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Predigten

Einige Predigten der letzten Zeit zum Nachlesen, Ansehen und Anhören.

In unserem Youtube-Kanal finden Sie Gottesdienste, Andachten und Lieder.

am 19.2.2023 von Dekan Volkhard Guth zur Ausstellungseröffnung ′Was bleibt.′

Was bleibt.“ Punkt. Kein Fragezeichen. Es bleibt was. Es kann etwas bleiben, es darf etwas bleiben. Es soll etwas bleiben. Das ist die Grundprämisse der Aussage: was bleibt.

Was bleibt. Das ist doch eher ein Thema für das Ende des Lebens – ganz gleich wie lange es gedauert haben mag?! Ganz sicher. Aber ganz sicher auch nicht nur.

Dass etwas bleibt, ist der Wunsch eines bewussten Lebens. Eines Lebens, das sich seiner selbst bewusst ist und das sich auch seines Eingebundenseins in Beziehungen bewusst ist.
Denn wäre da niemand, mit dem wir in Beziehung sind und gewesen sind, wäre es im Grunde doch auch gleichgültig, dass oder ob etwas bleibt.

Beinahe tragisch mutet da der Wunsch und die Möglichkeit mancher Menschen an, etwas Bleibendes in eine Zeitkapsel stecken zu können, um es dann beispielsweise ins All zu schießen, wo dann et-was von meinem Leben in Zeitlosigkeit überdauern kann.

Oder die Idee und die Möglichkeit, ich könnte eine Textbotschaft sprechen und Bilder meines gelebten Lebens in einen virtuellen Erinnerungskosmos des Internets hochladen, die dann für alle Zeiten im digitalen Netz abrufbar sind.

Oder aus meiner Asche einen Diamanten pressen zu lassen, der bis zu 2 Karat haben kann.

Das alles „bleibt“ auch dann, wenn ich längst nicht mehr bin.

Dass etwas bleibt, scheint eine menschliche Vorstellung zu sein. Und sie hat mit dem Wunsch und der Vorstellung zu tun, Resonanz zu erzeugen.
Ganz gleich, ob es sich um etwas Materielles handelt, um Erinnerungsstücke oder um prägende Werte und Einstellungen.

Kritisch muss man einwerfen: Was gegenwärtig von uns zu bleiben droht, könnten für alle Nachgeborenen die Folgen eines in den letzten Jahrzehnten hemmungslos gelebten Lebensstils unserer westlichen Welt sein.
Wir haben über die Maßen gelebt und verbraucht – und tun es noch immer.
Laut UNICEF verbrauchen wir Deutschen im Weltmaßstab 2,9 Erden.
Was also bleiben könnte, ohne dass wir es beabsichtigt hatten, ist eine gefährdete Zukunft. Klimaaktivisten machen mit zum Teil drastischen Mitteln darauf aufmerksam. Und sie schrecken nicht einmal davor zurück, bleibende Kulturgüter mit einzubeziehen: Kartoffelbrei auf einem Monet in Potsdam...

Ich beginne zu ahnen: was bleibt, ist mehr als die Antwort auf die Überlegungen, was mit unseren materiellen Gütern geschieht. Wäre nur dies das Thema, müssten sich ohnehin nur die Gedanken machen, die etwas weiterzugeben haben.
Nicht dass das unwesentlich wäre – eingedenk der Jesu Rede von den Schätzen auf Erden, die Rost und Motten fressen. Das ist eine verantwortliche Aufgabe im Leben:
Denn wenn ich auf die Jahre meines Gemeindepfarrdienstes schaue und auf die vielen Beerdigungsgespräche, dann gibt es da viele Erfahrungen mit der Frage nach dem Umgang mit dem, was am Ende noch da ist. Und ich glaube, alle Pfarrerinnen und Pfarrer könnten Geschichten erzählen, über´s Erben und den Streit oder den Segen, der damit verbunden sein kann.
Die Ausstellung will ausdrücklich Mut machen, auch darauf einen Blick zu werfen.

Aber: 13,8 Mio. Menschen in Deutschland sind arm. Würden wir das, was bleibt, ausschließlich materiell verstehen, müssen sich also 16,7% der Deutschen damit nicht befassen. Denn was ihnen heute zum täglichen Leben oft schon fehlt, wird auch morgen nicht bleiben.
Und das gilt für viele Menschen auf unserer Erde.

Die Aussage, was bleibt, materiell zu fassen, betrifft weltweit Viele nicht.
Das zeigen uns auch die Begegnungen mit den Geschwistern in unserer nordindischen Partnerdiözese Amritsar. Wer nur das hat, was für ihn oder sie gerade mal so für das Überleben des Tages nötig ist, hat nichts in der Rücklage, was bleibt.

Ist also „Was bleibt“ eher ein Delikatessbegriff für einen sehr ausgesuchten Kulturkreis mit entsprechenden Ressourcen?!

Wohl nicht.

Denn wenn die Überlegung, was bleibt, mit Resonanz zu tun haben muss, dann geht es um mehr und um etwas Tieferes unseres Menschseins.
Dann ist das, was im Schatzkästlein des Lebens steckt, mehr als das, was ich mit Händen greifen kann.

Das wussten auch schon meine Urgroßeltern. Ich erinnere mich an viele Ferienbesuche im Haus meiner Großeltern. Ein altes Bauernhaus mit großem Speicher und vielen alten Schränken und Truhen.
Wir spielten als Kinder gerne dort oben Verstecken. Vieles stand da aus früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten. Es war einfach dort geblieben. – „Was bleibt“. - Stumme Zeugen einer mir fremden Zeit.

In der Schublade einer alten Kommode fand ich weiße Hemden, die geeignet schienen, um sich zu verkleiden. Als die Großmutter das mitbekam, war die Aufregung jedoch groß. Die Hemden mussten sofort zusammen- und zurück in die Kommode gelegt werden. Es waren die Totenhemden der Urgroßeltern gewesen, die wir gefunden und benutzt hatten.
Es war, das wurde mir später klar, damals noch nicht klar, ob es eben nicht auch die Totenhemden der Großmutter und ihrer Schwester werden sollten. Eines Tages aber hörte ich von meiner Oma den Satz: „Das letzte Hemd hat keine Taschen“. Den Sinn verstand ich wohl noch nicht. Aber wissen wollte ich es doch. Und ich wusste ja, wo die Hemden lagen. Ich schlich mich also auf den Speicher, an die Kommode, und öffnete die Schublade, um nachzusehen. Und tatsächlich: das letzte Hemd hatte keine Taschen.

Was immer wir haben, wieviel auch immer es ist, wir können nichts mitnehmen. Mit leeren Händen sind wir auf diese Welt gekommen. Mit leeren Händen werden wir gehen.

Was gehört in das Schatzkästlein meines Lebens?

Ja, das kann der abgewetzte Teddy meiner großen Cousine sein, den ich irgendwann auf demselben Speicher gefunden und als kleiner Junge adoptiert hatte – bis heute. Das kann die Erinnerung an riesige Federbetten im Haus meiner Oma sein, unter denen ich mich kaum bewegen konnte! Die handgeschriebenen Rezepte meiner Mutter und Schwiegermutter. Das handwerkliche Talent meines Vaters, das er mir vermittelt hat. Oder die gepflanzten und gepflegten Obstbäume auf meiner Wiese! Ein altes Auto…

Was gehört in das Schatzkästlein meines Lebens?

Was war und ist mir besonders wertvoll: Freundschaften, die erste und die große Liebe meines Lebens; Dinge, die ich geschafft, angeschafft, erarbeitet, überstanden habe?! Der eigene Glaube? Und jene, die ihn mir vermittelt haben?!

Ich gehe wohl mit leeren Händen von hier weg, aber nicht mit leerem Herzen.

Eben nicht ohne all diese Erinnerungen und geprägten und prägenden Erfahrungen meines eigenen Lebens. Nicht ohne Vorstellungen und Entscheidungen, wie ich mein Leben wollte und gelebt habe.
Was uns wichtig war, was uns bewegt hat, was uns ausgemacht hat.
Das mögen wir auch an Kinder weitergeben können und an Enkel. Und dann bleibt da auch etwas.

Aber was bleibt, ist in diesem Sinne noch viel mehr. Es sind meine Vorstellungen und Erfahrungen, Begegnungen, Engagements an den unterschiedlichsten Stellen und Orten, Werte und Verhalten, die zu allen Zeiten unseres gelebten Lebens Resonanzen bewirkt haben.
Das sind nicht immer Erfolgsgeschichten. Aber immer eigene Geschichte und Geschichten. Prägungen und Entscheidungen, die Sinn gemacht haben und Sinn gestiftet haben. Im eigenen Leben und in der Begegnung mit anderen. Was bleibt. Das hat auch mit Sinnstiftung zu tun.

Was bleibt, ist auch, was mich ausmacht im Innersten meines Ichs. Und diese Erkenntnis macht mein Leben ja heute schon reich.
Das findet sich auch in meinem Schatzkästchen des Lebens wieder. Gerade weil Leben in jeder Hinsicht hier begrenzt ist, lohnt es sich in jeder Phase dieses Lebens, danach zu schauen, was es ist, was bleibt. Weil es uns einen kostbaren Blick auf das geschenkte Leben öffnet – auf das eigene und das der anderen – hier und jetzt.

Deshalb ist beim Lesen der Worte „was bleibt“ neben dem Blick zurück auch der Blick nach vorn angesagt: Was bleibt, wenn ich einmal nicht mehr bin? Was will ich weitergeben an Gütern, an Ideen, Werten, an Träumen?
Habe ich die Möglichkeit, bei einer Herzensangelegenheit Spuren zu hinterlassen? Kann und will ich beispielsweise ermöglichen, dass irgendwo in Indien Kinder einen Schulplatz bekommen? Dass dort Bäume angepflanzt werden, um die Wasserversorgung zu verbessern? Dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien hier am Leben teilhaben können, mitfahren bei Klassenfahrten, mitspielen im Fußballverein oder Singen im Kinderchor? Oder liegt mir ein Arbeitsfeld meiner Kirchengemeinde am Herzen?  Die Kantorei, die Renovierung der Orgel, die Jugend?

Was bleibt. - Resonanzen.

Und dann ist da ja noch eine Resonanz, die mir wichtig ist. Jesus sagte einmal: „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Jeder Name!
Das ist mehr als ein bloßes Stück Erinnerungsgeschichte in den digitalen Weiten des Internets, von der niemand weiß, ob sie jemals angehört und angeschaut werden wird.

Mein Name ist im Himmel aufgeschrieben. Mein Name gehört zu mir, vom Anfang bis zum Ende. „Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“
Da spielt es dann Gott sei Dank gar keine Rolle, was ich im Leben leisten und erreichen konnte. Keine Rolle, wie viel Besitz wir erwerben. Unwichtig, wie groß unsere Macht, unser Ansehen, unsere Schönheit sind.

Wohl aber spielt meine Beziehung zu Gott eine Rolle. Dem Gott, der unseren Namen mit seinem Namen verbunden hat. Wenn er mich ruft, entsteht ein Resonanzraum!

Das ist auch eine Beziehung. Eine, die schon gestiftet wird, bevor unser Leben überhaupt entsteht. „Deine Augen sahen mich, da ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.“, so heißt es im wunderbaren Psalm 139.
Gott hat uns und unsere Namen längst in sein Buch des Lebens eingetragen, bevor unser Leben auf den Weg kommt. Nicht weil wir leben, kommen wir ins Buch des Lebens, sondern weil wir bereits im Buch verzeichnet sind, kommen wir ins Leben. Mit unserem Namen aufgehoben, notiert und dann auch gerufen von Gott.

Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“

Von Anfang an ist mein Name in Gottes Buch eingeschrieben, und der bleibt, wie immer auch ein Leben verläuft.
Fast alles können wir gewinnen und verlieren – diesen himmlischen Eintrag aber nicht. Gott hat in unserem Leben das erste und das letzte Wort, er schlägt unser Lebensbuch auf und klappt es am Ende vorsichtig wieder zu.
Die ersten und die letzten Dinge sind Gottes Sache.

Für mich bedeutet diese Gewissheit eine große Entlastung – und eine große Chance. Weil der Rahmen unseres Lebens längst von Gott gesetzt ist, kann ich die Zeit, die mir geschenkt ist, in seinem Sinne gestalten – befreit und mit lachendem Herzen. Ich kann die Aufgaben angehen, die Gott mir stellt.

Und ich kann mich deshalb auch an die schwierigen, die tiefgehenden Fragen meines Lebens wagen und schauen, was bleibt.

Schenke mir ein hörendes Herz“, das ist der tiefe Wunsch des weisen Königs Salomo. Das hörende Herz setzt sich in Beziehung; es lauscht in das Eigene und es nimmt wahr, den anderen – Mensch und Gott. Und dann nimmt es wahr, „was bleibt“. Was für ein Segen!

Was bleibt.“ Punkt. Kein Fragezeichen! – Punkt! Das ist die Einladung, hinzuhören und hinzusehen. Amen

am 12.2.2023 von Pfarrerin Meike Naumann

Liebe Gemeinde,

ich sehe ihn stehen, den Propheten. Oder ist es eine Frau, eine Prophetin? Am Eingang des Tales steht sie und schaut in die fruchtbare Ebene an einem der Flüsse Babels. Die Wolken türmen sich, Wind treibt sie weiter. Die Prophetin sinnt nach, entdeckt manches und betet zugleich. Folgen möchte ich heute mit Ihnen / mit euch ihrem Gedankenstrom:

„Es wird Regen kommen, wie jedes Jahr. Regen, der die Erde feucht und fruchtbar macht. Da, die Tropfen fallen, seht hin. Hört das Rauschen. Wie gut! Wie genial doch alles geschaffen ist! Welch grandioses Zusammenspiel! Alles hat seinen Platz in Gottes Schöpfung. Und da - ob es andere auch gerade sehen? – ein Regenbogen spannt sich über die Hügel in der Ferne. Ein Farbenspiel, schillernd, bunt wie Gott selbst. So prächtig und schön, leicht und weit zugleich, alles umspannend. Hier stehend und schauend kann ich Gott in all diesen Zeichen der Schöpfung entdecken. Ach, würden doch meine Schwestern und Brüder ebenso staunen können! Wie lange schon rede ich und rede und überrede sie, dass sie Gott, wieder wahrnehmen, die Schönheit Gottes, sein Rufen, ihre Liebe!

Doch wenn ich so nachdenke: Zu viele sind in der Bitterkeit gefangen, welche die Eltern und Großeltern ausgießen. Sie halten daran fest: „Uns wurde alles genommen,“ sagen sie: „Wir mussten unsere Heimat verlassen, haben gesehen, wie Häuser zerstört und Felder vernichtet wurden. Der Tempel ist ein Trümmerhaufen. Und wo war Gott? Gott hat das alles zugelassen. Nichts hat Gott getan! Nichts! Die Feinde haben gesiegt. In der Fremde, hier an den Kanälen Babels, werden wir alt. In der Fremde bleibt uns nur die Erinnerung und mit der Zeit kommt das Vergessen.“ So jammern sie. Dabei kann ich verstehen, dass der Verlust traurig gemacht hat. Wieviel Kraft brauchte es, sich hier einzurichten! Sie haben vieles erleben und auch erleiden müssen. Ich sehe sie vor mir und denke, gerade jetzt in dieser Zeit der Krise und mancher Leere brauchen wir doch wieder Hoffnung, eine Hoffnung, die Gott uns neu ins Herz legt. Können sie das nicht spüren? Es ist gerade vieles in Bewegung. Die Babylonier sind nicht mehr so stark wie noch vor Jahrzehnten. Ihre Macht bröckelt. Sie werden unruhig. Kyros, der Perserkönig, gewinnt an Kraft und macht ihnen Angst. Für mich klingt es, als würde Gott uns damit zu rufen: „Los, kommt, nutzt die Zeit! Ich ebne euch einen Weg. Ich mache Hügel niedrig und krumme Straßen gerade. Kommt, zieht los, kehrt heim! Ich gehe mit euch, wie ich schon vor Zeiten mit euren Vorfahren unterwegs war, durch Wasser und Wüsten, so ebne ich euch jetzt die Bahn.“

Wenn ich in dieses Tal schaue, dann ist mein Herz weit und wieder klopft Gott an und flüstert in mir: ‚Geh hin und rede mit ihnen! Sag ihnen, dass ich mitgehe, so wie immer wieder Regen fällt und die Erde fruchtbar macht, jedes Jahr neu, so will ich jeden Weg mitgehen.‘

Nicht alle sind bitter geworden und in Trauer gefangen. Einige haben sich hier gut eingefunden. Sie machen ihre Geschäfte. Sie kommen gut aus mit den Nachbarn, die hier schon immer wohnen. Sie sind was geworden, auch als Fremde im Land. Ich gönne es ihnen. Es ist eine Freude zu sehen, dass sie nicht in einer verklärten oder verbitterten Vergangenheit leben. Sie haben getan, was der Prophet Jeremia vorzeiten schrieb: ‚Sucht der Stadt Bestes, pflanzt Gärten, baut Häuser, verheiratet eure Kinder, betet für die Orte, in denen ihr jetzt seid. Ja, wenn es der Stadt gut geht, die ihr bewohnt, wird es auch euch gut gehen.‘ Sie haben das beherzigt. Sie sind hier angekommen.

Nur beginnen sie zu vergessen, wer sie sind! Sie übersehen, dass auch hier manches anders wird. Wollen sie es nicht merken oder spüren sie es wirklich nicht? Es ist an der Zeit wieder aufzubrechen. Unsere Zeit hier naht sich dem Ende. Den Städten wird es nicht auf ewig gut gehen. Ob es wohl immer so sein wird, frage ich mich, dass wir aufbrechen und weiterziehen? Irgendwo ankommen und mit Gottes Hilfe wird es ein Zuhause. Doch ein paar Generationen später braucht es wieder Bewegung. Es scheint fast, als würde etwas um uns und in uns kaputtgehen, wenn wir zu lange, gar auf immer, an einer Stelle festhängen. Ach, das sind wohl nur meine eigenen Hirngespinste! Wie gern würde ich meinen gut hier eingelebten Geschwistern diesen Regenbogen zeigen! Ob sie ihn gerade auch sehen? Er ist wie ein Tor, das Gott auf die Erde stellt, auf das wir hindurchziehen, gen Westen ins Land unserer Vorfahren. Dort wartet unsere Aufgabe: Land und Leben und Gemeinschaft neu aufzubauen. Jeder wird gebraucht mit seinen Träumen und jede mit ihrer Hände Arbeit, auch die Kleinsten mit ihren Liedern und Spielen und die Alten, die noch Bilder in sich tragen, wie es gewesen sein könnte, was werden möge oder auch ganz anders sinnvoll ist. Kommt, meine Freunde, komm mit, Freundin!

Ja, es gibt noch andere, die in den Jahren/Jahrzehnten hier in der Fremde besonders nach Gott fragen. Oder vor allem danach, welche Ordnungen und Regeln wichtig sind. Sie entdeckten Gott in diesen Weisungen, die uns aufzeigen, wie Gemeinschaft gelingt, als lebe ein guter Geist auf: Den Schwächsten helfen, lesen wir da. Witwen sollen nicht auf sich selbst gestellt sein und Ernteerträge geteilt werden. Wo wir so leben, wird Gottes Wort für uns das, was Regen und Schnee für die Erde sind. Fruchtbar wird unser Miteinander. Ich schätze die Männer und Frauen, die sich darum kümmern, dass alte Weisungen weitergegeben werden, damit es nicht wieder dazu kommt, dass wir Gott und den Nächsten vergessen.

Manches ist hier in der Fremde ganz neu entstanden wie dieser Gesang auf das Leben, das Gott, durch sein Wort geschaffen hat: „Es werde, und es ward.“ Licht, Tag und Nacht, Himmel und Erde, Land und Meer, Bäume und Pflanzen, Sterne und Mond, Vögel und Fische, Tiere des Landes und Gewürm und Mann und Frau nach deinem Bild und Ruhe, Ruhe auch. Es werde und es ward so. Wie köstlich, gesegnet und geheiligt ist das Leben. (Dieser Absatz kann auch weggelassen werden.)

Gern höre ich ihnen zu. Manchmal jedoch beschleicht mich die Sorge, dass sie zu viel und fest regeln wollen. Nicht dass dabei Gott in ein festes Werk gepresst wirst und in unseren Gedanken erstarrt! Denn eines wird mir klar. Ich kann es nur betend stammeln:

‚Du, Gott, bist mehr als das alles. Mehr als Gebote, mehr als unser Denken, mehr als wir uns vorstellen. Größer, weiter, manchmal auch ferner. Denn ja, es gab die Zeit, da hast du zugelassen, dass wir in die Irre gehen, dass wir boshaft mit unseren Mitmenschen umgehen. Du hast zugelassen, dass die Erde um uns wüst und leer wurde. Felder brannten, Wälder schrien auf, Wassermassen türmten sich zur Unzeit und haben gutes Land und Leben verschlungen. Du hast zugelassen, dass wir uns in Kriegen verrannten und dass wir den Sprüchen und tönernen Worten der Mächtigen mehr vertrauten als dir. Das hat uns in die Irre gehen lassen und in die Fremde vertrieben. Du hast zugelassen, dass wir uns selbst höher und wichtiger nahmen als das Leben und die Gemeinschaft und dich, Gott. Ich stehe hier, schaue in die Weite dieses fruchtbaren Tales und gestehe, ich verstehe dich nicht! Deine Wege sind so ganz anders als unser Denken. Du lässt uns in unserer Dummheit auch vor die Wand laufen. Kannst du uns nicht aufhalten? Oder sind wir es, die sich nicht aufhalten lassen wollen? Aber jetzt, ich spüre es, jetzt, ist der Moment gekommen, wo du uns aus dem Staub des Niedergangs aufhebst. Du willst mit uns losziehen, damit wir wieder zurückkehren, um Land und Leben, Gemeinschaft und Häuser und wer weiß, wer weiß, irgendwann sogar den Tempel wieder neu aufbauen. Ist es das, was wir hier in der Fremde lernen mussten? Neue Gesänge vom Leben – du Gott des Himmels und der Erde, du Gott unseres Volkes und aller Völker und der Menschenkinder durch die Zeiten? Ist es das, was wir von hier mitnehmen, wenn wir in das Land unserer Vorfahren umkehren? Ach, und sind nicht einige dieser Vorfahren sogar ebenso von hier aus dem Osten aufgebrochen? Ist so immer alles mit dir in Bewegung? Deine Wege sind nicht unsere Wege – aber irgendwie gehst du doch auf unseren Wegen mit. Deine Pläne sind nicht unsere Pläne – wie könnten wir begreifen, was du uns noch alles mitgeben willst? Geht das immer so weiter? Immer weiter Lernen durch die Zeiten? Wird man eines Tages sogar die Tiere achten und die Bäume bewahren, als wären sie unsere Schwestern und Brüder, die das Leben mit uns teilen? Wird man Insekten umgarnen und lieben, weil sie die Blüten der Obstbäume befruchten? Wird man die großen Seeungeheuer im Meer, riesige Fische, Wale, was auch immer als deine Lieblinge des Wassers umarmen und bewahren? Jetzt geht aber wirklich die Fantasie mit mir durch. (Prophet/in lacht) Ich stand wohl zu lange im Regen. Deine Pläne sind nicht unsere Pläne. Soll ich das unseren Frauen und Männern sagen, denen, die gern blieben und denen, die festschreiben wollen, wie alles zu sein hat? Deine Wege sind anders. Du führst uns heraus, zurück und zugleich in die Weite.‘

Doch etwas ist anders. Mittlerweile höre ich immer wieder auch andere Stimmen. Die Stimme derer, die die neuen Lieder aufgreifen. Lieder, die wir ihnen vorgesungen haben; Worte, die Gott uns ins Herz gelegt hat. Vor allem die Jüngeren sind mit diesen Hoffnungsliedern unterwegs: ‚Tröstet, tröstet mein Volk…‘ so haben wir vor ein paar Jahren angefangen von Gottes Erbarmen zu erzählen. ‚Redet freundlich mit ihnen, erzählt, predigt, dass die Knechtschaft ein Ende hat!‘ Sie greifen unsere Worte und darin Gottes Werben auf und singen davon: beim Arbeiten und bei Festen auch. Ja, glaubt es, hört es, vertraut darauf: Gott will etwas Neues mit uns wagen. Gott hat nicht vergessen, hat uns nicht vergessen. Wie schön wäre es, die Älteren würden die Begeisterung der Jungen aufgreifen! Wie wäre es, sie würden deren Träume mitleben?! Wie wäre es, wenn sie gemeinsam aufbrechen, gemeinsam das Neue aufbauen! Ja, die Jungen, sie sind mutiger, ihren Aufbruchsgeist brauchen wir. Manchmal müssen sie uns ein wenig antreiben, sonst bleiben wir Alten zu träge.

Jetzt nach dem Regenschauer steigt mit der Sonne im Tal der Dunst auf. Der Regenbogen ist verblasst. Die schlanken Zypressen stehen in sattem Grün. Ja, Zypressen wachsen hier, kein Dornengestrüpp, und duftende immergrüne Myrte statt karger Steppenpflanzen. Sie stehen da und locken uns, dort entlangzugehen. Wiegen sie sich nicht im Wind, tanzen sie gar oder narren mich die Nebelschwaden? Ach was, das wird ein Fest, wenn wir aufbrechen und heimkehren! Selbst die Schöpfung jubelt mit, die Zypressen winken, die Myrten verströmen Duft und würzen uns die Freude. Und wieder kann ich nur staunend innehalten und erkennen: ‚Du, Gott, du bist es, du willst, dass wir in Freude ausziehen. Du bist es. Du verheißt uns Frieden, Frieden auf den Wegen der Umkehr, wenn wir zurückkehren. Zurück zu dir, zurück ins Land der Vorfahren, zurück zum gemeinschaftlichen Leben miteinander. Dein Schalom umgibt und leitet uns.‘

Auch ich bin alt geworden, hier an den Wassern Babels. Doch noch einmal will ich meine Stimme erheben. Ich will sagen, was Gott mir ins Herz legt. Ich vertraue, dass sich die Worte erfüllen. Wie der Regen diese Erde nass und fruchtbar macht, so wird Gottes Wort fruchtbar sein und lebendig werden. Ob ich es noch erlebe? Keine Ahnung! Doch ich weiß, dass Gott wirkt, auf vielfältige Weise und immer neu, in unserer Zeit und auch in ferner Zukunft. Die Zeichen göttlicher Zuwendung werden nie vergehen. Daran glaube ich fest - auch für meine Geschwister und auch für euch, wann immer ihr meine Gedanken hört und lest. Vertraut ebenso! Wer weiß, auf welche Wege Gott euch ruft, wohin ihr zurückkehren sollt oder wohin euer Aufbruch geht. Wagt es, wie hoffentlich meine Freunde und Freundinnen es wagen werden! So werden und bleiben Freude und Frieden, ja sogar die Schöpfung jubelt mit, als würde sie mit uns aufatmen und mit uns feiern.

Jetzt aber, jetzt muss ich zurück ins Dorf. Ich werde sagen und aufschreiben, was meine Schwestern und Brüder unbedingt noch erfahren sollen.“

Kehren wir zurück in unsere Zeit. Heute noch können wir lesen und hören, was damals weitergegeben und auch für uns heute und nachfolgende Zeiten festgehalten wurde. Hört die letzten Verse aus dem zweiten Teil des Jesajabuches, die ins Ende der Exilszeit in Babel gehören:

Jesaja 55, 8-13

8So lautet der Ausspruch Gottes: Meine Pläne sind anders als eure Pläne und meine Wege anders als eure Wege. 9Wie weit entfernt ist doch der Himmel von der Erde! So fern sind meine Wege von euren Wegen und meine Pläne von euren Plänen.

10Regen oder Schnee fällt vom Himmel und kehrt nicht dahin zurück, ohne die Erde zu befeuchten. So lässt er die Pflanzen keimen und wachsen. Er versorgt den Sämann mit Samen und die Menschen mit Brot.11So ist es auch mit dem Wort, das von mir aus geht: Es kehrt nicht wirkungslos zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will. Was ich ihm aufgetragen habe, gelingt ihm.

12Voll Freude werdet ihr aus Babylon fortziehen und wohlbehalten nach Hause gebracht werden. Berge und Hügel brechen in Jubel aus, wenn sie euch sehen. Die Bäume in der Steppe klatschen in die Hände.13Statt Dornsträuchern wachsen dort Kiefern und statt Brennnesseln Myrtenbüsche. Das alles geschieht zur Ehre des Herrn. Er setzt ein unvergängliches Zeichen, das niemals ausgelöscht wird.

am 23.10.2022 von Pfarrerin i.R. Barbara Wilhelmi

Liebe Gemeinde!
er heutige Sonntag steht ganz unter dem Aspekt Heilung. Schon im Wochenspruch haben wir eine Art von Mantra gehört: Heile mich, Gott, so werde ich heil, hilf mir so wird mir geholfen – aus dem Jeremiabuch, das in Notsituationen sehr empfehlenswert ist, sich wiederholend zuzusprechen.

Im Neuen Testament steht auch die Heilung an erster Stelle, denn die Jünger, Schülerinnen und Schüler Jesu werden losgeschickt zu den Leuten, mit verschiedenen Methoden zu heilen… meist die Hände aufzulegen, zu beten, vielleicht noch anderes, was wir heute nicht mehr wissen. Was wir aber wissen ist die Praxis der ersten Gemeinden, wie wir sie in der Lesung aus dem Jakobusbrief vernommen haben.
Da wird beschrieben, dass die Angehörigen von Kranken die Gemeindevorsteherinnen und -vorsteher zu Kranken rufen, damit sie mit spirituellen Methoden helfen: Hier wird genau aufgezählt, was zu machen ist: Hände auflegen, beten, heilen und von Sünden lossprechen – zunächst einmal hingehen und besuchen - und was auch immer zum Gesundmachen hilft. Das scheint die Aufgabe von Gemeinde zu sein, von Glaubenden allgemein.

Das mag verwundern, weil das bei uns nicht so recht praktiziert wird. Da wurde der Anschluss verpasst, als die Kirche des Mittelalters aus Angst vor okkulten Bräuchen das Heilen – speziell von Frauen/Kräuterfrauen – verbot und verfolgte. Dennoch finden wir weiterhin den Heilungsauftrag Jesu an uns in der Bibel – vor allem in den vielen Heilungsgeschichten, an die wir anknüpfen können – in unserer eigenen Praxis als Christinnen und Christen.

Sehen wir also in unserem heutigen Predigttext nach, ob wir für uns aktuell etwas entdecken können: Markusevangelium 2,1–12. Nach einigen Tagen ging er wieder nach Kapernaum. Es wurde bekannt, dass er in einem Hause war. Es versammelten sich viele, sodass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür. Jesus predigte. Es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vier Leuten getragen. Da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen die Bahre herunter, auf dem der Gelähmte lag.
Als Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.

Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein? Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich selbst dachten und sprach zu ihnen: Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben sprach er zu dem Gelähmten: Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!

In dieser Geschichte stehen Menschen im Mittelpunkt. Sie beginnt mit der Schilderung, dass da viele Leute um Jesus stehen, sodass der Zugang für andere versperrt ist. Aber es gibt vier Menschen, denen etwas einfällt, wie sie den Kranken auf einer Bahre zu Jesus hintragen können, damit derjenige, der es nicht selbst kann, zum Heiler kommt.
Zunächst meinen wir, es komme in erster Linie auf den Kranken an, der von Jesus geheilt werden soll, aber die Geschichte hält sofort inne: „Jesus sieht die Helfenden und findet, dass  i h r  Glauben groß sei. “Es kommt anscheinend nicht auf den Glauben des Kranken an, sondern auf die anderen… auf den Glauben der anderen Personen, die stellvertretend glauben und fürsorglich sind: Glauben steht hier vielleicht auch als Selbstvertrauen, als Zuversicht, dass sie es schaffen, dass ihnen etwas einfällt... Vielleicht tun sie das noch nicht einmal ohne Murren, vielleicht stört es sie, dass der Kranke selbst nichts kann und sie ran müssen, aber sie tun es: Sie organisieren sich… Vielleicht hielt der Kranke noch nicht einmal etwas von Jesus, darauf könnte ja der 2. Teil des Satzes deuten, in welchem von der „Sünde“ des Kranken die Rede ist.

Aber bleiben wir aber noch eine Weile bei den Vier Tragenden.
Das Bild erinnert mich an die Grablegung auf dem Friedhof, wo wir es heute noch so praktizieren. Aber das sind dann nicht mehr die Bekannten und Nachbarn aus der Dorfgemeinschaft, so wie ich es früher noch kennengelernt habe, sondern das übernehmen Friedhof Angestellte.
Wie viel besser ist es, einen Lebenden zur Heilung zu tragen...

Aber auch da haben wir eine Wandlung erlebt. In unserer Zeit leben Menschen weniger in Gruppen, allenfalls in mehr oder minder großen Familien zusammen. Bei uns kommt es vor allen Dingen auf das Individuum an, die Einzelne oder den Einzelnen… gerade bei Krankheiten … da gibt es den Begriff „Der mündige Patient“, der sich oft überfordert fühlt, auch noch in dem geschwächten Zustand an alles zu denken und seine Krankheit zu organisieren, zu wissen, wie man sich entscheiden soll, für welche Heilbehandlung.. und was lieber nicht…

Wenn man da nicht eine befreundete Ärztin kennt, einen Ratgeber, oder jemand, der einen schnell mal wohin fährt… dann wird es schwer....

Wenn wir uns an unsere Eingangsfrage erinnern:
Wir können wir den Heilungsauftrag Jesu in unserer Zeit beherzigen?…
Dann gibt es Antworten aus dieser Geschichte:
      Wir sollten auf die soziale Dimension des Heilens und Gesundwerdens schauen:
Sich gegenseitig helfen, wenn die kranke Person es nicht kann. Wobei nicht nur die körperliche Einschränkung gemeint ist, sondern auch das innere, die innere Aufgeben; das gar nicht mehr gesund werden wollen, die Depression, der Unglaube als fehlendes Vertrauen und Selbstvertrauen. Es geht auch darum ein Zusammenleben zu gestalten im Bild der vier Helfenden - d.h. es sollte für jede einzelne Person leistbar sein, das ¼ der Gemeinschaftsaktion, nicht eine oder zwei Leute, die sich völlig überlasten…

Wir merken, gerade nach fast drei Jahren Corona, dass gerade in unserer Gesellschaft Überlastung im Gesundheitswesen und in der Pflege einkalkuliert und es genau das Gegenteil ist. Aktuell gehört nicht nur die Verausgabung zu diesen Berufen, nein auch die chronische Unterbezahlung, während gleichzeitig Berufe, in denen es um wirtschaftlichen oder finanziellen Profit geht, weitaus mehr Geld bekommen – was die Wertschätzung der Gesellschaft wiederspiegelt.

Diese Geschichte rüttelt uns einmal mehr auf, eine soziale Perspektive einzunehmen und uns an die Werte aus dem Evangelium zu erinnern – um dieses auch in der Gesellschaft einzufordern.

Als Jesus ihren Glauben sah, sagt er zum Kranken: Deine Sünden sind Dir vergeben. Er sagt nicht, „deine Knochen sind wieder heile“, „deine Traurigkeit ist weggeblasen, selbst der altjüdische Heilungsbefehl: „“Steh´ auf“ - spricht Jesus erst später aus. Bei diesem Satz („Deine Sünden sind Dir vergeben“) kam wohl schon Luther ins Nachdenken und er übersetzte den Kranken mit „Gichtbrüchigen“, so, als ob er die Sünde des Kranken mit dessen ausschweifendem Lebensstil erklärte, was ja zu Gicht führen kann – und was Luther vielleicht aus seinem Leben kannte….

Aber an anderer Stelle in den Evangelien, bei der Heilung eines blind geborenen Kindes, verwahrt sich Jesus gegen diese Annahme. „Niemand hat gesündigt und so die Krankheit verursacht – weder die Eltern, noch das Kind“, sagt Jesus. Das passt eher zu ihm und den Nachfolgenden, die immer – ohne Ansehen der Person und Lebensgeschichte – heilten und auf der Seite der Gekränkten und Schwachen stehen. Das meint auch der altgriechische Begriff für unseren Kranken aus der Geschichte, denn die vier Helfenden tragen einen Aufgelösten, auch Entkräfteten. Über das Wunder der Heilung können wir wenig sagen – das ist letztendlich immer unerklärlich, aber wir können einzelne Schritte dazu aufnehmen, die hier wichtig sind:
Wir sind soziale Wesen als Menschen und können einander beistehen. Selbst wenn wir in der Gemeinde nicht mehr wissen, wie die Heilmethoden Jesu genau gingen, können wir manches doch praktizieren: Einander zu tragen… und nicht einem alleine alle Last aufzubürden, sondern nach dem ¼ zu suchen, was ich einbringen kann.

Zusammen kreative Lösungen zu finden - hier in unserer Geschichte so bildlich geschildert:
Sich nicht von Hindernissen abschrecken zu lassen und aus einem versperrten Zugang eine Öffnung herzustellen…. Und auf der Seite des Kranken können wir lernen, uns tragen lassen… uns ertragen lassen… helfen zu lassen… Die eigene Schwäche – öffentlich zu machen und zu akzeptieren….

Aber diese Geschichte endet nicht mit der Schwäche sondern damit, dass der Kranke irgendwann selbst wieder mit Gottes Hilfe aufsteht … und nicht liegen bleibt – genau wie der Kranke am Teich Bethesda, der hier in der Dankeskirche auf dem Fenster dargestellt zu sehen ist, von dem es heißt, dass er Jahrzehnte lang vorher liegen geblieben ist … und dann doch von Jesus gesagt bekommt: Nun steh auf und geh selbst los!

Aber auch die Helfenden sollen kein Helfersyndrom ausbilden und den Kranken loslassen wie auch die Kranken ihre Krankheit loslassen dürfen, sich nicht daran gewöhnen – sondern die Veränderung feststellen zu danken, sich einerseits zu erinnern, in der Schwachheit getragen worden zu sein, aber jetzt auch das Zutrauen zu sich neu zu fassen… und weiter im Leben zu gehen.

Es könnte kräftigen, wenn man weiß, nicht alles alleine tragen zu müssen… auch nicht die belastenden Lebenszeiten, Fehler, Irrtümer…
Das ist die Aufgabe einer Gemeinschaft – einer Gemeinde, dieses immer neu zu erschaffen mit Gottes Hilfe.

Amen

am 25.9.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Liedpredigt zu EG 326 Sei Lob und Ehr, 1

Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut,
dem Vater aller Güte,
dem Gott, der alle Wunder tut,
dem Gott, der mein Gemüte
mit seinem reichen Trost erfüllt,
dem Gott, der allen Jammer stillt.
Gebt unserm Gott die Ehre!

Predigt

Der Friede und die Liebe unseres Gottes, sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,
mit großen Schritten gehen wir auf das Erntedankfest zu. Am Erntedankfest steht der Dank im Mittelpunkt. Aber Dank und Lob gehören eng zusammen, deshalb möchte ich heute - eine Woche vor Erntedank mit Ihnen über das Loben nachdenken.

Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut,
dem Vater aller Güte.

Glauben wir eigentlich, was wir eben gesungen haben? Das Lob eines Gottes, der mit aller Güte alle Wunder tut und damit allem Jammer auf Erden ein Ende macht? Wenn das wahr wäre … das hieße doch: Es gibt nichts, was wir fürchten müssten, nichts, was uns den Lebensmut nehmen darf. Keine Krankheit und kein Krieg, keine Energiekrise. Keine Misserfolge bei der Arbeit und keine Schwierigkeiten mit anderen Menschen. Kein Unwetter. Keine Einsamkeit, keine Angst. Nicht einmal der Tod. Alles ist schön, alles ist gut. Gott sei Dank!

Gut und schön, höre ich Sie sagen, aber ist das auch wahr? In der Kirche klingt das ja ganz erbaulich, aber das Leben draußen ist halt was anderes.

In der Tat. Aber: Gott loben und ihm die Ehre geben – das heißt ja nicht, das Leben nach Plus und Minus durchrechnen, die Quersumme ziehen und fragen: Hat sich’s gelohnt? Wäre es so, dann dürften nur sonnige Gemüter, unverbesserliche Optimisten und selbstbewusste Glückspilze das Lob Gottes, das Lob des Lebens singen.

Nein, anders wird ein Schuh draus! Loblieder sind etwas für Leute, die mitten drin stecken in ihren Sorgen und Problemen. Die auch im Glauben mehr Fragen haben als Antworten. Denn Loblieder sind Protestlieder. Gesungen gegen die eigenen Zweifel. Gegen die Angst, die manchmal ganz tief von innen kommt und alle Lebensfreude auffrisst. Und nicht zuletzt gegen die Mutlosigkeit, die sich als Realismus tarnt: So ist das Leben! So ist nun mal die Welt! Da kann man halt nichts machen!

Wer Loblieder singt, der findet sich nicht ab mit offenen Fragen, mit Leiden, Schmerz und Tod. Der erinnert sich und andere in allem Jammer an den Gott, der Wunder tut. Denn nicht der nüchterne Realismus, sondern das Lob des Glaubens öffnet die Augen für die Schönheiten der Welt und den Reichtum des Lebens.

Gemeinde singt V. 2–3
Es danken dir die Himmelsheer,
o Herrscher aller Thronen;
und die auf Erden, Luft und Meer
in deinem Schatten wohnen,
die preisen deine Schöpfermacht,
die alles also wohl bedacht.
Gebt unserm Gott die Ehre!

Was unser Gott geschaffen hat,
das will er auch erhalten,
darüber will er früh und spat
mit seiner Gnade walten.
In seinem ganzen Königreich
ist alles recht, ist alles gleich.
Gebt unserm Gott die Ehre!

Jede/r von uns weiß zur Genüge: Dank und Lob sind keineswegs die Leitmelodie des Lebens. Es gibt jede Menge Stimmen, die lauter und einleuchtender sind als die Stimme des Glaubens und der Zuversicht. Wir erleben Spannungen, Rätsel, Misstöne, die sich lange nicht auflösen. Oft nehmen uns die alltäglichen Aufgaben und Geschäfte so in Anspruch, dass für alles andere Zeit und Kräfte fehlen.

Aber wer sagt denn, dass es für Lob und Dank immer einen Anlass geben muss! Wer sagt denn, dass wir ständig zu versichern hätten: Ich bin ja so dankbar! Wer sagt denn, wir müssten immer aus eigenem Erleben etwas von Gottes Schöpfermacht zu singen und zu sagen haben.

Gott sei Dank hängt nicht alles von uns ab. Gottes Schöpfung ist reicher, als wir ahnen. Da sind die »Himmelsheere«, wie unser Lied sagt. Da sind außer uns ungezählte Geschöpfe auf der Erde, in der Luft, im Meer: Sie alle ein wortloses Lob ihres Schöpfers.

Für das Lob Gottes, das Ja zum Leben gibt es noch andere Gründe als unsere Erfahrungen, Gefühle oder gar Stimmungen. Gut zu wissen: Der Dank verstummt auch dann nicht, wenn es uns die Stimme verschlägt. Und Gott gibt seine Welt nicht auf, wenn wir wieder mal alles hinwerfen wollen. Gott sei Dank!

