmen ihre Jungen unter ihre Fittiche, um sie wärmen und zu schützen. Wenn die kleinen Adler fliegen lernen, fliegen die Alten neben den Jungtieren her, um sie auf ihren Flügel zum Horst zurückzubringen, falls dem Jungtier die Kraft ausgeht.

An dieser Stelle der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel bildet das Bild des Adlers die Botschaft des Textes ziemlich gut ab. Wie ein Adler die ersten Flugversuche seines Jungtieres begleitet, hat Gott sein Volk auf dem Weg aus der Sklaverei in Ägypten bis zum Berg Sinai begleitet. Ein langer Weg liegt hinter ihnen. Ein Weg auf dem ihnen Leid, Verfolgung, Sehnsucht und auch Verblendung begegnet sind. Es war nicht leicht auf diesem Weg den Überblick zu behalten und das Ziel nicht aus dem Blick zu verlieren.

Da ist es gut, dass die Menschen auf ihrer Flucht daran erinnert werden, dass ihr Weg – trotz all der Gefahren und Widerstände – behütet wird und dass dieser Weg ein Ziel hat: Die Offenbarung Gottes am Sinai und den Bund Gottes mit Israel. Wenn die Israelit*innen es auch noch nicht wussten, wie Gott sie nach der Flucht aus Ägypten begleiten wird und welches eigentlich ihr Ziel sein wird – sie erlebten mit einem Mal eine so große Freiheit, dass es möglich schien alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die Hoffnung war riesengroß. Mose war der Hoffnungsträger dieser göttlichen Botschaft und ihm folgte man durch das Schilfmeer in die Wüste.

Doch der Alltag beendet den Höhenflug dieser Hoffnung und Begeisterung. Hunger, Durst und viele andere Gefahren auf dem Weg durch die Wüste verstellen den Blick nach vorn. Die Erinnerungen an die Leiden der Unterdrückung verblassen und auf einmal war in Ägypten doch nicht alles schlecht.

Das Hochgefühl des Aufbruchs ist erloschen. Die Freiheit scheint nicht mehr so wichtig und das Ziel ist sowieso in unerreichbare Ferne gerückt. Der Weg durch die Wüste ist mühsam und es wird nach Schuldigen gesucht für diese Enttäuschung. Immer öfter kommt die Frage auf, ob dieser unsichtbare Gott, dem man da folgt, wirklich der richtige Gott ist.
Erschöpft kommt das Volk Israel am Sinai an. Kann es hier zur Ruhe kommen? Kann es wieder wahrnehmen, dass es auch in den schweren Zeiten der Wüstenwanderung sehr wohl begleitet und bewahrt war? Hat Gott nicht Manna geschenkt und Mose Wasser aus dem Felsen geschlagen?

Gott hat sein Volk wie „auf Adelers Fittichen sicher geführet“.
An diesem Ort wird es möglich, zu erkennen wie Gott trotz aller Bedrängung und Not sein Volk geführt hat. Und tatsächlich stellt sich am Vorabend großer Ereignisse neue Hoffnung ein. Mose wird auf den Berg gehen, Gott wird ihm dort in Wind und Wetter erscheinen. Mose wird die Tafeln des Bundes erhalten – und sie erst einmal wieder zerschmettern angesichts des Goldenen Kalbes. Israel steht hier an einem Wendepunkt seiner Geschichtemit Gott. Ohne Pomp wird Israel zum Bundesvolk Gottes erwählt.

An dieser Stelle treffen wir Christ*innen auf das Volk am Fuß des Berges Sinai. Denn auch wir nehmen für uns in Anspruch, dass auch wir Gottesbundesvolk seien. Leider haben wir Christ*innen nie der Versuchung widerstehen können, den Erwählungsglauben des Volkes Israel gegen das Volk selbst zu wenden, dem jüdischen Volk vorzuwerfen, es halte sich für etwas Besseres, sei überheblich – ohne zu merken, dass wir das gleiche dann auch über uns selbst sagen müssten.

Denn gerne halten auch wir Christ*innen uns für etwas Besseres. Nämlich dann, wenn wir uns als neues Bundesvolk betrachten, das alte aber für überholt erklären. Wenn wir einerseits die Zehn Gebote für uns reklamieren, aber zugleich der jüdischen Religion Gesetzlichkeit vorwerfen.

Wir müssen uns also fragen, wo wir uns mit unserer Glaubensgewissheit, Volk Gottes zu sein, eigentlich befinden: Stehen wir auch am Fuß des Berges Sinai und hören den Ruf, Gottes Volk zu sein? Oder sind wir der Meinung, dass für uns der Berg der Verklärung, wo sich die Wolke über Jesus legte, reicht. Sind wir damit der Meinung, dass wir mit dem Volk Israel nichts zu tun haben? Und vergessen dabei, dass die entscheidenden alttestamentlichen Gestalten Mose und Elia auch auf diesem Berg den Jüngern erschienen sind. Reihen wir uns ein, neben dem Volk Israel, den gemeinsamen Bund zu verehren? Oder verdrängen wir das Volk Israel von seinem Platz und bekämpfen es gar?
Wie geht unser Weg als Volk des Bundes weiter?

Das Volk Israel hat lernen müssen, dass Gottes Bundesvolk zu sein, auch heißt, für Gott einzustehen, das Ideal der Schöpfung Gottes dazustellen und Gottes Regeln vorbildhaft zu befolgen. Damit macht man sich in der Welt keine Freunde. Es ist eine harte Aufgabe.
So hat Gott vom Sinai her das Volk Israel wieder auf einen langen Weg ins gelobte Land geschickt. Wieder beginnt die entbehrungsreiche Wanderung durch die Wüste, wieder holen die Mühen der Ebene das Volk ein, wieder drohen Hoffnungen zu zerbrechen an der harten Wirklichkeit.

Einen wesentlichen Grund für die Mühen der Ebene haben allerdings wir Christ*innen gelegt. Denn immer wieder haben Christ*innen ihren Anspruch Gottes Volk zu sein, damit belegen wollen, dass sie das Volk Israel gedemütigt und verleumdet haben. Die christliche Überheblichkeit wurde zu einer echten Gefahr für jüdische Mitbürger*innen. Ein aufgehetzter Mob konnte dann schon mal am Karfreitag jüdische Menschen verfolgen mit der Begründung, sie seien schuld am Tod Jesu.

Wenn wir wirklich für uns in Anspruch nehmen wollen, als Christ*innen auch erwähltes Volk zu sein wie das Volk Israel, dann müssen wir den Weg weiter mitgehen vom Berg Sinai oder auch vom Berg der Verheißung. Dann müssen wir uns in die Mühen der Ebene begeben. Das heißt, wir müssen christlichen Judenhass überwinden, aus der Geschichte lernen und heute sehr aktuell gegen jede Art von Antisemitismus und Rassismus Stellung beziehen.
Volk Gottes zu sein, heißt sich in die Pflicht nehmen zu lassen für den Willen Gottes in seiner Schöpfung, in dieser Welt, in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt.
Gott begleitet uns dabei und schenkt uns immer wieder die Möglichkeit umzukehren und neu anzufangen.

Lied + 89 Du bist da

Fürbitten
Ewiger Gott,
Du bist Vater und Mutter aller Menschen.
Uns alle hast Du nach Deinem Bilde geschaffen.
Deine Liebe und Deine Barmherzigkeit gilt uns allen.
Dafür danken wir Dir.

Wir bitten Dich heute insbesondere für jüdische Menschen in der Nähe und in der Ferne.
Sei an ihrer Seite und stärke sie, wo immer sie Diskriminierung und Gewalt erfahren.
Auch für die jüdischen Gemeinden und Verbände in unserer Nachbarschaft
bitten wir Dich um Schutz und Bewahrung.

Wir bitten Dich auch für die Geschwister im Glauben aus den anderen Religionen
und für die Menschen anderer Weltanschauungen,
die gemeinsam mit uns nach Frieden und Gerechtigkeit streben.
Behüte sie und lass sie nicht müde werden auf ihrem Weg.

Und wir denken an die Menschen in unserer Kirche, in unserer Stadt und unserem Land,denen es nicht gut geht,
die Deiner und unserer Zuwendung besonders bedürfen.
Lass sie nicht allein, gibt ihnen Kraft und Mut, ihren Weg zu gehen.

Ewiger Gott,
wir bitten dich für __, die am letzten Samstag getauft wurden. Schenke ihnen Augen, die sehen und Ohren, die hören auf das, was in der Welt um sie herum passiert. Und schenke ihnen ein offenes Herz ihre Mitmenschen zu verstehen und selbst verstanden zu werden. Begleite du sie mit deinem Segen.

Ewiger Gott,
wir bitten dich für die Menschen von denen wir in der letzten Woche Abschied nehmen mussten. Wir bitten für _ und zünden eine Kerze für sie an. Nimm du sie auf in deine Ewigkeit und schicke den Angehörigen dein Osterlicht, dass ihnen den Weg aus der Dunkelheit der Trauer heraus zeige.

Ewiger Gott, Quelle der Barmherzigkeit,
sei auch mit uns, auf dass wir zum Zeichen Deiner Barmherzigkeit,
Deiner Gerechtigkeit und Deines Friedens werden.
Amen.

Vaterunser

Abkündigungen

Lied: EG 613 Freunde, dass der Mandelzweig

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 1.8.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

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Vom Hausbau
Wer auf Gott vertraut hat auf Fels gebaut

Eingangsmusik
Begrüßung

Das Haus auf unserem GD Blatt sieht aus, als sei es in die Hand Gottes gebaut. Auf jeden Fall ist es auf Fels gebaut, wie es Jesus sich wünscht. ER sagt: Vertraut auf Gott, und ihr werdet leben. Wer sein Leben in Gottes Hand baut, der vertraut auf ihn, der kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
Es geht heute um Vertrauen, um den Hausbau, um das Fundament. Dieses Haus auf der Titelseite steht übrigens auf einer kleinen Insel vor Island, auf Heimaey.
Herzlich willkommen zu unseren Gottesdienst. Wir freuen uns, dass er von Mitgliedern der Kantorei unter der Leitung von Kantor Frank Scheffler musikalisch gestaltet wird. Und wir wollen Abendmahl feiern, unter Coronabedingungen, versteht sich.

Votum

Psalm  63
Ich will Gott loben mein Leben lang
G:    Gott, du bist mein Gott, den ich suche.
Es dürstet meine Seele nach dir,
P:    mein ganzer Mensch verlangt nach dir
aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist.
G:    So schaue ich aus nach dir in deinem Heiligtum,
wollte gerne sehen deine Macht und Herrlichkeit.
P:    Denn deine Güte ist besser als Leben;
meine Lippen preisen dich.
G:    So will ich dich loben mein Leben lang
und meine Hände in deinem Namen aufheben.
P:    Das ist meines Herzens Freude und Wonne,
wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben kann;
G:    wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich,
wenn ich wach liege, sinne ich über dich nach.
P:    Denn du bist mein Helfer,
und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.
G:    Meine Seele hängt an dir;
deine rechte Hand hält mich.

Gebet
Guter Gott,
dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unseren Wegen.
Darauf vertrauen und hoffen wir.
Wir bitten dich um einen festen Stand in den Stürmen unseres Lebens.
Um offene Ohren und Herzen, und deinLicht, das unseren Weg erhellt.
Durch JX, deinen Sohn. Amen

Lesung
Vom Hausbau
24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. 25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. 26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. 27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.

Musik:         EG 589     Komm bau ein Haus

Predigt

Die Gnade unseres Herrn JX, die Lebe Gottes und die Gemeinschaft des HG Sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
Selten hat mich ein Bibelwort so unmittelbar berührt. Ich sehe noch die zusammenbrechenden, umgestoßenen Häuser in der Eifel, Menschen, die mit Hubschraubern von den Dächern gerettet werden. Ich sammle in meinem Pfarrhaus noch das letzte Erinnerungsstück. Und sie haben dort alles verloren, einschließlich ihrer beruflichen Existenz. Da kam ein Regen, eine Flut, und sie hatten zwar nicht auf Sand gebaut, aber vielleicht zu dicht an den Bach oder den Fluss. Jedenfalls nicht auf schützenden Fels. Und alles war in den Fluten verloren und viele sind gestorben.

Die Bibel erzählt schon an ihrem Anfang von einer schrecklichen Flut: die Sintflut löscht alles Leben aus auf der Erde, nur Noah und seine Familie werden in der Arche mit vielen Tieren gerettet. Gewiss ist dies kein historischer Bericht, aber Reflex auf die vielfältigen Fluterfahrungen der Menschen im Nahen Osten. Und zugleich eine mahnende Stimme, die auf die Verantwortung der Menschen verweist; aber auch nicht leugnet, dass wir in der Verantwortung stehen, was die Klimaerwärmung, was große Dürren, aber auch heftigen Regen angeht.

Das Gleichnis vom Hausbau ist der Abschluss der Bergpredigt. In ihr ruft uns Jesus mit radikalen und rigorosen Forderungen zu seiner Nachfolge auf: Wir Menschen scheitern notwendig daran, weil wir eben nur Menschen sind. Keiner der Schüler, die ich in meinem Pfarrerleben unterrichtet habe, wäre tatsächlich bereit gewesen, auch noch die andere Backe anzubieten.

Die Forderungen Jesu sind unerfüllbar. Sie sollen gar keine ethische Anweisung sein, sondern deutlich machen, dass der Mensch den Willen Gottes allein von sich aus nicht erfüllen kann. Wenn der Mensch diese Situation erkennt, dass er unzulänglich und Sünder ist – letztlich unfähig zum absoluten Guten, dann ist er allein auf Gottes Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung angewiesen.

Die Forderungen der Bergpredigt machen deutlich, dass es Jesus nicht um neue Gesetze und konkrete Anweisungen geht, sondern um eine Grundhaltung, eine Gesinnungsethik, also eine innere Haltung und Herzenseinstellung. Deshalb treibt er die jüdischen Gesetze in seiner Rede auf die Spitze: Keine Scheidung! Nicht schwören! Niemals vergelten!

Bei der Bergpredigt handelt es sich um überprägnante Normen, die bewusst das tatsächlich Erreichbare um Vieles überragen. Solches ist notwendig, weil das Ziel immer weiter gesteckt sein muss als das, was man wirklich erreichen kann.  Eine der Anweisungen aus der Bergpredigt begleitet mich seit dem 1. Oder 2. Semester im Studium: „Wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr da schon Besonderes?“ Es weist mich darauf hin, dass es nicht nur um den Nächsten geht, sondern auch um den Übernächsten und sein Lebenswohl.
Deshalb hat mich immer gefreut, dass wir in unserer Gemeinde Partner in Frankreich, Ostdeutschland und Indien haben; dass es Hausaufgabenhilfe für geflüchtete Kinder gab; dass es hier einen Friedenskreis und ein Friedensgebet gibt und dass wir den Eine-Welt-Laden unterstützen oder in der Corona-Notlage dort eine große Spende nach Indien überwiesen haben, auch wenn wir selbst nicht aus dem Vollen schöpfen können.

„Wer sein Haus auf Fels baute“: Das hat Bischof Tebartz van Elst auf dem Domberg in Limburg getan. Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit, dieses markante Haus zu besichtigen. Es ist in seinem Kellergeschoss tatsächlich auf gewachsenen Fels gebaut, er ragt in den großen Konferenzraum, in dem sich nun ein anderer Bischof, der privat in Limburg eine Sozialwohnung bezogen hat, mit Mitgliedern der deutschen Bischofskonferenz trifft. Das umstrittene Haus nutzt er als Dienstsitz.

Seine hohen Kosten wurden nicht durch eine goldene Badewanne verursacht. Die gibts im Baumarkt, sie steht halt frei im Raum. Na und?  Teurer wurde alles durch viel mehr Abraum, durch das Freilegen der Felsen und bei der Sanierung eines angrenzenden Gebäudes. So hatte der frühere Bischof also auf Fels bauen lassen, aber die Zeichen der Zeit und den Zusammenhang von Reden und Handeln nicht beachtet. Wenn Worte im Widerspruch zum eigenen Handeln stehen, wittert die Öffentlichkeit Scheinheiligkeit und Heuchelei. Das war weniger das Problem des Bischofs damals, als dasjenige seiner Administration und Öffentlichkeitsarbeit.

Ich habe mich neulich ziemlich ausgiebig mit Häusern beschäftigt: Wir haben das Haus, das unsere Eltern in Schleswig-Holstein vor 20 Jahren für ihr Alter erworben hatten, wiederverkauft. Dan hatten wir selbst überlegt, hier in der Wetterau ein Haus zu bauen oder zu kaufen und ich habe Worte wie Grunderwerbssteuer oder Baunebenkosten gelernt.
Wenn Jesus am Ende der Bergpredigt das Bild vom Hausbau benutzt, dann greift er dabei wie in seinen Gleichnissen auf die Lebenswelt seiner Zuhörer zurück. Das kennen alle. Es geht nicht um die Gestaltung des Außengeländes oder die Aufteilung der Zimmer, schon gar nicht um Farben oder heiztechnische Lösungen. Es geht um die Gründung des Hauses, das Fundament, seine Verbindung zur Umgebung, um Stein oder Sand.

Paulus nimmt im Brief an die Korinther das Bild vom Fundament auf und spricht von Jesus als dem Grund, der gelegt ist, und der durch nichts und niemanden ersetzt werden kann (1. Kor 3, 11). Vielleicht entfaltet sich die Kraft dieses Bildes ja gerade in Situationen, in denen ich vor den Trümmern meines eigenen Handelns stehe. Im Großen und auch im Kleinen. Dann, wenn ich erkenne, dass ich mehr Sorgfalt hätte walten lassen müssen, hinter dem zurückgeblieben bin, was gut gewesen wäre.

Neben allem gelingenden im Leben gibt es eben auch das: Häuser stürzen ein, Projekte und Lebenspläne misslingen. Manches hätte anders gebaut, geplant, bedacht, getan, gesagt werden sollen. Derjenige, der uns zu soliden Fundamentarbeiten aufruft, ist zugleich der stabile Grund unseres Lebens. Was auch kommen mag, was gelingen und was scheitern mag: Der Grund ist gelegt. ER bleibt fest. Auf ihn können wir uns verlassen. ER bleibt – für mich und das Haus meines Lebens. Seine Zusage steht, wie Worte, in Stein gemeißelt, die jeden Sturm und jedes Unwetter des Lebens überstehen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX.  Amen

Lied:        EG + 54    Vater, unser Vater

Fürbittgebet:

Guter Gott,
du schenkst uns das tragfähige Fundament für unser Lebenshaus, das allen Unwettern standhalten kann.
Um diese Zuversicht und Gewissheit bitten wir dich:
Für Menschen, denen der Boden unter den Füßen zu verschwinden droht, weil sie Verluste erleben.
Für menschen, die ihr Leben in den Sand gesetzt zu haben glauben: Dass sie neu beginnen können und ein tragfähiges Fundament für ihr Lebenshaus entdecken.
Für Menschen, deren Leben durch Unwetter du Stürme in Gefahr ist: dass sie durch die Verbindung und das Vertrauen zu dir getragen und gehalten werden.
Wir danken dir, lebendiger Gott, für alle Bewahrung und Leitung auf unseren Wegen. Wir danken dir für alles Glück und alle Freude, die wir in unserem Lebenshaus täglich erleben dürfen.
Dein Wort ist wie ein Licht – lass es uns hören, verstehen und bedenken – heute und alle Tage – so, wie du alle Tage bei uns bist und wir das in deinem Mahl erleben und spüren dürfen.

Vater Unser
Friedensgruß
Einsetzungsworte

Brot
Wein/Traube

Schlussgebet
Du hast uns eingeladen, mit allem zu dir zu kommen. Du stärkst uns mit deinem Wort und mit dem Mahl deines Sohnes, das uns sagt: du willst uns nahe sein. Lass uns in der kommenden Zeit deine Nähe spüren und die in unserem Alltag vertrauen. Hilf uns, anderen eine Stütze zu sein, wenn sie uns brauchen und denen zu vertrauen, die wir brauchen – durch JX, deinen Sohn

Schlusslied:     EG 295     Wohl denen die da wandeln
Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 25.7.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Lust und Laster -
Wissen allein genügt nicht – es braucht auch Selbsterkenntnis

Eingangsmusik:
aus dem Oratorium `Elias´ von Felix Mendelssohn das Duett `Herr höre unser Gebet´.

Begrüßung
„Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ (Eph 5).
Mir fallen bei dem Wort vom Licht die unglaublich klaren, plastischen Farben an frischen Apriltagen ein; das Licht des Südens, die alten Licht und Luftbäder der  Arbeiterbewegung oder die Höhensonne von früher.
Was dieses Wort vom Licht aus der Sicht des Evangeliums bedeuten kann, das wird uns der Apostel Paulus erläutern. ER wünscht sich ein Christsein mit Leib und Seele.

Votum

Psalm 121    EG  749
Der Herr behütet dich
G:    Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?
P:    Meine Hilfe kommt vom Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat.
G:    Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.
P:    Der Herr behütet dich;
der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
G:    dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
P:    Der Herr behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.
G:    Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit!
 
Gebet
Guter Gott, wir sitzen oder stehen hier in unserer schönen Kirche. Wir sehen die Menschen vor uns, neben uns, wir hören Worte, Lieder, Musik. Wir atmen langsam oder etwas schneller, je nach unserer momentanen Befindlichkeit. Wir spüren unsere gefalteten Hände, wir spüren unseren ganzen Körper, vielleicht ist er locker, vielleicht ist er noch etwas angespannt von dem, was uns beschäftigt.
Wir hoffen, nach diesem Gottesdienst fühlen wir uns wohl in unserer Haut, können frei atmen, den Blick erheben, aufrecht gehen. Wir bitten dich: Mache uns mit deinem befreienden Wort zu lebendigen Gliedern an deinem Leib.
Das bitten wir dich durch Jesus Chrístus, deinen Sohn.

Lesung
1. Kor. 6, 9-14 (15-18) 19-20 |
 9 Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder 10 noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben. 11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. 13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe. 14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. 17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm.
19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? 20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

Musik:         441    Du höchstes Licht, du ewger Schein

Predigt
Die Liebe unseres Herrn JX, die Gnade Gottes und die Gemeinschaft des HG sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
Als die Ehefrau vom Gottesdienst nach Hause kommt, fragt ihr Mann beiläufig: „Na, worüber hat der Pfarrer den heute gepredigt?“ Sie antwortet: “Über Laster und Sünden.“ Seine Rückfrage: “Und was hat er dazu gesagt?“ beantwortet sie lakonisch: “Er ist dagegen.“
Das entspricht der gängigen Erwartung, wenn es um Themen wie Sünde und Sexualmoral geht. Früher war man dann wohl schnell versucht, die Menschen, die im Hochsommer am Sonntagmorgen in die Kirche kamen, im wahrsten Sinne des Wortes abzukanzeln. Aber würde sich dadurch etwas ändern? Und wem wäre damit gedient, wenn ich jetzt die Verrohung der Sitten anprangere und Ihnen mit erhobenem Zeigefinger die Leviten lese?

Dann spricht da ein Moralapostel. Wie in unserem Text Paulus: Drei Mal schleudert Paulus ein „Wisst Ihr nicht … !“ den vermeintlichen „Übeltätern entgegen. Frei übersetzt: „Wie blöde seid ihr eigentlich?!“

Aber natürlich wissen sie es. Gerade so, wie jeder normale Mensch weiß, dass er seinem Körper nichts Gutes tut, wenn er raucht, Alkohol trinkt, Fettes isst. Gerade so wie jeder Mensch weiß, dass es nicht gerade eine Heldentat ist, ins Bordell zu gehen.

Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. Das ist ja wunderbar. Schön wäre jetzt nur noch, wenn Paulus noch erwähnt, wie man das hinbekommt. Offenbar ist ein quälend schlechtes Gewissen, offenbar sind peinigende Schuld- und Schamgefühle alleine noch kein Rezept, um das eigene Verhalten zu verändern. Im Gegenteil: sie sind eingebaut in den süchtigen Kreislauf von Triebdurchbruch, Schuld und Scham, sich schwören, so etwas nie mehr zu tun – bis zum nächsten Triebdurchbruch.

Moralpredigten haben zur Unglaubwürdigkeit der Kirche beigetragen. Sie haben einen blinden Fleck – nämlich das Leben des Predigers oder der Predigerin. Halten sie sich selbst an das, was in der Bibel steht und was sie predigen? Das ist die Gefahr der Selbstgerechtigkeit. Sich hin zu stellen und zu sagen: Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin wie die anderen „die mit Sexualität unverantwortlich umgehen; die andere Gottheiten verehren; die in der Ehe oder gar in gleichgeschlechtlichen Beziehungen das Recht Gottes verletzen; die andere bestehlen oder gierig immer mehr wollen; die sich betrinken und schlecht über andere reden.“

Was also tun gegen Scheinheiligkeit? Glaubwürdigkeit entsteht, wenn das öffentliche Reden im Einklang steht mit dem, was ich auch sonst tue. Der erste Schritt zu einem ganzheitlichen Leben ist wohl, sich selbst kritisch und nüchtern zu betrachten. Was macht mich so wütend auf diese verlotterten Korinther? Es mögen Gefühle der Ohnmacht sein, der Hilflosigkeit. Nichts tun zu können gegen ihre Haltungen. Und ganz vielleicht auch noch ein kleines bißchen Neid auf das, was sie sich erlauben und wie sie sich ausleben.

Aber eigentlich schreibt Paulus ja auch wenig später im gleichen Brief an dieselben Leute, nach diesem ganzen Hass auf die Unzüchtigen einen der schönsten Texte über die Liebe in der ganzen Bibel: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt keinen Mutwillen …“ So kann auch Paulus selbst aus der Liebe, die er im 13 Kapitel feiert, im 6. Kapitel herausfallen in Zorn und Hass. Mit seinen eigenen Worten möchte man ihm sagen: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Was lernen wir nun daraus?

1. Gegenüber unseren Emotionen hat der Verstand alleine keine Chance. Deshalb ist etwas zu predigen viel leichter, als das gepredigte selbst vorzuleben. Und das gilt übrigens für uns alle hier, nicht dass wir uns da falsch verstehen. Es gilt, die Kraft zu nüchterner Selbstkritik aufzubringen, eine Art innerer Beichte, realistischer Selbsteinschätzung. Indem wir uns unsere vermeintlichen Schwächen eingestehen, verändert sich Inhalt und Art unseres Redens gegenüber anderen in Richtung Barmherzigkeit – wenn ich nur einen Funken Empathie aufzubringen in der Lage bin.

2. Sich über andere zu empören ist viel leichter, als zu versuchen, das Fremde, das andere zu verstehen, das mir und meinen Werten entgegensteht.  Hallo! – Korinth war eine Hafenstadt. Es war berühmt für die Verlockungen des Konsums – dort gab es alles! Des Luxus, der Lebenslust. Und berüchtigt für die Tempelprostitution im Aphroditetempel, mit vermutlich mehr als 1000 sog. Priesterinnen. Aber wer von uns war in Hamburg und wäre nicht über die Reeperbahn geschlichen?

3. „Tu deinem Körper etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ Das schrieb Teresa von Avila. ZB schön Essen gehen mit Freunden. Oder nachher einen Mittagsschlaf. Es geht um den ganzen Menschen, wir glauben nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit „Herzen Mund und Händen“. Glaube ist ganzheitlich. Und deshalb ist es auch nicht nebensächlich, wie wir mit unsrem Körper umgehen, nicht nur mit unserer Seele. Wir dürfen kleinen Raubbau an ihm betreiben.

Und 4.  wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist?“ Inmitten unserer aus den Fugen geratenen Welt werden wir eingeladen, auszuprobieren, was dieses Bild für uns bedeuten kann. Fühle ich mich getragen oder unterstützt mich der Heilige Geist in dem, was ich mir ohnehin vorgenommen habe? Baut er uns Brücken aus der spannungsvollen Unsicherheit heraus oder stellt er sich inmitten von Katastrophischem uns tröstend auf die Seite?

Gott selbst hat uns losgekauft, und deshalb gehören wir nicht länger uns selbst. Gerade, weil er uns aus den von uns selbst gesetzten Grenzen befreit, ermöglicht er uns, behutsamer auf das Leben in der Welt zu achten. Wir werden nicht nur mitmenschlicher, sondern auch zu seinen (Mit-)Geschöpfen: „Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm.“
Amen

Musik:        166    Tut mir auf die schöne Pforte

Fürbitte

Gütiger Gott,
es ist nicht leicht zu lieben, ohne zu verletzen;
zu genießen, ohne zu missbrauchen;
etwas aufzubauen, ohne zu zerstören;
etwas Neues zu wollen, ohne das alte zu enttäuschen oder vor den Kopf zu stoßen.
Wir bitten dich deshalb: Lass uns das tun, was du segnest, was das Leben fördert in seiner Buntheit und Vielfalt.

Du hast uns durch die Taufe Freiheit geschenkt, alles ist uns erlaubt. Lehre uns, verantwortungsvoll mit dieser Freiheit umzugehen, sie kreativ zu nutzen. Nichts soll uns gefangen nehmen. All denen die noch gefangen sind in Angst und Verzweiflung, in Vorurteilen und selbstzerstörerischen Zwängen, in Sucht und Besitz, zeige dich als derjenige, der den Schlüssel zur Befreiung besitzt. Denn alles kann uns zum Guten dienen.

Erhalte und fördere in uns den liebevollen Blick für den Nächsten. Lehre und zeige uns deinen Weg des Lebens. So kommen wir am Ende in dein Reich.

Vater Unser

Schlusslied:
Oratorium Elias  von Felix Mendelssohn das Duett `Hebe deine Augen auf zu den Bergen, von welchen dir Hilfe kommt´

Abkündigungen

Segen

Ausgangsmusik:
Oratorium ‚Elias‘: `Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig´.

Gottesdienst am 18.7.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum:
Liebe Gemeinde,
So seid ihr nun nicht mehr Fremde und Ausländer, sondern ihr seid Mitbürgerinnen der Heiligen und Hausgenossen Gottes.
 Ephesus 2,19 BIGS 2011)
Mit dem Wochenspruch aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Ephesus begrüße ich Sie ganz herzlich zu unserem Gottesdienst. Dass wir Hausgenossinnen Gottes sind, das verlieren wir im Alltagstrott oft aus dem Blick. Obwohl wir doch alles haben, fühlen wir uns ausgebrannt und leer. Obwohl wir täglich satt werden, ist das ein ungeheurer Durst nach mehr in uns. Wir sehnen uns nach etwas, das wir nicht in Worte fassen können.
Gott stillt körperlichen und seelischen Hunger, davon erzählt der 7. Sonntag nach Trinitatis.

Psalm 146: EG 757

Kollektengebet
Du, unser Gott,
Vieles bewegt uns, Unterschiedliches bringen wir mit,
was uns freut und traurig macht,
was uns beschwert und was leicht ist in diesen Tagen,
mitten im Sommer, in der Ferienzeit,
nach dem Schuljahresende und viel freier Zeit vor uns.
Das alles bringen wir mit und bitten dich:
Lass uns zur Ruhe kommen mit unseren Gedanken und Gefühlen!
Hilf uns ganz hier zu sein in deinem Namen
und als deine Gemeinde auf dein Wort zu hören,
das uns stärken und ausrichten will.

Schriftlesung
Elia am Bach Krit und bei der Witwe zu Sarepta
171Und es sprach Elia, der Tischbiter, aus Tischbe in Gilead zu Ahab: So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe:
Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn.
2Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 3Geh weg von hier und wende dich nach Osten und verbirg dich am Bach Krit, der zum Jordan fließt. 4Und du sollst aus dem Bach trinken, und ich habe den Raben geboten, dass sie dich dort versorgen sollen. 5Er aber ging hin und tat nach dem Wort des Herrn und setzte sich nieder am Bach Krit, der zum Jordan fließt. 6Und die Raben brachten ihm Brot und Fleisch des Morgens und des Abends, und er trank aus dem Bach. 7Und es geschah nach einiger Zeit, dass der Bach vertrocknete; denn es war kein Regen im Lande. 8Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 9Mach dich auf und geh nach Sarepta, das zu Sidon gehört, und bleibe dort; denn ich habe dort einer Witwe geboten, dass sie dich versorge.
10Und er machte sich auf und ging nach Sarepta. Und als er an das Tor der Stadt kam, siehe, da war eine Witwe, die las Holz auf. Und er rief ihr zu und sprach: Hole mir ein wenig Wasser im Gefäß, dass ich trinke! 11Und als sie hinging zu holen, rief er ihr nach und sprach: Bringe mir auch einen Bissen Brot mit! 12Sie sprach: So wahr der Herr, dein Gott, lebt: Ich habe nichts Gebackenes, nur eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Und siehe, ich habe ein Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will’s mir und meinem Sohn zubereiten, dass wir essen – und sterben.
13Elia sprach zu ihr: Fürchte dich nicht! Geh hin und mach’s, wie du gesagt hast. Doch mache zuerst mir etwas Gebackenes davon und bringe mir’s heraus; dir aber und deinem Sohn sollst du danach auch etwas backen. 14Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden. 15Sie ging hin und tat, wie Elia gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. 16Das Mehl im Topf wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er geredet hatte durch Elia.

Glaubensbekenntnis

Lied: EG 320 Nun lasst uns Gott dem Herren

PREDIGT
Liebe Gemeinde,
Kennen Sie das Märchen der Gebrüder Grimm vom „süßen Brei“? Ein armes, frommes Mädchen lebt mit seiner Mutter allein und hat nichts mehr zu essen. Es bekommt ein Töpfchen geschenkt, das süßen Hirsebrei von allein kocht, wenn die richtigen Worte gesprochen sind, und auch wieder aufhört. Eines Tages kocht das Töpfchen weiter und weiter und das ganze Dorf ist voller süßem Hirsebrei, bis das Mädchen nach Hause kommt und es zum Stillstand kommt.

Verlockende märchenhafte Vorstellung: immer süßen Hirsebrei zu haben, wenn man hungrig ist. In der biblischen Geschichte verspricht der Gottesmann Elija, dass das Mehl im Topf und das Öl im Krug nicht aufhören werden. Ist das ähnlich märchenhaft?

Vergleichbar ist die ausweglose Situation in der Hungersnot der beiden Familien aus der Bibel und im Märchen. Verursacht durch die Dürre haben sie nicht genug zu essen. Sie werden sterben und haben nur noch eine kleine Mahlzeit. Doch Elija schenkt keinen Wundertopf, sondern will vom gebackenen Brot zuerst etwas abhaben. Dann verspricht er, dass Öl und Mehl nicht ausgehen werden. Die Witwe ist zurückhaltend, vielleicht sogar ärgerlich? Von dem wenigen noch etwas abgeben? Und das auch noch zuerst? Vielleicht musste sie ihrem verstorbenen Mann auch immer zuerst etwas zu Essen zubereiten. Das war damals üblich in der patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen abhängig waren von den Männern in der Familie, zuerst vom Vater, dann vom Ehemann. Jetzt lebt sie allein, ohne männliche Unterstützung, ohne für sich und ihren Sohn irgendwo noch etwas auftreiben zu können, rechtlos und mittellos.

Und Elija, der Gottesmann? Er soll das Wort und den Willen Gottes verkünden und gegen die falschen Propheten des Baal auftreten. Er soll gegen den mächtigen König Ahab und seiner Frau Isebel, die vom Gott Israels nichts wissen wollen, auftreten. Sie verehren Baal, den Herrn und Meister, Fruchtbarkeitsgott auf Seiten der Mächtigen. Elija hat dem gegenüber kaum eine Chance. Alle anderen Propheten des Gottes Israels sind schon verfolgt worden. Machtlos bleibt er zurück und soll überleben angesichts der Dürre und Not, die nicht aufhören wird, bis Gott es wieder regnen lässt. Der Gottesmann erlebt diese Not und Dürre am eigenen Leib. Gott schickt ihn nach Osten, an einen Bach Kerit, und versorgt ihn dort mit Brot und Fleisch, das die Raben ihm bringen, bis die Dürre den Bach austrocknen lässt und Elija sich wieder auf den Weg macht.

Kein Regen wird fallen, Dürrezeiten und Hungersnöte. Denken Sie auch an Hunger und Elend heute? An die Trockenheit in fernen Ländern Afrikas und nun auch bei uns? Die Fichten sterben ab, sogar die Buchen leiden in unseren Wäldern. Klimawandel? Klimakatastrophe? Dass wir Menschen seit Jahrzehnten darum wissen und immer noch nichts lernen, macht mich wütend. „Fridays für Future“ war durch Corona ausgebremst, doch jetzt demonstrieren sie wieder, Junge und auch viele Alte, die es einfach nicht hinnehmen wollten, dass die Politik das Thema Klimawandel immer wieder hinten anstellt.

Menschen fliehen vor der Dürre, wenn kein Regen das Land fruchtbar macht, wenn sie vor Hunger nicht mehr ein noch aus wissen. Sie kommen zu uns nach Europa, nach Deutschland und suchen ein sicheres Zuhause. Das macht vielen Angst, die um ihre Existenz hier bangen und natürlich auch zuerst an sich denken, weil die Arbeitsplätze nicht für alle ausreichen könnten, weil es keinen bezahlbaren Wohnraum für alle geben könnte. Weil das Boot voll ist. Zuerst wir, zuerst ich, denken viele. Für uns alle wird es nicht reichen, das Mehl im Topf und das Öl im Krug. Das ist nur allzu verständlich, oder?

Zeigt die Geschichte der Bibel einen Ausweg? Was macht Elija?

Er kommt zu einer Witwe, die auch nichts hat oder fast nichts. Sie leidet an Hunger. Sie und ihr Sohn werden nicht überleben. Sie haben nichts mehr als ein bisschen Mehl und ein bisschen Öl. Wie soll das reichen?

Und dann reicht es doch! Wie geschieht hier das Wunder? Elija weist die Witwe an, noch einen Brotfladen zu backen und davon zuerst ihm geben. Zuerst dem Mann? Das erinnert mich an früher, wenn bei Tisch am Sonntag zuerst der Vater das größte Stück vom Braten abgekriegt hat. Weil der Mann damals das Sagen hatte. Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei! Und doch bestimmt das „zuerst“ unser Denken und Handeln. Zuerst ich! Zuerst wir! Zuerst unser Land, unsere Nation! Ist das hier in der Geschichte auch gemeint?
Das Wort „zuerst“ zeigt noch etwas anderes: Ich denke an die Erstlingsgabe der Ernte als Abgabe an Gott. So wird es im Dritten Buch Mose beschrieben. Indem die Israeliten erst (zuerst) etwas von der Ernte an Gott zurückgeben, erkennen sie an, dass die Gabe des Lebens und des Lebensnotwendigen nicht selbstverständlich ist. Nicht die Menschen selbst haben die Ernte eingebracht oder unser Auskommen verdient. Es ist Geschenk und Gnade. Es geht um Dankbarkeit und Anerkennung des Gottes Israels, der das Leben schenkt. Und es allen Menschen gleichermaßen schenkt, ausreichend und auskömmlich.

Daran erinnert das „zuerst“, zu dem Elija die Witwe auffordert. Dadurch erkennt auch die Witwe an, die nicht zum Volk Israel gehört und von dessen Gott nichts weiß, dass die Menschen das Leben und alles zum Leben Notwendige diesem Gott verdanken. Zuerst Elija als Prophet dieses Gottes etwas zu Essen zuzubereiten, gibt diesem Gott die Ehre, erkennt ihn an, und dann reicht das Lebensnotwendige für lange Zeit. Mehl und Öl versiegen nicht. Die Witwe und ihr Sohn werden leben, bis wieder Regen fällt und sie sich selbst versorgen können. In Vers 15 heißt es, dass sie es genau so tut. Allerdings isst sie dann zuerst vom Brot und nicht Elija, wie sie selbst es vielleicht befürchtet hat, dass der Mann zuerst versorgt werden will. Nein Elija erkennt an, dass sie dem Gebot der Erstlingsgabe folgt und ihre Dankbarkeit darin ausdrückt. Deshalb ist sie zuerst genannt: Sie hatte zu essen, er und sie und ihr Haus, Tag für Tag.

Eine Erstlingsgabe abgeben? Das machen wir heute nicht mehr. Am Erntedankfest wird der Altar mit Erntegaben geschmückt. Manche geben Spenden für die Tafeln in ihren Gemeinden. So kann Not abgewendet werden. Hier bei uns oder auch durch Spenden in anderen Teilen der Welt.

Das Umdenken geschieht noch vorher, indem wir die Gabe des Lebens und des Lebensnotwendigen anerkennen und Gott dafür danken, bei jedem Essen, das so selbstverständlich auf unseren Tisch kommt, bei jedem Einkauf von Gütern, die andere für uns produziert haben. Egal ob es Lebensmittel, Kleidung oder Möbel sind. Alles hat seinen Preis. Fair produziert soll es sein, damit alle gut davon leben können. Immer mehr reift das Bewusstsein für die Zusammenhänge in der Welt, wie sehr wir miteinander verbunden sind. „Bad Nauheim fair wandeln“ heißt der Verein, in dem sich Menschen aus unserer Stadt genau dafür engagieren. Regelmäßige Vorträge bringen das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit, Zusammenarbeit mit den örtlichen Schulen oder unseren Konfigruppen, sensibilisieren schon Kinder und Jugendliche, dafür, wie sie mit ihrem Einkaufsverhalten Einfluss auf das Leben vieler Familien in Ländern der sogenannten Dritten Welt nehmen können.

Vieles haben wir schon gelernt, vieles kann anders werden: Fair gehandelter Kaffee ist teurer, weil die Kaffeebauern ihre Kinder zur Schule schicken können. Und das Frühstücksei kostet mehr und schmeckt besser, weil auch die männlichen Küken überleben können. Oder eine Frau bringt ihrem Nachbar einen halben Kuchen vorbei, weil sie weiß, er freut sich, dass sie an ihn gedacht hat.

Nicht zuerst wir oder zuerst ich. Wir sind aufeinander angewiesen und können das Wunder erleben, indem wir an die anderen denken und damit Gott die Ehre geben.

Die Geschichte von der Witwe in Zarpath dankt Gott für die Gabe des Lebens und Mehl im Krug und Öl im Topf versiegen nicht. Sie quillen auch nicht wie von Wunderhand aus dem Topf und werden nicht zu einer Bedrohung wie im Märchen. Sie können geteilt werden und werden so zum Segen.
Amen.

Musik EG 182 Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt

Fürbitte
Du unser Gott,
von dir kommt die Gabe des Lebens.
Wir bitten, dass wir mit allem sorgsam umgehen: mit dem Boden, dem Wasser, der Luft.
Wir bitten für Pflanzen und Tiere, unsere Mitgeschöpfe.
Wir bitten für die Menschen, die aus Ländern fliehen,
die von Hungersnot oder Katastrophen heimgesucht werden.
Wir bitten für die Menschen, deren Heimat vom Krieg zerstört ist,
die ein neues Zuhause suchen, die unter der Ungerechtigkeit in der Welt leiden.
Wir bitten für die Menschen, die an Leib und Seele krank sind
und dringend Hilfe brauchen.
Und wir danken dir für jede Gabe des Lebens, für alles, was wir haben.
Hilf uns, dir zuerst die Ehre zu geben und dann teilen zu können:
unser tägliches Brot und unser Dach, unsere Kleidung und unsere Habe.
Schenk uns eine lebenswerte Zukunft und zeig uns, was wir dazu beitragen können.

Vaterunser

Abkündigungen

Lied eg+142 Verleih uns Frieden gnädiglich

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 11.7.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

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Musik

Psalm 67,2-8
2 Gott sei uns gnädig und segne uns, er lasse uns sein Antlitz leuchten, 3 dass man auf Erden erkenne seinen Weg, unter allen Heiden sein Heil. 4 Es danken dir, Gott, die Völker, es danken dir alle Völker. 5 Die Völker freuen sich und jauchzen, dass du die Menschen recht richtest und regierst die Völker auf Erden. 6 Es danken dir, Gott, die Völker, es danken dir alle Völker. 7 Das Land gibt sein Gewächs; es segne uns Gott, unser Gott! 8 Es segne uns Gott, und alle Welt fürchte ihn!

Gebet
Herr großer Gott, Du hast die Macht über Himmel und Erde. Schenke uns, dass wir Dir in diesem Gottesdienst begegnen. Sprich Du in unser Herz und fülle es mit Deiner Liebe für uns Menschen. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit. Amen.

Lesung Jesaja 43,1-7
1 Jetzt aber spricht der Herr, der Jakob geschaffen und sein Volk Israel gebildet hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich befreit. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir. 2 Wenn du durch Wasserfluten gehst, bin ich bei dir. Reißende Ströme spülen dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, verbrennst du nicht. Die Flammen können dir nichts anhaben. 3 Denn ich bin der Herr, dein Gott. Ich bin der Heilige Israels, der dich rettet. Ich habe Ägypten als Kaufpreis für dich bezahlt, dazu noch Nubien und Seba. 4 Du bist kostbar und wertvoll für mich, und ich habe dich lieb. Deshalb gebe ich Menschen für dich preis und setze Völker für dein Leben aufs Spiel. 5 Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir. Ich hole deine Nachkommen aus dem Osten herbei und bringe sie aus dem Westen zusammen. 6 Zum Norden sage ich: Gib sie heraus! Und zum Süden: Halt sie nicht zurück! Meine Söhne sollen aus der Ferne kommen, meine Töchter von den fernsten Winkeln der Erde. 7 Alle, die ich zu mir gerufen habe, sollen kommen. Denn ich habe sie zu meiner Ehre geschaffen, ich habe sie geformt und gebildet.