Deshalb singen wir von dem Gott, der erhalten will, was er geschaffen hat: Erde, Luft und Meer, seine Schöpfung – und uns, seine Menschen. Gott hat unseren Dank und unser Lob nicht nötig. Aber wir das Danken. Das brauchen wir, damit uns immer wieder die Augen für Gottes Güte aufgehen. Dafür haben wir nämlich in der Regel ein schlechtes Gedächtnis. Dabei ist es lebensnotwendig, dass wir uns inmitten aller Spannungen und Probleme, und erst recht, wenn wir uns ratlos und hilflos vorkommen, an Gottes erstes Urteil über seine Schöpfung, unsere Erde, erinnern: Siehe, es war alles sehr gut.

Wenn wir Gott loben, dann halten wir fest: Das gilt, heute und morgen und unter allen Umständen. Darum: »Gebt unserm Gott die Ehre!«

Gemeinde singt V. 7 (Choralbegleitung wie unten beschrieben)
Ich will dich all mein Leben lang,
o Gott, von nun an ehren.
Man soll, Gott, deinen Lobgesang
an allen Orten hören.
Mein ganzes Herz ermuntre sich,
mein Geist und Leib erfreue dich!
Gebt unserm Gott die Ehre!

Haben Sie’s beim Singen gemerkt? Durch alle Stimmen ist die Melodie gelaufen. Mal strahlend in der Oberstimme. Mal als Bassfundament. Dann wieder, schon schwerer zu verfolgen, in den Mittelstimmen.
Aber immer der eine cantus firmus, die eine Grundstimme, ja Grundstimmung: »Gebt unserm Gott die Ehre!«
Gott loben, das ist nicht nur eine Sache der Worte. Sondern eine Lebensäußerung des ganzen Menschen. Mit Herz, Geist und Leib.
Du lobst Gott, wenn du spürst, dass jemand einen Kummer hat und dich braucht, um seine Sorgen loszuwerden.
Du lobst Gott, wenn du die Fähigkeiten nicht verkümmern lässt, die er dir gegeben hat.
Du lobst Gott, indem du nicht nur deine Interessen verfolgst, sondern zugleich bedenkst, was andere brauchen.
Du lobst Gott, wenn du auf Dinge verzichten lernst, die deine Gesundheit ruinieren.
Du lobst Gott, wenn du bei allem, was du tust, auch überlegst, welche Folgen dein Tun für andere hat.
Du lobst Gott, wenn du, soweit es in deiner Macht steht, verhinderst, was Leben zerstört.
Du lobst Gott, wenn du zu deinem Leben von Herzen Ja sagen kannst, weil es aus seiner Hand kommt.
So »gebt unserm Gott die Ehre!« – nicht nur mit der Stimme, sondern mit dem ganzen Leben.

Gemeinde singt V. 8–9
Ihr, die ihr Christi Namen nennt,
gebt unserm Gott die Ehre;
ihr, die ihr Gottes Macht bekennt,
gebt unserm Gott die Ehre!
Die falschen Götzen macht zu Spott;
der Herr ist Gott, der Herr ist Gott!
Gebt unserm Gott die Ehre!

So kommet vor sein Angesicht
mit jauchzenvollem Springen;
bezahlet die gelobte Pflicht
und laßt uns fröhlich singen:
Gott hat es alles wohl bedacht
und alles, alles recht gemacht.
Gebt unserm Gott die Ehre!

Wer Gott lobt, behauptet, dass er oder sie vom Leben Gutes zu erwarten hat. Das Lob Gottes setzt allen schlechten Erfahrungen gute Erwartungen entgegen und besteht darauf, dass sie wahr werden.
Das Lob Gottes ist wie eine Wünschelrute: Es spürt die verborgenen Quellen auf. Das Ja zum Leben, das oftmals unter vielen Enttäuschungen verschüttet ist. Kräfte des Körpers und der Seele, an die wir selbst schon nicht mehr glauben. Wer Gott zu loben weiß, sieht weiter – über den Tellerrand dessen hinaus, was wir Lebensumstände oder Realität nennen. Wer Gott zu loben weiß, sieht tiefer – unter die Oberfläche von Veranlagung oder Lebensgeschichte. Der entdeckt das Versprechen, das seit der Schöpfung mit dem Namen Gott gegeben ist: Alles ist gut.

Darum, gegen alle Lebensangst und gegen alle Lebensverachtung gesungen: Gebt unserm Gott die Ehre! Gegen alle Müdigkeit und alle Lähmung der Herzen und Sinne gesagt: Gebt unserm Gott die Ehre! Allen Kräften der Zerstörung entgegengehalten: Gebt unserm Gott die Ehre!
Davon wollen wir singen. Dafür wollen wir leben. Amen.

am 24.7.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Römer 6, 3-11

Ihr wisst doch: Wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, sind einbezogen worden in seinen Tod. Und weil wir bei der Taufe in seinen Tod mit einbezogen wurden, sind wir auch mit ihm begraben worden. Aber Christus wurde durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt. So werden auch wir ein neues Leben führen.

Denn wenn wir ihm im Tod gleich geworden sind, werden wir es auch in der Auferstehung sein. Wir wissen doch: Der alte Mensch, der wir früher waren, ist mit Christus am Kreuz gestorben. Dadurch wurde der Leib vernichtet, der im Dienst der Sünde stand. Jetzt sind wir ihr nicht mehr unterworfen. Wer gestorben ist, auf den hat die Sünde keinen Anspruch mehr. Wir sind nun also mit Christus gestorben. Darum glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. Wir wissen doch: Christus wird nicht mehr sterben, nachdem er vom Tod auferweckt wurde. Der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Denn sein Sterben war ein Sterben für die Sünde – das ist ein für alle Mal geschehen. Aber das Leben, das er jetzt lebt, lebt er ganz für Gott. Genau das sollt ihr auch von euch denken: Für die Sünde seid ihr tot. Aber ihr lebt für Gott, weil ihr zu Christus Jesus gehört.

Liebe Gemeinde,

„Wie können wir dafür sorgen, dass möglichst viele ins Paradies kommen?“, wurde eine Kindergruppe einer evangelikalen Kirche einmal gefragt. Ein Mädchen antwortete sekundenschnell: „Wir müssen sie töten.“ Für mich ist die Frage schon eher befremdlich, die Antwort lässt mich innerlich zusammenzucken.

In dieser religiösen Gemeinschaft aber war der Gegensatz Hölle-Paradies ein immer wiederkehrendes Thema in der religiösen Unterweisung der Kinder und das Leben im Diesseits war ganz ausgerichtet darauf, alles zu tun, um ins Paradies zu kommen.

„Wir müssen sie töten.“

Aus der Kinderlogik macht das Sinn, denn nur Tote können ins Paradies kommen. Ich bin trotzdem froh, dass sich dieser radikale Ansatz nicht durchgesetzt hat.

Paulus wählt für seine Erklärung der Taufe an die Gemeinde in Rom, die er nicht gegründet hat und noch nicht kennt, auch eine etwas radikale Form. Er hätte wahrscheinlich sogar mit der schnellen Antwort des Mädchens etwas anfangen können. Es könnte sein, dass er ihn etwas umformuliert hätte, in: „Sie müssen sterben.“

Viele der Taufsprüche der Taufen in den letzten Monaten und Jahren seit ich hier in Bad Nauheim als Pfarrerin tätig bin, kamen und kommen aus den Psalmen, z.B.:

„Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“ (Psalm 91,11-12 Luther 2017)

„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.“ (Psalm 139,5 Luther 2017)

„Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht.“ (Psalm 121,3 Luther 2017)

Paulus erklärt der Gemeinde in Rom die Taufe, aber er spricht von Tod und Beerdigung, dem Kreuz und der Auferstehung.

Die Verse aus den Psalmen, die als Taufsprüche ausgewählt werden, sie drücken die Hoffnung auf Schutz und Beistand aus. Paulus dagegen lenkt den Blick auf einen radikalen Neuanfang, der mit der Taufe für den Menschen beginnt. Für mich wird hier der Unterschied zwischen Kindertaufe und Erwachsenentaufe sehr deutlich.

Ein Kind soll behütet und beschützt sein. Das wünschen wir uns als Eltern und Kirche. Wir Erwachsene sehen die Möglichkeiten, aber auch die Gefahren und die Unsicherheiten. Wir sehen unseren kindlichen Anteil und die Dinge, vor denen wir nicht beschützt wurden, wovor wir andere bewahren wollen.

Es käme mir sehr gewagt vor, den Eltern eines Täuflings, dessen/deren Leben gerade erst begonnen hat, mit dem Tod und dem Kreuz zu kommen.

Doch wie ist es, wenn wir diese Worte nicht mit den Ohren eines Elternteiles eines kleinen Kindes hören, sondern mit den Ohren von Erwachsenen, die schon einiges erlebt haben, die sich nach einem Neuanfang sehnen und nach einer Hoffnung? Da kann sich das schon vielversprechend anhören. Da kann der Tod z.B. als klare Machtgrenze verstanden werden. Alles was davor Macht und Einfluss hatte, ist jetzt machtlos.

In einer Fernsehdokumentation über Menschen, die aus ihren Heimatländern wegen politischer Verfolgung fliehen mussten, wurde von einem Projekt der Stadt Graz berichtet. In Graz gibt es die Tradition der „Writer in Exile – Schriftsteller im Exil“. Die Stadt Graz vergibt ein Stipendium für verfolgte Autorinnen und Autoren, damit sie ihre Arbeit in Sicherheit fortsetzen können. 2018 war der georgische Lyriker Zviad Ratiani „Writer in Exile“ in Graz. Er wurde in Georgien öffentlich bloßgestellt, angegriffen und verleumdet, so dass die Flucht die einzige Möglichkeit war. Die Stadt Graz hat ihm einen Neustart ermöglicht. Er sagt in einem Interview über seine Ankunft in Graz:

„Bei meiner Ankunft in Graz sagte ich zu mir selbst: ‚Mein Gott, das ist das Paradies. Ich kann mich nicht erinnern gestorben zu sein.‘ … Am Anfang war es schwer für mich, von all dieser Schönheit und Freundlichkeit umgeben zu sein und zugleich die Verwundung zu spüren, die ich kurz zuvor in Tiflis erfahren hatte … Das reale Leben vor Ort stand in keiner Relation zu den Sorgen, die ich in mir trug. Am Ende hat mich Graz geheilt, es war mir ‚Krankenhaus‘ und ‚Paradies‘.“ (Natalie Resch, Graz als Krankenhaus und Paradies, in: Megaphon, Juli 2021, S. 24, www.megaphon.at)

Zviad Ratiani schreibt hier nicht von seiner Taufe. Aber er schreibt von dem Gefühl, es nicht fassen zu können, dass eine Veränderung möglich ist. Er beschreibt, wie sich jemand fühlt, der von einer bedrohten Existenz in Sicherheit gekommen ist und zu Beginn gar nicht recht weiß, wie er das aufnehmen kann.

Was ist real?

Was gilt?

Gilt die Erinnerung, die Vergangenheit, das, was noch vor ein paar Wochen war? Die Spuren, die Menschen noch am Körper tragen?

Oder gilt der aktuelle Moment? Wo er friedlich und hofiert in einem Haus in am Schlossberg sitzt und sich wie im Paradies fühlt?

Manche Verwandlungen sind schnell sichtbar: Wenn jemand abgenommen hat, wenn eine die Haare gefärbt hat, wenn eine schwanger ist, wenn jemand das Land verlassen hat. Andere Verwandlungen sind nicht so schnell zu erkennen: Wenn sich der Blick auf etwas verändert hat, wenn eine neue Idee in mir entsteht, wenn ein Zweifel sich regt, wenn neuer Glaube in mir zu wachsen beginnt.

In den letzten Jahren gab es auch bei uns wieder vermehrt Erwachsenentaufen. Zumeist von erwachsenen Flüchtlingen. In ihnen hat eine innere Veränderung stattgefunden, oft schon lange vor der Flucht. Sie haben eine klare Entscheidung getroffen. In ihrem Leben sollte eine neue Macht regieren. Das Alte sollte nicht mehr gelten. Die Taufe ist für sie so ein deutlicher Übergang von einer inneren Veränderung zu einer sichtbaren Handlung.

Für Paulus war es wichtig zu sagen, dass die Taufe einen Effekt hat. Durch die Taufe hat das ‚alte Ich‘ ein Ende genommen und ein ‚neues Ich‘ ist aus der Taufe aufgetaucht. Eine neue Person mit einer neuen Hoffnung. Noch nicht im Paradies, aber mit einem neuen Blick auf dieses Leben.

Martin Luther soll immer dann, wenn er sich bedroht fühlt und Angst hatte, „Ich bin getauft“ mit Kreide auf den Tisch geschrieben haben. Als Erinnerung an sich selbst, als Mantra gegen die Angst.

Was müssen wir tun, damit möglichst viele ins Paradies kommen?

  • An die mitgehende Liebe Gottes glauben, der durch den Tod in ein neues Leben gegangen ist und uns mitnimmt.
  • Uns daran erinnern, dass wir getauft sind und die geliebten Kinder Gottes.
  • In dieser fröhlichen Gewissheit mitbauen am Paradies, denn „Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist, wenn die Liebe das Leben verändert“ (EG 153,5).

Amen.

 

am 17.7.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Liebe Gemeinde,
noch eine Woche, dann beginnen die Sommerferien. Bei dem Wort Sommerferien beginnen die Augen der Konfis zu leuchten. Der Sommer, dass ist die Zeit in der ganz viele von uns sich auf den Weg machen. Auf den Weg in ferne Länder oder auch ganz in die Nähe. Auf den Weg, Neues zu entdecken oder einfach mal das zu tun wofür sonst keine Zeit ist. Manche machen sich mit Freund*innen auf den Weg, andere mit der Familie und wieder andere ganz bewusst allein. Die Bibel erzählt an vielen Stellen davon, wie Menschen sich auf den Weg machen. Freiwillig oder unfreiwillig. Allein oder in Gemeinschaft. Einer, der sich auf den Weg macht, ist Abraham. Wir haben in der Lesung eben von ihm gehört. Abraham kommt in Bewegung, er macht sich auf den Weg und zieht andere mit. Er geht nicht allein. Er hat eine Frau, Knechte und Mägde und er hat einen Neffen, der auch wieder mit Menschen verbunden sind, die mitgehen.

Die Bibel liebt Bewegungen, innere und äußere – insbesondere natürlich solche, die mit Gott in Zusammenhang stehen. Einer der zentralsten und wichtigsten Texte über so eine Bewegung ist die Geschichte von Abraham. Da macht sich einer, der mit seinen 75 Jahren den Großteil seines Lebens eigentlich schon hinter sich hat, noch einmal ganz neu auf den Weg. Auf den Weg ins Unbekannte. Er geht einen sehr weiten Weg. Angestoßen wurde seine äußere Bewegung von einer inneren, von Gott.

1 Da sprach Adonaj zu Abram: „Geh los! Weg aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft, aus deinem Elternhaus in das Land, das ich dich sehen lasse. 2 Ich werde dich zu einem großen Volk machen und dich segnen und deinen Namen groß machen. Werde so selbst ein Segen! 3 Ich will segnen, die dich segnen; wer dich erniedrigt, den verfluche ich. In dir sollen sich segnen lassen alle Völker der Erde.“
4 Da ging Abram los, wie Adonaj ihm gesagt hatte, und Lot ging mit ihm
(Genesis. Das erste Buch der Tora (1. Mose) 12,1-4a BigS 2011)

Da hört einer Gottes Stimme. Er hört zu, erkennt und dann gehorcht er. Er stellt sein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf und zieht los.
Abraham geht los.
Abraham vertraut auf diese Verheißung.
Abraham vertraut diesem Segen.

Es geht um Aufbruch und Ankommen.
Es geht um Vertrauen und Zweifel.
Es geht um Hoffnung und Resignation.
Es geht um den Ruf Gottes und die Freiheit, darauf zu hören und diesen Ruf umzusetzen.
Es geht darum, sich auf Gott einzulassen und Gott zu vertrauen.

Gott wird für Abraham zu einem Gegenüber und Gott redet mit ihm. Verständlich. Menschlich. Klar und deutlich. Gott redet zu einem einzigen Mann. Ganz privat, aber doch so ins Herz hinein, dass dieser Mensch ihn deutlich hört.
Gott ist kein nebulöses Prinzip, eine Ethik oder ein Gefühl. Sondern Gott bekommt auf einmal eine Stimme, eine Identität, wird ein Gegenüber, ein DU! Gott geht in eine Beziehung zu Abraham.

Abraham hört – und weiß sofort, wer da redet. Er weiß, es ist keine Halluzination, sondern es ist Gott. Das hört Abraham ohne Zweifel.

Was Gott aber sagt, ist eine einzige Zumutung: Geh weg von allem, mit dem Du vertraut und verbunden bist! Geh weg aus Deinem Land, weg von Deiner Großfamilie, weg vom Elternhaus! Geh von dort weg, wo Du geboren und aufgewachsen bist, wo dein Leben bisher stattgefunden hat – in ein Land, das ich Dir zeigen werde!
„Geh für Dich“ (Benno Jacob, Das Buch Genesis, Stuttgart 2000, 333) – so übersetzt Benno Jacob diesen hebräischen Imperativ Lech Lecha. Denn es geht auch um diese innere Bewegung, diese Loslösung. Geh für Dich! Geh weg aus dem, was Dir bisher so vertraut war, was bisher Dein Leben war!

Geh heraus, geh weg von allem, was Dir vertraut ist! Fast einzigartig ist dieser Imperativ in der Bibel. Und radikal: heraus aus allen Bindungen und hinein in eine neue, ganz andersartige – in eine Bindung an Gott.
Heimatlosigkeit auf Dauer ist die Folge. Die Bibel beschreibt, dass Abraham an vielen Orten umherzieht und tatsächlich nie im gelobten Land ankommt.

Dreimal wird er zum Verlassen aufgefordert und dreifach ist die Verheißung, die Abraham bekommt: Er wird in ein Land kommen, das Gott ihn erst noch sehen lassen wird. Aus ihm soll ein großes Volk werden. Gott wird ihn dazu machen. Und sein Name wird durch Gott groß gemacht werden.

All das ist in einem Wort zusammengefasst: Segen.

Und zwar so sehr Segen, dass er Abrahams gesamte Persönlichkeit, seine ganze Identität ändern wird: Er wird selbst zum Segen werden. Abraham ist nicht nur ein Mensch. Er selbst wird Segen!

Gott sucht einen segensreichen Weg zu den Menschen. Gott sucht ihn mit Abraham. Er setzt mit diesem einen Menschen eine Geschichte in Gang, nicht nur einen persönlichen Lebensweg, sondern eine Geschichte – mit einem ganzen Volk – und damit letztendlich auch mit uns. Denn dieses Volk soll zum Segen werden. Segen weitergeben, Segen vermehren. Zum Wohl aller Menschen!

Durch Abraham und seine Frau Sara bekommt die ganze Menschheit Zugang und Anteil an diesem Segen. So will es Gott hier ganz deutlich.

Menschenwege sind verwoben mit Gotteswegen. Kein Umweg, keine Sackgasse und kein Umkehren Abrahams wird Gott zu weit sein, als dass Gott nicht mitgeht. Das macht die Geschichte Gottes mit Abraham so besonders, bis heute. Das macht diese Verheißung des Segens so besonders, der an ein Land und ein Leben dort gebunden wird.

Abraham ist kein heroisches Vorbild, dem wir uns im Glauben respektvoll unterzuordnen hätten. Er hat zutiefst menschliche Eigenarten. Er ist ungeduldig. Er will den Segen Gottes wirken sehen. Er hilft dem Segen nach, indem er eine Leihmutter nimmt. Er lügt und er betrügt auf seinem Weg – aus Angst und um die eigene Haut zu retten! Das ist kein Leben eines Helden, sondern ein Leben mit Höhen und Tiefen. Aber ein Leben, das immer verbunden ist und im Dialog ist mit Gott.

Abraham ist Abraham. Sein immer wieder neues Suchen nach Gott, sein Vertrauen auf diese Stimme ist absolut beeindruckend. Abraham lässt Gott nicht los. Und Gott lässt Abraham nicht los. So leben sie beide in dieser Verbindung, die sich öffnet und zum Segen wird. Nicht nur für die Familie Abrahams, sondern am Ende für ganze Völker.
Es ist eine einzigartige, unglaubliche Geschichte, die sich nicht wiederholt, sondern die in Abraham begonnen hat und bis in unsere heutige Zeit reicht. Abraham zeigt uns: Glauben heißt Vertrauen auf das Wort, das Gott gegeben hat.

Und wir? Kann Abraham uns Vorbild sein? Wie finde ich Gewissheit in meinem Leben? Worauf kann ich vertrauen?
Gott ist mein Grund. Gott zeigt mir seine Wege – durchs Leben. Und von Gott kommt der Segen – auch durch andere Menschen. Besonders durch Gottes Volk Israel. Und durch Jesus Christus, der zu diesem Volk gehört.
Worauf vertrauen wir?

Alles, woran wir uns normalerweise absichern: unsere Versicherungen, unsere Häuser, unser Besitz, unsere Geldanalagen usw. sind nicht wirklich bis zum letzten Ende ein verlässlicher Grund. Sie sichern uns anders, sozusagen wie ein doppelter Boden. Das ist gut so.

Gott will mehr! Gott will etwas in uns Menschen bewegen. Gott will, dass wir ihn suchen und Gott vertrauen.
Nur wenige Menschen schaffen es, sich ganz und gar wie Abraham auf Gott zu verlassen.

Aber was gibt mir Sicherheit, wenn das, was sonst trägt, eben nicht mehr trägt? Wenn Beziehungen zerbrechen oder andere Dinge, auf die ich fest gesetzt habe, plötzlich nicht mehr da sind, nicht mehr tragen. Was bleibt dann?
Dann bleibt das, was schon Abraham trug: Die innere Stärke, die innere Bewegung, Gott.

Wenn wir Abraham und seine Geschichte hören, dann müssen wir sagen: Abrahams Nachfolgerinnen und Nachfolger, das sind jüdische, muslimische und christliche Menschen. Wir alle sind gemeinsam auf dem Weg. Wir sind unterwegs, damit durch uns zu erkennen ist, was Gott meint, wenn Gott sagt: „Ich will segnen, die dich segnen; wer dich erniedrigt, den verfluche ich. In dir sollen sich segnen lassen alle Völker der Erde.“ (Gen 12,3 BigS 2011)
Amen.

am 26.6.2022 von Pfarrer Rainer Böhm

Die Gnade unsres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde!
Bevor ich mit meiner Predigt beginne, möchte ich eine kurze Umfrage machen und bitte Sie, sich jeweils mit Handzeichen zu melden:
Am 11.09. um 14 Uhr ist meine Verabschiedung hier im Rahmen des Gemeindefestes. Um besser planen zu können, die Frage:
Wer von Ihnen kommt?
Wer kann nicht kommen?
Wer weiß es noch nicht genau? :

Gut, dann müssen wir halt ein paar Obdachlose aus dem Karl-Wagner-Haus einladen.
Und die, die nicht kommen, brauchen in Zukunft gar nicht mehr zum Gottesdienst  erscheinen!! Soweit die Umfrage.

Dann lese ich mal den Predigttext: Lk 14,15-24
Jesus war am Sabbat gemeinsam mit anderen zu Gast im Hause eines Pharisäers.
15 Da ergriff einer von den Gästen das Wort und sagte zu Jesus: »Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes!«
16 Jesus antwortete ihm mit einem Gleichnis; er sagte:
»Ein Mann hatte viele Leute zu einem großen Essen eingeladen.
17 Als die Stunde für das Mahl da war, schickte er seinen Diener, um die Gäste zu bitten: 'Kommt! Denn es ist alles bereit!'
18 Aber einer nach dem andern begann, sich zu entschuldigen.
Der erste erklärte: 'Ich habe ein Stück Land gekauft, das muss ich mir jetzt unbedingt ansehen; bitte, entschuldige mich.'
19 Ein anderer sagte: 'Ich habe fünf Ochsengespanne gekauft und will gerade sehen, ob sie etwas taugen; bitte, entschuldige mich.'
20 Ein dritter sagte: 'Ich habe eben erst geheiratet, darum kann ich nicht kommen.'
21 Der Diener kam zurück und berichtete alles seinem Herrn. Da wurde der Herr zornig und befahl ihm: 'Lauf schnell auf die Straßen und Gassen der Stadt und hol die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Gelähmten her!'
22 Der Diener kam zurück und meldete: 'Herr, ich habe deinen Befehl ausgeführt, aber es ist immer noch Platz da.'
23 Der Herr sagte zu ihm: 'Dann geh auf die Landstraßen und an die Zäune draußen vor der Stadt, wo die Landstreicher sich treffen, und dränge die Leute hereinzukommen, damit mein Haus voll wird!'«
24 Jesus schloss: »Das sollt ihr wissen: Von den zuerst geladenen Gästen kommt mir niemand an meinen Tisch!«

Zugegeben, ich habe mit meiner Umfrage so ziemlich alles falsch gemacht, was man in einer Predigt falsch machen kann:

  • Man kann ein Reich-Gottes-Gleichnis nicht 1:1 übertragen auf die Gemeindesituation und ein anstehendes Gemeindefest.
  • Die Gemeinde, auch nicht unsere in Bad Nauheim, ist nicht das Reich Gottes.
  • Die, die am Samstag nicht kommen können, werden nicht in alle Ewigkeit verdammt.
  • Und, das mag Sie mehr oder weniger überraschen: ich bin nicht Gott.

Wie können wir das Gleichnis dann auslegen? Ich möchte vier Aspekte beleuchten.

1. Oft ist das Gleichnis so verstanden worden: die zuerst Eingeladenen sind das Volk Israel. Das hat die Einladung nicht angenommen, deshalb sind nun die Heidenvölker an der Reihe.
Auch dies wäre eine unzulässige 1:1 – Übertragung des Gleichnisses. Man muss darauf achten, was die Pointe des Gleichnisses ist. Sie ist dann der Vergleichspunkt. Und da können wir zwei Schwerpunkte bei Lukas ausmachen:
Zum einen: Lukas legt einen deutlichen Schwerpunkt auf den sozialen Aspekt, in Anlehnung an das Alte Testament: Nur wenn die Ärmsten der Armen, die körperlich und geistig Behinderten, die Vernachlässigten und die Obdachlosen eingeladen sind und Platz in der Gemeinde haben, ist auch noch Raum für uns. Nicht vorher.
Und das zweite: die Verkündigung des Reiches Gottes wird von Israel aus in die ganze Welt ausgeweitet, zu den „Heidenvölkern“.
Das drücken die Einladungen aus, die  immer weiter gezogen werden:
zuerst die engsten Freunde, dann die aus der Stadt und zuletzt die von den Landestraßen.
Sowohl Lukas als auch Paulus sprechen davon, dass Israel zu Gunsten der Heidenvölker zurücktritt. Und wir haben keinen Grund, uns deshalb Israel überlegen und als etwas Besseres zu fühlen. So warnt Jesus unmittelbar vor unserem Predigttext: Wenn dich jemand zu einem Hochzeitsmahl einlädt, dann setz dich nicht gleich auf den Ehrenplatz. Es könnte ja sein, dass eine noch vornehmere Person eingeladen ist. Setz dich lieber auf den letzten Platz, wenn du eingeladen bist. Wenn dann der Gastgeber kommt, wird er zu dir sagen: 'Lieber Freund, komm, nimm weiter oben Platz!' So wirst du vor allen geehrt, die mit dir eingeladen sind.
Übrigens: viele von uns nehmen das sehr ernst und sitzen im Gottesdienst immer ganz hinten. Das ist sehr bescheiden.

2. Jesus ist zum Sabbatmahl bei einem führenden Pharisäer eingeladen. Und Jesus nimmt im Gleichnis das auf, was der Sabbat in jüdischer Tradition bedeutet: er ist ein Vorgeschmack auf das Reich Gottes. Es ist etwas Besonderes, eine geschenkte Zeit, ein Mehr an allem, was wir leisten können.
Die Mahlgemeinschaft zieht sich wie ein roter Faden durch das Auftreten Jesu.  Er feiert mit bei Hochzeiten und sorgt dort sogar für ungetrübten Weingenuss. Er setzt sich zusammen mit Zöllnern, Sündern und Prostituierten, mit denen sonst niemand gerne gesehen wurde. Er war gerne gesehener Gast bei Marta und Maria und deren Bruder Lazarus.  Und er war auch immer wieder bei Pharisäern eingeladen. Wahrscheinlich hat er bei solchen Mahlzeiten auch gerne von Rabbi zu Rabbi, also unter seinesgleichen, die Tora diskutiert. Und bei solchen Gesprächen kam die Rede natürlich auch auf das Reich Gottes.
Jesus lädt uns mit seinem Verhalten und mit diesem Gleichnis dazu ein, es ihm nach zu tun: miteinander Gemeinschaft zu haben und über Gott und die Welt zu diskutieren. Und das mit einem Querschnitt durch die Gesellschaft, bis zu den Ärmsten der Armen. Für die meisten Gemeinden, ja für die Kirche insgesamt, ist das sicher eine große Herausforderung und auch kaum zu schaffen. Wichtig ist aber, dass wir dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren.  Nur wenn die Ärmsten der Armen Platz in unserer Gemeinde haben, dann ist auch noch Raum für uns.

3. Schauen wir uns mal die Gründe für die Absagen an. Sie sind alle sehr stichhaltig.
Der eine sichert mit dem Kauf der Äcker seine Lebensgrundlage, der zweite sichert mit den Ochsen seine Arbeitsgrundlage, und der dritte mit der Heirat seine familiäre Grundlage. Alles existentielle Entschuldigungen. Und ich denke, wir würden jede davon akzeptieren.
Allen dreien geht es um das individuelle Glück. Sie sind Ich-bestimmt. Im Reich Gottes geht es aber um ein Wir, um eine gemeinschaftliche Freude. Nicht umsonst ist das Bild für das Reich Gottes ein Fest und ein gemeinschaftliches Mahl – Konvivenz, gemeinschaftliches Zusammenleben und Zusammenfeiern stehen im Mittelpunkt., dass biblisches Denken immer von einer Solidargemeinschaft ausgeht. Auch hier wieder: erst wenn die Ärmsten der Armen Platz in unserer Gemeinde haben, dann ist auch noch Raum für uns.
Zeichenhaft deutlich wird dies, wenn wir gemeinsam Abendmahl feiern. Und die einladenden Worte stammen ja gerade aus unserem Gleichnis, und sie sind im Plural gehalten: Kommt, denn es ist alles bereit!

4. Ich möchte Sie anregen, sich mit einer Figur des Gleichnisses zu identifizieren, die nicht so sehr im Blick ist. Nämlich mit dem Diener. Vielleicht ist das unsere Hauptaufgabe: im Namen Gottes einzuladen, an die Hecken und Zäune, in die Gassen und Straßen zu gehen und von dieser wunderbaren Einladung zu erzählen.
Wir sollen die Einladung Gottes hinaustragen, weitergeben.
Wir sind nicht die Einladenden selbst – das ist Gott. Leider ist dies im ökumenischen Gespräch immer noch einer der Hauptunterschiede zwischen evangelischem und katholischem Verständnis des Abendmahls: nach evangelischem Verständnis ist Jesus Christus der Einladende, und deshalb sind alle eingeladen, egal welcher Konfession sie angehören. Es ist nicht unsere Aufgabe, Menschen von dieser Einladung auszuschließen. Wir sind nur die Diener Gottes, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Deshalb kommt, denn es ist alles bereit!
Amen

am 12.6.2022 von Pfarrer Rainer Böhm

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Lesung Röm 11,33-36:
O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen«? (Jesaja 40,13) Oder »wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass Gott es ihm zurückgeben müsste?« (Hiob 41,3) Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Liebe Gemeinde,
1. Am Ende bleiben diese drei: Staunen, Loben und die Gewissheit, dass Gott da ist. Paulus ist in seinem Römerbrief an die Grenzen des Denkbaren gegangen. Wie kann er seine Überzeugung, allein der Glaube an Jesus rettet und die bleibende Erwählung Israels zusammen denken? Gibt es für Israel einen Sonderweg zum Heil, an Christus vorbei? Diese Frage ist nicht nur für Israel bedeutsam, sondern für Gott selbst. Bleibt Gott seiner Verheißung an Israel treu? Bleibt er seinem Bund, ja: bleibt Gott sich selbst treu?

Für Paulus ist das alles nicht nur ein theologisches Rätsel, eine knifflige Logikaufgabe oder ein intellektuelles Gedankenspiel. Diese Fragen betreffen den Kern seiner Person, war er doch selbst Jude bevor er Christ wurde, traute er doch dem alten Bund bevor er den neuen einging. Paulus steht an der Grenze – an der Grenze seiner Identität, an der Grenze seines Glaubens, an der Grenze seines Denkens.

In drei Kapiteln seines Römerbriefs versucht er die bleibende Erwählung Israels und den neuen Bund in Jesus Christus zusammen zu denken, in immer wieder neuen Anläufen findet er immer wieder neue Antworten. Ganz löst es sich nicht auf; es bleiben mehr Fragen als Antworten und der Eindruck: Nicht alles lässt sich eben begreifen und erforschen, so sehr es Herz und Kopf auch möchten. Dann der Bruch, der Sprung, der intellektuelle Abbruch.

Am Ende argumentiert Paulus nicht mehr, sondern verharrt im Staunen: O welch eine Tiefe des Reichtums! Paulus hört auf abzuwägen, nachzudenken, immer wieder neue Fragen zu bedenken, er beginnt zu lobpreisen und davon zu singen, wie das Erforschbare im Unerforschlichen aufgehoben wird, wie das Begreifbare dem Unbegreiflichen weicht, wie die Weisheit und die Erkenntnis Gottes alles menschliche Denken und Erfahren übersteigen. „Wir können ihn loben, aber nicht erfassen, denn er ist größer als alle seine Werke“ (Sir 43,28). Am Ende hat Paulus keine Fragen und Zweifel mehr, am Ende steht für ihn eine Gewissheit, festgeschrieben in seinem Herzen: Gott ist alles, Anfang und Ziel von allem, Schöpfer von allem: „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen“.

2. Wie Paulus kommen Menschen immer wieder an die Grenzen des Denkbaren, gerade wenn es um Gott geht. Manchmal ist man gezwungen, sich selbst, seinen Gott, ja vielleicht alles, was trägt, in Frage zu stellen. Wie kann Gott zugleich gerecht und barmherzig sein? Wenn er jedem Täter vergibt, wer setzt dann die Opfer ins Recht? Wie kann ein allmächtiger und barmherziger Gott all das Leid zulassen? All den Krieg, die Katastrophen, die Krisen im Leben und die zum Tod?

Diese Fragen sind nicht nur für all die Menschen, die Gott erleiden, bedeutsam, sondern für Gott selbst. Muss und kann er sich rechtfertigen? Muss und kann er sich fragen, hinterfragen oder gar widerlegen lassen? In immer wieder neuen Anläufen finden Glaube und Theologie immer wieder neue Antworten. Ganz löst es sich nicht auf. An jeder Antwort entzündet sich eine neue Frage, an jeder Frage eine Gegenfrage. Die Argumentationen bleiben lückenhaft, die Gedankengebäude brüchig und durch die Fundamente gehen Risse. Wenn man die Maßstäbe menschlicher Logik anlegt, bleibt vieles an Gott unverständlich, ja Gott selbst erscheint nicht selbstverständlich. Wenn das passiert, steht man auf der Grenze – des Denkens, des Glaubens, des Aushaltbaren. Dann bleiben entweder die Ablehnung Gottes oder die Anbetung Gottes. Oder beides zugleich.

Der Holocaustüberlebende Elie Wiesel berichtet von einer Szene im KZ, wo Gott selbst vor Gericht gestellt wird, weil er scheinbar seinen Bund mit Israel gebrochen und all das Leid an seinem erwählten Volk zugelassen hat. „Die Verhandlungen des Tribunals zogen sich lange hin. Und schließlich verkündete mein Lehrer, der Vorsitzender des Tribunals gewesen war, das Urteil: Schuldig. Und dann herrschte Schweigen – ein Schweigen, das mich an das Schweigen am Sinai erinnerte, ein endloses, ewiges Schweigen. Aber schließlich sagte mein Lehrer, der Rabbi: Und nun, meine Freunde, lasst uns gehen und beten. Und wir beteten zu Gott, der gerade wenige Minuten vorher von seinen Kindern für schuldig erklärt worden war.“ (Elie Wiesel).
 
3. Ich kenne auch solche Momente, in denen mein Denken an Grenzen kommt und ich einfach nur fühle: Gott ist da. Trotz allem. Nur diese Gewissheit hält mich, hält mich im Glauben, hält mich in Gott. Diese Momente, in denen alle Widersprüche sich auflösen, in denen ich aufhöre zu rechten und zu richten, zu verstehen und zugrunde zu gehen. Da lasse ich los, lasse alles von mir abfallen, lasse mich fallen in jene Tiefe, die mich nach oben trägt, bin ganz Ohr, ganz Auge, ganz Herz und mir scheint, als trage alles ein Geheimnis in sich, das sich nur den Glaubenden und Liebenden erschließt. Es ist nicht mehr rational.

Der Schriftsteller und Philosoph Albert Camus hat es bei der Beschreibung der römischen Ruinen seiner am Meer gelegenen Heimatstadt so formuliert: „Im Frühling wohnen in Tipasa die Götter. Sie reden durch die Sonne und durch den Duft der Wermutsträucher, durch den Silberkürass des Meeres, den grellblauen Himmel, die blumenübersäten Ruinen und die Lichtfülle des Steingetrümmers.“ Wie sehr kann ich seine Worte nachempfinden, wie sehr trösten sie mich und wie sehr wecken sie meinen kindlichen Trotz, trotz allem nicht an den Klippen des Unerforschlichen zu zerschellen und am Unbegreiflichen zu kentern.

4. Dann staune ich nämlich selbst: Wenn ich jetzt am Morgen von Ranstadt hierherfahre, dann liegt noch leichter Morgennebel über der Niederung; Störche stehen im Ried; die Morgensonne bescheint die Taunushänge; Kirchtürme ragen über die Wiesenränder; Kirchglocken sind aus den Dörfern zu hören. Manche scheppern etwas, klingen ärmer als die mächtigen Glocken der Dankeskirche – aber nicht weniger innig.

In der Ferne Altkönig und Große Feldberg. An dessen anderer Seite habe ich gelebt, bin ich aufgewachsen. Weit bin ich also nicht herumgekommen.

Dann lobsinge ich – vielleicht mit unbeholfenen Worten, vielleicht mit der Faust in der Tasche und Narben auf meiner Haut, vielleicht verborgen und verschüttet wie eine Sehnsucht, die dem Licht entgegenwächst. Dann bin ich gewiss: Gott ist da – trotz der Dinge, die ich nicht begreifen und erforschen kann, trotz der Dinge, die ich kaum ertragen und tragen kann, trotz aller Fragen, in allem Verzagen: Ich falle in seine Tiefe, die mich auffängt und trägt.

Am Ende bleiben diese drei, Staunen, Loben und die Gewissheit, dass Gott da ist – und ein neuer Anfang wächst hervor, gewebt aus heiligen Trotz und sanftem Trost, ein Hauch, ein Lied, ein Wimpernschlag. Wie genau, bleibt ein Geheimnis.

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX. Amen

Gottesdienst am Pfingstmontag 2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

Herzlich Willkommen zu unserem Gottesdienst am Pfingstmontag. Ein besonderes Willkommen gilt denen unter uns, die heute in diesem Gottesdienst ihre goldene Konfirmation feiern. Schön, dass Sie da sind!

50 Jahre – das ist eine lange Zeit. Haben Sie sich gleich wiedererkannt? Waren Sie damals eigentlich in einer Konfigruppe? Manche von Ihnen ist auch gar nicht hier in Bad Nauheim konfirmiert worden, weil Sie damals noch gar nicht hier gelebt haben. Vielleicht haben Sie sich gewundert, dass wir Sie eingeladen haben. Aber uns als Gemeinde ist es wichtig, dieses Jubiläum mit Ihnen zu feiern – egal in welcher Gemeinde Sie konfirmiert worden sind. Und wir freuen uns, dass Sie den Weg hierher zu uns gefunden haben.

Viel ist in diesen 50 Jahren passiert: Schönes und Trauriges. Ereignisse, die glücklich gemacht haben, aber auch solche die traurig gemacht haben. So manches Vorhaben ist gelungen, anderes eher nicht.
Alles, was uns bewegt wollen wir in diesem Gottesdienst vor Gott bringen. Und so sind wir hier zusammen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Lied: 503, 1-3. 8 Geh aus mein Herz

EG 711 Psalm 23

Eingangsgebet
Lasst uns zu Gott beten:
Bei dir bleiben, Gott, - ein Leben lang.
Manchmal ist es leicht.
Wenn wir die Liebe kennenlernen.
Wenn wir sehen wie Kinder heranwachsen.
Wenn alles leicht von der Hand geht.
Wenn wir staunend deine Schöpfung ansehen.
Grüne Auen, frisches Wasser. Wunderbar gemacht.

Bei dir bleiben, Gott, ein Leben lang.
Manchmal ist es schwer.
Wenn der Alltag uns hart macht.
Wenn Menschen nicht mehr da sind.
Gestorben oder weggegangen.
Wenn Traurigkeit das Herz schwer macht.
Wenn Sorgen die Augen verdunkeln. Bist du wirklich bei uns im finsteren Tal?

Wir sind heute hier in deiner Kirche und denken an den Tag unserer Konfirmation zurück. Du hast uns deinen Segen geschenkt. Wir wollten bei dir bleiben ein Leben lang.
In der Stille sagen wir dir, was uns bewegt.

Gott, wenn wir uns verirren – du bist da.
Wenn wir dich verlassen – du verlässt uns nicht.
Wenn wir schuldig werden – du führst uns auf rechter Straße.
Wenn wir mutlos sind – du erquickst unsere Seele.
Dafür danken wir dir.

Lesung: 1 Kor 12, 4-11

Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist. 5Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr. 6Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen. 7Durch einen jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller.8Dem einen wird durch den Geist ein Wort der Weisheit gegeben; dem andern ein Wort der Erkenntnis durch denselben Geist; 9einem andern Glaube, in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen, in dem einen Geist; 10einem andern die Kraft, Wunder zu tun; einem andern prophetische Rede; einem andern die Gabe, die Geister zu unterscheiden; einem andern mancherlei
Zungenrede; einem andern die Gabe, sie auszulegen. 11Dies alles aber wirkt derselbe eine Geist, der einem jeden das Seine zuteilt, wie er will.