Lied EG 452

Predigt zu Matthäus 28, 16-20
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

meine Frau und ich werden in ein paar Tagen von hier aus zu Fuß nach Santiago de Compostela starten. Schon wenn ich das sage, klingt es verrückt und unwirklich. Aber wir freuen uns auf dieses Abenteuer, auch wenn es herausfordernd wird. Wie heißt es so schön: Wer etwas anfängt, kann scheitern. Wer nicht anfängt, ist schon gescheitert. Für unsere Pilgerreise haben wir viel vorzubereiten. Wir brauchen eine Auslandskrankenversicherung, ein Zelt, Rucksäcke, Wanderschuhe, Pilgerführer, Klamotten, etwas zu Essen und viel Wasser. Auch die Dinge zu Hause sollten wir geordnet haben. Was ist, wenn etwas passiert? Wer kommt im Fall der Fälle an unsere Dokumente? Wer entscheidet in medizinischen Notfällen?

Wir sortieren also gerade unsere Dokumente und stellen Vollmachten aus. Patientenverfügungen zum Beispiel. Betreuungsvollmachten. Und Vertretungsvollmachten für verschiedene Anlässe. So eine Vollmacht beschreibt meist die Sache, um die es geht. Die Konditionen geregelt. Und es wird geregelt, wer mit dieser Vollmacht handeln darf. Wer eine solche Vollmacht hat, der trägt auch Verantwortung. Denn eine Vollmacht – und das steckt bereits im Wort drin – verleiht Macht.Um

Macht und Vollmacht geht es auch im heutigen Predigttext.In Matthäus 28 steht ab Vers 16:
16 Die elf Jünger gingen nach Galiläa. Sie stiegen auf den Berg, wohin Jesus sie bestellt hatte. 17 Als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Aber einige hatten auch Zweifel. 18 Jesus kam zu ihnen und sagte: »Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde. 19 Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jünger und Jüngerinnen zu werden. Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! 20 Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe! Seid gewiss: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.«

Jesus spricht: „Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde.“ Luther übersetzte das mit den etwas bekannteren Worten: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Macht? Gewalt? Wo ist der Unterschied? Diese Begriffe zu trennen, ist gar nicht so einfach. Denn die Bedeutung von Worten ändert sich im Laufe der Zeit und im Kontext. Die meisten modernen Übersetzungen nutzen für das griechische Wort ἐξουσία (exousia) im Deutschen den Begriff „Macht“. Luther spricht von Gewalt. In seiner Zeit war „Gewalt“ nicht nur negativ konnotiert. Sie bedeutete auch „Ordnung“ und damit „Sicherheit“. Heute verstehen wir unter Gewalt eher Unterdrückung, rohe Kraft und unrechtmäßiges Vorgehen.

Auch der „Macht“ begegnen wir heutzutage skeptisch. Dabei ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie die Gewaltenteilung. Hier sieht man, dass die Begriffe ineinander übergehen. Denn ganz offensichtlich sagen wir nicht Machtteilung. Wir haben die Legislative, also das gesetzgebende Parlament, die Exekutive, also die ausführende Regierung und die Judikative, also die Recht setzenden und prüfenden Gerichte. Und wir haben die Medien, die sich immer mehr zur vierten Gewalt entwickelt haben. Unter diesen Institutionen ist die staatliche Macht auf verschiedenen Ebenen aufgeteilt. Nicht umsonst werden wir misstrauisch, wenn eine der vier Institutionen zu viel Macht haben könnte. Das kann man in den Diskussionen der sozialen Netzwerke gut beobachten. Und zurecht kritisieren wir als Kirche Abhängigkeitsstrukturen und negative Machtverhältnisse.

Wir trauen Macht nicht über den Weg. Wie passt das dann zu unserem Text? Und meint Jesus überhaupt diese politische, von Menschen ausgeübte Macht? Ist die identisch mit der göttlichen Macht? Die Bibel gibt da meines Erachtens eine eindeutige Antwort. Gottes Macht ist nämlich anders. Anders, als das, was wir Menschen als Macht definieren. Ihre Quelle ist die befreiende Liebe Gottes. In der Lesung aus Jesaja 43 haben wir folgenden Satz gehört: „So spricht der Herr, der Dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich befreit. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir.“ So spricht Gott zu seinem Volk und – da bin ich mir sehr sicher – so spricht Gott auch zu uns.

Gottes Fokus liegt auf uns Menschen. Er sucht uns, weil wir Menschen zu ihm gehören. Weil wir mit ihm in Beziehung sein können. Und für dieses Ziel setzt er seine Macht ein. Und diese Macht bedeutet nicht Herrschaft über andere. Gottes Macht ist sanft. Sie ist liebevoll, weil sie Gottes Liebe entspringt. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Über diesen Bibelvers aus Römer 12,21 haben die Konfirmandinnen und Konfirmanden vor ein paar Wochen nachgedacht. So eine Haltung kann machtvoll Teufelskreise durchbrechen. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ lesen wir 2. Korinther 12,9. Und die Bergpredigt ist ein Manifest der Macht der Liebe. Diese göttliche Macht ist Jesus gegeben. Er sagt: „Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde. 19 Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jünger und Jüngerinnen zu werden.“ Jesus erteilt uns quasi eine klassische Vollmacht. Jesus beschreibt zuerst, worum es geht. Um Gottes Macht er Liebe. Und er sagt, wer diese Vollmacht bekommt: Seine Jüngerinnen und Jünger und damit wir Christen. Und er macht die Konditionen klar. Ladet die Menschen in meinem Namen ein, ebenfalls an der Macht der Liebe teilzuhaben. Ladet sie ein, ebenfalls Jüngerinnen und Jünger zu werden.

Was fangen wir nun mit der Vollmacht an? Wie kann ich, wie können Sie diese Vollmacht umsetzen? Das ist ja ein ganz schön respekteinflößender Auftrag. Im Gegensatz zu menschlichen Vollmachten ist der Bevollmächtigende, also Jesus, in diesem Fall nicht weg. Er ist noch da. Mehr noch: Er stärkt uns den Rücken, wenn wir mit seiner Vollmacht losziehen: „Seid gewiss: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.“ Da bleibt immer noch die Herausforderung, wie wir das nun konkret angehen können. Vor ein paar Tagen hat eine Kirchvorsteherin eine Email herumgeschickt. Es ging um die Social Media Kanäle der Gemeinde. Sie regte an, dass jeder, der in der Gemeinde von etwas begeistert ist, es für diese Kanäle zur Verfügung stellen kann. Die kleine Begegnung im Alltag. Die bereichernde Veranstaltung in der Gemeinde. Die Schönheit von Gottes Schöpfung in Bad Nauheim. Wenn Sie die Ergebnisse interessieren, dann schauen Sie gerne mal bei Instagram und Facebook vorbei. Mich hat diese Email begeistert. Weil so unsere Gemeinschaft bereichert wird. Wir teilen die kleinen und großen Freuden des Alltags, die Herausforderungen und das im Lichte unseres Glaubens als Christen. Und wir teilen das mit allen Menschen. Sozusagen mit aller Welt.

Ich bin mir sicher, dass wir schon hier mit der Vollmacht Jesu starten. Wer in alle Welt gehen will, der muss einen ersten Schritt machen. Also würde ich sagen: Auf geht es. Reden wir über das, was uns begeistert. Reden wir über das, was unser Leben trägt. Reden wir über unseren Glauben. Nicht aufdringlich, Nicht bedrängend. Sondern in der sanften, klaren Art, wie es Jesus getan hat. Nicht mit dem weltlichen Machtanspruch eines Missionsbefehls. Sondern mit der sehnenden Liebe Gottes nach dem Menschen. Das Evangelium ist der Grund, weshalb wir uns hier im Gottesdienst versammeln. Es trägt unsere Gemeinschaft. Und es kann andere Menschen tragen. Und wenn wir davon reden, haben wir Rückenwind. Denn Jesus Christus spricht:

„Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde. 19 Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jünger und Jüngerinnen zu werden. Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! 20 Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe! Seid gewiss: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.“

Lied EG 369

Fürbitten
Gott, Deine Macht ist so anders, als unsere menschlichen Vorstellungen. Sie ist sanft. Geprägt von Deiner Liebe zu uns Menschen. Schenke uns, dass sich diese Liebe kraftvoll ausbreitet. Wir bitten Dich: Mache uns zu Boten Deiner guten Nachricht. Schenke uns Phantasie und Glaubensmut, Schritte zu anderen Menschen zu gehen.

Gott, wir bitten Dich, dass die Mächtigen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weise regieren und handeln. Für die Opfer von Krieg und Gewalt bitten wir Dich, dass sie die Hoffnung nicht aufgeben. Schenke ihnen Frieden und Zuversicht und lass uns unseren Teil dazu beitragen, dass alle Menschen ein würdiges Leben führen können.

Gott, wir bitten Dich für die Kranken, die Einsamen und die Sterbenden. Sei Du ihnen nahe. Sei ihnen Trost in schweren Stunden und schenke Menschen, die ihnen beistehen.

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Lied EG 590

 

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

 

Musik

Gottesdienst am 4.7.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst heute, am 5.  Sonntag nach Trinitatis! Was gibt uns Kraft für unser Leben? Was hilft uns, durch Höhen und Tiefen zu kommen? Wo sind die Quellen unserer Spiritualität? Um diese Fragen geht es im Gottesdienst heute.

Nach so langer Zeit feiern wir heute endlich wieder das Abendmahl. Darauf freue ich mich sehr! In anderer Form als sonst, doch ebenso würdevoll möge es werden. Dazu liegt neben Ihrem Platz ein kleiner Teller mit Brot und Trauben. Sie sind herzlich eingeladen, es mitzufeiern! Singen werden wir noch nicht. Aber Timo Kreuder wird für uns das „Heilig, heilig“  und das „Christe, du Lamm Gottes“ stellvertretend singen.  Dafür und für die musikalische Gestaltung dieser Stunde ein herzliches Dankeschön.

Ein Wort aus Eph.2,8 begleitet uns in die neue Woche: „Durch die unverdiente Gnade seid ihr gerettet worden. Es ist nicht euer eigenes Werk, es ist Gottes Geschenk.“
Wir feiern den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Meditation zu Psalm 73
Wenn mir auch Leib und Seele verschmachten, bleibst du, Gott, der Trost meines Herzens.
Ich setze mein Vertrauen auf dich, du gibst mir Halt.

Als ich strauchelte und ausglitt, hast du mich ergriffen und mir den Weg gezeigt, den ich gehen kann.

Dass es den Hochmütigen und Prahlenden so gut geht und ihre Worte bejubelt werden, kann ich nicht verstehen.

Aber ich will mich mit ihnen nicht vergleichen, sondern trotzdem bei dir bleiben, mein Gott.

Du hältst mich bei meiner rechten Hand und zeigst mir meinen Weg.

Und am Ende nimmst du mich mit Ehren an. Darum frage ich nicht mehr nach Himmel und Erde, wenn ich nur dich habe. Wenn mir auch Leib und Seele verschmachten, bleibst du, Gott, der Trost meines Herzens.

Lied EG 625,1-3
1 Wir strecken uns nach dir, in dir wohnt die Lebendigkeit. Wir trauen uns zu dir, in dir wohnt die Barmherzigkeit. Du bist, wie du bist: schön sind deine Namen. Halleluja. Amen. Halleluja. Amen.
2 Wir öffnen uns vor dir, in dir wohnt die Wahrhaftigkeit. Wir freuen uns an dir, in dir wohnt die Gerechtigkeit. Du bist, wie du bist: schön sind deine Namen. Halleluja. Amen. Halleluja. Amen.
3 Wir halten uns bei dir, in dir wohnt die Beständigkeit. Wir sehnen uns nach dir, in dir wohnt die Vollkommenheit. Du bist, wie du bist: schön sind deine Namen. Halleluja. Amen. Halleluja. Amen.

Gebet
In deine Gegenwart kommen wir, unser Gott, mit allem, was wir mitbringen: unser Alltagsglück und unsere Freude, unsere Enttäuschungen und unsere Sorgen. Wir möchten Kraft tanken und Ruhe. Möchten uns neu im Glauben ausrichten. Wir möchten uns stärken lassen für einen neuen Aufbruch. Lass uns heute die Kraft deiner Liebe spüren. Das bitten wir im Namen deines Sohnes Jesus Christus. Amen.

Lesung aus dem 1. Kor.1,18-25
Paulus schreibt: „Vom Kreuz zu erzählen, gilt denen als unklug, die zugrunde gehen. Uns aber rettet es, weil Gottes Kraft darin liegt. Denn es steht in der Schrift: ‚Ich mache die Weisheit der Weisen zunichte, und den Verstand der Verständigen setze ich ins Unrecht.‘  
Wo sind die Weisen? Wo sind die Gelehrten? Wo sind die, die in dieser Welt das Wort führen? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als kurzsichtig erwiesen? Umgeben von Gottes Weisheit hat die Welt mit ihrer Weisheit Gott nicht erkannt. Deshalb hat Gott es den Glaubenden geschenkt, sie durch die unkluge Verkündigung zu retten.
Es gibt jüdische Menschen, die erwarten Zeichen Gottes, und es gibt griechische Menschen, die suchen Weisheit;  wir aber verkündigen den gekreuzigten Messias. Manche jüdischen Menschen halten das für ein Ärgernis, manche aus den Völkern für unvernünftig. Denen aber, die von Gott gerufen werden, ob jüdisch oder nichtjüdisch, verkörpert der Messias göttliche Macht und göttliche Weisheit.
Denn das Unkluge, das zu Gott gehört, ist weiser als die Menschen es sind; und das Schwache, das zu Gott gehört, ist stärker als die Menschen es sind.

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Liebe Gemeinde,
die Sache mit dem Kreuz ist gar nicht so einfach wie sie scheint.

Eine Grundschulklasse besuchte mit ihrer Religionslehrerin die Kirche. Alles wurde angeschaut und eingehend erklärt: die Kanzel, die Orgel, das Taufbecken und der Altar. Da schaute ein Kind am Altar nach oben und entdeckte das große Kreuz. „Was macht denn der Mann da oben?“  fragte es und zeigte verwundert auf das Kruzifix. Ja, diese Frage kommt inzwischen öfter bei Kindern vor, denn das elementare Wissen über christliche Inhalte hat in unserer Gesellschaft in der Tat abgenommen. Und doch steckt hinter dieser Frage noch mehr. Das Erschrecken eines Kindes über das, was es dort sieht. Und das wiederum erinnert mich an eine Szene aus unserer eigenen Familie. Es war in der Hauptstraße in Heppenheim an der Bergstraße, am Randes des Odenwaldes. An einer Kreuzung der Darmstädter Straße stand ein lebensgroßes Kruzifix. Täglich fuhr ich mit meinen Kindern im Auto daran vorbei, und jedes Mal rief eines der Kinder völlig entrüstet: „Mama, der hängt da immer noch!“  Für Kinder im Vorschulalter sind Statuen, Figuren und Darstellungen etwas Lebendiges, und nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum unser Kind so verstört und empört reagierte. Damit wollte es also im Grunde sagen: Den muss man da doch abnehmen! Das geht doch nicht! Das kann man doch nicht zulassen! Es dauerte übrigens Monate, bis unser Kind sich darüber beruhigte und offenbar einen anderen Zugang dazu gewinnen konnte.

Wir Erwachsenen haben uns so sehr an Kreuzesdarstellungen gewöhnt. Erst die Kinder mit ihren unverstellten Fragen, mit ihren unschuldigen Reaktionen stoßen uns wieder darauf, wie anstößig, wie befremdlich eigentlich das ist, was wir sehen: einen Menschen, der das Opfer eines brutal agierenden Unrechtsstaates geworden ist. Machen wir uns nichts vor:

Viele Menschen hinterfragen heute laut oder leise das Geschehen am Kreuz: „Musste das sein?“ „Ich mag das gar nicht immer anschauen!“ „Wie soll ich das eigentlich verstehen?“

Und mit diesen Fragen und Empfindungen finden sie sich in bester Gesellschaft wieder: schon zur Zeit der ersten christlichen Gemeinden gab es dieses Befremden gegenüber dem, was am Kreuz geschehen war. Der Apostel Paulus spricht davon, dass die einen das Ganze für ein „Ärgernis“ hielten und die anderen es einfach für „unvernünftig“ erklärten.

War Jesus gescheitert? Diese Frage beschäftigte seine Jünger zentral nach den Ereignissen von Jerusalem. Mit seiner Sanftmut, mit seinen Seligpreisungen, mit seiner Friedensethik und mit seinem so überaus liebevollen Handeln den Menschen gegenüber? Die Emmausjünger klagen auf ihrem Weg zurück in ihr Heimatdorf: „Jesus, das war der Profet, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allen Menschen – doch dann wurde er gekreuzigt. Und wir hatten gehofft, er würde Israel erlösen.“ Und er war ja nicht der einzige - überaus viele andere erlitten unter den Römern dasselbe Schicksal. Wie sollte man das alles verstehen? Einerseits war er der wundertätige Heiler – und wurde andererseits selbst verwundet. Er hatte den Sturm gestillt – und wurde dann selbst bezwungen. Er hatte so viele Menschen aus der Not gerettet – und erlebte zuletzt selbst die ultimative Not. Viele waren irritiert. Macht und Ohnmacht lagen hier so nahe beieinander. Und alle gängigen Vorstellungen von einem siegreichen Messias wurden durchkreuzt, im wahrsten Sinne.

Trotzdem sagt Paulus: „Vom Kreuz zu erzählen, das rettet uns, weil Gottes Kraft darin liegt.“ Daran hält er fest. Paulus kann das sagen, weil das Wort vom Kreuz für ihn immer zugleich auch das Wort von der Auferstehung bedeutet.  Nur von der Auferstehung her bekommt das Ganze einen Sinn! Sie ist der finale, letztgültige Stempel Gottes für diesen Weg Jesu. Mit der Auferweckung seines Sohnes bestätigt Gott, dass dieser ganze Weg Jesu in seinem Sinne war. Dass es ein Ausdruck der grenzenlosen Liebe Jesu zu den schuldigen Menschen war. Von der Auferstehung her wird erkennbar, dass Gott ihn die ganze Zeit hindurch unsichtbar begleitet hat. Und dass Jesus nicht verlassen war, auch wenn er dies so empfunden hat.  Man muss also offenbar genauer hinschauen. Man muss einen tieferen Blick gewinnen. Dann wird deutlich, dass gerade dieser Messias göttliche Macht und göttliche Weisheit in sich trägt. Unter dem Gegenteil verborgen, sozusagen.

Das Wort vom Kreuz hatte in den urchristlichen Gemeinden tatsächlich eine ungeheure Kraft, denn es stellte die gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Kopf. Reiche und Arme waren da in derselben Gemeinde versammelt, Freie Bürger gehörten dazu, aber genauso auch Sklavinnen und Sklaven. Der Sohn Gottes war selbst durch die Ohnmacht hindurchgegangen. Alles Äußere war ihm genommen worden. Und dadurch erkannten alle, die ihm nachfolgten, dass es im menschlichen Miteinander nicht mehr auf das Äußere ankam, nicht auf Ansehen und auf den Besitz, sondern auf das Innere eines jeden Menschen, auf seine Person, auf seine Liebesfähigkeit und auf seine Liebesbedürftigkeit.

So werden auch wir heute zusammengebracht, in unseren Gemeinden.  Die Kraft des Evangeliums überwindet alle kleinlichen Unterschiede und Grenzen, die wir sonst so oft zwischen uns ziehen. Wir alle gehören zusammen und sind miteinander verbunden. Das dürfen wir gerade und ganz besonders im Abendmahl miteinander feiern und erleben.

Immer wieder erfahren Menschen diese Kraft, die im Wort vom Kreuz steckt, auch in ihren eigenen Lebenskrisen. Es gibt Momente, in denen wir meinen, ganz unten angekommen zu sein. Wo wir den Eindruck haben, dass niemand uns versteht, niemand nachvollziehen kann, wie es uns geht – weil alles so beschämend ist oder so schwer. In diesen Momenten ist es ungemein tröstend, sich den Sohn Gottes vor Augen zu stellen: er hat selbst die tiefsten Tiefen des menschlichen Lebens ausgelotet. Er war ganz unten. Er weiß, wie es mir geht, wenn ich mich elend fühle. Deswegen ist er mir genau dort auch nahe und führt mich auf den Weg, den er selbst gegangen ist: aus dem Leid wieder ins Leben zurück. Gottes Liebe zu uns kennt keine Grenzen. Und seine Solidarität mit uns Menschen ist so tief wie das Meer. Darin liegt der Kern des Evangeliums.

Aus dieser Kraftquelle können wir schöpfen.  Sie tröstet uns. Sie richtet uns auf. Sie heilt uns und spendet uns Leben.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied 398, 1.2
1 In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ! Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist; hilfst uns von Schanden, rettest von Banden. Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben. Halleluja. Zu deiner Güte steht unser G’müte, an dir wir kleben im Tod und Leben; nichts kann uns scheiden. Halleluja.
2 Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod, du hast’s in Händen, kannst alles wenden, wie nur heißen mag die Not. Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren mit hellem Schalle, freuen uns alle zu dieser Stunde. Halleluja. Wir jubilieren und triumphieren, lieben und loben dein Macht dort droben mit Herz und Munde. Halleluja.

Abendmahl

Vaterunser

Abkündigungen

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Musik

Gottesdienst am 27.6.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
„Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal 6,2). Das ist der Wochenspruch für die heute beginnende Woche. Über fehlende Lasten können wir uns nicht beklagen, egal, ob es um die kleinen Lasten des Alltags oder die großen Lasten von Leib und Seele geht. In diesem Gottesdienst geht es darum, einige Lasten unseres Miteinanders nicht nur auszuhalten, sondern zu verändern. Es gibt biblische Vorbilder, an denen wir uns orientieren können. Und es gibt Gottes Hilfe, um die wir heute bitten können.

Votum

Lied EG 449 Die güldne Sonne (Strophen 1+4+6)

Psalm 42
Meine Seele dürstet nach Gott
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Meine Seele dürstet nach Gott,
nach dem lebendigen Gott.
Wann werde ich dahin kommen,
dass ich Gottes Angesicht schaue?
Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht,
weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?
Daran will ich denken
und ausschütten mein Herz bei mir selbst:
wie ich einherzog in großer Schar,
mit ihnen zu wallen zum Hause Gottes
mit Frohlocken und Danken
in der Schar derer, die da feiern.
Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.
Am Tage sendet der Herr seine Güte,
und des Nachts singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens.
Ich sage zu Gott, meinem Fels:
Warum hast du mich vergessen?
Warum muss ich so traurig gehen,
wenn mein Feind mich dränget?
Es ist wie Mord in meinen Gebeinen, wenn mich meine Feinde schmähen
und täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?
Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.
Ps 42,2-6.9-12

Gebet
Gott, unser Vater, hilf uns, geschwisterlich miteinander umzugehen. Du ermutigst uns, erste Schritte der Versöhnung zu gehen, statt auf das Entgegenkommen der anderen zu warten. Du willst dir das Urteil über andere nicht aus der Hand nehmen lassen. Hilf, dass wir einander ertragen lernen, indem wir uns ein Beispiel nehmen an Jesus Christus, unserm Herrn.

Lesung Lukas 6,36-42

36»Seid barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist.37Ihr sollt andere nicht verurteilen, dann wird auch Gott euch nicht verurteilen. Sitzt über niemanden zu Gericht, dann wird Gott auch über euch nicht zu Gericht sitzen. Vergebt anderen, dann wird Gott auch euch vergeben.38Schenkt, dann wird Gott auch euch beschenken: Ein gutes Maß wird euch in den Schoß geschüttet –festgedrückt, geschüttelt und voll bis an den Rand. Denn der Maßstab, den ihr an andere anlegt, wird auch für euch gelten.«
39Jesus erzählte ihnen auch ein Gleichnis: »Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden sie nicht beide in die Grube fallen?40Kein Jünger steht über seinem Lehrer. Auch wenn er fertig ausgebildet ist, ist er nur wie sein Lehrer.
41Du siehst den Splitter im Auge deines Bruders oder deiner Schwester. Bemerkst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge?42Wie kannst du zu deinem Bruder oder zu deiner Schwester sagen: ›Komm her! Ich zieh dir den Splitter aus deinem Auge. ‹Siehst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge? Du Scheinheiliger! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge! Dann hast du den Blick frei, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders oder deiner Schwester zu ziehen.«

Glaubensbekenntnis

Lied EG 428 1+2+5 Komm in unsre stolze Welt

Predigt
„Man kann sich seine Familie nicht aussuchen.“ Der Mann saß vor seiner Kaffeetasse und schaute in die milchbraune Pfütze darin. Graue Haare fielen ihm in die Stirn und ließen Schuppen auf sein schwarzes Jackett rieseln. Er strich die Haare zurück, sah auf und blickte auf die Frau in den Fünfzigern, die ihm gegenüber saß. Dann ließ er seinen Blick durch die Gaststube mit den dunkel gekleideten Menschen schweifen. Ungefähr die Hälfte von ihnen war Verwandtschaft. Der Rest waren Freunde und Bekannte. Sie saßen in Gruppen an den Tischen, aßen Butterkuchen und hoben ab und zu die Thermoskannen, um zu sehen, ob noch Kaffee da war. Manche redeten noch über Vater, der nun seit knapp zwei Stunden neben seiner Frau auf dem Friedhof lag. Bei anderen war das Gespräch schon bei der Arbeit, der Politik oder den Enkelkindern.
 
„Man kann sich seine Familie nicht aussuchen“, wiederholte er mit Nachdruck. „Du wirst geboren und dann ist die Familie schon da. Vielleicht kriegst du noch Geschwister oder einen Stiefvater, aber darauf hast du keinen Einfluss. Und ob sie dich unterbuttern oder du Mutters Nesthäkchen wirst, entscheidest du auch nicht selbst.“ Die Frau ihm gegenüber schwieg und überlegte, ob sie sich schuldig fühlen sollte, weil sie das Nesthäkchen gewesen war.

„Nicht jeder kriegt die Familie, die er verdient“, setzte er hinzu. „Überhaupt kriegen die meisten nicht das, was sie verdienen. Jedenfalls, wenn ‚verdienen‘ bedeutet, dass man dafür was getan hat. Du kriegst vielleicht Geld für deine Arbeit. Aber ‚verdienen‘? Wenn du den Betrieb deines Vaters erbst und der läuft gut und du kaufst dir einen Mercedes – nicht mal dann hast du dir den komplett verdient. Und wenn du studierst, weil dir deine Eltern in der Schule geholfen und immer schöne Bücher gekauft haben – hast du das dann etwa mehr verdient als der Michi aus deiner Klasse, der schon als Zweijähriger Stubenarrest gekriegt und später nicht mal seinen Hauptschulabschluss geschafft hat? Was verdient man überhaupt im Leben? Dass du Krankheiten kriegst oder dein Kind einen Unfall hat?“ Seine Stimme brach kurz weg. Dann fing er sich wieder.
 
„Ich sag dir was. Das eigentliche Problem ist, dass die Leute nicht wahrhaben wollen, dass sie sich fast nichts in ihrem Leben verdient haben. Ihren Erfolg, ihr Haus, ihr Auto, ihre Frau, ihre Gesundheit. Nimm dir einen beliebigen Lebenslauf. Und dann lass mal plötzlich den liebevollen Papa weg. Oder die Oma, die sich immer gekümmert hat. Oder den tollen Deutschlehrer. Die Ehefrau, die kostenlos den Haushalt und die Kinder versorgt. Oder nimm den Zufall weg, dass du in Deutschland geboren bist und nicht in Somalia. Und so weiter. Dann merkst du, dass du fast nichts von all dem Mist selbst verdient hast. Dass total viel Glück eine Rolle spielt, wenn’s dir gut geht. Aber das wollen die Leute ja nicht wahrhaben. Weil das an ihrem Selbstbewusstsein kratzt. Und wenn sie sich eingestehen würden, dass man das meiste unverdient geschenkt bekommen hat, müssten sie ja vielleicht zu dem Schluss kommen, dass man auch mal was abgeben könnte. Wenn man schon nicht gerecht teilt. Weil noch nie gerecht geteilt worden ist.“ Seine Stimme wurde bitter.
 
Die Frau sah an ihm vorbei zu einem Mann, der zwei Tische weiter saß. Er hatte den Gesichtsausdruck eines angemessen trauernden Sohnes. Aber er wirkte nicht trostbedürftig. Er wirkte überhaupt nicht bedürftig, sondern kümmerte sich um die Leute um ihn herum. Obwohl er auf die Sechzig zuging, sah er attraktiv aus in seinem dunklen Anzug und strahlte Selbstsicherheit und Zugewandtheit aus. Er wirkte wie der Gastgeber hier, dabei hatten seine vielen Geschwister sich um alles hier gekümmert. „Hast du mal mit ihm geredet?“, fragte sie. „Ich bin doch nicht blöd!“, entgegnete er. „Es hat sich nichts geändert. Es ist genau wie früher. Einer ist der Prinz und die anderen liegen ihm zu Füßen.“
 
Lassen Sie uns für einen Moment aus der Geschichte herausspringen. „Einer ist der Prinz“, das kennt man. Manchmal ist der kleine Bruder der Prinz, manchmal der Kollege in der Firma, manchmal die Nachbarin. Der Prinz kriegt meistens, was er will. Er weiß, wie man sich bei denen, die Einfluss haben, lieb Kind macht. Die anderen müssen eben zusehen. Manchmal ist das nur anstrengend, aber richtig weh tut es unter Geschwistern.

Wer sich in der Kindheit ungerecht behandelt fühlt, vergisst das nicht. Im Gegenteil. Oft wird es schlimmer mit zunehmendem Alter. Alle Gefühle von Ungerechtigkeit und Zurücksetzung sind wieder da. Und all die Fragen. „Hast du meine Schwester wirklich mehr gemocht als mich? Oder hat es nur so ausgesehen?“ „Warum hat unser Bruder den Betrieb allein geerbt und nicht wir alle zusammen?“ „Hatten wir anderen deine Zuneigung nicht verdient?“ Wenn man das aber die Eltern nicht mehr fragen kann, weil sie inzwischen verstorben sind, muss man wohl oder übel ohne Antwort weiterleben. Und sich fragen, wem man jetzt die Schuld für das alles geben soll.
 
In unserem heutigen Predigttext, der Geschichte von Josef und seinen Brüdern scheint verhältnismäßig klar, wer die Bösen und die Guten sind: Die Bösen sind die Geschwister, die das Lieblingskind ihres Vaters nach Ägypten verkauft haben. Sie haben sich von ihrer Eifersucht zu einem Verbrechen hinreißen lassen und ihren Vater belogen und getäuscht. Ihr Bruder Josef dagegen ist der Gute, Edle, der unschuldig zum Sklaven wird, durch eine Intrige im Gefängnis landet, aber dann doch wie Phönix aus der Asche steigt und das Leben eines großen Patriarchen führt. Er kann es sich am Ende sogar leisten, seine ganze Großfamilie mitzuversorgen. Ich lese
 
Lesen des Textes. 1. Buch Mose 50,15-21
Josefs Edelmut und sein Tod
15Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.
16Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: 17So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte.
18Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. 19Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? 20Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber
Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. 21So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Wenn man nun das Evangelium noch im Ohr hat, verliert die Josefsgeschichte plötzlich etwas von ihrer märchenhaften Eindeutigkeit. „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“ Einen Splitter im Auge hat auch Josef. Er hatte ja früher offenbar keine Schwierigkeiten damit, das Lieblingskind zu sein und bevorzugt zu werden. Im Gegenteil. Er zeigte sein Überlegenheitsgefühl und seine Herrschaftsträume deutlich genug. Natürlich ist das nicht halb so schlimm wie der Verkauf des eigenen Bruders, aber die feine Art ist es auch nicht gerade. In Wirklichkeit hat nicht nur Josef seinen Brüdern etwas zu vergeben, sondern auch umgekehrt. Genau genommen hätte auch der Vater, der seinen Lieblingssohn so schamlos bevorzugt hat, die Vergebung seiner Kinder nötig gehabt.

Lässt sich das überhaupt alles ausräumen, wie es der biblische Text behauptet? Oder wird hinter der nackten Existenzangst, die Josefs Brüder zur Unterwerfung treibt und sie aus Angst einen Versöhnungswunsch des alten Vaters erfinden lässt, die alte Eifersucht immer weiterschwelen? Hat vielleicht Josef seine Brüder am Ende so bereitwillig versorgt, nicht, weil er es sich leisten konnte, sondern weil er eingesehen hatte, dass er ihnen auch etwas schuldig geblieben war? Und weil er nicht über die Lippen brachte, dass er auch auf ihre Vergebung angewiesen war und nicht nur sie auf die seine?
 
Nur in den ganz extremen Fällen sind Schuld und Vergebung einseitig verteilt. Im normalen Familienleben ist es meistens komplizierter. Meist sieht man die größere Schuld bei anderen und bei sich selbst die kleinere – wenn überhaupt. Man glaubt zu wissen, was man selbst verdient hätte und was der andere verdient hätte. Nur: der andere glaubt es auch zu wissen. Bloß andersherum. Deswegen warten beide auf den ersten Schritt des anderen. Vergeblich.
 
Der gedämpfte Lärm in der Gaststube nahm ab. Langsam leerte sich der Raum. Noch immer saß der Mann am Tisch und hielt sich an der kalten Kaffeetasse fest. Die Frau ihm gegenüber legte ihm die Hand auf den Arm. „Es tut mir leid, dass ich das Nesthäkchen war“, sagte sie. „Ich fand es schön, von allen verhätschelt zu werden, aber ich habe nicht darüber nachgedacht, dass es dich oder euch kränken könnte.“ Überrascht sah er auf. „Aber ich meinte gar nicht dich“, sagte er. „Du musst dich doch nicht entschuldigen. Ich meinte ihn.“ Er sah zum seinem Bruder hinüber. Dieser wirkte inzwischen nicht mehr so attraktiv und selbstbewusst wie noch vor einer Viertelstunde. Die Freunde der Familie hatten sich verabschiedet. Niemand war mehr da, um den der gut gekleidete Mann sich kümmern konnte. Der letzte Mensch, dessen Lieblingskind er gewesen war, war unter der Erde. Und obwohl alle seine Geschwister noch da waren, saß er jetzt allein und spielte mit den Krümeln auf der Tischdecke. Trotz seiner augenscheinlichen Einsamkeit schien er noch nicht gehen zu wollen.
 
Seine Schwester bemerkte es auch. Dann sah sie ihr Gegenüber an. „Vielleicht bin nicht ich die, die sich entschuldigen muss“, sagte sie. „Aber vielleicht kann er auch nicht so viel dafür, wie wir denken. Vielleicht konnten nicht mal unsere Eltern so viel dafür. Du hast schon Recht: Was verdient man schon in seinem Leben! Unser verkorkstes Verhältnis haben wir alle nicht verdient. Deswegen kann genauso gut ich den Anfang machen.“

Lied EG+ 135 Wie ein Fest nach langer Trauer

Fürbitten
Gott, deine Augen sehen die Welt. Du übersiehst uns nicht und du übersiehst auch kein Unrecht. Dafür danken wir dir.
 
Gott, wir bitten dich für alle Länder, in denen die Bevölkerung gespalten ist und die einen die anderen verteufeln: Lass die Menschen einander zuhören und sich darin üben, die anderen zu verstehen.
 
Gott, wir bitten dich für alle, die sich für Gerechtigkeit einsetzen und denen das Urteilen nicht erspart bleibt: Für Richter, Anwältinnen und Polizisten, für Menschenrechtler und Aktivistinnen. Gib ihnen ein klares Urteilsvermögen und ein gütiges Herz.
 
Gott, wir bitten dich für alle Familien, für die zerstrittenen, aber auch die harmonischen und die vielen, die irgendwo dazwischen liegen: Schenke ihnen anhaltenden Frieden, nachwachsende Freude aneinander und ein vertrauensvolles Miteinander.

Gott, wir bitten dich für alle, die von einem lieben Menschen Abschied nehmen mussten. So bitten wir dich heute besonders für die Angehörigen von _, die wir in dieser Woche unter deinem Segen bestattet haben. Wir bitten dich: Nimm unsere Verstorbenen bei dir auf und tröste die Angehörigen.

Gott, wir bitten dich für uns selbst: Nimm von uns die Lust, über andere zu urteilen.
Schenke uns Wohlwollen und Verständnis. Gib uns einen Gerechtigkeitssinn, der den anderen ebenso dient wie uns selbst.

Vater Unser
Abkündigungen
Segen

Gottesdienst am 20.6.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Wir feiern Gottesdienst. Hier sind alle herzlich willkommen. Um das Suchen und Finden geht es heute. In Gottes Nähe sollen wir finden, was uns glücklich macht. Segen will uns den Rücken stärken – über den Tag hinaus.  All diese Versprechen liegen verborgen in dem Bibelwort aus Lukas 19,10, das uns in die neue Woche begleitet. Hören wir es gemeinsam: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ging.“
Lasst uns den Gottesdienst feiern im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Meditation zu Psalm 103
Ich will Gott loben mit meiner Seele und ihm mit allem, was in mir ist, preisen.
   Ich will ihm danken und ihm nicht vergessen, was er mir Gutes getan hat.
Er hat mich geliebt, als ich mich selbst nicht lieben konnte. Seine Gnade und Barmherzigkeit haben mich umhüllt wie ein warmer Mantel.
   Gott hat mich herausgeholt aus dem Loch, in das ich mich zurückgezogen habe.
Er hat mir Freude geschenkt und mich wieder fröhlich gemacht.
   Wie ein Adler kann ich mein Nest verlassen. Gott nimmt mich an trotz allem, was ich getan und gedacht habe.
Seine Gnade ist so groß wie der Himmel, der sich über der Erde wölbt.
   Meine Schuld vergibt er mir und ich darf zu ihm kommen wie zu einem Vater und einer Mutter. Amen.

Lied EG 447,1.2.4
1 Lobet den Herren alle, die ihn ehren; lasst uns mit Freuden seinem Namen singen und Preis und Dank zu seinem Altar bringen. Lobet den Herrn!
2 Der unser Leben, das er uns gegeben, in dieser Nacht so väterlich bedecket und aus dem Schlaf uns fröhlich auferwecket: Lobet den Herren!
4 Gib, dass wir heute, Herr, durch dein Geleite auf unsern Wegen unverhindert gehen und überall in deiner Gnade stehen. Lobet den Herren!

Lesung Lukas 15,1-10
Immer wieder kamen viele Zolleinnehmer und andere Leute, die zu den Sündern gezählt wurden, zu Jesus, um ihn zu hören. Die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sagten: „Mit welchen sündigen Leuten gibt er sich da ab! Er isst sogar mit ihnen!“

Da erzählte ihnen Jesus folgendes Gleichnis: „Stellt euch vor, einer von euch hätte hundert Schafe und eins davon geht verloren, was wird er tun? Lässt er nicht die neunundneunzig in der Wildnis zurück, um das verlorene Schaf solange zu suchen, bis er es gefunden hat? Und wenn er es gefunden hat, so nimmt er es voller Freude auf seine Schultern und trägt es nach Hause. Dort angekommen ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: ‚Freut euch mit mir, ich habe mein verlorenes Schaf wiedergefunden!‘  

Ich sage euch: So wird auch im Himmel Freude herrschen über einen Sünder, der zu Gott umkehrt – mehr als über neunundneunzig andere, die nach Gottes Willen leben und es deshalb gar nicht nötig haben, zu ihm umzukehren.

Oder nehmt ein anderes Beispiel: Eine Frau hat zehn Silbermünzen gespart. Eines Tages verliert sie eine davon. Sofort zündet sie eine Lampe an, stellt das ganze Haus auf den Kopf und sucht in allen Ecken. Endlich findet sie die Münze. Sie ruft ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und erzählt: ‚Ich habe mein verlorenes Geld wiedergefunden! Freut euch mit mir!‘ Genauso freuen sich auch die Engel Gottes, wenn ein einziger Sünder zu Gott umkehrt.“

Gebet
Du, liebender Gott, siehst mich an.
Ich bin in diese Kirche gekommen.
Ich suche dich auf, Gott.
Ich bin auf der Suche nach dir – mit meinen Gedanken.
Mit meiner Seele.
Und mit meinem Gebet.
Ich bin durstig nach dir.
Und das ist meine Bitte:
Dass du mich findest.
Mich ansprichst und mich berührst.
Komm auf mich zu mit deinem guten Wort
Und mit deinem Segen.
So kann ich leben.
Und finde neue Kräfte. Amen.

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Es gibt ein Ritual bei uns zuhause, liebe Gemeinde, und das geht so -  ich frage meinen Mann: „Hast du mein Handy gesehen?“ Er antwortet: „Ach, schon wieder? Also:  grundsätzlich hilft es, zu überlegen, wo du es zuletzt gehabt hast…“ „Ja, wenn ich das wüsste...kannst du mich mal anrufen?“ Und er tut es wieder einmal in seiner unnachahmlichen Geduld. Bald schon klingelt es irgendwo im Haus. Ganz leise. Aber verheißungsvoll. Mit spitzen Ohren laufe ich dem vertrauten Ton entgegen. „Ich hab’s!“ kommt dann endlich der ersehnte Schrei.

Alltagsrituale. Gut, wenn man darüber noch lachen kann. Gut, wenn man vor allem über sich selbst lachen kann. Das Handy kann man ja jedenfalls noch anrufen. Bei der Lesebrille, dem Schlüsselbund, dem Portemonnaie oder dem Schulheft wäre es schon schwieriger. Ja, Suchen und Finden sind ein Teil unseres Lebens. Es ist ärgerlich, weil es uns unterbricht und unnötige Zeit raubt. Es ist aber auch lehrreich, weil wir wieder einmal daran erinnert werden, dass alles irgendwo wohnen sollte und seinen festen Platz haben sollte. Vor allem aber gehört ja zu diesem Spiel die Freude! Die große Erleichterung, etwas wiedergefunden zu haben. Denn immer ist damit das Gefühl verbunden, dass die Welt wieder etwas mehr in Ordnung ist, vollständiger und runder ist.

Vor allem von der Freude handeln auch die beiden Gleichnisse, die Jesus erzählt. Die Freude über das Wiedergefundene, das ist die Pointe der beiden kleinen Beispielgeschichten. Der Hirte mit seinem verlorenen Schaf und die Frau mit ihrer Silbermünze -  sie beide halten mit ihrer Freude und Erleichterung nicht hinter den Berg. Schnell rufen sie ihre Freunde und Freundinnen, ihre Nachbarn und Nachbarinnen zusammen und fordern sie begeistert auf: „Freut euch mit mir! Ich muss euch etwas erzählen.“  Wir sind da wohl heute meistens verschämter. Über das eigene Missgeschick spricht man halt nicht gern; das ist doch peinlich! In welches Licht gerät man denn dann…  In den Gleichnissen aber wird die Freude großzügig mit anderen geteilt. Dieses Glück des Wiederfindens ist doch alles andere als selbstverständlich! Deshalb können es ruhig alle wissen. Und schließlich ist das Suchen und das Finden doch einfach auch etwas ganz Menschliches, das jedem und jeder passieren kann.

Warum eigentlich erzählt Jesus diese beiden Gleichnisse? Er will damit sein eigenes Verhalten erklären. Jesus bietet immer wieder denen seine Gemeinschaft und seine Nähe an, die in der Gesellschaft seiner Zeit nicht gut angesehen sind: den Zolleinnehmern,  die mit den römischen Besatzern ihre Geschäfte machen und  denen,  die die Gebote nicht halten und zu den verrufenen Leuten gehören. Nun gibt es aber auch die Pharisäer, die dafür bekannt sind, dass sie im Alltag die Gebote genau befolgen. Und es gibt die Schriftgelehrten, die die Menschen in den Heiligen Schriften unterweisen. Verschiedene Gruppierungen also treten hier auf, und sie alle verhalten sich sehr unterschiedlich Jesus gegenüber: Zöllner und Sünder kommen zu ihm, um ihn zu hören. Gerade sie fühlen sich von ihm angesprochen. Schriftgelehrte und pharisäische Menschen kommen dagegen, um genau diese Nähe zwischen Jesus und den schlecht Angesehenen zu kritisieren, zu hinterfragen. Sie wollen wissen, auf welcher Seite Jesus steht. Und vielleicht sind sie einfach irritiert, denn Jesus hat ja auch schon mehrfach Einladungen zum Essen angenommen, die Pharisäer ihm gegenüber ausgesprochen haben. Also:  wie sollen sie das alles verstehen?

Wir können an dieser Situation etwas sehen: es geschieht sehr leicht, die eigene Identität zu definieren, indem man sich von anderen Gruppen abgrenzt. Häufig zeigt sich die Identität in bestimmten Gruppenzugehörigkeiten.  Das heißt, wir sortieren sowohl uns selbst als auch andere oft ganz schnell bestimmten Gruppen zu: bist du Kaffee- oder Teetrinker? Frühaufsteherin oder Nachtarbeiter, Lerche oder Eule? Dortmund –, Schalke -  oder Bayern - Fan? Grünwähler oder CDU – Wählerin? Solche Vorlieben zeigen etwas von unserem Lebensstil, und sie schaffen uns eine eigene Identität. Oftmals aber wird nun die Identität auch mit einer Art von Negativfolie konstruiert. Das zeigen soziologische Untersuchungen. Das zeigen aber genauso auch unsere Alltagserfahrungen. Menschen haben ein Interesse daran, die eigene Identität aufzuwerten, und das geschieht oft dadurch, dass man andere Gruppen abwertet und sich ganz klar von ihnen abgrenzt.  Mit „den anderen“ möchte man dann auf keinen Fall verwechselt werden, mit ihnen möchte man keine Gemeinschaft haben. Und so entstehen sehr schnell unsichtbare Gräben zwischen den Menschen.

In der letzten Konfirmandenstunde haben wir uns mit den Gleichnissen Jesu aus dem heutigen Predigttext beschäftigt, und ich habe meine Konfis gefragt: Was meint ihr, wer wären heute die verlorenen Schafe oder die verlorenen Münzen? Da kamen viele Antworten: „Ausgegrenzte Leute, Obdachlose, Bettler, drogensüchtige Menschen, politisch oder religiös extreme Leute, oder solche, die andere mobben.“  Zu denen geht man erstmal auf Distanz. Das ist verständlich, aber es schafft ja auch weitere tiefe Risse und Gräben. Und die Frage ist, wie sie überwunden werden können. Und wie man in einen hilfreichen Dialog miteinander kommen kann, der etwas verändert.

Wenn in unserer Geschichte die Pharisäer und Schriftgelehrten murren, dann drücken sie damit nicht nur ihre Gruppenidentität aus. Sie sehen Jesus auch als einen der ihren an, als einen Lehrer, und wollen, dass er sich von den sogenannten Sündern fernhalten soll. Vielleicht wollen sie ihn einfach auch schützen.

Jesus aber nimmt mit seinen Gleichnissen eine andere Perspektive ein, quasi eine göttliche. Er geht immer gerade auf die anderen zu. Auf die, die an den Rändern sind. Er blickt die Menschen anders an. Blickt vor allem jeden Einzelnen anders an. Jesus sieht zuerst auf die Person und erst dann auf ihr Verhalten. Er unterscheidet zwischen Person und Tat. Er schaut den Menschen zunächst mit einem liebevollen Blick an, bevor er ihn beurteilt. Und er blickt durch das Äußere hindurch auf das Innere, durch die Fassade hindurch auf den Kern. Darüberhinaus Jesus geht davon aus, dass Menschen sich auch ändern können. Deshalb kommen sie in Scharen, um ihn zu hören. Deshalb werden sie von ihm angezogen. Und sie erkennen durch das Verhalten Jesu, durch seine Unvoreingenommenheit, dass Gott sie liebt. Trotz alledem. Ich bin davon überzeugt, dass dies das Geheimnis Jesu ist; seine warme, helle und großartige Ausstrahlung auf die Menschen seiner Zeit.

Jesus versteht sich als Sohn Gottes. Er bringt den Menschen Gottes unendliche Liebe entgegen und Gottes Zuwendung. Wenn die Zöllner und Sünder nun zu ihm kommen, um ihn zu hören, wenn sie mit ihm essen und trinken, dann kehren sie zugleich zu Gott um. Dann kommen sie zurück an den gemeinsamen Tisch, in die große Gemeinschaft der Kinder Gottes. Dann ist es, als würden sie wiedergefunden werden. Weil sie bereit sind, ihr Leben zu ändern und neu anzufangen. Mit ihnen wird die Gemeinschaft wieder vollständig. So wie das verlorene Schaf nun wieder die Herde der anderen Neunundneunzig vollständig macht und die verlorene Münze die Zehnerzahl vervollkommnet. So wie ein letztes Puzzleteil, das sich irgendwo in der Wohnung versteckt hatte, wiedergefunden wird und das Puzzle nun endlich fertig wird und schön.

„Freut euch darüber!“ ist also die Botschaft Jesu.  Gottes Gemeinschaft ist größer als ihr denkt. Zieht den Kreis nicht zu klein. Gott freut sich über jeden Menschen, der auf seine Liebe antwortet und zu ihm zurückkommt. Gott gibt niemanden verloren, und jeder einzelne Mensch ist ihm wichtig. Jede und Jeder soll ein Teil der Gemeinschaft sein.

Und dann wechsele ich plötzlich noch einmal die Perspektive. Und bin selbst mitten im Gleichnis drin. Manchmal bin ich ja selbst so wie eine kleine Münze, die davongerollt ist. Und nun irgendwo liegt, im Licht oder im Schatten, mit meinen Fragen und Zweifeln, mit meinen Unsicherheiten, quälenden Gedanken und Sorgen, und ich warte darauf, gefunden zu werden.  Wie gut ist es da, zu hören, dass sich jemand auf die Suche macht, nach mir, nach dir, nach uns allen.  Ein Licht anzündet, in alle Ecken und Räume leuchtet, und auf die Knie geht, um das Verlorengegangene zu finden. Um mich, um dich zu finden. Gott ist wie der Hirte. Gott ist wie die Frau, die uns sucht. Mit dieser Gewissheit dürfen wir leben: dass wir gesucht und gefunden werden. In der Dunkelheit, wenn wir uns klein und verloren fühlen. Oder im Licht, wenn das Leben auf uns scheint. Immer ist jemand da, der nach uns fragt und dem wir wichtig sind. Immer ist jemand da, der uns liebt. Gott nimmt uns in seine Hände, er trägt uns auf seinen Schultern, er bringt uns nach Hause und in die Gemeinschaft. Wir sind nicht allein. Wir dürfen zusammen das Leben feiern.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied 152 Suchen und fragen (Erdentöne, Himmelsklang)
1 Suchen und fragen, hoffen und sehn, miteinander glauben und sich verstehn, lachen, sich öffnen, tanzen, befrein.
So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein. So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein.
2 Klagende hören, Trauernde sehn, aneinander glauben und sich verstehn, auf unsre Armut lässt Gott sich ein.
So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein. So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein.
3 Planen und bauen, Neuland begehn, füreinander glauben und sich verstehn, leben für Viele, Brot sein und Wein.
So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein. So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein.

Fürbitten
1 Du, Quelle meines Lebens, ich hab dich gesucht und du hast mich gefunden. Vor dir darf ich sein. Einfach da sein und leben. Du beurteilst mich nicht nach tausend Maßstäben. Du taxierst mich nicht ab. Bist nicht mit mir fertig.  So wie es mir gerade geht, darf ich vor dir sein. Von Herzen danke ich dir für deine unendliche Liebe zu mir.
2 Heute bringen wir dir als Gemeinde, was uns auf dem Herzen liegt. Für alle, die ihren Ort in dieser Welt noch nicht gefunden haben, bitten wir. Zeige ihnen ein Zuhause, in dem sie heimisch werden können.
3 Für alle, die sich leer fühlen und unnütz, bitten wir. Zeige ihnen eine Aufgabe, die ihnen Spaß macht und die sie erfüllt.
4 Für alle, die krank sind, bitten wir. Sei du an ihrer Seite, tröste sie, stärke sie und lass sie alle Liebe erfahren, die sie jetzt gerade benötigen.
5 Bitte für die getauften Kinder und für die verstorbenen Mitglieder der Gemeinde

Vaterunser

Abkündigungen

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen

Musik

Gottesdienst am 13.6.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Votum

Begrüßung
Christus spricht: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid: ich will euch erquicken. Mit dem Wochenspruch begrüße ich Sie alle ganz herzlich in diesem Gottesdienst. Möge Sie dieser Gottesdienst erquicken, wenn Sie die Nähe Gottes suchen, in Freude und im Leid, in Hoffnung und in Sorge oder einfach auf der Suche nach Seelenfrieden. Möge Ihre Sehnsucht zumindest ein wenig gestillt werden - und dennoch lebendig bleiben.

Psalm 36,6-10
Herr, deine Güte reicht, soweit der Himmel ist,
und deine Wahrheit soweit die Wolken gehen.
    Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes/
    Und dein Recht wie die große Tiefe.
Herr, du hilfst Menschen und Tieren.
Wie köstlich ist deine Güte, Gott,
dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben.
Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses,
    und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom.
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
und in deinem Lichte sehen wir das Licht.

Gebet
Barmherziger Gott,
dein Sohn lädt uns ein, uns mit unseren Sorgen und Ängsten, unserer Erschöpfung und Reue vertrauensvoll an dich zu wenden. Du willst uns wieder aufrichten und neue Kraft schenken. Dafür danken wir dir und bitten dich heute am Wahltag: Gib deinen Geist, schenke uns gute Nerven und Gelassenheit dazu. Wie es auch wird- deine Güte bleibt, für uns, für alle, heute und immer.

Lesung Epheser 2,17-22

Musik

Predigt in szenischer Lesung
P= Pfarrerin                G: Gemeindeglied

P:   
Liebe Gemeinde, der Predigttext für heute steht im 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth. Im 14. Kapitel.
G:    (meldet sich räuspernd und kommt nach vorn)
Also, dieser Text – ich muss schon sagen – der ist reichlich seltsam…. Ich habe den schon zweimal gelesen, das versteht doch kein normaler Mensch….
P:    
Sie haben sich ja richtig auf den Gottesdienst vorbereitet. Das finde ich richtig gut. Aber vielleicht lassen Sie mich den Text erstmal vorlesen, dann wissen alle hier, worum es geht.
„Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht: im Geist redet er Geheimnisse.!
G:     
Entschuldigung, aber da muss ich direkt unterbrechen. Zungenreden – ohne Zunge kann man doch gar nicht reden. Soll das eine Geheimsprache sein von der Paulus da spricht? Kompliziertes Gerede mit tausend Fremdwörtern die niemand versteht? Und kann es sein, dass Paulus das gar nicht gut findet?
P:    
Ehrlich gesagt: Zungenreden zu erklären ist gar nicht so einfach. Es war damals in Korinth gerade ziemlich in. Aber es war auch nicht unumstritten.
G:     
Ich habe das so verstanden, dass der Heilige Geist einem da so eine Art Geistesblitz schickt und dann kann man es einfach –
P:    
Lassen Sie mich versuchen es zu erklären. Zungenreden ist eine Art von Gebet. Allerdings kann man die Worte, die da gebetet werden, nicht verstehen. Es ist oft keine richtige Sprache. Die Menschen, die in Zungen reden sind wie in Ekstase. Sie sind vom heiligen Geist ergriffen. Es ist ein spirituelles Erlebnis. Etwas ganz Persönliches. Das hat nicht jeder und diese Art zu beten liegt auch nicht jedem.
G:    
Das ist krass. Die Menschen schalten einfach ihren Verstand aus und lassen ihre Gefühle raus? Sie sind aus dem Häuschen?
P:    
Manche nennen das Zungenreden auch Engelssprache. Das soll ausdrücken, dass zwischen dem Menschen, der betet und dem Göttlichen eine ganz besondere Verbindung entsteht.
G:    
Wozu soll das denn gut sein?
P:    
Genau mit dieser Frage hat Paulus sich beschäftigt. Denn das Zungenreden hat die Konflikte in der Gemeinde in Korinth noch verschärft.
G:    
Gab es da auch schon Knatsch? Ich dachte, da wäre die Welt noch in Ordnung gewesen…Über was haben die sich denn gestritten?
P:    
Streit gab es auch in Korinth schon genug. Es gab Streit zwischen Armen und Reichen. Es gab welche, die meinten, sie seien die besseren Christ*innen. Und es gab Streit darüber, wie die frohe Botschaft von Jesus Christus weitererzählt werden sollte. Und zwar so, dass auch Nichtchrist*innen die Botschaft verstehen.
G:     
Zungenrede scheint mir da nur bedingt geeignet zu sein?! – Und Paulus war auch nicht wirklich begeistert, wenn ich es richtig gelesen habe….
P:    
Das stimmt. Paulus ist das Reden zwar auch ziemlich schwergefallen, aber hat sich gegen die Zungenrede ausgesprochen. - Aber ich lese mal weiter, dann klärt sich vielleicht einiges:

„Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zu Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde. Ich möchte, dass ihr alle in Zungen reden könnt, aber noch viel mehr, dass ihr prophetisch redet. Denn wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen redet; es sei denn, er legt es auch aus, auf das die Gemeinde erbaut werde. Nun aber, Brüder und Schwestern, wenn ich zu euch käme und redete in Zungen, was würde ich euch nützen, wenn ich nicht mit euch redete in Worten der Offenbarung oder der Erkenntnis oder der Prophetie oder der Lehre?“
G:     
Da eiert der Paulus aber ganz schön rum! Zungenreden ja, aber nur mit Übersetzung! Richtig geheuer sind diese Zungenredner dem Paulus scheinbar nicht. Der wirkt auch sonst eher nüchtern und durchdacht.
P:    
Ja, das stimmt. Paulus durchdenkt alles ganz genau, was er sagt. Mit zu viel Ekstase kann er nichts anfangen, obwohl er anderen das durchaus zugesteht. Was er aber gar nicht gelten lässt, ist die Haltung einiger Menschen in Korinth, die behaupten, dass nur wer in Zungen redet auch ein echter Christ / eine echte Christin ist. Und erst recht nicht, dass man damit angibt, so nach dem Motto: guck mal, ich habe den besseren Draht zu Gott als du.
G:    
Da war ja ganz schön was los in der Gemeinde. Das ging bestimmt hoch her zwischen diesen Gruppen. Da frage ich mich, wie die ihren Kirchenvorstand gewählt haben. Und wer den Job machen wollte?! So eine Gemeinde zusammenzuhalten – das ist doch unmöglich!
P:    
Die Botschaft von Jesus Christus kann auf verschiedene Arten verbreitet werden, das ist für Paulus ok, aber es muss immer verstehbar sein. Paulus schreibt weiter:

„So verhält es sich auch mit leblosen Instrumenten, es sei eine Flöte oder eine Harfe: Wenn sie nicht unterschiedliche Töne von sich geben, wie kann man erkennen, was auf der Flöte oder Harfe gespielt wird? Und wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zur Schlacht rüsten?“
G:    
Wenn alle den gleichen Ton spielen würden, das wäre absolut langweilig! In einer Gemeinde muss es verschiedene Klangfarben geben, da hat Paulus völlig recht.
P:    
Es ist aber auch so, dass die verschiedenen Instrumente aufeinander hören müssen, wenn sie zusammenspielen. Davon lebt jedes Ensemble, jedes Orchester, selbst der Gemeindegesang.
G:    
das heißt aber nicht, dass man nicht verschiedener Meinung sein darf! Es muss auch mal einen gepflegten Streit geben.
P:    
das sehe ich und das sieht auch Paulus so. Aber es muss immer fair bleiben. Es muss um die Sache gehen und alle müssen sich gegenseitig zuhören und die Argumente der anderen ernstnehmen. Es darf niemand verletzt werden oder ausgelacht.

Aber bevor wir vom eigentlichen Thema Zungenrede abkommen: Der Predigttext ist noch nicht Ende:

Paulus schreibt: „So auch ihr: Wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden. Es gibt vielerlei Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich ein Fremder sein für den, der redet, und der redet, wird für mich ein Fremder sein. So auch ihr: da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut.“
G.    
Also geht es darum, dass wir uns einig sind, darüber, dass wir uns uneinig sind? Das ist jetzt nicht so befriedigend, oder? In einer Gemeinde müssen doch auch Entscheidungen getroffen werden.
P:    
Dafür gibt es den Kirchenvorstand.
G:    
Und wie soll so ein Kirchenvorstand zu einer Entscheidung kommen, wenn alle andere Meinungen haben? So wie damals in Korinth?
P:    
Ja, das ist richtig schwer. Aber Paulus gibt uns eine Richtschnur, die alternativlos ist. Die Liebe!
G.    
Also, jetzt wirklich – was hat – bitte schön – die Liebe mit einem Kirchenvorstand zu tun?
P:    
Die Liebe steht in unserem Grundsatzprogramm als Kirche. Ein Kapitel vorher schreibt Paulus den Korinthern: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.“ (1 kor 13,1)
G:    
Ist das ein Seitenhieb auf die enthusiastische Zungenrede?
P.    
Nein, die anderen kommen genauso dran. Paulus schreibt: „Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“
G:     
Wenn ich mich richtig erinnere, dann fängt doch der Predigttext über das Zungenreden auch mit der Liebe an. Wie war das nochmal?
P:    
„Strebt nach der Liebe“. Das ist wie eine Überschrift.
G:    
Könnte doch ein ganz gutes Motto für einen Kirchenvorstand sein oder für die ganze Kirche.
P.    
Darauf sage ich nur: Ja und Amen!

Musik: EG 417 „Lasst die Wurzel unseres Handelns Liebe sein“

Fürbitten
Herr unser Gott, du lädst uns ein, an deinem Reich mitzuwirken.
Doch du weißt auch um die Zweifel, die uns lähmen; um die Angst, die uns manchmal blind macht für die Nöte anderer Menschen.

Deshalb brauchen wir deine Hilfe und bitten dich:

Für deine Kirche: Dass sie allen, die guten Willens kommen, eine Heimat ist und auch den noch Fernstehenden ein Zuhause wird. Dass sie die richtigen Worte findet, glaubwürdig und begeisternd von dir zu erzählen.

Wir bitten für deine Welt: Sende den Kranken und Notleidendenden Menschen an ihre Seite, die mit ihnen weinen, mit denen sie aber auch lachen können. Hilf uns eine Welt zu schaffen, in der niemand mehr seine Heimat verlassen muss und in der denen geholfen wird, die in Not sind.

Für die Trauernden und Verzweifelten bitten wir: Gib dich denen zu erkennen, die an ihrem Leben verzweifeln- in Einsamkeit und Krankheit. Tröste die Menschen, die um einen lieben Angehörigen trauern.

Wir bitten für deine Gemeinde: Erwecke in ihr immer wieder die Hoffnung auf dein Reich. Lass uns einander in Liebe Wegweiser sein.

In der vergangenen Woche haben wir Abschied genommen von

Wir zünden eine Kerze für sie an und bitten dich: Nimm sei auf in deine Herrlichkeit und schenke ihnen ewige Heimat bei dir.

Für die Trauernden und Verzweifelten bitten wir: Gib dich denen zu erkennen, die an ihrem Leben verzweifeln- in Einsamkeit und Krankheit. Tröste die Menschen, die um einen lieben Angehörigen trauern.

Alles, was uns bewegt, alles Ausgesprochene und Unausgesprochene bringen wir vor dich, wenn wir gemeinsam das Vater unser beten:

Vater Unser
Abkündigungen
Segen
Kantorei

Gottesdienst am 6.6.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Seien Sie alle herzlich willkommen an diesem neuen Morgen! Wir feiern den Gottesdienst, um unser Hören auf Gott einzuüben, um seine Stimme herauszuhören aus den vielen anderen Stimmen, die uns Tag für Tag erreichen. Und zugleich wird viel Vertrauen in uns gelegt, in das, was wir als Christinnen und als Christen sagen, was aus unserem Munde kommt.  So sagt Jesus es in den Worten des Wochenspruchs aus dem Lukasevangelium 10,16: „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich.“ Darin liegt zum einen die Erinnerung daran, mit Bedacht unsere Worte zu wählen. Und zugleich werden wir mit dieser Zusage Jesu überaus hochgeschätzt.

Lassen Sie uns heute entdecken, was die Worte Gottes für einen Menschen bedeuten können. Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

+144,1.2 Dich rühmt der Morgen

Psalm des Jona 2,1-7
Und Jona betete zum Herrn, seinem Gott, im Leib des Fisches und sprach:
Ich rief zum Herrn in meiner Angst und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. Wasser umgaben mich und gingen mir ans Leben, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte meinen Kopf.

382, 1.3 Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr, fremd wie dein Name sind mir deine Wege. Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott; mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen? Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt? Ich möchte glauben, komm du mir entgegen.
Sprich du das Wort, das tröstet und befreit, und das mich führt in deinen großen Frieden. Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt, und lass mich unter deinen Kindern leben. Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst. Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.

Psalm des Jona 2,8-11
Als meine Seele in mir verzagte, da gedachte ich an den Herrn, und mein Gebet kam zu dir, in deinen heiligen Tempel. Ich will dir mit Dank Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen dem Gott, der mir geholfen hat.
Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spuckte Jona aus ans Land.

Gebet
Guter Gott, heute kommen wir zu dir. Manchmal laufen wir auch davon, vor unseren Aufgaben und vor Konflikten. Oder vor uns selbst. So wie wir sind, so kommen wir zu dir – mit all unseren Irrwegen und Umwegen.
Zeige uns die Richtung, die wir gehen sollen. Tröste uns und begeistere uns.
Es ist gut zu wissen, dass du überall da bist. In der tiefsten Tiefe und auf den höchsten Höhen. Von allen Seiten umgibst du uns.
So sprich du uns an in dieser Stunde. Das bitten wir im Namen deines Sohnes und im Namen des Heiligen Geistes. Amen.

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Gottvertrauen, liebe Gemeinde,
wir tauchen heute morgen ein in ein Profetenstück vom Gottvertrauen. Ich, nein wir möchten Ihnen heute den Bibeltext von Jona erzählen, und wir werden entdecken, ob und wie wir da selbst vorkommen.

Machen wir uns gemeinsam auf den Weg mit Jona, dem Profeten. Ein wenig kennen wir Jona noch aus der Kinder- bibel von damals oder aus dem einen oder anderen Lied.

1.Akt
Der Vorhang hebt sich.  Und sofort geht es los:
„Das Wort Gottes erging an Jona: ‚Steh auf! Geh nach Ninive, in die riesige Stadt! Predige gegen sie, denn ihre Bosheit ist bis vor mein Angesicht gedrungen!‘“

Welche Zumutung, aber auch: welch ein Vertrauen setzt Gott da in Jona! Er soll aufstehen, losgehen, rufen, kritisieren, nicht aufhören, den Finger in die Wunden der Gesellschaft zu legen, gegen an predigen. Mit nichts Anderem im Gepäck als diesem „Steh auf! Geh!“    Mit Gottes großem Vertrauen, dass er das tun kann. Und ich denke mir: Ninive, das große, unüberschaubare, das gab es nicht nur damals. Das gibt es auch heute: die fehlende Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen, ihre mangelnde Teilhabe, ein wachsender Antisemitismus in unserer Gesellschaft und eine wachsende Gewaltbereitschaft. Zwangsprostitution, in die Mädchen und junge Frauen geraten, das große, dunkle Netzwerk von Kindesmissbrauch, und die Plattform – User im Darknet. Alltägliche Demütigung und Gewalt gegen Frauen, oftmals verschwiegen. „Schaut hin!“ – so lautete das Motto des Ökumenischen Kirchentages, der gerade hinter uns liegt. Ninive gab es nicht nur damals.  Ninive ist auch heute. Und Gott will, dass auch wir heute hinsehen und aufstehen gegen die Ungerechtigkeit und die Unterdrückung, die uns vor Augen kommt.

2. Akt
„Da stand Jona auf.“
Wir haben es nicht anders erwartet. Ein Profet ist eine mutige Person. Und gehorsam doch noch dazu. Doch da: ein Paukenschlag! „Da stand Jona auf, jedoch um vor Gottes Angesicht zu fliehen.“ Er soll allein in diese riesige Stadt Ninive gehen?? Soll sich hinstellen und rufen? Oder gar predigen? Bestenfalls wird er ausgelacht. Schlimmstenfalls wird er eingekerkert oder umgebracht, wie es üblich ist in den autoritären, diktatorischen Städten dieser Welt. Nein, soviel Gottvertrauen hat Jona dann doch nicht! Er geht zum Hafen nach Jaffa und sucht sich ein Schiff, das so weit weg wie möglich fährt.  Nach Tarsis im heutigen Spanien. Auf die andere Seite des Mittelmeeres. Nur weg von Gottes Angesicht!

Mensch Jona, das kenne ich gut. Ich bin auch schon einmal weggelaufen – oder hätte es an anderer Stelle am liebsten getan. Aufgaben können zu schwer werden. Lasten zu groß. Da möchte man endlich in Ruhe gelassen werden, nicht immer die Verantwortung tragen. Jona, offenbar brauchst du Distanz. Einen ruhigen Ort. Einen Ankerplatz für deine wundgeriebene Seele. Einen sicheren Hafen, einfach ganz weit weg. Und doch, Jona: ich weiß nicht, ob Du so einfach weglaufen kannst. Das hat irgendwie auch etwas Rührendes, was du da vorhast.

3. Akt
Ist es ein Märchen? Oder Fantasy? Das Drama spitzt sich jedenfalls zu:

Jona ist auf dem Schiff. Total erschöpft, verkriecht er sich in das unterste Deck des Schiffes.  Nur noch seine Ruhe haben. Da kommt ein Sturm auf, ja ein Orkan. Und schon werfen die Matrosen das Los. Mal sehen, auf wen es fällt. Mal sehen, wer schuld ist an diesem ganzen Unglück, an dieser Misere, dieser lebensgefährlichen Situation! Es fällt auf Jona und Jona gesteht: Ich bin es. Und Jona lässt es zu, ja er bittet sogar darum, über Bord geworfen zu werden.

Das finde ich schlimm. Mit diesem Teil der Geschichte habe ich die größten Schwierigkeiten: wieso sollte so etwas Zufälliges wie ein Los die Wahrheit bringen? Warum wird ein Ungewitter als Strafe Gottes gesehen und nicht einfach als ein Naturereignis?  Und warum überhaupt und um Gottes Willen soll ein einziger Mensch die Ursache für ein Unwetter sein? Warum wird hier ausgerechnet ein Sündenbock gesucht? Aus vielen historischen Situationen wissen wir, dass Sündenbocktheorien Unheil schaffen und maßloses Leid. Dieser Teil der Geschichte ist archaisch.

Dieser Teil der Geschichte hat keinen pädagogischen Mehrwert, ja darf es niemals haben. Das einzig Positive daran ist, dass Jona sich innerhalb dieses Prozesses zu der Tatsache stellt und sich dazu bekennt, dass er weggelaufen ist. Jona kommt aus seinem Versteck heraus, er kommt aus seiner Deckung.

Finale furioso
„Gott aber bestimmte einen großen Fisch, um Jona zu verschlucken. Und Jona war drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches.“

Gott also gibt Jona noch eine Chance. Er rettet Jona, wenn auch auf sehr ungewöhnlichem Wege. Gott hält fest an seinem Vertrauen in Jona. Und er tut alles dafür, dass Jona unbeschadet bleibt, dass er eine Zukunft hat. Und hier, inmitten des Wales, geschieht mit Jona eine große Veränderung.  Er ist eingeschlossen, ja. Aber er ist zugleich auch geschützt vor dem verderbenden Wasser, gerettet vor dem Sturm da draußen. Ich denke dabei an Menschen, die sich bei Kriegshandlungen in einen Bunker flüchten: eingeschlossen, aber in größtmöglicher Sicherheit. Jona weiß nicht, wie es weitergehen wird. Er hat keinerlei Kontrolle mehr. Der Wal schwimmt mit ihm irgendwohin, ohne sichtbares Ziel. Der ganze Ausgang ist ungewiss. Jona weiß nichts mehr. Nun aber geschieht es: dies ist der Moment des Gebetes. Dies ist der Moment, um sich an Gott zu erinnern. „Als meine Seele in mir verzagte, da gedachte ich an den Herrn.“ Und Jona beginnt, wieder den Kontakt zu Gott zu suchen. Er übt sich neu in ein Vertrauen ein. Mit seiner ganzen Existenz vertraut Jona sich Gott von neuem an. Er dankt Gott von ganzem Herzen! Und er ist bereit, ihm ein Gelübde zu geben.

Jona erlebt hier die krasseste Situation seines Lebens. Den ultimativen Lockdown.

Ich erkenne uns wieder in dieser Situation, in der Jona war. In den letzten Monaten waren auch wir eingeschlossen, im Lockdown. Gewiss, wir hatten es deutlich bequemer als er – mit Couch, Fernseher und der Möglichkeit, spazieren zu gehen - aber auch wir wussten zeitweise nicht, wie es weitergehen würde. Auch uns war die Kontrolle aus den Händen genommen. Und wie alles ausgehen würde, war keineswegs klar. Wir waren existentiell gefährdet, und wir haben selbst dem Tod viel direkter ins Auge gesehen als jemals zuvor.

Viele von uns haben wohl wirklich mehr und intensiver zu Gott gebetet und gefleht als vorher. Viele von uns haben neu um Vertrauen gerungen, und wir haben Gott neu unser Leben in seine Hände gegeben.

Sogar die Kirchen wurden zu modernen Fischbäuchen. Nicht nur unsere Kirchen hier in Bad Nauheim waren nach der ersten Zeit der Schockstarre geöffnet. In vielen Städten war das so. Und viele Jonasse kamen herein: hineingeschleudert von den schweren Wogen ihres Lebens. So traten sie ein aus dem tosenden Meer ihres Alltags, der komplett durcheinandergeraten war. Und so kamen sie hinein in die Stille. In einen anderen Raum. Nun durften sie einfach nur da sein – angefüllt mit ihren Sorgen, ihren Fragen und ihrem großen Wunsch nach Segen. Und oft mit dem zaghaften Vertrauen darauf, dass Gott ihr Beten hört, wenn sie eine Kerze anzündeten.

Auch unsere Kirchen sind Walfischbäuche. Große Segensräume. Bergende Orte auf Zeit, in denen wir den Lärm und die Stürme für einen Moment hinter uns lassen können. In denen unser Vertrauen wieder wächst, dass Gott da ist. Dass er uns begleitet und uns in seinen Händen hält. Und dass Gott nicht strafen will, sondern dass er ein gnädiger, barmherziger und überaus geduldiger Gott ist. So wie Jona es in seinem weiteren Leben erkannt hat.

Unser Leben geht weiter. So wie das Leben des Jona weitergehen durfte.

Gott hat Vertrauen in uns. So wie er in Jona Vertrauen hatte.
Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spuckte Jona aus ans Land.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied 380, 1.3.6.7 Ja, ich will euch tragen

Fürbitten

  1. Barmherziger Gott, jeder Tag ist dein Geschenk an uns. Wir danken dir für jede Stunde unseres Lebens. Lass uns unsere Tage schätzen, in Achtsamkeit mit uns selbst und in Wertschätzung unserer Nächsten.
  2. Du traust uns zu, deine Liebe zu dieser Welt zu bezeugen. Gib uns deinen Heiligen Geist, damit wir diese deine Welt zum Guten verändern können, zu mehr Gerechtigkeit und Solidarität. Hilf uns dabei auch, Konflikte durchzustehen.
  3. Wir bitten dich für alle, die es wagen, loszugehen, in einen neuen Lebensabschnitt oder zu Menschen, denen sie vertrauen wollen. Segne alle Schritte auf ihrem Weg.
  4. Wir bitten dich für alle, die zu Unrecht gefangen sind. Sei du ihnen nahe und stärke sie. Lass sie spüren, dass sie nicht vergessen sind.
  5. Wir bitten dich für die Menschen in unserer Partnerdiözese in Indien. Stärke alle, die sich für die Schwächsten in dieser Zeit einsetzen und mach der Pandemie ein Ende.
  6. Bitte für Verstorbene und ihre Familien

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden
Amen

Musik

Gottesdienst am 30.5.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Ich heiße Sie an diesem Morgen herzlich willkommen zum Gottesdienst! Heute feiern wir den Sonntag Trinitatis, die Dreieinigkeit Gottes. Gott in dreifacher Gestalt. Die Christen der jungen Kirche wollten eine Antwort finden auf die Frage, wie man Gott, den Schöpfer der Welt, seinen Sohn Jesus Christus und den Heiligen Geist zusammendenken kann. Und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. So wurde der Gedanke der Dreieinigkeit Gottes miteinander entwickelt. Ansätze dazu finden wir bereits im Neuen Testament, z.B. in dem Spruch für die neue Woche aus dem 2. Kor. Brief 13,13. Dort grüßt Paulus die Gemeinde mit den Worten: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“

So feiern wir nun den Gottesdienst! Und sind zusammen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 113
Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang
sei Gottes Name gelobt!
Lobt Gott, alle, die ihr ihm mit Ehrfurcht begegnet,
lobt seinen Namen, heute und morgen.
Denn er ist Herr über alle Völker,
seine Güte reicht von Horizont zu Horizont.
Wer könnte sich mit ihm vergleichen?
Gott wohnt im Himmel und sieht doch bis in die tiefste Tiefe.
Er richtet die Gebeugten auf
Und zieht die Armen aus dem Schmutz.
Er setzt die Geringen neben die Fürsten,
 bringt die Verachteten wie die Beliebten zu Ehren.
In seinen Augen ist niemand gering.
Darum lasst uns Gott preisen:
Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang
Sei Gottes Name gelobt. Halleluja.

Gebet
Du, unser Gott, bist Schöpfer der Welt. Mit deinem guten Geist hast du uns begabt. Du willst, dass wir als gesegnete Menschen durch unsere Tage gehen.

Doch so oft blicken wir nur auf unseren eigenen, kleinen Weg. Lassen Dir nur wenig Raum bei uns. Wir kommen zu Dir mit allem, was uns belastet: mit unseren Enttäuschungen, verurteilenden Gedanken, verletzenden Worten und unterlassenen Taten. Wir bitten dich um Vergebung. Wir bitten dich um Befreiung.

Mach Du uns neu. Du kannst alles neu machen. Führe uns auf neue Wege.
Das bitten wir Dich im Namen Jesu Christi, deines Sohnes, und im Namen des Heiligen Geistes. Amen

Lied: 165,1.4.6 Gott ist gegenwärtig

Lesung aus Joh. 3,1-8
Es gab aber einen Pharisäer, der hieß Nikodemus. Er gehörte zur jüdischen Obrigkeit. Der kam nachts zu Jesus und sagte zu ihm: „Rabbi, wir wissen, dass du von Gott als Lehrer gekommen bist, denn niemand kann diese Wunderzeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist.“  Jesus antwortete ihm und sagte: „Amen, amen, ich sage dir: alle, die nicht erneut geboren werden, können das Königreich Gottes nicht sehen.“ Nikodemus sagte zu ihm: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Es ist doch nicht möglich, ein zweites Mal in den Bauch der eigenen Mutter hineinzugehen und geboren zu werden!“ Jesus antwortete: „Amen, amen, ich sage dir: Alle, die nicht aus Wasser und Geistkraft geboren werden, können nicht in das Königreich Gottes hineingehen. Was aus der Materie geboren ist, ist Materie; und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: ‘Ihr müsst erneut geboren werden.‘ Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es bei allen, die aus der Geistkraft geboren sind.“

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Liebe Gemeinde,
plötzlich war es halb zwei in der Nacht. Wir hatten völlig die Zeit vergessen. Sieben Monate lang hatten wir uns nicht gesehen, nur miteinander telefoniert. Jetzt war es höchste Zeit, dass wir uns endlich wieder einmal von Angesicht zu Angesicht sahen.  Es gab einfach so viel zu bereden, zu erzählen, zu lachen und aufzuholen… So ging es mir vor kurzem, als ich endlich meine Eltern wieder einmal besuchen konnte.

Nachtgespräche – ihr Reiz liegt einfach darin, dass sie zeitlich nicht begrenzt sind – auch wenn man es vielleicht am nächsten Morgen bereut. In Nachtgesprächen kommt eher einmal Grundsätzliches zur Sprache,  für das im hektischen Alltagsgeschehen keine Zeit ist. In Nachtgesprächen kommt die Wahrheit auf den Tisch. Mit all ihren Seiten. Und in Nachtgesprächen werden auch manchesmal Verabredungen für die Zukunft getroffen. Solche besonderen Gespräche können überall stattfinden: drinnen oder draußen auf der Bank. Im Schein einer Laterne, am Strand oder am Lagerfeuer.

Von einem Nachgespräch erzählt auch der Bibeltext dieses Tages: „Es gab einen Pharisäer, der hieß Nikodemus. Der kam nachts zu Jesus.“ Warum kommt Nikodemus nachts? Nachts ist es ruhig in der belebten Stadt. Nachts ist Zeit zum ausführlichen Reden und Diskutieren. Und die Nacht fängt früh an in Jerusalem. Gegen 18.00h, wenn die Sonne fast schlagartig untergegangen ist. Wir müssen Nikodemus nicht unterstellen, dass er als Pharisäer Angst vor den anderen hatte, Angst, gesehen zu werden, wie er zu Jesus ging. Denn Nikodemus ist ein selbstbewusster Mensch. Einer, der sehr eigenständig denkt und handelt. Einer, der sich sein eigenes Urteil bildet und darin bedächtig und vorsichtig ist. Zweimal noch ist von ihm im Johannesevangelium die Rede. So wird er später seine Brüder unter den Pharisäern daran erinnern, dass es nach der Thora notwendig ist, einen Menschen zunächst anzuhören und ausführlich zu Wort kommen zu lassen, bevor man irgendein Urteil über ihn spricht. Dies sagt er ganz explizit im Blick auf Jesus. Und am Ende, direkt nach dem Tod Jesu, kommt Nikodemus und bringt eine große Menge an Salben und Kräutern, Myrrhe und Aloe, damit Jesus würdig bestattet werden kann. Es wirkt, als stehe er quer zum Sanhedrin, zum obersten Rat in Jerusalem. Nikodemus ist offen. Nachdenklich. Er will wirklich wissen, wer Jesus ist und was sein Auftreten bedeutet. „Rabbi, wir wissen, dass du von Gott als Lehrer gekommen bist, denn niemand kann diese Wunderzeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist.“ Das ist ein freundlicher Gesprächsauftakt. Wenn Jesus ein Lehrer von Gott ist, mit diesen Wundertaten, dann, ja ist dann schon angebrochen, worauf alle so sehnsüchtig warten? Ist der Messias dann schon auf dem Weg? Bei ihnen? Wird dann endlich wieder heil, was gerade alles zerbrochen daliegt? Wenn Wasser zu Wein verwandelt worden ist, wenn er behauptet, er könne den Tempel, der in 46 Jahren erbaut wurde, in drei Tagen nach einer Zerstörung wiederaufbauen – ist das Größenwahn und Blasphemie oder ist Gott wirklich definitiv auf seiner Seite? Wer ist dieser Mann? Genau diese Fragen treiben den nächtlichen Besucher um.

Und Jesus antwortete: „Amen, ich sage dir: alle, die nicht erneut geboren werden, können das Königreich Gottes nicht sehen. Und alle, die nicht aus Wasser und Geistkraft geboren werden, können nicht in das Königreich Gottes hineingehen.“  

Jesus fragt hier nicht, was Nikodemus eigentlich will.  Er antwortet auf einer ganz anderen Ebene. Ist das überhaupt wirklich ein Gespräch? Was passiert hier? Als wollte Jesus sagen: es geht hier gerade gar nicht um mich, und wer ich bin innerhalb aller eurer gängigen Erwartungen, es geht um das Reich Gottes. Und um das Thema der Neugeburt.  Jesus geht in medias res, mitten hinein in sein zentrales Anliegen.

Jesus spricht von der Neugeburt. Aber wie soll das gehen?  Hat Nikodemus nicht recht mit seiner Frage? Neu geboren werden – wie soll man das denn machen? Geboren wird man doch. Das kann man schließlich nicht selbst herbeiführen. Das geschieht mit einem. Und wenn man schon alt ist, ist das wirklich eine schöne Vorstellung, alles noch einmal von vorne zu erleben? Nochmal durch alles hindurch zu gehen, was bis jetzt zum Leben gehört hat? Das will doch nicht wirklich jemand, oder? Erneut geboren werden, sagt Jesus, bedeutet, aus Wasser und der Geistkraft geboren zu werden. Das ist also eine andere Geburt als die natürliche. Das ist quasi eine zweite Geburt. Ich verstehe das so: es gibt unser irdisches Leben, unsere ganz irdische, materielle Existenz. In ihr sind wir zuhause. In unserem Körper.  Aber dann gibt es noch mehr:  es gibt die geistliche, die spirituelle Dimension unseres Lebens. Es gibt unseren Kontakt zu Gott, unsere Beziehung zu ihm. Und diese Dimension wird durch die Taufe geschaffen. Da wird uns gesagt: „Du bist Gottes Sohn, du bist Gottes Tochter“.

Und mit der Taufe sind eben das Wasser und der Geist elementar verbunden. Jesus selbst wurde durch Johannes mit dem Wasser des Jordan getauft. Und Gottes Geist in Gestalt einer Taube bezeugte ihm und allen, die dabei waren, dass Jesus der Sohn Gottes ist.

So geht es also bei der Neugeburt um die Taufe.

Das meint die Taufe, wie Johannes der Täufer sie den Menschen angeboten hat, sie dringlich gemacht hat. Die Taufe als radikale Umkehr zu Gott. Auf die Umkehr fokussiert sich alles, sagt Jesus damit. Jetzt ist die Zeit zur Umkehr.

Etwas gefällt mir sehr an dem, was Jesus hier sagt.  Seine Antwort an Nikodemus kommt zwar sehr schroff daher. Aber es liegt auch ganz viel Hoffnung darin. Er sagt damit nämlich: ein Mensch kann sich verändern, allen anderen Meinungen zum Trotz. Er muss nicht der alte bleiben. Ein Mensch kann sogar neu werden. Er kann etwas bereuen und einen anderen, einen besseren Weg gehen. Wegkommen von seinem Egoismus oder wegkommen von seiner Alkoholsucht. Er kann sich umdrehen und fortan einen anderen Weg einschlagen. Selbst noch auf dem Sterbebett können Menschen erleuchtet werden. Gottes Geist kennt da viele Möglichkeiten. Manchmal ist das wie ein plötzliches Geschenk Gottes, wenn das geschieht. Und es kann eben geschehen.

Und neben dieser großartigen Hoffnung Jesu gibt es nun auch ein Gebot für die, die sich Christen nennen, Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu. Es ist das Gebot, sich selbst zu prüfen und sehr wohl die eigene Person immer wieder auch infrage zu stellen.

War das im Sinne Gottes, was ich da gesagt oder getan habe? Habe ich richtig gehandelt?  Stecke ich den anderen nicht in eine fertige Schublade, wenn ich so von ihm denke oder rede, wie ich es tue? Gebe ich ihm überhaupt noch eine Chance, auch anders zu sein?  Früher nannte man das den Beichtspiegel. Niemand ist ja fertig. Nur wer sich selbst infrage stellt, kann auch seine Sinne ändern. Und das geschieht nicht nur einmal. Das geschieht genau genommen in jedem Gottesdienst: wenn wir unsere Fehler, unsere Unterlassungen und unsere Schuld vor Gott bringen, und wenn wir um sein Erbarmen mit uns bitten und darum, dass er uns vergeben möchte, was nicht richtig war.

Dann werden wir neu durch den Geist Gottes, dann genau erfahren wir es, dass wir durch Gottes Geist neu belebt werden. Unsere Umkehr und die barmherzige Zusage Gottes - das lässt uns leben. Im Grunde also ist das Neu Geboren werden nicht ein einmaliges Ereignis; es ist vielmehr ein lebenslanger Prozess. Ein lebenslanger Prozess unserer Spiritualität. „An jedem Morgen muss der alte Adam wieder aus der Taufe kriechen“, hat M. Luther dazu gesagt. Wir sind ja immer auf dem Weg. Auch auf dem Weg mit Gott. Bis zum Ende unserer Tage hier.

Ein Letztes noch berührt mich sehr, was Jesus sagt: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht.  So ist es bei allen, die aus der Geistkraft geboren sind.“ Ich denke daran, wie ich an einem Sommerabend auf dem Balkon sitze. Es ist ein sehr heißer Tag gewesen, und nun kommt der Abendwind auf. Ich spüre, wie es auffrischt. Wie schön ist es, so vom Wind berührt zu werden. Wie schön ist es, so belebt zu werden – auch wenn ich nicht weiß, aus welcher Richtung die frische Brise eigentlich kommt. Aber es tut einfach nur gut.

Und ich denke daran, wie ich an einem Ostseehafen stehe. Viele Boote liegen da im Wasser, und einige haben schon ihre Segel gehisst. Bald wollen sie losfahren. Plötzlich fährt eine kräftige Böe in den Stoff und die Segel blähen sich. Nun ist alles bereit - die Boote können ihre Fahrt aufnehmen.

Gottes Geist bewegt uns, so wie der frische Wind am Abend. Er ist überraschend und niemand kann über ihn verfügen.

Und Gottes Geist belebt uns, so wie der Wind in die Segel fährt. Er bringt uns Freude. Er ist unsere Energie. Er bringt uns in die richtige Richtung unseres Lebens und hin zu den Menschen, die auf uns warten.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen.

Lied: + 20 Atem des Lebens

Fürbitten
Du, liebender Gott, bist uns Vater und Mutter, Anfang und Ende. Du trägst uns, hältst unser Leben in Deiner Hand und gibst uns Kraft für jeden Tag. Hilf uns, die Erde zu schützen. Wir bitten Dich: lass Deinen Willen geschehen in dieser Welt.

Jesus Christus, Sohn Gottes und unser Bruder, Du bist unser Retter, befreist uns von unserer Schuld und zeigst uns die Liebe Gottes. Wir bitten Dich: sei allen Menschen nahe, die Befreiung brauchen aus ihrer Einsamkeit, aus Verstrickung in Fehler, aus der Sackgasse der Lieblosigkeit. Deine Liebe blühe auf in unserer Welt.

Heiliger Geist, unser Tröster und frischer Wind, Du vertrittst uns beim Vater, wenn wir nicht mehr wissen, wie wir beten sollen. Du schenkst uns neue Ideen und veränderst uns, sodass wir täglich neu werden können. Wir bitten Dich: führe Menschen zur Versöhnung, wo sie im Streit oder im Krieg miteinander sind. Verändere die Herzen der Menschen, wo sie verhärtet sind im Antisemitismus, im Rassismus und in Menschenverachtung. Deine Wärme, Freude und Begeisterung durchwehe unsere Zeit.

Dreieiniger Gott, Dir gehört unser Leben. Dich loben wir heute und bis in Ewigkeit.

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden
Amen

Musik

Andacht zum Pfingstmontag 2021 von Pfarrer Rainer Böhm

Das Lied "Geist der Wahrheit" des Gospelchors "For Heavens´Sake" ist auf unserem Youtube-Kanal veröffentlicht.

Es gibt keine Pfingstbäume mit Pfingstkugeln dran. Soweit ich weiß auch kein Pfingstspiel im Gottesdienst. Wir suchen keine Pfingsteier im Garten. Finden könnten wir, bei uns im Garten jedenfalls, Pfingstrosen, aber die blühen, wann sie wollen. Vielleicht einen Ausflug in die Natur – da wäre ich dabei! Ein Picknick draußen irgendwo! Was also feiern wir an Pfingsten – komm, Heiliger Geist. Komm, du Geist der Wahrheit.

An Weinachten feiern wie die Ankunft Gottes in der Welt. An Ostern feiern wir das Leben und Gottes Sieg über den Tod. Pfingsten ist u n s e r Fest: Gottes Geist will bei uns sein. Wir sind nicht allein zu Hause, brauchen keine Angst zu haben. Gott ist da mit seinem Geist, lässt mit sich reden und hört uns zu. Er will uns Mut geben, Fantasie, Energie. Kraft auch für die Wahrheit zwischen uns, in unserem Miteinander, und auch für die Wahrheit über uns selbst.