Credo

Lied: eg+  96

Ansprache
Liebe Goldkonfirmand*innen, liebe Gemeinde,

im letzten Jahr machte ein Videoclip die Runde mit dem Lied eines Kabarettisten. Leider habe ich weder das Video gespeichert noch mir den Namen des Kabarettisten gemerkt. Aber den Inhalt des Liedes. Immerhin das! Der Kabarettist, so um die 60, stellte in seinem Lied die Frage: Wie haben wir, also meine Generation, eigentlich unsere Kindheit überlebt? Rückblickend, so seine Überlegungen, ist es kaum zu glauben, dass Menschen, die als Kind in den späten 50er und dann in den 60er Jahren groß geworden sind, diese Kindheit überhaupt überleben konnten. Als Kinder sind sie ohne Kindersitz und ohne Gurt im Auto mitgefahren, haben Wasser einfach direkt aus dem Wasserhahn getrunken, nicht aus Flaschen. Sie sind in die Schule gelaufen. In den Ferien oder am Wochenende haben sie das Haus morgens zum Spielen verlassen und sind oft erst zum Mittagessen oder noch später zurückgekommen. Sie haben sich selbst Spiele ausgedacht mit Holzstöcken oder Tennisbällen. Im Wald wurde Räuber und Gendarm gespielt oder Budchen gebaut. Niemand wusste genau wo die Kinder waren – es gab keine Handys. Es gab keine Playstation und das Fernsehprogramm begann auch erst abends um 18:00 mit der Sesamstraße. Die Kinder gingen einfach raus und trafen sich mit anderen Kindern auf der Straße. Ohne langfristige Terminplanung und ohne das Absprachen der Eltern untereinander nötig waren. Vielleicht war diese Kindheit wirklich unbeschwerter und stressfreier als heute.

Die Jugendzeit dann in einer BRD, die aufgerüttelt worden war von der Studentenbewegung. Neue Offenheit machte sich breit, aber auch die Anfänge der Radikalisierung. Der Club of Rome veröffentlichte seine erste Studie: Wachstum ist nicht unendlich, die Ressourcen unserer Erde sind nicht unerschöpflich. Ich weiß nicht wie viel man damals von all dem in Bad Nauheim mitbekommen hat. Ob Sie musikalisch noch mehr bei Jürgen Drews und seinem Bett im Kornfeld waren. Oder bei Peter Maffay. Oder doch mehr in Richtung Elton John und Chicago. John Lennon veröffentlichte das unvergessene „Imagine“ und das Album „Sergeant Peppers Loneley Heartclub Band“ der Beatles war auch noch in den Charts. Und ein Lied aus diesem Album, dass Sie vermutlich alle kennen, weil es bis heute im Radio immer mal gespielt wird, ist das Lied: „When I’m 64“.

Orgel: When I’m 64

Ein junger Mann sitzt da und denkt über das Alter nach. Paul Mc Cartney war übrigens 16 Jahre alt, als er diesen Song geschrieben hat.

„Wie wird es sein, wenn ich einmal 64 bin? Wirst du an mich denken, wirst du mich durchfüttern? Bin ich dann noch etwas wert?“

Er sieht Menschen um sich herum, die so alt sind – 64. Die Großmutter, den alten Mann in der Nachbarschaft, die Lehrerin kurz vor dem Ruhestand. Alles alte Menschen aus seiner Sicht. Wie sieht das Leben eines 64jährigen aus der Sicht eines Vierzehnjährigen aus? Im Lied heißt es: Er braucht gestrickte Seelenwärmer am Kamin, darf dankbar sein, wenn er noch genug Kraft hat, den Garten umzugraben und am Sonntag mal für einen kleinen Ausflug rauszukommen. Er muss sich einschränken und sparen – es reicht gerade, Enkelkinder auf dem Schoß zu haben. Kurz: er gehört zum alten Eisen – und ist sich nicht sicher, ob noch jemand da sein wird, der ihn durchfüttert. Für einen Vierzehnjährigen vor 50 Jahren war es keine erstrebenswerte Aussicht 64 zu sein. Spannend auch zu sehen, wie sich die Wahrnehmung von Alter und die Einstellung gegenüber dem Alter in diesen Jahren geändert hat. Denn von all dem, was in dem Lied beschrieben wird, trifft wohl kaum etwas auf Ihre heutige Lebenssituation zu. Mit 64 steht man heute nicht am Rand, gehört längst nicht zum alten Eisen. So manche fängt da gerade noch einmal ganz neu an.

Damals vor 50 Jahren sind Sie auch aufgebrochen in einen neuen Lebensabschnitt. Manche haben bald danach die Schule beendet und eine Lehre begonnen. Andere haben studiert. Familien wurden gegründet, Kinder großgezogen. Sie haben sich positioniert in der Gesellschaft, manche hat mitgestaltet. Freundschaften wurden geschlossen und beendet. Manchen Abschied haben Sie nehmen müssen. Die Jahre sind dahingegangen und irgendwann kam vielleicht auch einmal der Gedanke, dass das Leben nicht ewig dauert. Und vielleicht tauchte ab und an auch der Gedanke auf: Was wird sein, „When I‘m 64?“. Und nun ist es soweit. Sie sind 64, oder ganz in der Nähe davon. Aber fühlt es sich so an, wie Paul Mc Cartney es sich als Jugendlicher vorgestellt hat? Langweilig, banal und nichtig?

Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie aus vollem Herzen sagen können: Nein. So fühlt es sich eben nicht an. Vielmehr ist da so ein unglaubliches Erstaunen, weil man sich ganz anders erlebt. Ganz und gar nicht als ob man zum alten Eisen gehört. Auch wenn Vieles nicht mehr vor, sondern hinter einem liegt. Es hat sich gelohnt bis hierher zu kommen. Natürlich spürt man immer mal wieder, dass die eigenen Kräfte sich verändern. Und längst hat man begriffen, was die Alten meinten, wenn sie sagten: Alles dauert länger – ich tue viel weniger als früher und trotzdem ist der Tag angefüllt. Man hat manches Zipperlein und Erkrankungen haben ihre Spuren hinterlassen. Aber da ist auch Neues gewachsen: Lebensweisheit. Man weiß, dass nicht gleich die Welt untergeht, wenn etwas nicht gelingt, ein Wunsch sich nicht erfüllt. Man hat erlebt, dass es neue Anfänge gibt, wenn man gescheitert ist. Gelassenheit ist eine Gabe des Alters. Für viele beginnt bald ein neuer Lebensabschnitt: Der Ruhestand. Geschenkte Zeit. Man darf die Verantwortung in jüngere Hände legen und schauen, ob es nicht noch ganz neue Plätze gibt, wo man gebraucht wird – mit der Kraft und der Erfahrung, die man gerade hat. Oder einfach Dinge für sich tun, die bisher zu kurz gekommen sind. Da geht noch was! Herauszufinden, was das ist und es zu wagen – das mag eien Aufgabe für diesen neuen Lebensabschnitt sein. „WHEn I’m 64! Werde ich dann noch gebraucht? Werde ich noch etwas wert sein?

So fragte Paul Mc Cartney. Am Tag Ihrer Konfirmation vor 50 Jahren haben Sie im Gottesdienst Gottes Segen zugesprochen bekommen. Gottes Segen für Ihren Lebensweg. Sie sollten, wie die Konfis heute, spüren: Du bist Gott wertvoll! Du bist Gottes geliebtes Kind. Egal wie alt oder jung du bist. Egal, ob du erfolgreich bist oder durchschnittlich. Egal ob du die Herausforderung suchst oder die Beständigkeit liebst. Du bist wertvoll, so wie du bist.

Wer sich selbst liebt, weil er sich von Gott geliebt weiß, der wird auch andere lieben. Die braucht keine Angst zu haben, das ihr das Leben entgleitet. Mit 14 nicht, mit 30 nicht, mit 50 nicht und nicht mit 64. Wer sich gesegnet weiß, lebt aus dem Bewußtsein, Gutes zu empfangen und wird frei Gutes weiterzugeben. Es gibt Zeiten im Leben, da kann man das nicht glauben. DA ist man verzweifelt und fühlt sich allein. Von den Menschen verlassen und von Gott. Und doch ist Gott da und streckt uns seine Hand entgegen. Wir dürfen sie ergreifen.

Paul Mc Cartney hofft in seinem Lied aus ganzem Herzen, dass immer jemand da ist – jemand, dem ich etwas wert bin. Selbst „When I’m 64!“

Ich wünsche Ihnen das Vertrauen und die sichere Hoffnung, dass Gott in Ihnen und um sie ist. Dass Gott die Kraft schenkt, die wir brauchen und wir mit Gott das Leben in Fülle finden. Amen.

Lied: When I’m 64

Gebet
„Ja“, hast du gesagt, Gott.
Zu diesen Männern und Frauen.
„ja“, haben sie gesagt. Damals am Tag ihrer Konfirmation.
„nein“, hat manches Herz geflüstert.
In diesen Jahren.
„Es kann nicht sein. Du bist nicht da.
Nicht für mich. Nicht für die, die ich liebe.
Zu schwer war manches.“

„ja“, hat manches Herz gejubelt.
In diesen Jahren.
„Du hast mich bewahrt.
Du hast mir diese wunderbaren Menschen an die Seite gestellt.
Ich habe Glück erleben dürfen.
Und Vertrauen. Und Liebe.“

Jetzt stehen sie vor dir Gott.
Mit ihrem JA und mit ihrem Nein.
Und wir stellen uns neben sie.
In der Stille legen wir dir hin, was uns bewegt.
    Stille
Gott, nimm unser Nein und nimm unser JA in deine Hand.
Ohne Urteil, ohne Verneinung,
sondern behutsam und sanft.
Und sprich dein Ja zu uns.
Heute, morgen und in Ewigkeit. Amen

Segnung der Goldkonfirmand*innen und Überreichung der Urkunden

Vor 50 Jahren sind Sie hier vorn allein oder in Dreier-oder Vierergruppen eingesegnet worden. Ein ganz besonderer Moment. Und auch jetzt wollen wir um Gottes Segen bitten.

Der Segen Gottes,
der euch bis heute begleitet hat,
durch schöne und durch schwere Zeiten,
der bleibe bei euch
und stärke euch für den Weg,
der vor euch liegt, bis ihr ans Ziel kommt. Amen.

Lied: 580

Gebet
Gott des Lebens. Von den Früchten der Erde bringen wir dir dieses Brot auf deinen Tisch, damit es uns zum Brot des Lebens werde. Groß ist deine Güte. Dafür danken wir dir.
Zu unserer Stärkung schenkst du uns diese Trauben, die Frucht des Weinstockes und der Arbeit des Menschen. Groß ist deine Güte. Dafür danken wir dir. Mit unserer Sehnsucht kommen wir zu dir. Mit unserer Schwäche, unserer Sorge, unserer Lebensfreude und unserer Kraft. Nimm du an, was wir bringen. Erhalte und belebe uns! Lass dankbar erkennen, was uns alles durch dich geschenkt ist so dass wir einstimmen in das Lob, das deine Schöpfung dir singt. Darum bitten wir dich durch Jesus Christus und singen:

Heilig, heilig

Vater unser

Einsetzungsworte
Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach es. Gab es seinen Jünger*innen und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis.
Und er den Kelch nach dem Mahl. Gab ihnen den und sprach: dieser Kelch ist das neuen Testament in meinem Blut, das vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches tut zu meinem Gedächtnis.

Christe du Lamm Gottes

Friedensgruß

Christus ist unser Friede. Diesen Frieden ersehen wir für unsere friedlose Welt. An diesem Frieden können wir mitarbeiten, wenn wir, untereinander Frieden schließen. Diesen Frieden erbitten wir im Gebet und wir geben unserer Hoffnung, dass dieser Frieden kommen wird Ausdruck, wenn wir ihn uns gegenseitig zusprechen.

Einladung und Mahlgemeinschaft
Brot von dem einen Brot. Die Frucht des Weinstocks.  Gemeinschaft in dem einen Raum und weit darüber hinaus. Schaut, denn es ist alles bereit. Schmecket und sehet, wie freundlich Gott ist!

Nehmt das Brot! Das Brot des Lebens – es stärke euch!
Gemeinsam wird das Brot gegessen.

Nehmt die Trauben, die Frucht des Weinstocks. Christi Blut!
Er schenke Euch Heil und Leben.

Sendung
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück. Du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich!
Geht euren Weg im Vertrauen auf Gott! Amen.

Dankgebet
Gott, wir sind deine Gäste gewesen. Du hast uns an deinen Tisch eingeladen, dafür für danken wir dir. Wir danken dir, für das Brot und die Trauben. Wir danken dir, dass du zu uns hältst, was immer auch geschieht. Wir danken dir, dass du uns trägst durch dunkle Täler und an grüne Auen zu neuem Leben. Amen.

Fürbitten

Himmlischer Vater, dein Geist ist der Atem,
durch den wir zu dir beten.
Er schenkt den Betrübten Trost,
und den Strauchelnden neue Kraft.
Er entfacht in uns das Feuer,
durch das wir dich erkennen und lieben können.
Er führt uns in die Weite und befreit uns von den Zwängen,
in denen wir uns verfangen haben.
Wir möchten auf die Kraft deines Geistes vertrauen.
Führe uns durch deinen Geist in die Weite,
damit wir von unserer inneren Enge loskommen
und auch innerlich frei werden.
Damit wir ohne Neid auf das schauen,
was andere haben oder können,
damit wir uns an den Erfolgen unseres Nächsten freuen können.
Schenke uns durch deinen Geist die Sprache der Liebe,
die denen ihre Stimme leiht, die keine Stimme haben.
Lege uns Worte in den Mund,
mit denen wir uns für die einsetzen,
die zu müde sind, um noch etwas zu fordern,
oder zu ängstlich, um zu widersprechen.
Lass uns durch deinen Geist
immer wieder von neuem Hoffnung wagen
und Visionen und Träume entdecken,
damit wir Menschen zum Glauben führen,
Traurige trösten und Mutlose aufrichten.
Lass deinen Geist wirken,
damit wir überzeugend dein Wort verkündigen
in unseren Häusern und Kirchen.
Amen.

Lied: eg+  142 Verleih uns Frieden

Abkündigungen

Segen

Musik zum Ausgang

an Christi Himmelfahrt 2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Apg 1,3-13
Ihnen zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. Und als er mit ihnen beim Mahl war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr – so sprach er – von mir gehört habt; denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel? Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. Und als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.Da kehrten sie nach Jerusalem zurück von dem Berg, der Ölberg heißt und nahe bei Jerusalem liegt, einen Sabbatweg entfernt. Und als sie hineinkamen, stiegen sie hinauf in das Obergemach des Hauses, wo sie sich aufzuhalten pflegten: Petrus, Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon der Zelot und Judas, der Sohn des Jakobus.

Liebe Gemeinde,
wenn ich diese Szene aus der Apostelgeschichte verfilmen müsste, würde eine Folge von Raumschiff Enterprise daraus werden. Menschen stehen herum und plötzlich löst sich einer von ihnen in Luft auf. „Beam me up, Scotty!“ Steht hier zwar nicht, aber bei mir schwingt es automatisch mit.

Beamen ist die Erfindung der Serie Enterprise, von der ich mir schon seit jeher wünschen, dass unsere Wissenschaftlerinnen das hinbekommen würden. Kein Verkehr mehr, ohne Zeitverlust überall hinkönnen.
Wo würden Sie sich hin beamen, wenn Sie es könnten? Oder gebe es etwas oder gar eine Person, die Sie wegbeamen würden, wenn Sie die Macht dazu hätten?

Eine Möglichkeit uns weg zu beamen haben wir. Wir können unseren Geist und unseren Verstand ablenken. Im Guten, mit einem guten Buch oder Film oder beim Spielen mit den Kindern, auch beim Lernen. Aber auch im Negativen, mit Alkohol, Drogen, Adrenalin.

Im Star Trek Universum gibt es die oberste Direktive, die besagt, dass sich eine höher entwickelte Kultur nicht in die Entwicklung einer weniger entwickelten Kultur einmischen darf. Jede Gesellschaft soll sich in ihrem Tempo entwickeln können. Das funktionierte nicht ganz, weil oft durch technische Defekte oder andere Umstände Mitglieder der Crew auf solchen Planeten landen und dann mit den Menschen leben und sie eben doch beeinflussen. Wenn so eine Situation eintrat, dann schafften es die Crewmitglieder meist nicht, Ungerechtigkeit tatenlos anzusehen, sondern versuchten positiv auf die Situation zu wirken. Soweit zu Star Trek. Nun zurück zur Apostelgeschichte.

Das Leben Jesu auf der Erde war kein Unfall. Trotzdem sehe ich auch hier eine Parallele zur obersten Direktive. Der Gedanke, dass die Menschen sich selbst weiter entwickeln sollen, der kommt mir auch bei dieser biblischen Erzählung.
Jesus lebte mit den Jüngerinnen und Jüngern. Er versuchte ihnen und denen, die ihm zuhörten einen Lebens- und Glaubensweg aufzuzeigen. Er legte gemeinsam mit ihnen die heiligen Texte aus und fragte danach, wie sie damals in Hier und Jetzt zu verstehen seien, wie sie zu Lebens-Mitteln werden könnten. Jesus bemüht sich Menschen ihre Ängste zu nehmen. Die Angst nicht geliebt, nicht wertvoll zu sein, die Angst vor dem Ausgestoßen werden, die Angst zu kurz zu kommen, die Angst vor den Fremden, sogar die Angst vor dem Tod.

In den drei Jahren seines öffentlichen Wirkens hat er viele Menschen getroffen, mit vielen geredet, die Sicht- und Denkweise von manchen verändert.

Das eine ist das Hören und Lernen; das andere ist die Anwendung. Den Transfer vom Hören zum Tun, den muss jede und jeder Einzelne selbst leisten.

Es kommt der Moment, wo die Schülerinnen und Schüler die Schule verlassen, damit sie ohne die Personen, die sie unterrichtet haben, weiterwachsen. Kinder ziehen von zu Hause aus; junge Erwachsene machen Abitur; Azubis beenden ihre Lehre; Studierende verlassen die Unis.

Immer wenn so ein Abschied passiert, ist es gleichzeitig traurig und aufregend. Ich habe ja lange hier in Bad Nauheim  an einem Gymnasium unterrichtet und wenn der Abschied von den Abiturientinnen und Abiturienten nahte, dann bin ich, aber auch viele Kolleg*innen immer sehr gerührt gewesen. Immerhin kannten wir uns oft acht Jahren. Aber es ist klar, dass es nicht so bleiben kann. Sie müssen gehen, neues lernen, hinaus in die Welt.

Die Erzählung von der Aufnahme Jesu in den Himmel ist emotional ambivalent. Zum einen ist es ein kirchliches Fest. Da gibt oder gab es durchaus interessanteste Bräuche, zumindest in katholischen Gegenden. Von die Jesusstatue auf das Dach ziehen, bis einen riesigen Weihrauchbehälter durch die Kirche schwenken.

Jesus ist übrigens nicht die erste und einzige religiöse Persönlichkeit, von der erzählt wird, dass sie in den Himmel aufsteigt. Der bekannteste Vorgänger ist der Prophet Elia. Der bekannteste Nachfolger ist Mohammed. Er wurde emporgehoben und kehrte zurück. Es ist klar, dass mit dieser Erzählform weniger das Außerkraftsetzen von physikalischen Gesetzen angesprochen wird, sondern die besondere Verbundenheit dieser Menschen mit dem Göttlichen und ihre besondere Bedeutung für Menschen, die ihnen anhingen.

Mit dem Wort Himmel verbinden wir meist etwas Positives. Einen Sehnsuchtsort. Wo es Glück gibt, ohne Hindernisse. „Wie im Himmel“, „im siebten Himmel“, „himmlisch“. Der Himmel ist der Ort Gottes, und auch die geliebten Verstorbenen werden in den Himmel gedacht. Gleichzeitig ist der Himmel auch etwas Fernes.

An diesem 40. Tag nach Ostern, als die Jüngerinnen und er das Gefühl hatten, jetzt werden sie von Jesus endgültig allein gelassen, werden sie zunächst nicht erfreut gewesen sein und nicht gefeiert haben. Die letzten 50 Tage müssen für sie eine emotionale Achterbahn gewesen sein. Erst der fröhliche Einzug in Jerusalem, nur wenige Tage danach der Verrat, die Verhaftung, die Hinrichtung. Am Punkt der tiefsten Trauer und Angst, die Nachricht, dass es nicht aus ist, dass die Geschichte mit Jesus weitergeht. Und jetzt 40 Tage später schon wieder alleingelassen.

Ab jetzt mussten sie wirklich ohne Jesus als Rabbi weitergehen. Ihre Aufgabe ist es ab jetzt, von der Rolle der Lernenden in die Rolle der Lehrenden zu wechseln. Dafür gibt es eigentlich kaum einen richtigen Moment. Ich glaub fast jede und jeder hat davor den Gedanken, immer noch nicht genug zu können. Aber irgendwann hilft nur der Schritt nach vorne ins Ungewisse in der Hoffnung, dass der Boden trägt.

Vielleicht erinnern Sie sich an Ihre eigenen ängstlichen Schritte in eine neue Situation? Wie haben Sie sich gefühlt? Wer hat Sie dabei unterstützt? Gab es etwas, das Ihnen dabei geholfen hat?

Wann immer ich so einen Übergang hatte, hat sich das bei mir auf den Magen geschlagen und in Schlaflosigkeit gezeigt. Ich konnte nicht essen. Ich hatte Alpträume davon, was alles schiefgehen kann. Ich hatte die Stimmen im Kopf, die mich abwerteten und mir sagten, dass ich das sicher nicht schaffen würde. Ich hätte mir gewünscht, der Moment würde nie kommen. Ich habe dann jede dieser Situationen bewältigt. Manchmal mit Scheitern, manchmal mit Erfolg, aber nie war es mein Untergang. Nie war das Scheitern so schlimm wie meine Vorstellung vom Scheitern.

Jesus weiß, dass es schwer ist. Er lässt die Seinen nicht allein. Er verspricht ihnen, dass sie göttliche Kraft bekommen werden. Aber im Moment sind sie in einer Warteposition. Jesus ist weg und das Neue ist noch nicht da. Es werden zehn harte Tage gewesen sein, bis sie diese Kraft gespürt haben.

Zehn Tage warten! In unserer Zeit, wo schon zwei Stunden warten auf ein Antwortmail sich wie eine Ewigkeit anfühlen. Zehn Tage warten und keine wirkliche Ahnung worauf! Eine mühsame Zeit!
Kein Wunder, dass die Jüngerinnen und Jünger in den Himmel schauen.

Wann schauen wir in den Himmel? Mir fallen verschiedene Dinge ein. Zum Träumen und aus Verzweiflung.
Beim Hochblicken, erinnern wir uns an die Zukunft oder denken an sie. Im Hier und Jetzt, sind wir nicht.
Dort oben soll der Blick der Jüngerinnen und Jünger nicht verweilen. Von da ist nichts mehr zu erwarten. Die zwei weiß gekleideten Gestalten machen jede in diese Richtung gehende Hoffnung zunichte.

Was aber sehen die Jüngerinnen und Jünger, wenn sie ihren Blick vom Himmel senken? Sie sehen einander. Sie sehen die Menschen, die die den gleichen Weg haben, dieselben Erfahrungen, denselben Auftrag. Sie merken, dass sie nicht alleine sind. Schon jetzt nicht. Sie sehen in die Augen von Menschen, mit denen sie in Freundschaft leben. In Augen, die wahrscheinlich genauso ratlos sind wie die eigenen, vielleicht nass von Tränen. Sie merken, sie sind nicht allein. Sie sind der Leib Christi. Spätestens jetzt wird klar, wir alle sind der Körper von Christus. Wenn wir in den Himmel sehen, uns an Vergangenes erinnern oder an die Zukunft denken, dann sehen wir nicht, was um uns herum gerade ist. Nicht im Himmel sollen wir nach ihm suchen, sondern in jedem und jeder Einzelnen von uns.

In gewisser Weise ist durch die Himmelfahrt mehr von Jesus geworden, nicht weniger. Seine Botschaft hat sich verbreitet von einer kleinen Gruppe in Jerusalem zu einer Gemeinschaft, die weltweit zu finden ist.

Wenn sie auf die Erde geblickt hätten, dann hätten sie vielleicht noch die Fußabdrücke gesehen, die Jesus hinterlassen hat. Den Weg, den er vorgegangen ist, den sie jetzt weitergehen sollen. Wir kennen das Sprichwort: „In die Fußstapfen von jemanden treten…“

Leben ist weitergehen.
Glauben ist weitergehen.
Jesus Christus ist der Weg. Amen.

am 22.5.2022 von Pfarrer i.R. Friedhelm Pieper

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Predigttext: Lk 11, 1 – 4  - Das Vaterunser nach Lukas
1Und es begab sich, dass Jesus an einem Ort war und betete. Als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte. 2 Er aber sprach zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht:
Vater! / Dein Name werde geheiligt. / Dein Reich komme. / 3 Gib uns unser täglich Brot Tag für Tag / 4 und vergib uns unsre Sünden; denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird. / Und führe uns nicht in Versuchung.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,

Jesus betet. Seine Anhänger, seine Jünger bekommen mit, wie Jesus immer wieder sich zurückzieht, um zu beten. Er sucht Plätze der Stille auf. Auf einem Berg oder irgendwo abseits der Gruppe. Dort, wo er für sich allein ist und sich dem Gebet hingeben kann. Seine Anhänger spüren, dass diese Gebete eine Wirkung haben. Diese Gebete geben etwas. Was genau, erzählt uns Lukas nicht. Vielleicht eine Stärkung, eine Kraftquelle, ein neues Ausgerichtet-sein, eine Vergewisserung für seinen besonderen Weg. -- Jedenfalls erfahren wir in der Erzählung des Lukas, dass die Anhänger Jesu von dessen Beten beeindruckt sind und dass sie auch solche Erfahrungen mit dem Beten machen möchten. So bitten sie ihn: „Herr lehre uns beten“.

Es sind einfache Menschen, die Jesus umgeben. Fischer, Zöllner, Frauen, die mit Land und Vieh wirtschaften und ihr Gut verwalten. Sie wollen von Jesus lernen, wie man betet.

Und Jesus antwortet ihnen mit einem Verweis auf kurze Sätze, die nur aus wenigen Worten bestehen, ja einmal sogar nur aus einem Wort: Vater! Was uns Lukas hier erzählt, ist eine kompakte Kurzform des Vaterunsers. Nur sechs Sätze. Ein kurzes knappes Gebet. So wenige Worte, die auch einfache Menschen sprechen können und behalten können. Beten heißt nicht viele Worte machen. Beten heißt die entscheidenden Worte zu sprechen und diese Worte ganz auf sich wirken zu lassen. Sich von diesen Worten mitnehmen zu lassen. Sich für das zu öffnen, was in diesen Worten uns nahekommen will.

Alles beginnt mit der Anrede. Und diese Anrede ist der entscheidende Einstieg in das Beten. Vater! Der kürzeste Satz. Nur ein Wort: Vater! Jesus lehrt seine Anhängerinnen und Anhänger: so kommt ihr hinein in das Beten. Nehmt euch Zeit für euch allein und sprecht: Vater! Ganz Da-sein, vielleicht die Augen schließen und dann ganz gegenwärtig dies aussprechen: Vater!

Nicht jede und nicht jeder mag vielleicht in diese Anrede Gottes einstimmen. Manche empfinden, dass Gott hier einseitig ganz männlich gedeutet wird. Andere haben vielleicht schlechte Erfahrungen mit ihren Vätern gemacht und fühlen sich daher nicht wohl darin, Gott als Vater anzusprechen. Und ja, die biblischen Texte sagen uns: Gott ist weder männlich noch weiblich, er ist kategorial etwas ganz anderes, er/sie ist grundsätzlich von anderer Art. Aber unsere Sprache ist begrenzt. Die Bibelübersetzung „Bibel in gerechter Sprache“ versucht hier, kreative Antworten zu finden. Sie sucht nach vielen unterschiedlichen Möglichkeiten, Gott anzusprechen, Gott zur Sprache zu bringenDabei wechselt sie männliche und weibliche Formen ab. „Die Ewige“, „der Heilige“, „die Eine“, „der Name“, „die Lebendige“, „Adonaj“, „Du, Gott bist uns Vater und Mutter“. Ich finde das gut! Zunächst wird hier ernst gemacht mit den biblischen Hinweisen, dass Gott weder Mann noch Frau in unserem Sinne ist, sodann werden hier auch den Forderungen nach Gleichberechtigung von Frauen und Männern Rechnung getragen. Vor allem aber werden hier viele unterschiedliche Zugänge eröffnet und jede und jeder kann für sich herausfinden, mit welcher Form der Anrede, sie oder er Gott im Gebet ansprechen möchte.

Wie immer da die Anrede aussieht, wie immer man Gott anreden möchte, das Gebet, das Jesus seinen Anhängerinnen und Anhängern lehrt, es ist eine Einladung, unser Leben noch einmal in einer anderen Beziehung zu sehen. Unser Leben geht nicht auf in dem, was wir tagtäglich vor uns sehen. Über unser Leben spannt sich der Himmel. Mitten in unserem Leben wird uns gesagt, es gibt da jemand, der sich ansprechen lässt. Es gibt da jemand, zu dem wir Vater sagen können. Es gibt da jemand, der uns wie eine Mutter begleiten möchte. Unser Vater, unsere Mutter im Himmel. Dem wir das Leben verdanken, die unser Leben erhalten und stärken will.

Nein, das löst nicht alle unsere Probleme. Nein, das nimmt uns nicht heraus aus den Grenzen, die wir tagtäglich erfahren. Die Krankheiten, die uns treffen, das Älter- und gebrechlicher-Werden, ja, auch das Sterben, all das verschwindet nicht. Auch unsere Sorgen und unser Zorn angesichts des grausamen, mörderischen militärischen Überfalls von Wladimir Putin und seinen Gefolgsleuten über die Menschen in der Ukraine, das verschwindet so einfach nicht. Und doch wird uns gesagt, dass wir mit alledem nicht allein bleiben müssen. Wir können das mit hineinnehmen in diese Anrede: Vater!

Es kann geschehen, dass in diesem Anreden, in diesem Sich-Ausrichten Kräfte gestärkt werden. Es ist möglich, wenn wir unsere ganzen Belastungen mit hineinnehmen in das Gebet, dass wir dann unsere Last besser schultern können. Dass wir unser Leben und seine Grenzen tiefer und besser annehmen können. Aber auch, dass wir Stärkung erfahren. Stärkung für die Gestaltung unseres Lebens. Stärkung für unseren Kampf zur Überwindung von Gewalt und Aggressionen; Kraft finden, um Wege zum Frieden zu finden. Der Tag muss doch kommen, an dem die Waffen wieder schweigen. Und es ist unser Gebet, dass wir die richtigen Wege finden, um dorthin zu gelangen. Und es ist unser Gebet, dass die Ukrainer die Kraft finden, sich den russischen Angriffen kraftvoll entgegen zu werfen – und dass sie dafür auch von uns alle verfügbaren Mittel erhalten. Alle verfügbaren Mittel.

Das Gebet aber zu dem einen Vater im Himmel hält uns dafür offen, dass am Ende ein Waffenstillstand mit den Russen gefunden werden muss. Dass am Ende Wege für ein neues Zusammenleben gefunden werden müssen, gerade auch im Osten Europas. Das Gebet zu dem einen Vater ist ein Gebet dafür, dass es in Russland vielleicht doch noch ein Einsehen geben möge. Der jetzige furchtbare und grausame Weg von Putin und seiner willigen Helfer führt Russland in eine katastrophale Sackgasse. Da ist keine Zukunft zu gewinnen. Und die Gegenwart ist voller entsetzlicher Leidenserfahrungen insbesondere der ukrainischen Menschen. Das Gebet zu dem einen Vater ist ein Gebet zur Umkehr aus diesen Wegen voller Gewalt und Leid: Vater, hilf, dass Wege gefunden werden, die aus der furchtbaren Gewalt in der Ukraine herausführen. Du, Schöpferin des Lebens, hilf, dass die Waffen zum Schweigen kommen, dass ein Aufatmen wieder möglich wird!

Vater, Dein Name werde geheiligt! Diese Bitte erinnert uns daran, wie sehr uns ein Empfinden von Ehrfurcht abhandengekommen ist. Wie sehr uns ein Empfinden von Achtung, von Wertschätzung, von Anerkennung verloren geht in unserem alltäglichen Leben.

Am vergangenen Dienstag wurde in der Wetterauer Zeitung ein Interview mit dem Rocksänger Marius Müller-Westernhagen abgedruckt. Darin sagte er: „Die Mitmenschlichkeit geht uns mehr und mehr verloren. Wir dreschen lieber aufeinander ein, anstatt gemeinsam nach Lösungen zu suchen. … Die Leute haben außerdem eine immer kürzere Lunte. Die Fähigkeit und der Wille zur Vergebung gehen uns abhanden. Auf jede Kleinigkeit wird heutzutage heftig und nicht selten überzogen reagiert. Die Gelassenheit, die so wichtig ist, wenn man vernünftig nebeneinander existieren will, ist auf dem Rückmarsch. So kann man auf Dauer als Gesellschaft nicht funktionieren.“ – Wir haben gelernt, sehr gut „Ich“ zu sagen. Und das ist auch wichtig! Wir können und sollen uns nicht von anderen klein machen lassen. Aber, wo bleiben wir, wenn wir nur noch „Ich“ sagen. Was wir brauchen, ist das Einüben des Empfindens von Achtung vor dem Anderen, Wertschätzung gegenüber anderen. Wenn wir mit dem Gebet Jesu sprechen, Vater, Dein Name werde geheiligt!, dann üben wir uns ein, in das Empfinden von Ehrfurcht. Da gibt es jemand, dessen Namen wir heilig halten sollen. Da gibt es jemand, von dem wir Wertschätzung lernen können. Der Gott, den wir ehren, ist ein Gott, der Menschen wertschätzt, der Menschen nicht niedermacht, der Menschen annimmt und fördert.

Gott ehren, bedeutet ein Gefühl für Größe zu entwickeln. Aus den Niederungen und der Niedertracht unseres Lebens aufsteigen. Fehler der anderen mit Großmut betrachten können. Nicht alles persönlich nehmen. Mit größerer Gelassenheit zu reagieren: auf die Konflikte, den Neid, das Konkurrieren und Rangeln mit anderen. Gott ehren, seinen Namen heiligen, hilft uns, dass wir uns nicht in den Niederungen unseres alltäglichen Lebens verlieren. Wir lernen, menschliche Fehlerhaftigkeit anzunehmen, aber sie auch nicht allzu ernst zu nehmen. Wir lernen, auf unsere Fehler und die der anderen auch mit Humor und einem Lachen zu reagieren. Vor Gott, den wir ehren und dessen Namen wir heiligen, können wir uns als Menschen annehmen mit unseren Grenzen und unserer Fähigkeit, uns zu verfehlen. Wenn der Gott, den wir ehren, bereit ist, uns zu vergeben, um wieviel mehr sollten wir bereit sein, uns selbst zu vergeben und den anderen, die an uns schuldig geworden sind. Da können wir uns einüben in das, was Marius Müller-Westernhagen so sehr vermisst: „die Fähigkeit und der Wille zur Vergebung“.

Vater! Dein Name werde geheiligt! Dein Reich komme!

Mit der Bitte um das Kommen des Reiches Gottes wird unser Blick zu unseren Mitmenschen gelenkt. Wenn ich nur für mich lebe, wer bin ich dann, so fragte schon der große jüdische Gelehrte Hillel vor zweitausend Jahren. Der Gott, den wir ehren, möchte uns zueinander führen. Er führt uns aus dem Gebet hin zur Begegnung mit anderen. Er will uns anstiften zu menschlicher Gemeinschaft. Dass wir einander wahrnehmen. Dass wir Anteil nehmen am Leben der Menschen um uns herum. Dass wir uns einbringen in die Gemeinschaft mit den Gaben und den Möglichkeiten, die wir haben.

So haben sich Christinnen und Christen zu allen Zeiten aufgemacht, nach dem Gebet des Vaterunser, Kirchengemeinden zu gründen und weiter zu entwickeln. Sie haben das in der ganzen Welt getan, und so auch hier in Bad Neuheim. Gemeinschaften, die eben dieses Gebet beten und diesem Gebet entsprechend ihr Tun und Handeln ausrichten. Gemeinschaften, in denen das gelebt werden soll: ein Anteilnehmen aneinander, eine Wertschätzung gegeneinander, Großmut im Umgang miteinander, ein Entspannen im Konkurrieren und Gerangel miteinander. Nein, das klappt nicht gänzlich überall in den Kirchengemeinden. Auch in den Kirchengemeinden zeigen sich Grenzen und menschliche Fehlerhaftigkeit. Aber, die Kirchengemeinden werden täglich zur Umkehr gerufen durch dieses Gebet:  Dein Reich komme! Das hilft, den Blick zu heben. Von sich selbst absehen zu können. Sich wieder und wieder öffnen zu lassen für die Menschen um uns herum.

Und schließlich stellt uns diese Bitte darum, dass Gottes Reich komme, auch kritisch hinein in diese Welt. Hier in unserer Welt streiten die Reiche dieser Welt im Konkurrieren und im Gerangel miteinander. Und manchmal führt dieses Gerangel auch zu schrecklichen Auswüchsen, wie wir es jetzt in dem verheerenden Angriff auf die Ukraine von Seiten der russischen Führung unter Wladimir Putin und seiner willigen Helfer erleben müssen. Aber so soll es nach dem Willen Gottes nicht sein! Deshalb lehrt Jesus uns zu Gott zu beten: Dein Reich komme! – Der Apostel Paulus schreibt an die christliche Gemeinde in Rom, also an die christliche Gemeinde im Herzen des römischen Reichesdes römischen Imperiums: das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist (Röm. 14,17). Wenn wir als Kirchengemeinde zu Gott beten: Dein Reich komme, dann beten wir darum, dass Frieden und Gerechtigkeit und Freude sich durchsetzen, gegen Gewalt, gegen Vergewaltigungen und Unterdrückung, gegen die Zerstörung von Lebensfreude in dieser Welt. Diese Welt hat genug Leiden gesehen! Wir sehnen uns nach einer menschlichen Welt, wir sehnen uns nach einer Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden herrschen, wir sehnen uns nach einer Welt, in der Freude erfahren und erlebt wird. Und wir bringen diese ganze Sehnsucht mit hinein in das Gebet Jesu zu Gott: Dein Reich komme! Damit in allem, was geschieht - und trotz allem, was geschieht – wir in dieser Ausrichtung bleiben: wir lassen nicht nach in unseren Bemühungen, Schritte zum Frieden, Schritte zur Gerechtigkeit, Schritte zur Freude zu suchen und zu finden. Wir werden von dem Gebet Jesu angespornt, diese Welt nicht an die Kräfte der Gewalt und der Ungerechtigkeit preiszugeben. Wir werden angespornt, unablässig danach zu suchen, was unser Leben wärmer und menschlicher machen kann, gerechter, friedvoller und froher. Dein Reich komme, guter Gott!

Ich habe nun in dieser Predigt nur die ersten drei Sätze des Vaterunsers behandelt. Dabei aber haben wir gemerkt, wieviel in jeden der einzelnen Sätze steckt, wieviel uns da ansprechen kann. Ich würde mir wünschen, dass diese Predigt auch für Sie eine Anregung enthält, diese ersten drei Sätze und auch all die anderen Sätze des Vaterunsers weiter und tiefer zu entdecken. Das Vaterunser ist und bleibt der Kern und die Summe allen Betens in der Kirche. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

am 15.5.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Liebe Gemeinde,

»Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.«  (wiederholen)

So formuliert Martin Buber in seinem Buch »Ich und Du«. Der Mensch wird erst am anderen Menschen er selbst. Ich werde erst in der Begegnung Ich. (Martin Buber, Ich und Du, Heidelberg 111983, 18)

Diese Erkenntnis Martin Bubers spricht mich an, auch wenn sie vielleicht beim ersten Hören etwas sperrig ist. Da steckt für mich viel Wahres drin. Erfahrungen, die ich gemacht habe. Empfindungen, die ich von mir kenne.

Ich finde mich nicht in mir selbst. Ich bin mir im letzten nicht genug, kann meine Bedürfnisse nicht vollkommen selbst stillen. Vielleicht liegt darin der Grund meiner Sehnsucht: dass ich den anderen, die andere brauche, um zu mir selbst zu kommen. Meine Sehnsucht zeigt mir, dass ich nicht ›ganz‹ bin, wenn ich auf mich selbst gestellt bleibe.
Und zugleich kann ich eine solche heilende Begegnung, in der meine Sehnsucht gestillt wird, nicht ›machen‹, kann sie nicht erzwingen. Begegnung geschieht und sie ist ein kostbares Geschenk und Gnade. Schmerzhaft erlebe ich, dass meine Sehnsucht auch ungestillt bleiben kann. Besonders dann, wenn keine Begegnung mit anderen möglich ist, oder nur sehr eingeschränkt. Dann finde ich mich im trockenen, dürren Land wieder. Ich ahne, dass ich darauf angewiesen bin, dass mir das Wesentliche geschenkt wird. Ich kann es mir nicht verdienen.

Ich spüre meiner Sehnsucht nach.
Wonach sehne ich mich?
Wonach dürstet es mich?
Wo liegt meine persönliche, ganz eigene Wüste, das »trockene, dürre Land, wo kein Wasser ist« (Ps 63)?

Ist es eine Beziehungsdürre, das Gefühl der Fremdheit, wenn ich die Erfahrung machen muss, dass Menschen sich verschließen, die mir nahestehen?
Ist es der Eindruck des Unfriedens mit mir selbst und anderen, wenn ich nicht bei mir selbst bin und mich vom Wesentlichen entzweit fühle?
Fühle ich mich unfrei und beherrscht, kontrolliert und abhängig, kann nicht eigenständig handeln, sondern nur reagieren?
Ist es eine diffuse oder eine konkrete Verzweiflung, die mir meine Energie und Hoffnung raubt und mich lähmt?
Wonach sehne ich mich im Tiefsten, und wo suche ich die Erfüllung meiner Sehnsucht?
Versuche ich mir meine Wünsche und Bedürfnisse selbst zu erfüllen? Nehme ich einen anderen, bewusst oder unbewusst, in die Pflicht und gebe ihm die Verantwortung, meine Sehnsucht zu beenden?
Oder bedrängt mich meine Sehnsucht so sehr, dass ich sie wegzuschieben versuche?

Vielleicht ist das Sehnen so tief in mir, dass ich es gar nicht fassen kann und keine Worte dafür finde. Vielleicht ist das Sehnen überdeckt und überlagert von den lauten Eindrücken meines Alltags, mit denen ich mich von meiner Sehnsucht nach Leben ablenke.

Lied: Da wohnt ein Sehnen, Strophe 1
Da wohnt ein Sehnen tief in uns, Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zu sein. Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück, nach Liebe, wie nur du sie gibst. Um Frieden, um Freiheit, um Hoffnung bitten wir. In Sorge, im Schmerz, sei da, sei uns nahe, Gott.

Es tut gut innezuhalten und dem Sehnen nachzuspüren.
Ein sich sehnender Mensch ist ein verletzlicher Mensch, denn er oder sie lässt eine offene, schmerzende Stelle in seinem oder ihrem Leben zu. Mir meine Sehnsucht einzugestehen, sie zu spüren, sie auszuhalten, das braucht Mut. Es tut weh, denn es fordert mich heraus, mich dem Unfertigen in mir zu stellen, den Brüchen und dem Schmerz. Sehnsucht fordert mich heraus, mir einzugestehen, dass ich mir nicht selbst genug sein kann.
»Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Alles wirkliche Leben ist Begegnung.«
Welche Begegnung brauche ich, damit meine Sehnsucht gestillt wird? Mit welchem Du kann ich zu meinem Ich finden?