Immer sind wir miteinander vor ihm, nie war einer allein. So erzählt es die Bibel. Im Paradies, auf der Arche, beim Zug durch das Rote Meer oder auch mit Jesus – immer waren viele zusammen. Und auch an Pfingsten. Und dabei alle verschieden – so bunt und so vielfältig wie unser Gospelchor.

Woran erkennt man also, dass Pfingsten ist? Nur an uns selbst! An unserer Freude, unserer Neugier, unserem Gesang, an dem, wie wir sind. Viele, und jeder anders. Wir selbst sind das Pfingstfest Gottes. Nach dem Christbaum im Wohnzimmer und den Ostereiern im Garten ist es jetzt an der Zeit, dass wir uns selbst auf den Weg machen: In Bad Nauheim oder Langenhain-Ziegenberg, in Berlin oder in Wien. Gott ist dabei gegenwärtig: Mit seinem Geist: der Wahrheit, der Liebe und des Aufbruchs.
Amen.

Gottesdienst an Pfingstsonntag mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel:     Leon Boellmann: Menuet Gothique aus der `Suite Gothique´                 

Begrüßung
Der Wochenspruch zum heiligen Pfingstfest macht Mut: Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth. (Sacharja 4,6)
Durch den Heiligen Geist kann alles neu werden. Der Heilige Geist lässt uns das Undenkbare denken. Der Heilige Geist lässt uns das Unbegreifbare spüren. Der Heilige Geist lässt uns das Unmögliche tun. Alles wird neu. Und wir sind der Anfang von Gottes neuer Schöpfung.
                
Votum                    

Psalm 118  EG  747
Dies ist der Tag, den der Herr macht
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
Der Herr ist meine Macht und mein Psalm
und ist mein Heil.
Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten:
Die Rechte des Herrn behält den Sieg!
Die Rechte des Herrn ist erhöht;
die Rechte des Herrn behält den Sieg!
Ich werde nicht sterben, sondern leben
und des Herrn Werke verkündigen.
Der Herr züchtigt mich schwer;
aber er gibt mich dem Tode nicht preis.
Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit,
dass ich durch sie einziehe und dem Herrn danke.
Das ist das Tor des Herrn;
die Gerechten werden dort einziehen.
Ich danke dir, dass du mich erhört hast
und hast mir geholfen.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
Das ist vom Herrn geschehen
und ist ein Wunder vor unsern Augen.
 
Dies ist der Tag, den der Herr macht;
lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.
O Herr, hilf!
O Herr, lass wohlgelingen!
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Wir segnen euch, die ihr vom Hause des Herrn seid.
Der Herr ist Gott, der uns erleuchtet.
Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars!
Du bist mein Gott, und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.                

Gebet    
Gemeinsam, wie mit einem Mund, sollen wir Gott loben. Das gelingt oft nicht. Zu vieles unterscheidet uns und bringt uns gegeneinander auf.
Gemeinsam, wie mit einem Mund, können wir Gott loben. Er weckt Liebe in uns, Liebe, die nach den anderen fragt, die andere versteht und annimmt.
Herr, unser Gott, junge und alte Menschen, einfache und kluge, erfolgreiche und enttäuschte hast du zusammengeführt als deine Gemeinde. Gib einem jedem und einer jeden von deinem guten Geist, damit wir dich und uns selbst und einander besser verstehen und vorankommen auf deinem Weg.
                    
Lesung
Der Turmbau zu Babel
1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2 Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde. 5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

Orgel:         Robert Schumann `Träumerei´            

Predigt   

Ein altes Foto unserer Kirche. 1905: Die Dankeskirche im Bau, vor 116 Jahren. Das Richtfest, das Bäumchen auf dem Dach, die Zimmerleute in luftiger Höhe. Ohne Absicherung. Einer hat da oben im Dachstuhl eine Bierflasche vergessen, wie eine Flaschenpost, die Herr Horstmann vor einigen Jahren fand. Die Namen der Arbeiter kennen wir nicht – nur den Namen der Firma. Stamm und Steuernagel steht da dick und fett. Mit dem Bau hat sich die Firma einen Namen gemacht.

Es scheint, dass zum Menschsein die Selbstverwirklichung gehört. Für die Generation meiner Eltern war das eigene Haus ein wichtiges Lebensziel. Die einen wollten raus aus den engen Mietwohnungen, die anderen hatten durch Krieg und Vertreibung alles verloren. Die eigenen vier Wände bedeuteten Sicherheit und Lebensqualität und einen Status: Hausbesitzer. Und eine Wertanlage für die Kinder: sie sollten es einmal besser haben.

Es war eine Zeit, da die Menschen unterwegs waren. Und wenn sie auch in den alten Sagen wie großartige Helden wirkten: In Wahrheit hatten sie Angst – ihren Feinden schutzlos ausgeliefert zu sein, zerstreut zu werden und vergessen. Gegen diese Ängste bauten sie eine Stadt und einen Turm. Wie hoch? Soo hoch, dass seine Spitze bis in den Himmel reicht.  Sie haben dafür Ziegelsteine gestrichen und gebrannt, wie man sie sich heute noch im Berliner Museum anschauen kann. Mit solchen Steinen und mit Erdharz konnten sie bauen, hoch und immer höher. Sie meinten, sie wären die Größten und die Klügsten und die Stärksten und sie wüssten alles.

Aber Gott musste sie erst einmal suchen, so klein waren sie in Wirklichkeit, denn sie waren ja auch nur Menschen. Und so klein sind die Mächtigen, die uns Angst machen wollen mit ihren Plänen. Und damit sie nicht zu mächtig werden können und damit die kleinen Leute ihnen nicht völlig ausgeliefert sind – deshalb hat er dafür gesorgt, dass es so viele Sprachen gibt. Jetzt konnten die ganzen Gernegroße herumschreien wie sie wollten. Viele haben sie nicht verstanden. Und viele haben nicht getan, was die Schreier wollten. So hat Gott mir seinem Geist dafür gesorgt, dass die Mächtigen nicht allmächtig wurden. Babel ist für uns das Synonym für Durcheinander, auf hessisch heißt das Gebabbel.

So möchte ich die Geschichte vom Turmbau und der Sprachverwirrung neu verstehen.  Sie erzählt davon, wie mächtig und groß Gott ist. Er kann Kommunikation zerstören, um Frieden zu schaffen. Sein Handeln ist nicht Strafe, sondern Rettung. Er begrenzt die Ambitionen eines übergriffigen Systems. Einer andere überfordernden Macht. Er greift ein, um seine Menschen, seine Schöpfung vor Überlastung zu schützen – die Vielfalt und Freiheit der Völker und Kulturen. Auch die Vielfalt der Sprachen ist nicht Folge der Sünde oder Strafe, sondern sie war bereits vorher vorhanden und ist von Gott so gewollt.

An Pfingsten in Jerusalem wird diese Geschichte weitererzählt. Die aus vielen Völkern versammelten Juden hören die Apostel zwar in deren galiläischem Dialekt predigen. Aber sie verstehen sie in ihrer jeweils eigenen Muttersprache von den großen Taten Gottes in Jesus Christus berichten. Der Heilige Geist schaltet die Vielfalt nicht aus. Er bestätigt und würdigt die Vielfalt und Buntheit der Kulturen. Und er schafft zu Pfingsten etwas Neues: eine versöhnte, mehrsprachige Gemeinschaft der Christen. Das ist der Beginn einer neuen Gesellschaft.

Keine Kirchengemeinde ohne Bauausschuss, keine Kirchenvorstandssitzung ohne ‚Bausachen‘. Mittel, die anderswo fehlen, Räume, die wir vielleicht so nicht brauchen, bei uns, und in unserer Region. Eine Kirche ist eigentlich dauernd im Bau. Aber durch besonders tolle Gebäude brauchen wir uns heute keinen Namen mehr zu machen. Wir wären allerdings froh und stolz über ein Hospiz in unserer alten Johanneskirche und eine dringend benötigte neue Orgel hier in der Kirche. In einer Gesellschaft, in der wir Christen weniger werden und Kirche unbedeutender, verkündet unser Kirchengebäude eine wichtige Botschaft: Wir sind hier, mitten in der Stadt, Und wir werden auch so schnell nicht von der Bildfläche verschwinden.

Mit dem Geist Gottes erhalten wir die Gabe, über alle Barrieren hinweg uns mit Menschen anderer Sprachen und Kulturen zu verständigen. Alle behalten ihre Eigenheiten, alle bleiben verschieden; es entsteht aber ein gemeinsames Verständnis, aus einem gemeinsamen Geist. Aus einem Wir-Gefühl. Diese Gemeinschaft entsteht über unseren eigenen Kirchturm hinaus: Mit den Gemeinden hier in unserer Region, die alle ganz verschieden sind und mit denen wir zueinanderkommen, Kirche bauen und in Zukunft gemeinsam Kirche sind. Über die Unterschiede von Stadt und Land hinaus.

Und das gilt auch für unsere Glaubensgeschwister in Nordindien, die unter der zweiten großen Coronawelle leiden – über alle Entfernungen hinweg sind wir mit ihnen ständig in Kontakt. Wir sind verbunden im Geist. Sie sind für uns ein leuchtendes Beispiel an Überzeugung, Glaube und Einsatz für die Armen. Wir beten für sie und wir feiern miteinander Gottesdienste. Wir besuchen einander und wir helfen ihnen mit unserem Gebet und unserer Spende.

Wenn wir ernst machen mit diesem Geist und vor allem in diesem Geist, über alle Grenzen hinweg, dann ist mir um unsere Kirche nicht bange. Vielleicht leben wir dann neu miteinander, teilen unsere Gaben und was wir haben, unsere unterschiedlichen Fische und Brote. Und staunen darüber, wieviel mehr wir bekommen, wenn wir nur geben. Und wie Jesus unser Herr uns alle satt macht.
Amen

Musik: EG 639    Damit aus Fremden Freunde werden        

Fürbitten                    
Herr, unser Gott, vielfältig wie deine Schöpfung hast du auch die Menschen geschaffen, einen jeglichen nach seiner Art.  Das macht das Leben bunt und lebendig, und dafür danken wir dir.

Sende deinen Heiligen Geist. Er verbindet uns miteinander und schafft Leben.
Lass uns von deinem Geist ergriffen sein.

Gib uns Mut und Geduld, eingefahrene Wege zu verlassen, wenn wir die Bedürfnisse der Menschen nicht im Blick haben.

Dring in unser Leben ein und wirke durch ihn. Lass unsere verschiedenen Welten einander begegnen.

Hilf uns, die Schätze der anderen zu entdecken. Schenke uns von deiner Liebe. Sie vertraut und sie vergibt.

Hilf uns, dass wir deinen Frieden leben können. Brich mit uns zusammen auf, dass wir Wege der Hoffnung und der Liebe gehen können.

Vater Unser                

Orgel:         Improvisation                   

Abkündigungen                

Segen                        

Orgelnachspiel:     Felix Mendelssohn Bartholdy: Lied ohne Worte E-Dur

Gottesdienst am 16.05.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist ab 10 Uhr als Livestream und später als Video auf unserem Youtubekanal verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung
Wasser ist ein Durstlöscher. Wasser erfrischt. Nach dem Wandern. Nach dem Sport. Zwischendurch. Ohne Wasser ist unser Leben nicht denkbar. Auch in der Bibel lesen wir viel über das Wasser. Es ist ein Symbol für das Leben. Für die Nähe zu Gott. „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.“ werden wir gleich gemeinsam beten. „Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, wer an mich glaubt,“ sagt Jesus im heutigen Predigttext. Lassen Sie sich in diesem Gottesdienst mit hineinnehmen in die Gedanken über den Durst. Und über das Wasser, das den Durst stillt.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 42, 2-6 und 9-12
2 Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. 3 Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue? 4 Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott? 5 Daran will ich denken und ausschütten mein Herz bei mir selbst: wie ich einherzog in großer Schar, mit ihnen zu wallen zum Hause Gottes mit Frohlocken und Danken in der Schar derer, die da feiern.
6 Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er mir hilft mit seinem Angesicht. 9 Am Tage sendet der HERR seine Güte, und des Nachts singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens. 10 Ich sage zu Gott, meinem Fels: Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt? 11 Es ist wie Mord in meinen Gebeinen, wenn mich meine Feinde schmähen und täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott? 12 Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Gebet
Großer Gott, als guter Hirte führst Du uns zu frischem Wasser. In den Wüstenzeiten unseres Lebens. Aber auch dann, wenn es uns gut geht. Stärke uns in diesem Gottesdienst an Geist, Herz und Seele. Wecke in uns die Sehnsucht nach Dir und dem lebendigen Wasser. Das bitten wir Dich durch Deinen Sohn Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit. Amen.

Lesung: Johannes 7,37-39
37 Am letzten Tag, dem Höhepunkt des Festes, trat Jesus vor die Menschenmenge und rief laut: »Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, 38 wer an mich glaubt. So sagt es die Heilige Schrift: ›Ströme von lebendigem Wasserwerden aus seinem Inneren fließen.‹« 39 Jesus bezog dies auf den Heiligen Geist. Den sollten die erhalten, die zum Glauben an ihn gekommen waren. Denn der Heilige Geist war noch nicht gekommen, weil Jesus noch nicht in seiner Herrlichkeit sichtbar war.

Musik
Improvisation zu Psalm 42

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Vor einigen Jahren war ich in Uganda. Dort habe ich ein beeindruckendes Waisenkinderhaus besucht. Gegründet wurde es von einem jungen Mann namens Herbert. Deutsche Vornamen sind in Uganda durchaus häufig. Seine Familie war vor vielen Jahren vom Land in die Hauptstadt Kampala gezogen. Sein Vater war meines Wissens Anwalt, Herbert selbst hat in der Immobilienbranche Karriere gemacht. Seine Familie gehört zur gut versorgten Mittelschicht. Das Grundstück in einer ländlichen Gegend, auf dem sie früher gelebt haben, gehörte ihnen noch immer. Nach einigen Jahren stellten sie fest, dass sich verwahrloste Kinder auf dem Gelände aufhalten. Es waren Aidswaisen oder Kinder, die von ihren Familien wegen der Armut weggejagt wurden. Herbert und seine Familie haben nicht lange überlegt und angefangen, sich um die Kinder kümmern. Das habe Gott ihnen deutlich ans Herz gelegt, hat mir Herbert erzählt.
Ich bin ehrenamtliches Vorstandsmitglied in einer Organisation, die Herbert und die Kids unterstützt. In Uganda gibt es Wüsten, Savannen, aber auch wundervoll grüne Gegenden. Das Waisenkinderhaus steht inmitten von Bäumen und Bananenpflanzen. Ich habe in meinem Leben weder vorher noch hinterher so gute Avocado gegessen, wie dort. Allerdings gab es ein großes Problem: Das ganze Dorf liegt auf einem Hügel und hatte keinen Zugang zu frischem Wasser. Um also an Trinkwasser zu kommen, mussten Herbert und die Kinder mit Kanistern losziehen. Sie gingen anderthalb Kilometer weit zu einem Wasserloch. Ich war schockiert, als ich die Qualität des Wassers sah. Es war eine eklige, braune Brühe. Egal, wozu Herbert und die Kinder Wasser brauchten, sie mussten diese braune Brühe mühselig heranschaffen. Inzwischen haben wir dort eine Anlage aufgebaut, die Regenwasser fängt und einen Brunnen bohren können, der sogar einen Teil des Dorfes versorgt.
Aber dieses Wasserloch geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Zurück in Deutschland ist mir plötzlich aufgefallen, dass ich beim Zähneputzen das Wasser laufen lasse. Man stelle sich vor, ich hätte dieses Wasser von einem Loch anderthalb Kilometer entfernt holen müssen. Ich bin seitdem so dankbar, dass ich einfach nur den Wasserhahn aufmachen muss, wenn ich Wasser haben will. Ich kenne das gar nicht, dass Wasser wirklich richtig knapp ist, auch wenn die Wasserwerke in den letzten beiden Jahren wegen der Knappheit gewarnt haben.
Warum erzähle ich Ihnen das? Zum einen wegen meinem veränderten Verhältnis zum Wasser. Ich muss immer mal wieder an Uganda denken, wenn ich Wasser verwende. Es macht mich unheimlich dankbar, dass ich einfach duschen kann. Dass ich ausreichend sauberes Trinkwasser habe. Denn Wasser ist kostbar. Wasser ist nicht selbstverständlich. Und vor diesem Hintergrund erschließt sich mir der heutige Predigttext viel leichter. Jesus spricht: „Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, wer an mich glaubt.“ Jesus weist hier auf ein Bedürfnis hin. Wie das Wasser, brauchen wir in unserem Leben Annahme, Sinn und Hoffnung. Und Jesus sagt: Kommt her. Hier ist es. In den Wüstenzeiten, wenn sich das Leben ausgetrocknet anfühlt, dann hat Gott für uns eine Erfrischung parat. Mehr noch: Das lebendige Wasser steht uns durch Jesus immer zur Verfügung. Auch in den guten Zeiten ist es wichtig. Bei ihm können wir Kraft und Hoffnung schöpfen.
Wie geht das praktisch? Das ist der zweite Grund, weshalb ich Ihnen von Herbert erzähle. Herbert ist ein sehr frommer Mann. Man trifft ihn selten ohne Bibel an. Er strahlt eine große Zuversicht aus und es macht Spaß, mit ihm unterwegs zu sein. Aber Herbert hat auch Sorgen. Die Familie von Herbert setzt einen großen Teil ihres privaten Einkommens dafür ein, dass wildfremde Kinder ein Zuhause haben. Und sie können nur 20 Kinder aufnehmen, weil der Platz zu knapp ist. Und auch wenn das Land unheimlich viele Früchte hervorbringt, reicht das Geld manchmal nicht mal für einen Sack Reis, weil Herbert das Schulgeld zahlen muss. Inzwischen unterstützen wir ihn mit Kinderpatenschaften. Aber als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe, da hatte er gerade mal wieder einen Engpass. Und trotzdem strahlte er diese Zuversicht aus. Und die Kinder auf dem Gelände waren fröhlich und ausgelassen und man sah ihnen an, dass sie glücklich waren. Jesus spricht: „Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, wer an mich glaubt. So sagt es die Heilige Schrift: ‚Ströme von lebendigem Wasser werden aus seinem Inneren fließen.‘"
Wenn ich Herbert sagen würde, dass dieser Vers sehr gut zu ihm passt, dann würde er abwehren. Ich finde: Zu ihm und von ihm fließt sichtbar lebendiges Wasser. Aber er würde sagen: Ich tue nur das, was richtig ist und was Gott mir ans Herz legt. Natürlich ist ihm bewusst, dass er etwas tut, was andere nicht tun. Und dass er Kindern eine Zukunft schenkt, die sie ohne ihn nicht hätten. Und doch gehört er für mich zu den Menschen, die eine Quelle lebendigen Wassers sind, ohne sich dessen immer bewusst zu sein. Und Quelle lebendigen Wassers zu sein heißt ja auch nicht, dass es einem selbst immer nur gut geht.
Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie Durst nach lebendigem Wasser? Und haben Sie die Quelle im Blick? Fließt von Ihnen lebendiges Wasser weiter an andere? Vielleicht ohne, dass Sie es bewusst wahrnehmen? Das Weiterfließen können wir übrigens nicht machen. Ich denke, dass wir auf Dauer nur das weitergeben können, was wir empfangen. Das lebendige Wasser kommt von Gott. Es fließt von ihm zu uns und weiter zu anderen Menschen. Jesus spricht: „Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, wer an mich glaubt. So sagt es die Heilige Schrift: ‚Ströme von lebendigem Wasser werden aus seinem Inneren fließen.‘“
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lied
EG+ 61 "Wasser des Lebens"

Fürbitten
Gott, Du Quelle des Lebens, bei Dir ist Leben aus der Fülle. Doch nicht immer ist das zu spüren. Manche ignorieren den Durst nach Liebe und Geborgenheit. Andere versuchen, ihn mit anderen Dingen zu stillen. Hilf uns, dass wir uns nach Dir ausstrecken.
Gott, Du Quelle des Lebens, wir haben heute gehört, dass auch aus uns lebendiges Wasser zu anderen fließen kann. Wo wir das nicht merken, mache es uns bewusst. Hilf uns, dass wir uns gegenseitig ermutigen und einander zum Segen werden.
Gott, Du Quelle des Lebens, fassungslos schauen wir in den Nahen Osten. Es ist schwer verständlich, dass Gewalt sich immer wieder so brutal Bahn bricht. Wir bitten Dich um Frieden. Wir bitten Dich um Weisheit für die Menschen dort. Und wir bitten Dich: Lass nicht zu, dass der Konflikt auch hier in Deutschland gewaltsam ausgetragen wird, sondern schenke Dialog und ein friedfertiges Miteinander.
Gott, Du Quelle des Lebens, gestern und letzten Samstag haben die Konfirmandinnen und Konfirmanden aus dem letzten Jahrgang ihr Taufversprechen erneuert. Wir bitten Dich für sie: Erhalte ihren Glauben. Stärke ihre Hoffnung. Gib ihnen Mut und Geduld, der Spur Jesu zu folgen. Dein guter Geist lasse sie getrost ihren Weg gehen.
Gott, Du Quelle des Lebens, wir bitten Dich: Sei bei den Kranken, den Einsamen und Verbitterten. Sei bei den Menschen, die vor großen Herausforderungen stehen und um ihre Existenz fürchten müssen.

Vaterunser
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

Musik zum Ausgang

 

Ökumenischer Gottesdienst an Christi Himmelfahrt 2021 mit Video

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Begrüßung
Wir begrüßen Sie herzlich zu diesem Gottesdienst.

Wir sind sehr froh, ihn wieder in dieser Form feiern zu können: mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Immer noch unter Corona-Bedingungen. Aber wenigstens zusammen und jetzt sogar draußen an der Daki.

Es sind die Tage des ökumenischen Kirchtages in Frankfurt, der nun natürlich auch vor allem virtuell gefeiert wird. Deshalb freuen wir uns, dass wir Frau Veith bei uns begrüßen dürfen, die im Team von St. Bonifatius tätig ist.

Und wir sind froh, eine Pfarrerlegende endlich wieder erleben zu können; zu einem 1. Gemeindegottesdienst nach seinem Ruhestandsbeginn vor anderthalb Jahren: Dr. Ulrich Becke.

Wir feiern zusammen Christi Himmelfahrt. „Braucht Gott überhaupt ein Haus?“ Das war die Frage König Salomos, von dem wir gleich hören werden. Über das Für und Wider von Kirchenräumen. Wo spüren und erleben wir Gott dichter: draußen in der Natur, unter seinem Himmel, oder in der Kirche

Votum

Psalm 47
Gott ist König über alle Völker 1 Ein Psalm der Korachiter, vorzusingen. 2 Schlagt froh in die Hände, alle Völker, und jauchzet Gott mit fröhlichem Schall! 3 Denn der HERR, der Allerhöchste, ist zu fürchten, ein großer König über die ganze Erde. 4 Er zwingt die Völker unter uns und Völkerschaften unter unsere Füße. 5 Er erwählt uns unser Erbteil, die Herrlichkeit Jakobs, den er liebt. Sela. 6 Gott fährt auf unter Jauchzen, der HERR beim Schall der Posaune. 7 Lobsinget, lobsinget Gott, lobsinget, lobsinget unserm König! 8 Denn Gott ist König über die ganze Erde; lobsinget ihm mit Psalmen! 9 Gott ist König über die Völker, Gott sitzt auf seinem heiligen Thron. 10 Die Fürsten der Völker sind versammelt als Volk des Gottes Abrahams; denn Gott gehören die Schilde auf Erden; er ist hoch erhaben.

Glaubensbekenntnis
Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.

Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott , Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserm Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein.

Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, und die eine, heilige, christliche und apostolische Kirche. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt. Amen.
(Nizäa-Konstantinopel, EG 805 / GL 586.1

Lesung 1. Könige 8,22-24; 26 – 28         
Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel 23 und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; 24 der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. 26 Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast. 27 Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? 28 Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.

Predigt

Das ist wahrhaftig großes Kino in Cinemascope und Sensorround: Stoff für opulente Bibelfilme a la Hollywood, diese Szene: endlich ist der Tempel in Jerusalem auf dem Tempelberg fertig erstellt.

Golden erstrahlen seine Zierfriese im Licht der Sonne. Gewaltiger Hofstaat umwogt Salomo, den sprichwörtlich weisen König. Sein Vater hat ein Imperium gegründet, einen Weltstaat. (Klammer auf - so schildert es die Tradition Israels. Merkwürdig, dass keine der zeitgenössischen anderen Quellen das davidisch-salomonische Großreich überhaupt auch nur erwähnt – Klammer zu)

Schon David hatte vor, seinem Gott, dem Gott Israels, einen Tempel zu errichten, um ihn vor dem Volk und den Nachbarstaaten zu verherrlichen, aber auch, um ihn listenreich an einen festen Wohnsitz zu binden als Garantie des Fortbestandes Israels.

Aber – so erzählt es die Bibel: Gott selbst verbietet ihm das, denn an seinen Händen klebt Blut, das Blut des Hethiters Uria, den David hat im Krieg ermorden lassen, um seinen Ehebruch mit Batsheba, dessen Frau, zu vertuschen; Sie kennen die Geschichte?

Und jetzt darf Salomo, der Herr über 700 Frauen und 300 Nebenfrauen in seinem Harem, das Lebenswerk des Vaters vollenden.

Und mitten in einem Gebet der großen Worte, das ja auch ein klein bisschen der Majestät der eigenen Person bühnenshowmäßig dienen soll und dient, blitzt und blinkt da doch fast überraschend sprichwörtlich salomonische Weisheit durch:
Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?

Und das heißt ja zum einen: wer bin denn ich, dass ich dem Unendlichen, dem Ewigen Israels ein Haus bauen oder zumindest einweihen könnte oder sollte?

Schimmert da etwas durch wie Martin Luthers Panikattacke bei seiner ersten Messe: im Angesicht Gottes – wer bin denn überhaupt ich vor dem lebendigen Gott?

Luther hat die Szene oft geschildert: bei seiner Primiz, seiner ersten von ihm gelesenen Messe, packt ihn wahre Panik beim Gebet „Te igitur, clementissime Pater“ und er will weg vom Altar flüchten, woran ihn sein Prior gerade noch hindern kann. Katholische Amtsbrüder haben mir versichert, dass das selbstverständlich ein Moment sei, der an die Existenzgrundlage eines Neupriesters gehe: das Hochgebet unmittelbar nach der Wandlung, das er an den im Brot jetzt präsenten Gott zu richten habe.

Zurück zu Salomons Fragestellung bei der Tempelweihe in Jerusalem: Braucht Gott überhaupt ein Haus? Können, ja: sollen wir ihn denn nicht besser unter freiem Himmel verehren wie das bei uns an Himmelfahrt zur Tradition geworden ist? So wie wir heute am Fest Christi Himmelfahrt?

Da gibt’s ja den gebräuchlichen Satz, den Pfarrer - etwa beim Geburtstagsbesuch - immer wieder zu hören bekommen: meinen Gott finde ich draußen beim Wandern, im Wald. Eine Kirche brauche ich dazu nicht!

Und dazu die alte Pfarrerreplik (meist nur gedacht oder allenfalls gemurmelt): dann soll Dich doch später mal der Oberförster beerdigen…

Im Ernst: Andachten unter freiem Himmel, wie ich sie immer wieder viele Jahre lang auf Gemeindefahrten gefeiert habe, gehören zu meinen schönsten Erinnerungen, im Wald, oder in der Wüste, wo etwa die Landschaft zum Ausleger des 23. Psalms wurde.

Und doch andererseits: Menschen brauchen Kirchen – das spüren wir schmerzlich in einer Zeit, die uns zu Digitalgottesdiensten nötigt.

Das sehen und erleben wir ja zu den Öffnungszeiten unserer Kirche an Werktagen: Menschen, die eine Kerze anzünden, für andere, für sich selbst, einfach nur still da sitzen – und dazu den umbauten Kirchenraum brauchen und nützen.
Und ganz gewiss ist dazu eben auch der Alltagsraum geeignet für private und unprätentiöse Kurzandachten.

Ein kleiner praktischer Vorschlag dazu: ganz am Ende eines Tages, so kurz vorm Einschlafen einfach mal die schönsten Sequenzen und Momente des vergehenden Tages im Geiste vor uns vorbeiziehen lassen, um dann schlicht „Danke, Gott“ zu sagen.

Wie gesagt, beides ist gut und weise: mitten im Freien, mitten im Alltag einfach mal nur so an Gott denken. Ja, auch im Urlaub. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch, was das früher mal war: Urlaub…

Und sich dann wiederum, wenn das hoffentlich bald wieder geht: im Kirchenraum mit hineinnehmen lassen in die Geschichte Gottes mit allen seinen Menschen, sich als winziger und demütiger Teil eines ganz großen Ganzen zu fühlen. So muss es mit einem Mal damals Salomo bei der Einweihungsfeier für den funkelnagelneuen Tempel in Jerusalem ergangen sein.

Himmelfahrt ist ein schönes Fest, meist bei schönem Wetter. Vollkommen fälschlich ja auch Vatertag genannt…

Ich denke, hinter diesem Feiertag steht eine zunächst sehr schmerzliche, aber dann sehr befreiende Erfahrung der Urgemeinde damals in Jerusalem.

Um sie neu zu verstehen, lassen Sie uns einen Umweg über die Zoologie gehen.
Wie wird ein junger Bär selbständig und mündig?

Das geschieht, wenn die jungen Bären etwa zwei Jahre alt sind und die Mutter erneut trächtig wird. Sie treibt dann die kleinen Bären mit großem Nachdruck auf einen hohen Baum und setzt sich schnell ab. Bis dahin haben die Kleinen gelernt, dass das Kommando der Mutter in jedem Fall unbedingte Gültigkeit hat. Und so sitzen sie mit wachsender Ungeduld und Angst und steigendem Hunger hoch im Baum, bis sie die Einsicht ins Notwendige zwingt, den Baum zu verlassen, um jetzt selbständig ins Erwachsenenleben, ja auch ins Erwerbsleben zu treten – und der eigene Futtererwerb beginnt.

Ich denke, das steht hinter der urgemeindlichen Erfahrung von Himmelfahrt. Ich sehe in erstaunte Gesichter.

Da gibt es eine Zeit damals in Jerusalem, wo die Jüngerinnen und Jünger noch eine Zeitlang nach Ostern irgendwie fühlten und glaubten, ihr Meister sei nach wie vor mitten unter ihnen. Und dann geht dieses Gefühl für immer von ihnen, geht der Meister von ihnen für immer.

Und sie lernen, von nun an müssen wir als Gemeinde auf eigenen Füßen stehen, müssen wir geistlich erwachsen werden. Unsere spirituelle Ausrüstung bleibt uns, die hat ER uns überlassen, ER, der jetzt für immer nicht mehr unter uns ist. Das, was er uns gelehrt hat, befähigt uns zum aufrechten und erwachsenen Gang als seine Gemeinde.

In einem Gebetbuch für Kirchentag stehen die Worte:

Ich bin hier.
Ich habe Zeit.
Ich spüre den Boden unter mir.
Ich bin getragen.
Du, Gott, trägst mich.
Danke!
Von allen Seiten umgibst du mich.

Ich atme. Ich atme ein und atme aus.
Mein Atem kommt. Mein Atem geht.
Und kommt von Neuem.
Ich bin lebendig.

Ich atme. Ich atme ein und atme aus.
Mein Atem kommt. Mein Atem geht.
Und kommt von Neuem.
Ich bin lebendig.
Du, Gott, bist mein Leben.
Danke!
Du hast mich wunderbar gemacht.

Ich denke an das, was ich erlebt habe
in den vergangenen Stunden:
was mich erfreut hat oder geärgert hat …
was mich berührt oder provoziert hat …
Danke für alles!
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz.

Ich denke an die Menschen,
denen ich begegnet bin: …
Du warst dabei!
Du verstehst meine Gedanken von ferne.

AMEN

Ökumenische Fürbitte
Großzügiger Gott,ich danke Dir für diesen neuen, frischen Tag. Einen Tag, den ich mir nicht verdient habe, aber einen Tag, den Du mir gegeben haben. Einen Tag gefüllt mit Gemeinschaft und Verbundenheit. Zu oft sehe ich nur Unterschiede, wenn ich in die Gesichter um mich herumschaue. Ich habe Sorge vor zu großer Nähe. Ich habe Angst die Bedürftigen zu erkennen, die mit Mangel leben. Ich traue mich nicht, in mich selbst zu schauen und die Widersprüche zu betrachten. Zeige mir den Weg in eine Beziehung mit allen Deinen geliebten Kindern, von denen jedes seine Heiligkeit offenbart. Und auch ich bin eines von ihnen.

Für Frieden und Gemeinschaft, öffne meine Augen!

Verbindender Gott, ich danke Dir für unsere christlichen Geschwister hier vor Ort und in der ganzen Welt. Wir versammeln uns vor dir und du versorgst und reichlich. Wir leben gemeinsam hier in diesem Ort, in dieser Stadt, in diesem Land. Heute feiern wir gemeinsam und morgen sind wir schon wieder verstreut und voneinander getrennt. Vielleicht auch wieder fremd. Du zeigst uns, dass wir nur in der Gemeinschaft genug Nahrung finden. Nur, wenn wir alle zusammenlegen, ist genug für alle da. Zeige mir den Weg, wie ich jedes deiner Geschöpfe mit dem Herzen ansehen kann. Hilf mir, dass ich auch Fremdlinge von jenseits meiner Gemeinde, meines Ortes, meiner Stadt und meines Landes in meine Nähe lasse.

Für Frieden und Gemeinschaft, öffne meine Augen!

Dreieiniger Gott, heute leben wir die Ökumene, mit kleinen oder mit großen Schritten. Wir sehen unsere gemeinsame Mission in Deiner Welt. Ich bitte Dich für Freundlichkeit in unseren Glaubensgemeinschaften, auch wenn wir uns in manchem uneinig sind. Ich bitte Dich um Weisheit und Einsicht, um die Einheit aufrechtzuerhalten, ohne Einheitlichkeit zu fordern. Zeige mir den Weg, in unseren Gemeinden die Vielfalt zu feiern, anstatt sie zu einem Grund zur Spaltung zu machen. Hilf mir, meinen Teil beizutragen, um Christ*innen zueinander zu führen und Versöhnung zu bringen.

Für Frieden und Gemeinschaft, öffne meine Augen

Vater Unser

Segen

Musik

Gottesdienst am 9.5.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

An diesem Morgen begrüße ich Sie herzlich an Ihren Bildschirmen. Beten – macht das heute noch Sinn? Bewirkt es etwas? Um diese Fragen geht es an diesem Sonntag, der den Namen „Rogate“ trägt – das heißt eben „Betet!“ Für die einen gehört das Beten ganz natürlich zum Tagesablauf hinzu, andere wieder können gar nichts damit anfangen. Mit Ihnen möchten wir heute einen Weg gehen und erkunden, wie das Leben und das Beten zusammengehören. Zum Anfang hören wir dazu das biblische Wort der neuen Woche aus Psalm 66,20, das eine besondere Erfahrung enthält und sagt: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft und seine Güte nicht von mir wendet.“

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 95
Kommt, lasst uns Gott zujubeln!
Wir wollen ihn loben, den Fels, bei dem wir Rettung finden!
Lasst uns dankbar zu ihm kommen
Und ihn mit fröhlichen Liedern besingen!
In seiner Hand liegt alles – von den Tiefen der Erde
Bis zu den Gipfeln der höchsten Berge.
Ihn gehört das Meer, er hat es ja gemacht, und seine
Hände haben das Festland geformt.
Kommt, wir wollen ihn anbeten und uns vor ihm beugen.
Lasst uns kommen vor den Herrn, unseren Schöpfer!
Denn er ist unser Gott, und wir sind sein Volk.
Er kümmert sich um uns wie ein Hirte,
der seine Herde auf die Weide führt.

Gebet
Gott, ich vernehme die Worte dieses Psalms. Und doch frage ich: Hörst du mich? Oder hallt mein Gebet ins Leere? Ich rufe zu dir in meiner Not, ich liege wach, meine Gedanken kreisen. Vor dir, so sagen sie, kann ich meine geheimsten Gedanken zu Ende denken, kann in Worte fassen, was ich sonst niemandem sage.

Hörst du mich, Gott?  Klingt mein Rufen hinauf bis zu dir oder bleiben meine Worte ungehört? Vernimmst nicht einmal du, was ich hinausschreien muss? Nimmst nicht einmal du wahr, wie es um mich steht?

Und doch - ich bin gewiss, dir kann ich meine innere Traurigkeit zeigen, kann auch von meinen Ängsten sprechen, zu versagen. Vor dir kann ich sein, wie ich bin.
Dafür danke ich dir. Lass mich dich in meinen Gebeten suchen und dich finden.
Amen.

Lied: 444,1.3.4 Die güldene Sonne

Der Predigttext dieses Tages findet sich im Buch Jesus Sirach 35,13-18a. Dieser Text aus den sogenannten Apokryphen ist für diesen Sonntag in der neuen Perikopenordnung der EKD vorgeschlagen.

„Gott hilft dem Ärmsten ohne Ansehen der Person und erhört das Gebet des Unterdrückten. Er verachtet nicht das Flehen der Waisen noch die Witwe, wenn sie ihre Klagen ausschüttet.
Laufen ihr nicht die Tränen die Wangen herunter, und richtet sich ihr Schreien nicht gegen den, der die Tränen fließen lässt?  
Der Mensch, der Gott dient, wird mit Freude angenommen, und sein Gebet reicht bis in die Wolken. Das Gebet eines demütigen Menschen dringt durch die Wolken, und es lässt nicht nach, bis es sein Ziel erreicht hat;
es gibt nicht auf, bis der Höchste sich seiner annimmt.“

Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,
es war einmal ein Seufzer. Der kam tief aus dem Herzen einer jungen Frau, er schlüpfte durch ihren Mund und schwebte unsichtbar durch die Luft in Richtung der Wolken. Der Seufzer hieß: „Ach Gott! Wie soll es nur weitergehen?“ Ein kleiner Satz nur, aber ein ganzes Leben steckte darin. Sie musste sich völlig neu orientieren.  Ihre Lebenspläne waren durcheinandergeraten. Und es war ganz anders gekommen, als sie es sich immer vorgestellt hatte. Nun war sie wieder allein, war ganz jung schon Witwe geworden. Niemand, der sie versorgte. Noch durfte sie im Haus bleiben, aber die Gnadenfrist würde bald ablaufen. Ihre Familie war da, ja, sie würde sie unterstützen. Aber wer will schon auf die Barmherzigkeit der anderen angewiesen sein?  „Ach Gott, wie soll es nur weitergehen mit mir?“ So viele Gedanken steckten in diesem kleinen Seufzer. Schwer, dunkel und kaum zu ertragen. Dieser Seufzer - der war gar nicht als Gebet gemeint. Gar nicht als Suche nach Trost und Gewissheit, oder als Zwiesprache mit Gott. Nein, dieser Seufzer war einfach nur ein Stoßseufzer. Eine Klage. Gerade mitten aus der Dunkelheit ihres Lebens.

Lied + 26,1.2 Aus der Tiefe

Und doch – dieser tiefe Seufzer machte sich auf den Weg durch die Luft und flog in Richtung Wolken. Und er blieb doch nicht unbemerkt: als er die Wolken durchbrach, landete er direkt in Gottes Ohr. Und Gott war wach. Er hörte all das, was da mitschwang:  alle Trauer. Alle Angst. All diese Ratlosigkeit, und auch die kleinen Hoffnungen, die doch irgendwie mit dabei waren. Und in Gottes Ohren wurde aus dem Seufzer ein Gebet. Und dieses Gebet bewegte Gottes Herz.

Stellen wir uns nun einen Moment lang vor, es würde weitergehen wie in einem Märchen: da würde Gott die Sterne vom Himmel regnen lassen in die Schürze dieser Frau, und würde sie in Goldmünzen verwandeln. Oder er würde eine andere Witwe schicken, die reich ist, die geerbt hat und mit der unsere Frau nun in einer WG leben würde und einen Laden eröffnen könnte. So wäre das in einem Märchen. Aber in Wirklichkeit?  In unserer Wirklichkeit sind solche traumhaften Gebetserhörungen selten – auch wenn es sie durchaus auch geben kann. Gebetserhörungen funktionieren oft nicht eins zu eins.

So wie ich es bisher in meinem Leben erfahren habe, sieht es eher anders aus: wenn ich ein Unglück erlebt habe, etwas, was mich aus der Bahn geworfen hat, von jetzt auf gleich, dann weine ich, ich schimpfe auch, ich lasse meiner ganzen Not freien Lauf. Ich klage anderen mein Leid und muss es irgendwie loswerden. Ich mühe mich ab mit meinen Gefühlen und ich suche nach Lösungen, die mir jetzt helfen.  Und zwischendurch schicke ich einen Seufzer und Tränen in den Himmel, hoffe auf ein Wunder und weiß im nächsten Moment gar nicht, ob ich damit rechnen darf. Und dann kommen da diese Fragen: „Ich habe das Gefühl, als ginge mein Gebet nur bis zur Zimmerdecke. Hört Gott mich denn eigentlich? Lässt er sich bewegen von meinem Gebet? Wird er meine Tränen trocknen, wird er mich Heilung sehen lassen?“

Die Bibel sagt dazu: Doch. Gott hört uns. Und er lässt sich von uns bewegen. Gott reagiert auf unsere Tränen und auf unser Leid. Manchmal auch auf sehr verblüffende Weise und sehr unterschiedlich.

Ich denke an Hagar, die Magd von Sarah; sie erwartet und bekommt ein Kind von Abraham. Als sie mit ihrem Sohn in die Wüste verbannt wird, hat sie nicht einmal mehr Kraft für ein Gebet. Nur noch für Tränen reicht es, während sie meint, sie müsse ihrem Sohn beim Verdursten zusehen. Gott aber hört das Weinen des Kindes und schickt einen Engel, der ihnen einen Brunnen zeigt. Beide überleben und verbringen ihr Leben am Rande der Wüste. Das ist wohl nicht das, was Hagar sich gewünscht hat. Aber sie und ihr Sohn dürfen leben.

Und ich denke an Paulus, den Prediger, Apostel und Missionar.  Er reist durch den Mittelmeerraum und erzählt den Menschen von Gottes Liebe, die er in Jesus Christus gezeigt hat. Paulus trägt an einer schweren Krankheit.  Sie behindert ihn, und er bittet Gott um Heilung. Nun heißt Gottes Antwort: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Es ist nicht ganz das, was Paulus sich erhofft hatte, aber es macht ihm Mut, es stärkt seine Seele und es hilft ihm, dennoch zu leben und nicht aufzugeben.

Wenn Sie an Ihr Leben denken: Gab es da Situationen, wo Ihr Klagen erhört worden ist?  Haben Sie es erlebt, dass Ihr Beten etwas zum Guten verändert hat? Vielleicht ganz anders, als Sie es sich erhofft haben -  aber doch so, dass Sie im Rückblick sagen können: „Ja, da hat Gott mir geholfen, da habe ich eine neue Perspektive gefunden, eine neue Kraft für mein Leben. Da bin ich trotz allem hindurchgekommen“?

Lied: +26,4 Aus der Tiefe

Erstaunlicherweise geht der Schreiber unseres Predigttextes fest davon aus, dass Gott ganz besonders das Gebet der Witwen und Waisen, der Ärmsten und Demütigen hört. Warum? Weil sie es sind, auf die sonst niemand hört. Die keine Lobby haben, keine Fürsprecher. Die, die sozial schwach sind und bedürftig, sie liegen Gott ganz besonders am Herzen. Gerade sie sollen nicht unter die Räder kommen. So ist es in der Thora festgehalten. Die Witwen und die Waisen haben einen Anspruch auf Versorgung; sie sollen besonders als Menschen mit Rechten und mit Würde wahrgenommen werden. Und darum ist es die Aufgabe jeder Frau und jedes Mannes, die sich selbst als gläubig bezeichnen oder als gottesfürchtig, die Klagen dieser Ärmsten zu hören und auf sie zu reagieren.

Darum könnte die Geschichte vom kleinen, tiefen Seufzer so weitergehen:

Auf dem Weg vom Herzen der Frau bis hoch zu den Wolken kam der Seufzer an einigen Menschen vorbei. Am Hausbesitzer zum Beispiel – und dem fiel der Satz aus der Thora ein: „Witwen und Waisen dürft ihr nicht ausbeuten“ (aus dem 2.  Buch Mose 22,21). Und er ging zu der Frau und bot ihr an, ihre Miete zu senken. Und der Seufzer kam an einer alten Freundin vorbei, die mit ihrem eigenen Leben, ihrer Familie und ihren Kindern so beschäftigt gewesen war, dass sie das Schicksal der Frau kaum wahrgenommen hatte. Und nun ging sie zu ihrer Freundin und fragte sie: „Was brauchst du? Hab keine Scheu, es mir zu sagen.“

So kann es gehen, wenn ein Seufzer sich auf den Weg zum Himmel macht. Wenn wir selbst seufzen, dann dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott uns wirklich hört.

Und wenn wir die Seufzer eines anderen Menschen hören, dann ist es unsere Aufgabe, darauf zu reagieren und zu antworten. Eines aber gilt: jedes Gebet trägt eine Kraft in sich. Wir dürfen groß vom Beten denken. Beten hat Folgen.  Es kann andere zum Handeln bringen.

Jedes Gebet verändert uns. Es bewegt Gott. Und es verändert unsere Mitmenschen, indem es sie barmherziger machen kann. Darum ist es lebenswichtig, am Beten festzuhalten.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen.

Lied: + 31 Der Herr segne dich

Fürbitten
Du, unser Gott, Barmherziger, den Faden zu Dir immer neu knüpfen, mit Herz und Seele an Dir hängen, das hält uns lebendig, innerlich wie äußerlich. Manchmal ist unser Beten nur Schweigen, nur ein Stoßseufzer oder eine Klage. Dann wieder ist es überschwänglicher Dank oder ein jubelndes Lied. So sind wir da und hoffen, dass Du uns hörst, Dich bewegen und berühren lässt, dass Du Situationen und Menschenherzen verändern kannst.