In den Psalmen richten Menschen ihre Sehnsucht auf Gott, von dem sie erwarten, dass er ihren Durst löscht. Den Durst nach Glück, nach Liebe, nach Frieden, Freiheit und Hoffnung. Sie legen Gott seine Verheißung vor. Halten sich daran fest, dass gilt, was er sagt: »Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Gott: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.« (Jer 29,11) Sie richten ihre Sehnsucht auf Gott und öffnen ihre Hände, um zu empfangen, was er gibt.
»Ich schaue aus nach dir«, sagt der Psalm, »ich möchte deine Macht und Herrlichkeit sehen.« Und wir singen »da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehen, dir nah zu sein …« Können wir denn Gott sehen? Dürfen wir Gott sehen? Dürfen wir uns danach sehnen, Gott zu sehen, den Unsichtbaren, von dem wir uns kein Bild machen sollen?

Bei all dem, was meine Augen sehen müssen, sehne ich mich danach, meine Augen zur Ruhe kommen zu lassen. Frieden zu finden und auszuruhen. »Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir«, so wird es mir im Segen zugesprochen. Gott blicke dich freundlich an. Mich in Gottes Segensblick zu stellen, Gottes freundliches Gesicht über mir zu spüren – das stillt meine Sehnsucht und lässt mich meinen Blick wenden.
»Die auf Gott sehen, werden strahlen vor Freude.« (Ps 34,6) Nach dieser Freude sehne ich mich. Nach der Freude, die sich einstellt, wenn ich die Last meiner Vergangenheit und die Sorgen meiner Zukunft abgelegt habe. Ganz in der Gegenwart sein, in der Gegenwart Gottes zur Ruhe kommen darf. Im Segen wird meine Sehnsucht, Gott zu sehen, gestillt. Denn in Gottes freundlichem Blick komme ich zur Ruhe und richte meine Augen auf das Wesentliche.

Lied: Da wohnt ein Sehnen, Strophe 2+3
2. Um Einsicht, Beherztheit, um Beistand bitten wir.
In Ohnmacht, in Furcht, sei da, sei uns nahe, Gott.
3. Um Heilung, um Ganzsein, um Zukunft bitten wir.
In Krankheit, im Tod, sei da, sei uns nahe, Gott.

Wer sich sehnend nach Gott ausstreckt, öffnet die Hände und spürt: Ich schaffe es nicht allein. Ich bin darauf angewiesen, dass ich geschenkt bekomme, was ich brauche. Ich kann mir nicht selbst beistehen, mich nicht selbst ganz und heil machen. Und ich muss es nicht allein schaffen. Denn Gott ist da, der Geber alles Guten.

Wer sich sehnend nach Gott ausstreckt, spürt: Es tut gut, meine Hände zu öffnen. Loszulassen. Wer loslässt, hat die Hände frei. Mit meinen geöffneten Händen empfange ich, was Gott mir gibt. Ich fordere nicht, ich bitte. Ich halte meine Bedürftigkeit hin, ich halte sie aus. Ich gestehe mir die Ohnmacht ein und die Furcht. Ich laufe nicht weg vor meiner Angst. Für alles erbitte ich Gottes Segen, seinen freundlichen Blick. Alles, jeden einzelnen Schritt, vertraue ich Gott an. Auch die letzten meiner Schritte, bis in Krankheit und Tod. Denn ich vertraue darauf, dass er es gut mit mir meint, dass er mich nicht verlässt und zu seiner Verheißung steht, mir Hoffnung und Zukunft zu schenken.

Alles Gute von Gott erwarten. Es nicht selbst schaffen wollen. Mich ihm öffnen … Ich spüre, welche Entlastung darin liegt. Meine Maßstäbe rücken sich zurecht. Gott gibt, ich empfange. Ich bin Geschöpf, geliebtes Kind, gesegnete Tochter, gesegneter Sohn Gottes, über deren Leben gesprochen ist wie über der ganzen Schöpfung: Und Gott sah es an, und es war sehr gut. Und Gott segnete es.

Lied: Da wohnt ein Sehnen, Strophe 4
4. Dass du, Gott, das Sehnen, den Durst stillst, bitten wir.
Wir hoffen auf dich, sei da, sei uns nahe, Gott.

Es tut gut, meine Bedürftigkeit auszuhalten und nicht zu verstecken. Nicht vor mir selbst, nicht vor Gott und nicht vor anderen. Mein Ich steht nicht in mir selbst. Ich werde Ich am Du, am Gegenüber, das mich anspricht. Gott gibt sich mir als Du zu erkennen. Er lässt mich spüren und hören, wie gut er es mit mir meint. Auch wenn er es mir zumutet, mich immer wieder meine Gebrochenheit, meine Bedürftigkeit spüren zu lassen und manche Sehnsucht nicht stillt, und auch wenn er mir sogar den Tod nicht erspart. Gott verlässt mich nicht. Unter seinem Segen und unter seiner Verheißung kann ich leben. Gottes freundlicher Blick schenkt mir Hoffnung und Zukunft.   Amen.

am 8.5.2022 von Pfarrerin Meike Naumann

Am Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag über dem Urmeer. Über dem Wasser schwebte Gottes Geist. Gott sprach: »Es soll Licht werden!« Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war, und Gott trennte das Licht von der Finsternis. Er nannte das Licht »Tag« und die Finsternis »Nacht«. Es wurde Abend und wieder Morgen – der erste Tag.
Gott sprach: »Ein Dach soll sich wölben mitten im Urmeer! Es soll das Wasser darunter von dem Wasser darüber trennen. «Und so geschah es. Gott machte das Dach und trennte das Wasser unter dem Dach von dem Wasser über dem Dach. Gott nannte das Dach »Himmel«. Es wurde Abend und wieder Morgen – der zweite Tag.
Gott sprach: »Das Wasser unter dem Himmelsoll sich an einem Ort sammeln, damit das Land sichtbar wird!« Und so geschah es. Gott nannte das Land »Erde« und das gesammelte Wasser »Meer«. Und Gott sah, dass es gut war.
Gott sprach: »Die Erde soll frisches Grün sprießen lassen und Pflanzen, die Samen tragen! Sie soll auch Bäume hervorbringen mit eigenen Früchten und Samen darin!« Und so geschah es. Die Erde brachte frisches Grün hervor und Pflanzen, die Samen tragen. Sie ließ auch Bäume wachsen mit eigenen Früchten und Samen darin. Und Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend und wieder Morgen – der dritte Tag.
Gott sprach: »Lichter sollen am Himmelsdach entstehen, um Tag und Nacht voneinander zu trennen! Sie sollen als Zeichen dienen, um die Feste, die Tage und Jahre zu bestimmen. Als Leuchten sollen sie am Himmelsdach stehen und der Erde Licht geben.« Und so geschah es. Gott machte zwei große Lichter. Das größere Licht sollte den Tag beherrschen und das kleinere die Nacht. Dazu kamen noch die Sterne. Gott setzte sie an das Himmelsdach, um der Erde Licht zu geben. Sie sollten am Tag und in der Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis trennen. Und Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend und wieder Morgen – der vierte Tag.
Gott sprach: »Das Wasser soll von Lebewesen wimmeln, und Vögel sollen fliegen über der Erde und am Himmel!« Gott schuf die großen Seeungeheuer und alle Arten von Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt. Er schuf auch alle Arten von Vögeln. Und Gott sah, dass es gut war. Gott segnete sie und sprach: »Seid fruchtbar, vermehrt euch und füllt das ganze Meer! Auch die Vögel sollen sich vermehren auf der Erde!« Es wurde Abend und wieder Morgen – der fünfte Tag.
Gott sprach: »Die Erde soll Lebewesen aller Art hervorbringen: Vieh, Kriechtiere und wilde Tiere!« Und so geschah es. Gott machte die wilden Tiere und das Vieh und alle Kriechtiere auf dem Boden. Er machte sie alle nach ihrer eigenen Art. Und Gott sah, dass es gut war.)
Gott sprach: »Lasst uns Menschen machen – unser Ebenbild, uns gleich sollen sie sein! Sie sollen herrschen über die Fische im Meer und die Vögel am Himmel, über das Vieh und die ganze Erde, und über alle Kriechtiere auf dem Boden.« Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Als Gottes Ebenbild schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie und sprach zu ihnen: »Seid fruchtbar und vermehrt euch! Bevölkert die Erde und nehmt sie in Besitz! Herrscht über die Fische im Meer und die Vögel am Himmel und über alle Tiere, die auf dem Boden kriechen!«
Gott sprach: »Als Nahrung gebe ich euch alle Pflanzen auf der Erde, die Samen hervorbringen –dazu alle Bäume mit Früchten und Samen darin. Die grünen Pflanzen sollen Futter für die Tiere sein: für die Tiere auf der Erde, die Vögel am Himmel und alle Kriechtiere auf dem Boden.« Und so geschah es. Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut. Es wurde Abend und wieder Morgen – der sechste Tag.
So wurden Himmel und Erde vollendet mit allem, was darin ist. Am siebten Tag vollendete Gott sein Werk, das er gemacht hatte. An diesem Tag ruhte er aus von all seiner Arbeit, die er getan hatte. Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn zu einem heiligen Tag. Denn an diesem Tag ruhte Gott aus von all seinen Werken, die er geschaffen und gemacht hatte. Das ist die Entstehungsgeschichte von Himmel und Erde: So wurden sie geschaffen.

Liebe Gemeinde,
Gottes Güte, Gottes Freundlichkeit, Gottes Heiliger Geist sei mit uns allen.

Diese wunderschöne, alte Geschichte, diese Urgeschichte aus dem Buch Genesis führt es uns deutlich vor Augen, was Gott tut, in welcher Beziehung Gott zu uns steht. In einem Gegenüber, voller Liebe und Güte wird uns als Menschen gesagt, worauf es ankommt: Wir sind Teil der Schöpfung und wir sind gut geschaffen. Von Gott „gut“ bewertet. Und wir haben eine Bestimmung – auf dieser Erde, in diesem Leben. Unser Glück, unser Glücklichsein, das hängt auch davon ab, ob wir merken, wer wir eigentlich sind.

Wir sind wie die Tiere am sechsten Tag durch Gott erschaffen worden und sind doch herausgenommen aus dem Schöpfungswerk, weil Gott zu uns eine besondere Beziehung aufbaut. Uns Menschen, Frauen, Männer, Kinder hat Gott sich zum Gegenüber gewählt. Wir sind es, die mit dieser Schöpfung leben sollen und mit dem Schöpfer.

Geschichten dieser Art wie dieser Schöpfungsbericht aus der Bibel sind Urbilder für unsere Seele. Es sind keine naturwissenschaftlichen Berichte. Das wissen wir heute noch viel besser als die Menschen, die damals diese Geschichte in die Bibel geschrieben haben. Geschichten wie der Schöpfungsbericht erzählen nicht Ereignisse aus einer fernen Zeit, sondern sie erzählen Sinnbilder, die uns hier und jetzt etwas sagen wollen.

Der Mensch entsteht wie der ganze Kosmos. Durch Gottes Willen. Gott spricht – und es geschieht. Ein ganzes Universum entsteht. Der Mensch, ja selbst der Planet Erde ist da eigentlich nur ein ganz kleiner Teil einer ungeheuer großen Schöpfung. Ein Miniteil. Aber für die, die die Texte verfasst haben, ein wichtiger. Im ganzen Gefüge vielleicht: der Wichtigste?

Sie wollen, dass wir etwas erkennen. Menschen, Frauen, Männer, Kinder sind kein Zufall. Sie sind nicht eine Laune der Natur, sondern genau so gewollt, gewünscht, geschaffen worden wie alles andere. Von einem Gott, der auch Licht und Schatten, trockenes Land und Wasser, Luft und Naturkreisläufe bildete. Sie gehören hinein in einen größeren Zusammenhang, in eine Ordnung, in die Ordnung, die Gott der Schöpfung gibt. Alles hat eine Ordnung. Selbst die Tage, Wochen, Monate und Jahre sind kein Zufall. Alles gehorcht einer Ordnung, alles hat seinen Sinn und vor allem seinen Ursprung. Und irgendwann auch sein Ziel!

Die Menschen wussten damals noch nicht, dass es Milliarden Jahre gebraucht hatte, ehe sich das alles entwickelte. Aber sie wollten doch etwas klarstellen.

Die Forschung geht davon aus, dass der erste Schöpfungsbericht im Exil in Babylonien entstand. Die Israelitinnen und Israeliten waren nach einem Krieg aus ihrer Heimat weggeführt worden. In Babylonien arbeiteten sie für eine fremde Großmacht. Sie waren entwurzelt worden, aber sie blieben ihrem Glauben an den einen Gott treu. Sie saßen an den Flüssen von Babylon und weinten, aber sie beteten auch Psalmen. Und sie schufen diesen Text, der der Anfang der Bibel wurde.

Die Menschen in Babylon aber verehrten Sonne, Mond und Sterne als Gottheiten. Sie bauten Stufentempel, hatten ganz exakte Kalender und berechneten astronomische Erscheinungen. Sie brachten der Sonne Opfer dar.

Das Volk Israel verehrte keine Sonne und hatte auch keinen Opferkult für die Himmelserscheinungen. So kam es, dass sie diesen Gegentext schufen: den Schöpfungsbericht, der erzählt, dass es nur eine Gottheit gibt und alles andere geschaffen ist. Diese Gottheit macht auch die Gestirne. Sie macht auch den Wechsel von Tag und Nacht. Sie hat auch die Natur erschaffen, Pflanzen und Tiere und alles Land, auf dem sie leben können und dann auch den Menschen. Diese Gottheit hat allem eine Ordnung gegeben und einen Sinn.

Wenn wir unseren Körper einmal in seine chemischen Bestandteile zerlegen würden, dann hätten wir schon mal 70 bis 80 Prozent Wasser, dazu kommen dann Kalzium in den Knochen, Magnesium in den Muskeln, Eisen im Blut, eine ganze Menge Luft usw., alles Bestandteile, die genau so auch in der unbelebten Natur vorkommen. Der Mensch ist eine Schöpfung aus dem, was dieser Planet Erde zu bieten hat, ein „Erdling“. Aber das Besondere und Geheimnisvolle ist, dass er lebendig ist, dass er Atem schöpft und ein- und ausatmet. So ist der Mensch in einem ständigen Austausch mit der Natur. Solange er lebt, ist er Teil der geschaffenen Natur und folgt der Ordnung, die entstanden ist. Und das ist Gottes Werk.

Die Schöpfung wird in dem Bibeltext sehr oft als „gut“ bezeichnet. Wie kommt das? Warum legen die Verfasser:innen solch einen Wert darauf?

Wir lesen wieder und wieder: „Und siehe, es war gut.“

Gut ist da, wo Menschen eine Bestimmung haben. Wenn ein Mensch einen Sinn im Leben sieht und sich im Gegenüber zu Gott befindet. Wo sie oder er sich bewußt wird, dass das Leben von Gott kommt, jeder Atemzug, jede Lebendigkeit.

Ohne zu verschweigen, dass es in jedem Leben auch die Erfahrung von Entfremdung und Schuld gibt. Wenn ein Mensch, egal welchen Alters oder Geschlechts, mit Gott in  Kontakt ist, dann rechnet sie auch mit ihm. Dann entsteht ein Austausch und ein gegenseitiges Lieben. Und das ist eine ganz starke Bindung. Damit gelingt auch Verantwortung. Und damit ist jede/r vorsichtig im Umgang mit der Natur und den Mitgeschöpfen, den Pflanzen und Tieren. Dann ist eine Vertrautheit da und eine Ehrfurcht vor dem Leben, aber auch so manche Entscheidung wird dann ganz anders gefällt.

Wenn in einem Menschen Gott immer stärker und stärker wird, wird auch das Menschliche in ihm stärker und stärker. Im Gegenüber, in einem lebendigen Gespräch mit Gott ist das möglich. Aber dazu muss jede und jeder anerkennen, wer sie oder er ist, nämlich eine Frau oder ein Mann oder ein Kind, von Gott erschaffen und gewollt, in einem Gegenüber untereinander und zu Gott.

Die Schöpfung und das eigene Leben wahrzunehmen als ein Geschenk, als etwas Wunderbares, das ist keine Verharmlosung der Realität, sondern eine große Kraftquelle. Wir sind Teil der Schöpfung und wir sind gut geschaffen. Von Gott „gut“ bewertet. Wir haben eine Bestimmung auf dieser Erde, in diesem Leben. Unser Glück, unser Glücklichsein, das hängt auch davon ab, ob wir merken, wer wir eigentlich sind.

Werde, die du bist, der du bist. Das wünsche ich Ihnen und uns allen. Amen.

am 1.5.2022 von Pfarrer i.R. Friedhelm Pieper

Text Joh 21,15–17
15 Da sie zusammen gegessen hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus:
Simon, Sohn des Johannes, hast du mich mehr lieb, als alle anderen hier? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!
16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

Mitten in der österlichen Zeit wird unser Blick über diese Zeit hinaus gerichtet. Die österliche Zeit ist erfüllt von den Geschichten der Begegnung mit Jesus, dem Auferstandenen. Die Hinrichtung Jesu am Kreuz hatte nicht das letzte Wort behalten. Die Mächtigen seiner Zeit konnten die Bewegung nicht zerstören, die von Jesus ausgelöst wurde. Eine neue Gruppe war entstanden im Volk Israel und auch der gewaltsame Tod Jesu am Kreuz konnte sie nicht aufhalten. Durch die Begegnungen mit dem auferstanden Jesus erhielt die Gemeinschaft seiner Anhänger:innen ganz neuen Auftrieb, ganz neue Kraft, ganz neue Motivation, ihren Weg weiter zu gehen.

Und nun aber, mitten in der österlichen Zeit, lenkt Jesus den Blick über diese Zeit hinaus. Die Zeit der Begegnungen mit dem Auferstandenen geht vorbei. Nur kurz währt dies österliche Zeit: 40 Tage lang. Dann wird sie vorbei sein. Petrus, der eine zentrale Rolle in der Anhängerschaft Jesu einnimmt, wird von Jesus in die Aufgaben dieser nachösterlichen Zeit eingewiesen: „Weide meine Schafe“.

So ist es gedacht, so ist es gewollt: Die christliche Gemeinschaft soll selbst Verantwortung für ihren weiteren Weg übernehmen. Die beginnende Kirche soll in eigener Verantwortung ihren Weg weiter gestalten, sie soll ihren Weg in eigener Verantwortung selber durchführen. Da ist dann kein Jesus mehr, den man in direkten Begegnungen befragen kann.

Nein, die christliche Gemeinschaft bleibt dabei nicht allein sich selbst überlassen. Sie hat die guten Worte und das Leben Jesu vor Augen. Das gibt Orientierung, das ist ein guter Kompass. Und sie darf darauf vertrauen, dass der von Jesus Christus verheißene göttliche Geist sie begleitet und stärkt. Dass der gute göttliche Geist ihre Sinne schärft für nötige Entscheidungen, dass er ihre Herzen ermutigt für die nächsten Schritte, auch in schwierigen und unruhigen Zeiten. - Und die christliche Gemeinschaft geht ihren Weg auch unter der Zusage Jesu, dass er, der Auferstandene selbst, immer wieder auch nahe sein will, wo Menschen in seinem Namen zusammenkommen und zusammenwirken.

So ausgerüstet, wird nun der Kirche eben zugetraut, wird uns zugetraut: dass wir damit zurechtkommen. Dass wir sie annehmen: diese zugemutete und zugetraute Eigenverantwortlichkeit.

Können wir das? Kommen wir damit zurecht? Dass wir selber Verantwortung tragen, nicht nur für die Kirche, sondern für unser ganzes Leben. Dass niemand sie uns abnimmt, diese Verantwortung für unser Leben, diese Verantwortung für alle Entscheidungen, die wir zu treffen haben, von morgens bis abends.

Und sollte uns diese Eigenverantwortung zu groß erscheinen, dann bekommen wir heute zu hören: der Himmel traut es uns zu, dass wir damit zurechtkommen, Jesus traut es uns zu, dass wir damit umgehen können.

Es gibt Zeiten, da fragt man sich, ob der Himmel dem Menschen nicht doch zu viel zutraut. Was ist los in unserer Welt? Da gibt es einen gewalttätigen Machthaber in Moskau, der im Stile alter barbarischer Herrscher sein Nachbarland überfällt und es sich einverleiben will, der dabei gnadenlos Tod und Zerstörung verbreitet. Ihn stört die Ausbreitung des Westens nach Osten; dem will er jetzt eine Gegenbewegung von Osten nach Westen entgegensetzen. Um jeden Preis! Entsetzlich viele Menschen leiden und sterben. Eine furchtbare Zerstörungswalze wälzt sich über ukrainische Städte und Dörfer. Was für ein Grauen! Wir wissen noch nicht, wie lange es dauern wird, und welche Auswüchse dies alles noch nehmen wird.

Was bedeutet all dies für die Eigenverantwortung des Menschen? Was sollen wir tun in dieser mit so viel Leid erfüllten Zeit? Die menschliche Eigenverantwortung steht in dieser Situation vor einer doppelten Herausforderung: auf der einen Seite muss alles dafür getan werden, dass die Verteidigung gegen den wütenden Überfall mit allen verfügbaren Mitteln unterstützt wird. Mit allen verfügbaren Mitteln! Auf der anderen Seite dürfen wir nicht nachlassen, nach einem Weg aus dieser verheerenden Situation zu suchen und alles dafür zu tun, dass die Waffen zum Schweigen gebracht werden. Es scheint unlösbar – und es muss doch gelingen. Damit das entsetzliche Leiden aufhört, damit Angst und Panik überwunden werden.

Und natürlich müssen wir alles uns Mögliche tun, um die ukrainischen Flüchtlinge zu unterstützen, deren Heimat von russischen Befehlshabern und Soldaten in ein grauenvolles Schlachtfeld verwandelt wurde. -

In diesen finsteren Stunden wird uns am heutigen Sonntag in den biblischen Texten das Bild vom guten Hirten vor Augen geführt. Wir haben eben mit den Worten von Psalm 23 gesprochen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele.“ – Das Bild vom guten Hirten ist ein Gegenbild gegen den Tyrannen. Der gute Hirte sorgt für Ernährung, er sorgt für Stärkung, er kümmert sich um die Schwachen und Verletzten. Er hilft ihnen auf. Der gute Hirte ist ein Gegenbild gegen den mörderischen Herrscher, der eiskalt seine Befehle zum Morden und Zerstören ausgibt, der sich anmaßt, auf das Schwache niederzutreten.

Unsere Welt braucht solche Gegenbilder gegen die Tyrannei. Wir brauchen Bilder, die das Leben fördern und stärken. Gegen völlig unbeherrschte Herrscher brauchen wir Bilder zur Überwindung unbeherrschter Macht.

Der Evangelist Matthäus erzählt von einem Gespräch Jesu mit seinen Nachfolgern, in dem Jesus sagt: „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So aber soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht, so wie der Menschensohn nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.“

Völlig ohne jegliche Illusionen wird hier in den Worten Jesu beschrieben, was wir heute noch immer und schon wieder erleben: Dass Herrscher ihre Völker niederhalten und Mächtige ihnen Gewalt antun. Völlig ohne Illusionen gehen diese Worte Jesu offenbar davon aus, dass sich das so schnell auch nicht ändern wird. Dass immer wieder einmal solche Herrscher mit Gewalt und Unterdrückung auftreten werden.

Aber: dieses Reden ohne alle Illusionen führt nicht zur Resignation. Unsere Welt braucht Alternativen zur unbeherrschten Macht. Und Jesus ruft seine Anhänger auf, ein Gegenmodell zur unterdrückenden Macht zu leben und zu fördern. Ein Gegenmodell, in dem Leben wertgeschätzt und beschützt wird. So wie es zum Beispiel in dem Bild des guten Hirten zum Ausdruck kommt. Nicht zufällig sagt Jesus von sich selbst – nach dem Johannesevangelium: Ich bin der gute Hirte.  

In dieser Welt, die so ist, wie sie ist, sollen Zeichen für eine Alternative gesetzt werden. Nichts muss so bleiben, wie es ist, Es kann anders werden.

Es braucht dazu Menschen, die ein anderes Zusammenleben wollen und auch wirklich leben. Es braucht dazu Menschen, die sich jedem Aufbau von unterdrückender Herrschaft widersetzen. Die sich verweigern, dort, wo niederdrückende Macht sich durchsetzen will.

Von Gotthold Ephraim Lessing gibt es dieses Kurzgedicht über „Das schlimmste Tier“. Es lautet: „Wie heißt das schlimmste Tier mit Namen? / So fragt‘ ein König einen weisen Mann. / Der Weise sprach: Von wilden heißts Tyrann, / Und Schmeichler von den zahmen.“  

Der Tyrann braucht die Schmeichler, sonst kann er seine Tyrannei nicht ausführen. Ein diktatorisches System braucht seine willigen Helferinnen und Helfer. Sonst kann es nicht funktionieren. Am Ende aber wird jede Tyrannei genau daran zugrunde gehen. Wenn ein Diktator nur noch von Ja-Sagern umgeben ist, verliert er den Kontakt zur Realität. Es kommt zu Fehleinschätzungen, er kommt zu Verlusten, hochtrabende realitätsferne Ziele erweisen sich in der harten Wirklichkeit als unerreichbar. All das sehen wir auch jetzt, wie das Machtsystem Putins an seine Grenzen gerät und Verluste erfährt.

Das Gegenbild zum Tyrannen ist der gute Hirte. Dieses Gegenbild vom guten Hirten hilft uns, die Mechanismen der Tyrannei zu durchschauen. Dieses Gegenbild hilft uns darin, die Widerstandskräfte zu stärken gegen unbeherrschte Macht, gegen die Lügen der Mächtigen, gegen das Schmeicheln und Ja-Sagen im Umfeld von sich tyrannisch gebärdender Macht.

„So aber soll es nicht sein unter euch!“ sagt Jesus mit Blick auf niederdrückende Herrscher und deren Gewalt. Die christliche Gemeinschaft ist aufgerufen, eine Alternative zu verkünden und zu leben. Im Angesicht der Feinde des Lebens, sollen wir eintreten für alles, was menschliches Leben wertschätzt und fördert. Uns wird der gute Hirte vor Augen gestellt. Er ist das Leitbild der Kirche.

Umso enttäuschender ist daher die Haltung der russisch-orthodoxen Kirche, die den Krieg in der Ukraine als Eindämmung des westlichen Einflusses und damit als gut und gerechtfertigt bezeichnet - und ihn so legitimiert. Da wird dem Töten und Zerstören auch noch ein kirchlicher Segen verliehen. Da ist das Leitbild des guten Hirten völlig verloren gegangen.

Und eben deshalb, weil das geschehen kann, dass das Leitbild des guten Hirten verloren gehen kann, auch in den Kirchen, und auch, weil wir erinnern, dass das Leitbild des guten Hirten auch in der Geschichte der deutschen Kirchen in manchen Zeiten verloren ging, eben deshalb ist es gut, dass wir heute wieder daran erinnert werden. Heute am Sonntag „Misericordias Domini“, dem Sonntag, der an die Barmherzigkeit Gottes und an die göttliche Güte erinnern will. Wir brauchen solche Erinnerungen gerade in schwierigen Zeiten.

Das Bild vom guten Hirten will hineinscheinen in unsere Dunkelheiten. Die Erinnerung an Gottes Güte und Barmherzigkeit ist das Licht, das unser Leben erhellt und wärmt. Es ist das Licht, das uns hilft, unsere Wege weiter zu gehen. Amen.

Gottesdienst am 20.2.2022 von OKRin Pfarrerin Dr. Melanie Beiner

Vorspiel

Begrüßung

Votum „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“

Lied:      Und ein neuer Morgen, EG+ 145

Psalm:  Ps 119, EG 748  - im Wechsel gebetet

Wohl denen, die ohne Tadel leben, die im Gesetz des HERRN wandeln!

Wohl denen, die sich an seine Zeugnisse halten, die ihn von ganzem Herzen suchen,

die auf seinen Wegen wandeln und kein Unrecht tun.

Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, so werde ich nicht zuschanden.

Ich danke dir mit aufrichtigem Herzen, dass du mich lehrst die Ordnungen deiner Gerechtigkeit.

Deine Gebote will ich halten; verlass mich nimmermehr!

Öffne mir die Augen, dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.

Zeige mir, HERR, den Weg deiner Gebote, dass ich sie bewahre bis ans Ende.

Meine Seele verlangt nach deinem Heil; ich hoffe auf dein Wort.

Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort und sagen: Wann tröstest du mich?

Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre, so wäre ich vergangen in meinem Elend.

Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.

Erhalte mich nach deinem Wort, dass ich lebe, und lass mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung.

Stärke mich, dass ich gerettet werde, so will ich stets Freude haben an deinen Geboten.

Gebet

Guter Gott, heute Morgen kommen wir zu dir.

Hören auf dein Wort, bitten um deinen Geist,

loben dich mit unserem Gesang und Gebet.

Lass für diese Stunde die Stimmen leiser werden,

die uns im Ohr und im Kopf dröhnen.

Unterbrich unser Selbstgespräch.

Öffne Herzen und Sinne für deine Worte der Verheißung,

die Früchte tragen und unser Leben hell machen.

Lesung:                Lukas 8, 4-15

Halleluja

Glaubensbekenntnis

Lied:      Herr, dein Wort die edle Gabe, EG 198, 1-2

Predigt

Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es
ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen. Hebräer 4, 12-13

Lebendig, kräftig und schärfer – heute scheint der Predigttext ordentlich anzuheizen. Klare Worte, endlich mal, kein freundlich-schwammiges Darumherumgerede; kein abwägendes „Es könnte so und anders sein“, das immer auch etwas von Gleichgültigkeit, Langeweile und Desinteresse ausstrahlt.

Heute heizt das Wort Gottes ein. Lebendig, kräftig und schärfer.

Das habe ich oft gehört in den letzten Monaten: „Bezieht Stellung, positioniert euch, sagt etwas in der Kirchenleitung zu...“

Meistens waren es Aufforderungen, gegen die staatlichen Corona-Vorgaben Stellung zu beziehen. Die Kirche muss auch mal Kante zeigen. Sie kann sich doch nicht so unkritisch verhalten und einfach machen, was andere ihr sagen.

Hat sie überhaupt noch einen Standpunkt, eine Haltung, eine Vision? Lebt sie noch aus dem Glauben oder hat sie sich längst im Alltag gesellschaftlicher Konvention bequem eingerichtet? Solche Fragen habe ich dahinter und manchmal auch deutlich gestellt gehört.

Es scheint eine Zeit zu sein, in der man durch kräftige Worte seine Erkennbarkeit und sein Profil sichtbar machen muss. Und in der es so viele verschiedene Meinungen gibt, dass deutliche Worte wie etwas Festes und damit Wahres im Meer der Einschätzungen gebraucht zu werden scheinen.

Das ist nicht nur in der Kirche so. Das ist auch in der Politik so. Je klarer, kräftiger und schärfer Worte sind, desto lebendiger erscheinen sie und machen sichtbar, vereindeutigen und vor allem machen darin verantwortlich.

Das finde ich wichtig daran: Je klarer Worte sind, desto eher kann man sie mit den Taten vergleichen. Wird getan, was gesagt wird? Können wir den Worten vertrauen? Oder kreisen Worte mit nebulösen Formulierungen um das Nichtgesagte, so dass man Beruhigung verbreitet und sich später im Zweifel jeder Verantwortung entziehen kann?

„Der einzige Weg zur Glaubwürdigkeit ist der: Sagen, was man tut und dann tun, was man gesagt hat.“ Der Satz stammt von dem ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, der ja auch ein engagierter evangelischer Christ war. Klare Worte ermöglichen anderen, sich daran zu orientieren und sich dazu zu verhalten. Sie sind die Voraussetzung für Vertrauen und gute Beziehung.

„Nichts ist gut in Afghanistan.“ – einer der klarsten Worte kamen 2010 aus dem Mund einer kirchlichen Leitung, der ehemaligen Bischöfin Margot Käßmann in Hannover. Wie viel Kritik hat sie sich damit eingehandelt. Wie mutig und verantwortlich ist sie mit den Taten in ihrem Leben umgegangen. Für viele, auch für katholische Christen, ist sie bis heute darum eine glaubwürdige Zeugin, trotz oder gerade weil sie Fehler, Schwächen und Brüche in ihrem Leben benannt hat – und sich verantwortlich gemacht hat.

Klare Worte brauchen wir; sie müssen nicht verletzen, sie müssen andere nicht abwerten, aber sagen, wozu ich stehe – und wozu nicht. Nur so helfen sie, die Geister zu scheiden. Nur dann entstehen wirkliche demokratische Diskurse, wenn man sich die je eigene Wahrheit und Sichtweise zumutet.

Allerdings: Die Verse aus dem Hebräerbrief geben dem Ganzen insgesamt noch eine andere Richtung:

„Es dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“

Was mir daran auffällt: Die Worte sind eigentlich nicht nach außen gerichtet, sondern nach innen. Es geht nicht nur um die Worte, die ich öffentlich spreche, sondern um die Worte, das Wort Gottes, das ich höre. Und das mich infrage stellt. Meine Seele und meinen Geist scheidet, mein Mark und Bein, meine Gedanken und Sinne. Da wird es ungemütlich. Es gibt Momente, da tut das das Wort Gottes erstmal nicht nur gut und bestätigt. Es ist deutlich und klärt, will klären, will auch mich klar machen.

Und deckt dabei vielleicht etwas auf in mir, das ich gar nicht so gerne sehen möchte.

„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt.“ Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann ich diesen Vers das erste Mal bewusst gehört habe. Da war ich noch Jugendliche. Aber mit der Erklärung, dass wir – nach Jesu Maßstäben und Verhältnissen – hier alle zu den Reichen gehören, wurde mir die Bedeutung bewusst: Mit meinem Wohlstand, mit meinem Leben, da gehöre ich zu denen dazu, von denen Lukas sagt, dass sie kaum in den Himmel kommen. Ich kann mich nicht mehr genau an die Umstände erinnern, aber ich weiß noch, dass es mir tatsächlich durch Mark und Bein gegangen ist. Ich engagiere mich so – aber eigentlich bin ich weit weg. Glaube und bin aktiv für und in der Gemeinde, aber aus einer unglaublich gesicherten Position heraus. Dieses Wort Gottes hat mich sehr infrage gestellt. Erstmal war ich wütend: Ich kann ja auch nichts für meine Lebensumstände, habe ich gedacht. Das ist ungerecht. Aber dann konnte ich mich der Klarheit der Worte auch nicht entziehen. Mache ich das eigentlich doch nur für mich? Reicht das, was ich tue, auch nur ansatzweise heran an das, was Jesus Nachfolge genannt hat?

Bis heute bleibt diese Spannung in mir, diese Frage….dringt durch Mark und Bein. Lässt etwas offen, hält etwas in mir wach, schießt immer wieder quer, wenn ich meiner selbst zu gewiss werde, macht, dass in den deutlichen, klaren Sätzen, die ich akademisch gut durchreflektiert bilden kann, dass in  diesen Sätzen der leise Unterton des Zweifels immer mitschwingt…

Die Kirchen sehen sich im Moment einer großen öffentlichen Aufmerksamkeit und großer Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit entgegengestellt. Sind sie glaubwürdig, wenn sie von der Nächstenliebe sprechen und sich lange so wenig um den sexuellen Missbrauch und den Umgang mit Menschen, die lesbisch oder schwul sind, in ihren Kirchen gekümmert haben? Als evangelische Kirche haben wir uns da immer etwas besser gesehen als die katholische Kirche. Aber auch das gehört zur Wahrheit dazu, zu dem Wort Gottes, das durch Mark und Bein einer Kirche dringt: Auch wenn wir längst um Aufarbeitung und Prävention bemüht sind und beides rechtlich verankern – vor Missbrauchssituationen, vor fehlender Transparenz, vor einer institutionellen Selbstabschließung und vor der Unsicherheit, wie man angemessen mit dem Thema umgeht, davor sind wir in der evangelischen Kirche auch überhaupt nicht gefeit. Und Scham und Schuld darüber, dass Missbrauch in der evangelischen Kirche geschehen ist und geschieht – die sind ja nicht kleiner, nur weil die Zahlen der Betroffenen möglicherweise kleiner sind.

Die Frage der Lebensformen und wer mit wem zusammenleben darf und wer nicht, weil er oder sie als Vertreter*in der Kirche sichtbar ist – auch das war lange, lange in der evangelischen Kirche genauso problematisch. Noch einige meiner Kolleg*innen haben ihre Lebensform geheim gehalten, weil sie nicht erwünscht war und in der Gemeinde zu großem Aufsehen geführt hätte – und das ist noch keine zwei Jahrzehnte her.

Das Wort Gottes scheidet Mark und Bein. Wir sollten uns eingestehen: Manchmal kommt das Wort Gottes eben nicht durch uns als Kirche zu den Menschen, manchmal werden der Menschen Worte Fragen, Klagen, auch Anklagen Worte Gottes für uns, die uns schneiden wie ein zweischneidiges Schwert. Und die sehr genau sehen können, was muss sich ändern, was sollte geschehen, wie kann es weiter gehen?

Sie ermöglichen Veränderung, weil sie mir eine andere Sicht, einen anderen Blick zur Verfügung stellen. Für mich ist das die eine gute Nachricht, die aus diesen so deutlichen Worten spricht. Und die andere?

„Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen.“

Vor den Augen Gottes aufgedeckt sein, da geht es dann nicht nur um die Klarheit eines Augenblicks. Wie die Augen Gottes sehen, das stelle ich mir anders vor. Gottes Augen – so glaube ich – sehen uns nicht nur im Moment. Sie sehen, wie wir geworden sind, von Anbeginn an. Vom ersten Atemzug. Sehen unsere Geschichte, unsere Entwicklung, sehen unsere Begabungen und unsere Begrenzungen. Unsere Weite und unsere Enge, unsere Hoffnung und unsere Not. Die Augen Gottes, das glaube ich, schauen nicht strafend, sondern verstehend, nicht mit dem Ziel zu richten und zu verurteilen, sondern zu retten und zu heilen.

„Schaue gnädig auf unser Kind, das wir dir einst in der Taufe gebracht haben…“ – auch dieser Satz begleitet mich schon ein Leben lang. Er ist Teil eines Gebets, das meine Mutter aufgeschrieben hat anlässlich meiner Konfirmation.

Seitdem sind die Augen Gottes für mich mit dieser Gnade verbunden. Mit einem Blick, der uns nicht durchbohrt, sondern über uns wacht, der uns erkennt, besser als wir uns selbst erkennen können, der uns leitet und führt. Nicht um uns vor den Richterstuhl zu verurteilen, sondern um uns zur Klarheit zu verhelfen und zu einem Leben, das frei und lebendig sein kann.

Lied:      Schenke mir Gott ein hörendes Herz, EG+ 140

Fürbittengebet

Gott, du hast uns versprochen uns zu hören, wenn wir zu dir reden.

Wir beten zu dir und bringen vor dich, was uns bewegt.

Wir hören die Worte der Politiker*innen aus Europa, den USA und Russland, die immer beschwörender werden. Warnungen an politische Führungen, Mobilmachungsaufrufe an Kämpfende. Wir sitzen da, schauen zu, warten ab – und können nur bitten:

Um Frieden, dass der nächste Schritt nicht mit Waffen, sondern mit Worten und Diplomatie gegangen wird,

um den Willen zur Einigung auf allen Seiten, um Kraft für die Verantwortlichen, sich noch einmal und wieder zu Gesprächen an den Tisch zu setzen,

um Schutz für die Bevölkerung und Ruhe in ihren Herzen.

Wir bitten dich für Menschen, die schweigen, weil sie Angst haben, kleingemacht zu machen,

in Betrieben, in Schulen, in der Gesellschaft.

Höre du sie, stärke sie, stellen ihnen Menschen an ihre Seite, die für sie eintreten.

Gott, wir bitten dich für uns, wenn wir schweigen, wenn Scham und Schuld uns im Magen und auf der Seele liegen. Wenn dein Wort uns durch Mark und Bein geht, Gott, dann wende deinen Blick nicht von uns, höre du uns zu, schaue du schaue gnädig auf deine Menschenkinder und lass uns uns in deinen Augen neu sehen.

Wir bitten dich für uns als Gemeinschaft von Christinnen und Christen. Es gibt Zeiten, da trägt dein Wort der Verheißung erst Früchte, wenn wir auf die Worte von außen hören. Gib uns offene Ohren hinzuhören und offene Augen hinzusehen.

Vater unser

Abkündigung

Lied:      Bewahre uns Gott, EG 171

Sendung und Segen

Und nun geht hin, stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie. Sagt den verzagten Herzen seid getrost, fürchtet euch nicht. Seht, da ist unser Gott.

Gott segne dich und behüte dich. Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.

Gott erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden.

Orgelnachspiel

OKR´in Dr. Melanie Beiner, Kirchenverwaltung der EKHN, Paulusplatz 1, 64285 Darmstadt, Mail

Gottesdienst am 23.1.2022 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
Herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst in der Dankeskirche.
„Es werden kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes“ (Lk 13,29).

Auch das sehen wir auf dem Bild vorne auf Ihrem Gottesdienstblatt: einen römischen Centurio, der vor jesus auf die Knie geht. Um ihn wird es gleich in Lesung und Predigt gehen. Mit diesen Worten aus dem Lukasevangelium verheißt Jesus allen Menschen das Heil. Egal welcher Herkunft und Sprache – alle sind willkommen. Das gilt ja auch für uns hier: alle sind willkommen.
So feiern wir diesen Gottesdienst …

Votum

Eingangspsalm:  Psalm 100   EG 740
Danket dem Herrn, lobet seinen Namen
Jauchzet dem Herrn, alle Welt!
Dienet dem Herrn mit Freuden,
kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken!
Erkennet, dass der Herr Gott ist!
Er hat uns gemacht und nicht wir selbst
zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide.
Gehet zu seinen Toren ein mit Danken, zu seinen Vorhöfen mit Loben;
danket ihm, lobet seinen Namen!
Denn der Herr ist freundlich, und seine Gnade währet ewig
und seine Wahrheit für und für.
 
Gebet
Eingeladen in dein Haus, unter dein Dach, Gott, kommen wir – so wie wir sind.
Manche von uns beladen mit Lasten, manche müde und erschöpft,
manche leichtfüßig und unbeschwert, und manche sind garnicht da.
Du lädst uns ein, du schenkst uns deine Liebe.
Hilf uns, dass wir uns vor dir öffnen,
dass wir dein Wort nicht nur hören, sondern auch verstehen,
mit unseren Ohren, mit unserem Herzen, mit unserem Verstand.
Dass wor deine Liebe empfangen und annehmen.
Hiöf uns und erbarme dich unser – du Gott, der du uns einlädst unter dein Dach.
Das bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn. Amen

Lesung
Der Hauptmann von Kapernaum, Mt 8, 5 - 13
5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's.
10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! 11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; 12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. 13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

Glaubensbekenntnis

Lied
593 Licht, das in die Welt gekommen
1. Licht, das in die Welt gekommen, Sonne voller Glanz und Pracht,
Morgenstern, aus Gott entglommen, treib hinweg die alte Nacht,
zieh in deinen Wunderschein bald die ganze Welt hinein.

2. Gib dem Wort, das von dir zeuget, einen allgewaltgen Lauf,
dass noch manches Knie sich beuget, sich noch manches Herz tut auf,
eh die Zeit erfüllet ist, wo du richtest, Jesu Christ.