Heute danken wir Dir für unser Leben. Dass wir versorgt sind mit allem, was wir benötigen. Für unsere Familien und Freundinnen und Freunde danken wir, für alle, die sich um uns sorgen und nach uns fragen.

Wir bitten für alle, die nicht mehr beten können. Denen der Zweifel, die Enttäuschung oder die Verbitterung den Mund verschlossen hat.  Öffne ihnen eine neue Tür zu Dir. Schenke ihnen neuen Mut, Dir zu vertrauen.

Wir bitten für alle, die erkrankt sind. Dass sie die Hoffnung nicht verlieren, geduldig mit sich sind, Hilfe und Genesung erfahren, wo immer es möglich ist.

Für alle, die sich am Rande der Gesellschaft und übersehen fühlen, bitten wir. Schenke ihnen Wertschätzung und einen liebevollen Menschen, der an ihrer Seite ist.

Wir bitten für alle, die politisch verfolgt werden. Dass ihre Botschaft gehört und respektiert wird. Schenke ihnen Recht und Befreiung.

Für alle Trauernden bitten wir, die einen Menschen verloren haben. Lass sie Trost erfahren. Lass ihnen Hilfe und Beistand nahe sein.

Du, Kraft unseres Lebens, öffne unsere Sinne für die Zeichen Deiner Gegenwart. Stärke uns und lass uns zuversichtlich leben vor Deinem Angesicht.

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden
Amen

Musik

Gottesdienst am 2.5.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik als Medizin; die heilende Kraft des Gesangs; Singen und Veränderung
Der Sonntag ‚Kantate‘ ist der Sonntag des Singens.  Der erleichterte Dank, das Loblied der Geschöpfe, der mutige Gesang gegen Unrecht und Angst – unsere Lieder vereinen sich zu einem vielstimmigen Lobgebet. Wo er so besungen wird, dort ist Gott ganz nah. Und dort können wir uns wandeln zu liebevollen, verantwortlichen und dankbaren Menschen.

Musik

Begrüßung
Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder. Der Wochenspruch aus Psalm 98 (V.1) hat auch diesem Sonntag seinen Namen gegeben: Singet! Kantate! Auch wenn es uns manchmal schwer möglich ist zu singen: Im Singen und im Loben bringen wir unseren Glauben zum Ausdruck. Wir bringen vor Gott, was uns das Leben schwermacht und loben ihn für die Wunder, die er an uns tut. So feiern wir diesen Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Psalm 98
Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder. Er schafft Heil mit seiner Rechten und mit seinem heiligen Arm. 2 Der HERR lässt sein Heil verkündigen; vor den Völkern macht er seine Gerechtigkeit offenbar. 3 Er gedenkt an seine Gnade und Treue für das Haus Israel, aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes. 4 Jauchzet dem HERRN, alle Welt, singet, rühmet und lobet! 5 Lobet den HERRN mit Harfen, mit Harfen und mit Saitenspiel! 6 Mit Trompeten und Posaunen jauchzet vor dem HERRN, dem König! 7 Das Meer brause und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. 8 Die Ströme sollen in die Hände klatschen, und alle Berge seien fröhlich 9 vor dem HERRN; denn er kommt, das Erdreich zu richten. Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker, wie es recht ist.

Lied: 287     Singet dem Herrn ein neues Lied

Eingangsgebet
Singen wollen wir dir, Herr, und deinen Namen preisen.
Doch oft bleibt uns das Wort im Hals stecken. Not und Leid dieser Welt machen uns sprachlos. Auch unsere Umwelt leidet stumm.
Darum bitten wir dich: Befreie uns aus aller Not und unserem Kleinglauben, gib uns Worte, da Öffne unsere Ohren, dass wir dein Wort hören und die Sorgen unserer Mitmenschen nicht überhören; öffne unsere Augen, dass wir deine Wunder sehen und die Not nicht übersehen, die uns begegnet; öffne unseren Mund zu Klage und Lob, dass wir dir singen in der Kraft des Heiligen Geistes.

Lesung
Musik hat die Kraft, das verstörte Gemüt von Menschen aufzuhellen. So wird es vom jungen David erzählt, der für König Saul auf der Harfe spielt.
 
Alttestamentliche Lesung: 1. Samuel, 16, 14-23

Lied: 501    Wie lieblich ist der Maien

Predigt
Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder. Ps 98, 1

Liebe Gemeinde,
Singen: als Kind mit dem Schulchor die Carmina Burana, dort in Königstein, wo jetzt die Orgel aus der Johanneskirche aufgebaut worden ist. Melodien, die mich mein ganzes Leben begleiten, obwohl ich danach nie wieder in einem Chor gesungen habe. Aber im Gottesdienst. Und ein paarmal in einer leeren Kirche zusammen mit meiner Frau. Für uns kam es aus ganzem Herzen. Es war wie ein inniges Gebet für mich. „Wie lieblich ist der Maien“ in einer leeren Klosterkirche in Thüringen.

Singen: Irgendwann vor ihrer Konfirmation sagte der Pfarrer zu ihr: „Du stellst dich dann ganz hinten hin, wenn wir im Gottesdienst unser Konfirmandenlied singen. Und dann machst du einfach nur den Mund auf und zu und tust nur so, als ob du singen würdest!“ Das erzählte mir die alte Dame mit bebender Stimme. Und dass sie jetzt doch manchmal singen würde. Obwohl ihr die Worte von damals immer noch weh tun. Ein Wunder überhaupt, dass sie nicht aufgehört hat zu singen. Und ein Wunder, dass ihr der Glaube nicht abhandengekommen ist.

Singen: Was uns etwas bedeutet, spüren wir, wenn wir es nicht mehr haben. Im Moment des Verlusts. Für mich ist es nun schon das zweite Jahr, in dem eines meines Lieblingslieder gewissermaßen nicht funktioniert: Denn das tut es nur mit anderen, als Gemeindegesang oder sagen wir: also Mindestens zu Zweit. Es gibt ein paar Lieder im Gesangbuch, die mich so ergreifen, dass ich manchmal dabei weinen muss. Unser Kantor und Organist Frank Scheffler könnte viel darüber sagen: die heilsame Wirkung des Gesangs; das Singen in der Gemeinschaft; die positive Wirkung auf Körper, Geist und Seele.

Ich erinnere mich an den heiligen Schauer, den ich in einem Gottesdienst in Schönberg empfand, als im Lied „Du meine Seele singe“ der Posaunenchor einsetzte. Das war gewaltig, dazu der brausende Gemeindegesang. Für mich haben viele Lieder eine reinigende, kathartische Wirkung. Und deshalb gehört fehlender Chor- und Gemeindegesang in Coronazeiten auch zu der seelischen Inzidenz, die Bischof Bedford-Strom neulich angesprochen hat. Zu etwas, was wir schmerzlich vermissen.

Singen ist also nicht nur singen. Es macht etwas mit uns, wie das Beten; es ist eine Kraft, die eine Veränderung bewirken kann. Nicht nur mit uns, sondern über uns hinaus, wie das Gebet.

Kantate, Singt! Das Singen ist Ausdruck des gelebten Glaubens. Wenn wir die schönen Lieder singen, dann empfinden wir zugleich den Widerspruch zu unserer Wirklichkeit. Singen wir von Gottes Herrlichkeit und beklagen das Leid der Menschen in Indien. Wenn wir von dem Frieden singen, den uns Christus gebracht hat, dann gehört dazu, dass wir über den Unfrieden klagen und sehen, wo Menschen unter Krieg und Verfolgung leiden. Wenn wir in der Osterzeit davon singen, dass Gott neues Leben schenkt und uns frei atmen lässt, dann denken wir an George Floyd und stimmen ein in die Rufe gegen Rassismus auch hier bei uns. Wenn wir in den Liedern Gottes wunderbare Schöpfung besingen hören wir zugleich das Seufzen der Kreatur und denken an den Klimawandel und das Leiden von Pflanzen und Tieren und treten ein für das Lebensrecht der Natur und der nachfolgenden Generationen.

Singen:  es kann für uns nicht beim Singen allein bleiben. Wir freuen uns am Gesang. Ich kann gar nicht abwarten, dass es wieder erlaubt ist in der Kirche, die Zeit wird sehr lang. Ich weiß das alles ganz neu zu schätzen. Und ich weiß jetzt, dass es so nicht weitergehen kann.
Mit dem Gesang können wir uns gegenseitig dazu stärken. „Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit, mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.“ So heißt es in der Epistel für heute. Selbst wenn wir im Gottesdienst noch nicht miteinander singen können, können wir einstimmen in den großen Gesang der Kirche und in das Lob der ganzen Schöpfung und der Welt, wie sie ist und wie sie sein wird mit Gottes und mit unserer Hilfe: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Erde verändert ihr altes Gesicht. Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Erde lebt auf und wird licht.“
Amen

Lied

Gebet und Fürbitten
Gott, du Herr des Lebens, dich preisen wir mit unseren Liedern;
doch wir rufen auch wegen des Unrechts, das in der Welt geschieht. Mit unseren Klagen und Bitten kommen wir zu dir:
 
Wir beklagen die Friedlosigkeit, die an so vielen Orten der Erde herrscht,
und bitten für alle Frauen, Männer und Kinder, die an den Folgen von Hass leiden, wir bitten für die Menschen, die auf der Flucht sind und für die, die bei uns in Frieden leben wollen.
Wir rufen zu dir: Herr, erhöre uns.
 
Himmelschreiend ist das Unrechts, das uns in der Nähe und in der Ferne begegnet, und wir bitten dich für alle Menschen, denen die Freiheit zum Atmen fehlt und für die, die unterdrückt und benachteiligt werden, wir bitten für die Kinder, die Opfer von Gewalt und Missbrauch werden.
Wir rufen zu dir: Herr, erhöre uns.
 
Wir loben deine Schöpfung und bringen vor dich ihrLeiden, wir beklagen das Aussterben von Tierarten und die Massentierhaltung; wir sorgen uns um das Klima auf der Erde und die Verwüstung von Lebensräumen, wir bitten dich für die belebte und unbelebte Natur.
Wir rufen zu dir: Herr, erhöre uns.
 
So oft vergessen wir beides: wir schreien nicht vom Unrecht, das wir sehen,
und wir singen nicht von der Hoffnung, die wir haben.
Wir rufen zu dir: Herr, erhöre uns.
 
Wir bitten dich für uns alle:
Gib uns den Mut und die Freude, dir Lob zu singen.

Vater Unser

Segen

Abkündigungen

Musik

Gottesdienst am 25.4.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik
Begrüßung
Jubilate – freut euch! Das ist der Name dieses Sonntags. Dazu ein herzliches Willkommen hier aus der Wilhelmskirche in Bad Nauheim! Freut euch – das Osterlicht leuchtet. Die Osterfreude klingt weiter. Die Welt um uns herum steht in voller Blüte, und wir atmen etwas von der Schöpfung, die wieder neu wird.
Das passt gut zu dem Wochenspruch er Bibel aus dem 2.  Korintherbrief; er lautet: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen, sieh: Neues ist geworden!“
So lasst uns diesen Gottesdienst feiern im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 66
Jubelt Gott zu, all ihr Menschen auf der Erde! Singt und musiziert zu seiner Ehre. Rühmt seinen Namen heute und morgen. Du handelst in Liebe und dein Werk ist Erbarmen.
Für deine Kinder verwandelst du das Meer, machst es zum gangbaren Weg, zur trockenen Bahn. Durch deine Hand wird unser Leben erhalten. Du bewahrst uns, dass unsere Füße nicht gleiten, und deine Augen blicken auf unser Tun. Jubelt ihr Länder, lasst alle Welt zur Ehre Gottes singen. Alle werden sich vor dir beugen, du Höchster.

Gebet
Du naher und ferner Gott zugleich, wir kommen vor dein Angesicht an diesem Tag. „In dir leben wir und sind wir“, so hören wir es heute. Eine jede und ein jeder ist mit dir, unser Gott, verwoben. Deine Nähe durchzieht unser Leben so wie ein roter Faden. Mal nehmen wir ihn wahr, mal läuft er verdeckt durch das Webmuster unseres Lebens. Wir suchen dich – hinter den Wundern deiner Schöpfung und zwischen den Rätseln unseres Lebens. Und wo wir dich gefunden haben, da hüpft unsere Seele vor Freude. Lass dich von uns finden. Darum bitten wir dich im Namen deines Sohnes Jesus Christus, unseres Bruders und Herrn. Amen.

Lied EG 324,1.2.12.13  Ich singe dir mit Herz und Mund

Lesung  Apostelgeschichte 17,22-34 (nach der Hoffnung für alle und der Bibel in gerechter Sprache)

Paulus wartete in Athen auf seine Mitarbeiter Silas und Timotheus. Er erfuhr, dass die Athener immer gerne etwas Neues sagen oder hören wollten. Nun stand er mitten auf dem Areopag, dem zentralen Platz der Stadt, und rief:  „Ihr Leute von Athen, ich sehe, dass ihr euren Göttern mit großer Hingabe dient. Denn als ich durch eure Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, habe ich sogar einen Altar gefunden, auf dem stand: ‚Für die unbekannte Gottheit‘. Diesen Gott, den ihr verehrt, ohne ihn zu kennen, den möchte ich euch nun bekannt machen.

Es ist der Gott, der die Welt und alles, was in ihr ist, geschaffen hat. Er ist Herr des Himmels und der Erde und wohnt nicht in Tempeln, die Menschen gebaut haben. Er lässt sich nicht von Menschenhänden versorgen, denn er selbst gibt allen den Atem, das Leben und alles, was notwendig ist. Aus einem Menschen ließ er die ganze Menschheit hervorgehen. Er will, dass die Menschen ihn suchen, mit ihm in Berührung kommen und ihn finden. In der Tat - Gott ist nicht fern von jeder und jedem von uns.  Denn in Gott leben wir, bewegen wir uns und sind wir. So wie es einige eurer Dichter gesagt haben: ‚Wir sind seine Kinder.‘

Wenn wir also von göttlicher Art sind, dürfen wir nicht meinen, dass wir Gott in Statuen aus Gold, Silber oder behauenen Steinen darstellen könnten. Dies sind ja doch nur Gebilde unserer Kunst und unserer Vorstellungen. Bisher hat Gott mit Geduld darüber hinweggesehen, nun aber fordert er die Menschen überall auf, umzukehren. Er hat einen Tag festgesetzt, um an ihm die Menschheit gerecht zu richten durch einen Mann, den er selbst dazu bestimmt hat. Er hat ihn gegenüber allen besonders ausgewiesen, indem er ihn von den Toten auferweckte.“

Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach, begannen einige Athener zu spotten, andere aber meinten: “Darüber wollen wir dich ein anderes Mal hören.“ Da ging Paulus von ihnen weg. Einige Leute aber schlossen sich ihm an und fanden zum Glauben. Darunter waren Dionysius, ein Mitglied des Gerichtes auf dem Areopag, und eine Frau namens Damaris, und weitere mit ihnen.

Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
es war in diesem Raum. Hier in der Wilhelmskirche. Die Stühle - zur Seite gestellt. Ein langes Seil war auf dem Boden ausgebreitet, in Form einer Spirale. Wir waren mitten in der Konfistunde. Einzelne Sätze des Glaubensbekenntnisses lagen verteilt an dem langen Seil auf dem Boden, und nun schritten die Jugendlichen das Seil ab; sie sollten an einem der Sätze stehenbleiben, der ihnen am meisten zusagte. „Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Hier stellten sich die meisten auf. Zwei weitere befanden sich an dem Halbsatz „gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.“ Und eine kleine Gruppe stand bei der „Auferstehung der Toten“. Andere Passagen lagen ganz ohne die Konfis da. Nun fragte ich die größte Gruppe: „Warum habt ihr euch zum 1.  Satz des Glaubensbekenntnisses gestellt?“ Ein Mädchen antwortete: „Gott verbinde ich am meisten mit der Natur. Ich kann ihn hier am besten finden.“ Ich ging weiter. “Und euch ist der Satz ‚gelitten unter Pontius Pilatus‘ am wichtigsten?“ „Ja, weil man das historisch beweisen kann,“ sagte ein Junge. „Alles andere muss man glauben.“ Ein Glaube, der sich hier für zwei Konfis erdet. „Ich sehe, dass ihr hier bei der Aussage von der ‚Auferstehung der Toten‘  steht.“ „Ja, das gibt mir Hoffnung in meinem Leben,“ war die Antwort. An einem Punkt können sich die Konfis in die Tradition einklinken, etwas von den überkommenen Glaubensinhalten mit ihrer Welt in Verbindung bringen, etwas in ihre Sprache übersetzen. Ja, die Aussagen des Glaubens müssen immer wieder übersetzt werden, sie müssen verständlich gemacht werden. Sonst sind sie für das Leben nichtssagend.

Vor dieser Aufgabe stand auch Paulus, der Apostel, als er einen Zwischenstopp auf seiner Missionsreise einlegte. Athen- das war einmal eine blühende Metropole. Hier waren die Götter in ihren bunten Tempeln zuhause. Die Stadt wurde zwar mit der Besetzung durch die Römer fast bedeutungslos; aber die Sehnsucht der Bewohner nach guten Lehren für ein glückliches Leben, diese Sehnsucht war ungebrochen. Wie kann Paulus dieser Kultur, die ja ganz anders ist als seine eigene, so von seinem Glauben erzählen, dass die Athener ihn verstehen? Woran kann er anknüpfen?

Paulus nimmt sich zuerst einmal Zeit. Das imponiert mir. Während er durch die Straßen geht, fallen ihm die kleinen und großen Tempel der verschiedenen Gottheiten auf, die angebetet werden und denen geopfert wird, damit sie den Menschen wohlgesonnen bleiben. Er schaut hin. Nimmt wahr, was da ist: „Ich sehe, dass ihr euren Göttern mit großer Hingabe dient.“ Daraus klingt Respekt. Und es klingt daraus Wertschätzung für den Glaubenshorizont der anderen. Wertschätzung und Respekt, das sind die grundlegenden Voraussetzungen für einen jeden Dialog zwischen Religionen.  Erstmal hinhören. Hinsehen. Ehrerbietung für die Vorstellungen, in denen der Andere lebt, Achtung für den Glaubenshorizont, in dem die Andere sich bewegt.  Diese Haltung ist auch in unserer Zeit, in unserer multireligiösen, gegenwärtigen Gesellschaft unbedingt vonnöten, damit es einen Zusammenhalt geben kann, damit Menschen, die ansonsten sehr unterschiedlich sind, friedlich zusammenleben können.

Paulus sieht die Tempel. Und dann da diesen besonderen Altar, gewidmet „Dem unbekannten Gott“. Warum steht der da? Wollen die Bewohner von Athen nur sichergehen, dass sie keine Gottheit dieser Welt übersehen? Befürchten sie, sonst irgendwie bestraft zu werden, wenn sie dieser unbekannten Größe keinen Respekt erweisen? Ist das eine religiöse Rückversicherung für alle Fälle? Mag sein. Vielleicht. Aber es steckt doch mehr dahinter: Sie sind neugierig. Im besten Sinne. Sie sind Menschen, die auf der Suche sind.

Das ist eine Haltung, die sagt: Wir gehen davon aus, dass es mehr gibt als das, was wir bisher begriffen und verstanden haben. Wir sind offen für Neues. Für das, was wir noch nicht wissen. Wir wollen mehr verstehen von dem, was diese Welt zusammenhält.

Unser Geist ist auf dem Sprung.

Genau das wertzuschätzen, ist erst einmal gut! Solch eine suchende Haltung ist die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt Forschung gibt. Wissenschaft, die hilfreich für uns Menschen ist; die uns weiter nach vorne bringt, uns zu Entdeckungen führt, gerade auch zu medizinischen Entdeckungen, die heilsam für uns sind, ja lebensrettend. Gerade in dieser Zeit erfahren wir Tag für Tag, wie wichtig solch eine suchende Haltung ist. Der Geist ist auf dem Sprung.

Aber auch die Seele ist auf dem Sprung.

Und daran knüpft Paulus nun auch an. Er knüpft an den leeren Altar an, geweiht „Dem unbekannten Gott“. Der leere Altar – ein großartiges Symbol ist das! Gott also lässt sich nicht darstellen. Der Mensch soll sich kein Bildnis von ihm machen. Gott lässt sich nicht einzwängen in das Korsett menschlicher Vorstellungen, nicht bannen in Statuen und Standbilder. Er lässt sich aber auch nicht nur auf unsere bisherigen Erfahrungen festlegen. Er überrascht uns je neu. Mit ihm zu leben, ist ein Abenteuer.

Der Altar, an dem wir Gott anbeten, ist leer. Und Paulus kommt ins Erzählen; kommt ins Schwärmen von dem Gott, der größer ist als Himmel und Erde, der vor und hinter allem Raum da ist, vor und hinter allen unseren denkbaren Kategorien von Zeit. Er ist die Kraftquelle des Lebens, sagt er.  Er ist der Ursprung aller Lebendigkeit. Er gibt und wir dürfen nehmen. Er ist von uns nicht abhängig. Und will es doch unbedingt mit uns zu tun haben! Gott will in einer Beziehung zu uns sein. Wir sind ihm keineswegs gleichgültig. Das heißt aber auch, dass wir mit Gott niemals fertig sind. Dass immer noch etwas Überraschendes kommen kann. Weil es ein gemeinsamer Weg ist mit ihm.

„Gott will, dass die Menschen ihn suchen, in Berührung mit ihm kommen und ihn finden“, sagt Paulus. Gott lässt sich demnach finden. Ist das mehr als eine Behauptung? Kann das in diesen schweren Tagen zu einem Versprechen werden? Kann das eine Verheißung sein? Das wäre so viel.

Und so höre ich Paulus, wie er uns über alle zeitliche Distanz hinweg zuruft: „Gib nicht auf.  Auch wenn du gerade meinst, nur dunkle Wolken über dir zu erkennen, auch wenn du den Weg nicht siehst, und um dich her nur Dickicht ist. Auch in deiner Irrsal und Wirrsal gib nicht auf. Wage es, Gott immer wieder zu suchen.  Suche nach Spuren von ihm. Frage nach ihm, bete, und du wirst es erleben, dass er sich von dir finden lässt. Du wirst Neues von ihm sehen!“

Gott lässt sich finden. Kann das sogar ein Trost werden? An vielen Tagen gehen wir gebückt unter der Decke der Pandemie. Wir seufzen in der Trauer um die Opfer. Und unsere Seele reibt sich wund an den schwierigen Fragen dieser Zeit, auf die es so schnell keine Antwort gibt und mit denen wir leben müssen. Aber trotzdem: es scheint mir, als öffnete Paulus uns eine Tür für eine besondere Wesensseite Gottes. Als sagte er zu uns: „Seht nicht nur auf die Ränder eures Lebens. Schaut hin! Wir alle sind nicht verlassen. Er ist uns näher, als wir ahnen. Von allen Seiten umgibt er uns und hält seine Hand über uns. Und wir können niemals tiefer fallen als nur in Gottes Hand. Gott ist um uns herum, so wie die Luft, die wir atmen. Wie das Wasser, in das wir eintauchen. Wie der Gesang der Vögel, die wir am Morgen hören. In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Und Gott ist da in jedem Zeichen der Liebe, das wir Menschen einander geben und voneinander annehmen. ‚Wo Barmherzigkeit ist und Liebe, da ist Gott‘, so singen wir es doch. Das gilt gerade jetzt, wo so viele Menschen sich einsetzen, um die Bedürftigen zu pflegen und für sie zu sorgen, in einer tiefen Solidarität und Barmherzigkeit. Gott ist da in jedem Zeichen der Liebe. Er will, dass wir ihn suchen.  Und er wird sich von uns finden lassen. An jedem Tag.“

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied EG 432,1-3 Gott gab uns Atem, damit wir leben

Fürbitten
Du, Gott, bist die Kraftquelle unseres Lebens, bist Ursprung aller Lebendigkeit. Wir danken dir für jeden Morgen, den wir sehen, für jede Stunde, die du uns schenkst. Wir loben dich für jedes Lachen in unserer Mitte. Wir preisen dich für das Licht des Tages und für die bergende Ruhe der Nacht.
Wir danken dir für alle Zeichen der Liebe, die wir empfangen von denen, die uns zugetan sind.  Von denen, mit denen wir verbunden sind durch die treue Gemeinschaft der Glaubenden. Halte uns alle in diesem guten Netz miteinander verbunden, damit niemand verloren geht und einsam wird.
Wir bitten dich für alle, die krank sind: stärke sie und tröste sie. Lass sie deine Gegenwart und Kraft spüren.
Wir bitten dich für alle Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte: gib ihnen die Kräfte, die sie benötigen und lass sie sich getragen wissen durch unsere Gemeinschaft und Vernunft.
Wir bitten dich für alle, die um einen Menschen traurig sind: sei du unsichtbar an ihrer Seite. Stärke ihre Schritte an jedem einzelnen Tag und schenke ihnen neue Hoffnung für ihr Leben.
Wir bitten dich für alle Familien, die unter besonderen Belastungen stehen. Gib ihnen Geduld und lass sie aufatmen. Schütze die Schwachen und die Kinder.
Lass uns dich finden in jedem Zeichen der Liebe.  Bleibe du uns spürbar nahe, barmherziger Gott. Mit den Worten des Vaterunsers sagen wir dir, was uns noch wichtig ist:

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.
 

Musik

Gottesdienst am 18.04.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Vorspiel

Begrüßung und Votum
Guten Morgen und herzlich Willkommen zum Gottesdiens. Am heutigen Sonntag fließen viele Themen zusammen. Schwerpunkt ist der gute Hirte, der seine Herde sammelt und zu neuen Weiden führt. Gleichzeitig denken wir heute an ein wichtiges Ereignis der Kirchengeschichte. Am 18. April 1521, also genau vor 500 Jahren, hielt Luther beim Reichstag zu Worms seine berühmte Rede vor dem Kaiser. Er beendete sie mit den kämpferischen Worten: „Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“ Elf Tage später kam Luther übrigens mit großer Sicherheit durch Bad Nauheim.
Ganz aktuell ist der bundesweite Gedenktag für die Coronaopfer, an die wir in der Fürbitte denken werden. Es sind drei sehr verschiedene Themen, denen wir heute in diesem Gottesdienst begegnen werden. Es ist eine Begegnung mit dem Leben. Freud und Leid, Herausforderungen und Ermutigung, Verantwortung und Sicherheit begegnen uns im Alltag. In diesem Gottesdienst betrachten wir sie im Lichte Gottes. Und so feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 23
1 Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. 2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. 3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. 4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. 5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. 6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Gebet
Gott des Lebens, durch die Auferstehung Deines Sohnes hast Du der hoffnungslosen Welt Deine Zukunft eröffnet. Schenke uns, dass auch wir aus dieser Hoffnung leben. Stärke uns in diesem Gottesdienst und lass uns die Welt im Lichte Deiner Auferstehung, Deiner Liebe und Deiner Gnade sehen und begreifen. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, Deinen Sohn. Amen.

Schriftlesung aus Hesekiel 34, 1-2; 10-16; 31
1 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? 10 So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. 11 Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. 12 Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. 13 Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande. 14 Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. 15 Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. 16 Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. 31 Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Lied 346 „Such wer da will ein ander Ziel“ 1,3,4

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Die Sonne steht hoch am wolkenlosen Himmel. Das saftige Grün der Wiesen reicht bis zum Horizont. Auf einer Weide blöken glückliche Schafe. Sie grasen, zwei Hunde laufen herum und halten die Herde beisammen. Vor seinem umgebauten Bauwagen sitzt der Hirte und schaut glücklich auf die friedliche Szene. Einen Kaffee in der Hand lächelt er in sich hinein. Zufrieden mit sich und der Welt.
Meine letzte Begegnung mit einem Hirten war im Fernsehen. Es war ein Bericht über einen Aussteiger, der zum Hirten geworden ist. Und die Szene mit den Schafen und dem Bauwagen ist irgendwie ambivalent. Einerseits wirkt sie völlig aus der Zeit gefallen: Der Beruf des Hirten ist in Deutschland seit Jahrzehnten quasi ausgestorben. Andererseits ist es es supermodern. Hirten stehen für die Rückbesinnung auf die Natur. Und es gibt anscheinend immer mehr Aussteiger. So ist das mit dem Hirtenbild generell. Eigentlich spielt es in unserem Alltag keine Rolle mehr und doch ist es erstaunlich gut in Erinnerung. Wir haben einige Redensarten, die auf das Hüten zurückgreifen. Dabei geht es um die Herausforderung, auf etwas aufzupassen und Verantwortung zu übernehmen. Das Haus hüten. Die Zunge hüten. Schön finde ich die Wendung: „Das ist wie einen Sack Flöhe hüten.“ Man hütet Dinge wie den eigenen Augapfel.

Aufpassen und Beschützen sind Grundaufgaben von Hirtinnen und Hirten. Sie tragen Verantwortung. Für Hesekiel steht der Hirte für Gott genau so wie für die politische und religiöse Elite der damaligen Zeit: 1 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?
Hier geht es eindeutig um Machtmissbrauch. Das ist ein topaktuelles Thema. Ihnen fallen sicher auf Anhieb Beispiele ein: Für Menschen, die die ihnen anvertraute Macht und Verantwortung zu ihrem persönlichen Vorteil nutzen. Abgeordnete, die über ihre Firmen Maskendeals vermitteln. Oder Geld für die Lobbyarbeit von autokratischen Staaten erhalten. Manager, die ihre Firmen mit Staatsgeldern gerade so vor der Pleite bewahren und wenig später Menschen entlassen und sich selbst fette Boni auszahlen. Menschen, die ohne Not staatliche Unterstützung und Solidarleistungen beantragen, um sich selbst zu bereichern. Mir fallen viele Beispiele ein, bei denen ich mich über den Missbrauch von großer und kleiner Macht aufregen könnte. „Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?“

Und in meiner Empörung über Machtmissbrauch muss ich an Martin Luther denken. Der ist heute vor 500 Jahren gegen Machtmissbrauch aufgestanden. Und das hat ihn richtig was gekostet. Wie mag es ihm wohl gegangen sein? Vor 500 Jahren an diesem 18. April morgens 10 Uhr in Worms auf dem Weg zum mächtigsten Mann der bekannten Welt? Wie mag er sich gefühlt haben, mit der Option, zu widerrufen und dann sein altes Leben wieder zu bekommen? Was mag er gedacht haben, als er beschlossen hat, dem Kaiser ins Gesicht zu sagen, dass er aus Verantwortung vor Gott nicht von seiner Meinung abweichen kann?  Martin Luther wusste sich von Gott getragen. Er vertraute seiner Erkenntnis, dass Gott gnädig ist, dass Gott seine Macht nicht missbraucht. Und auch Martin Luther war nicht unfehlbar. Auch er, der Heilige der evangelischen Kirche, hat seine ganz dunklen Seiten.

Ich denke, meine Wut über Menschen, die Macht missbrauchen und ihrer Verantwortung nicht nachkommen, ist gerechtfertigt. Aber tief in mir ahne ich, dass auch ich in dieser Gefahr stehe. Denn auch ich trage Verantwortung. In meinem Umfeld. Auch ich habe manchmal Hirtenfunktion. Und damit meine ich nicht nur, dass Pfarrerinnen und Pfarrer oft als Hirten bezeichnet werden. Ich trage Verantwortung in meiner Familie. Ich trage Verantwortung im Beruf. In meinem Ehrenamt. Oder für meinen Lebensstil. Sicher fallen Ihnen selbst Bereiche ein, in denen Sie Verantwortung und sogar Macht haben. Und wo Verantwortung ist, da ist Versagen leider nicht weit. Das ist menschlich.

Irgendwie bin ich jetzt in so eine Art Verantwortungsethik geraten. Mach nur alles richtig, dann wirst Du ein guter Mensch sein. Verantwortungsvoll zu handeln, ist absolut wichtig. Keine Frage. Aber wo bleibt da die Hoffnung im Angesicht der Realität? Es wäre nämlich fatal, wenn ich mit meiner Verantwortung und meinem Versagen ganz allein wäre. Nur auf mich selbst geworfen. Angewiesen darauf, dass ich das schon irgendwie wieder hinbekommen muss.

Die Hoffnung, die wir so dringend brauchen, kommt aus den speziellen Themen dieses Sonntages. Folgende drei Dinge sind mir dabei wichtig:
1. Wir kommen von Ostern. Am Kreuz ist unsere Schuld mit Jesus gestorben. Umkehr ist möglich. Und das allein aus Gottes Gnade. Für diese Erkenntnis hat Martin Luther vor 500 Jahren gekämpft. Und diese Erkenntnis trägt und befreit uns auch heute noch.
2. Die Worte des Propheten Hesekiel sind ein Feuerwerk der Hoffnung. Gott stellt eine wunderbare Zukunft für seine ganze Herde in Aussicht: „Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.“ Das ist eine grandiose Botschaft. Gott sucht mich. Auch wenn ich zu den Verlorenen gehöre. Auch wenn ich den Überblick verloren habe in der Pandemie. Gott sucht mich und bei Gott finde ich Geborgenheit und Zuversicht.
3. muss ich dann doch wieder ein wenig auf die Euphoriebremse treten. Der historische Kontext, in dem sich das Hesekielbuch verortet, ist die Zeit des Exils. Das Volkes Israel lebte in der Verbannung. Das Land lag mehr oder weniger in Trümmern. Im Text sagt Gott mehr als 10 Mal „Ich will“. Und man möchte ihm zurufen: „Na, mach doch!“ Die Zukunft, von der hier gesprochen wird, ist noch nicht angebrochen. Und doch hat der Text den Menschen über Generationen Hoffnung gegeben. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat das Volk Israel durch schwere Zeiten getragen. Und diese Hoffnung ist es, die uns auch heute tragen kann. Mehr noch. Aus dieser Aussicht auf die Zukunft können wir handeln. Und etwas verändern. Uns. Die Umstände. Wir können Gott näher kommen. Wir können aus der Gnade leben. Dazu helfe uns Gott. Amen.

Musikstück

Fürbitten und Vaterunser
Gott, in der Bibel begegnest Du uns als guter Hirte. Bei Dir können wir Zuflucht finden. Wir bitten Dich: Bringe uns zurück, wenn wir uns verirrt haben. Suche uns, wenn wir uns verloren fühlen. Verbinde uns, wenn wir verwundet sind. Stärke uns, wenn wir schwach sind. Behüte uns, wenn es uns gut geht.
Gott, wir bitten Dich für unsere Gemeinde. Wir wünschen uns, bald wieder mit vielen Menschen hier in der Dankeskirche Gottesdienst zu feiern. Wir wünschen uns, dass wieder Gruppen und Kreise stattfinden. Bitte erhalte uns auch in diesen Zeiten unsere Gemeinschaft. Wir bitten Dich auch für unsere Kirche. In der nächsten Woche tagt die Kirchensynode der EKHN. Bitte schenke den Verantwortlichen Weisheit und gute Entscheidungen. Lass die Synode mit Weitsicht in die Zukunft schauen und wichtige Reformprozesse voranbringen.
Gott, in der Coronapandemie fühlen sich viele Menschen hilflos. Es ist schwer zu fassen, was da gerade geschieht. Und bei aller Hoffnung ist immer noch kein Ende in Sicht. Gott, wir bitten Dich:
Gib Weisheit denen, die politische Entscheidungen treffen.
Stärke alle, die die Kranken pflegen.
Erfrische die Erschöpften.
Tröste die Mutlosen.
Beschütze die Kinder.
Behüte die Kranken.
Sei bei denen, die um ihre Lieben weinen.
Sei am Bett der Sterbenden.
Berge die Toten in deinen Armen.
Lass niemand verloren gehen.
Bewahre uns, Gott, in deinem Frieden.

Und alles, was uns noch bewegt, bringen wir im Vaterunser vor Dich.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Abkündigungen
Wegen der Coronasituation in der Wetterau verzichten wir bis auf weiteres auf Präsenzveranstaltungen. Sie finden ein vielseitiges, digitales Angebot mit Andachten und dem Programm der Kinderkirche auf unserer Internetseite www.evangelisch-in-bad-nauheim.de. Auch den nächsten Gottesdienst am Sonntag, dem 25. April, mit Pfarrerin Pieper können Sie im Livestream um 10 Uhr und danach jederzeit auf Youtube mitfeiern.
Wir würden uns freuen, wenn Sie am heutigen Sonntag mit einer Kollekte die allgemeine Gemeindearbeit unterstützen würden. Neben vielfältigen anderen tollen Projekten wie Veranstaltungen im Gemeindegarten oder dem Gemeindebrief, finanzieren wir damit auch die Technik für die Onlinegottesdienste. Sie können Ihre Spende in bar gerne im Gemeindebüro abgeben. Auf unserer Homepage finden Sie im Abschnitt Spenden einen Link, über den Sie den heutigen Kollektenzweck auf sichere Weise direkt bargeldlos unterstützen können. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung.

Lied: 170 „Komm Herr, segne uns“

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Nachspiel

Gottesdienst am 11.4.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Begrüßung

Herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst!
„Ich glaube nur, was ich sehe“, sagen viele. Was ich mit dem Verstand fassen kann, was ich be-greifen kann, nur das hat Bestand. Auferstehung? Das passt da nicht hinein. Auch viele Jünger konnten die Botschaft von der Auferstehung Jesu zunächst nicht glauben.
Wo war der Beweis? Wo die logische Erklärung? Der erste Sonntag nach Ostern (Quasimodogeniti) erzählt davon, wie Jesus den Zweiflern und Skeptikern entgegenkam, sich anfassen ließ und gemeinsam mit ihnen aß. So konnten sie später auch glauben, was sie nicht sahen: die unsichtbare Gemeinschaft mit Christus. Schon jetzt haben Christ*innen Anteil an seinem, dem neuen Leben. Darf man das glauben? „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Jesus.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes.
Gott ist die Liebe.
Im Namen Jesu Christi.
Jesus ist als Bruder für uns in die Welt gekommen.
Und im Namen des Heiligen Geistes,
der Kraft, die uns beflügelt und die unter uns Gemeinschaft stiftet.
Amen.

Gebet
Gott, du Freundin und Quelle
lass uns springen
lass uns mit offenen
Augen und Herzen durch die Welt gehen

Lass uns vertraute Wege verlassen
damit wir spüren
wo dein Geist weht
wo dein Wasser sprudelt.

Wo wir zu Nomad*innen, Hirt*innen
und Prophet*innen werden,
lass uns Geschichten
erzählen
suchen und hören
das Feuer lebendig halten
und Salz der Erde sein.
Amen

Schriftlesung Joh 21,1-14
Der Auferstandene am See von Tiberias 1 Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. 7 Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. 8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. 9 Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. 10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. 12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. 13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch. 14 Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Glaubensbekenntnis

Lied: Der schöne Ostertag EG 117

Predigt

Friede sei mit euch, von dem der da ist und der da war und der da kommt!

„Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“ (Joh 21,4 BIGS 2011).
Da stehen sie nun die sieben Jünger: Simon Petrus, Thomas, Nathanael, die Söhne des Zebedäus und zwei andere Jünger*innen. Ob auch Frauen dabei gewesen sind, wissen wir nicht. Es könnte aber durchaus sein. Ich gehe eigentlich davon aus, schließlich gehörten sie zu der Gefolgschaft Jesu unbedingt dazu!

Allen ging es ähnlich. Den Jüngerinnen und den Jüngern, der ganzen frühen Gemeinschaft von Christinnen und Christen: Jesus war weg. Ein leerer Raum, eine Riesenlücke tat sich auf, eine große Orientierungslosigkeit. Was bleibt? Was sollen wir jetzt nur machen?
„Da sagt Petrus: „Ich geh fischen.“ (Joh 21,3 LUTHER 2017) Und die anderen: „Wir kommen mit dir.“ (Joh 21,3 LUTHER 2017) Ein bisschen trostlos und resigniert klingt das. Nichts mehr von dieser anfänglichen Begeisterung. Keine inspirierenden Aufbrüche, ein Vakuum, eine Leere, die auch nicht so einfach gefüllt werden kann.

Trostlos und resigniert – so habe ich mich und viele andere Hauptamtliche und Ehrenamtliche in den letzten beiden Wochen auch gefühlt. Das zweite Mal an Ostern auf Präsenzgottesdienste verzichten!
Dabei hatten wir so viel vorbereitet, um Ostern in diesem Jahr richtig feiern zu können. Aber die Corona-Pandemie hat uns da alle ausgebremst.
Vielleicht fühlten sich die Jünger*innen ähnlich? Auch sie waren ausgebremst. Nach Ostern war nichts mehr so wie es vorher gewesen war. Jesus war zwar auferstanden, aber er war nicht mehr bei ihnen.
Was also sollten sie tun?

Fischen gehen – das, was sie, bevor sie mit Jesus unterwegs waren, auch getan haben. Zurück zum Alltagsgeschäft. Die Jünger*innen machen das, was sie gelernt haben. Aber es scheint, als haben sie das Fischen verlernt. Die ganze Nacht auf dem See zugebracht und nichts gefangen. Was bleibt?
Einfach nichts! Das ist doch eine Erfahrung, die wir auch kennen. Bestimmte Dinge, die uns früher gut gelungen sind, funktionieren nicht mehr. Eine innere Ratlosigkeit breitet sich aus oder auch bestimmte Zugehörigkeitserfahrungen, die plötzlich nicht mehr funktionieren. Eine Gruppe, in der ich lange mein Zuhause hatte, die nach und nach auseinanderbröselt, oder ein Chor, in dem ich jahrelang mit Freude gesungen habe, in dem ich mich nicht mehr beheimaten kann, weil irgendetwas verlorengegangen ist. Oder die Situation in unseren Familien, wenn jemand aus dem Haus geht. Oder die Kinder alle weg sind und die Eltern auf sich zurückgeworfen. Was bleibt??
Und dann ist da dieser Mensch dort am Strand, der sie fragt: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ (Joh 21,5 LUTHER 2017). Die Jünger*innen müssen antworten: „Nein.“ (Joh 21,5 LUTHER 2017)

„Habt ihr nichts zu essen?“ (Joh 21,5 LUTHER 2017)
Habt ihr nichts, was euch innerlich belebt und ausfüllt, habt ihr keine Nahrung? Dies klingt wie die mitfühlende Frage eines sorgenden Menschen, der sich um die Lebensenergie, um das, was die Jünger*innen am Leben hält, sorgt.
Mit leeren Händen und leeren Netzen stehen sie da. Ich denke, Jesus bezieht sich auf den realen Hunger, aber auch auf die innere Leere, in die sich die Jünger*innen hineinbegeben haben.
Jesus steht am Strand, aber „sie wussten nicht, dass es Jesus war.“ (Joh 21,4 LUTHER 2017) Sie erkannten Jesus einfach nicht. Mich erinnert diese Szene an die Situation der Maria Magdalena am Grab. Sie, die Jesus so innig verbunden war, erkannte Jesus nicht. Erst als er ihren Namen aussprach, wusste sie, dass er es ist!
Vielleicht ist Ihnen/ Euch das auch schon mal passiert. Ein Mensch, der wichtig Ihnen war, eine alte Lehrerin oder eine Kollegin, eine Schüler*in, jemand aus der Kirchengemeinde, die Sie früher mal sehr geschätzt haben, begegnet Ihnen und Sie erkennen diesen Menschen einfach nicht. Vielleicht gibt es so ein vages Gefühl: Ja, die habe ich schon mal gesehen. Aber mehr auch nicht.

„Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten Seite des Bootes, dann werdet ihr welchen finden.“ (Joh 21,6 LUTHER 2017)

Ich stelle mir diese Situation, als Jesus das am frühen Tag zu ihnen sagt, fast ein bisschen verrückt vor. Normalerweise verschwinden die Fische an den tiefen Grund des Sees, sobald die Sonne am Himmel steht, und dann so eine Aufforderung, am frühen Tag: „Werft das Netz aus… Da warfen sie es aus und konnten es nicht mehr heraufziehen wegen der Menge der Fische.“ (Joh 21,6 LUTHER 2017)

Welch eine Wandlung innerhalb kürzester Zeit! Diese Menschen sind ausgelaugt, verzagt, haben scheinbar keine Kraft mehr. Jesus sorgt dafür, dass sie einen Riesenfang machen. Dieser Fang ist ein Neuanfang, Ein Netz voller Fische.
Eigentlich total super, nur dass die Jünger*innen plötzlich vor einem ganz neuen Problem stehen. Ein volles Netz und keine Kraft!
In genau diesem Moment begreifen sie, wer der Mann am Strand ist. Jesus steht am Strand. Der, den sie vermisst glauben, der sie nach seinem Tod mit einer Leere und einer großen Trostlosigkeit konfrontierte, dieser Jesus macht sie hier zum Teil eines Wunders. Durch seine Gegenwart dürfen sie die plötzliche Wendung erleben, dass ihre Netze gefüllt sind.
Die Jünger*innen haben überhaupt nicht mit Jesus gerechnet, sonst hätten sie doch wohl etwas für ihn vorbereitet. Völlig unvorbereitet trifft sie die Begegnung mit Jesus. „Als Simon Petrus hörte, dass es Jesus war, zog er sein Oberkleid an, denn er war nackt, und sprang in den See. Die anderen Jüngerinnen und Jünger aber kamen mit dem Boot.“ (Joh 21,7f. BIGS 2011)
Jesus steht am Ufer. Ich finde dieses Bild so stark. So kraftvoll. Dieses Ufer als ein Bild für das, was schon da ist, nicht im Wasser, sondern zu Land. Wahrscheinlich müssen wir nur genau hinschauen, damit wir Jesus erkennen. Er sitzt nicht still in der Ecke und schaut, wie wir mit Leere, Vakuum und Trostlosigkeit klarzukommen versuchen. Er steht am Ufer, wartet auf uns.
Er konfrontiert uns genauso wie seine Jünger*innen mit unseren Lebens-Situationen, in denen wir wie die Jünger mit leeren Händen dastanden. Gerade in schwierigen Zeiten können wir davon ein Lied singen. Die letzten Einschränkungen der letzten Monate haben uns alle an unsere Grenzen gebracht. Nur noch ganz wenige Kontakte zu haben, nicht unbeschwert mit anderen Menschen zusammen sein zu dürfen, Angst um liebe Menschen zu haben, die krank sind.