3. Es sei keine Sprach noch Rede, da man nicht die Stimme hört,
und kein Land so fern und öde, wo man dein Gebot nicht ehrt.
Lass den hellen Freudenschall siegreich ausgehn überall.
Text: Ewald Rudolph Stier 1827 (nach Psalm 19)
Melodie: Gott des Himmels und der Erden (Nr. 445)

Predigt
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Liebe Gemeinde,
Das Wort
„Herr, ich bin nicht würdig dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, dann wird meine Seele gesund.“ Dieses Gebet aus der katholischen Messe begleitet mich seit meiner Kindheit. Manchmal ist es wie ein Mantra für mich. Nur ein Wort! Ein einziges Wort! Als würde dies schon genügen. Dieser Satz wurde für die Abendmahlsliturgie übernommen, um die passende Haltung für den Empfang von Brot und Wein einzunehmen: Vertrauen darauf, dass das Sakrament uns heil macht und auch eine gewisse Demut.
“Herr, ich bin nicht würdig.” Das kurze Gebet macht mir bewusst, wer ich bin und wer Gott ist. Es ist ein Gebet des Vertrauens in Gottes Wirken. „Sprich nur ein Wort so wird meine Seele gesund.“
Welches Wort könnte das sein? Liebe?  Oder das „Ja“, das mir zugesprochen wird. Ganz sicher geht es dabei nicht um eine Generalamnestie für alles, was ich an Schuld auf mich geladen habe. Ein solches „Ja“ kann es also nicht sein.
Der griechische Text benutzt in diesem Bibelvers keinen Artikel. Im Original steht also: Sprich Wort, und mein Diener wird gesund. Wort heißt dort Logos. Logos Gottes, Wort Gottes ist aber neutestamentlich immer Jesus Christus selbst. Er ist das Wort, der Logos, der im Anfang bei Gott war, der Gott selbst ist (Joh 1,1) Womit sich auch die Stelle des Gebetes in der Liturgie erklärt. Genau das, worum die Gemeinde hier bittet, geschieht im nächsten Moment: Die Kommunion wird ausgeteilt, Christus kommt in den gewandelten Gaben zu den Glaubenden und sie werden gewandelt. Sie empfangen den Leib Christi und sie werden Leib Christi.
Zu diesem einzelnen Gebet gehört aber eine Geschichte:

Die Heilung
Es ist schon ein starkes Stück. Jesus wandert mit seinen Jüngern nach Kapernaum. Der Weg ist staubig. Da hört man heraneilende Schritte. Es ist ein Ausländer, ein Römer. Die Metallschnallen seiner Uniform gleissen im Sonnenlicht. Ein römischer Hauptmann, ein Nichtjude. Einer von denen, die Israel besetzen und unter Kontrolle halten. Und dieser Fremde fragt Jesus, den Juden, um Hilfe. – Und Jesus hilft.
Es gibt Berichte, die von wundersamer Heilung sprechen. Und es gibt genauso viele Berichte, die erzählen, dass auch nach 10 Jahren Gebet Schmerzen und Krankheiten nicht geheilt wurden. War das Gebet also nutzlos? Der Glaube zu klein? – In meiner Erfahrung hat das Gebet immer etwas bewirkt: Die Kranken und Angehörigen konnten besser mit der Krankheit umgehen. Da war jemand, der sie hörte, wenn sie beteten. Eine Kraft, die sie stärkte, ein Friede, der half, die Last zu tragen. Gott half anders als erwartet.
Glauben Sie, dass Gott heilt? – Ich glaube ja. Doch wie er heilt, ist für uns unverfügbar. Gott gibt die Kraft weiterzugehen und wie unser Hauptmann nach Jesus Ausschau zu halten.

Der Chef
Die Heilung des Knechts steht im Vordergrund. Doch der Knecht wäre nicht geheilt worden, ohne die Initiative seines Chefs. Nur weil dieser sich an Jesus wandte, wurde der Knecht gesund. Wer er wohl war, dieser Hauptmann, dieser Römer, der vor Jesus kniet auf unserem Bild.
Ein römischer Hauptmann, auch Centurio genannt, befehligte eine Hundertschaft. Er war für die Disziplin und Ausbildung seiner Leute zuständig und bildete mit den anderen Centurios das Rückgrat der römischen Armee. Unser Hauptmann spricht selbst davon, dass Soldaten und Diener seinem Kommando unterstehen. Auch der Knecht ist einer seiner Untergebenen. Der Centurio ist sein Chef und Ausbilder.
War er wohl ein guter Hauptmann? Und was machte einen guten Hauptmann aus? War es einer, der seine Truppe im Griff hatte? Einer der keinen Ungehorsam duldete und erwartete, dass man ihm aufs Wort gehorcht?
Was macht für Sie einen guten Chef aus? Wen haben Sie in Ihrer Schulkarriere als gute Lehrperson erlebt? Welche Adjektive passen zu dieser Person?

Der Unterschied
Und was macht den Unterschied zwischen einer guten und einer herausragenden Chefin? Einer herausragenden Lehrperson? Das sind die Personen, die noch einen Schritt weitergehen, unterstützen, wo sie nicht müssten. Es sind die Chefs, die längere Familienzeit gewähren, Teilzeitarbeit ermöglichen. Es sind die Lehrpersonen, die gratis Nachhilfe anbieten, ein offenes Ohr für Probleme haben. Diejenigen, die alles tun, damit man den Schritt ins nächste Schuljahr doch noch schafft.
Was unseren Centurio besonders macht, ist nicht die Disziplin, die er von seinen Untergebenen erwartet, sondern dass er mehr tut, als er muss. Die Krankheit seines Knechtes lässt ihn nicht kalt. Für ihn nimmt er den Weg zu Jesus auf sich. Er geht weiter, als es üblich ist. Er kümmert sich um seinen Untergebenen. Der Hauptmann geht so weit, dass er als Römer einen Juden um Hilfe bittet. Er befiehlt nicht, sondern bittet.
Die Kontrolle abgeben, um Hilfe bitten, wenn ich nicht mehr weiterweiß. Fällt Ihnen das leicht? Oder wahren sie lieber die Fassade, aus Angst, es könnte noch schlimmer werden? Wenden Sie sich an Jesus, an Gott, wenn Sie verzweifelt sind? Glauben Sie, dass er etwas bewegen kann, auch wenn er nicht physisch anwesend ist?

Gleichen Sinnes
Der Hauptmann entscheidet sich fürs Vertrauen. Und im Einsatz für seinen Untergebenen begegnet er einem Gleichgesinnten. Jesus, der die Macht hat, Menschen zu heilen, benützt seine Macht nicht, um Menschen zu unterwerfen. Jesus, wäscht seinen Jüngern die Füße. Er isst mit den Ausgestoßenen, berührt Kranke, ohne mit der Wimper zu zucken. Jesus ist es, der zeigt: Dient einander.
Der Hauptmann, der vor ihm steht, zeigt mit seinem Einsatz, dass er, Jesu Botschaft schon verstanden hat. Dient einander. Der Hauptmann kehrt die Hierarchie um – sein Knecht ist wichtiger als er und sein Ruf. Und so begegnet ihm Jesus auch nicht als Römer, als Ungläubigem, sondern als Mensch. Und zeigt damit allen Umstehenden, dass nicht nur Juden und Jüdinnen, sondern auch andersgläubige Menschen zu ihm gehören.
Er sagt sogar: Solchen Glauben habe ich bei niemandem in Israel gefunden!

Enterbung?
Dabei bleibt es nicht. Jesus fährt fort - Und plötzlich sind wir in einem Horrorfilm gelandet. Bei Heulen und Zähneklappern – die Erben und Erbinnen des Reichs werden verstoßen und in die völlige Finsternis verbannt. Jesus, der gerade eben noch dem Hauptmann mit Menschlichkeit begegnet, zeichnet nun ein düsteres Gerichtsbild. Israelkritisch und wie eine Drohung klingen Jesu Worte. Die, die das Reich erben sollen, die Nachfahren von Abraham, Isaak und Jakob, werden verstoßen werden. Also Jesu eigene Lands- und Glaubensleute, die Juden und Jüdinnen.
Über Jahrhunderte hinweg wurde diese Drohung benutzt, um zu behaupten, dass Gott die Versprechen, die er dem Volk Israel gegeben hat, nicht mehr hält. Das Erbe des jüdischen Volkes sei auf die Christen und Christinnen übergegangen. Mit diesem Vers könne man erklären, weshalb Juden und Jüdinnen es verdienten, verfolgt zu werden. Sie seien für den Tod Jesu verantwortlich und dafür sollten sie büßen. Antisemitismus vom feinsten. Auslegungen, die über Jahrhunderte durch das Christentum weitergereicht wurden. Bibelverse, die eine Blutspur hinter sich herziehen.
Die Christen und Christinnen waren eine Minderheit und standen mit ihrem neuen Glauben oft in der Kritik ihrer Mutterreligion – dem Judentum. Diese Worte wurden Jesus in den Mund gelegt, um sich damals gegen die mächtige Ursprungsreligion abzugrenzen. Doch sie haben zu großer Überheblichkeit geführt. Sie haben jahrhundertelang Pogromen verursacht, Gewalt gegen Juden. Die Katastrophe des zweiten Weltkriegs hat ein für alle Mal gezeigt: Kein Christ kann von sich behaupten, dass sie besser ist als ein Jude. Die Christenheit hat versagt. Und die Kirche voran. Und sie zeigt es auch jetzt gerade wieder beschämend eindrucksvoll.

Gesundwerden, Heilung
Wir brauchen unter den Christinnen und Christen mehr Centurios, die sich wider allen Wissens für die Machtlosen stark machen. Wir brauchen Chefinnen, die sich hingebungsvoll für ihre Untergebenen einsetzen und Lehrpersonen, die ihren Schülern mit großer Menschlichkeit begegnen. Wir brauchen Menschen, die wider Erwarten zu hoffen wagen, die für ihre Untergebenen einstehen, auch wenn sie sich dafür klein machen, oder sich in unbequeme Situationen begeben müssen. Und wir brauchen Menschen, die auf einen Gott vertrauen, den sie nur vom Hörensagen kennen.
Ich bin sicher: Gott kann heilen. Er heilt den Knecht eines Römers. Er stellt unsere Hierarchien auf den Kopf und begegnet uns als Diener. Er heilt uns, von unserer Überheblichkeit, unserem Egoismus und unserer Selbstbezogenheit.
Und so können wir mit dem Hauptmann bitten: Herr, es steht mir nicht zu, dich in mein Haus zu bitten, doch sprich nur ein Wort… befreie mich von aller Unmenschlichkeit, von jeglicher Überheblichkeit, machtgierigem Verhalten und dem Urteilen über andere. Begegne mir Jesus, mit deiner Menschlichkeit, so dass mein Vertrauen in dich und meine Mitmenschen wächst. Dann werde ich gesund.
Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX. Amen

Lied
610 Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer
1. Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer,
wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.
Frei sind wir, da zu wohnen und zu gehen.
Frei sind wir, ja zu sagen oder nein.
Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer,
wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.

4. Herr, du bist Richter! Du nur kannst befreien,
wenn du uns freisprichst, dann ist Freiheit da.
Freiheit, sie gilt für Menschen, Völker, Rassen,
so weit, wie deine Liebe uns ergreift.
Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer,
wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.
Text: Ernst Hansen 1970 Melodie: Lars Åke Lundberg 1968

Fürbitte
Gütiger Gott
Du willst, dass wir Menschen Heil erfahren und Heilung und das Leben finden in dir. Dafür danken und preisen wir dich zusammenmit den Menschen anderer Völker, Kulturen und Religionen. Du führst uns in die Weite, aber unsere Welt ist voller Grenzen. Deshalb kommen wir mit unseren Bitten zu dir:
Wir denken vor dir an die Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen. Manche leiden unter schweren Krankheiten. Viele alte Menschen leben alleine. Junge Menschen können sich niemandem anvertrauen.
Für alle bitten wir: Dass andere Menschen ihnen offen begegnen und ihnen deine Liebe weitergeben.
Wir denken vor dir an all diejenigen, die unter den Grenzen leiden, die zwischen den Menschen gezogen werden. In vielen Ländern werden Menschen wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft verfolgt. Andere erfahren Hass und Gewalt, weil sie sich in ihrem Aussehen, ihrem Lebensstil, ihrer Liebe von anderen unterscheiden.
Für alle bitten wir: dass sie Freiheit erleben, ein besseres Leben finden, Gerechtigkeit erfahren.
Wir denken heute vor dir aber auch daran, dass Grenzen Schutz bieten und es wichtig ist, sie zu achten. Das lernen wir gerade in diesen Tagen. Und das gilt für die Grenze zwischen Staaten wie Russland und der Ukraine, wo ein Krieg droht. Aber das gilt auch für die körperliche Grenze zu Schutzbefohlenen, die vielfach überschritten wurde, auch in deiner Kirche, Gott, von Geistlichen, Erziehern, Vorgesetzten.
Für uns und alle bitten wir: dass wir Wege des Friedens suchen und finden, des Ausgleichs, der Buße und Strukturen, die Missbrauch verhindern, ihm entgegenwirken.
Mache alle anderen Stimmen in uns leise und lass uns ganz auf deine Stimme hören …

Vater unser

Lied
630 Wo ein Mensch Vertrauen gibt
1. Wo ein Mensch Vertrauen gibt,
nicht nur an sich selber denkt,
fällt ein Tropfen von dem Regen,
der aus Wüsten Gärten macht.

2. Wo ein Mensch den andern sieht,
nicht nur sich und seine Welt,
fällt ein Tropfen von dem Regen,
der aus Wüsten Gärten macht.

3. Wo ein Mensch sich selbst verschenkt,
und den alten Weg verlässt,
fällt ein Tropfen von dem Regen,
der aus Wüsten Gärten macht.
Text: Hans-Jürgen Netz 1975; Melodie: Fritz Baltruweit 1977
 
Abkündigungen

Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 9.1.2022 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung und Votum                                      
Ich heiße Sie und euch herzlich zum Gottesdienst an diesem Morgen willkommen!
„Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder“ – diese Worte des heutigen Wochenspruchs stehen am Anfang dieses 1.Sonntags nach Epiphanias. Man könnte diesen Tag auch den „Sonntag der Kinder Gottes“ nennen. Den Kindern Gottes ist gemeinsam, dass sie in guter Verbindung zum Geist Gottes stehen, von ihm motiviert, von ihm korrigiert und angetrieben, Gutes zu tun. Was das heißt und wie es sich lebenspraktisch auswirkt, davon handeln die Lieder und die Texte dieses Morgens.
So lasst uns den Gottesdienst feiern im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

EG 452,1.2.5 Er weckt mich alle Morgen

Psalm 27 im Wechsel
Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?
Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne:  dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu betrachten.
Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes und erhöht mich auf einen Felsen.
Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe: sein mir gnädig und erhöre mich!
Mein Herz hält dir vor dein Wort: „Ihr sollt mein Antlitz suchen.“
Darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz. Verbirg dein Antlitz nicht vor mir, verstoße nicht im Zorn deinen Knecht!
Denn du bist meine Hilfe; verlass mich nicht und tu die Hand nicht von mir ab, Gott, mein Heil!
Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf.
Ich glaube aber dich, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen.
Harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!

Kollektengebet
Du, liebevoller Gott, du schenkst mir diesen neuen Tag und noch immer ein ganz junges Jahr. Ich habe das tiefste Dunkel durchgestanden und habe das Licht gefeiert. Ich habe verschenkt und ausgewickelt, Freude empfangen und Freude verteilt. Ich habe begrüßt, verabschiedet und neu begonnen. Ich habe die Feiertage verlassen und finde mich wieder ein in meinen Alltag.
Und nun bin ich hier. Mit allem, was in mir ist und mich beschäftigt. Ich komme in deine Gegenwart, mein Gott. Du bist da – das ist dein Name. Und das ist dein Versprechen. Dafür danke ich dir.
Sprich du zu mir. Darum bitte ich dich. Im Namen deines Sohnes Jesus Christus.  Amen.

Lesung Philipper 2,4-11

Glaubensbekenntnis

EG 70,1.3.4

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Der Predigttext dieses Tages, liebe Gemeinde, spricht von einer ganz enorm großen Aufgabe: das Recht und das Licht sollen in die Welt gebracht werden. Recht schaffen auf der Erde – und Licht für die Völker, das wird dringend gebraucht. Aber wer kann das tun? Wen kann man dafür bestimmen?

Hören wir den Text für diesen Tag aus dem Buch des Profeten Jesaja, Kap. 42, die Verse 1 – 9:

„Gott spricht: ‚Seht, hier ist mein Diener, zu dem ich stehe. Ihn habe ich auserwählt, und ich freue mich über ihn. Ich habe ihm meinen Geist gegeben, und er wird den Völkern das Recht verkündigen.

Aber er schreit es nicht hinaus; er ruft nicht laut und lässt seine Stimme nicht durch die Straßen der Stadt hallen. Das geknickte Schilfrohr wird er nicht abbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen. Unbeirrt setzt er sich für das Recht ein.

Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf der ganzen Erde für Gerechtigkeit gesorgt hat. Selbst die Bewohner der Inseln und der fernen Küsten warten auf seine Weisung.“

Gott, der Herr, hat den Himmel geschaffen und ihn wie ein Zeltdach ausgespannt. Die Erde hat er in ihrer ganzen Weite gebildet. Und den Menschen hat er Leben und Atem gegeben. Nun sagt er zu seinem Diener: „Ich habe dich berufen, meine gerechten Pläne auszuführen. Ich halte dich an der Hand und helfe dir, ich beschütze dich. Durch dich schließe ich einen Bund mit den Menschen, ja, für alle Völker mache ich dich zu einem Licht, das ihnen den Weg zu mir zeigt. Den Blinden sollst du das Augenlicht geben und die Gefangenen aus ihren Zellen holen. Alle, die in Finsternis sitzen, sollst du aus ihrer Gefangenschaft befreien. Ich heiße „Herr“, das ist mein Name. Niemand anderem will ich meine Ehre geben. Und das, was ich früher verkündigt habe, ist gekommen. Nun kündige ich etwas Neues an.“

Hier wird von einem großen Programm gesprochen. Wer ist dieser Mensch? Wer kann diese große Rolle ausfüllen? Offenbar braucht Gott für seinen Plan jemanden, der sich mit „mein Diener, mein Knecht“ anreden lässt. Das wird kaum einer der Großen und Mächtigen der Erde sein. Gott setzt sein Vertrauen in einen Menschen, der für sich erkannt hat: ich selbst brauche Gottes Hand, die mich hält. Sonst verliere ich meinen Halt und gerate ins Straucheln. Auch die Stars und die vielen Promis unserer Tage, die unentwegt auf sich aufmerksam machen müssen, kommen als Lichtgestalten im Sinne des Textes nicht in Frage. Denn der Diener Gottes ist nicht einer, der Lärm macht. Nicht einer, wegen dem es irgendein Spektakel oder einen großen Bahnhof gibt.

Er ruft nicht laut. Seine Wirkung liegt vielmehr darin, dass er still und behutsam seinen Auftrag erfüllt. „Die Weisheit wächst in der Stille“, sagt ein Sprichwort. Die Stärke dieses Menschen liegt darin, dass er sanft und behutsam mit den Menschen umgeht. Wie ein guter Seelsorger bricht er das geknickte Rohr nicht ab und löscht auch den glimmenden Docht nicht aus. Wie ein guter Seelsorger stützt und stärkt er diejenigen, die gefährdet sind und keinen Halt haben.

Nach allem, was wir wissen, war es zunächst ein Profet der Exilszeit, der diese Rolle einnahm. Er sprach zu den gefangenen Israeliten, zu denen, die verschleppt und deportiert worden waren. Die sich in der großen babylonischen Gefangenschaft des 6. vorchristlichen Jahrhunderts befanden und fernab ihrer Heimat leben mussten. Ihnen spricht der Profet im Namen Gottes Mut zu. Und Hoffnung, dass sie eine andere Zukunft haben werden als die der Gefangenschaft. Dass sie wieder Licht sehen dürfen und Freiheit. Und dass ihnen Recht widerfahren wird. Und tatsächlich darf das Volk dann unter dem persischen König Kyros wieder nachhause zurückkehren, es darf einen neuen Anfang geben und den neuen Aufbau des Tempels, des religiösen Zentrums des Glaubens.

Der Profet des 6. Jahrhunderts hat seine Lebensaufgabe erfüllt. Aber die große Aufgabe, die von Gott gestellt war, sie war damit nicht zuende. Die Rolle war wieder frei. Immer noch gab es gebrochene Herzen, immer noch gab es diese große Sehnsucht nach Licht und nach Gerechtigkeit unter den Menschen.

Und in diese Sehnsucht hinein wurde Jesus geboren. Als kleines Kind. Er wächst in seine Rolle hinein. In der Taufe am Jordan hört er die Stimme Gottes, die zu ihm sagt: „Du bist mein lieber Sohn; an dir habe ich Wohlgefallen.  Dich liebe ich.“ Jesus hört Gottes Du; und er antwortet. Er findet dazu sein eigenes Ja. Jesus nimmt die Aufgabe an. „Er nimmt Knechtsgestalt an, wird einem Sklaven gleich“, so werden es die ersten Christen später singen.

Auch Jesus ist der, der nicht laut ruft und seine Stimme nicht durch die Stadt hallen lässt. Sanftheit und Behutsamkeit sind seine Stärke. Hinhören, danach fragen, was der Andere braucht, das gehört zu seinem Programm. Als ein guter Seelsorger fragt er sein Gegenüber: „Was brauchst du? Was willst du, das ich dir tun soll?“ So beginnt er das Gespräch. Und so bringt Jesus sein Licht zu denen, die im Schatten seiner Gesellschaft sitzen: zu den Kranken und zu den Aussätzigen.  Den Blinden bringt er das Augenlicht. Und den Frauen verhilft er zu ihrem Recht:  der gekrümmten Frau. Der Ehebrecherin.  Und der Frau, die aus ihrer sozialen Not heraus ihren Körper verkauft, und die ihm unter Tränen die Füße salbt, weil sie in ihm endlich jemanden findet, der ihr ganzes Leid sieht und sie nicht einfach verurteilt. Jesus ist der Gottesknecht, der die Gewaltlosigkeit durchhält – inmitten eines römischen Machtsystems, das vor Waffen nur so starrt. Er bleibt mit seiner Sanftmut, mit seiner Friedfertigkeit der Zeuge Gottes. Genau darin liegt seine Stärke, seine Überzeugungskraft und seine Wirkung. Jesus gibt sich für die Menschen hin bis in den Tod. Darum schenkt Gott ihm die Auferweckung, und so wird Jesus zum Licht der Völker, zum Licht, das allen Völkern den Weg zu Gott zeigt.

Jesus hat seine Aufgabe erfüllt. Man könnte meinen, nun sei die Sache entschieden und abgeschlossen. Doch die Geschichte der Menschen geht ja weiter. Und schon die ersten Christinnen und Christen sahen, dass in unserer Welt weiterhin Bedarf ist an Menschen, die bereit sind, sich als Knecht oder Magd Gottes zu verstehen. Die Aufgabe, Licht in die Welt zu tragen, bleibt weiterhin bestehen. Der Apostel Paulus und sein Freund Barnabas zum Beispiel wagen, diese Lücke auszufüllen. Und so tragen sie mit der Verkündigung des Evangeliums das Licht Israels zu den Völkern des Mittelmeerraumes weiter. Die ersten Christinnen und Christen waren sich bewusst, dass sie mit Gottes Geist begabt waren und dazu berufen waren, das Licht weiterzutragen, das ihr Leben hell gemacht hatte. „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder“, so hatte Paulus es ihnen ins Stammbuch geschrieben.

Die Aufgabe also, Licht für die Welt zu sein und das Recht aufzurichten, geht für uns weiter. Die Rolle bleibt ausgeschrieben. Und Gott wartet darauf, dass seine Kinder die Rolle annehmen. Gott wartet auf die Hilfe des Menschen, um seinen Plan zu verwirklichen. (So heißt es schon bei dem Profeten Jesaja 63,5: „Ich suchte, aber weit und breit war niemand, der mir helfen wollte. Ich war erstaunt, dass keiner mir beistand.“)

Da kann schnell der Einspruch aufkommen, der sagt: Licht für die Völker zu sein und das Recht aufzurichten auf dieser Erde – das ist eindeutig zu viel für mich. Diese Aufgabe ist für mich zu groß. Damit übernehme ich mich vollkommen. Aber vielleicht ist es schon ganz viel, im Kleinen dabei zu sein, Teil der Bewegung zu sein, mit hineinzufinden in diesen Strom der Menschen, die etwas verändern wollen. Deshalb bin ich z.B. dankbar dafür, wenn ich sehe, dass Menschen da sind, die noch immer einen langen Atem haben, die Geflüchteten im Alltag beistehen und ihnen hindurchhelfen durch das Gestrüpp von behördlichen Anträgen und Anordnungen. Dass faire Waren gekauft werden, die Menschen in Übersee helfen, einen gerechten Lohn zu bekommen, d.h. Gerechtigkeit am eigenen Leib zu erfahren. Oder dass Menschen in unserer schwierigen Zeit ein Licht sind in ihrer Nachbarschaft, indem sie einfach danach fragen, wobei der Nächste, die Nächste Unterstützung braucht. Und dann helfend zur Seite stehen, ohne große Worte zu machen. Ich bin dankbar für alle, die für Aufrichtigkeit, Transparenz und Wahrhaftigkeit eintreten. Ich selbst kann ein Licht sein. „Viele kleine Leute, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten
AA: Du, ewiger Gott, wir loben dich, denn durch deinen Sohn ist das Licht zu uns gekommen. Du begleitest uns durch die Kraft und den Trost deines Heiligen Geistes. So kommen wir mit unserem Dank und mit unseren Bitten zu dir.
SP: Wir danken dir für das Geschenk der Hoffnung, dass es immer wieder hell werden kann für uns und für unsere Welt. Lass dein Licht in uns und in unserer Welt leuchten. Wir bitten dich für uns selbst, dass wir die Hoffnung auf eine gute Zukunft behalten und dass unser Glaube nicht vergeblich ist, sondern durch dich eine immer neue Kraft erhält.
AA: Gib uns die innere Stärke, uns für Gerechtigkeit einzusetzen. Gib uns den Mut, für die Menschen zu sprechen, deren Mund vor Angst verschlossen bleibt, die ausgenutzt werden oder der Willkür und Misshandlungen ausgesetzt sind.
SP: Wir bitten dich, schenke all denen Begleitung, die aus ganz unterschiedlichen Gründen verstört oder verängstigt sind, die nach einem Ziel für sich suchen oder nach einer persönlichen Perspektive.
AA: Wir blicken in diesen Tagen nach Kasachstan und bitten: stärke die Menschen, die sich um Deeskalation bemühen und um eine gewaltfreie Lösung der Konflikte. Wir bitten dich für die Genfer Gespräche, die in diesen Tagen im Blick auf die Ukrainekrise geführt werden: Hilf, dass Kompromisslinien gefunden werden, die dem Frieden dienen und die für alle Seiten tragbar sind.
SP: Bitte für Verstorbene in unserer Gemeinde

Vaterunser

EG  599,1-4

Abkündigungen

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Musik

Gottesdienst an Neujahr 2022 von Pfarrerin Susanne Pieper

Musik
Begrüßung und Votum

Ein neues Jahr hat begonnen. Noch liegt es voller Geheimnisse vor uns. Wir aber gehen zuversichtlich in es hinein; denn wir tragen das Vertrauen in uns, dass einer mit uns geht.

Ich begrüße Sie alle herzlich zu diesem ersten Gottesdienst im Jahr 2022 hier in unserer Dankeskirche! Es ist schön, dass wir ihn gemeinsam feiern können. Im Anschluss an den Gottesdienst heute gibt es die Möglichkeit, sich persönlich für das neue Jahr segnen zu lassen. Dazu wird  sich Pfarrerin Pieper am alten Taufstein einfinden. Sie wird  sich gern für Sie bereithalten und auf Ihren Wunsch nach einem stärkenden Segen eingehen.

Nun grüße ich Sie mit dem biblischen Wort aus dem Hebräerbrief Kap. 13, Vers 13: „Jesus Christus ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit.“

Er ist der Eckstein, der Grund unseres Glaubens. So feiern wir den Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

EG 61,1.2 Hilf, Herr Jesu, lass gelingen

Meditation zu Psalm 121
P: Unsere Augen blicken in die Zukunft. Sie suchen nach dem rechten Weg. Wird Gott bei uns sein, wenn wir den Weg gehen? Wird er uns nahe sein, um uns zu helfen?
G: Unsere Hilfe kommt von ihm, der den Himmel gebogen und die Erde gegründet hat. Bei jedem unserer Schritte ist er uns nahe und bewahrt uns davor zu fallen.
P: Gott schläft und schlummert nicht. Er behütet uns nicht nur am Tage, sondern auch in der Nacht.
G: Schatten spendet er am Tage, dass die Sonne uns nicht sticht, und des Nachts erquickt er Seele und Leib.
P: Gott behüte uns vor allem Bösen, er beschütze unsere Seele, er behüte unser Hinausgehen und unser Heimkommen von nun an bis in Ewigkeit. Amen.

Gebet
Du, unser Gott, Quelle des Lebens, am Anfang dieses neuen Jahres kommen wir zu Dir. Wir bringen mit, was uns bewegt: unsere Unsicherheit, ob es ein gutes Jahr für uns werden wird. Unsere Fragen, ob unser Leben so weitergeht, wie wir es uns wünschen. Unsere Sorgen, ob wir im Frieden und in Freiheit leben werden. Unsere Bedenken, ob wir genug Kraft haben werden für die Zumutungen des Lebens. Wir bitten Dich: Schenke uns Zuversicht und Freude für unseren Weg. Berühre uns durch Deine guten Worte. Wir vertrauen uns Dir an, der Du lebst und Leben schenkst, heute und an jedem neuen Tag, bis in Deine Ewigkeit hinein. Amen.

Lesung: Jesaja 55,6-13

Glaubensbekenntnis

+89 Du bist da, du bist da, bist am Anfang der Zeit

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde, es war erst vor einigen Tagen. Ich war nur kurz einkaufen gegangen, kam nach Hause zurück und steckte den Haustürschlüssel ins Schloss.  Doch nichts tat sich, nichts ging mehr. Er ließ sich nicht mehr drehen. Zum Glück öffnete sich da die Tür von der anderen Seite. Mein Mann hatte es noch geschafft, hineinzukommen. Sogleich rief er den Schlüsselnotdienst an und der kam dann auch bald. „Das hat keinen Zweck mehr,“ sagte der freundliche Mann. „Der Zylinder ist verschlissen. Sie brauchen ein neues Schloss!“  Und so fand dieses Problem glücklicherweise bald eine Lösung.

Vor einer geschlossenen Tür stehen. Jede, jeder von uns kennt das. Wenn auch hoffentlich nicht immer so dramatisch. Eine geschlossene Tür – von der wir hoffen, dass sie sich gleich öffnet. Die Sekunden davor sind erfüllt mit Spannung und Unsicherheit. Was wird mich hinter dieser Tür erwarten? Ich denke z.B. an eine Wohnungsbesichtigung: könnte sich hinter dieser Tür ein neues Zuhause verbergen? Oder die Situation unmittelbar nach einer Prüfung: wie wird es sein, wenn die Tür sich öffnet und ich das Ergebnis erfahre? Oder ein Besuch bei Freunden - ich stehe vor der Tür und frage mich im Stillen: wird es ein schöner gemeinsamer Abend? Wir alle kennen solche Türmomente und wir haben unsere Erfahrungen damit.  An genau diese Erfahrung knüpft Jesus an, wenn er sagt: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Dieses Jesuswort stammt aus dem Johannesevangelium. Es ist die Jahreslosung für dieses neue Jahr 2022. Und in diesem Wort liegt tatsächlich der Kern der christlichen Botschaft. Eine große Einladung liegt darin: „Komm zu mir! Du bist herzlich eingeladen! Ich meine es ernst. Ich warte auf dich und ich freue mich auf dich!“ Und dann das Versprechen: „Ich öffne dir und lasse dich herein, wenn du an meiner Tür anklopfst! Ich weise niemanden ab.“ Vielleicht fragen wir uns, was uns hinter dieser Tür erwartet. Worauf wir uns einstellen können. Es ist das wohl größte Willkommensgeschenk, das es nur geben kann: Jesus will uns die Fülle des Lebens schenken. Und die Teilhabe am Reich seines Vaters, die Teilhabe am Reich Gottes.

Vielleicht ist das für uns erst einmal schwer zu greifen. Aber zeichenhaft lässt sich das Reich Gottes in unserer Welt schon erkennen.  Wenn wir genau hinschauen, können wir schon etwas davon sehen. Denken wir an alle die schönen Momente im vergangenen Jahr, in denen wir Gottes Nähe spüren konnten. Das ist die Chance beim Jahreswechsel, dass wir noch einmal in Ruhe zurückblicken auf das, was alles war, dass wir in unseren Kalendern blättern oder in unseren Tagebüchern und all die Monate noch einmal Revue passieren lassen. Hat es nicht wirklich schöne Zeiten gegeben? Gemeinsame Zeiten mit der Familie oder mit guten Freunden? Ein Tauffest, ein Ehejubiläum, ein Sommerfest, sonnige Urlaubstage am Strand, oder ein Gottesdienst zusammen mit der Gemeinde, der uns ganz besonders berührt hat? Ein Weihnachtsglück?  Erfüllte Momente, glückliche Augenblicke, diamantene Zeiten, von denen die Seele leben kann und die wir weiter in uns tragen werden. Sie füllen unseren Hoffnungstank auf. In ihnen blitzt schon etwas von Gottes Reich auf!

Und dann klafft dagegen doch auch noch die ganze Unvollkommenheit in dieser Welt auf, zu der auch die traurigen Momente gehören. Immer noch hat diese Pandemie unser Leben im Griff, auch wenn wir schon so sehr gehofft hatten, dass sie überwunden sein könnte. Menschen leiden und sind massiv gefährdet. Pflegekräfte kämpfen mit dem Burnout. Schnelltests, PCR–Tests gehören inzwischen zu unserem Alltag. Wir wissen nun zur Genüge, was Impffreude ist, was Impfneid ist, und was Impfangst ist. Wir sehen, dass die Kulturszene immer noch am Boden liegt. Wir hoffen, dass die Türen der Kitas und die Türen der Schulen offengehalten werden können. Und dann sind da die Schicksale aus unserem persönlichen Umfeld:  in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, in der Gemeinde. Nachrichten und Ereignisse, die unser Herz ganz besonders berühren, auch wenn sie nicht in den Medien zu finden sind.

Schöne und traurige Momente. Wir alle können sie wohl aufzählen. Unser Leben hat beide Seiten. Freud und Leid, Licht und Schatten sind zu finden, und sie durchdringen sich gegenseitig. So war es im letzten Jahr, und wahrscheinlich wird es so ähnlich wohl auch im neuen Jahr sein. Schon zeigt sich das Reich Gottes in dieser Welt, und doch müssen wir immer noch mit der Unvollkommenheit in dieser Welt zurechtkommen.  Wenn es nun aber beides gibt, sowohl das Licht als auch den Schatten, sowohl die Schönheit wie die Zerbrechlichkeit, sowohl die wunderbare Musik eines Johann Sebastian Bach oder eines Ludwig van Beethoven wie auch das Virus, dann müssen wir wählen, welcher der beiden Waagschalen wir mehr Gewicht geben wollen. Es liegt in unserer Entscheidung, welcher Seite wir mehr innere Aufmerksamkeit geben. Durch diese letzten zwei Jahre sind wir alle ausgebremst worden. Wir sind gestoppt worden in unserem hektischen und manchmal rasenden Lebensrhythmus. Diese Zeit fordert uns alle heraus. Wir müssen uns ganz neu orientieren, und es gilt, neue Wege zu finden. Neben allem Organisatorischen fordert diese Zeit uns heraus, nach dem zu fragen, was denn eigentlich wesentlich für uns ist. Was wir wirklich brauchen.  Viele von uns sind ins Nachdenken gekommen: welche tieferen Antworten gibt es denn für mich? Von welchen Kraftquellen kann ich denn tatsächlich leben? Was zählt denn noch, was bleibt konstant, wenn so Vieles unsicher geworden ist? Wie kann ich Boden unter die Füße bekommen, wenn ich mit so Vielem konfrontiert bin? Viele Menschen sind jetzt auf der Suche nach einer neuen Spiritualität.

Die Pandemiezeit ist das beherrschende Konfliktfeld unserer Zeit. Und sie birgt für Manche auch die Versuchung in sich, den eigenen Glauben über Bord zu werfen. Vom Glauben her gesehen, geistlich gesehen, ist diese Zeit eine Zeit der Versuchung. Und deshalb ist es umso wichtiger, Gott darum zu bitten, dass er uns seinen guten Geist schenkt -  gerade jetzt. Gottes Geist hilft uns, innerlich zu widerstehen und uns auf die Kräfte zu konzentrieren, die Gott für uns bereithält. Gottes Geist hilft uns dabei, dass wir uns unserer eigenen Würde bewusst bleiben. Und Gottes Geist und der Glaube helfen uns dabei, dass wir das Vertrauen nicht aufgeben, sondern dass wir es neu lernen!

Ich glaube, dass diese neue Jahreslosung deshalb gerade jetzt für uns eine Hilfe ist. Mit ihr können wir hoffnungsvoll in ein neues Jahr gehen. Sie lenkt nämlich unseren Blick auf etwas ganz Wesentliches, auf etwas Entscheidendes für unser Leben. Sie erinnert uns daran, dass wir einen Ansprechpartner haben, ein Gegenüber. Wir sind in dieser Welt nicht allein. Gott ist uns in seinem Sohn Jesus Christus unendlich nah gekommen. Er hat uns in dieser Welt nicht preisgegeben. Er ist zu uns gekommen, auch in das Elend dieser Welt. Er hat sich in seinem Sohn selbst hingegeben, in einer grenzenlosen Liebe zu uns Menschen. Und er will das Gute für uns. Jesus Christus sagt von sich: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Wenn wir uns an ihn wenden, dann wird unser Lebenshunger gestillt. Wenn er eine tiefe Bedeutung für unser Leben gewinnt, dann finden wir die Antwort auf unseren Lebensdurst. Dann finden wir auch die Kraft, um durch die Notzeiten und durch die Wüstenzeiten unseres Lebens hindurchzukommen. Dann erfüllt uns ein tiefes Glück, eine tiefe Zuversicht erfüllt unser Inneres. Er ist nur ein Gebet weit von uns entfernt. Manchmal reicht schon ein Stoßgebet: „Jesus, hilf mir. Sei du einfach bei mir!“ Er wartet auf uns. Er hat ein offenes Ohr für uns. Wir sind mit unseren Anliegen jederzeit bei ihm willkommen. Mir mehr Zeit für ihn nehmen – auch das wäre mal ein Neujahrsvorsatz.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen,“ das ist sein Versprechen. Ich lade Sie ein, nun die Karte in die Hand zu nehmen, die Sie am Eingang zusammen mit dem Liedblatt bekommen haben.

Wir sehen eine junge Frau, wie sie dasteht auf einer Anhöhe. Ihre Arme hat sie weit ausgebreitet, so weit, wie es nur geht. Ich male mir aus, was in ihr vorgeht. Ich male mir aus, was sie gerade erlebt.  Und gebe ihr eine Stimme:

„Ich atme durch. Ich lasse meine Ängste los. Ich lasse das Licht in mich ein. Ich darf heute leben. Ich darf da sein. Jeder Tag ist ein Geschenk an mich. Jeder Morgen ist ein Anfang meiner Zukunft.

Ich bin geliebt. Ich bin willkommen bei Gott. Ich bin willkommen bei seinem Sohn. Ich bin gesegnet.

Diesen Tag heiße ich willkommen. In dieses neue Jahr gehe ich mit Gottes Kraft.“
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Musik

Fürbitten
SP: Willkommen sind wir bei dir, unser Gott. Gesegnet durch deine Liebe. So gehen wir mit Dir in das Jahr 2022.  Wir danken Dir für Deine Begleitung. Wir danken Dir, dass wir mit wirklich allem zu Dir kommen können.

FS: Wir bitten Dich um Zuversicht bei dem, was uns Probleme bereitet. Um Geduld und klaren Verstand inmitten aller Prognosen, die uns erwarten. Wir bitten Dich um Hoffnung und Trost, damit wir auch in schweren Tagen das Licht sehen können.

SP: Sei Du bei allen, die verzagt in dieses neue Jahr gehen. Gib ihnen einen neuen Mut. Stärke alle, die schwer erkrankt sind, durch deine wohltuende Nähe. Lass sie Deine Wärme und Deinen Trost spüren.

FS: Sei Du bei allen, die Brücken des Friedens bauen wollen – innerhalb unserer gespaltenen Gesellschaft, aber in diesen Tagen genauso zwischen Ost und West, zwischen den Machtblöcken. Beschenke sie mit Ausdauer und mit Phantasie. Gib ihren Bemühungen Erfolg.

SP: Wir bitten Dich für unsere Kirche, dass wir unserem Auftrag treu bleiben, auf die Menschen zugehen und ein offenes Ohr für die haben, die uns benötigen. Lass uns Zeugen deiner Liebe und Freude sein. Lass unsere Kirche immer ein Ort der Geborgenheit sein, ein Treffpunkt der Freundschaft und des Zuhause seins.  Wir vertrauen Dir, dass Du auch in diesem neuen Jahr mit uns auf unseren Wegen gehst.
Und gemeinsam beten wir das

Vaterunser

EG 171,1.3.4 Bewahre uns, Gott

Abkündigungen

Ich wünsche Ihnen und Euch allen ein frohes, gesundes und gesegnetes neues Jahr!

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen
Musik

Gottesdienst am 2. Weihnachtstag 2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

Lied: eg 27,1.2.3.6 Lobt Gott ihr Christen alle gleich

Licht scheint auf in der Dunkelheit.
Alte Lieder erklingen.
Glocken läuten.
Augen leuchten.
Wangen glühen.
Engelflügel rascheln.
Ein junger Zweig wächst aus einem alten Stamm.
Es ist Weihnachten.
Wir halten inne.
Wir sind hier miteinander vor Gott.

Gebet
So vieles hat uns müde gemacht in diesem zurückliegenden Jahr.
Wir bringen es zu dir, Gott:
ein langer Weg durch die Pandemie,
Unsicherheit,
Sorge um die Gesundheit,
Neid und Missgunst,
Ungerechtigkeit,
Streit und Krieg,
Flut und Zerstörung,
Gott, erbarme dich!

Zuspruch:
„Aber die auf Gott hoffen, gewinnen neu Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler.
Sie laufen und werden nicht matt, sie gehen und werden nicht müde.“ (Jesaja 40, 31 BigS 2011)

Lass uns die Zeichen Deiner Nähe erfahren:
in den neugeborenen Kindern,
in der Liebe, die wir einander schenken,
im Licht, das Weihnachten unser Haus erleuchtet,
in jedem Geschenk,
im Lächeln.
Du gehst mit uns durch den Wechsel der Zeiten.
Immanuel „Gott mit uns“ ist dein Name.
Amen.