Jesusbegegnungen können für uns wie für die Jünger*innen zu Gottesbegegnungen werden. Unerwartete Momente der Präsenz und der Gegenwärtigkeit dessen, was uns unbedingt und ganz existenziell angeht,

Ich denke an Begegnungen mit Menschen, die unser Herz berühren.
Gottesbegegnungen. In unserem Alltag können sie ganz klein sein, aber auch so groß, dass wir es nicht fassen können. Diese Begegnungen verlaufen wie in unserer Geschichte oft eigenartig. Es gehen plötzlich Türen auf im Leben, die neue Chancen bieten. Das Wunder, eine Partnerin oder einen Partner zu finden, jemandem in schwerer Not beistehen zu können. Es sind nicht immer Netze voller Fische, sondern auch Gespräche mit Menschen, die wir brauchen, Halt und das Wissen, nicht allein zu sein, mit anderen in der Suche nach dieser Präsenz Gottes verbunden zu sein.

„Jesus sagte zu ihnen: ‚Kommt und frühstückt!‘ Niemand von den Jüngerinnen und Jüngern wagte zu fragen: ‚Wer bist du?‘ Denn sie wussten: Es war Jesus der Lebendige. Jesus kam, nahm das Brot und gab es ihnen, und den Fisch ebenso.“ (Joh 21,12-13 BIGS 2011)
Die Jünger*innen kommen an den Strand und Jesus hat Frühstück gemacht. Jesus isst mit den Jünger*innen und gibt ihnen das, was sie brauchen. Er weiß, dass sie nach dem Fischen richtig Hunger haben. Jesus versorgt und sorgt sich um seine Jünger*innen.
Was bleibt uns? Jesus bleibt als der Auferstandene und ist auch in unserem Alltag dabei. Das ist ganz einfach. Gleichzeitig ist und bleibt es unglaublich.
In unserer Geschichte wird die Leere, das Vakuum verwandelt. Es ist ein Leben in Fülle mit diesem Gott, die uns als Freundin und Freund einfach so sein lässt. Kein Abschiednehmen für immer, nein es ist ein Ankommen bei einer Kraft und einer Verheißung, die nachhaltig ist und die trägt.
Eine, die bleibt - für immer und ewig. Keine Uhr muss zurückgedreht werden. Leben im Hier und Jetzt. Keine Resignation nach der Abschiedstrauer, genau das erkennen und das wahrnehmen: Jesus wartet am Ufer. Kein Alleinsein, keine Leere in uns, sondern die Freude, jemanden zu haben, die da ist und sich um uns sorgt.
Jesus steht da am Ufer. Kommt, lasst uns ihm entgegen gehen!

Lied: Christ ist erstanden EG 99

Fürbittengebet    

Gott,
wir bitten,
zeig dich uns den Weg zu dir.
Wir wissen so oft nicht wo wir in all dem Chaos um uns herum
wir anfangen sollen
dich zu suchen.

Zeig uns, wo und wie wir uns engagieren
Können für eine Welt
in der Menschen in Frieden miteinander und mit deiner Schöpfung leben können:

ohne Angst
ohne Unterdrückung
ohne Hass und Machtgier.

Zeig dich uns
wie du da am Ufer stehst
auf die wartest
die nichts
zu essen haben
die kein zuhause haben
die nicht weiterwissen
die nichts mehr hoffen.

Lass uns anfangen
Träumer*innen
Prophet*innen
Jünger*innen
zu werden und mutig und
ohne Angst für andere einstehen.
Hilf uns
das große Ganze im Blick zu haben
mit Zuversicht
mit Kraft und Liebe und
mit der Gewissheit
dass du da am Ufer
auf uns wartest.

Wir denken besonders an die Menschen denken,
die in der vergangenen Woche verstorben sind und unter deinem Wort bestattet wurden.
Hilf uns den Angehörigen beizustehen, sie zu trösten.
Sei du bei ihnen mit deiner Liebe und schicke ihnen deinen guten Geist, der heilt und vom Leben erzählt.
Amen

Vaterunser

Kollekte

Segen

Gottesdienst am Ostersonntag 2021 mit Video vom Pfarrteam Bad Nauheim/Ober-Mörlen

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung
Die Nacht ist vorbei.
Das Licht eines neuen Morgens ist aufgegangen.
Der erste Tag einer neuen Schöpfung.
Die Macht des Todes ist gebrochen.
Der Herr ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!

Lasst uns den Tag der Auferstehung feiern

Im Namen des Vaters und des Sohnes und
des Heiligen Geistes.    G: Amen

Herzlich Willkommen zum Ostergottesdienst hier aus der
Dankeskirche in Bad Nauheim.
Er wird gemeinsam gestaltet von Pfarrerinnen und
Pfarrern aus dem Kooperationsraum Bad Nauheim –
Ober-Mörlen und Kantor Frank Scheffler.
Wir freuen uns, dass wir diesen Gottesdienst jetzt
mit Ihnen / mit Euch feiern.

Eingangspsalm
Manches scheint klar und endgültig.
Aber manchmal kommt es doch noch zu einer
überraschenden Wendung, zum Wunder.

An Ostern wird alles auf den Kopf gestellt:
Nicht der Tod hat das letzte Wort,
sondern Gott, der Herr.

Hört Auszüge aus dem 118. Psalm:

Danket dem Herrn, denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
Der Herr ist meine Macht und mein Psalm und ist mein
Heil.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
Das ist vom Herrn geschehen
Und ist ein Wunder vor unseren Augen.
Dies ist der Tag, den der Herr macht;
Lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.

Kommt lasst uns anbeten:
G: Ehr sei dem Vater    177.2

Sündenbekenntnis oder Not
Zu Gott können wir kommen mit allem was uns bewegt,
auch mit unserer Unvollkommenheit und unserem Zwiespalt:
Heute ist Ostern – heute feiern wir die Auferstehung Jesu von den Toten.
Aber kann das sein?
Auferstehung widerspricht allen Naturgesetzen.
Tot ist tot.
Aus, Ende, vorbei!

Doch wenn Du, Gott, der Schöpfer dieser Welt bist,
dann liegt auch alle Macht in deinen Händen.
Als Herr über Raum und Zeit ist Deine Macht auch größer als die Macht des Todes.

Ist Deine Macht auch stärker als unser Zweifel?
Mehre unseren kleinen Glauben!
Herr, erbarme Dich!

    So rufen wir dich an:
 Kyrie eleison. Herr, erbarme dich.

Kyrie:    178.2
    G:    Herr, erbarme dich
Christus, erbarme dich
Herr, erbarm dich über uns

Gnadenzusage oder Trost
Gott, der Herr, ist barmherzig.
Wir müssen nicht perfekt sein.
Auf die Blickrichtung kommt es an:
Lasst uns laufen mit Geduld
in dem Kampf, der uns bestimmt ist
und aufsehen zu Jesus,
dem Anfänger und Vollender des Glaubens.
(Hebr. 12, 1c.2a)
Friede sei mit uns allen. Amen!

Gebet des Tages
Ich lade Sie und Euch ein, mit mir zu beten:
Gott des Lebens,
Deine Liebe ist stärker als der Tod.
Heute an Ostern tritt dies in aller Klarheit zu Tage.
Erfülle uns mit der Auferstehungsfreude,
dass wir ganz von ihr ergriffen werden
und wir freudig einstimmen in den Osterjubel:
Der Herr ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!

Darum bitten wir Dich
im Namen deines auferstandenen Sohnes,
der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt
und Leben schenkt gestern, heute und in Ewigkeit.
G: Amen

Lesung    
Eigentlich wollten sie nur nach seinem Grab sehen.
Maria Magdalena und Maria.
Ihrer Trauer Raum geben.
Doch dann kommt es zu umstürzenden Ereignissen.
Und urplötzlich sind sie die ersten Zeuginnen der
Auferstehung Jesu.

Hört das Osterevangelium nach Matth. 28, 1 – 10:

Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der
Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die an-
dere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und es ge-
schah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn
kam vom Himmel herab, trat hinzu, wälzte den
Stein weg und setzte sich darauf. Seine Erscheinung war
wie der Blitz und sein Gewand weiß wie Schnee. Die
Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden,
als wären sie tot.
Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch
nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat.
Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht
eilends hin und sagt seinen Jüngern: er ist auferstanden
von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach
Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch
gesagt.  Und sie gingen eilends weg vom Grab mit
Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jün-
gern zu verkündigen.
Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid
gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine
Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu
ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündet es
meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: dort wer-
den sie mich sehen.
    Halleluja     G: Halleluja

Glaubensbekenntnis

Gesangsquartett: „Gelobt sei Gott im höchsten Thron“
Predigt A
  (Sophie-Lotte Immanuel, Ober-Mörlen und Langenhain-Ziegenberg)

Liebe Gemeinde,
Furcht und Freude – diese zwei Emotionen, die so gegensätzlich scheinen, kommen in der Erzählung von Matthäus oft vor. Gehäuft sogar, könnte man sagen.
    
FURCHT
Die zwei Frauen, die sich da auf den Weg zum Grab machen,
haben in den vergangenen Tagen Unfassbares erlebt. Jesus ist gestorben, den sie so geliebt haben. Für den sie viel aufgegeben haben.
Und nicht nur das. Er ist auf eine Art und Weise gestorben, die grausamer kaum sein könnte. Er wurde gedemütigt, bespuckt und gequält. Sie haben ihn ausgelacht, und selbst die Hohenpriester haben noch unter sich gefeixt: „Er hat auf Gott vertraut; der soll ihn jetzt retten, wenn er will. Er hat ja gesagt: ich bin Gottes Sohn.“
Wie kann das Leben danach nur weitergehen? Wie soll man danach in den Alltag zurückfinden, ja auch zu Gott zurückfinden? Ist Gott auch an diesem Kreuz gestorben?

Maria aus Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus und des Josef beschließen also, mit der Last der Trauer und all dem, was passiert ist, auf dem Herzen liegend, dass sie den Leib Jesu mit schön riechenden Ölen einreiben wollen. Deswegen gehen sie los.
Auf der einen Seite stehen die Römer. Mit ihren Schwertern und ledernen Rüstungen, mit ihren Schilden und all der Macht und Gewalt eines Weltreiches. Und auf der anderen Seite stehen die Frauen. Kein Schwert, kein Schild, keine Macht: aber das Öl, teuer erkauft, halten sie in den Händen.
Und es ist, als ob sie sich mit der Zärtlichkeit ihrer Hände Jesus zurückerobern wollen. Das Letzte soll nicht dieser Tod sein. Sondern ihre Liebe zu ihm. Das ist echte Trauerarbeit.

Woher sie den Mut und die Kraft dafür wohlgenommen haben? Ich kann mir vorstellen, dass sie nicht darüber nachgedacht haben, wie sie die Wachen überwältigen oder gar den großen Stein wegrollen würden. Hätten sie das getan, wären sie vielleicht morgens gar nicht erst aus dem Bett aufgestanden.
Sie sind losgegangen, und vielleicht ging in dem Moment nur das: immer nur ein Schritt nach dem anderen. Und darin sind mir diese zwei Frauen so nah. Ja, jetzt gerade sind sie mir nah, wo ich auch nur einen Schritt nach dem anderen tun kann, einen Tag nach dem anderen bewältige. An die nächsten Wochen, Monate mag ich gar nicht denken.
Das ganze letzte Jahr steckt mir in den Knochen. Wo bleibt meine Kraft, und wo bleibt mein Mut eigentlich?

Die zwei Marias kommen am Grab an und sehen, wie unter dem Beben der Erde ein Engel des HERRN wie ein Blitz vom Himmel herabkommt.

Musik: EG 99 Christ ist erstanden

Predigt B
(Susanne Pieper, Bad Nauheim)

FREUDE
Der Engel wälzt den Stein weg, der vor dem Eingang des Grabes gelegen hat und setzt sich einfach drauf. Er rollt das Schwere weg. Die Frauen müssen nicht mehr dagegen ankämpfen. Sie müssen sich nicht mehr damit belasten. Jemand, wie vom Himmel gesandt, kommt ihnen zu Hilfe. Das wünsche ich mir auch, dass mir jemand das Schwere von meinem Herzen rollt.

Die Wachen aber, die römischen Soldaten, schwer bewaffnet wie sie sind, fürchten sich zu Tode. Ihre Macht wird ohnmächtig, ihre tödliche Macht. Ihre Herrschaft von Gewalt und Zerstörung liegt am Boden. Was für ein Zeichen und was für eine Vision ist das!

Den Engel des Lebens interessieren die Wachen gar nicht. Er ignoriert sie und setzt sich einfach auf den Stein. Welch eine Verachtung der Mächtigen liegt in dieser Geste. Aber auch: welch feine Ironie!

Ich stelle mir vor, wie sein Blick die Besatzersoldaten nur kurz streift. Und wie sein Blick dann hin zu den beiden Marias schwenkt.  Und auf sie gerichtet bleibt. Und wie diese unglaublichen Worte erklingen: „Habt keine Angst! Jesus ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er gesagt hat.
Darauf kommt es von jetzt ab an: das Grab ist nicht das Ende eures Weges. Der Tod ist nicht das Ziel eurer schweren Schritte. Die Trauer soll euch nicht für den Rest eures Lebens den Rücken krumm machen.
Da hat er gelegen. Ja. Aber jetzt geht er vor euch her. Ihr werdet leben, und ihr werdet ihn sehen.“

Ich sehe die beiden Marias vor meinem inneren Auge. Bis hierher sind ihre Augen vor Trauer nur auf den Boden gerichtet. Jetzt aber blicken sie auf, verwundert, und sie richten sich auf, noch ungläubig. Bis hierher denken sie, sie sind am Ende ihres Weges angekommen. Jetzt aber sehen sie ein neues Ziel.
Und die beiden laufen los, „mit Furcht und großer Freude“. Beflügelt von der unfassbaren Aussicht, dass das Leben für sie weitergehen wird. Dass der Sohn Gottes, Jesus, ihr geliebter Freund, ihnen vorausgeht und auf sie wartet.

Ich habe mich gefragt: ist diese Ostergeschichte zu fern für mich? Zu groß für diese Zeit?
Aber ich glaube, sie ist es nicht. Ich will von ihr etwas mitnehmen in diese Zeit:

Mit den beiden Marias will ich glauben, dass ich die Furcht überwinden kann.

So wie sie will auch ich der Möglichkeit Raum geben, dass etwas Neues aufblühen kann. Ich muss nicht nur Vergänglichkeit und Zerstörung sehen.

Diese Frauengeschichte von Ostern macht mir Mut; und sie gibt mir Kraft. Sie erzählt vom Aufbruch und vom Leben, da, wo man gar nichts mehr erwartet hat.

Schritt für Schritt will ich mit den Frauen mitgehen. Und mich für die Freude öffnen. Trotz allem. Vielleicht gehe ich langsamer als sie, aber ich gehe mit. Wir haben nämlich ein gemeinsames Ziel: der, der aus dem Himmelslicht gekommen ist und unter die Menschen gefallen ist, der lebt. Und er geht uns voraus. Er wartet auf uns und will uns die Fülle des Lebens schenken.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Gesangsquintett: „Heut triumphieret Gottes Sohn“

Fürbittengebet

Mein Gott,
das letzte Jahr steckt uns in den Knochen. Und jetzt sind wir hier.
Vor unseren Bildschirmen.
Ganz in echt und doch virtuell.
So ist unser ganzes Leben gewesen, in den letzten Monaten.
Heute, an Ostern, legen wir dir das alles in die Hände.
Wie’s uns geht. Was uns fehlt.
Wir bitten dich: Zeig uns unsere Hoffnungsvorräte.
Führe uns zu Kraftquellen.
Füll doch du unsere Leere aus.

Und ja, im Moment haben wir viel mit uns selbst zu tun, Gott. Und trotzdem denken wie auch an die Anderen,
weil du in den Flüchtlingslagern und Kriegsruinen wohnst,
weil du mitfrierst und mithungerst,
weil du jede Träne mitweinst.
Dürfen wir auf Frieden hoffen?
Wir bitten dich darum, nicht nur um Frieden. Essen, Geborgenheit. Wärme.
Für all die, die das gerade vermissen.

Wenn du nicht weißt, was du beten sollst, dann sprich das Vater Unser – so legen wir all das, was uns auf dem Herzen liegt, in dieses eine wichtigste Gebet:

Vaterunser

Segen

Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Arie „I know that my redeemer lives“

Gottesdienst an Karfreitag 2021 mit Video vom Pfarrteam Bad Nauheim/Ober-Mörlen

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musikal. Vorspiel

Begrüßung
Zum GD an Karfreitag begrüßen wir Sie herzlich.
Eigentlich ist es ein Trauer-GD:
Wir gedenken des Leidens und Sterbens Jesu an diesem Tag. Und Gedanken an eigene Trauer, eigenes Leiden stellen sich dabei unweigerlich ein, an nahe und ferne Orte heutigen Leidens auf unserer Erde. Der Tod erscheint uns allemal als ein hoffnungsloses Geschehen.
Wir gedenken des Leidens und Sterbens Jesu an diesem Tag.
Da gibt es einen Zwischenton. Da ist etwas, was uns aufhorchen lässt. Enttäuschung, Verzweiflung, Schmerz, Ohnmacht umgeben auch Jesu Kreuz. Aber in der Sinnlosigkeit dieses Todes leuchtet ein geheimnisvoller Sinn. Und der macht das Kreuz zu einem Zeichen der Hoffnung. Jesus ist für uns gestorben – damit wir leben und Hoffnung haben.

Eingangsvotum
Wir sind hier, um des To¬des Jesu von Na¬za¬reth zu ge¬den¬ken,
auf das Kreuz zu bli¬cken, das die Mitte un¬se¬res Glau¬bens ist.
Vor dem Kreuz Jesu neh¬men wir wahr: das Un¬recht, das Men¬schen ein¬an¬der zu¬fü¬gen.
Vor dem Kreuz Jesu neh¬men wir auch wahr: Gott selbst will uns vom Ver¬der¬ben er¬lö¬sen.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
        
Worte, dem 22. Psalm nachempfunden

Gott, mein Gott, warum
Hast du mich verlassen?
Zu dir schrei ich am Tag
Und des Nachts, und werde nicht gestillt…
Heiliger, hoch thronender, ruhmreicher,
du gibst nicht nach.
Mein Vater, meine Vorväter, Generationen zurück,
sie sagten: „Ihm kannst du vertrauen,
er ließ uns entkommen, der tut, was Er sagt“-
die waren deiner schamlos sicher.
Doch ich bin ein Wurm in der Erde-
Mit ihren ledernen Stiefeln
Zertrampeln sie mich und lachen sich tot:
Er hat doch einen Gott!
Ich wurde geboren
Und in deine Hände gelegt.
Du bist mein Gott von Mutterschoß an.
Weißt du es noch? Ja, du weißt. Amen.
(Huub Oosterhuis)

Gebet

Lasst uns beten:
Heute ist Karfreitag.
Dein Todestag, Jesus Christus.
Wir denken an dein Leiden.
An dein Sterben am Kreuz.
All die Steine auf unseren Schultern
Sind mit dabei.
So bist du uns nah.
Weil du ganzer Mensch warst,
Können wir unser Menschsein vor dein Kreuz bringen.
Amen.

Lied:  EG 91, 1 + 4 Herr, stärke mich

Lesung
Johannes 19, 16 – 30 Jesu Kreuzigung und Tod
16 Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber,
17 und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. 19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König. 20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. 21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. 23 Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. 24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten. 25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. 26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. 28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. 29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund. 30 Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied.

Musik

Predigt
Da stirbt einer. Er ist im Dämmerzustand zwischen Bewusstlosigkeit und Schmerz, tödlich verwundet von Schergen, wie sie überall zu finden und jetzt gerade zB in Myanmar aktiv sind. Sein Schmerz ist ohne jede Betäubung. Krass und überwältigend. In wachen Momenten spricht er. Oder ist es ein Flüstern?

Die Tradition liest diese Worte als letzte Botschaft Jesu, mit der er seinen Kreuzestod selbst deutet und seinen Jüngern letzte Weisungen gibt. Die Exegese geht davon aus, dass diese Worte nicht historisch sind. Sie spiegeln den Glauben der frühen Kirche wider.

Das Neue Testament ist ein Glaubenszeugnis. In der Sprache der damaligen Zeit.
und aus gläubigem Herzen. Wir wissen: Poesie drückt Wirklichkeit oft besser aus als bloße Fakten.

Die sieben Worte Jesu am Kreuz:

1.    „Vater vergib ihnen; denn sie wissen nicht was sie tun“ (Lk 23,24)
Jesus betet am Kreuz für die, die ihm das alles antun: „Vergib ihnen!“ Bittet um Vergebung für diejenigen, die ihm das Leben nehmen und ihn quälen. Warum sollte ihnen vergeben werden? Weil sie ahnungslos sind, ohne Wissen um das, was sie eigentlich tun. Es sind nur Befehlsempfänger. Aber sie sind deshalb nicht schuldlos. Deshalb brauchen sie ja auch Vergebung. Sie sind verantwortlich für ihr Handeln – so wie es Judas war für seinen Verrat. Und auch ihm hat er vergeben. In dem Moment, als er seinen Verrat beim Abendmahl offenbar machte hat er ihm Brot und Wein gereicht. Alle haben sich schuldig gemacht, von Pontius bis Pilatus. Aber schon im Moment der Schuld gilt die Vergebung, tritt sie in Kraft.

2.    “Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23, 43)
Wie weit ist es eigentlich bis zum Paradies? Wie lange dauert es nach unserem Tod. Ist es eine ewige Warteschleife, oder kommen wir bald an? Da stirbt einer neben ihm, an einem anderen Kreuz. Für ihn ist Jesus die letzte Hoffnung, er bittet ihn um Zuwendung. Er möchte wissen was kommt, wenn wir gehen. Und er hört: Heute noch! Am Ende des Elends steht die Himmelstüre schon offen. Nicht übermorgen oder irgendwann. Was für ein tröstlicher Gedanke, finde ich. Die Gemeinschaft mit Jesus am Kreuz wird zu einer gemeinsamen Reise in die Ewigkeit, die Verheißung, das Paradies. Good Friday heißt der Karfreitag auf Englisch, ein guter Tag ist heute.

3.    „Siehe, dein Sohn! Siehe, deine Mutter“ (Joh 19,26)
Der sterbende Jesus denkt an die Lebenden, er sorgt sich um ihre Zukunft. Er sieht die Mutter. Er weiß, welchen langen Weg sie gegangen ist, schon damals nach Bethlehem. Sie hat um seine Nähe gerungen, seine Rückkehr zur Familie, und immer alles in ihrem Herzen bewegt, von Anfang an. Sie soll nicht untröstlich zurückbleiben und unversorgt, Josef ist anscheinend schon lange tot. Und der geliebte Johannes. Auch er soll nicht mutterseelenallein bleiben. Trauer verbindet neu, Hinterbliebene werden einander anvertraut. Im letzten Moment.  Schaut aufeinander!

4.    „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk 15, 34)
Das große Warum. Jesus kennt es, und wir kennen es auch. Warum diese himmelschreiende Pandemie, Millionen abgebrochene Leben. Warum diese Frau, inoperabler Hirntumor. Zwei Kinder, warum sie? Was alles wäre noch möglich gewesen, an Leben, nun beten wir für sie und einen sanften Tod und gute und mitfühlende Ärztinnen und Pflegerinnen. Mein Warum ist sein Warum. Mein Warum ist aufgehoben in seinem. Verlorenheit ist ihm nicht fremd, vergebliche Gottsuche auch nicht. Damit können wir leben und sterben mit ihm, jeder mit seinen Schmerzen und weiß nicht warum. Das teilen wir mit ihm um Gottes Willen.

5.    „Mich dürstet“ (Joh 19,28)
Was für ein erbärmlicher, menschlicher Wunsch. Er hat Bedürfnisse wie wir, einen Körper wie du und ich. Im Tod wird der Durst nach Leben unendlich. Ein Schluck schafft Linderung und hilft gegen das innere Verbrennen. Was für ein armseliges Betteln des Gottessohnes, heruntergekommen wie niemals zuvor. Seht welch ein Mensch. Jeder kleine Schluck, den wir uns reichen auf letzten Wegen, ist hier abgebildet. Auf dem Heimweg zur Quelle des Lebens.

6.    „Es ist vollbracht“ (Joh 19, 30)
Endlich. Weniger triumphal als erschöpft; weniger heldenhaft als im Fenster der Dankeskirche dargestellt. Geschafft. Jesus bringt es zu Ende. Es ist ein letzter Hauch. Alles, was Odem hat, geht diesen Weg bis zum letzten Zug. Steil bergauf, auf die Spitze getriebener Todesmut in der Hinrichtung, ganz oben als Ziel steht ein Gipfelkreuz, schon fast im Himmel, im Heimatland.

7.    „In deine Hände befehle ich meinen Geist“ (Lk 23,46)
Ganz am Ende vertrauen wir uns an. Dann ist es gut. Genug. Dann brauchen wir nicht mehr zu kämpfen. Dann können wir uns überlassen. Nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Am Ende kommt es nur noch darauf an, nur noch darauf, zu vertrauen, loszulassen, sich fallen zu lassen. Ti dir den Gefallen, lass dich fallen. Jesus ist unser ganz persönliches Fallbeispiel: Gott nimmt alles Weitere in seine Hand.

„Ihm sei’s begonnen, der Monde und Sonnen an blauen Gezeiten des Himmels bewegt. Du Vater, du rate, lenk du und wende! Herr dir in die Hände sei Anfang und Ende, sei alles gelegt!“ (Eduard Mörike)
Amen.

Musik
Fürbitten:

Gott, du Schöpfer der Welt,
letzte Worte Jesu am Kreuz
malen wir uns das bildlich aus,
so fällt es uns schwer, das auszuhalten.
Uns prägen die Bilder der Schönen und Reichen.
Wir wollen das Leben feiern und genießen.
Das Leid, das Sterben, gar der Tod hat da keinen Platz.
Über Jahrzehnte haben wir ihn abgeschoben in Krankenhäuser und Altenheime.
Und so verstören uns Bilder von Militärlastern voller Särge in Bergamo oder von Massengräbern in Brasilien.
Nur langsam gewähren wir ihm wieder Raum in Palliativversorgung, Hospizen oder mit Aussegnungen.
Wir leben nicht im Paradies.
Hilf uns das Leid, den Tod als Teil unserer Existenz zu akzeptieren,
damit wir es aushalten können,
damit wir Leidende begleiten können,
damit wir das Leben gewinnen.

Gott, Vater der Barmherzigkeit,
letzte Worte Jesu am Kreuz
Namenlos ist oft das Leiden in dieser Welt.
Verstümmelte Kriegsopfer, hungernde Kinder, Folgen des Klimawandels.
Die Nachrichten davon wollen uns verstummen lassen.
Worte sind manchmal auch fehl am Platz,
doch hilf uns, nicht beim Schweigen stehenzubleiben

Stärke alle, die im Großen und im Kleinen für Frieden eintreten
unter uns und in dieser Welt,
damit Konflikte gelöst und Waffen entschärft werden und die Gewalt ein Ende findet.

Ermutige alle, die sich im Großen und im Kleinen für Gerechtigkeit einsetzen
unter uns und in dieser Welt,
damit die Güter dieser Welt fair verteilt werden
jeder und jede die Wertschätzung widerfährt, die ihm, die ihr gebührt
und dem Unrecht gewehrt wird.

Gib Energie allen, die sich im Großen und im Kleinen für die Bewahrung deiner Schöpfung engagieren unter uns und in dieser Welt,
damit der Klimawandel gestoppt wird,
wir den Lebensraum von Pflanzen und Tieren nicht zerstören
und die Grundlagen unseres Lebens erhalten.

Verhilf auch uns selbst zu Mut und Einsicht danach zu leben.

Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit,
letzte Worte Jesu am Kreuz.
Was werden meine sein?
Wie wird es mir ergehen?
Sterbe ich alt und lebenssatt, nach großem Leiden oder plötzlich und unerwartet?
Viele Fragen beschweren uns, wenn wir an unser Sterben denken?
Wie wird es sein? Was wird danach sein? Mit unseren Lieben und mit uns selbst?
Gib uns den Mut unsere Sterblichkeit nicht zu verdrängen und rechtzeitig Regelungen zu treffen für uns und für das, was bleibt.
Schenke uns einen gnädigen Tod oder komme wieder zu Deiner Zeit
Mehre unseren Glauben und stärke unsere Hoffnung auf eine Zukunft bei Dir.

In der Stille bringen wir das vor Dich, was uns jetzt persönlich bewegt

STILLE

Wir danken Dir, gnädiger Gott, denn Du hörst unser Gebet
und so fassen wir all das und alles andere in die Worte,
die Jesus seine Jüngerinnen und Jünger zu seinen Lebzeiten zu beten gelehrt hat.

Vater Unser

Segen

Musikalischer Ausklang

Gottesdienst zum Gründonnerstag am 01.04.21 mit Vikar Ingmar Bartsch

Begrüßung
Es ist Gründonnerstag. Wir denken heute an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Und wir gehen mit ihm den schweren Weg durch die Karwoche. Wir kommen von Palmsonntag, dem umjubelten Einzug Jesu in Jerusalem. Und wir gehen auf Karfreitag zu, auf das Leiden und Sterben Jesu. Wir warten auf den Ostersonntag, an dem wir daran denken, dass Jesus auferstanden ist. Wir feiern Gottesdienst. Und auch wenn wir zu Hause an unseren Tablets, Mobiltelefonen und Computern mitfeiern, gehen wir durch die Karwoche mit Jesus und durch ihn in gegenseitiger Verbundenheit und Gemeinschaft.
Und so feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Lasst uns beten
Jesus Christus, du bist mitten unter uns. In Deinem Wort. Wenn wir uns bewusst Zeit nehmen, an Dich zu denken. Im Gebet. In unserem Alltag. Du bist mitten unter uns in diesem Gottesdienst. Halte in uns das Sehnen wach nach Deiner lebendigen Botschaft. Entfalte diese Botschaft in unseren Herzen. Das bitten wir Dich, der Du mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebst und regierst in Ewigkeit. Amen.

Lesung aus Mt 26,17-30
17 Aber am ersten Tag der Ungesäuerten Brote traten die Jünger zu Jesus und sprachen: Wo willst du, dass wir dir das Passalamm zum Essen bereiten? 18 Er sprach: Geht hin in die Stadt zu einem und sprecht zu ihm: Der Meister lässt dir sagen: Meine Zeit ist nahe; ich will bei dir das Passamahl halten mit meinen Jüngern. 19 Und die Jünger taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und bereiteten das Passalamm. 20 Und am Abend setzte er sich zu Tisch mit den Zwölfen. 21 Und als sie aßen, sprach er: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. 22 Und sie wurden sehr betrübt und fingen an, jeder einzeln zu ihm zu sagen: Herr, bin ich's? 23 Er antwortete und sprach: Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verraten. 24 Der Menschensohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. 25 Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich's, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es. 26 Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. 27 Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; 28 das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. 29 Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. 30 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.

Lied 228 "Er ist das Brot"

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Vor ein paar Tagen kam ich eher zufällig auf die Facebookseite der Firma eines Freundes. Die war schon eine Weile nicht mehr aktualisiert worden. Einer der letzten Einträge war die Firmenweihnachtsfeier 2019. Da sitzen viele Leute in einem engen Raum zusammen. Ohne Abstand. Ohne Masken. Bilder wie von einem anderen Stern. Und während ich die Fotos betrachte, schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Hätten sich die Leute anders verhalten, wenn sie gewusst hätten, was kommen wird?
Jesus und seine Jünger feiern Passahfest. Es ist Teil ihres Lebens, es ist Teil ihrer Kultur. Und es scheint auf wundervolle Art eine Routine zu sein. Die Initiative geht von den Jüngern aus. Sie fragen Jesus: „Wo willst Du, dass wir das Passahlamm zum Essen zubereiten?“ Das klingt nach: Hey Jesus, es ist wieder so weit. Wir freuen uns auf das Passahfest! Wie wollen wir es dieses Jahr machen? So wie immer? Wie hast Du Dir das gedacht? Die Jünger starten mit den Vorbereitungen. Und sie wissen noch nicht, dass wenig später alles anders sein wird. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie grundlegend sich ihr Leben verändern wird. Und so sitzen sie da. Die Jünger. Sie bereiten das Passahlamm vor. Sie feiern mit Jesus. Zum letzten Mal, ohne es zu wissen. Natürlich hat Jesus Andeutungen gemacht. Er hat gesagt, dass sich die Dinge verändern würden. Und auch beim Passahmahl hat er von den bevorstehenden Ereignissen gesprochen. Aber richtig realisiert haben die Jünger das nicht.

Manchmal sind wir in einer ähnlichen Situation, wie die Jünger. Wir tun unbewusst Dinge zum letzten Mal und das muss nicht mal was Negatives sein. Ich kenne jemanden, der wusste bei seiner letzten Zigarette noch nicht, dass es die letzte sein würde. Er hat danach von einem Tag auf den anderen aufgehört und hat in den letzten 50 Jahren keine Zigarette mehr angefasst. Aber es kann eben auch nicht so positiv sein. Mir war es nicht klar, dass ich im Februar 2020 vorerst zum letzten Mal in der Dankeskirche Abendmahl feiern würde. Wie die Jünger tun wir manchmal Dinge zum letzten Mal, ohne es zu wissen.

Da sitzen sie nun, die Jünger. Unwissend beim letzten Abendmahl. Und hier stehe ich nun. Mit meiner Erinnerungen an das letzte Abendmahl vor über einem Jahr. Ist das nicht deprimierend? Ja. Das ist es. Und es ist wichtig, sich das einzugestehen. Es fehlt uns an Begegnungen in dieser Pandemie. Es fehlt uns an Gemeinschaft. Wir haben vieles verloren im letzten Jahr. Und wir haben einiges ersetzen können, aber auch mit der größten Anstrengung können wir nicht so tun, als wäre alles gut. Und so sehne ich mich nach der Kraft der Jünger, mit der sie die Botschaft von Jesus verbreitet haben. Und die Umstände damals waren wirklich schlecht: Nach Jesu Auferstehung gerieten die Christen schnell ins Fadenkreuz der Machthaber. Sie gehörten zu den Sympathisanten eines hingerichteten, politischen Dissidenten. Die Ausgangsbedingungen für das Startup Kirche hätten kaum schlechter sein können.
Was hat den Jüngern also geholfen, nachdem Jesus weg war und sie Angst um ihr Leben hatten? Die erste Antwort ist: Ostern. Nach Gründonnerstag und Karfreitag ging es weiter. Jesus ist auferstanden und das hat das Leben seiner Jüngerinnen und Jünger verändert. Das hat neue Hoffnung gegeben und das gibt uns heute neue Hoffnung. Wir leben in der Hoffnung, dass Tod, Krankheit und Leiden nicht das Ende sind. Wir leben in der Hoffnung, dass Gott in Jesus stärker ist, als alles, was uns bedrängt. Und wenn diese Hoffnung in uns in Vergessenheit geraten ist, weil uns die Umstände übermächtig erscheinen, dann dürfen wir uns gegenseitig daran erinnern. Auch am Gründonnerstag. Wir dürfen unsere Hoffnung lebendig halten. Wir wissen: Sogar nach dem Tod geht es weiter.
Was hat den Jüngern noch geholfen? Die Erinnerung. Das, was wir heute als Abendmahl kennen, ist aus diesem letzten Passahfest entstanden. Jesus hat einige Hinweise gegeben, wie es gefeiert werden soll. Aber es war keine detaillierte Anleitung. Wie das Erinnerungsmahl der Jünger exakt aussehen sollte, das mussten sie selbst überlegen und gestalten. Und als sie mit ihrem Erinnerungsmahl begonnen haben, haben sie festgestellt: Der auferstandene Christus ist dabei. Und diese Erfahrung können wir heute auch machen.
Ja, wir können gerade nicht in der Kirche zusammenkommen. Wir können das Abendmahl nicht so feiern, wie noch im letzten Februar. Aber wir können uns zu Hause an Jesu letztes Abendmahl erinnern. Mit Brot und Wein oder Traubensaft. Kreieren Sie Ihr eigenes Erinnerungsmahl. Nehmen Sie das mit hinein, was Sie daran tröstet. Denken Sie beim Essen bewusst an Jesus. An seinen Weg zum Kreuz. An sein Leiden. An sein Sterben. An seine Auferstehung. Finden Sie eine Form, in der Sie sich erinnern können. So, wie es die Jünger getan haben.
Und wenn Sie das tun, dann haben Sie eben doch nicht vor einem Jahr zum letzten Mal Abendmahl gefeiert. Sie haben heute wieder gefeiert. Oder morgen. Es ist anders, als in der Kirche. Und es wird sich auch anders anfühlen. Aber es ist eine Ausdrucksform unseres Glaubens. Wir verzichten in diesem Livestream übrigens darauf, Abendmahl digital zu feiern, denn es ist nicht jedermanns Sache. Aber wenn Sie gerne in Ihr eigenes Erinnerungsmahl eine Abendmahlsliturgie integrieren möchten, dann finden Sie auf diesem Kanal ein Video dazu. Sie können es gerne ausprobieren. Und wenn Sie dann Ihr eigenes Erinnerungsmahl gestalten, dann ich bin mir sicher: Sie werden entdecken, dass Jesus dabei ist. Dass Sie getröstet werden. Wie die Jünger, aus deren Erinnerungsmahlen unser heutiges Abendmahl geworden ist. Das wir seit hunderten von Jahren feiern und das wir auch wieder feiern werden.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied: Kommt mit Gaben und Lobgesang 229

Fürbitten
Herr, großer Gott, wie gern hätten wir diese für unseren Glauben so wichtigen Tage in stärkender Gemeinschaft erlebt. Wie gern hätten wir in einer großen Runde Abendmahl gefeiert. Wir klagen Dir, dass das nicht möglich ist in der Pandemie. Stärke Du uns und halte in uns die Hoffnung und die Erinnerung wach, dass Du stärker bist, als alle unsere Sorgen.
Herr, großer Gott, wir klagen Dir, dass Menschen weltweit in Armut leben. Wir klagen Dir, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen und verfolgt werden. Wir klagen Dir die Gewalt, die Menschen einander antun. Stellvertretend nennen wir Dir die Situation in Myanmar. Schenke Du Frieden in der Welt und mache uns zu Friedensstiftern. In unserem privaten Umfeld und darüber hinaus.
Herr, großer Gott, wir klagen Dir diese Pandemie. Wir klagen Dir die Ungewissheit. Wir klagen Dir, dass in unserem Land viele Menschen Politiker für unfähig halten und Politiker Menschen für unfähig halten. Wir klagen Dir dass das gesellschaftliche Klima in der Pandemie rauer geworden ist. Wir bitten Dich, heile unsere Herzen, mach uns besonnen und schenke uns, dass wir fröhlich werden an den Dingen, die uns dankbar machen in allen Schwierigkeiten.
Herr, großer Gott, wir bitten Dich für die Menschen, die einsam sind, wir bitten Dich für die Kranken und die Sterbenden. Sei Du ihnen nahe und schenke ihnen Menschen zur Seite, die sie aufrichten, trösten und stärken.
Wir bitten Dich für unsere Gemeinde. Wir möchten die Hoffnung und die Freude über Deine Auferstehungsbotschaft weitergeben. Hilf uns, dass uns das gelingt und lass diese Botschaft Frucht tragen in unseren Herzen und den Herzen unserer Nächsten.

Und was uns sonst bewegt, legen wir in das Vaterunser:
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Gottesdienst am 28.3.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Gottesdienst am Palmsonntag 2021 unter Verwendung des Projekts „Faire Jobs für Näherinnen“ von Brot für die Welt

Musik zum Eingang

Begrüßung und Votum
Liturgin 1
Wir feiern unseren Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir begrüßen Sie ganz herzlich zu unserem Gottesdienst am Palmsonntag, dem letzten Sonntag in der Passionszeit. An diesem Sonntag zieht Jesus auf einem Esel in Jerusalem ein. Seine Freundinnen und Freund begleiten ihn. Viele Menschen stehen an den Straßen Jerusalems und begrüßen ihn jubelnd. So viele Hoffnungen und Sehnsüchte richten sich auf Jesus. Mit dem Einzug in Jerusalem beginnt der schwerste Abschnitt auf Jesu Weg. Spannung liegt in der Luft, alle spüren, dass etwas Schlimmes passieren wird. Wir wollen in diesem Gottesdienst innezuhalten uns an das Leiden und Sterben unseres Bruders Jesus denken. Dass Jesus gefoltert und hingerichtet worden ist, bleibt für uns Christinnen und Christen trotz der Wucht des Erschreckens ein Zeichen. Es ist ein Zeichen dafür, dass wir vertrauen können: Gott ist auch im Leid. Dennoch sollen wir deswegen nicht nur Leid ertragen, sondern dort, wo Menschen durch andere Menschen leiden, etwas dagegen tun. In diesen Zeiten, in denen die Nachrichten überwiegend von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unser Land und unsere Gesellschaft bestimmt sind, wollen wir wachsam sein, dass neben all den Schwierigkeiten und Sorgen die uns ganz konkret beschäftigen, die Menschen nicht vergessen werden, die schon vor Corona unter ungerechten Lebensbedingungen gelitten haben und deren Situation sich nun immer weiter verschärft.

Liturgin 2
Denn der Herr ist gerecht, er liebt gerechte Taten. Wer aufrichtig ist, darf sein Angesicht schauen.

So steht es im 11. Psalm (Vers 7). Und so wollen wir heute über Leid und Gerechtigkeit nachdenken – und von einer jungen Frau hören, die Ungerechtigkeit erfährt und daran leidet, aber trotzdem die Kraft hat, dagegen zu kämpfen.
Gerechtigkeit! „Es ist die große Sache aller Staaten und Thronen, dass gescheh', was rechtens ist, und jedem auf der Welt das Seine werde; Denn da, wo die Gerechtigkeit regiert, da freut sich jeder, sicher seines Erbes…, so schreibt es Friedrich Schiller. Menschen haben ein Empfinden dafür, was gerecht ist und was nicht. Und wenn etwas Ungerechtes länger andauert, regt sich Widerstand.

Liturgin 1
Passion heißt Leiden, und in den sieben Wochen vor Ostern erinnern wir uns an das Leiden und Sterben Jesu Christi. Wir schauen nicht weg, wo anderen Unrecht und Leid geschieht. Überall auf der Welt leiden Menschen unter der Verletzung der elementarsten Menschenrechte. Wir wollen ihr Schicksal nicht dem Vergessen überlassen. Begleiten Sie uns heute nach Nicaragua. Das ist nur eines von sehr vielen Ländern dieser Erde, in denen Menschen nicht überall in gerechten Verhältnissen leben können. Nicaragua ist nach Haiti das zweitärmste Land Amerikas. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. Lassen Sie uns hören, wie Menschen dort leben und wie sie Leid und Gerechtigkeit erfahren.

Musik: Bleibet hier und wachet mit mir

Gebet
Gott,
du bist für uns da, du stehst auf unserer Seite,
besonders auf der Seite der Armen und der Schutzlosen.
Wenn wir hören,
was Menschen anderen Menschen antun,
wie sie anderen die elementaren Rechte nehmen,
dann kocht in uns ohnmächtige Wut.

Gott,
es fällt oft schwer,
nicht irre zu werden an der Welt und an dir.
Gott, steh auf,
erhebe deine Hand
und vergiss die Elenden nicht.

Lass uns nicht in Gleichgültigkeit fliehen.
Bewahre uns einen kritischen Geist,
ein waches Gewissen
und ein mitfühlendes Herz.

Hilf uns, immer wieder hinzusehen und unsere Stimme zu erheben,
für die, die keine Stimme haben.
Amen.

Sprecherin 1
„Sei der Erste, der das Beste bekommt!“ So steht es auf der Webseite der Sportartikelfirma „Under armour“, was soviel wie „kampfbereit“ oder „in Rüstung“ bedeutet. Sehnige, durchtrainierte Menschen setzen auf den Fotos zum Sprung an und machen in ihrer Kleidung eine gute Figur. 55 Euro zahlt man für eine „SC30 Ultra Performance Shorts“ in schwarz. Solche schwarzen Shorts sind nur eines von vielen Milliarden Kleidungsstücken, die aus den Nähstuben der Armut kommen. Zum Beispiel aus den Händen von María Elena aus Nicaragua.

Sprecherin 2       
Ich heiße María Elena Gonzales Jiménez. Ich bin 23 Jahre alt und komme aus Nicaragua. Ich habe einen Job. Der Holzstuhl an meiner Nähmaschine, auf dem ich jeden Tag sitze, ist hart. Ich sitze da auch nicht so gut, meist muss ich mich mehr oder weniger runterbücken. In der Halle mit den vielen Nähmaschinen es ist heiß und stickig. Ventilatoren gibt es nicht. Der Druck ist enorm. Meine Chefs geben Stückzahlen vor, die wir gar nicht schaffen können. Doch ich brauche den Job. 5.000 Córdobas verdiene ich im Monat, das sind umgerechnet rund 132 Euro. Mit meiner Arbeit ernähre ich den Vater, der ist über 80, meine ältere Schwester und deren drei Kinder. Das ist es, was mir durch den Kopf geht, wenn ich die Nähte der schwarzen Shorts säume, 1.500mal am Tag derselbe Handgriff, zehn Stunden lang, sechs Tage die Woche.

Sprecherin 3
Verhilf mir zu meinem Recht, Gott!
Vertritt mich vor Gericht gegen das Volk,
das sich nicht an deine Gebote hält!
Rette mich vor falschen und bösen Menschen!
Ja, du bist der Gott, der meine Zuflucht ist!
Sende dein Licht und deine Wahrheit!
Sie sollen mich sicher führen.
Sie sollen mich zu dem Berg bringen,
wo dein Heiligtum ist – deine Wohnung.
Dann will ich vor den Altar Gottes treten –
vor Gott, den Grund meiner unbändigen Freude.
Verse aus dem Psalm 43

Liedruf: Bleibet hier und wachet mit mir

Sprecherin 2
Ja, meine Kolleginnen und ich haben harte Arbeitsbedingungen. Und bei uns allen reicht das Geld hinten und vorne nicht – aber ich lasse mich davon nicht unterkriegen. Meine Mutter hat immer gesagt: Geht, Mädchen, kämpft für eure Rechte! Sie hat mich auch öfter mitgenommen zu Workshops einer Bewegung, die „María Elena Cuadra“ (MEC) heißt. Das ist eine Frauenorganisation, die für
menschenwürdige Arbeitsverhältnisse in den Textilfabriken kämpft.
Zum Beispiel dafür, dass der Mindestlohn gezahlt wird, dass Gesundheits- und Hygienebestimmungen eingehalten werden, dass Arbeiterinnen und Arbeiter nach
Unfällen eine medizinische Behandlung erhalten.

Sprecherin 1
Lasst uns nicht vergessen: Es sind Menschen wie María Elena, die unsere Kleidungsstücke herstellen. Sie tun dies an vielen Orten dieser Erde, oft bei schlechter Bezahlung und unter schwierigen Arbeitsbedingungen.
Lasst uns nicht vergessen: Was und wie wir einkaufen ist Gottesdienst im Alltag der Welt. Vor allem aber lasst uns das nicht vergessen: Ein nachhaltiges Denken, damit Menschen wie María Elena ein Leben in der von Gott geschenkten Würde möglich ist.

Sprecherin 3
Denn der HERR sagt: »Ich liebe Gerechtigkeit und hasse gemeinen Raub. Ich halte meinem Volk die Treue, und belohne es für seine Leiden; ich schließe mit ihm einen unauflöslichen Bund und sage ihm für alle Zeiten meinen Schutz zu. Jesaja 61,8
Liedruf  - Bleibet hier und wachet mit mir

Sprecherin 2
Ich war 18, als ich etwas über meine Rechte erfuhr. Ich hatte Glück! Denn das hat mein Leben verändert. Rechte sind für uns gemacht – wir müssen sie aber kennen. Rechte, die meine Arbeit in der Fabrik betreffen – aber auch zu Hause und in der Gesellschaft. Da kam so viel in Bewegung, dass ich sehr viel Kraft bekam. Diese Kraft reicht aus, um neben der Arbeit noch Jura zu studieren. Abends, wenn ich zu Hause bin, dann lerne ich eben noch. Und ich arbeite ehrenamtlich bei der Organisation MEC mit, der ich persönlich meinen Wandel verdanke. Das ist es mir wert! Damit gebe ich das, was ich bekommen habe, an andere zurück.

Sprecherin 1
Ungerechte Lebensverhältnisse und Unterdrückung haben eine lange Geschichte. Selten gab es Zeiten, in denen Menschen es geschafft haben, so zu leben, dass für alle ein gutes Leben möglich war. Ein Leben ohne Hunger, Ausbeutung, Fremdbestimmung. Zu Zeiten des Propheten Jesaja, 700 vor Christus, war die soziale Lage in Israel angespannt. Der Graben zwischen Arm und Reich wurde immer tiefer. Große Teile der Bevölkerung verarmten. Menschen wurden unterdrückt und ihrer Rechte beraubt. Das assyrische Großreich bedrohte Israel und eroberte es schließlich. Der Prophet Jesaja steht in dieser Situation auf der Seite der Armen und Entrechteten. Immer wieder klagt er die Reichen an, die die Gesetze Gottes brechen. Immer wieder weist er laut daraufhin, dass Gott ein Gott der Gerechtigkeit und des Friedens ist. Deshalb ist es sozusagen die Kernaufgabe für den Menschen, so zu handeln, dass allen Gerechtigkeit widerfährt. Gott hält für alle echten Frieden und echte Ruhe bereit. Gott verlässt die Menschen nicht. Seine Gebote sind die Richtschnur für ein Leben in Gerechtigkeit. Und so ruft Jesaja sein Volk immer wieder auf:

Sprecher*in 3
Darum harrt der Herr darauf, dass er euch gnädig sei, und darum macht er sich auf, dass er sich euer erbarme; denn der Herr ist ein Gott des Rechts. Wohl allen, die auf ihn harren! Du Volk Zions, das in Jerusalem wohnt, du wirst nicht weinen! Er wird dir gnädig sein, wenn du rufst. Er wird dir antworten, sobald er's hört. Und der Herr wird euch in Trübsal Brot und in Ängsten Wasser geben. Und dein Lehrer wird sich nicht mehr verbergen müssen, sondern deine Augen werden deinen Lehrer sehen. Und wenn ihr zur Rechten oder zur Linken gehen wollt, werden deine Ohren hinter dir das Wort hören: Dies ist der Weg; den geht!  (Jesaja 30,18-21)

Lied: Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen

Liturgin 1
Maria Elenas Geschichte ist nur eine von weltweiten Milliarden Geschichten. Doch ich hoffe, dass sie Mut machen konnte. Und dass sie uns zeigt, dass wir einander beistehen sollen, wenn wir Unrecht erfahren. Die Geschichte zeigt genau das. Helfen wir einander, stützen wir uns und sehen nicht weg – dann wächst Gutes aus dem Leid. Dann kann aus dem abgeschlagenen Baum wieder ein Trieb wachsen.
Wir bitten Gott um sein Licht und seine Wahrheit. Gott öffne Herzen und Augen, Hände und Verstand für das, was wir als Christinnen und Christen tun können auf dem Weg zur Gerechtigkeit im Namen Gottes, in der Nachfolge Jesu. Ermutigt vom Geist Gottes, der Menschen von allem Anfang begeistern konnte; der Menschen begeistern konnte, das Leben zu schützen. Wir sind uns gewiss, dass wir damit die Absicht Gottes bezeugen, den Armen, Witwen, Waisen und Fremden in besonderer Weise nahe zu sein

Fürbitte
Gott, wir bitten dich für deine Kirche,
mache sie zur Zeugin und zum Werkzeug deines Friedens.
Vater unseres Lebens – Bruder unseres Leidens – Schöpfer unseres Glaubens,
wir danken dir, dass du uns dazu berufen hast, deine Geschichte zu erzählen,
vom Leben deiner Zeuginnen und Zeugen zu hören.
Dich, der du unsere Tiefe geteilt und selbst unter dem Bösen gelitten hast,
bitten wir für alle Menschen in Einsamkeit und Schmerzen.
Reiß Menschen aus Habgier und Bosheit,
lass Freundlichkeit unter uns wachsen und wehre der Gefühllosigkeit.
Wir bitten dich für alle, die anderen zu helfen versuchen.
Nimm dich unser gnädig an, rette und erhalte uns.

Und alles Gesagte und Ungesagte fassen wir zusammen in dem Gebet, das Jesus uns lehrte:
Vater unser im Himmel….

Die Kollekte sammeln wir für Brot für die Welt.

Segen

So lasst uns unsere Wege gehen
im Frieden und unter dem Segen Gottes:

Gott segne und behüte uns.
Gott schütze unser Leben
und bewahre unsre Hoffnung.
Gott lass Dein Angesicht leuchten über uns,
dass wir leuchten können für andere.
Gott erhebe Dein Angesicht auf uns
Und stärke unsern Glauben,
dass das Leben stärker ist als der Tod.

Musik: Change the world

Aus diesem Anlass bittet der Arbeitskreis um Spenden für „Brot für die Welt“, um die Menschen zu unterstützen, die unter schlechten Arbeitsbedingungen und ungerechten, niedrigen Löhnen arbeiten, wie z. B. in der Textilindustrie. In Zeiten der Corona-Pandemie sind sie besonders von Arbeitslosigkeit und Hunger bedroht.

Das Spendenkonto:

Ev. Kirchengemeinde Bad Nauheim
Verwendungszweck: Brot für die Welt
Sparkasse Oberhessen: IBAN: DE 09 5185 0079 0030 0016 21
Volksbank Mittelhessen: IBAN DE 83 51390000 0089 3284 03

Passionsandacht am 27.03.21 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Diese Passionsandacht ist auch als Video verfügbar.

Andacht zum Lied „Seh‘ ich das Kreuz an….“

Musik zum Eingang: Seh‘ ich das Kreuz an

Begrüßung mit Votum
Gott hält seine Hand über uns. Darum sind wir versammelt im Namen Gottes, der Quelle des Lebens, menschgewordener Liebe und Grund unserer Hoffnung. Amen.

Kollektengebet
Gott, Du bist Liebe,
bist Begleitung und Ziel allen Lebens.
Du schenkst uns unsere Zeit, gute und schlechte Tage.
Auch die Irrtümer, die Sackgassen und die Umwege sind wichtig.
Auch sie gehören zu unserem Menschsein.
Erinnere Dich an Deine Barmherzigkeit, an deine Güte und hilf uns zurückzufinden zu Dir, wenn wir Dich verloren haben.
In Jesus Christus spüren wir deine Kraft,
lebendig, stark und schön.
Schenk uns deine belebende Nähe,
denke an deine Güte, erinnere dich an deine Liebe zu uns
und rufe uns immer wieder zu Dir,
zum Leben in deinem Geist.
Amen.

Lesung: 1. Kor 1,18-25

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. 19Denn es steht geschrieben (Jes 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben.22Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; 24denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

Lied: Seh, ich das Kreuz an, ach wie schwer

Ansprache
Friede sei mit euch, von dem der da ist und der da war und der da kommt.

Es ist schöne Tradition in unserer Gemeinde, dass unsere Konfis im Konfirmationsgottesdienst ein Kreuz geschenkt bekommen. Das Design der Kreuze hat sich in den Jahren immer mal wieder geändert. Mal waren es Kreuze aus Olivenbaumholz, die wie ein Handschmeichler in der Hand lagen. Dann bunte Kreuze gestaltet von Menschen in fernen Ländern. Dann wieder schlichte silberne Schmuckkreuze als Kettenanhänger. Es ist unser Geschenk als Kirchengemeinde an die Jugendlichen und soll sie erinnern an die Gemeinde, die sie kennengelernt haben, an den Glauben, mit dem sie sich in der zurückliegenden Konfizeit beschäftigt haben. Natürlich hoffen wir, dass die Jugendlichen für die Kreuze einen schönen Platz finden, den Kettenanhänger auch tragen. Als Erinnerung an den, der sie auch zukünftig in ihrem Leben begleiten will.

Das Kreuz ist DAS Symbol des Christentums. Und es gibt die unterschiedlichsten Traditionen und Bräuche rund um das Kreuz. Kreuze finden sich natürlich in Kirchen und kirchlichen Räumen, in Wohnungen, manchmal am Rückspiegel eines Autos und an vielen anderen Orten. Und es gibt ganz unterschiedliche Kreuze. Waren es anfangs eher sehr schlichte aus Stein gemeißelte Modelle, so wurden sie mit der Zeit immer kunstvoller und je nachdem wie viel Geld der Auftraggeber*in hatte, auch immer aufwändiger und prunkvoller. Bis hin zu den in goldgefassten und mit Edelsteinen besetzten, überladenen Prunkkreuzen auf Domaltären oder fürstlichen Gebetsbüchern. Diese Prunksucht ist uns als Kirche mittlerweile eher peinlich. Und viele denken zu recht: Das Kreuz und ein damit zur Schau gestellter Reichtum passen nicht zusammen. Ist nicht das, wofür das Kreuz steht, das genaue Gegenteil von Schmuck, Zier und äußerem Glanz?

Das Lied „Seh ich das Kreuz an: Ach wie schwer“ nimmt beide Blickweisen in den Blick. Den Blick auf den wertvollen Kunstgegenstand und den Blick auf Gekreuzigten. Beide Sichtweisen werden einander gegenübergestellt. Das Lied ordnet Reichtum und Glanz den menschlichen Wünschen und Begierden zu. An und unter dem Kreuz herrschen Tod, Leid, Hohn und Spott. Doch weil an und unter dem Kreuz auch Gott anwesend ist, dreht er die damit verbundenen Werte einfach um: Glanz, erfolg, Reichtum stehen in völligem Gegensatz zu der Erniedrigung des Gekreuzigten und sich ist sein Leiden für uns, kostbarer und wertvoller als alle irdischen Güter. Das Lied spielt mit den Begriffen unserer materiellen Welt. Im englischen Originaltext noch deutlicher als in der deutschen Übersetzung. Diese materiellen Begriffen werden im Lied der Welt Gottes gegenübergestellt. Reichtum und Glanz stehen hier auf der menschlichen Seite – my richest gain (mein reichster Gewinn), all the vain things that charm me most (all die eitlen Dinge, die mich so sehr reizen). Doch die wahre göttliche Krone ist nicht aus Edelsteinen, sondern aus Dornen gemacht, der Mann am Kreuz ist ein König der Leidenden, der den Tod in ein neues Leben verwandelt hat.

Deshalb kann unser Blick auf das Kreuz immer nur ein doppelter Blick sein. Wir sehen darin nicht nur die Niederlage, sondern auch den Sieg, nicht nur Elend und menschliche Finsternis, sondern auch Glanz und göttliches Strahlen. „Der Tod ist verwandelt in den Sieg. Tod wo ist dein Stachel!“ Jesus hat mit seinem Tod am Kreuz die Gültigkeit von Reichtum und Macht überwunden und an ihre Stelle die Liebe und das Leben gesetzt.
Und das heißt: Weil Gott alle Werte, die vermeintlich Geltung haben, verändert, könne auch wir falsche Prioritäten unseres Lebens ablegen.

„Erfolg und Glanz verlocken mich, und doch vergehn sie mit der Zeit. Durch Jesus und sein Kreuz bin ich erlöst, aus ihrer Macht befreit.“ So singt das Lied in seiner 2. Strophe.
Wie weit trifft uns das? Natürlich haben Erfolg und Glanz einen Reiz. Wie schön wäre es, frei zu sein von allen materiellen Sorgen. Sich einfach leisten zu können, was das Leben erleichtert. Und immer besteht die Gefahr in den Strudel des „immer-mehr haben Wollens“ hineinzugeraten. Auch das gibt es.

Wie ist es mit dem Glanz nach außen? Wie stellen wir uns nach außen dar? Wie wollen wir wahrgenommen werden? Dieser Druck immer gut „rüber zu kommen“, immer glücklich und erfolgreich zu erscheinen. Das hat durch die sozialen Netzwerke eine ganz eigene Dynamik bekommen. Klicks und Likes bestimmen oft das Selbstwertgefühl und den sozialen Status einer Person. Hassmails und Fake News machen Menschen gezielt fertig. Führen in den sozialen Tod bis hin zum Selbstmord.

Und trotzdem: Ist es nicht zutiefst menschlich, dass wir für unsere Arbeit Anerkennung bekommen wollen? Ein Lob für unseren Einsatz an der Arbeit, im Ehrenamt oder im Freundeskreis und in der Familie. Wir brauchen die Bestätigung von außen.

„Erfolg und Glanz verlocken mich, und doch vergehn sie mit der Zeit und sein Kreuz bin ich erlöst, aus ihrer Macht befreit.“ Wenn ich diese Strophe höre, mich von der Melodie führen lasse, ist es eine Verheißung, eine gute Botschaft: Dein Wert wird nicht bestimmt durch Klicks und Likes. Du bist nicht davon abhängig, ob dich einer gut findet oder nicht. Du bist nicht das, was die anderen von dir denken. Die anderen haben keine Macht dich zu verurteilen. Denn der Mann am Kreuz hat  alle menschliche Macht gebrochen, er hat den Leidenden Glanz verliehen, den Gebrochenen Ruhm. Bei denen die im Schatten seines Kreuzes leben, zählen andere Werte. Zählt die Liebe, das Leben, das entsteht, wenn Menschen sich entwickeln.

Die Kreuze, die wir unseren Konfis schenken, die Kreuze, die in Kirchen und Wohnungen ihren Platz haben, haben eine wichtige Botschaft: Gib nicht den anderen Macht über dich. Lass dich nicht von dem bestimmen, was andere über dich denken. Schau auf das Kreuz und erinnere dich. Da ist einer, der dich liebt, auch wenn du selbst das gerade vielleicht nicht kannst. Da ist Trost und Hoffnung. Das Leben wird mit ihm an unserer Seite vielleicht sogar gut.

Lied

Fürbitten
Gott,
erinnere dich an deine Barmherzigkeit und Güte,
die von Ewigkeit her gewesen sind, und sieh auf uns und unsere Welt!
Wir bitten dich für alle, die es schwer haben.
Lass sie deine Gegenwart spüren und zeige ihnen Wege, die sie gehen können!
Wir bitten dich für die, die dem Bösen nicht standhalten.
Lass sie umkehren und zurückfinden!
Wir bitten dich für alle, die sich umsonst mühen.
Lass sie nicht verzweifeln und lass sie zu ihrem Ziel finden!
Wir bitten dich für alle Liebenden. Schütze und begleite sie!
Wir bitten dich für alle, die krank sind. Schenke ihnen Gesundheit!
Wir bitten dich für alle, die du aus dieser Welt zu dir gerufen hast.
Vollende sie in deinem Reich und sei mit allen, die um sie trauern!
Alles, was wir noch auf dem Herzen haben, bringen wir in der Stille vor dich…
Wir schließen unsere Bitten zusammen in dem Gebet, das Jesus Christus uns gelehrt hat:
Vater unser im Himmel….
Amen.

Abkündigungen
Segen

Gottesdienst am 21.3.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik
 

Begrüßung
Ein herzliches Willkommen zu unserem Gottesdienst heute! Judika heißt dieser Sonntag, nach dem Psalmwort „Schaffe mir Recht, Gott!“ So viele Menschen finden in ihrer Umgebung keine Gerechtigkeit und suchen sie bei Gott. So wie Hiob.  In diesem Gottesdienst hören wir von ihm, dem Mann, der mit Gott um Gerechtigkeit kämpft, auch um Gerechtigkeit für sich selbst. Ihm und auch uns heute soll darum eine Zusage Gottes gelten, wie sie beim Profeten Jesaja steht (57,18):
„Gott spricht: Ihre Wege habe ich gesehen, und ich habe das Leid gesehen, das sie tragen. Darum will ich sie heilen und sie leiten und will ihnen wieder Trost geben.“
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 43
Verschaffe mir Recht, Gott!
Rette mich vor den Menschen, die betrügen und Unrecht tun! Du bist der Gott meiner Stärke. Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich so traurig umhergehen, weil Menschen mich anfeinden?
Sende dein Licht und deine Wahrheit, das sie mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung.
Dass ich hineingehe zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.
Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Hoffe auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Und wir beten:
Heiliger Gott, wir danken Dir, dass Du uns den Sonntag freihältst von allem, was uns zerstreut. Du versammelst uns in Deiner Gegenwart.
Dafür danken wir Dir.  Nimm Du Dir nun Raum in unseren Herzen. Bewege und stärke uns in dieser Stunde für die Woche, die vor uns liegt.  Dich beten wir an, dreieiniger Gott. Amen

Lied: 440,1-4 All Morgen ist ganz frisch und neu

Lesung
Wir stehen nun in der Passionszeit. Der Zeit der Prüfung und der Bewährung des Glaubens. Hören wir, wie es dem Mann Hiob ergeht. Hiob ist ein schwerkranker Mann.  Ich lese aus dem 19. Kapitel des Hiobbuches die Verse 19-27 nach der Übersetzung „Hoffnung für alle“:

„Hört mir zu! Meine engsten Freunde verabscheuen mich jetzt; sie, die mir am nächsten standen, lehnen mich ab!

Und ich? Ich bin nur noch Haut und Knochen, mit knapper Not bin ich dem Tod entkommen. Erbarmt euch über mich, meine Freunde, erbarmt euch! Gottes Hand hat mich getroffen. Warum verfolgt ihr mich, wie Gott es tut?  Habt ihr mich nicht schon genug gequält?

Ach, würden doch meine Worte in einer Inschrift festgehalten und in Stein gemeißelt, lesbar für alle Zeiten!

Und doch: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! Auf dieser todgeweihten Erde spricht er das letzte Wort.  Auch wenn meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch Gott sehen! Ich werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen, und nicht als einen Fremden. Danach sehne ich mich von ganzem Herzen.“

Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. Amen.

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
sicher kennen Sie sie auch, die Hiobsbotschaften. Sie sind etwas, was niemand braucht. Niemandem sind sie zu wünschen. Hiobsbotschaften können einem direkt den Boden unter den Füßen wegreißen.  Sie kommen unvorhergesehen und können einen ohne Vorwarnung treffen. Und dann ist da diese Frage nach dem „Warum?“ Eine Frage, die ohne Antwort bleibt. Warum diese Krankheit? Warum dieses Leid? Warum ich? Wo bleibst du,  Gott?

Hiobsbotschaft – dieser Ausdruck rührt her von dem Mann Hiob, einem Menschen aus den Weisheitsbüchern unserer Bibel. Hiob erlebt so ziemlich alles, was das Leben eines Menschen niederdrücken kann. Schlag auf Schlag trifft es ihn, als hätte es jemand auf ihn abgesehen. Erst rafft Feuer sein Vieh dahin. Dann verliert er Haus und Hof. Seine Söhne und Töchter sterben, und schließlich wird er noch selbst von einer schweren Hautkrankheit eingeholt, die ihn quält, vom Scheitel bis zur Sohle. Hiob, der so geschlagen ist, schert sich den Kopf und wirft sich in den Staub.  Mehr geht nicht. Er weiß nicht, womit er all das verdient hat. Niemand weiß das. Denn wenn es einen Menschen auf Gottes Erde gibt, dem man nichts, aber auch gar nichts zur Last legen könnte, dann dieser Hiob. Er achtet Gott. Er ist ehrlich und hat sich wirklich nichts zu Schulden kommen lassen. Drei Freunde kommen zu ihm. Sie kommen, um bei ihm Schiwa zu sitzen, so wie es in der jüdischen Kultur üblich ist:  sie kommen, um sieben Tage mit ihm am Boden zu kauern und zu trauern. Auch sie wollen es verstehen: Warum? Warum gerade du, Hiob? Und dann fallen viele kluge Worte.  Mutmaßungen, Vorwürfe an Hiob und etliche Ratschläge.  Denn in einem sind sich die Männer nun doch einig: das Schicksal des Hiob muss eine Strafe Gottes sein. Wofür auch immer. Irgendeinen Grund muss es geben. Und so fragen sie immer wieder nach, und bohren herum im Leid des Geschlagenen.

Bis Hiob endlich schreit- voller Entrüstung und voller Enttäuschung: „Erbarmt euch über mich! Warum verfolgt ihr mich? Eure Ratschläge sind Schläge für mich!“ Und er schleudert ihnen ein entschiedenes Nein entgegen: „Nein, meine Krankheit ist keine Strafe Gottes! Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Krankheit und Unglück sind kein Fluch wegen einer Sünde oder einer Verfehlung. Hört auf mit diesem unseligen Herumstochern. Es gibt hier nicht Ursache und Wirkung.“

Das, was Hiob hier erlebt, ist nicht nur ein Zeichen seiner Zeit. Auch heute stellen Menschen immer wieder diese Frage, wenn sie mit einem Schicksalsschlag konfrontiert sind: „Womit habe ich das verdient? Was habe ich falsch gemacht? Wofür soll das nun eine Strafe sein?“ oder ihre Umgebung stellt genau diese Fragen und vermutet drauf los, offen oder heimlich. -  Aber es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem Tun und dem Ergehen. Es kann einfach jeden treffen, und das zu jeder Zeit.  Hiob leidet nicht nur körperlich, er leidet auch seelisch – daran, dass man ihn selbst für sein Unglück verantwortlich machen will, und daran, dass sich so Viele von ihm zurückziehen. Die Familie. Viele Freunde. Seine Bediensteten.

Hiob leidet aber auch daran, dass er nichts von Gott merkt. Gott ist ihm fremd, ist ihm verborgen und dunkel. „Gottes Hand hat mich getroffen“, klagt er. Und vielleicht ist das das Schwierigste, was auszuhalten ist.

Es kann im Leben tatsächlich Zeiten geben, wo man von Gott nichts spürt. Wo er sehr weit weg zu sein scheint. Zeiten der Gottesferne. Wo das Gefühl da ist, er habe sein Angesicht verborgen. Da kann es schwerfallen, überhaupt noch zu glauben. Da kann es sein, dass einen die Zweifel übermannen wollen. Gerade dann brauchen wir Freundinnen und Freunde, die das Schwere mit aushalten können und die uns nicht alleine lassen. Menschen, die sogar stellvertretend für uns glauben, die an Gott festhalten, ohne uns Vorwürfe zu machen. Sie sind dann wie ein unsichtbares Netz, das uns auffängt. Wie eine Brücke über eine tiefe Schlucht. Sie helfen uns, nicht zu fallen. Einen Weg zu gehen.  

In einer Krise können Menschen zu Stellvertretern Gottes werden. Zu Teilhaberinnen seiner Sorge um einen Menschen, der leidet. Davon erzählt ein Ausspruch aus dem chassidischen Judentum, einer besonderen Frömmigkeitsrichtung innerhalb des jüdischen Glaubens.  In diesem Ausspruch heißt es: „Wenn einer in Not ist und sagt: ‚Es gibt keinen Gott, es gibt kein Recht, und die Menschen sind schlecht‘, dann antworte: ‚Vielleicht. Aber ich bin da!‘“

Denjenigen nicht allein lassen, der ein Ohr braucht, diejenige nicht zurücklassen, die in seelischer Not ist – wie wichtig ist das zu jeder Zeit. „Ach, hört mir doch einmal zu! Damit würdet ihr mich trösten!“ sagt Hiob zu seinen Freunden.

Aber das Gute ist und schließlich das Entscheidende: Hiobs Weg ist noch nicht zuende. Er kämpft und klagt und ringt mit Gott. Er lässt ihn einfach nicht los. Hiob weiß, dass Gott alles für ihn bedeutet. Er will und er kann ohne ihn einfach nicht sein. Und so hofft Hiob auf Gott gegen Gott, gegen den Augenschein, dass er nicht da ist. Mit dieser Hoffnung gibt Hiob dem großen Trotzdem des Glaubens ein Gesicht. Und dann geschieht der Umschwung. Er ringt sich durch zu einer neuen Erkenntnis. So, als würde ein Gedanke von außen auf ihn zukommen. „Und doch: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ das ist wie eine Inspiration.  Wie ein Geistesblitz. Seine Hoffnung hängt an diesem einzigen Satz. So wie sein Leben an einem Faden hängt. Nur weil er mit Gott gerungen hat, ist Hiob zu dieser Hoffnung hindurchgedrungen.

Und dieser Satz wird zum lösenden Wort. An dieses Bekenntnis bindet Hiob sich, er, der irgendwo zwischen Himmel und Hölle hängt. Dessen Gefühle Achterbahn fahren. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ Davon ist er nun felsenfest überzeugt. Und das proklamiert er für sich und für alle Generationen. Aus tiefer Klage wird Vertrauen. Aus Verzweiflung wird Zuversicht. Und aus dem Niedergedrückt sein wird Aufatmen. „Meine Augen werden Gott sehen, und nicht mehr als einen Fremden, sondern als einen Freund,“ dazu streckt Hiob sich nun aus. Und er erfährt einen neuen Segen in seinem Leben:  er wird gesund, ihm wird noch einmal Hab und Gut beschert, und er und seine Frau dürfen noch einmal Eltern von einer Kinderschar werden.

Ich lerne aus dieser Geschichte, dass auch unser Leben nicht immer von Hiobsbotschaften verschont bleibt. Und dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen müssen. Ob wir wollen oder nicht. Wohin uns das „Abenteuer Leben“ führt, wissen wir nicht. Aber  - und das ist das Entscheidende! -  wir sind nicht gottverlassen. Niemals. Das ruft uns das Hiobbuch mit seiner positiven Hiobsbotschaft zu, mit dieser Zuversicht: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“  Für mich ist das wie ein heller Lichtstrahl der Hoffnung, gerade in unserer Zeit, die von so manchen düsteren Wolken verhangen ist. Gott ist da. Er wird uns Licht und Befreiung schenken, so wie an diesen letzten Tagen der Passionszeit schon das Licht der Auferweckung Jesu in unser Leben scheint und in unseren Tagen aufleuchtet. Mit dieser Aussicht kommen wir hindurch.

Und der Friede unseres Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied: + 101 Du bist mein Zufluchtsort

Fürbitten
1.    Du lebst, Gott. Du bist das Licht unseres Lebens. Du wirst uns Licht und Befreiung schenken, so wie Du es zeichenhaft schon getan hast in der Auferweckung deines Sohnes. Lass uns mit dieser Gewissheit im Herzen durch unsere Tage gehen.
2.    Du Gott bist unser Zufluchtsort. Wir bitten dich für alle, die sich verlassen fühlen. Gib dich ihnen zu erkennen und tröste sie.
3.    Wir bitten dich für alle, die krank sind. Sei du ihnen nahe. Schenke ihnen Genesung und neue Kräfte.
4.    Du Gott bist unser Helfer. Wir bitten dich für alle, die Unrecht erfahren. Nimm dich ihrer Sache an. Gib ihnen Fürsprecher an die Seite, die Gerechtigkeit für sie einfordern.
5.    Für uns alle bitten wir. Nimm die Lasten von unseren Schultern, die wir nicht mehr tragen können. Stärke unsere Geduld in dieser Zeit und gib uns einen langen Atem.
6.    Für unsere Verstorbenen bitten wir, von denen wir Abschied genommen haben in dieser Woche: nimm sie auf in den Frieden deines Himmels. Schenke ihnen deine unendliche Geborgenheit und Liebe. Danke, Gott, dass du auch das Licht ihres Lebens bist und bleibst.
7.    Und alle unsere Bitten nehmen wir hinein in das Vaterunser, das Jesus Christus uns geschenkt hat:

Vaterunser
Segen
Der Herr segne dich und behüte dich
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden
Amen

Gottesdienst am 14.3.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Gottesdienst mit dem Thomas Messe Team: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“

Begrüßung
Votum

Eingangsmusik

Psalm 31 - Variation

Du stellst meine Füße auf weiten Raum
Du – manchmal frage ich mich, wer du überhaupt bist – Gott.
Du scheinst so ferne von mir zu sein
Und dann auch wieder ganz nahe bei mir
Es gibt Tage, da verstehe ich dich nicht, nehme nichts von dir wahr
Und doch ahne ich, dass du da bist. Mein Gegenüber.
Du bist da, mir ganz nah, auch wenn ich es nicht spüre.
Und jetzt stelle ich fest:
Meine Füße stellst du, Gott, auf weiten Raum
Meine Füße - wie lange tragen sie mich jetzt schon durchs Leben
Wieviel Wege bin ich schon gegangen?
Gute Wege, die mich näher zum Licht und zur Wärme brachten,
aber auch verkehrte Wege und ich stand nahe am Abgrund und schaute hinunter.
Doch du Gott warst da!
Mit mir am Abgrund!
Und du hast meine Hand gehalten
Sodass ich nicht abstürzen konnte
Du hast mich behütet und bewahrt
In guten wie in schlechten Zeiten
Und jetzt erkenne ich:
Auf weiten Raum stellst du Gott meine Füße
Weiter Raum, nicht mehr beengt sein
Freiheit und Weite spüren.
Grenzenlose Freiheit und doch umfangen von dir,
geborgen, in deinen starken Armen.
Und genau das wünschen ich mir
Deine Nähe und Liebe, jeden Tag neu
Deine Begleitung, damit ich nicht allein bin, wohin ich auch gehe
Und die Freiheit, den weiten Raum, den nur du schenken kannst
Ja, du Gott stellst meine Füße auf weiten Raum,
damit ich sicher wohne

Gebet

DU
große Weite und Licht des Lebens

DU löst mich aus meiner Enge
DU erhellst mein Dunkel
DU schaffst mir weiten Raum
DU bewegst mich zur Freiheit

Leib und Seele dürfen sich öffnen
immer wieder neu und lebendig
weit ausschreiten und das Mögliche entdecken

DICH fragen
DICH hören
DIR danken
Gott
DU
weites und großes Herz

Impulse: Unsere Erfahrungen des ‚weiten Raums‘    

Du stellst meine Füße auf weiten Raum:
In den letzten Wochen habe ich erlebt, wie bereichernd es ist, für andere etwas zu tun. Zwei gute Bekannte sind coronabedingt im Homeoffice. Da bleibt die Versorgung mit einer warmen Mahlzeit manchmal auf der Strecke. Als ich sie fragte, ob ich sie so einmal in der Woche zum Mittagessen einladen dürfte, waren sie hellauf begeistert. Mir haben schon die Überlegungen im Vorfeld viel Freude gemacht.  Überlegen was ich kochen will, Rezepte raussuchen, was schmeckt den anderen?  Die Vorbereitungen und das Kochen haben mir bisher unbekannte Erfahrungen und Erfolgserlebnisse geschenkt. Sozusagen meine Füße in einen weiten bisher ungenutzten Raum gestellt. Und bei einer gemeinsamen Mahlzeit macht das Essen doppelt Freude.
….

Lied: 638, 1+2    Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe …    

Am Meeresstrand – Kurze Phantasiereise
Nun begib dich in deiner Phantasie an einen wundervollen weißen Sandstrand — Du läufst am Wasser entlang, nimmst den Strand wahr, den Himmel, die Wolken und die Weite und beobachtest die Wellen des Meeres — Das leichte hin und her — Du kannst den feinen warmen Sand unter deinen Füßen spüren. — Die Sonne scheint angenehm warm und wärmt dich. Die sanften Wellen des ruhigen Meeres bewegen sich ganz leicht hin und her  — höre dem Rauschen des Meeres zu — genieße die warme Sonne auf deiner Haut  — genieße die wohltuende Umgebung des Meeres — lausche deinem eigenem Atem — ein und aus — ein und aus —  Stelle dir beim Einatmen die Tiefe des Meeres vor und beim Ausatmen die Weite des Horizonts--du spürst wie die Wärme der Sonne von den Armen — zum Brustbereich — in den Bauch — in dein Gesäß — in deine Beine — bis in deine Füße fließt — du spürst eine angenehme Schwere — die deinen ganzen Körper erfasst — Beobachte deinen Atem —  — ein und aus — spüre wie das Heben und Senken deines Brustkorbs dir gut tut — Du kannst deinen Atem im ganzen Körper spüren — heben und senken — angenehme Schwere, angenehme Wärme — ein und aus — lausche wieder dem Rauschen des Meeres und fühle wie eine erfrischende Brise deine Stirn berührt — sie kühlt deine Stirn — du bist völlig klar, erfrischt und entspannt — angenehme Schwere und Wärme erfüllt dich  — atme die saubere Seeluft ein — nimm die Meeresatmosphäre in dich auf — spüre wie die Sonne deinen Körper wärmt — du fühlst dich vollkommen aufgenommen und geborgen.
Das Gefühl der Geborgenheit wird dich nun auf deiner Heimreise begleiten — fühle die Wärme der Sonne, die dich erfüllt — Fühle dieses Gefühl der Freude — Fühle die angenehme Schwere deiner Glieder — die Entspannung und die wohlige Wärme — nun kehre in Gedanken zurück aus deinem Bild — verabschiede dich —

Ansprache

Du stellst unsere Füße auf weiten Raum .. Ps 31,9

Dieser Vers hat uns in den letzten Wochen begleitet, wenn wir über unsere Erfahrungen mit dem Lockdown gesprochen haben. Wir konnten uns nur online treffen – und waren froh darüber, dass das wenigstens ging. Es war sogar schon ein Stück Freiraum geworden, weil sich alle daran beteiligen konnten. Handlungsspielraum – ein schönes Wort finde ich.

Es gibt unser Leben nicht ohne die Furcht um sich selbst. Ganz besonders in diesen Zeiten. Und Angst hat mit Enge zu tun. Die Blutgefäße verengen sich. Die Muskelspannung nimmt zu. Alles verkrampft sich. Angst kann Menschen die Lebensimpulse nehmen, die Lebendigkeit. Sie kann blind machen und die Handlungsspielräume ganz klein werden lassen. „Angst essen Seele auf“, heißt ein bekannter Film.

Aber:  Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit…. Durch Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen hat und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium. 2. Tim 1, 7+10
Wenn der Timotheusbrief gegen die Angst anschreibt, dann geht es darum, ihr die Grenzen zu zeigen.  Sie nicht überhand nehmen zu lassen. Denn das ist die Gefahr bei der Angst: Dass sie wie ein Gefängnis wird, in das wir uns nur noch einschließen.

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“, heißt es dort weiter. Dieser „Mutmach-Geist“ ist schlicht und einfach da.
Und er gibt mir Kraft: Im Griechischen steht da dynamis, das hat mit Bewegung und Dynamik zu tun. Wo alles erstarrt und gebannt ist vor Angst, da kommt Bewegung und Schwung rein. Da sind wieder Schritte möglich, da tun sich neue Wege auf.
Er gibt mir Liebe: Da klingt Gemeinschaft, Verbundenheit, Beziehung an. Ich muss mich nicht zurückziehen, ich soll mich nicht heraus nehmen, sondern ich kann auf andere zugehen, meine Ängste mitteilen, trösten und getröstet werden.
Er gibt mir Besonnenheit: Ich habe die Fähigkeit, angemessen zu beurteilen, klar zu denken und abzuwägen. Ich kann Regeln beachten und Handlungsspielraum verantwortlich nutzen.
Kraft und Liebe und Besonnenheit, all das wird mir zugetraut, ich bin kompetent im Umgang mit der Angst!
Glauben bedeutet also nicht, keine Angst mehr haben, das wäre naiv. Der Glaube kann die Angst verändern. Der Glaube arbeitet an der Angst. Der Glaube schiebt der Angst einen Riegel vor: bis hierher und keinen Schritt weiter!

Die jüdische Schriftstellerin Rose Ausländer, die in der Nazizeit Angst und Schrecken erlebt hat, beginnt ein Gedicht mit den Worten: „Wirf deine Angst in die Luft“. Da trotzt eine der Furcht mit spielerischer Leichtigkeit. „Wirf deine Angst in die Luft“ – als könnte man damit spielen, als wäre das Fenster weit geöffnet. So wie Timotheus beim „Geist der Furcht“: Ihr seid darin doch gar nicht gefangen, ihr seid euren Ängsten doch gar nicht ausgeliefert! Ihr seid frei, ihr habt Gottes Geist und Kraft. – Das lässt mich wieder freier atmen, das macht, dass ich einen ersten Schritt heraustreten kann. Es geht weiter! Wirf deine Angst in die Luft! Es gibt keinen Grund zu verzagen! Fürchte dich nicht! Gott stellt unsere Füße auf weiten Raum.

Lied: 395. 1+3    Vertraut den neuen Wegen

Fürbitte
In unser Gebet nehmen wir die Gemeindemitglieder auf, von denen wir uns in der vergangenen Woche verabschieden mussten.
Wir bitten für Alleinstehende, denen die persönlichen Kontakte so sehr fehlen. Die Einsamkeit höhlt sie von innen aus. Bitte schenke ihnen kleine Hoffnungszeichen der Zuwendung, damit sie spüren, dass sie nicht alleine sind.

Wir bitten für die Menschen in den Alten- und Pflegeheimen. Wenn sie nun geimpft sind, mögen sie wieder ein Stück Normalität zurückgewinnen, gemeinsam essen, Besucher empfangen können. Gib uns allen einen Sinn dafür, bei aller weiterhin notwendigen Vorsicht vor dem Corona-Virus die Menschlichkeit nicht zu vergessen und an die Nächstenliebe zum Maßstab unseres Handelns zu machen.

Wir bitten dich aber auch für die Familien, du weißt, wo die Wohnungen eng werden und die Kraft und die Geduld fehlen. Wir bitten dich um Liebe in den Familien, gerade in Zeiten von Homeschooling, Homeoffice und Kurzarbeit. Du weißt um all die finanziellen Engpässe, die Nöte und Sorgen. Schenke uns da immer wieder auch den wachen Blick, wo wir helfen und einander beistehen können. Stelle du selbst unsere Füße auf weiten Raum und schenke und neue, belebende Gedanken

Wir bitten für uns - dass wir die Gelassenheit finden, noch einige Zeit mit notwendigen Einschränkungen unseres Lebens zurechtzukommen, aber auch, dass wir Spielräume erkennen, wo sie vorhanden sind und diese nutzen.

Wir haben mit Anteilnahme den Besuch des Papstes im Irak verfolgt. Es war ein starkes Zeichen für die Verständigung zwischen den Religionen. Gib den Menschen die Kraft, dieses Zeichen weiterzutragen und es mit Leben zu füllen, und hilf den verbliebenen Christen im Irak, gemeinsam mit den dort lebenden Muslimen eine Perspektive für ihr Leben und ihren Glauben zu finden.

Vater Unser
Lied: 432, 1+3        Gott gab uns Atem
 

Abkündigungen
Am Samstag, dem 20.3. laden wir Sie zur Passionsandacht in der Wilhelmskirche und als Livestream auf Youtube ein.
Die nächste Thomas Messe feiern wir am 27.6.2021

Die Kollekte des heutigen Sonntags erbitten wir für unsere allgemeine Gemeindearbeit.

Unter Gemeindearbeit sind alle Aktivitäten zusammengefasst, die nicht mit der Kirchenmusik, der Jugendarbeit oder unseren diakonischen Aufgaben zusammenhängen.
Darunter fällt der Betrieb unseres Gemeindebusses, aber auch die Stelle im Freiwilligen Sozialen Jahr. Dieses konnten wir nun schon seit einiger Zeit leider nicht mehr besetzen, weil wir es uns einfach nicht leisten können.
Auch die Öffentlichkeitsarbeit mit dem Gemeindebrief, Kirchenführern und Monatsplänen erfordert Geld für das Drucken – erstellt wird das alles kostenlos von engagierten Ehrenamtlichen.
Wir möchten auch weiterhin gerne Freizeiten anbieten, die nicht immer durch Teilnehmerbeiträge finanziert werden können. Und wir möchten nicht zuletzt auch bei Taufen und Trauungen zum Beispiel Bibeln verschenken.
In unserem Gemeindegarten und bei den Malworkshops wird Material benötigt, und bei Gemeindeversammlungen und den Begrüßungstreffen von Zugezogenen brauchen wir auch mal etwas Kaffee und Kuchen.
Gelegentlich muss auch mal etwas repariert werden, und für alles das reicht die Kirchensteuer leider nicht aus. Insgesamt fehlen uns jedes Jahr etwa 9.000 Euro in diesem Bereich.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie heute kräftig dazu beitragen könnten, unsere Gemeindearbeit zu unterstützen.
Sie können die Kollekte gerne als Barspende im Gemeindebüro abgeben oder auch überweisen. Die Kontodaten finden Sie auf unserer Homepage.
Mitgebsel: Füße

Segen                                
Musik  
    

Passionsandacht am 13.03.21 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Diese Passionsandacht ist auch als Video verfügbar.

Musik
Wir feiern diese Passionsandacht im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Gebet
Allmächtiger und barmherziger Vater, Dein Sohn Jesus Christus hat als wahrer Mensch gelebt und den Tod am Kreuz erlitten. Seine Liebe und Hingabe haben uns Heil gebracht. Tröste und bewahre uns in aller Not durch ihn, Christus, unseren Herrn. Amen.

Lesung aus 1. Korinther 1, 18-25
18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. 19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben. 22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23 wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

Lied „Auf das Kreuz will ich vertrauen“
Das Lied können Sie auf der Seite des Gottesdienstinstituts nachhören.

Ansprache
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Das Kreuz. Es ist das Symbol der Passionszeit. Ja, es ist das Symbol der Christen überhaupt. Aber es ist kein eindeutiges Symbol. Es gehört in jede Kirche. Es hängt bei vielen Menschen zu Hause. Es ist Modeschmuck der Lebenden und auf den Gräbern der Toten. Deshalb verknüpfen viele Menschen das Kreuz mit dem Tod. Am Ende des Lebens steht das Kreuz. Und das ist ja auch richtig: Das Kreuz erinnert an die dunkelsten Stunden im Leben Jesu und im Leben derer, die ihre Hoffnung auf ihn gesetzt hatten. Im Kreuz verdichtet sich Erfahrung von menschlicher Grausamkeit und Schuldverstrickung, von Leid und Tod.
Und gerade das ist eines der prägendsten Symbole der Christenheit! Ist das nicht seltsam? Geradezu dumm? Oder um es mit Paulus zu sagen: Eine Torheit?

Ganz anders dichtet und singt es John Bowring. In seinem Lied „In the cross of Christ I glory!“ ist das Kreuz ein Zeichen des Lebens. Des Triumphes. Lassen wir wir die Worte der ersten beiden Strophen noch einmal in der deutschen Übersetzung von Christina Falkenroths auf uns wirken:
1. Auf das Kreuz will ich vertrauen, / es strahlt hell durch alle Zeit. /
Jesus Christus will ich schauen, / sein Licht bleibt in Ewigkeit.
2. Wenn mich Leid und Kummer plagen, / Angst mir fast den Atem raubt, /
immer wird das Kreuz mich tragen. / Frieden findet, wer ihm glaubt.