Schriftlesung

Marias Lobgesang Lukas 1,46-56

Da sagte Maria:
»Ich lobe den Herrn aus tiefstem Herzen.
47Alles in mir jubelt vor Freude
über Gott, meinen Retter.
48Denn er wendet sich mir zu,
obwohl ich nur seine unbedeutende Dienerin bin.
Von jetzt an werden mich alle Generationen
glückselig preisen.
49Denn Gott, der mächtig ist, hat Großes an mir getan.
Sein Name ist heilig.
50Er ist barmherzig zu denen, die ihm Ehre erweisen –
von Generation zu Generation.
51Er hebt seinen starken Arm
und fegt die Überheblichen hinweg.
52Er stürzt die Machthaber vom Thron
und hebt die Unbedeutenden empor.
53Er füllt den Hungernden die Hände mit guten Gaben
und schickt die Reichen mit leeren Händen fort.
54Er kommt seinem Diener Israel zu Hilfe
und erinnert sich an seine Barmherzigkeit.
55So hat er es unseren Vorfahren versprochen:
Abraham und seinen Nachkommen für alle Zeit!«
56Maria blieb etwa drei Monate bei Elisabet.
Dann kehrte sie nach Hause zurück.

Glaubensbekenntnis

Lied 32 Zu Bethlehem geboren

Predigt
Weihnachten ist voller Zeichen: Licht scheint in der Dunkelheit. Ein Reis geht auf aus Davids Stamm. In Bethlehem wird ein Kind geboren. Die ersten Christinnen und Christen lasen diese Zeichen in ihrer Hebräischen Bibel, dem Alten, dem Ersten Testament. Sie entdeckten viele Zeichen, die auf Jesus hindeuteten. Sie entdeckten in Jesus den, auf den Israel schon so lange wartete. Besonders die Zeichen des Propheten Jesaja sprachen zu den christlichen Leserinnen und Lesern. Und so entdecken sie: Licht in der Nacht auf den Feldern von Bethlehem, eine junge Frau und ein in Windeln gewickeltes Kind.

Wer heute Weihnachten feiern will, muss auch Zeichen lesen können. Vieles muss freigelegt werden, anderes weggeräumt, um zu den Zeichen vorzudringen, die Gott in diese Welt gelegt hat. Manche Zeichen sagen uns nichts mehr. Oft sind sie mehrdeutig. Sie sind nicht so einfach zu fassen. Ja, es ist, als entglitten sie uns, sobald wir sie festhalten wollen. Andere liegen am Rande unserer Aufmerksamkeit, so dass wir schnell an ihnen vorbeigehen. Denn vieles andere ist heute zu Weihnachten laut und schrill und schiebt sich vor die Zeichen, die Gott setzt.

Der Predigttext für den zweiten Weihnachtstag aus dem Buch des Propheten Jesaja erzählt von solchen weihnachtlichen Zeichen. Sie leuchten heilsam in unsere Wirklichkeit hinein. Ich lese die Verheißung aus dem siebenten Kapitel des Buches Jesaja:

10Gott redete weiter zu Ahas: 11„Fordere dir ein Zeichen von Gott, deiner Gottheit! Unten in der Tiefe fordere es oder oben in der Höhe!“ 12Aber Ahas sagte: „Ich werde nicht fordern, und ich werde Gott nicht versuchen.“ 13Jesaja sagte: „Höre doch, du Haus Davids! Ist es euch nicht genug, Menschen zu ermüden, dass ihr auch noch meine Gottheit ermüdet? 14Deshalb wird euch die Herrschaft selbst ein Zeichen geben: Sieh doch, eine junge Frau ist schwanger, sie wird ein Kind gebären und es ‚Gott-ist-mit-uns‘ nennen.“ (Jes 7,11-14 BigS 2011)

Ahas, der König von Juda, befindet sich in einer politisch schwierigen Situation. Sein Regierungssitz, Jerusalem, steht kurz vor der Belagerung durch feindliche Truppen, deren Führer ihn absetzen wollen. Das sind die politischen Zeichen der Zeit: klar, eindeutig und bedrohlich. Da muss gehandelt werden. Der König weiß das und steht mit dem Rücken zur Wand. Der Feind kann jeden Tag vor den Toren der Stadt stehen. Er ist klein. Seine Feinde sind riesig. Ja, wenn Gott doch ein Zeichen geben würde! Doch auch das Vertrauen des Königs ist klein und seine Furcht riesig. „Ich werde nicht fordern, und ich werde Gott nicht versuchen.“ (Jes 7,12 BigS 2011) Er traut sich nicht, Gott um ein Zeichen zu bitten. Der König fürchtet nicht, dass das Zeichen ausbleibt, sondern er fürchtet, dass das Zeichen in eine Richtung weist, in die er nicht gehen will. Er will sich von dem Propheten und von Gott nicht reinreden lassen. (Vgl. Nico ter Linden, Es wird erzählt…, Bd. 4 Von den Visionen und Verkündigungen der Propheten, Gütersloh 2002, 24) Der Prophet Jesaja hält dagegen: „Deine Skepsis macht mich müde, dein Unglaube lähmt das ganze Volk. Mach deinen Gott nicht müde“, schimpft er. „Gott wird dir trotzdem ein Zeichen geben: Eine junge Frau ist schwanger und bringt ein Kind zur Welt! Das ist dein Zeichen!“

Ein Kind? Ja, du lieber Himmel. Kinder werden jeden Tag geboren. Vielleicht war König Ahas enttäuscht. Ein Kind!? In der Gefahr eines Krieges. Ein Kind!? Mit einem Kind geht das Leben weiter. Es ist ein Neuanfang, ein Lebenszeichen. Auch wenn jetzt der Feind vor den Toren der Stadt steht, wird es immer Menschen geben, die dort wohnen. Es werden noch Kinder geboren. Das Leben ist stärker als der Tod. Es gibt Hoffnung.

Das Zeichen ist größer, als es auf den ersten Blick erscheint. Es gilt nicht nur für den Moment. Es wird zum Hoffnungszeichen vieler Generationen. Israel hält an dieser Hoffnung fest. Es hält die Hoffnung lebendig. Viele Jahrhunderte später hören die Hirtinnen und Hirten es erneut auf den Feldern von Bethlehem. „Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ (Lk 2,12 Luther 2017) Es hat mich schon immer gewundert, dass sich die Hirtinnen und Hirten ohne Widerspruch aufgrund dieser wenigen Worte auf den Weg gemacht haben. Doch die alte Hoffnung von einem Kind war in ihnen lebendig. Ihnen reichte dieses Zeichen. Sie verstanden es sofort.

Oft sehnen wir uns nach einem Zeichen für unser eigenes Leben als Entscheidungshilfe. „Gott, gib mir ein Zeichen!“ Um den richtigen Weg zu finden, um an einer Hoffnung festzuhalten, um eine Krankheit durchzustehen oder eine Erfahrung zu verarbeiten. „Gib mir ein Zeichen!“ Vielleicht wäre uns etwas Übersinnliches, Großes lieber: ein himmlischer Engelchor, ein Naturwunder, eine Himmelserscheinung? Doch zum Zeichen wird dies alles nicht. Erst das Kind in Windeln gewickelt in einer Krippe wird zum Zeichen. Das Alltägliche wird zum Zeichen. Leicht können wir daran vorbeigehen. Der Stall liegt am Rand. Er ist zugig und unbequem. Es ist kein schöner Ort. Die zahlreichen bunten Weihnachtsmänner mit großen Einkaufstüten voller Geschenke sehen viel einladender aus.

„Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ (Lk 2,12 Luther 2017) Tragen nicht alle Kinder Windeln, frage ich mich. Was ist das für ein unspezifisches Zeichen? Zum Glück liegen die meisten Kinder in einem Bettchen und nicht in einer Futterkrippe. Doch arme und heimatlose Kinder gibt es genug. Das Bild eines Säuglings, gerettet vom Rücken seiner Mutter aus dem Mittelmeer, ging im Mai 2021 um die Welt. Ist dieses eine Kind von Maria und Josef überhaupt von den anderen Kindern zu unterscheiden? Oder soll es ihnen vielmehr zum Verwechseln ähnlich sein? „Gott-ist-mit-uns“ (Jes 7,14 BigS 2011) soll es heißen „Gott in uns!“ „Gott so wie wir?“

Ein Zeichen ist ein Zeichen, nicht das Ganze. Das Leben bleibt mehrdeutig. Nicht alle sehen in ihm dasselbe. Aber mit Gottes Zeichen bleibt die Welt verheißungsvoll. In ihr gibt es mehr als das, was auf den ersten Blick zu erkennen ist. In allem, auch im Unscheinbaren, kann Gottes Wirklichkeit aufscheinen. Selbst das Kleinste kann zum Zeichen werden. Ebenso muss nichts, auch nicht das Riesige, ein Zeichen für Gott sein.

Versuchen wir mit den Zeichen von Weihnachten unsere Wirklichkeit zu lesen. Die Zeichen können uns hellsichtiger machen für unsere Welt. Vielleicht so: Das Licht von Weihnachten wendet den Blick weg von der persönlichen Dunkelheit. Selbst an den dunkelsten Tagen des Jahres können wir in den Lichterglanz der Kerzen am Weihnachtsbaum schauen. Ich muss nicht nur den Mangel sehen, sondern darf mich zur Fülle hinwenden.

Denn selbst in den Zweigen der kahlen Bäume, die äußerlich tot scheinen, pulsiert das Leben. Der Lebensstrom ist stärker. Die Natur lebt es uns vor. Im Winter erscheint alles leblos. Doch der Frühling wird das Leben zurückbringen. Gewiss!

Eine junge Frau mit Kind findet sich in vielen christlichen Kirchen. Kirchen tragen ihren Namen: St. Marien. Das Kind und die junge Frau sind in der Christenheit ein weit verbreitetes Hoffnungs- und Trostbild. Ungezählte Statuen und Bilder zeigen Maria und das Kind. Vor ihnen wird gebetet. Hier schütten Menschen ihr Herz aus, weinen und lachen und zünden Kerzen an. Die junge Frau und ihr Kind verströmen eine besondere Kraft. Was für ein Zeichen! Ein Zeichen voll Schönheit, Innerlichkeit, Liebe, Fürsorge und Zukunft.

Maria und Immanuel. Immanuel heißt das Kind: „Gott mit uns.“ In jedem Kind, das geboren wird, liegt das Versprechen: Gott mit uns. Im Kleinen, Hilflosen: Gott mit uns. Im Unfertigen: Gott mit uns. Selbst im Scheitern: Gott mit uns. Auch an diesem Weihnachtstag: Gott mit uns.
Amen.

Lied 49

Fürbitten
Du bringst Licht in unsere Nacht, Gott.
Lass auch uns licht werden, damit andere in uns erkennen,
wie Du Glanz in diese Welt bringst.

Du gehst auf wie ein Reis aus einem alten Stamm.
Lass uns dort die Hoffnung nicht verlieren, wo alles leblos erscheint.
An unserer Hoffnung auf Frieden lass uns festhalten.
Wir bitten dich um Versöhnung zwischen Menschen Israels und Palästina....
Zeige Wege zu einer friedlichen Lösung.

Du wirst in Bethlehem am Rande der Weltgeschichte geboren.
Lass auch uns das Kleine und Unscheinbare nicht übersehen.
Öffne unsere Augen für deine Zeichen und Wunder.

Du bringst durch eine junge Frau ein Kind zur Welt.
Sei bei denen, die ungewohnte Wege gehen,
die sich für Unerwartetes öffnen und in denen Neues entsteht.
Allen schutzlosen Kindern dieser Welt sei nah.

Du kommst als Kind zu uns und reißt alle Barrieren nieder,
die Menschen errichten können zwischen Arm und Reich,
zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Jung und Alt.
Mach auch uns zu Zeuginnen deiner grenzenlosen Liebe.

Mit den Worten Jesu beten wir: Vater unser

Vaterunser

Abkündigungen

Lied 45

Segen

Musik zum Ausgang: O du fröhliche  44

Christvesper an Heiligabend 2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung und Votum
Die Glocken haben uns hergerufen. Die Lichter am Weihnachtsbaum öffnen uns das Herz. Und die Musik schließt unsere Seele auf. Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst an diesem Heiligen Abend!

Wir schön, dass wir uns heute und hier gemeinsam auf das Fest der Geburt Christi einstimmen können! So hören wir die Botschaft des Engels: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“
Wir feiern Gottesdienst. Gott ist der Schöpfer unseres Lebens. Jesus, sein Kind, wurde Mensch, voller Liebe und Wahrheit. Und Gottes Geist nährt unsere Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt.

Lied:  45, 1+3+4 Herbei, o ihr Gläubigen

Gebet
Guter, barmherziger Gott, heute an diesem Heiligen Abend komme ich zu dir.
 Angestrengt, müde, erwartungsvoll. Hilf mir, alles abzulegen, was ich mitbringe. Loszulassen, was mich beschwert. Ruhig zu werden und mich zu spüren mit meinem Atem, mit meinen Gefühlen, mit meinen Sorgen und Hoffnungen. Lass mich ein paar Atemzüge lang zur Ruhe kommen.
Erfülle du mein Herz mit deinem Licht.  Und erfülle meinen Geist mit deinem Wort. Das bitte ich dich im Namen deines Sohnes, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und wirkt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Lesung: Lukas 2, 1-7

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Lied: 30, 1 Es ist ein Ros entsprungen

Lesung: Lukas 2, 8-14

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und
Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Lied: 54, 1+3 Hört der Engel helle Lieder

Lesung: Lukas 2, 15-20

Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Lied: 37, 1+3 Ich steh an deiner Krippen hier

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde, heute am Heiligabend,
beim Profeten Micha im 5. Kapitel finden wir den Predigttext dieses Tages. Dort schreibt er: „Zu Bethlehem im Gebiet Efrat spricht der Herr: ‚Du bist zwar eine der kleinsten Städte in Juda, doch aus dir wird der kommen, der das Volk Israel in meinem Namen führen wird. Sein Ursprung liegt weit zurück, er ist von Ewigkeit her. So wie ein Hirte seine Herde weidet, so wird der neue König regieren. Er wird auftreten in der Kraft Gottes, und in der Macht des Herrn. Dann wird das Volk in Sicherheit wohnen, denn seine Macht reicht, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.‘“

Was kann denn aus Bethlehem schon Großes kommen? So fragten wohl die Zeitgenossen des Profeten. Aber die Größe einer Stadt allein hat eben keine besondere Aussagekraft. „Was kann denn aus Mainz schon Großes kommen?“ diese Frage haben zwei Menschen im Laufe ihrer wissenschaftlichen Karriere immer wieder gehört. Vor einigen Monaten wurden sie vom Bundespräsidenten Frank–Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Ich meine Frau Dr. Özlem Türeci und Herrn Prof. Ugur Sahin. Schon vor einigen Jahren hatten die beiden davon gesprochen, man könne die Boten-RNA-Technologie nutzen, um im Falle einer Pandemie schnell einen Impfstoff zu entwickeln. Und in diesem Jahr war es nun tatsächlich soweit. Und wie notwendig war das - im wahrsten Sinne des Wortes! „Lichtgeschwindigkeit“ nannten die beiden ihr Projekt und entwickelten einen überaus wirksamen Impfstoff. Und als der Bundespräsident den beiden den Orden verlieh, da zitierte er den Schriftsteller Oscar Wilde, der einmal gesagt hatte: “Die Zukunft gehört denen, die die Möglichkeiten erkennen, bevor sie offensichtlich werden.“ Die Beiden aus Mainz hatten genau das erkannt: die neuen Möglichkeiten – und so gab und gibt es einen Weg, der Katastrophe noch einmal zu entrinnen. Gott sei Dank, und ihnen sei Dank. Wie sehr kann aus Mainz Großes kommen!

Wenn wir heute zweitausend Jahre zurückgehen, wenn wir an diesem Tag zurückgehen an den Startpunkt unserer Zeitrechnung, so gibt es da eine ganz ähnliche Frage: Was kann denn aus Bethlehem schon Großes kommen? In diesem kleinen, verschlafenen Nest am Rande der großen, weiten Welt, da wird ein Kind geboren. Ohne warmes Kinderbettchen, ohne medizinische Versorgung und ohne eine Hebamme. In billigste Windeln gewickelt und hineingelegt in einen Futtertrog mit Stroh, weil es gerade nichts Anderes für das Kind gibt und weil das einfach für diesen Moment eine kreative Lösung ist. Weihnachten lehrt uns, noch einmal ganz genau hinzuschauen: es lehrt uns, gerade im Kleinen das Großartige zu sehen. Im Unscheinbaren das Besondere. Und im Randständigen das Einmalige. So kommt der Himmel auf die Erde. So kommt Gott zu den Menschen. Ausgesprochen leicht zu übersehen. So kommt Gott zu den Menschen. Kaum zu glauben und doch wahr.

Und dann ist da ein Engel. Er steht vor den Hirten auf dem Feld und richtet ihnen Gottes Nachricht aus: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Und dann öffnet sich der Himmel und viele Gottesboten kommen mit dazu, die Gott loben mit den Worten: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

„Fürchtet euch nicht!“ Diese Weihnachtsbotschaft des Engels ist hochaktuell. Gab es nicht in diesem Jahr verschiedenste Gründe, Furcht oder zumindest eine gewisse Unruhe zu entwickeln? Ich habe die unterschiedlichsten Schlagzeilen vor Augen. Ich denke an die Menschen im Ahrtal und an der Erft, die so Vieles verloren haben. An die Folgen der Klimakrise, die da deutlich geworden sind, so dicht vor unserer Haustür. Ich denke an das Elend in Afghanistan, an die Unterdrückung derer, die für die Menschenrechte, für die Grundrechte der Frauen eintreten, und an die Unterernährung der Kinder. Ich denke an die Geflüchteten an den Grenzen Europas, die ohne Obdach sind und ohne Versorgung. Und an weltpolitische Entwicklungen, die unruhig machen. Da klingt das „Fürchtet euch nicht!“ des Engels schon waghalsig und fast so, als wäre es nicht von dieser Welt.

Und dann ist es ja auch so, dass wir gerade an den Weihnachtstagen eine ganz besondere Sehnsucht nach Frieden haben, nach Ruhe und Geborgenheit. Gerade in dieser Zeit wünsche ich mir, dass die Welt für ein paar Tage in Ordnung sein soll. Mit einem guten Essen, mit Geschenken, mit der Familie und einem friedlichen und fröhlichen Beisammensein. Wenigstens ein paar Tage heile Welt! Aber vielleicht ist das mit dem Weihnachtsfest und mit der Weihnachtsbotschaft doch noch mal eine Runde anders. Vielleicht setzt die Weihnachtsbotschaft des Engels doch noch einmal tiefer an. So, dass Gott in eine Welt hineinkommt, die gerade nicht heil ist. Und auf diese Welt mit einer Botschaft reagiert, die gerade deshalb heißt: „Fürchtet euch nicht!“ Wenn diese Welt heil wäre, so bräuchte sie keinen Retter.  Gott aber sendet seinen Sohn gerade deshalb, weil diese Welt so ist, wie sie ist. Er kommt mitten hinein in diese „nicht heile“ Welt. Er wartet nicht, bis alles schön ist, aufgeräumt, fertig geschmückt und perfekt aussieht. Er nimmt die Welt so, wie sie ist und will bei ihr sein. Das Zeichen, das der Engel nennt, ist: „Ein Kind. In Windeln gewickelt. Und in einem Futtertrog.“ Der König des Himmels und der Erde kommt nicht mit Pomp, in einen Palast und in Windeln mit Auslaufschutz. Ja, es ist fast so, dass man ihn eben nicht sofort als Gott erkennt. Da muss der Engel schon genau sagen, wo und wie die Hirten ihn finden. So einfach, so normal und unauffällig ist er. Klein und arm. Völlig bedürftig und angewiesen auf die Liebe der Menschen. Und uns genau damit so nah.

Könnte das der Schlüssel von Weihnachten sein? Könnte es sein, dass Gott uns genau mit diesem bedürftigen kleinen Geschöpf anrühren möchte? Unsere besten Seiten, die in uns stecken? Könnte es sein, dass er die Saite der Zärtlichkeit anrühren möchte, die in uns steckt, und sie neu zum Klingen bringen möchte? Die Saite der Barmherzigkeit und des tiefen Mitgefühls, die wir ja auch in uns haben? Und die wir sonst im Alltag und in der Kälte unserer verdrängenden Ellenbogengesellschaft öfter einfach mal übertönen oder ignorieren? Könnte es sein, dass Gott gerade deshalb als kleiner Mensch zu uns kommt, damit wir es neu und wieder lernen, menschlich und menschlicher auf dieser Welt miteinander umzugehen und füreinander Sorge zu tragen?  Das wäre doch ein genialer Gedanke.

Am Heiligen Abend danken wir Gott dafür, dass er uns Menschen so nahekommt wie es nur geht. Gott bleibt nicht im Himmel, in seiner heilen und vollkommenen Welt. Er kommt zu uns, mitten in unsere Welt, die manchmal zum Fürchten ist. Kommt uns nahe und tritt an unsere Seite. Und sagt zu jeder und zu jedem von uns: „Ich bin da. An deiner Seite. Du bist nicht allein in deiner Dunkelheit. In der Ungewissheit von Morgen, in deinen Fragen und Unsicherheiten. Ich bin da. Hab keine Angst.“

Gott mitten unter uns. Darum taucht nach den Worten des einen Engels in der Geschichte ein ganzer Chor auf. Der lobt Gott und singt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens.“ Diese Welt und die Menschen auf ihr sind Gott nicht egal. Auch wenn wir es manchmal so denken. Gott will den Frieden für diese Welt. Und dann denke ich manchmal, vielleicht gibt es einen ganz tiefen Zusammenhang zwischen dem „Ehre sei Gott in der Höhe“ und dem „Frieden auf Erden“. Es könnte doch sein, dass gerade in dem Maße, wie wir es lernen, Gott die Ehre zu geben und ihn zu loben, wir wohltuend von uns selbst absehen lernen. Ihn ins Zentrum stellen, uns auf ihn, die Mitte unserer menschlichen Gemeinschaft, konzentrieren, auf ihn blicken.

Auf diesem Wege werden wir uns und unsere Mitmenschen anders anschauen: werden unsere eigenen Bedürfnisse und die unserer Nächsten in ein neues Verhältnis kommen, werden wir neu und anders verstehen, was Gerechtigkeit bedeutet und Frieden zwischen einander. Das gemeinsame Lob Gottes, die Konzentration auf ihn als die gemeinsame Mitte unseres Lebens und das gemeinsame Fragen danach, was sein Wille für uns ist, all das kann zum Frieden unter uns führen. Da entsteht ein Raum des Friedens in uns. Und da entsteht ein Raum des Friedens zwischen uns. Wir erleben das ja schon, wenn wir miteinander singen und Gott in unserer Mitte feiern, uns gemeinsam auf ihn ausrichten. In dieser Haltung können wir uns auch aus jedem Zimmer, aus jeder Wohnung und aus jedem Haus gemeinsam auf den Weg machen, um für eine gerechtere und friedvollere Welt zu arbeiten und einzutreten. Darum:  was sollten wir anderes tun, als heute unseren Gott zu loben!

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten
Du, Gott, willst uns nahe sein. Wir bitten dich:  stille unsere Sehnsucht nach Heil und Leben, nach Frieden und Geborgenheit.

Wir legen dir die Menschen ans Herz, die uns anvertraut sind, in den Familien und in der Gemeinde, in der Nähe und in der Ferne.

Wir legen dir die Menschen ans Herz, die anderen Geborgenheit und Sicherheit geben. Die, die sanftmütig sind und lieben, die, die heilen und pflegen, die, die ihre Kräfte hingeben, die, die andere begleiten in den Krankenhäusern und in den Heimen, in den Flüchtlingsunterkünften und den Schutzräumen.

Wir legen dir die Menschen ans Herz, die für Gerechtigkeit, Wertschätzung und Teilhabe kämpfen. In den Frauenhäusern und den Kinderheimen, in den Schulen und in den Wohnstätten für behinderte und kranke Menschen.

Wir legen dir die Menschen ans Herz, deren Welt zerbrochen ist durch die Pandemie, durch Kriege und Stürme, die sehnsüchtig um ihre Zukunft bangen.

Wir legen dir alle ans Herz, deren Herz voller Trauer ist. Stärke sie, tröste sie, lass sie ein neues Licht sehen.

Wir bitten für uns alle, dass wir dir und deinen Verheißungen neu vertrauen. Dass wir Gutes beitragen zu dem, was in unserer Macht steht und uns von dir schenken lassen, was du für uns bereithältst. Mit dir, Gott, fängt alles an: Zeit und Ewigkeit, Leben und Hoffen, Lieben und Vertrauen. Lass auch uns mit dir neu anfangen. Lass uns im Schimmer, im Licht und in der Freude der Heiligen Nacht leben, so wie du es für uns willst. Und gemeinsam beten wir das

Vaterunser

Abkündigungen

Segen
Ich wünsche euch und Ihnen allen ein frohes, ein erfülltes und gesegnetes Weihnachtsfest! Und wir alle gehen in diesen Abend mit dem guten Segen unseres Gottes:
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.  Amen.

Lied: 44, 1-3 O du fröhliche

Gottesdienst am 4. Advent 2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
Herzlich willkommen …
Die Welt verwandelt sich im Advent Gottes: Krummes wird gerade; Hohes niedrig, Traurige werden fröhlich; und Erniedrigte werden erhöht. Das löst Verwunderung und Freude aus. Das sehen wir auf dem Altarbild aus Bad Wildungen- Die Szene in der die junge Maria erfährt, dass sie einen Sohn gebären wird. Sie ist hier als kluge Frau in ihrem Studierzimmer dargestellt. Und das hören wir bald in der Geburtsgeschichte von den Hirten auf dem Feld.
Die Freude, von der da überall die Rede ist, kommt es der engen Berührung mit dem Heiligen. Sie soll auch in uns aufleuchten, und von ihr wollen wir zuletzt auch ein Lied singen.

Votum

Aus Psalm 102
 
13Du aber, Herr, bleibst ewiglich
und dein Name für und für.
14Du wollest dich aufmachen und über Zion erbarmen;
denn es ist Zeit, dass du ihm gnädig seist, und die Stunde ist gekommen
16dass die Völker den Namen des Herrn fürchten
und alle Könige auf Erden deine Herrlichkeit,
17wenn der Herr Zion wieder baut
und erscheint in seiner Herrlichkeit.
18Er wendet sich zum Gebet der Verlassenen
und verschmäht ihr Gebet nicht.
20Denn er schaut von seiner heiligen Höhe,
der Herr sieht vom Himmel auf die Erde,
21dass er das Seufzen der Gefangenen höre
und losmache die Kinder des Todes,
22dass sie in Zion verkünden den Namen des Herrn
und sein Lob in Jerusalem,
23wenn die Völker zusammenkommen
und die Königreiche, dem Herrn zu dienen.

Eingangsgebet
Ganz nah bist du uns, Gott:
In deinem Wort: das baut uns auf.
In deiner Treue: sie hält uns fest, wenn wir resignieren.
In deiner Güte: die umgibt uns, wenn wir an die zweifeln.
Nah, ganz nah bist du uns, Gott:
Im Blick des Verstehens;
Im guten Wort, das man uns gibt.
Nah, ganz nah bist du uns, Gott:
Deshalb stimmen wir ein in den Ruf des Paulus:
„Freuet euch in Gott allewege; und abermals sage ich:
Freuet euch! Denn Gott ist nahe.

Lk 1, 26 – 38 Die Ankündigung der Geburt Jesu
26Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, 27zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. 28Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? 30Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. 31Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. 32Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, 33und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.

34Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? 35Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. 36Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat, sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. 37Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
38Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

Glaubensbekenntnis

Lied
Es kommt ein Schiff geladen

1. Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein’ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.

2. Das Schiff geht still im Triebe, es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.

3. Der Anker haft’ auf Erden, da ist das Schiff am Land.
Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.

4. Zu Bethlehem geboren im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren; gelobet muss es sein.

Text: Daniel Sudermann nach einem älteren Marienlied 1626

Predigt
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,
Edward VIII. war elf Monate lang König von England und Kaiser von Indien. Schon bevor er auf den Thron kam führte er ein freies und liberales Leben im konservativen England. Als er dann eine zweimal geschiedene Amerikanerin heiraten wollte, brachte er das Fass zum überlaufen. Staat und englische Kirche haben ihn vor die Alternative gestellt: Thron oder Liebe. Und so dankte Edward VIII. ab, noch bevor er gekrönt worden war. Denn er entschied sich für die Liebe.
Auch Gott folgt immer wieder seiner großen Liebe, dem Volk Israel und seinen Menschen. Von diesem Bund konnte ihn nichts abbringen, denn Gott ist stur und beharrlich. So brachte er einen Engel auf den Weg zu Zacharias und hielt zu Elisabeth. Eine uralte Frau, der ihr ganzes Leben lang ihr Kinderwunsch versagt geblieben war. Nun sollte er ihr erfüllt werden: besser ganz spät als überhaupt nicht.

Die Nachbarschaft wird tuscheln: „Das ist nun aber wirklich unpassend für solch eine alte Frau.“ Aber ein zu spät gibt es bei Gott nicht. „Das ist unmöglich“, sagen alle. Aber Gott steigt von seinem Thron und wendet sich seinen Menschen zu. Zacharias, ihr Mann, verstummt von einem Tag auf den anderen, und der alten Frau glänzen die Augen, erfüllt von diesem späten Glück.
Dann erwählt Gott Maria. Die ist nicht zu alt, sondern zu jung. Wieder geht das Getuschle los: „Viel zu jung für ein Kind.“ „Das arme Ding!“ „Wo ist überhaupt der Mann dazu?“ Ihr wachsender Bauch und ihr kämpferisches Lächeln werden unübersehbar. Die junge Mutter, für unsere Vorstellungen noch kindlich, ahnt, dass nichts bleibt wie es ist.

„Was ist denn hier los“?“, fragen sich alle, die davon hören. Dahinter steht die Ahnung davon, dass Gott noch einmal neu beginnt. Er setzt eine zunächst alle verwirrende Zäsur mitten in die Weltgeschichte. Er beginnt neu: mit einer greisen Frau und einem jungen Mädchen, einer Jugendlichen.
Gott trifft eine ungewöhnliche Entscheidung. Er verzichtet auf alles Majestätische. Es ist wie der Verzicht auf eine Krone. Als bekäme stattdessen jeder eine Krone von ihm. Denn er sendet seinen Engel zuerst zu Elisabeth und dann zu Maria. Und schließlich auch zu Dir und mir. Und auch unsere Nachbarn hätten einiges zu tuscheln. Gerade jetzt, um Weihnachten.
Vor lauter Freude singt Maria ein Lied. Darin ein Satz, der ihr Erleben zusammenfasst: „Gott stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“ So erlebt sie es selbst. So soll es mit Gott in Zukunft sein.

Mit dem Überraschenden zu rechnen – dafür ist wohl der Advent eine gute Zeit. Ein überraschender Besuch. Eine überraschende Fahrt. Ein überraschender Wechsel, ein bevorstehender Umzug. Doch noch einmal neu anfangen. Die Lust am Neuen fühlen dürfen. Das Seniorenheim – eigentlich eine Endstation, wird für die beiden zu einem neuen Beginn. Beide waren zu Hause lange Zeit alleine gewesen. Jetzt haben sie sich gefunden und Spaß miteinander und aneinander, soviel zu erzählen. „Skandal“, flüstern die Nachbarn im Haus. „Die haben‘s gut“, die Neidischen. Die Kinder beider Seiten machen sich Sorgen. Die beiden aber leben auf und fühlen sich plötzlich jünger denn je.
„Du bist doch noch viel zu jung“, sagt die Mutter. Sie würde es anders machen, sie hat es anders gemacht. Aber die Tochter hat nur geschwiegen. Jetzt sieht man es ihr an, sie ist schwanger. Dabei ist sie kaum 18 Jahre alt. „Musste das sein?“, denkt die Mutter, fragt die Mutter. „Mama, ich schaffe das“, hört sie ihre Tochter sagen, „auch alleine!“ Die Mutter spürt, die Tochter hat Kraft, Mut und Entschlossenheit. Das Kind wird es bei der jungen Mutter guthaben. Warum sollte sie etwas dagegen sagen?

„Was ist denn hier los?“ Da ist auf einmal etwas anders geworden. Advent und Weihnachten verändert die Welt, außen und innen. Da stehen Buden vor der Kirche und im Park. Da hängen Sterne im Fenster, es stehen Kränze auf dem Tisch und bald Bäume im Zimmer. Und Gott krönt unser Leben und schickt seine Engel los.
Er sendet sie zu Menschen, die auf den ersten Blick gar nicht geeignet sind: Zu alt; zu jung; zu doof; zu wenig fromm; zu politisch; zu krank. Es fallen immer Gründe ein, warum etwas gerade nicht geht: Keine Zeit; zu wenig Geld; das Risiko viel zu groß; unmöglich. Aber Gott hält es nicht auf seinem Thron, er setzt alles in Bewegung, um zu uns zu kommen. Elisabeth ist eindeutig zu alt, das ist fern jeglicher Diskussion und Vernunft. Maria ist skandalös jung für eine Schwangerschaft. Aber genau durch diese Frauen wirkt Gott.
Wenn wir nun Weihnachten vorbereiten, dann wird das perfekte Leben vom Thron gestoßen. Dann wird das Runde eckig, das Eckige rund, das Bergige eben und das Ebene steil. Auch für die kommenden Wochen bleibt das so. Gottes Boten sind unterwegs und legen uns ein überraschtes „Was ist denn hier los?“ auf unsere Lippen.

Nach seinem Thronverzicht führte Edward VIII: ein unstetes Leben. Er reiste dauernd, lebte in Frankreich und den USA, hatten selten noch Kontakt zu seiner Familie. Reich und unzufrieden hoffte er auf den Sieg der Nazis. Gut vielleicht, dass er den Thron verlassen hatte. Königliche Irrtümer und Fehler sind nicht ausgeschlossen. Das sind alles auch nur Menschen.
Gott ist geblieben. Er ist im Amt. Und er bietet und im Advent viel Gelegenheit, über ihn zu tuscheln. Denn er nimmt Menschen in seinen Dienst, Frauen im hohen Alter und die ganz jungen. Männer, die verstummen, wenn sie dem ersten Engel ihres Lebens begegnen. Mütter und Väter, die von der Vorfreude ihrer Kinder auf Weihnachten überfordert sind. Die alleine sind in ihren Wohnungen und auf unsere Hilfe angewiesen. Die in den Ruinen ihrer Häuser sitzen und trotzdem Weihnachten feiern. Alle sind in Gottes Namen unterwegs, und manche auch auf uns angewiesen.
Gott will sich nicht zurückziehen. Aber er will es anders machen, als wir es gewohnt sind und von ihm erwarten. „Was ist denn hier los?“, fragen wir uns da, und der Engel hat eine Botschaft für uns.

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX. Amen

Lied
Lobt den Herrn

1. Lobt den Herrn, lobt den Herrn, unter uns erblüht sein Stern.
Lobt den Herrn, lobt den Herrn, unter uns erblüht sein Stern.
Er will uns zu Hilfe kommen, und er ist uns täglich nah;
er kommt nicht nur zu den Frommen, er ist für uns alle da.

2. Lobt den Herrn, lobt den Herrn, er ist nicht mehr hoch und fern.
Lobt den Herrn, lobt den Herrn, er ist nicht mehr hoch und fern.
Er hat allen Glanz verlassen, der ihn von den Menschen trennt,
er geht jetzt durch unsre Straßen, wartet, dass man ihn erkennt.

3. Lobt den Herrn, lobt den Herrn, er hat seine Menschen gern.
Lobt den Herrn, lobt den Herrn, er hat seine Menschen gern.
Hast du ihn noch nicht getroffen? Wird dir nicht sein Wort gesagt?
Halte deine Türen offen, denn er hat nach dir gefragt.

Text: Gerhard Valentin 1973; Melodie: aus Israel

Gebet
Deinen Engel sende, guter Gott,
dass er die Schwachen kröne mit Stärke,
die Strauchelnden mit festem Gang,
die am Boden sind mit neuer Kraft.
Deinen Engel sende,
dass wir uns erheben und dich preisen,
mit unseren Worten und mit unseren Taten.

Bring deine Boten auf den Weg, unser Gott,
lass sie deine Wunder preisen.
Das Wort vom Mut; die Tat der Liebe; Gedanken des Friedens
schenke uns ins Ohr und in den Verstand.
Spare nicht mit Überraschungen,
lass uns staunen über deine neuen Wege.

Die Stunde der Vergebung,
der Augenblick des Aufbruchs,
Gedanken voller Gnade,
lege uns bereit in unser Tun und Lassen.
Kröne unser Leben mit deinem Wort,
lass es wirken in deiner ganzen Schöpfung.

Die Tage des Festes,
die Begegnung mit Christus,
die Suche nach den Nächsten -
bereite uns durch deinen Engel und deine Zeichen.
Amen

Vater Unser

Schlusslied
Nun jauchzet, all ihr Frommen

1. Nun jauchzet, all ihr Frommen, zu dieser Gnadenzeit,
weil unser Heil ist kommen, der Herr der Herrlichkeit,
zwar ohne stolze Pracht, doch mächtig, zu verheeren
und gänzlich zu zerstören des Teufels Reich und Macht.

5. Ihr Armen und Elenden zu dieser bösen Zeit,
die ihr an allen Enden müsst haben Angst und Leid,
seid dennoch wohlgemut, lasst eure Lieder klingen,
dem König Lob zu singen, der ist eu’r höchstes Gut.

6. Er wird nun bald erscheinen in seiner Herrlichkeit
und all eu’r Klag und Weinen verwandeln ganz in Freud.
Er ist’s, der helfen kann; halt’ eure Lampen fertig
und seid stets sein gewärtig, er ist schon auf der Bahn.

Text: Michael Schirmer 1640 Melodie: Johann Crüger 1640

Abkündigungen

Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 3. Advent 2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Konfis zünden die Kerzen am Adventskranz an.
Jesaja schreibt: Und sie schmieden Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert und übt nicht mehr den Krieg.

Begrüßung mit Votum

"Bereitet dem HERRN den Weg; denn siehe, der HERR kommt gewaltig." | Jes 40,3.10

MEDITATION zu Psalm 85
Wende dich zu uns, Gott,
und schenke uns dein Heil!
Lass uns doch hören und glauben,
was dein Wort uns verheißt,
dass du Frieden zusagst deinem Volk
und denen, die an dich glauben;
dass deine Hilfe nahe ist, allen, die dich fürchten;
dass Wahrhaftigkeit wieder einzieht in unser Land;
dass Güte und Treue sich begegnen,
Gerechtigkeit und Frieden sich küssen;
dass Vertrauen wächst
und Gerechtigkeit sich vom Himmel zu uns neigt;
dass du uns Gutes tust
und reiche Frucht hervorbringen lässt;
dass Friede sich ausbreitet,
wenn du kommst, um bei uns zu wohnen.
Wende dich zu uns, Gott,
und schenke uns dein Heil!

GEBET
Komm du uns nahe, guter Gott.
Komm mit deinem Frieden
in unsere unheile Welt.
Komm in unsere Herzen,
uns zu erlösen und zu heilen.
Wecke uns auf
und führe uns aus unserer Trägheit
und unserer Lieblosigkeit.
Mache es hell,
dass wir von deinem Licht ergriffen werden,
dass wir es heraustragen können zu unseren Nächsten
und einander gerecht werden.
Amen.

Lesung Jes 40,1-11
1Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. 2Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn  sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden.
Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4Alle Täler sollen erhöht werden, und
alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat’s geredet.
Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. 9Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10siehe, da ist Gott der Herr! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11Er wird seine Herde weiden wie ein
Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

Glaubensbekenntnis

Musik: EG 13

Predigt

Liebe Gemeinde,

es gibt Lieder, die haben einen wunderbaren Text. Deshalb werden sie oft gesungen. Und die Melodie hilft dabei, sich den wunderbaren Text zu merken. Und es gibt Lieder, da ist der Text fast egal – denn sie haben eine wunderbare Melodie. Solche Lieder singen sich einfach fantastisch, es macht Spaß, aus voller Kehle mit einzustimmen. Die wunderbare Melodie setzt sich im Ohr fest und der Text ist zweitrangig.

Das Lied „Tochter Zion, freue dich“, das wir eben gesungen haben – das ist solch ein Lied mit einer wunderbaren Melodie! Es ist eines der wenigen „alten“ Lieder in unserem Gesangbuch, das Menschen aller Altersstufe auch heute noch gerne singen. „Tochter Zion“ rangiert bei den Lieblingsliedern ganz oben und ist in jeder Weihnachtsliedersammlung zu finden.

Über den Text des Liedes denken viele beim Singen gar nicht groß nach. Er enthält eine Menge frommer Worte: Hosianna, sei gesegnet dem Sohnes Davids, Tochter Zion… Es ist eben ein altes Kirchenlied. Das versteht man heute nicht mehr so ganz. Aber das macht nichts! Es wird trotzdem gerne gesungen.

Dabei ist gerade dieser Text, der erst später zur Melodie dazu gedichtet wurde, ziemlich wichtig und interessant. Doch dazu nachher mehr.

Die wunderbare Melodie stammt von Georg Friedrich Händel, dem bekannten Komponisten des Barock. Hänel hat diese Melodie 1747 in London für sein Oratorium „Joshua“ komponiert. In diesem Oratorium ist sie ein Triumphgesang für den siegreich heimkehrenden Kundschafter Kaleb. Die Melodie kam damals so gut an, dass Händel sie gleich weiterverwendete und in die Neufassung seines Oratoriums „Judas Makkbäus“ einbaute. Dadurch ist die dann richtig berühmt geworden. See, the conquering heroe comes!“  - in der deutschen Übersetzung: „Seht, er kommt mit Preis gekrönt!“ Das war der ursprüngliche Text. Und dieser Triumphtext passte nicht nur zu den alttestamentlichen Gestalten, sondern genauso zu weltlichen Herrschern unterschiedlichster Epochen. Zu militärischen Zwecken wurde die Melodie mit dem Triumphtext immer wieder gebraucht – bis – ja, bis Händels Melodie gut 70 Jahre später einen neuen Text bekam!
Es ist der Text, den wir alle kennen und singen. Tochter Zion!

Worte, die so gar nicht militärisch – triumphierend klingen, an kein Schwertergeklirr erinnern – und doch von einem König sprechen: Aber was für ein König! Ein König, der allen König-Klischees widerspricht: Er reitet auf einem Esel, er ist mild, ein Friedefürst, dem es um ein ewiges Reich geht, ohne Siegesgeschrei und Waffengewalt.

Händels Melodie ist mit dem neuen Text noch bekannter geworden – das sieht man schon daran, dass das Lied in unserem Gesangbuch abgedruckt ist. Der neue Text verändert das Lied stark. Man könnte sogar einen Vergleich mit dem berühmten Prophetenwort „Schwerter zu Pflugscharen“ wagen: Die Worte de Lied „Tochter Zion schmieden die musikalischen Schwerter von Georg Friedrich Händel um zu friedlich-fröhlichen christlichen Pflugscharen, die im Dienste des gewaltfreien Davidssohnes Jesus stehen.

Orgel spielt Tochter Zion

Lassen Sie uns eine kleine Zeitreise machen. Wir sind zu Gast bei einem besonderen Abend vor knapp 190 Jahren.

Wir befinden uns in der Nähe von Nürnberg, im Haus des Lehrers und späteren Professors für Naturgeschichte Karl Georg Raumer. Er hat wieder einmal Freunde und Bekannte zu einem „musikalischen Salon“ eingeladen. Eine schöne Veranstaltung: Man isst zusammen, singt, musiziert und unterhält sich, auch über den Glauben. Denn der Glaube ist der Familie Raumer und ihren Freund:innen aus der Erweckungsbewegung sehr wichtig. Deshalb werden viele christliche Lieder bei diesen Hausmusikabenden gesungen und neue Texte ausprobiert.