Ein Lied der Freude mitten in der Passionszeit. Es wartet nicht auf Ostern und die Botschaft von der Auferstehung, sondern bringt das Kreuz selbst zum Leuchten. Ausgerechnet das, was uns an das Schmerzlichste erinnert: An die dunklen Schatten, die Leid und Tod auf das Leben werfen; ausgerechnet dieses Kreuz wird in diesem Lied besungen als Quelle des Lichts und des Vertrauens in das, was uns wirklich trägt. Wie ist das möglich? Was lässt mich die strahlende Seite des Kreuzes sehen, ausgerechnet dann, wenn ich von Leid und Tod umgeben bin? Wie kann ich dieses Lied auch innerlich mitsingen? Drei wichtige Glaubenserfahrungen werden in diesem Lied lebendig:

(1) In einer schweren Situation tut es gut, nicht allein zu sein. Es tut gut, wenn jemand mit ganzer Empathie und Solidarität an meiner Seite ist. Nicht als jemand, der „über den Dingen“ steht. Sondern jemand, der mitfühlt, mitleidet, mitweint. Für mich ist das Kreuz ein Symbol dafür, dass Gott genau das tut. Dass Gott einfach da ist. Dass er in Jesus Christus selbst durch alles Menschliche gegangen ist. Das Kreuz ist das Zeichen, dass Gott mit mir durch all das hindurchgeht, was ich als „Kreuz“ erfahre.

(2) Manchmal werden wir ausgerechnet in Situationen, die wir als zerbrochen und dunkel erleben, besonders durchlässig für das Licht und die Kraft Gottes. Oft wird das erst im Nachhinein sichtbar. Der kanadische Schriftsteller und Musiker Leonard Cohen hat das so auf den Punkt gebracht: „There is a crack in everything, that's how the light gets in“. Man könnte das ungefähr so übersetzen: „In allem ist ein Riss – auf diese Weise kommt das Licht herein“. Das Kreuz steht für mich genau für diesen Riss: Die Erfahrung von Schuld, von Zerbrochensein, von Endlichkeit – und durch diesen Riss dringt das Licht der Liebe Gottes. Es heilt und vergibt und überwindet alle Macht des Todes. Ein für allemal. Das Kreuz strahlt hell, weil Gott durch das Kreuz hindurch sein Heilswerk vollendet. Ohne Kreuz keine Auferstehung und ohne Auferstehung keine Hoffnung.

(3) Christus lebt. Sein Tod am Kreuz war nicht das letzte Wort. Mit dem Licht des Ostermorgens ist er ist mitten unter uns. Es ist die Erfahrung, dass er uns täglich begegnet. Zum Beispiel in Menschen, die uns manchmal fremd oder gleichgültig sind, die er aber seine Geschwister nennt. Es ist die Erfahrung, dass er mich immer wieder sucht, auch wenn ich mich von ihm entfernt habe. Christus lebt, und ich in ihm. Dafür steht das Kreuz. Und deshalb kann ich auf das Kreuz vertrauen.

Wir können in der Passionszeit singen vom Kreuz, das strahlt und uns trägt. Vielleicht bleibt dabei etwas Irritierendes, gerade in der heutigen Zeit. Vielleicht war es das, was Paulus meinte, als er an die Korinther schrieb: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft“ (1.Korinther 1,18). So ist auch unser Leben: Nicht geradlinig. Leid und Freude sind beieinander. Scheitern und Erfolg sind immer möglich. Das Leben ist nicht nur Passion oder Ostern. In der Passionszeit bedenken wir Jesu Weg nach Golgatha. Und doch sind wir schon über Golgatha hinaus. Jesus lebt. Und davon geben auch die Lieder dieser Passionsandacht Zeugnis. Wir singen gleich „Herr, stärke mich, Dein Leiden zu bedenken.“ Und wir haben vor dieser Predigt gehört:

1. Auf das Kreuz will ich vertrauen, / es strahlt hell durch alle Zeit. /
Jesus Christus will ich schauen, / sein Licht bleibt in Ewigkeit.

Lied EG 91, 1-2 und 9

Fürbitten und Vaterunser
Gott, unser Schöpfer,
Du hast dich als Mensch unter Menschen begeben, um uns gleich zu sein und uns nahe zu kommen. Du willst uns auch durch schwere Zeiten hindurch begleiten. Dafür danken wir dir.
Wir bitten dich:vHilf uns, dir zu vertrauen. Oft fühlen wir uns fern von dir, wir zweifeln an dir. Oft wollen wir erst dann glauben, wenn wir verstehen. Doch du bist größer als unsere Vernunft. Hilf uns, dich mit Kopf und Herz zu erkennen und uns im Leben auf dich zu verlassen.

Sei bei denen, die leiden:
Bei Menschen, denen durch andere Gewalt angetan wird.
Bei Menschen, die unter der Verachtung leiden, die ihnen andere entgegenbringen.
Bei Menschen, deren Vertrauen enttäuscht worden ist, und die nun nicht mehr wagen, sich anderen zu öffnen.
Bei Menschen, die krank sind und von anderen allein gelassen werden.

Vergib denen, die schuldig werden an anderen. Schenke ihnen Kraft, wieder auf andere Menschen zuzugehen und neue, tragende Bindungen aufzubauen. Gott der Liebe, wir bitten dich: hilf uns, dir zu leben und dir zu singen. Schenke uns die Fähigkeit zu staunen über das Leben, das du uns gegeben hast.

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und gebe Dir Frieden.
Amen

Musik

Die Passionsandacht basiert auf Texten und Ideen des Gottesdienstinstituts.

 

Gottesdienst am 07.03.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Klavierstück

Begrüßung
Herzlich Willkommen am Sonntag Oculi hier in der Wilhelmskirche. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen. Oder einen guten Tag. Je nachdem, wann Sie diesen Gottesdienst anschauen. „Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“ ist der heutige Leitvers. Dieser Sonntag hat seinen Namen „Oculi“ von der lateinischen Übersetzung des Leitverses: „Oclui nostri ad dominum deum.“ Vielleicht kennen Sie diesen Vers aus einem Taizélied, das wir heute auch singen werden. Thematischer Schwerpunkt des Gottesdienstes göttliche Licht. Es freut uns, dass Sie sich von zu Hause aus zugeschaltet haben und wir diesen Gottesdienst gemeinsam feiern.
Heute gibt es wieder zwei Lieder zum Mitsingen. Damit Sie diese in Ihrem Gesangbuch besser finden können, sagen wir sie jetzt schon einmal an. Wenn Sie kein Gesangbuch zu Hause haben, können Sie sie auch über eine Suchmaschine finden. Das Lied vor der Predigt ist die Nummer 96. Das Passionslied „Du schöner Lebensbaum des Paradieses“ ist das Wochenlied. Die Nummer 96 im Gesangbuch. Das Lied nach der Predigt ist die Nummer 789.5 „Oculi nostri“. Als Taizélied hat es nur wenig Text, der meditativ mehrfach wiederholt wird. „Oculi nostri“ im Gesangbuch unter der Nummer 789.5
Und so feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Psalm und Gebet
Wir beten mit Worten aus Psalm 25: Mein Gott, ich hoffe auf dich; lass mich nicht zuschanden werden, dass meine Feinde nicht frohlocken über mich. 3 Denn keiner wird zuschanden, der auf dich harret. HERR, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige! 5 Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich! Denn du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich auf dich. 15 Meine Augen sehen stets auf den HERRN; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen. 16 Wende dich zu mir und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und elend. 17 Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten! 18 Sieh an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden! 20 Bewahre meine Seele und errette mich; lass mich nicht zuschanden werden, denn ich traue auf dich!

Gott, Du Quelle des Lichts, manchmal tust Du uns die Augen auf, lässt uns hindurchsehen durch alles Ungeklärte, so dass wir zu glauben wagen, aller Unsicherheit zum Trotz. Lass uns das Licht wahrnehmen, das uns leuchtet in Christus und alle Nacht vertreibt. Christus ist unser Licht in Ewigkeit. Amen.

Lesung Eph 5,1-2; 8-9
Die Lesung für den heutigen Sonntag ist zugleich der Predigttext: 1 So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder 2 und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. 8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; 9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. Amen.

Lied: EG 96, 1-3

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Liebe Gemeinde,
wann haben Sie das letzte Mal einen Sonnenaufgang beobachtet? Zurzeit stehen die Chancen ja recht gut. Aus dem Fenster meines Arbeitszimmers sehe ich manchmal wunderschöne Sonnenaufgänge. Es fasziniert mich, wenn sich das warme Rot über den Dächern ausbreitet. Das Licht bahnt sich einen Weg in den Tag. Nach wenigen Minuten taucht die Sonne auf und ihre unbändige Kraft wird spürbar. Das Rot wird heller, ich genieße die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf meinem Gesicht. Das Licht flutet alles. Unaufhaltsam, angenehm, faszinierend. Es ist der Zauber des neu erwachenden Tages. Vielleicht erinnern Sie sich an besondere Sonnenaufgänge. In der Osternacht. Am Meer. In den Bergen. Auf der Autobahn oder im Zug auf dem Weg zur Arbeit. Zu Hause beim Frühstück.

Um das Licht geht es im zweiten Teil des heutigen Predigttextes. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Nachahmung. Darüber habe ich im Gottesdienst zum neuen Jahr gesprochen, als es um die Jahreslosung ging. Vielleicht erinnern Sie sich. Und wenn nicht, können Sie den Gottesdienst noch in unserem Youtubekanal nachhören. Ein positiver Aspekt der Onlinegottesdienste. So können wir uns ganz dem Lichtmotiv in den Versen acht und neun widmen. Ich lese noch einmal die beiden Verse aus dem Epheserbrief im fünften Kapitel: 8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; 9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Was für eine grandiose Zusage: Ihr seid Licht in dem Herrn. Die neue Genfer Bibel übersetzt: „Jetzt gehört ihr zum Licht, weil ihr mit dem Herrn verbunden seid.“ Du gehörst zum Licht. Weil Du zu Gott gehörst, weil Du zu Jesus gehörst. Vorher waren wir in der Finsternis, aber nun sind wir Licht in Gott. Christ zu sein, bedeutet also auch Transformation. Gott verändert uns durch seine liebevolle Kraft. So wie die Sonne des anbrechenden Tages die Finsternis durchdringt, langsam und sanft, kraftvoll und unaufhaltsam, lebendig. So durchdringt Gottes Kraft unser Leben. Als Nachfolger Christi ist Licht sein also unser Normalzustand.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich auf mein Leben sehe, dann bin ich nicht immer Licht. Bei mir gibt es einige Schattenseiten, über die ich mich total ärgere. Oder noch schlimmer: Ich habe Schattenseiten, über die sich andere immer wieder aufs Neue ärgern. Und nicht selten zu Recht. Wie passt das zu meinem Normalzustand? Wie passt das zu der Aussage, dass ich Licht BIN in Gott?

Dazu zwei Gedanken. Erstens: Licht kann wärmend ins Zimmer scheinen. Es kann Sicherheit geben. Menschen fühlen sich am Tag oft sicherer, als in der Nacht. Aber Licht kann auch unangenehm sein. Blenden. Dreckige Ecken in den Fokus rücken. Will ich überhaupt alle Ecken meines Lebens von Gottes Licht ausgeleuchtet haben? Vielleicht gibt es ja dunkle Ecken, in denen ich mich häuslich eingerichtet habe. Das zuzugeben, kann schmerzhaft sein. Und doch ahne ich tief in meinem Innern, dass auch in diesen Ecken Licht gut tun würde. Wenn es nur am Anfang nicht so schonungslos wäre. Auf der anderen Seite bin ich mir sicher: Gott verurteilt mich nicht deswegen. Er drängt mich nicht. Er schenkt sein Licht freigiebig. Er macht das Angebot, mit uns zusammen Licht in dunkle Ecken unseres Lebens zu bringen.

Zweitens: Licht sein ist eine individuelle Entwicklung. Bei uns in Mitteleuropa braucht der Sonnenaufgang etwas Zeit. Das macht auch seinen Zauber aus. Und so breitet sich das Licht auch in unserem Leben nach und nach aus. Wie eben angedeutet, hängt das auch damit zusammen, wie sehr wir es einlassen. Licht zu sein, ist also eine persönliche, individuelle Entwicklung. Das Licht kommt zu uns und wir können ihm Raum geben. Und das passt zur Fastenzeit. Ich finde sie eine großartige Gelegenheit, Gott in unserem Leben zu entdecken. In der Fastenzeit können wir seinem Licht in uns Raum geben. In der Fastenzeit können wir innehalten und uns fragen: Was ist mir wichtig? Woran hängt mein Herz? Wir können uns auf Gott fokussieren. Durch Gebet, durch Meditation. Durch intensive Beschäftigung mit einem Bibeltext. Durch Verzicht. Durch Schweigen. So öffnen wir uns für das Licht Gottes. Aber nicht als Spitzenleistung. Wir müssen Gott nicht beweisen, dass wir toll sind. Er weiß, dass wir Schattenseiten haben und dass wir mit seinem Licht auch ab und zu herausgefordert sind. Gerade deshalb gilt uns seine Zusage: Ihr SEID Licht in Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alles menschliche Begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Informationen zum interaktiven Gebet

Dem Licht Gottes in unserem Leben Raum geben durch Mediation, Musik und Gebet. Das möchte ich jetzt mit Ihnen praktisch ausprobieren. Wenn Sie diesen Gottesdienst auf der Internetseite der Gemeinde in Textform feiern, dann können sie ebenfalls Gebetsanliegen formulieren. Unter menti.com/eygmy24yrw finden Sie eine Seite mit einem Fenster, in das Sie Ihr Gebetsanliegen anonym eintragen können. Ihre Anliegen nehmen wir am Donnerstag mit in die Dankeskirche. Dort kommen sie an eine Gebetswand, wir werden dafür beten und eine Kerze anzünden. Die bis Mittwochabend verschickten Anliegen gehen also nicht verloren. Sollte etwas technisch nicht klappten, schicken Sie uns gerne Anliegen per Mail oder werfen Sie sie in den Briefkasten am Gemeindebüro.

Lied: EG 789.5

Fürbitten und Vaterunser
Herr, großer Gott, wir danken Dir für das Licht, mit dem Du unser Leben durchströmst. Lass uns entdecken, wie Du in unserem Leben wirkst und lass uns Kinder des Lichts sein in dieser Welt.
Barmherziger Gott, wir mussten auch in dieser Woche Abschied nehmen von lieben Menschen. Du kennst ihre Namen. Nimm sie gnädig auf in Dein Reich. Richte ihre Familien und Freunde in ihrer Trauer auf, lass sie Trost finden und stelle ihnen Menschen an die Seite, sie bei ihnen sind in dieser schweren Zeit.

Wir beten weiter mit den Worten des Vaterunsers.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Abkündigungen
Wegen der Coronasituation in der Wetterau verzichten wir bis auf weiteres auf Präsenzveranstaltungen. Sie finden ein vielseitiges, digitales Angebot mit Andachten und dem Programm der Kinderkirche auf unserer Internetseite www.evangelisch-in-bad-nauheim.de. Am Samstag, dem 13.3. laden wir Sie zur Passionsandacht ebenfalls als Livestream auf Youtube ein.

Die Kollekte ist - wie in allen Gottesdiensten in der EKHN am heutigen Sonntag – jeweils zur Hälfte bestimmt für die Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ und für die Initiative Polen-Deutschland-Zeichen der Hoffnung. Die Aktion "Hoffnung für Osteuropa" hilft und bringt Menschen zusammen. So wird Jugendlichen aus der Region um Tschernobyl jährlich ein Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Der Verein "Kinderhilfe Gomel e.V." setzt sich sowohl für die Aufenthalte hierzulande ein als auch für die Unterstützung der Familien vor Ort. Die heutige Kollekte trägt hierzu bei. „Zeichen der Hoffnung“ bittet um eine Kollekte für das Projekt „ZEITZEUGENGESPRÄCHE ALS BEITRAG ZUR VERSÖHNUNG“. Überlebende polnische KZ-Opfer berichten in Schulen und Jugendeinrichtungen. Wegen der großen Nachfrage in unserem Kirchengebiet möchte „Zeichen der Hoffnung“ mit den letzten überlebenden Zeitzeugen solche Gesprächserfahrungen insbesondere für junge Menschen ermöglichen.

Wir würden unssehr freuen, wenn Sie heute kräftig dazu beitragen könnten, diese beiden Projekte zu unterstützen. Sie können Ihre Spende in bar gerne im Gemeindebüro abgeben. Auf unserer Homepage finden Sie im Abschnitt Spenden auch einen Link, über den Sie den heutigen Kollektenzweck auf sichere Weise direkt bargeldlos unterstützen können. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung.

Segen
Gehen Sie unter dem Segen Gottes in die neue Woche:
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

Klavierstück

 

 

 

 

Gottesdienst am 28.02.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum
Herzlich willkommen, schön, dass Sie sich auch an diesem Sonntag wieder zugeschaltet haben, so dass wir gemeinsam Gottesdienst feiern können. Heute ist der 2. Sonntag in der Passionszeit. Reminiscere – so heißt dieser Sonntag. Da ist viel um uns herum, was uns traurig macht. Die Corona-Pandemie führt uns täglich an unsere Grenzen. Mal fühlen wir uns mehr, mal weniger belastet. An manchen Tagen sind wir angespannt und empfindlich und es rutscht uns ein schroffes Wort heraus, das uns anschließend leidtut. Alle hoffen wir darauf, dass mit dem Frühling und den Impfungen bald alles besser wird. Dass wir herauskommen aus der Einsamkeit und wieder einen normalen Alltag führen können. Inmitten dieser Erfahrungen von Leid und Schuld erinnert uns dieser Sonntag an die Liebe unseres Gottes, der uns nicht verloren gibt, der uns mit seiner Liebe stärken möchte.

Und so feiern wir unseren Gottesdienst im Namen Gottes, der Quelle des Lebens, menschgewordener Liebe und Grund unserer Hoffnung. Amen.

Wir werden in diesem Gottesdienst aus dem Gesangbuch die Lieder EG Nr 382 „Ich steh vor dir mit leeren Händen“  und  EG 98 „Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt“ singen. Sie können gern jetzt schon Ihr Bändchens ins Gesangbuch legen.

Gebet

Gott, du bist unser Vater und unsere Mutter,
du siehst, wie wir immer wieder Fehler machen und trotz allen Bemühungen scheitern.
Und dennoch wirst du nicht ungeduldig oder zornig mit uns,
sondern überwindest unser Versagen mit deiner Liebe.
Wir danken dir für deine Geduld,
die du uns entgegenbringst,
und für deine Langmut,
die wir oft kaum begreifen können.
Wir bitten dich:
Gib uns mehr Geduld mit uns selbst
und mehr Geduld mit anderen.
Lass uns anderen vergeben,
wie du uns vergeben hast.
Amen.

Schriftlesung Röm 5,1-6
51Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir
Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus. 2Durch ihn haben wir auch
den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der
Hoffnung auf die Herrlichkeit, die Gott geben wird. 3Nicht allein aber das, sondern
wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, 4Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, 5Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Glaubensbekenntnis

Lied: EG 382

Predigt

Liebe Gemeinde,
ein „Herzberuhigungsgebet“ kennen Sie so etwas? Gebete, die sich in unserem Gedächtnis fest eingegraben haben und die uns dann, wenn wir es gar nicht vermuten, in den Sinn kommen. Gebete, von denen wir in guten Zeiten gar nicht mehr wissen, dass wir sie überhaupt auswendig können. Aber dann, wenn es drauf ankommt, dann sind sie plötzlich ganz präsent. Woher wir diese Gebete kennen? Vielleicht haben unsere Eltern oder Großeltern sie in unserer Kindheit mit uns regelmäßig gebetet. Vielleicht hing ein solcher Vers als Schmuckblatt über der Eckbank in der Küche. Vielleicht haben wir dieses Lied in der Schule im Religionsunterricht gesungen oder im Konfirmandenunterricht Auswendiglernen müssen.

Solche oft uralten Texte sind ganz nah an unseren Gefühlen, an unserer Angst und auch an unserer Freude. Und sie haben oft eine tröstende und beruhigende Wirkung. „Herzberuhigungsgebete“ eben!

Ein solches „Herzberuhigungsgebet“ ist der 43. Psalm. Und es ist ein ziemlich langes, denn eigentlich gehört der 42. Psalm noch dazu. Da gibt es diese Sätze, die beide Psalmen verbinden:
Was betrübst du dich meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Wie ein Mantra, das Herz und Seele beruhigt. Und dazwischen Klage und Hoffnung. Da geht es hin und her. So ist das eben: Manchmal wohnen zwei Seelen in einer Brust. Oder auch mehr.

Wir werden dieses „Herzberuhigungsgebet“ als Ganzes beten. Und die verschiedenen Seelen bekommen verschiedene Stimmen:

Sprecher*in 1
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Meine Seele dürstet nach Gott,
nach dem lebendigen Gott.
Wann werde ich dahin kommen,
dass ich Gottes Angesicht schaue?
Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht,
weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?

Sprecher*in 2
Daran will ich denken
Und ausschütten mein Herz bei mir selbst:
Wie ich einherzog in großer Schar,
mit ihnen zu wallen zum Hause Gottes
mit Frohlocken und Danken
in der Schar derer, die da feiern.

Sprecher*in 3
Was betrübt du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Sprecher*in 2
Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir,
darum gedenke ich an dich
aus dem Land am Jordan und Hermon, vom Berg Misar.

Sprecher*in 1
Deine Fluten rauschen daher,
und eine Tiefe ruft die andere;
alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über ich.

Sprecher*in 2
Am Tage sendet der Herr seine Güte,
und des Nachts singe ich hm und bete zu dem Gott meines Lebens.

Sprecher*in 1
Ich sage zu Gott, meinem Fels:
Warum hast du mich vergessen?
Warum muss ich so traurig gehen,
wenn mein Feind mich dränget?
Es ist wie Mord in meinen Gebeinen,
wenn mich meine Feinde schmähen
und täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?

Sprecher*in 3
Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Sprecher*in 2
Gott, schaffe mir Recht
Und führe meine Sache wider das unheilige Volk
Und errette mich von den falschen und bösen Leuten!
Denn du bist der Gott meiner Stärke.

Sprecher*in 1
Warum hast du mich verstoßen?
Warum muss ich so traurig gehen,
wenn mein Feind mich drängt?

Sprecher*in 2
Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten
Und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung,
dass ich hineingehe zum Altar Gottes,
zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist,
und dir Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.

Sprecher*in 3
Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Selbstgespräche mit der Seele. Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Seele gesprochen? So ein Gespräch unter Freunden? Von Frau zu Frau, von Mann zu Mann sozusagen? Ich mache das manchmal. Eher heimlich, damit es damit es niemand hört. Damit mich niemand für verrückt hält. Aber das ist ganz und gar nicht verrückt. Wenn das Herz einen Tick zu schnell pocht, wenn die Kehle eng ist, wenn die Beine unruhig werden und die Hände fahrig. Wenn man gleichzeitig unter Strom steht und doch ohne Antrieb ist. Dann ist es gut, sich selbst mal von außen zu betrachten und zu sich zu sprechen: Hey, Seele, was ist mit dir? Warum bist du so traurig? Wo ist deine Lebenskraft? Wo ist dein Mut.

Der Beter des Psalms macht das. Und das sind keine billigen Muntermachersprüche wie: Was stellst du dich so an, ist doch alles halb so wild. Doch, es ist wild! Wie ernst der Beter die Sache nimmt! Wie liebevoll er mit sich selbst spricht! Wann haben Sie das letzte Mal liebevoll mit sich selbst gesprochen?

Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Ein „Herzberuhigungsgebt“ und ein „Herzentlastungsgebet“.  Nicht nur mit seiner Seele spricht der Beter, auch mit Gott. Wild, klagend, schreiend.

Warum hast du mich verstoßen?

Und gleich zweimal:
Warum muss ich so traurig gehen?

Wann haben Sie das letzte Mal so wild mit Gott gesprochen? Oder sogar geschrien?

Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Warum hast du mich vergessen?

Ähnlich hat Jesus am Kreuz geschrien: Mein Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen?
Das ist der Unterschied zwischen Jammern und Klagen. Wenn du deinen Schmerz nicht für dich behältst. Wenn du ihn ablädst, rausklagst, rausschreist dahin, wo er hingehört: zu Gott.

Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich so traurig gehen?

Wild und zornig. Wann habe ich das letzte Mal so zornig mit Gott gesprochen? Es ist jetzt schon so eine lange Zeit, die die Corona-Pandemie unseren Alltag bestimmt, dass ich merke, dass mir oft die Kraft fehlt, mich darüber wild und zornig zu werden. Dass ich mich daran gewöhnt habe jeden Tag die Zahl der Verstorbenen einfach so hinzunehmen. Und die Frage nach dem Warum bringt mich auch nicht weiter.

Wild und zornig – das war ich aber an dem Tag des schrecklichen Anschlags in Hanau, der nun auch schon wieder ein Jahr zurückliegt. Zornig darüber, dass Hass und rechtes Gedankengut in unserem Land wieder solch furchtbare Taten auslösen. Zornig darüber, dass wir Menschen scheinbar nicht fähig oder willig sind aus unserer Geschichte zu lernen. Zornig, dass uralte Vorurteile und Lügen sich ganz schnell wieder anheizen lassen und aus einem kleinen Rinnsal schnell wieder ein reißender Bach wird. Und wieder gibt es eine große Mehrheit, die schweigt. Warum Gott, passiert so etwas immer wieder?

Es ist wie Mord in meinen Gebeinen, wenn mich meine Feinde schmähen und täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?

Ja, wo bist du, Gott? Ein „Herzberuhigungsgebet“: Ein „Herzentlastungsgebet“. Wenn du verzweifelst über all das, was die Corona-Pandemie mit uns macht: Die Einsamkeit, die vielen Menschen zu schaffen macht. Den älteren Menschen, die keinen oder nur wenig Besuch bekommen, aber auch den vielen Kindern und Jugendlichen, die nicht in die Schule gehen, die ihre Hobbies nicht ausüben können, die keine anderen zum Spielen oder einfach zu Chillen haben. Die besonderen Herausforderungen mit denen die Familien jeden Tag neu kämpfen müssen. Die existentiellen Sorgen vor die viele gestellt sind.

Ein „Herzentlastungsgebet“ - Wenn du verzweifelst an über all die Anfeindungen von außen und von innen. Dann sprich mit deiner Seele. Liebevoll und fürsorglich. Dann sprich mit Gott, wild und zornig. Und erinnere dich! Der Psalmbeter macht es vor:

Darum will ich denken und ausschütten mein Herz bei mir selbst:
Wenn ich einherzog in großer Schar,
mit ihnen zu wallen zum Hause Gottes
mit Frohlocken und Danken
in der Schar derer, die da feiern.

Neuere Hirnforschung und Traumatherapie erklären uns, was der Psalmbeter schon vor 2500 Jahren wusste: Die Imagination positiver Bilder, die gedankliche Vorstellung von guten Erinnerungen beruhigen. Erinnere dich, wie da war: Wie du im Gras gesessen hast und Blumenkränze geflochten. Wie du Eierpfannkuchen mit Heidelbeeren gegessen hast und über deine blauen Zähne gelacht hast. Wie ein Kind dir mit strahlendem Gesicht einen Kuchen aus Sand geschenkt hat. Wie du im Konzert gesessen hast und geglaubt hast, die Engel singen zu hören.

Schon das Denken an gute Erfahrungen wirkt auf das Gehirn, auf das emotionale Gedächtnis. Und das schüttet Glücks- und Beruhigungshormone ins Blut und in die Seele. Bilder helfen, neue Verschaltungen im Gehirn zu bilden. Bis ins hohe Alter. Wir können traumatische Erfahrungen und Stress verarbeiten: Durch Wiederholungen positiver Bilder. Einmal reicht da nicht. Und meistens braucht es noch einen liebevollen Menschen, der uns erinnern hilft, oder eben einen Psalm wie diesen.

Traumatherapie macht sich das zunutze. Seelisch verletzte Menschen werden aufgefordert zwischen positiven und belastenden Erinnerungen hin- und herzupendeln. Die belastenden Erinnerungen werden mit Worten oder Weinen, Schreien oder Zittern ausgedrückt. Und die positiven helfen, Herz und Seele zu beruhigen.

Genau das macht der Psalmbeter. Er pendelt hin und her: zwischen Klage und Erinnerungen an Gutes, zwischen wildem Schreien zu Gott und der Hoffnung, ja mehr noch, der Gewissheit: Gott wird mir helfen. Hin und her und immer wieder. Er stellt sich der Angst und der Verzweiflung. Aber er erinnert sich auch daran, dass er damit nicht allein ist. Ja, dass er es schon mal erlebt hat, wie es sich anfühlt, glücklich zu sein. Und da kommen die Bilder in ihm hoch: Wie er sich Jerusalem nähert, mit vielen anderen Menschen. Wie er den Tempel sieht, hoch auch dem Berg. Was für ein Anblick. Und was für ein Gefühl da war: Helle Begeisterung. Und das Gute, das er mit Gott erlebt hat. Ja, das gibt es doch auch! Am Ende des Psalms überwiegen Zuversicht und Hoffnung.

Ein „Herzberuhigungsgebet“ – gut für Leib und Seele. Wann haben Sie sich das letzte Mal so etwas Gutes getan? Wir haben zusammen den Psalm gebetet. Wiederholung lohnt sich!

Lied: 98

Fürbitte

Ewiger Gott,
du hast deinen Sohn, Jesus Christus,
in unsere Welt gesandt,
damit wir in ihm deine Liebe erkennen.
Er hat mitten unter uns gelebt,
hat Kranke geheilt und Mutlose mit neuer Hoffnung beschenkt.
In allem, was er getan und gesagt hat,
erkennen wir deine Liebe,
die uns auch dann gilt, wenn wir versagen.

Wir bitten dich, dass wir deine Liebe,
die sich in deinem Sohn Jesus Christus zeigt, annehmen können.
Wir bitten dich, dass sich deine Liebe ausbreitet
in unserer Gemeinde, in unserer Stadt und in unserem Land.
Wir bitten dich, dass du uns zu Boten machst,
die überall immer wieder von deiner Liebe erzählen.

Wir bitten dich, dass wir nicht mutlos werden
In dieser Zeit, die uns so vieles abverlangt.
Lass uns nicht an deiner Liebe zweifeln.
Wir bitten dich für alle Menschen aus unserer Gemeinde, die wir in der vergangenen Woche zu Grabe getragen habe. Nimm du sie auf in deine ewige Liebe und schenke ihnen deinen Frieden. Tröste die Angehörigen und stehe ihnen bei.

Wir bitten dich,
dass uns deine Liebe innerlich prägt und verändert,
dass unser enges Herz geweitet werde.
Amen.

Vaterunser
Abkündigungen

Kollekte für die eigene Gemeinde
Segen
Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 21.02.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Der Verrat des Judas

Musikalisches Vorspiel

Begrüßung

Ich begrüße Sie herzlich zu unserem Gottesdienst aus dem Gemeindezentrum Wilhelmskirche.

Es ist der erste Sonntag in der Passionszeit. Wir denken an das Leiden Christi, das Leiden in der Welt; an das Drama menschlichen Leidens damals und heute; an die menschlichen Tragödien damals und heute in der Pandemie, die scheinbare Unabänderlichkeit des Schicksals.

Invokavit, Gott ruft uns, heraus aus dieser Verfallenheit an das Schicksal. Hoffen wir, das wir das für uns annehmen können.

Aber gilt das auch für eine der dunkelsten Figuren der Bibel? Gilt es auch für Judas, der Jesus verrät?

Diese Frage und der Verrat des Judas werden uns heute beschäftigen.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalmgebet

Aus Psalm 91 EG W 736

Der Herr ist deine Zuversicht

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt
und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,
der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg,
mein Gott, auf den ich hoffe.
Denn er errettet dich vom Strick des Jägers
und von der verderblichen Pest.
Er wird dich mit seinen Fittichen decken,
und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,
dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht,
vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,
vor der Pest, die im Finstern schleicht,
vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.
Denn der Herr ist deine Zuversicht,
der Höchste ist deine Zuflucht.
Es wird dir kein Übel begegnen,
und keine Plage wird sich deinem Hause nahen.
Denn er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
dass sie dich auf den Händen tragen
und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

Eingangsgebet

Lieber Gott,

es gibt so viele Stimmen in mir und außerhalb von mir,
die recht haben wollen,
die über mich bestimmen wollen,
die wissen, wie ich leben soll.
Ich bin unsicher, wenn ich auf deine Stimme höre.
Sie ist so leise – und ohne Zwang.
Eher ein Flüstern als ein rufen.
In deiner leisen Stimme spüre ich deine Liebe zu meinem Leben,
Besorgnis und Barmherzigkeit.
In dieser Liebe wird es still in mir, und in dieser Stille
Lasse ich mir an deiner Gnade genügen –
Durch Jesus Christus, deinen Sohn. Amen

Lesung: Johannes 13, 21 – 30: Jesus, der Lieblingsjünger und der Verräter

21 Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. 22 Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. 23 Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. 24 Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. 25 Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? 26 Jesus antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. 27 Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! 28 Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. 29 Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. 30 Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.

Glaubensbekenntnis

Lied: 91, 1+3        Herr, Stärke mich, dein Leiden zu bedenken

Predigt

Die Gnade unseres Herrn JX, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

die Geschichte, um die es heute geht, handelt vom Zerbrechen einer Beziehung., von tiefer Enttäuschung und von Hass. Erzählt wird sie aus der Sicht von Jesus, aber es ist anzunehmen, dass auch der andere, dass Judas gequält war von Enttäuschung – so stark seine Gefühle für Jesus sind. Es ist der aus der Enttäuschung wachsende Hass auf Jesus, der Judas gefangen hält.

Mir hat man früher beigebracht: Judas ist ein Verräter, ein skrupelloser, geldgieriger Typ, ohne Ethos und Moral, der seinen Freund für ein paar Silberlinge an die Feinde verkauft. Eigentlich ist er ein Dieb. Als Jesus bei Maria und Marta zu Besuch ist, regt er sich darüber auf, dass Maria Jesu Füße mit kostbarem Öl benetzt. Er fordert, man solle das Öl verkaufen und das Geld den Armen geben. Aber vielleicht will er das Geld für seine eigenen Zwecke verwenden.

Später lernte ich noch eine zweite Auslegungstradition kennen, die Judas als, einen Freiheitskämpfer beschreibt, der sein Volk von der römischen Besatzung befreien will. Er gilt als Anhänger einer politischen Gruppe, die im Untergrund gegen die Römer opponiert und darauf wartet, endlich aufzustehen. Mit Jesus könnte sich diese Hoffnung erfüllen, er könnte ihr Anführer werden. Als Judas erkennt, dass Jesus den bewaffneten Kampf ablehnt, wendet er sich enttäuscht von ihm ab.

Und dann gibt es noch die dritte Deutungslinie: Der Teufel sei in Judas gefahren, der Satan hätte von ihm Besitz ergriffen. Judas sei nicht er selbst, sondern der Handlanger des Bösen … In der Auslegungsgeschichte existieren also verschiedene Bilder von Judas: Mal Sohn der Finsternis, der vom Teufel fremdbestimmt wird, mal tragischer Held, der an der Person seines Meisters irrewird, weil dieser seine Hoffnung nicht erfüllt.

In der Gruppe spricht es Jesus ganz offen an: „Einer von Euch wird mich verraten!“ Jetzt ist es ausgesprochen. Und nichts ist mehr wie es vorher war. Wieder einmal ist es Petrus, der einen Impuls gibt: Frag Jesus, wer es ist! Aber es gelingt nur teilweise: “Der, dem ich den Bissen eintauche und gebe.“ Alles kippt. „Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn.“

Das klingt nicht nach einer aktiven Entscheidung des Judas. Es fühlt sich eher so an, als sei Judas selbst auch der Leidtragende, als stelle er sich, seinen Willen dem Satan zur Verfügung. Als würde er instrumentalisiert. Jesus versteht das: „Was du tust, das tue bald!“ Die Jünger kapieren nichts. Oder sie reden es sich selbst schön. Und auch Judas hält diese Spannung nicht mehr aus: „Als er den Bissen genommen hatte, ging er hinaus. Und es war Nacht.“

Es ist die dunkle Nacht des Selbstverrates, denn Judas verrät sich selbst. Er verrät seine tiefe Beziehung zu Jesus. Er liefert in aus, und zwar an seinen eigenen Hass auf ihn. Daran zerbricht die Beziehung. Und damit verrät Judas nicht nur Jesus, sondern zugleich sich selbst: alles, wofür er gelebt und woran er geglaubt hat.

„Tu’s einfach“, flüstert der Satan, „so eine Gelegenheit gibt’s nicht wieder!“ Es ist das Ausleben des ungehemmten Triebes, es gibt wie bei anderem Missbrauch kein An-sich-Halten mehr. Die Triebnatur des Menschen bricht ungehemmt durch, Liebe und Hass gehen gleichsam eigene getrennte Wege. Als Jesus ihm wie eine Intinctio an diesem Abschiedsabend das in den Wein eingetunkte Brot reicht, fährt „der Satan in ihn“. Er will nicht länger genährt und gefüttert werden, abhängig sein wie ein kleines Kind. ER will jetzt groß sein und unabhängig. Aber er spürt vor allem seine Abhängigkeit. Als wäre es böse, frei sein zu wollen.

Das schürt den Hass. Und Hass macht eine Trennung im Guten unmöglich. Im Hass bleiben die Menschen auf zerstörerische Weise aneinandergebunden. Die nur scheinbare Trennung im Hass heißt Verrat. So übt der Verräter Rache an dem, was ihm seiner Meinung nach angetan worden ist. Er bestraft den anderen. Aber in Wahrheit wurde ihm gar nichts angetan, sondern er hat sich freiwillig in diese Beziehung begeben, die ihn immer mehr enttäuschte. Und dann konnte er sich die Enttäuschung nicht eingestehen, konnte sie nicht ansprechen, aber sie wuchs im Hintergrund wie ein Dämon.

Die Basis, der Ausgangspunkt des Verrates ist also das Gefühl der Abhängigkeit. In gegenseitiger Freiheit ist Verrat nicht nötig. Freiheit ist aber die Basis der Liebe. Nur in der Freiheit kann sie wachsen und gedeihen. Liebe lässt los, gibt frei, verzichtet auf die Macht der Kontrolle. Hass hält den anderen unter Verdacht, er braucht die Macht der Kontrolle, ihm fehlt die seelische Größe, die Freiheit und Eigen-Art des anderen mitzutragen.

Auf dem Boden gegenseitiger Liebe soll sich die Identität der christlichen Gemeinde gründen. „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr liebe untereinander habt“, Joh 13,35. Gegenseitige Liebe verzichtet auf misstrauische Kontrolle und lebt von einem wertschätzenden Miteinander. Sie anerkennt die Verschiedenheit des anderen und nimmt sich selbst zurück. Sich selbst zurückzunehmen, den eigenen Impuls, den anderen Gleichzuschalten damit er so ist wie ich, das geht nur in der Liebe. In geschwisterlichem Einverständnis, in Freiheit und Ehrlichkeit, in Wahrheit, die nicht gegen mich ausgelegt wird, also auch in Vertrauen so sein zu dürfen wie ich bin. Das klingt wie ein Traum.

Ein Traum – wie die Vorstellung, dass Judas doch den Weg ins Paradies findet. Auf einem Kapitell in der Kirche von Vezelay in Burgund könnte genau das dargestellt sein. Es ist fast 900 Jahre alt. Die Deutung ist umstritten. Auf der einen Seite des Säulenabschlusses sieht man Judas, der sich mit dem Strick selbst gerichtet hat. Auf der anderen Seite einen Dämon – oder eben den guten Hirten, der auch dieses verlorene Schaf zurück zu seiner Herde bringt. So hat es selbst der Papst vor einigen Monaten gedeutet.

In der dunkelsten Nacht des Verrates keimt eine neue, sogar diesen grausamen Verrat tragende Barmherzigkeit. In dem Moment, in dem er den Verrat des Judas vor allen offenbar macht, reicht Jesus ihm die Intinctio, das Zeichen größter Nähe und Verbundenheit, ein Liebesbeweis, Mahlgemeinschaft. Sie verweist mit ihrem goldenen Strahl auf jene andere Welt Gottes, die manchmal zwischen uns aufleuchtet. Wer seine Augen an diese Dunkelheit gewöhnt, wird ihn immer häufiger wahrnehmen können.

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Lied: 97, 1 – 3        Holz auf Jesu Schulter

Fürbitte

In unser Gebet nehmen wir die Gemeindemitglieder auf, von denen wir in der vergangenen Woche Abschied nehmen mussten. Wir bitten Dich Gott, sei Du ihnen ein gnädiger Vater und schenke uns die rechten Worte und Gesten, ihre Angehörigen zu trösten.

Wir zünden für die Verstorbenen eine Kerze an.

Du Gott kennst uns … wie wir schlecht über andere reden und uns immer wieder dazu hinreißen lassen, mitzumachen, anstelle dagegen aufzustehen. Du kennst unser verräterisches Herz und unsere Wege in die Dunkelheit.

Darum bitten wir Dich für alle, die in der Nacht verirrt sind: in der Nacht des Hasses auf jemanden, gefangen in rassistischen Gedanken, Gefühlen und Vorurteilen; in der Nacht des Leidens an jemandem, in der Nacht heimtückischer, sadistischer Freude am Bösen und der Gewalt; in der Lust am Untergang, in der Nacht von Angst, Zweifel und Not.

Wir bitten Dich für die Opfer von Gewalt und Rassismus, auch für die Angehörigen, wie die in Hanau, die auf Aufklärung warten und selbst diskriminiert worden sind .. Und wir bitten Dich für alle, die der bitteren Nacht des Todes entgegengehen: Erbarme Dich unser. Sende Dein Licht, auf das wir freundlicher werden, Vergebende; auf dass wir Gefallen finden an Güte und Anstand, an Hoffnung und Zuversicht, an Offenheit und Aufmerksamkeit und Empathie.

Wo unser Herz hart bleibt, gilt Deine Barmherzigkeit; wo wir nicht vergeben sollen wir wissen, dass Du es schon lange tust. Wie die Jünger wollen wir Dir in Liebe dienen. Du bringst uns zum Ziel, auch durch die Nacht. Amen

Vater Unser

Lied: 347, 1+4      Ach bleib mit deiner Gnade

Abkündigungen

Segen

Musikalisches Nachspiel

Gottesdienst am 14.02.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Gemeinde: Amen.

Wir beten mit Worten aus Psalm 31:
2 HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit!
3 Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest!
4 Denn du bist mein Fels und meine Burg, und um deines Namens willen wollest du mich leiten und führen.
5 Du wollest mich aus dem Netze ziehen, / das sie mir heimlich stellten; denn du bist meine Stärke.
6 In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.
8 Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte, dass du mein Elend ansiehst und kennst die Not meiner Seele
9 und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes; du stellst meine Füße auf weiten Raum.
15 Ich aber, HERR, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott!
16 Meine Zeit steht in deinen Händen. Errette mich von der Hand meiner Feinde und von denen, die mich verfolgen.
17 Lass leuchten dein Antlitz über deinem Knecht; hilf mir durch deine Güte! Amen.

Gebet
Herr, unser Gott, Du hast Glauben, Hoffnung und Liebe in uns entzündet. Belebe diese Gaben durch die Begegnung mit Dir in diesem Gottesdienst und stille unsere Sehnsucht nach echter Beziehung. Das bitten wir durch Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit. Amen

Lied: EG 409, 1-2, 4, 7

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Das Maß war voll. Die Beziehung war belastet, das war allen Beteiligten klar. Irgendwie war seit einiger Zeit der Wurm drin. Dabei hatte das am Anfang so richtig gut funktioniert. Ein echtes Dreamteam sind sie gewesen. Gefühlt war die erste Zeit wie ein Schwebezustand. Alles schien zu gelingen. Okay. So kleine Reibereien hatte es immer gegeben. Aber alles in allem hatten sie lange Zeit wirklich gut miteinander harmoniert. Sie haben aufeinander geachtet. Sie hatten einen gemeinsamen Rahmen gefunden, an den sie sich gehalten haben. Sie haben die Grenzen des anderen respektiert. Und dann kamen die kleinen und großen Unachtsamkeiten. Manchmal fehlte auch einfach das Verständnis füreinander. Die Leichtigkeit der ersten Zeit war verflogen. Und obwohl sich jeder viel mehr anstrengte, wurde es immer schwerer, den Weg gemeinsam zu gehen. Es begann die Zeit der gegenseitigen Vorwürfe und der Forderungen. Und irgendwann redete man kaum noch miteinander.

1 Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 2 Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. 3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?« Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?

Das Tischtuch ist zerrissen. Da ist ein tiefer Graben zwischen Gott und dem Volk. Was für ein Predigttext. Ich habe mich tatsächlich gefragt, ob ich den überhaupt predigen soll. Ist das die Botschaft Gottes auch für unsere Gemeinde in dieser Zeit? Gerade jetzt, wo wir auch in unserer Gesellschaft zunehmend Probleme mit dem Dialog haben? Aber auch gerade jetzt in der närrischen Zeit, in der doch viele Menschen zumindest ein wenig ausgelassene Stimmung verbreiten? Soll ich diesen Text predigen, gerade heute, am Valentinstag? Soll ich da von Gottes Zorn über falsches Fasten predigen? Auch wenn die Fastenzeit vor der Tür steht?

Für Sie liegt die Antwort auf der Hand, denn ich rede ja gerade über diesen Text. Und ein Thema bot sich auch sofort an. Gott sagt: Richtiges Fasten ist, wenn Du nachhaltig und am Menschen orientiert handelst: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Das ethisch gute Handeln ist ein wichtiger Teil unseres Menschseins. Da kann es keine zwei Meinungen geben. Von uns hängt es ab, wie wir leben wollen. Von uns hängt es ab, wie diese Erde aussehen wird. Wir haben den Auftrag, den Armen zu helfen und die Schwachen zu schützen.

Aber ich finde, dass es in diesem Bibeltext noch ein weiteres, vielleicht etwas versteckteres Motiv gibt: Die Sehnsucht nach echter, gelingender Beziehung. Das war für mich anfangs hinter diesen ganzen krassen Vorwürfen gar nicht so leicht zu entdecken. Echte, gelingende Beziehung. Das ist eine Grundsehnsucht von uns Menschen. Und ich finde, dass sie gerade am Valentinstag mit Händen zu greifen ist. Diese Sehnsucht steckt auch in diesem Text. Sie steckt hinter all den Vorwürfen und den moralischen Ansprüchen.

Zuerst einmal ist aber offens