Unter den Gästen ist auch der Lehrer Friedrich Heinrich Ranke, der wie Karl Georg Raumer an einer Reformschule in Nürnberg unterrichtet. Friedrich Ranke ist 25 Jahre alt, Theologe und noch auf der Suche nach dem richtigen Beruf.

Als Selma Schubert diesen Friedrich Ranke zum ersten Mal traf, hat sie ihn nicht weiter beachtet. Schließlich verkehrten viele interessante junge Männer bei der Familie Raumer. Selma ist regelmäßig zu Gast im musikalischen Salon, zusammen mit ihrem Vater Gotthilf Schubert. Nach einigen Wochen kommt Friedrich öfter in das Haus der Schuberts, denn Selmas Vater wird zu seinem Freund und Berater.

Und dann kommt jener besondere Hausmusikabend, der für Selma Schubert alles verändern sollte.     Man sang – wie schon öfter zuvor – den schönen Triumphchor aus Händels Oratorium „Judas Maccabäus“. Selma wagte danach zu sagen: „Eigentlich schade, dass diese festliche Melodie gar keinen richtig christlichen Text hat…“
Daraufhin blickte Friedrich Ranke Selma an, als sähe er sie zum ersten Mal, und meinte: Da kann ich helfen! Ich habe vor einigen Jahren einen eigenen Text zu dieser Melodie geschrieben. Es ist ein Lied für den Palmsonntag, mit vier Strophen.“

Selbstverständlich musste Friedrich Ranke seinen neuen Text in mehreren Abschriften zum nächsten musikalischen Salon mitbringen. Alle waren begeistert.
Selma Schubert aber und Friedrich Ranke hatten seit diesem Abend nur noch Augen füreinander. 1825 heirateten die beiden und Friedrich Ranke wurde ein Jahr später Pfarrer in Rückersdorf bei Nürnberg.

Im selben Jahr wurde sein Lied „Tochter Zion“, das er zu Händels Melodie geschrieben hatte, zum ersten Mal veröffentlicht. Auch ein weiteres Lied von ihm ist dabei: „Herbei o ihr Gläub’gen“.

Selma und Friedrich Ranke bekamen 8 Kinder, und als eines Tages ihr Sohn Johannes aus der Schule kam, meinte Selma ihren Ohren nicht zu trauen: Johannes sang „Tochter Zion“ vor sich hin. Das Lied hatte er in der nicht zuhause gelernt, sondern in der Schule. Selma fand heraus, dass das Lied mittlerweile so berühmtgeworden war, dass es in mehreren Schulliederbüchern zu finden war. Allerdings nur die ersten drei Strophen. Die Strophe für den Palmsonntag, in der der Esel erwähnt wird, ist bald weggefallen. Als der Dichter 1866 Oberkonsistorialrat in München wurde, sang man Händels Melodie nur noch mit den Worten „Tochter Zion“. Selma Ranke wunderte sich oft darüber, denn der Text ihres Mannes war doch so schlicht: kurze Sätze und kurze Strophen – sie hätte nie gedacht, dass sein Lied einmal berühmt werden könnte. Sie selbst hat es immer geliebt – gerade weil es so schlicht war. Wenn sie es sang, fühlte sie sich Jesus besonders nah. Als um 1900 Friedrich Rankes Text als „Geistliches Volkslied“ sogar ins Evangelische Gesangbuch aufgenommen wurde, haben das nur noch seine Kinder miterleben können.

Musik

Wir sind sozusagen zu Gast bei einer ganz normalen Familie, bei Ehepaar Schmidt mit ihren Kindern Anne und Paul.

Frau Schmidt ist am ersten Advent mit ihrer achtjährigen Tochter Anne im Gottesdienst. Eigentlich geht die Familie nur sehr selten in die Kirche, am Sonntag ist immer so viel anderen… Aber heute ist der 1. Advent und in der Adventszeit ist doch einfach schön. Mit den Kerzen und der Musik. Außerdem spielt Herr Schmidt seit kurzem im Posaunenchor mit, und der gestaltet den Gottesdienst musikalisch. Und Anne will unbedingt ihren Papa spielen hören.

Schon Wochen vorher hat Herr Schmidt immer wieder sein Lieblingslied mit der Trompete durchs Haus geschmettert: „Tochter Zion“. Eigentlich ist es nicht schwer zu spielen, dass man es dauernd üben müsste. Aber er spielt es einfach so gerne. Jede:r Blechbläser:in liebt dieses Lied! Das kann richtig geschmettert werden und ist nicht so ruhig und verhalten viele andere Adventslieder. Als Herr Schmidt nun dieses Lied mit dem Posaunenchor in der Kirche spielt – da wird für ihn Advent. Er vergisst seinen Ärger im Büro, den Familienstress beim Frühstück und ist einfach glücklich. Er lächelt seiner Frau und seiner Tochter in der dritten Bankreihe zu.

Anne freut sich über das Lied, das sie von Papas Trompete spielen zuhause so gut kennt, und sie singt eifrig mit in der Kirche. „Tochter Zion“. der Text kommt ihr allerdings reichlich komisch vor. Sie stupst ihre Mutter an und fragt: „Du, wer ist denn dieser Zion? Und was hat er für eine Tochter? Den Hosianna kenne ich auch nicht. War das wirklich ein Sohn von David?“ Frau Schmidt ist einigermaßen verblüfft über die Fragen ihrer Tochter. SO schnell fällt ihr dazu keine Antwort ein. „Erklär ich dir nachher zuhause!“, vertröstet sie Anne. Frau Schmidt ist mit ihren Gedanken gerade ganz woanders. Das letzte Mal war sie nämlich am Palmsonntag in der Kirche – und da wurde aus der Bibel als Evangelium die gleiche Geschichte vorgelesen wie heute. Der Einzug Jesu in Jerusalem – darüber hat sie noch nie nachgedacht, dass das auch eine Geschichte für den Advent sein könnte. Jetzt versteht sie das Lied „Tochter Zion“ ganz neu: Klar, da jubelt das Volk von Jerusalem Jesus zu. Er ist der Friedefürst und der ganz andere, milde König. Nur der Esel, auf dem Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem geritten ist, der fehlt in dem Lied „Tochter Zion!“ Aber sonst: Das Lied könnte man auch am Palmsonntag singen. Anscheinend gehören Advent und Passion, Weihnachten und Ostern mehr zusammen, als sie bisher wusste.

Später, beim Mittagessen zuhause, stellt Anne wieder ihre Frage: Sie hat sie nicht vergessen. „Wer ist eigentlich dieser Zion in dem Lied? Und was hat er für eine Tochter?“

Es ist einen Augenblick ganz still am Tisch.  Auch Anne Bruder Paul guckt betreten auf seinen Teller – wie in der Schule, wenn er eine Frage nicht beantworten kann. Dann sagt Frau Schmidt: „Zion, Anne, das ist kein Mensch, Anne. Das ist ein Berg. Und das ist wirklich schwer zu verstehen. Mittlerweile hat sich auch Paul wieder an das erinnert, was er letzte Woche im Konfiunterricht gelernt hat. Da haben sie das Lied auch gesungen und besprochen. „Zion ist ein Hügel in Jerusalem, Und bald hat man ganz Jerusalem auch Zion genannt. Das ist wie ein zweiter Name für die Stadt geworden. Und die Menschen von Jerusalem hat man damals als Volk eben „Tochter Zion“ genannt. Das ist so als wenn man alle Nauheimer „Kinder der Usa“ nennen würde.“ Herr Schmidt ergänzt noch: „In dem alten Lied sind mit „Tochter Zion“ alle Christ:innen gemeint. Sie sollen sich freuen, dass Jesus an Weihnachten auf die Erde kommt.“

„Ach so“, meint Saskia. „Dann verstehe ich das. Aber was ist mit dem Hosianna?“

Paul gluckst und Sagt: „das ist auch kein Mensch. Das sagte man früher halt so, wenn man jemanden toll fand und für ihn jubelte. Das heißt so viel wie „juhu, ich freu mich total, dass du da bist!“

Und Frau Schmidt ergänzt, was sie am Morgen in der Predigt gehört hat: „Ursprünglich hieß Hosianna „Hilf doch! Und war eine Bitte an Gott. Dann bedeutet das im Lied, dass der Sohn Davids uns helfen soll. Der Sohn Davids – damit ist Jesus gemeint. Jesus ist zwar Gottes Sohn, aber sein irdischer Vater Josef kam aus der großen Familie des Königs David. Deshalb nennt man Jesus auch Davids Sohn.“

Jetzt sind Anne Fragen alle beantwortet. Das meiste hat sie verstanden. Aber eigentlich gefällt ihr die Melodie viel besser als der Text. Die ist wenigstens nicht so schwierig. „Papa, spielst du das Lied nachher nochmal auf der Trompete? Vor unserem Adventskranz? Dann ist bei uns Zuhause auch richtig Advent!“ Amen.

Musik EG 19

Fürbitte
Gott, Du Lebendiger,
wir warten auf Dich.
Weihnachten, die Krippe, sind Zeichen deines Kommens,
so heißt es.

Andere warten darauf, dass endlich wieder Regen fällt,
dass wieder etwas auf den Feldern wächst für sie und ihre Familien,
sie warten, dass das Unwetter vorbei geht,
sie warten, dass ihr Asylantrag genehmigt wird,
dass sie endlich aus Schmutz und Vernachlässigung erlöst werden.

Gott, Du Barmherziger,
wir warten auf Dich.

Menschen warten, dass der Schmerz schwächer wird,
dass die Nacht endlich endet,
dass es heute nicht so schlimm wird,
dass sie endlich auch einmal ein bisschen Glück erleben.
Besonders bitten wir dich für die Angerhörigen  von denen wir in dieser Woche Abschied nehmen mussten. Sie warten auf deinen Trost, auf deine Liebe, die Ihnen hilft, die Trauer auszuhalten. Sei du bei ihnen und lass sie nicht allein. Lass dein Licht leuchten in ihre Dunkelheit. Und nimm unsere Verstorbenen auf in deinen ewigen Frieden. Wir zünden eine Kerze für sie an.

Gott, Du Verändernder,
wir warten auf Dich.

Menschen warten, dass die einsamen Feiertage schnell vorbei sind
oder die durch zu viel Nähe erdrückenden Tage,
andere warten auf einen Anruf, Besuch, einen anerkennenden Blick.

Lass alle Wartenden Deine Barmherzigkeit spüren,
Deine Nähe, die mitträgt.
Sie sind es, die die Wunde der Sehnsucht offen halten.

Wir bitten für uns
mit allem, was uns quält und was uns glücklich macht:
Gib uns Teil an deiner Verletzlichkeit und an deiner Heilkraft,
an Deinem Erbarmen.

Gott, Du Liebhaber allen Lebens.
Du wartest auf uns.

Vater unser

Musik: EG 21

Abkündigungen

Segen

Gottesdienst am 2. Advent 2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper + Team

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung

Herzlich willkommen zum Gottesdienst am 2. Advent, den wir Frauen vorbereitet haben.
Was meinen Sie, wie viele Stunden im Jahr verbringen wir mit Warten? Warten in der Supermarktschlange, am Telefon oder im Wartezimmer. Das sind bestimmt zig Stunden. Für mich würde ich sagen, da kommt im Jahr schon mal eine ganze Woche zusammen. Und dann gibt es das Warten noch in viel größeren Zusammenhängen. Warten auf Versöhnung, auf Heilung, auf Glück. Geduldig sein, das gehört zu unserem Leben. Und trotzdem ist es manchmal eine echte Herausforderung mit der Geduld.

Langmut, Gelassenheit, Verzweiflung und auch Wut.  Vielfältige Gefühle können aufsteigen, wenn Geduld gefragt ist. Erst recht, wenn uns das Leben mehr Geduld abverlangt als wir aufbringen können. Wir wollen heute zusammen darüber nachdenken, wie wir unsere Herzen stärken können.
Woraus schöpfen wir die Kraft, die wir in solchen Momenten im Leben brauchen? Was tröstet uns und was ermutigt uns?

Übung und Aufforderung zum aufrecht sein

Wir hören den Wochenspruch für diesen 2. Sonntag im Advent. Er steht bei dem Evangelisten Lukas im 21. Kapitel und heißt: „Richtet euch auf und erhebt euren Kopf! Denn eure Befreiung ist nahe!“

Die beiden Kerzen am Adventskranz werden entzündet.

Wir feiern diesen Adventsgottesdienst im Namen Gottes,
Liebe, die uns trägt,
Hoffnung, die uns aufrichtet
und Kraft, die uns ermutigt und bewegt. Amen.

Wir singen nun das Lied aus dem Liedblatt „Tochter Zion, freue dich“

Früher, als ich noch ein Kind war, dachte ich, nur Kinder müssen geduldig sein. Irgendwie hatte sich in meinem Kopf die Vorstellung festgemacht, dass man aus dem „Geduldig sein müssen“ eines Tages rauswächst. Nach und nach musste ich feststellen, dass ich völlig falsch lag. Vielmehr wurde mir klar, was alles in meinem Leben nicht in meinen Händen liegt. So Vieles können wir nicht erzwingen, ganz gleich wie sehr wir es wollen. Auf Manches können wir nur warten.

Also, ich muss zugeben, das mit dem Warten ist manchmal so eine Sache. Ich warte nicht gern. Das fängt schon morgens mit der Schlange beim Bäcker an. Mein Geduldsfaden reißt schnell. Ich will euch ein Beispiel geben zum Thema „Geduld“:

Ich erinnere mich an das „Bohnentagebuch“ meiner Tochter. Sie schrieb es für eine Schulaufgabe in der 2. Klasse. Jedes Kind bekam zwei weiße Bohnen, die es zunächst wässern und danach einpflanzen und beobachten sollte. Die Fortschritte sollten in einem „Bohnentagebuch“ festgehalten werden. Das Tagebuch meiner Tochter sah folgendermaßen aus:

1.    Tag: Habe die Bohnen gut gewässert.
2.    Tag: Heute habe ich sie in die Erde gepflanzt.
3.    Tag: Die Bohnen sind gegossen.
4.    Tag: Ich beobachte meine Bohnen.
5.    Tag: Jetzt heißt es abwarten.
6.    Tag: Es ist immer noch nichts zu sehen.
7.    Tag: Langsam habe ich keine Lust mehr.
8.    Tag: Immer noch bloß Erde!
9.    Tag: Oh Mann!

Oje, sowas kann sich aber auch hinziehen. Kam denn dann irgendwann der erhoffte Spross?

Das zog sich noch.
10.    Tag: Bohnen sind gut gegossen.
11.    Tag: Ich habe die Bohnen gerettet, Mama wollte sie wegwerfen.
12.    Tag: Immer noch nichts zu sehen.
13.    Tag: Sie wachsen endlich! Ich sehe etwas Grünes!

Ein Glück! Da wurde eure Geduld schlussendlich doch noch belohnt!

Dieses Bohnenexperiment hat meine Geduld auf die Probe gestellt.  Ich muss aber sagen, daraus habe ich viel gelernt. Viele Dinge brauchen zum Wachsen und Reifen Zeit. Aber wie viel Zeit sie benötigen, das liegt leider oft nicht in unseren Händen.
Gehen Sie nun mit unserer Bilderschau auf eine persönliche Entdeckungsreise zu den vielfältigen Facetten von Geduld:
 (Powerpoint – Präsentation)

Lassen Sie uns nun Verse aus Psalm 80 im Wechsel sprechen. Sie finden den Text in Ihrem Liedblatt:
Höre uns, Gott, du Hirte Israels,
der du dein Volk hütest wie eine Herde.
Komm und hilf uns doch!
    Richte uns, dein Volk, wieder auf.
    Lass dein Angesicht leuchten, blicke uns freundlich an,
    dann sind wir gerettet.
Gott der Himmelsmächte, kümmere dich doch
um deinen Weinstock, den du gepflanzt hast.
Dann wollen wir nie mehr von dir weichen.
    Erhalte uns am Leben,
    damit wir dich loben und deinen Namen
    anrufen. Amen.

(Kyriegebet) Wir beten:
Ewige Geistkraft, ach, könnten wir nur die Wege verstehen, die vor uns liegen. Es gibt so vieles, auf das wir warten, ja das wir erwarten:

Wir warten endlich wieder auf eine Veränderung zum Guten. Wir warten auf Heilung der Risse in unserer Gesellschaft. Wir warten auf Liebe und Nähe, wir warten auf dein Licht, das auch unser Leben erhellt.

Komm zu uns und mache hell, wo Finsternis die Herzen schwermacht. Gott, erbarme dich!

(Gloria) Gott hat sich über uns erbarmt und erwartet uns voll Langmut und Gnade: „Barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig und von großer Güte!“ (Psalm 103,8)

(Gebet) Du, Gott, erwartest uns geduldig, wenn wir nach dir suchen.

Mal zögernd, mal erwartungsfroh sind wir auf unserem Weg. Du kommst uns entgegen und sendest deinen Sohn in unsere Welt. Hilflos und klein.  Ein Zeichen der Hoffnung -  wie ein Same der Liebe – in unsere Herzen gelegt. Dafür danken wir dir. Amen.

Lied „Sehen können, was kein Auge sieht“ EG +3

Lesung
Der Bibeltext zum 2. Advent steht im 5. Kapitel des Jakobusbriefes. Die Menschen damals kannten dieses „Ringen mit dem eigenen Geduldsfaden“ nur zu gut. Es war keine einfache Zeit. In den noch jungen Gemeinden gab es viele Auseinandersetzungen. Oft ging es um die Frage, was macht Christsein wirklich aus? Was ist gutes und richtiges Verhalten?

Es war regelrecht ein Balanceakt, mit den verschiedenen Lebensrealitäten umzugehen, die in den Gemeinden zunehmend aufeinanderprallten. Immer mehr Reiche kamen dazu und der Jakobusbrief beklagt, dass solch wohlhabende Christinnen und Christen innerhalb des Gemeindelebens bevorzugt wurden.  Hingegen hatten es Witwen, Waise, Armen und kranke Menschen schwer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen und der Umgang miteinander führten zu Spannungen. Darum legt der Brief den Finger in die Wunde und sagt: Messt ihr euer eigenes Handeln überhaupt an eurem christlichen Glauben? Setzt ihr überhaupt in die Tat um, was ihr glaubt und betet?! Das ist an die Wohlhabenden gerichtet.

Zugleich ermutigt der Jakobusbrief aber auch die Gemeindemitglieder, die mit ihren schwierigen sozialen Lebensumständen zu kämpfen haben. Er fordert sie auf, geduldig auszuharren.

Denn über allem stand die Hoffnung der frühen Christinnen und Christen, dass der auferstandene Christus in nicht allzu ferner Zeit zurückkommen würde. Dann wären Ungerechtigkeiten, Schmerzen und Leid an ihr Ende gekommen. Und allen würde Gerechtigkeit widerfahren, die unter Unrecht litten. Bis dahin aber mussten die frühen Gemeinden zum geduldigen Durchhalten ermutigt werden. Doch nicht nur Ermutigung, sondern auch Trost steckt in den Worten, um die es heute morgen gehen soll.

Ich lese die Verse 7 und 8 in er Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache:
„Geduldet euch nun, meine Schwestern und Brüder, bis Jesus kommt. Auch diejenigen, die vom Acker leben, erwarten die kostbare Frucht der Erde so, dass sie sich gedulden, bis die frühen oder die späten Früchte reif sind. Geduldet auch ihr euch, stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald!“

Wir singen nun das Lied: „O Heiland, reiß die Himmel auf!“

„Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald“, schreibt Jakobus. Aber wie geht das…die Herzen stärken? Was macht mein Herz stark, wenn es verunsichert, erschrocken, verletzt oder vollkommen entmutigt ist?

Als Physiotherapeutin arbeite ich hier in Bad Nauheim in einer Rehaklinik. Täglich bekomme ich es bei meinen Patienten mit und habe es auch schon am eigenen Leib gespürt:  es ist schwer, auf einmal etwas nicht mehr so zu können wie früher.

Vielleicht sogar um Hilfe bitten zu müssen, für Sachen, die sonst selbstverständlich sind.

Wenn ich wieder lernen muss:  was kann ich meinem Körper an Belastung zumuten und wann brauche ich eine Pause…

Es ist wichtig, sich zu bewegen -  eine leichte Anstrengung zu spüren. Und es ist wichtig, sich zu entspannen, um die Selbstheilungskräfte zu fördern.

Es braucht Geduld, um dieses Gleichgewicht zu finden, wenn ich eine Krankheit durchgemacht habe. Aber auch im Alltag, als Eltern zum Beispiel, vergisst man gerne die Ruhepausen.

Und manchmal, das kennt jeder von uns, muss man sich auch bei schlechtem Wetter zu einem Spaziergang oder zur Bewegung ermutigen.

Bewegung ist wichtig, genauso wichtig wie richtige Entspannung.

Es ist für uns alle wichtig, immer wieder neu zu schauen:  Was ist für mich gut? Wie kann ich mein Herz stärken? Diesen Weg zu finden, das braucht Geduld.

Musik: Mache dich auf und werde licht EG +1

„Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald!“ Manchmal können es auch andere Menschen sein, die stärken und aufrichten. Mir gibt das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammenhalt viel zurück.

Uns hat der Bericht einer Frau erreicht, die für kirchliche Frauengruppen verantwortlich ist: „Es ist noch gar nicht so lange her“, schreibt sie. „Es war im letzten Dezember. Unsere Frauengruppen hatten sich nun seit Monaten nicht getroffen. Und irgendwann machten sich Zweifel breit: würde es nach der Pandemie wieder so werden wie es einmal war? Oder haben sich bis dahin womöglich alle an die neue Routine gewöhnt? Und was ist mit den Frauen, die keine oder wenig Familie haben? Fühlten die sich womöglich abgehängt und allein gelassen? Im Leitungsteam überlegten wir hin und her, wie wir mit unserem Weihnachtsgruß ein Stück unserer Verbundenheit zueinander wieder aufleben lassen könnten. Meiner Kollegin kam dann die zündende Idee. Unserem Rundbrief legten wir eine Wunderkerze bei. Wir richteten den Wunsch an die Frauen, diese auch wirklich anzuzünden und nicht in der Schublade verschwinden zu lassen. Sie sollten sie anzünden in dem Bewusstsein, dass unsere Gedanken aneinander uns etwas Licht in diese dunklen Zeiten bringen können. Wir alle brauchten in jenen Tagen eine Ermutigung weiterzumachen und wollten die Verbindung untereinander wieder spüren. Die Reaktionen auf die Wunderkerze waren sehr zahlreich. Viele reagierten erfreut, beinahe überschwänglich. Eigentlich war es doch eine einfache Geste. Aber sie hat uns an unsere Gemeinschaft erinnert. Und uns im Leitungsteam hat die Freude darüber so unendlich viel zurückgegeben.

Musik: Mache dich auf und werde licht EG +1

„Stärkt das Denken, Fühlen und Wollen eurer Herzen, denn Jesus kommt bald!“

Unser alltägliches Leben ist von Routinen und Ritualen durchzogen. Manchmal ist mir das gar nicht so bewusst. Aber Rituale sind mehr als bloße Gewohnheit. Rituale können in uns etwas bewirken.

In der Zeit um den Ewigkeitssonntag geht es mir oft nicht gut. Es ist die Zeit, in der ich einen für mich unendlich wichtigen Menschen verloren habe.  Wenn dann in der folgenden Woche der erste Advent ist, trifft mich das wie ein Schlag. Von dieser Vorfreude im Advent bin ich meilenweit entfernt. Meine Kinder sind noch klein. Sie platzen fast vor Neugierde auf ihre Adventskalender, das gemeinsame Backen, den Adventskranz und all die adventlichen Lichter im Haus. Pünktlich zum ersten Advent also werden all die Schachteln aus dem Keller geholt und unser Zuhause geschmückt und hergerichtet mit allem, was für uns dazu gehört.    Jahr für Jahr passiert dann etwas Eigenartiges: die erste Kerze am Adventskranz zünde ich um der Kinder willen an und die Schachteln mit dem Adventsschmuck öffne ich zögerlich, beinahe widerwillig. Und dann, Tag für Tag, kommt es mir so vor, als zögen mich nach und nach all die Lichter, die adventlichen Düfte und Klänge aus meiner Trauer heraus.  Sie machen Raum in mir. Sie schaffen Platz in mir für die große Hoffnung, die wir mit dem Kind von Bethlehem verbinden.

Musik: mache dich auf und werde licht EG +1

Aktion
Sie alle haben eine Postkarte von uns erhalten. Nehmen Sie diese nun gern zur Hand und betrachten Sie mit mir das Bild.

Ich sehe eine Frau, die ihr Herz weit öffnet. Sie schaukelt mit beinahe kindlicher Freude. Sie fühlt sich leicht. Vielleicht stellt sie sich vor, sie fliegt. Mit allen Sinnen präsent ist sie genau in diesem einen Augenblick. Sie strahlt Lebensfreude aus. Mit Selbstvertrauen tut sie, was ihr guttut. Am Abend wird sie sich mit einem Lächeln an die Schaukel erinnern. Sie spürt, was ihr Herz stärkt.

Spüren, was uns guttut und belebt. Wahrnehmen, was uns aufrichtet und stärkt. Das wollen wir nun, jede und jeder für sich, bedenken. Sie haben mit der Karte auch einen Stift erhalten. Bitte drehen Sie die Karte nun um. Und nehmen Sie sich einen Augenblick für sich selbst. Überlegen Sie, überlegt: was stärkt Ihr Herz? Was stärkt euer Herz? Und welchen Wunsch möchten Sie jemandem weitergeben?

Bitte vervollständigen Sie während der Musik die Satzanfänge der Karte. Nach dem Gottesdienst dürfen Sie die Karte gern mit nachhause nehmen.

Fürbitten
Wir wollen nun miteinander die Fürbitten halten.

Unser Gott, lebendige Geistkraft, du begleitest uns auf unseren Wegen und wartest mit Geduld auf unser Bitten und Danken. Du hältst auch unsere Ungeduld aus, die Momente, wo uns der Geduldsfaden reißt.  Auf dich vertrauen wir.

Unser Gott, lebendige Geistkraft, wir bitten dich für alle, die auf dich warten. Für die Menschen, die auf der Suche sind nach Sinn, nach neuen Wegen, nach Sicherheit.  Dabei denken wir an alle, die einen Menschen verloren haben und nun den Neuanfang suchen. (Bitte für Verstorbene und ihre Familien).

Wir bitten dich für alle, die müde und ausgebrannt sind, die nicht wissen, wo sie neue Kraft schöpfen können -  in den vielen Belastungen im Alltag, in der Schule und im Beruf. Nach Krankheiten, nach der langen Isolation durch Corona. Ganz besonders denken wir an die Pflegekräfte und Ärzte. Lass sie alle wieder ein Licht sehen.
SP: Wir bitten dich für uns und alle Menschen, deren Geduld immer wieder an Grenzen stößt. Schenke uns Lichtblicke, Fantasie und freundliche Menschen, die unsere müden Herzen beleben und stärken.

Unser Gott, lebendige Geistkraft. Wir sind erschrocken über das Unrecht, über die Kriege und den Hunger auf unserer Welt. Wir bitten dich um das Ende deiner Geduld. Beseitige Hass und Gier, Ausbeutung und Unterdrückung. Lass die Mächtigen verantwortungsvoll handeln und die Reichen ihren Überfluss teilen.   Und in der Stille bringen wir unsere Bitten vor dich.  …….. Erhöre unser Gebet.

Und gemeinsam beten wir nun das

Vaterunser
Abkündigungen

Segen
Gott segne und behüte dich.
Gottes Sohn erfülle dich mit Geduld und Kraft.
Gottes Geist stärke dir dein Herz.
Und Gott begleite dich auf allen deinen Lebenswegen.
So segne dich Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.   Amen.
Musik

Gottesdienst am 1. Advent 2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Brot für die Welt 63. Aktion - Schenken wir unserem Traum das Leben

Musik zum Eingang

Kerze am Adventskranz anzünden
Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Sieh dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel.  (Sacharja 9,9)

Begrüßung und Votum

Lied 1: Macht hoch die Tür, 1-3

MEDITATION ZU PSALM 24

Macht die Tore weit
und alle Türen in der Welt hoch,
dass Gott wie ein König einziehe.

Warum sollen wir die Türen öffnen,
damit Gott zu uns kommt wie ein König?
Gehört ihm nicht schon die Erde,
die er aus dem Chaos geschaffen hat?
Und sind nicht alle Geschöpfe des Erdkreises
das Werk seiner Hände?

Macht die Tore weit
und alle Türen in der Welt hoch,
dass Gott wie ein König einziehe.

Wer kann die Gegenwart Gottes ertragen,
wenn er zu uns kommt, um bei uns zu wohnen?
Wer für Gerechtigkeit eintritt
und nach Frieden trachtet
und sich vergeben lässt,
wo er schuldig geworden ist.

Macht die Tore weit
und alle Türen in der Welt hoch,
dass Gott wie ein König einziehe.

Wer Gott die Tore öffnet
und für ihn die Tür seines Herzens weit macht,
der wird Segen empfangen,
und seine Gebete werden den Weg zu Gott finden.
Darum machet die Tore weit
und alle Türen in der Welt hoch,
dass Gott wie ein König einziehe.

Musik: Engel wird angekündigt

Anspiel

Musik

Ansprache

Jeremia 23,5-8
Seht, es kommt eine Zeit, in der ich für David einen Nachfolger einsetzen werde, einen gerechten Spross.– Ausspruch des Herrn –Er wird als König herrschen und gut regieren. Recht und Gerechtigkeit werden ihn auszeichnen, und er wird sie im Land durchsetzen.6Zu dieser Zeit wird Juda gerettet werden, und Israel wird in Sicherheit leben. Das wird der Name sein, den man ihm geben wird: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit!«
7Seht, es kommt eine Zeit, in der man Gott einen anderen Beinamen geben wird.– Ausspruch des Herrn –Dann sagt man beim Schwören nicht mehr: »So gewiss der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägypten geführt hat!«8Stattdessen wird man sagen: »So gewiss der Herr lebt, der die Nachkommenschaft Israels herausgeführt hat! Er hat sie aus dem Land im Norden befreit. Er hat sie aus allen Ländern zurückgebracht, in die er sie vertrieben hatte. Jetzt leben sie auf ihrem eigenen Land.«

Liebe Gemeinde,
„Seht, es kommt eine gute Zeit…“ so beginnt die Botschaft des Propheten Jeremia an seine Mitmenschen. Eine Botschaft, die wie ein Traum klingt. Denn das Leben der Menschen, zu denen Jeremia da spricht, ist bedroht. Krieg steht vor der Tür. Der babylonische König Nebukadnezzar erobert nach und nach die um ihn herumliegenden Länder und ist dabei nicht zimperlich. Wer sich in den Weg stellt wird zerstört. Jerusalem wird zerstört und die Menschen werden verschleppt. Das Leben, so wie es bisher gewesen ist – es ist unwiederbringlich vorbei. Auch uns heute ist dieses Gefühl bekannt, dass nichts mehr so ist, wie wir es über Jahre und Jahrzehnte kannten.

In diese Situation ruft Jeremia den Menschen die Zusage Gottes zu: „Seht, es kommt eine gute Zeit, in der ich für David einen Nachfolger einsetzen werde, einen gerechten Spross. Er wird als König herrschen und gut regieren. Recht und Gerechtigkeit werden ihn auszeichnen, und er wird sie im Land durchsetzen“ Eine Botschaft wie ein wunderschöner, aber ferner Traum.

Auch unsere Träumenden hier sehnen sich nach Gerechtigkeit. So wie wir alle diesen Wunsch in uns tragen. Wir feiern heute den ersten Advent. Viele Lichter leuchten schon in unserer Stadt und in unseren Häusern. Lichter, die etwas von Sehnsucht verraten nach Gerechtigkeit und Frieden. Lichter, die das Dunkel in und um uns erhellen. Die Spannung und die Vorfreude wachsen in jedem Advent, je näher das Weihnachtsfest rückt. Wie wird der Weihnachtsbaum wohl geschmückt sein? Welche Geschenke werden für mich auf dem Gabentisch liegen? Werden die anderen sich über meine Geschenke freuen? Anstatt der ersehnten Ruhe breitet sich meist Hektik und Unruhe aus.

Doch auch in diesem Jahr drängen sich Fragen und Sorgen in diese Adventszeit: Wie wird sich die Corona-Lage in unserem Land, in unserer Stadt entwickeln? Welche Einschränkungen werden auf uns zu kommen, um die Lage in den Krankenhäusern in den Griff zu bekommen? Werden wir weiter gemeinsam Gottesdienste feiern können? Wie werden wir Weihnachten feiern? Gemeinsam oder einsam? – Fragen, von denen ich im letzten Jahr gehofft hatte, sie mir nie mehr stellen zu müssen.

Wir bereiten uns auf Weihnachten vor, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf vieles davon kurzfristig ändern zu müssen. Hier in der Gemeinde, aber auch in der Familie.
 
Die Menschen in Juda damals wussten nur eins: Unsere Heimat, unsere Häuser sind zerstört. Wir werden nicht mehr beisammen sein. Verzweiflung und Schmerz machten sich unter den Menschen breit.

Auch heute leiden Menschen darunter, dass ihr Alltag, ihr Leben bedroht ist. Die Bedrohung heute hat viele Namen. Einer dieser Namen ist der Klimawandel unter dem Jantti aus Bangladesh mit ihrer Familie schon heute jeden Tag leidet. Der Weltklimagipfel in Glasgow hat daran nicht wirklich etwas ändern können. Und das verzwickte an der Sache mit dem Klima ist ja, das wir alle, so wie wir hier sitzen, an dieser Sache beteiligt sind, ohne dass wir es wollen. Einfach, weil wir unseren Alltag so leben wie wir es gewohnt sind. Jantti räumt davon, einmal sicher leben zu dürfen. Wird dieser Traum ihr Kraft geben?

Pia träumt von einer Welt mit sauberer Luft und Straßen ohne Autos, dafür mit viel Platz zum Spielen. Ob unsere Welt je so sein wird?

Kommen wir zurück zu Jeremias Wunschvorstellung: Da soll einer kommen, der für Recht und Gerechtigkeit sorgen wird. Für uns heute ist ganz klar, dass damit Jesus gemeint ist. Gottes Sohn, der Messias. Aber für die Menschen, die 700 Jahre vor Jesu Geburt gelebt haben, war das keineswegs klar. Sie ahnten nicht, dass da einer kommen würde, der den Menschen ganz viel von Gottes Liebe zu uns Menschen erzählen würde. Davon, dass wir alle bei Gott geborgen sind – auch über den Tod hinaus.

Dietrich Bonhoeffer glaubte, dass Gott auf verantwortliche Taten wartet und antwortet. Und die Theologin Dorothee Sölle hat einmal gesagt: „Gott hat keine Hände, nur unsere Hände.“ Ob Gott nun Hände hat oder nicht – wer weiß das schon. Aber eines wissen wir sicher. Gott möchte, dass wir unsere Hände tatkräftig einsetzen – uns Menschen einander zum Wohl und Gott zum Lob. Und das können wir in unserem Alltag ganz sicher.

Seht, es kommt eine Zeit, in der ich für David einen Nachfolger einsetzen werde, einen gerechten Spross.– Ausspruch des Herrn –Er wird als König herrschen und gut regieren. Recht und Gerechtigkeit werden ihn auszeichnen, und er wird sie im Land durchsetzen.6Zu dieser Zeit wird Juda gerettet werden, und Israel wird in Sicherheit leben. Das wird der Name sein, den man ihm geben wird: »Der Herr ist unsere Gerechtigkeit!«

Gott hat uns seinen Sohn geschickt, um allen Menschen auf der Welt von seiner Liebe zu erzählen. Aus Israel ging diese Kunde um die Welt und immer mehr Menschen nahmen sie ernst und sahen sich als Weltgemeinschaft. Nahmen Rücksicht aufeinander, bewahrten Gottes Schöpfung und sorgten für ein gutes Leben in Frieden für alle auf dem Planeten.

Das wäre doch ein schöner Traum, den wir alle mit unseren Händen Stück für Stück ein wenig mehr in die Realität holen könnten und einen guten Handabdruck hinterlassen. Lasst uns doch damit in diese Adventszeit gehen. Amen.

Musik

Fürbitten mit Liedruf eg+ 1

Gott, du bist das Leben.  
Du hast uns Menschen durch  
die Geschichte begleitet.
Schenk uns das Bewusstsein dafür,  
dass wir nicht nur durch die Zeit  
sondern auch weltweit  
mit allen Menschen verbunden sind.  
Lass uns aufmerksam werden  
auf unsere Entscheidungen  
und was sie für Menschen bedeuten,  
die weit entfernt von uns leben.  
Denn: Gott kommt!

Liedruf: Mache dich auf und werde Licht!

Gott, du bist das Wort.  
Das Wort, das am Anfang war  
und das auch nach  
unserem Ende noch sein wird.  
Sei bei uns und sei besonders  
bei den Menschen,  
die als Politikerinnen und Politiker  
unsere Welt maßgeblich gestalten.  
Schenke ihnen ein tiefes Verständnis  
für die weltweite Verbundenheit  
aller Menschen und hilf ihnen,  
ihre Verantwortung gut zu tragen.
Denn: Gott kommt!

Liedruf: Mache dich auf und werde Licht!

Gott, du bist die Hoffnung.  
Die Hoffnung auf eine gerechtere Welt,
 die sich nicht von allein einstellt,  
sondern die wir bauen müssen ‒  
im Großen wie im Kleinen.  
Öffne uns die Augen für das,  
was wir tun können,  
um etwas dazu beizutragen.  
Zeige uns, wie wir unseren Träumen  
zum Leben verhelfen können.
Denn: Gott kommt!

Liedruf: Mache dich auf und werde Licht!

Gott, du bist die Liebe.  
So lass uns auch nun voller Liebe  
in die kommenden Adventswochen gehen.
Lass unsere Liebe so groß werden,  
dass sie die Menschen überall  
auf der Welt einschließt: die Menschen,  
die unseren Kaffee, Tee und Kakao
irgendwo auf der Welt geerntet haben.  
Die Kleider genäht haben,  
die wir am Körper tragen.  
Die so mit uns verbunden sind.
Denn: Gott kommt!

Liedruf: Mache dich auf und werde Licht!

Gott, die bist unsere Hoffnung auch über den Tod hinaus. Und so bitten wir dich für unsere Gemeindeglieder _, von denen wir Abschied nehmen mussten und die wir unter deinem Wort bestattet haben.  Wir zünden eine Kerze für sie an. Schließe du sie in deine Arme und schenke ihnen Ruhe und deinen ewigen Frieden. Sei bei ihren Angehörigen mit deinem Trost und zeige ihnen Wege zurück ins Leben.

Vater unser

Abkündigungen und Kollektenansage

Lied: EG 18 Seht die gute Zeit ist nah

Segen

Musik zum Ausgang

Andacht zum 1. Advent 2021 von Pfarrerin Meike Naumann

Musik zum Anfang

Begrüßung mit Votum

Psalm 24: EG 712

Gebet
Ja, komm,
und wohne unter uns,
guter Gott.

Streu deinen Frieden
Uns ins Herz.

Lass leuchten unser Antlitz
Unter deinem Segen.
Sprich dein „Fürchte dich nicht!“
In unser Verzagen.

Lass einen Stern aufgehen
In unseren Nächten.

Und beflügele uns,
damit wir hier und da
zu Engeln werden.

Lied: EG 1 Macht hoch die Tür

Ansprache zur Karte „bewegt“

Was kommt da auf uns zu? So mag sich manche und mancher jedes am Übergang in das neue Kirchenjahr denken. Denn der Advent ist ja wie eine Schelle. Er öffnet die Tür in eine andere Zeit. Wir betreten damit stets Neuland, mag es uns aus all den Jahren unserer Lebensgeschichte auch noch so vertraut sein.

Advent heißt Ankunft. Darin verbirgt sich jede Menge an Vorfreude, Spannung und Bewegung. Eine Zeit voller Erwartung, voller Hoffnung. Durchaus auch mit mancherlei äußerlicher Vorbereitung verbunden.

Mit dem Übergang in die adventlichen Tage gehen wir auf etwas zu. Aber zugleich kommt uns auch etwas entgegen. Es kommt was auf uns zu. Denn der Advent lockt heraus aus der Routine des Jahres, das durch elf Monate hindurch müde geworden ist.
Ein Jahr, das, wie einige davor, geprägt war vom Blick auf steigende und sinkende Inzidenzen, Impfquote, Vorsichtsmaßnahmen und Abstand voneinander halten, um sich und andere nicht zu gefährden. Ein Jahr auch, in dem die Klimaveränderungen deutlicher und für viele existentieller und schmerzlicher als je zuvor spürbar geworden sind.

Advent: Worauf gehen wir zu, was kommt uns entgegen?

Als Glaubensgemeinschaft sind wir zu unserer Zeit, heute, Teil einer langen Hoffnungsgeschichte. Einer Geschichte, in der Menschen – gegen jeden Augenschein – ihr Vertrauen immer wieder auf Gott gesetzt haben.  Ich stelle mir vor: Für einen Augenblick öffnet sich der Vorhang der Geschichte. Er gibt uns Einblick in das 6. Jahrhundert vor Christus. Wir befinden uns mitten im Neubabylonischen Reich, dem Zentrum der damaligen Weltmacht. Dort herrscht König Nebukadnezar II. Er galt als angesehener Staatsmann, Heerführer, Friedensstifter und Bauherr. Jedoch nicht bei allen und für alle.

Zu dieser Zeit gab es einen, der hatte schon immer mal eine leise Stimme in sich vernommen. Sie sang ein Hoffnungslied; das sich wie ein Summen auf seine verzagte Seele gelegt hat. Nun ist es kräftiger geworden. Soll er ihm trauen? Soll er sein Herz davon bewegen lassen und es laut sagen, was sich in ihm anstimmt? Soll er den Menschen Mut machen, auch wenn er sich selber noch nicht sicher ist?

Seit drei Generationen leben sie nun schon hier in Babylon in der Verbannung. Nur die wenigsten glauben noch daran, dass es eine Rückkehr in die Heimat geben kann. Die Heimat: Das ersehnte und oft beweinte Jerusalem.

Die meisten haben sich ja in der Zwischenzeit gut eingerichtet hier in der Fremde. Die Wunden des Krieges und der Verschleppung bluten nicht mehr. Sie sind vernarbt. Ja sicher, es war wie ein Erdbeben damals, als Jerusalem geplündert worden war und der Tempel zerstört. Vieles wofür man gelebt, was Orientierung gegeben hatte, war vernichtet. Doch das ist lange her. Man hat sich Häuser gebaut im fremden Land, macht Geschäfte, sorgt sich um das tägliche Auskommen. Der Götterkult der Herren des Landes wir vorsichtig und von weitem beäugt. Von ihrem Gott JHWH erwarten sich nur noch die wenigsten etwas. Ob er sein Volk vergessen hat? Auch diese Frage wird nicht mehr sehr oft gestellt. Die Jungen wissen längst nicht mehr, wovon die Älteren sprechen, wenn sie von „daheim“ reden.

Hier in Babylon ist wohl auch lange Zeit hin keine Änderung in Sicht. Hier ist kein Advent zu ersehnen.

Und doch: Da ist sie wieder diese Stimme, die sich in ihm festsetzt. Sie raunt ihm ermunternd zu:

„Tröstet, tröstet mein Volk!,  spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; …Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserem Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade und was hügelig ist, soll eben werden.“ (JEs 40,1-3)

Ein Weg, den Gott zu seinem Volk nimmt? Er wird selber kommen?
Soll sich der Prophet, in dem sich diese Worte festgesetzt haben, von der Botschaft Gottes bewegen lassen? Wird er sich ein Herz nehmen und si den Menschen weitersagen?
Jesaja hat der Stimme vertraut. Durch ihn wird der Trost zur Muttersprache Gottes.

Jesaja hat die Heimkehr verheißen. Sie hat sich erfüllt.
Das Volk Israel hat nach bewegten Jahren in der Fremde mit der Zeit und nach mühsamen Aufbauarbeiten wieder in der Heimat Fuß gefasst.
Nun lebt es jedoch seit über 60 Jahren unter der Herrschaft der Römer. Mehr denn je ersehnen die Menschen den von Gott verheißenen Messias. Auch, um durch ihn das Joch der Fremdherrschaft abzuschütteln.

So sind wir hier, wieder in Tagen des Advents, der Erwartung auf große Ereignisse, angekommen.

Der Advent bringt Menschen in Bewegung. Zu jeder Zeit. Er macht der Sehnsucht Beine. Der Evangelist Lukas ermöglicht uns in seinem Evangelium einen Blick auf die Wege sehr unterschiedlicher Menschen. Viele sind aufgebrochen, haben sich auf den Weg gemacht. Manche vom Himmel bewegt, andere von ihrer Vorfreude oder durch einen Stern. Und wieder andere wurden durch kaiserliche Vorgaben genötigt, unterwegs zu sein. Der Blick geht zuerst zu Maria. Sie eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa heißt im Lukasevangelium 1,39-43

„Maria aber machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mit, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“

Sie hat es eilig, schreibt der Evangelist. Lukas verwendet dieses Wort wieder als die Hirten die Botschaft erhalten, dass in der Stadt Davids der Retter geboren wurde. Auch sie gingen eilends zum Stall um zu sehen, was da geschehen war.

Die adventliche Bewegung, die von Gott ausgeht, hat nichts mit Hetze, Zeitnot oder Stress zu tun. Es ist eine Bewegung, die sanft entsteht, dann aber Beine macht. Denn diese Gotteseile entspringt einer inneren Anziehung, einer bewegenden Verlockung. Wenn Gott im Kommen und am Werk ist, dann wird und darf man sich durch nichts und niemanden aufhalten lassen. Maria also sputet sich. Sie hat inneren Rückenwind, ist voll gespannter Erwartung, ob es wirklich stimmt, dass ihre Verwandte Elisabeth ebenfalls guter Hoffnung ist.

Guter Hoffnung sein. Das ist eine Grundbewegung des Advents. Denn in der Tat verbinden sich mit dem Kind, das in Maria heranwächst, unzählige Hoffnungen. Jesus wird – für die Menschen aller Zeiten – eine Leuchtspur der Hoffnung sein. Im Lobgesang des Zacharias heißt es über ihn, dass er das aufstrahlende Licht aus der Höhe ist, das allen leuchtet, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes. Um dies anzudeuten, kommt auch das werdende Leben im Schoß von Elisabeth in Bewegung. Johannes macht einen Freudensprung, als wäre er bereits geboren und würde den begrüßen, von dem er später sagen wird, dass dieser bedeutender sei als er.

Lied: Wie soll ich die empfangen EG 11,1-2

Zum Bild:
Sie hat Würde, diese Frau, die durch das offene Tor geht.
Wie eine Königin schreitet sie aus.
Eingehüllt in ein Kleid aus Zuversicht.
Es wird mit den Händen gerafft, damit der saum nicht zum Stolpern verleitet.
Mit einem Fuß hat sie die Schwelle ins Neuland bereits überschritten.
Ihr Blick ist nach vorne gerichtet.
Hat sie ein Ziel vor Augen oder geht sie einfach los?
Was sie wohl an diesem Durchschritt durch das Tor bewegt?
Bemerkt sie den Übergang?
Übergänge vollziehen sich ja immer zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“.
Das nimmt ihnen manchmal die Leichtigkeit, kann unsicher machen, zögern oder zaudern lassen.
Aber hier ist der erste entscheidende Schritt bereits getan. Sie geht ja offentlichtlich voller Beherztheit und Kraft.
Kein Blick zurück auf das Vergangene, das längst hinter ihr liegt.
So macht sie Mut, den Tagen des Advents getrost entgegenzugehen.

Der Advent bewegt: innerlich und äußerlich. Gott kommt uns entgegen. Wir gehen auf ihn zu.
Advent ist bis heute eine Bewegung auf ein Ziel hin: zum Stall, zur Krippe, zum Kind. In ihm zeigt sich uns der unfassbare Gott. In einem hilflosen Kind, das uns entgegenlächelt.
Auf, lasst uns nach Bethlehem gehen!

Lied: 18 Seht die gute Zeit ist nah!

Gebet
Die Wege des Advents
Haben ihre ganz eigene Gestalt.
Nicht immer sind sie geradlinig,
gut beschildert oder ohne Hindernisse.

Es gibt so vieles, was aufhält und ablenkt,
was anstrengt, müde macht oder zaudern lässt.

Aber du Gott bist mit denen, die dich suchen,
sei es auf geraden oder verschlungenen Wegen,
in der Alltäglichkeit des Arbeitens, der Verpflichtungen,
der Sorge und Fürsorge für andere.

Du begleitest die Übergänge und kennst die Schwellenängste.

Du bist verlässlicher Garant dafür,
dass die adventlichen Wege
die Verheißung eines Zieles in sich tragen.

Sie führen zum Kind.
Zu Jeschua: Gott rettet.
Zu Immanuel: Gott mit uns.

Das ist der Name des Kindes.
Das ist dein name, Gott.
Du bist das Warten, das nach uns Ausschau hält.
DU bist der Weg, der uns bewegt,
der unserer Hoffnung
und Sehnsucht nach Sinn Beine macht.

Vater unser

Segen
Gott, der uns bewegt
Und stärkenden Rückenwind gibt,
wenn wir ihm entgegengehen,
er segne und behüte uns.

Gott sei uns nahe
In den Tagen des Advents,
der Vorbereitung und der Erwartung.

Gott stärke uns im Alltag
Und trage uns,
wenn die Hoffnung schwächer ist als die Zuversicht.
So segne und behüte uns,
Gott, Vater, Sohn und heiliger Geist.

Lied: Macht hoch die Tür, EG 1, 4-5

Gottesdienst am 21.11.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

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Musik

Begrüßung
Zum Gottesdienst begrüße ich Sie herzlich hier in der Dankeskirche.
Gottesdienst am Toten- oder Ewigkeitssonntag. Viele Gedanken und Gefühle sind heute mit den Verstorbenen verbunden. Wir denken an Gespräche mit ihnen, an Erlebnisse, an die Nähe mit den Menschen, die uns lieb waren und sind und die nun nicht mehr bei uns leben.
Und wir spüren: es tut uns weh.

Der Wochenspruch will uns Hoffnung machen: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen.“ (Lk 12,35) – Das bedeutet: Bleibt in der Hoffnung, seid bereit für das was auf euch zukommt und für den, der auf euch zukommt. Denn bald schon ist sein Advent.

Angesichts hoher Inzidenzen sind wir froh darüber, weiter Gottesdienst feiern zu können.
Wir bitten Sie unbedingt auf Abstände zu achten /  /
Beim Singen entweder Ihre Maske aufzusetzen oder nicht zu singen.
Ich wünsche uns einen sicheren und gesegneten Gottesdienst.

Eingangslied:        450, 1 – 4     Morgenglanz der Ewigkeit

Votum

Psalmgebet

Aus Psalm 90 EG W 735
Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen
 
Herr, du bist unsre Zuflucht für und für.
Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden,
bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
     Der du die Menschen lässest sterben
und sprichst: Kommt wieder, Menschenkinder!
 Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist,
und wie eine Nachtwache.
     Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom,
sie sind wie ein Schlaf,
     wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst
und des Abends welkt und verdorrt.
 Das macht dein Zorn, dass wir so vergehen,
und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahin müssen.
     Denn unsre Missetaten stellst du vor dich,
unsre unerkannte Sünde ins Licht vor deinem Angesicht.
 Darum fahren alle unsre Tage dahin durch deinen Zorn,
wir bringen unsre Jahre zu wie ein Geschwätz.
     Unser Leben währet siebzig Jahre,
und wenn’s hochkommt, so sind’s achtzig Jahre,
 und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe;
denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.
     Wer glaubt’s aber, dass du so sehr zürnest,
und wer fürchtet sich vor dir in deinem Grimm?
 Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.
     Herr, kehre dich doch endlich wieder zu uns
und sei deinen Knechten gnädig!
 Fülle uns frühe mit deiner Gnade,
so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang.
     Erfreue uns nun wieder, nachdem du uns so lange plagest,
nachdem wir so lange Unglück leiden.
 Zeige deinen Knechten deine Werke
und deine Herrlichkeit ihren Kindern.
     Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich
und fördere das Werk unsrer Hände bei uns.
Ja, das Werk unsrer Hände wollest du fördern!

Eingangsgebet
Und ich?
Wie oft fragen wir das, barmherziger Gott.
Wir fragen es laut und leise, verzweifelt und trotzig.
Und ich? Zurückgelassen fragen wir es heute.
Verloren haben wir einen Menschen, der mit uns das Leben und die Zeit teilte, den Weg, den Morgen, den Mittagstisch, die Sorgen und die Freuden.
An seinem Ende waren wir da, haben es versucht, bei ihm zu sein, so vieles, jetzt sind wir nach seinem Ende immer noch da.
Er ist vorausgegangen: in Richtung Auferstehung.
Und wir? Zurückgelassene. Hinterbliebene.
Dich fragen wir das, gütiger Gott, oft unverständlicher Gott. Und ich? Was wird mit uns?
Schaue auf uns, in unsere Gesichter, auf unsere Hände, hinein in unser Leben.
Das bitten wir dich, durch Jesus Christus, deinen Sohn.
Amen.
 
Lesung und Predigttext
5. Mose 34, 1 – 8 , Moses Tod 1 Und Mose stieg aus der Wüste von Moab auf den Berg Nebo, auf den Gipfel des Pisga gegenüber von Jericho. Und der HERR liess ihn das ganze Land sehen, von Gilead bis nach Dan, 2 ganz Naftali und das Land Efraims und Manasses und das ganze Land Judas bis an das westliche Meer, 3 den Negev und die Ebene des Jordan, die Talebene von Jericho, der Palmenstadt, bis nach Zoar. 4 Und der HERR sprach zu ihm: Dies ist das Land, von dem ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe: Deinen Nachkommen will ich es geben. Ich habe es dich mit deinen Augen schauen lassen, aber du wirst nicht dort hinüberziehen. 5 Und Mose, der Diener des HERRN, starb dort im Land Moab nach dem Befehl des HERRN. 6 Und er begrub ihn im Tal, im Land Moab gegenüber von Bet-Peor, und bis heute kennt niemand sein Grab. 7 Mose aber war hundertzwanzig Jahre alt, als er starb, seine Augen waren nicht trübe geworden, und seine Frische hatte ihn nicht verlassen. 8 Und die Israeliten beweinten Mose in den Steppen von Moab dreissig Tage lang; dann waren die Tage des Weinens und der Trauer um Mose zu Ende.

Lied        184    Wir glauben Gott im höchsten Thron

Predigt
Die Gnade unseres Herrn JX, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des HG Sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
Am Ende steht Mose auf dem Gipfel. Am Ende der fünf Bücher Mose, am Ende der Thora. Am Ende seines Weges, seiner Geschichte, seines Lebens. Sein Weg war zu ende, vollendet, wenn auch nicht in seinem Sinn. Er steht dort mit allem was er ist und war: der kleine Säugling im Weidenkorb; der Gottesfürchtige am Dornbusch; der Mörder eines ägyptischen Aufsehers; der Verhandler beim Pharao; der Befehlsempfänger Gottes auf dem Berg Horeb; der Führer durch die Wüste; der Wundertäter und Geistbegabte.

Wo stehen wir Menschen am Ende unseres Weges, unseres Lebens? Menschen liegen, atmen schwer, sterben, mit all dem, wer sie sind: gewesenes Kind, aufgewachsen, groß geworden, einen Beruf gelernt, gearbeitet, Vater, Ehemann, Lebenspartner. Am Ende alles in einem Moment. Am Ende stehen Menschen an den Betten, in denen Menschen sterben. Sie erleben das Ende, und es ist nicht ihr Ende. Es ist das Ende des anderen, manchmal ist es eine Erlösung. Am Ende verknüpft sich das Leben, so verschieden die Geburt, so verschieden und besonders jedes Ende. Am Ende stehen Menschen, und halten Hände und weinen und tragen Wegbilder in sich.

Mose sieht von Gipfel aus das verheißene Land. Er sieht die Schönheit der Landschaft, er sieht die Menschen, die mit ihm gingen, Aaron und Josua, was sie gemeinsam erlebten und getrennt, was ihnen und ihm verheißen worden war. – Was sehen Menschen am Ende ihres Lebens vor sich?

Nichts oder ganz viel? Einen Tunnel, Licht, einzelne Lebensszenen? Können sie loslassen, haben sie Angst? Fällt das Sterben vielleicht leichter, wenn man alleine ist oder wenn man gehalten wird?

Und ist der Tod eine letzte Offenbarung? "und ewig kreist die Schattenschrift/ leblang stehst du im dunklen Spiel/ bis dich des Spieles Deutung trifft/ die Zeit ist um – du bist am Ziel“ – so lautet die Inschrift auf dem Darmstädter Hochzeitsturm. Mose hat seinen Nachfolger bestimmt. Hat Rückschau mit den Stammesführern gehalten, gemahnt und gesegnet. Nun schaut er ins gelobte Land, das er nicht mehr erreichen darf.

„Ich will es deinen Nachkommen geben, aber du sollst nicht hinübergehen.“ Das wird nicht weiter begründet. Ist es Strafe oder verborgener Sinn? Bleibt das Ziel unerreicht, weil Mose sich einiges zuschulden kommen ließ im Leben? Es bleibt offen und ungelöst. Am Ende nur die Frage: Und ich? Welche Fragen stellen sich Sterbende? Wo komme ich hin? Was darf ich erreichen? So nahe wir auch Menschen sind, wir können nur vermuten, welche Fragen sich das Ich am Ende stellt, stellen kann.

Mose wird von Gott zurückgeworfen auf seine eigene Lebensgeschichte. Sein Ich wird von Gott gleichsam gewendet in den Blick auf diejenigen, die mit ihm unterwegs waren, die er geführt hat, die bleiben und weitergehen werden. Und ich? Und Gott antwortet ihm und sagt: Und die anderen? Die anderen erreichen das Gelobte Land. Ich werde ihnen das Land geben, dass ich schon Abraham, Isaak und Jakob versprochen habe. Den Nachkommen. Du aber bleibst hier.

Jeder hat Nachkommen, auch dann, wenn man keine Kinder hatte. Eine Reihe näherer oder fernerer Menschen, die uns umgeben, vorausgegangen sind oder nachfolgen werden, deren Leben mit dem unseren verbunden ist. Sie ziehen weiter, in ein anderes gelobtes Land, in dem Corona längst beherrschbar sein wird, wie früher die Spanische Grippe, in dem die Energiefrage gelöst sein wird und es gegen Krebs und andere Krankheiten eine Impfung geben wird. Und ich? Und Gott? Am Ende wird seine Verheißung erfüllt. Und wir werden ein Teil davon gewesen sein, auf dem Weg, unterwegs.

„Und Mose starb“. Kürzer kann man es kaum sagen. Als sei das das Gewöhnlichste der Welt, dass einer stirbt. Aber wo immer das gesagt wird oder gehört oder gelesen, da weiß man, es ist nichts Gewöhnliches und Normales. Es ist das Schmerzlichste vielleicht. Es ist das Ende von einem.

Mose Tod liest sich wie eine kleine Todesanzeige, auf Papier gedruckt, für Zeitung und Trauerkarten. Mit Angabe von Ort und Zeit und Alter und davon, wie sein körperlicher Zustand zum Zeitpunkt des Todes gewesen ist. Die Rede ist davon, dass sein Grab unbekannt blieb und dass die Menschen, seine Nachkommen, um ihn weinten, aber ihre Trauerzeit klar begrenzt war. 30 Tage, ein Monat. Denn sie zogen dann ja weiter.
So starb Mose, so sterben Menschen. Mit Namen, Ort und Zeit, mit einem genauen Alter und wie es ihnen am Ende in und mit ihrem Körper erging, der ihnen zur Last geworden war. Das ist das Äußerliche, aber doch mehr als nur Zahlen und Fakten. Wie sie innerlich starben, froh, zagend, gefasst, getröstet, gehalten, einsam – das wissen wir nicht, wir können es nur ahnen. Sie nehmen es mit in ihr Grab.

Wer uns begräbt, das mag keine Frage sein, sie sich unbedingt aufdrängt. Aber dass wir begraben werden und vielleicht auch wie, das ist schon wichtig. Nicht, wer es tun wird. Der Tod wird kommen, er wird uns begraben. Und seien wir ehrlich: er beginnt damit schon, wenn wir noch leben. Wenn eine Hoffnung begraben wird, eine Liebe erlischt, wenn Furcht das Leben verdunkelt.

Die Bestatter organisieren unser Begräbnis, bieten Sarg und Leintuch, Organisation und Worte, Rat und Rechnung. Und auch der Pfarrer oder die Pfarrerin sind mit dabei, sie schauen darauf, dass neben dem Begraben auch die Würdigung des Lebens, der Segen, das Hoffen und vielleicht manchmal auch das Lachen seinen Platz hat. Oft werfen sie als Erste die Erde ins Grab. Dem folgt die Familie und so mancher andere. So begraben uns die Nachkommen.

Bei Mose heißt es fast wie nebenbei: „Und er begrub ihn …“ „Er“ muss Gott sein, es ist der Gleiche, der ihm oben auf dem Gipfel das Land zeigte. Unten im Tal begrub er ihn, in einem unbekannten Grab, damit das Volk, die Nachkommen, nicht an diesen Ort gebunden sein würden, an das Grab und an den Tod. Damit die Trauer ein Ende haben darf und nicht die Toten, sondern das Leben verehrt wird, die Erinnerung, das Gute.
Gott begräbt Mose, legt ihn in seine Erde, seinen Mose, an seinen Ort. Den er als Säugling rettete; den er berief; dessen Zweifel er überwand; den er Wunder hat tun lassen. Als sähen wir Gott, wie er den Mose fast zärtlich nimmt, in seine Hände, ihn in den Boden legt, von dem er einmal genommen wurde, und dreimal die Erde auf ihn wirft. Und ich?

Als bekäme Mose auf diese Art endlich seine Antwort: Ja du! Und wir fragen am Ende: Und ich? Und mein Verstorbener? Gott begräbt ihn, ist bei ihm im Sterben, und wir Christen hoffen: Gott lässt ihn auferstehen. So sterben wir. Wir alle. Ich auch.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX.  Amen

Lied:        407    Stern auf den ich schaue

Kerzen – Aktion
Dazu: Orgelmusik

Lied:        258    Zieht in Frieden eure Pfade

Fürbitte
Am Ende sind Menschen, und wir sehen sie nicht.
Wir können sie nicht sehen, weil sie verborgen sind.
Aber unserer Fürbitte sind sie nicht verborgen.
Am Ende sind Menschen; und wir wollen für sie beten:
Am Ende ihres Lebens, ihrer Hoffnungen, ihres Einmaleins,
ihres Mutes, ihrer Kraft, ihrer Geduld, ihrer Liebe.

Am Ende an einem bestimmten Punkt sind Menschen,
und so schenke uns, Gott, die Gabe:
ein Anfang für sie zu sein.
Dort, wo sie enden, lass uns neu beginnen,
lass uns nicht aufhören
zu seufzen und zu klagen,
zu suchen und zu finden,
einzutreten für andere und zu fordern,
zu gestalten, hervorzubringen, ein Teil der Auferstehung zu werden.
Am Ende sind Menschen, gnädiger Gott. Du bist ihr Neubeginn.

Vater Unser

Schlusslied:        171, 1 – 3        Bewahre uns Gott        

Abkündigungen

Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 14.11.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung

Ich begrüße Sie und euch alle herzlich zu diesem Gottesdienst! Heute begehen landesweit viele Menschen den Volkstrauertag, einen Tag des Schmerzes und der Erinnerung, einen Tag auch der Bitte um Vergebung.

Unser Glaube aber kennt auch den Ausblick nach vorn; die Hoffnung gehört ganz zentral dazu. Was wir voller Sehnsucht erwarten dürfen, davon spricht der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief; es ist die himmlische Heimat bei Gott. Doch auf dem Weg dorthin heißt es auch im Wochenspruch (2. Korintherbrief 5,10): „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richtersitz Christi.“

Zum Gericht gehört nach christlichem Verständnis auch die Rettung. Darum lasst uns heute unseren Gott feiern, der uns mit offenen Armen erwartet – heute und wenn wir einmal in den Himmel eingehen werden.

Wir feiern den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wenn wir nun gleich das erste Lied gemeinsam singen, denken Sie bitte daran, dazu wieder die Masken aufzusetzen. Herzlichen Dank!

Lied 452,1-3.5 Er weckt mich alle Morgen

+ 179 als Psalmgebet

Leitvers: Sammelst meine Tränen, Gott, in deinem Krug, und keine, keine, keine geht verlorn.
Alle: Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein.
Eine: Da wird man sagen unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen getan!
Alle: Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich.
Alle: Leitvers
Eine: Herr, bringe zurück unsere Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland.
Alle: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Kollektengebet

Ewiger Gott, nun sind wir hier. In deinem Haus. Wir atmen etwas von deinem guten Geist! Hören auf dein Wort. Und bitten dich: lass uns deine Liebe bei uns spüren! Und lass uns deine wärmende Vergebung annehmen. Stärke unsere Hoffnung, dass wir bei dir geborgen sind bis in Ewigkeit. Amen.

Lesung aus dem 2. Kor.5,1-10 (in Auszügen)

Eines wissen wir: wenn unser irdisches Zelt hier abgebrochen wird, dann bekommen wir einen Wohnort, den Gott uns bereitet, ein Haus, das nicht von Händen gemacht ist, das ewig und im Himmel ist.

Wir seufzen und wir sehnen uns danach, das Himmlische wie ein Kleid überzuziehen. Denn während wir in diesem irdischen Zelt leben, haben wir es schwer. Aber wir wissen, dass Gott uns für das Leben geschaffen hat und uns als Anzahlung seinen Geist gegeben hat.

Wir wissen:  solange wir im Körper zuhause sind, leben wir in der Fremde und fern von dem, dem wir gehören. Manchmal wollen wir lieber das Zuhause des Körpers verlassen, um bei dem zuhause zu sein, dem wir gehören.

Und es ist für uns von größter Bedeutung, ihm zu gefallen. Denn wir alle müssen vor dem Richtersitz Christi offenbar werden, damit jede und jeder von uns etwas dafür erhält, was wir im Laufe des Lebens getan haben, sei es gut oder böse.
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. Halleluja!

Glaubensbekenntnis

Lied 409,1.2.5-8 Gott liebt diese Welt

Ansprache

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,

in früheren Jahren nutzte unsere Familie ab und zu gern ein verlängertes Wochenende, um zelten zu gehen. Ganz besonders erinnere ich mich an ein Ereignis, das wir in Blavand erlebten, an der südlichen Nordseeküste von Dänemark. Es war Abend.  Da zeigten sich schon dunkle Wolken am Horizont. Bald nahmen sie den ganzen Himmel ein und türmten sich übereinander. Der Wind frischte böig auf. Mit einem mulmigen Gefühl zogen wir uns in unser Zelt zurück und schlüpften in unsere Schlafsäcke.  Mitten in der Nacht aber steigerte sich der Wind zum Sturm und zerrte an den Schnüren des Zeltes. Und dann brach das Zelt über uns zusammen. Nun war kein Schlafsack mehr trocken, von den übrigen Sachen und Gegenständen ganz zu schweigen. Schlagartig war uns bewusst geworden, dass ein Zelt keinen wirklich sicheren Unterschlupf bietet. Und so schnell wie wir konnten, packten wir alles zusammen und brachen unseren Urlaub ab, um nachhause zu fahren. Das blieb bis heute unser einziger Aufenthalt in Blavand.

Ein Zelt ist anfälliger und vergänglicher als ein Haus. Wer hätte das besser gewusst als Paulus, der Apostel? Von Beruf war er Zeltmacher. Im Text aus dem 2. Korintherbrief, den wir soeben gehört haben, greift er auf das Motiv des Zeltes zurück: „Wenn unser irdisches Zelt hier abgebrochen wird, bekommen wir einen Wohnort, den Gott uns bereitet, ein Haus, das nicht von Händen gemacht ist, das ewig ist und im Himmel.“ Paulus vergleicht also unseren Körper aus Fleisch und Blut mit einem Nomadenzelt und stellt dieses Zelt dem ewigen, stabilen Haus im Himmel gegenüber. Denn in Gottes Ewigkeit, so der Apostel, bekommen wir einen neuen Körper geschenkt, einen, der nicht altert, der nicht krank wird und nicht stirbt.

Paulus denkt dabei keineswegs leibfeindlich. So wie der griechische Platonismus, der den Körper als ein Gefängnis der Seele betrachtete. Er kann den irdischen Körper sehr wohl wertschätzen, aber er hofft zugleich auf einen neuen und besseren Leib im Himmel. So eine Art freischwebende Seele im Jenseits ist nicht das, was er sich vorstellt.

Paulus denkt nicht leibfeindlich, aber es ist unverkennbar, dass er das Leben auf dieser Erde vor allem als eine Last empfindet.

Er wünscht sich sogar, den Körper zu verlassen. Das klingt alarmierend. Paulus befindet sich in einer extremen Situation. Er schreibt vom Seufzen und von seiner Sehnsucht nach einer himmlischen Heimat. Er möchte seinen auferstandenen Herrn schauen, und zwar so bald wie möglich.  Aus seiner Situation heraus kann ich den Apostel verstehen: Sein Leben war in der Tat alles andere als ein Sonntagsspaziergang. Er war krank. Die vielen Reisestrapazen setzten ihm zu. Genauso wie die zahlreichen Anfeindungen, denen er ausgesetzt war, die Gefängnisaufenthalte, die Schläge, und die Streitereien in den jungen Gemeinden um seine Person. Nach außen hin wirkte es so, als sei er zäh, als könnte er allen Nöten und Gefahren trotzen. Doch nach innen hin und ungeachtet dessen wuchs sein Verlangen nach dem Himmel von Jahr zu Jahr.

Ist dieses Verlangen schlichtweg Schwärmerei? In der Folgezeit wurde es oft als Weltflucht verstanden und nicht nur Paulus allein, sondern dem Christentum insgesamt wurde das zum Vorwurf gemacht. Stellvertretend für viele andere steht Friedrich Nietzsche, der sagte: „Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Verächter des Lebens sind es; so mögen sie dahinfahren!“  

Dieses vernichtende Urteil aber, ein Verächter des Lebens zu sein, wird dem Apostel nicht gerecht.  Allerdings trifft es zu, dass die Hoffnung ein ganz unverzichtbares Element des Glaubens ist, die Hoffnung auf ein jenseitiges Zuhause bei Gott, ohne jedes Leid und ohne jede Last. Davon erzählen die besonders schönen Texte aus der Offenbarung des Johannes: davon, dass der Tod nicht mehr sein wird, dass kein Leid und kein Schmerz mehr sein wird, und Gott alle Tränen von den Augen abwischen wird. Diese Hoffnung auf ein Leben bei Gott ist tatsächlich unendlich viel mehr als die Vorstellung, dass unsere Verstorbenen nur in der Erinnerung ihrer Angehörigen weiterleben.  Unser Glaube trägt einen großen Trost in sich. Da halte ich es gern mit Paulus oder auch mit Romano Guardini, dem Priester und Philosophen, der einmal gesagt hat: „Der Tod ist die uns zugewandte Seite jenes Ganzen, dessen andere Seite Auferstehung heißt.“

Wenn die Hoffnung auf die Auferstehung genannt wird, so verbindet sich damit auch in unserem Glauben die Erwartung des Jüngsten Gerichts. Im Neuen Testament ist öfter vom Gericht die Rede, so wie auch in unserem Predigttext heute: „Wir alle müssen vor dem Richtersitz Christi offenbar werden, damit jede und jeder von uns etwas davon erhält, was wir im Laufe des Lebens getan haben, sei es gut oder böse.“

Das ist keine einfache Sache, überhaupt über das Gericht zu sprechen. Und das aus gutem Grund. In früheren Zeiten wurde damit viel Schindluder betrieben. Gläubige Menschen wurden nur allzu oft durch Gerichtspredigten in Angst und Schrecken versetzt. Und bildliche Darstellungen wie die von Hieronymus Bosch oder Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle taten dazu ihr Übriges. Wie kann man also angemessen darüber denken, darüber sprechen?

Viele Predigerinnen und Prediger scheuen sich heute, dieses Wort überhaupt in den Mund zu nehmen. Aber ein Missbrauch verbietet ja nicht prinzipiell den Gebrauch eines Wortes. Immerhin gibt es diesen einen wichtigen Satz in unserem Glaubensbekenntnis, nämlich den, wo es von Christus heißt, er werde kommen, „zu richten die Lebenden und die Toten“. Ich halte diese Perspektive tatsächlich für eine ganz wichtige, auch wenn sie unpopulär scheint und nicht von unserer Welt oder unserem Weltbewusstsein.

Ich hoffe sehr, dass es am Ende der Zeit eine gerechte Instanz gibt, eine Rechtsprechung, in der Gott alles zurechtbringt, was hier auf der Erde von Menschen ins Unrecht gesetzt wurde. Ich spreche diese Hoffnung gerade heute aus, am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres. Heute wird staatlicherseits dieser Tag als Volkstrauertag begangen.  Wir erinnern uns an die zahllosen Opfer von Gewalt und Krieg. Und die Stimme all dieser Opfer schreit noch immer zum Himmel und verlangt ihr Recht. So viele Gefallene und Getötete der Weltkriege, so viele Opfer von Völkermord, Terrorismus und Rassismus, die zu Unrecht Inhaftierten und die Gequälten in den Lagern und Gefängnissen, die Vertriebenen und die Geflüchteten unserer Tage. Denken wir nur an die Menschen an der Grenze zwischen Belarus und Polen, die zum Spielball eines eiskalten und skrupellosen weissrussischen Diktators geworden sind. Wenn es einen Tag im Jahr gibt, der auf ein jüngstes Gericht hoffen und sehnen lässt, dann ist es dieser Volkstrauertag, dieser Tag, der wie kein anderer von der Schuld und dem Leid der Menschen spricht.

Ich hoffe auf ein Gericht am Ende der Tage, in dem das Leid der Opfer gewürdigt wird und in dem die Täter mit ihren Taten von Gott konfrontiert werden. Denn Gott ist nicht nur ein barmherziger, er ist auch ein gerechter Gott. Daran will ich festhalten. Er allein weiß, wie dann die Strafe aussehen wird.  Vielleicht ist es das Schlimmste, wenn die Täter das ganze Ausmaß dessen erkennen und mit ihrer Seele erfassen, was sie anderen an Bösem angetan haben. Und wenn sie endlich eine tiefe Reue darüber erfasst.  Gott allein weiß es, und nur er allein soll es wissen. Es liegt in seiner Hand.

Zu diesem Thema gehört, dass auch unser eigenes Leben in das Licht Christi gerückt wird. Und es mag sein, dass es dann auch für uns nicht ohne Beschämung abgeht. Dass es wehtun wird zu erkennen, wo und wie wir schuldig geworden sind, was wir versäumt haben, wo wir geschwiegen haben oder das nicht getan haben, was wir hätten tun sollen. Aber wir können darauf vertrauen, dass diese Erkenntnis heilsam sein wird. Und dass wir auf die Vergebung Jesu Christi hoffen können, der sein Leben für uns hingegeben hat. Im Lichte seiner göttlichen Liebe wird auch aus den Bruchstücken unseres Lebens etwas neues, Ganzes werden können. „Wenn er für uns ist, wer kann dann gegen uns sein?“ So fragt Paulus. „Gott ist hier, der gerecht macht.“

Jesus Christus ist größer als unser Herz. Und er richtet nicht, um zu vernichten, sondern um uns aufzurichten. Um uns zu vollenden und um uns ein neues, ewiges, ein schönes, unvergängliches Leben bei Gott zu schenken.

Zu dieser Aussicht und Hoffnung bekenne ich mich. Sie allein hilft zu leben, nicht kirre an dieser Welt zu werden und Gutes zu tun, soweit es möglich ist.

Der Dichter Hermann Hesse hat es einmal so gesagt: „Wir Anspruchsvolleren, wir mit der Sehnsucht, mit der Dimension zu viel, könnten gar nicht leben, wenn es nicht außer der Luft dieser Welt auch noch eine andere Luft zu atmen gäbe, wenn nicht außer der Zeit auch noch die Ewigkeit bestünde.“

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten
Unser Gott, wir danken dir für die reiche Hoffnung auf deine neue Welt. Wir danken dir für deine Liebe und deine lebendige Gegenwart. Sie stärkt uns und trägt uns durch die Zeit. In diesem Vertrauen kommen wir mit unseren Bitten zu dir:

Wir bitten für alle Menschen, die mit uns zusammenleben – hier in unserer Gemeinde, in dieser Stadt und in diesem Land. Wecke die Herzenskräfte, dass wir im Frieden zusammenleben. Hilf, dass die Menschen, soweit es ihnen aus medizinischen Gründen möglich ist, sich impfen lassen, damit unsere Gesellschaft nicht auseinanderbricht.

Wir bitten dich für die Menschen in unserem Land, denen Gewalt angetan wird und die in Angst leben. Befreie sie und sei du an ihrer Seite. Für alle Menschen in den Krisengebieten dieser Erde bitten wir. Lass die Gewalt ein Ende nehmen und die Menschen im Gegner die Schwester und den Bruder erkennen. Gib, dass die Mächtigen dieser Welt ihre Kräfte für den Frieden einsetzen.

Bitte für die Verstorbenen der letzten Woche

Du, Herr, lässt uns nicht allein. Du bist an jedem Tag und zu jeder Stunde bei uns. Wir danken dir für deine Treue, jetzt und allezeit.

Und gemeinsam beten wir das
Vaterunser

Lied: + 110  I am sailing

Abkündigungen

Segen
Musik

Gottesdienst am 7.11.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
Herzlich willkommen zu diesem Gottesdienst hier in der Dankeskirche. Am 1. Sonntag im Monat feiern wir Abendmahl. Sie haben dafür am Eingang ein Glas mit Brot und Traube erhalten.
Manches ist erfüllt und schon da; vieles aber steht noch aus: Gerechtigkeit, die Bewahrung der Schöpfung; Heilung und Leben in Gottes großem Frieden. In diesen letzten Tagen des Kirchenjahres geht es um dieses „Schon – und Noch-Nicht“, das Warten auf den Messias und seinen Tag. Unsere Zeit vergeht, das Reich Gottes kommt – und ist zugleich auch schon da: in  Jesus Christus.

Eingangslied:     450, 1 – 4        Morgenglanz der Ewigkeit

Votum

Eingangsgebet

Ewiger Gott, wir nehmen diesen Sonntag aus deinen Händen und danken dir, dass wir miteinander Gottesdienst feiern können, hier in deinem Haus. In den Chorfenstern unserer Dankeskirche sehen wir deine Heilstaten, vor dir denken wir an deine Gegenwart zu allen Zeiten.
Wecke in uns den Wunsch und die Begeisterung, deinen Willen zu tun, einander mit Achtung zu begegnen, gütig und in gegenseitiger Wertschätzung – so wie es deiner Nähe zu uns entspricht, deiner Gegenwart.
Das bitten wir dich durch JX, unseren Herrn.

Amen

In der Lesung aus dem Lukasevangelium spricht Jesus darüber, wie das Reich Gott kommt. Wir hören auf die Lesung:

Lesung

„Vom Kommen des Gottesreiches“  Lk 17, 20 – 24
20 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes? antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen; 21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier! oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch. 22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen. 23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft nicht hinterher! 24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

Glaubensbekenntnis

Lied:    283, 1 – 3            Herr, der du vormals hat dein Land

Predigt

Die Gnade unseres Herrn JX, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des HG Sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
„Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung.“  Das war ein Schlager in meiner Jugend, als ich eigentlich ganz andere Musik hörte und selbst machte. Das war nicht gerade Cindy und Bert. „Immer wieder sonntags“ läuten bei uns die Kirchenglocken, in der Stadt und auf den Dörfern ringsherum. Sie laden ein, die Gottesdienste mitzufeiern und sich dort an das Wirken Gottes zu erinnern und das eigene Leben im Lichte Gottes zu sehen.
Im Judentum müsste es heißen: „Immer wieder samstags kommt die Erinnerung.“ Juden versammeln sich am Vormittag des siebten Tages der Woche, dem Sabbat, in ihren Gotteshäusern, den Synagogen. Mit dem, was dann aus der Tora vorgetragen wird und wie sie als Gemeinschaft ihre Glaubensfeste feiern, bewahren sie ihre Erinnerung an das Handeln Gottes. Diese religiöse Praxis, Gespräch und Gebet in den Synagogen über all die Jahrtausende der Zerstreuung und Verfolgung, des Holocausts hinweg gab den Juden Vergewisserung und Rückhalt.

Mit den Konfis haben wir in dieser Woche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Judentum und Christentum gesammelt. Übermorgen, am 9.11., besuchen wir jüdische Gedenkstätten und die Synagoge in unserer Stadt. Sukot und Erntedank, Chanuka und Advent, Pessach und Ostern: die Liste der Entsprechungen ist lang Kein Wunder, Jesus war Jude und das Christentum entwickelte sich aus dem Judentum heraus. Es hat lange gedauert, bis unsere Kirchen das endlich anerkennen konnten. Der heutige Bibeltext verbindet den Glauben von Juden und Christen. Die Psalmen sind unser gemeinsames Erinnerungsbuch. Jesus hat darin gelesen, die Psalmen gebetet und daraus zitiert.
Psalm 85 lässt sich in drei Teile gliedern. Im ersten Teil wird Gott an sein gnädiges Handeln erinnert; dafür bedankt sich der Psalmsänger. Dann stellt er Gott die bedrückende Gegenwart vor Augen. Das ist seine Klage. Und schließlich blickt er in die Zukunft und erbittet von Gott neuen Segen für sein Volk.

Psalm 85
Bitte um neuen Segen 1 Ein Psalm der Korachiter, vorzusingen.

2 HERR, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande und hast erlöst die Gefangenen Jakobs; 3 der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk und all ihre Sünde bedeckt hast; – Sela – 4 der du vormals hast all deinen Zorn fahren lassen und dich abgewandt von der Glut deines Zorns:

5 Hilf uns, Gott, unser Heiland, und lass ab von deiner Ungnade über uns! 6 Willst du denn ewiglich über uns zürnen und deinen Zorn walten lassen für und für? 7 Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann? 8 HERR, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil!

 9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten. 10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; 13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; 14 dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge.

Beten wir gemeinsam den ersten Abschnitt des Psalms und beginnen mit Vers 2:
„2 HERR, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande und hast erlöst die Gefangenen Jakobs; 3 der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk und all ihre Sünde bedeckt hast; – Sela – 4 der du vormals hast all deinen Zorn fahren lassen und dich abgewandt von der Glut deines Zorns.“

Vormals – dabei denke ich an mein, an unser „Früher“: als wir den Ehrenamtlichen-Abend als großes Fest mit Büfett und Gesprächen im Gemeindezentrum, feiern konnten. Als wir Gemeindefeste feierten und das Abendmahl im Kreis vor dem Altar und mit Einzelkelchen. Als ich mit meiner Frau in Griechenland war und wir eine Reise auf die Azoren geplant haben.
Vormals – damit meint der Psalmsänger die Befreiung der israelitischen Oberschicht aus der babylonischen Gefangenschaft.  Über einhundert Jahre lebten Adel und Königshaus, Priester und Schriftgelehrte nach der Eroberung Jerusalems an den Flüssen von Babylon. Als dies schon längst von den Persern überrannt worden war ermöglichte deren König, Kyros II. den Gefangenen die Rückkehr in ihre Heimat.
Kurz nach dem 30jährigen Krieg schreibt Paul Gerhardt ein Lied zu unserem Psalm: „Herr, der du vormals hast dein Land/ mit Gnaden angeblicket/ und des gefangnen Volkes Band/ gelöst und es erquicket/ der du die Sünd und Missetat, die es zuvor begangen hat,/ hast väterlich verziehen.“

Wir beten miteinander den 2. Teil unseres Psalms:
„5 Hilf uns, Gott, unser Heiland, und lass ab von deiner Ungnade über uns! 6 Willst du denn ewiglich über uns zürnen und deinen Zorn walten lassen für und für? 7 Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann? 8 HERR, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil!“

Hilf uns – aus bald zwei Jahren Pandemie und Infektionszahlen wie nie. Wir dachten, mit der Impfung sei alles vorbei, jetzt explodieren die Zahlen. In den Krankenhäusern und Arztpraxen werden verzweifelt Mitarbeiterinnen gesucht. Eine Notlage von weltweiter Tragweite.
So ohnmächtig und hilflos wie wir fühlten sich die zurückgekehrten Israeliten Als sie nämlich zurückkamen in ihre Heimat, die sie nur noch aus den überlieferten Erzählungen kannten, waren sie bitter enttäuscht. Von wegen ein Land, in dem Milch und Honig fließen! Es lag immer noch in Schutt und Asche.  “Haben wir uns geirrt? Dauert dein Zorn noch an? Dann hätten wir ja gleich in Babylon bleiben können.“ Schließlich findet der Beter einen Weg heraus aus seiner Klage. „Hilf uns Gott … Willst du uns nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann?“
So sichtet auch Paul Gerhardt in dem Lied, das wir eben gesungen haben „…willst du, oh Vater, uns denn nicht nun einmal wieder laben? Und sollen wir an deinem Licht nicht wieder Freude haben? Ach gieß aus deines Himmels Haus, Herr, deine Güt und Segen aus auf uns und unsre Häuser.“

Wir sprechen miteinander den Schluss des Psalms:
„9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten. 10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; 13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; 14 dass Gerechtigkeit vor ihm hergehe und seinen Schritten folge.“

Ob mit Krieg wie an vielen Orten der Welt, ob in Armut wie auf der südlichen Halbkugel oder selbst in unserem reichen Land, wo die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer: wo die Superlative das Maß aller Dinge sind, da haben es Güte und Treue, Frieden und Gerechtigkeit schwer. Dabei gehören sie unzertrennlich zusammen, wie ein Liebespaar.
Wie der Psalmbeter vor vielen Jahren bleiben auch wir Hoffende: Wir hoffen auf den Segen Gottes, den er uns nicht nur versprochen, sondern ja auch schon gegeben hat, so wie seinem Volk Israel. Seine Zusagen und sein Handeln beflügeln uns, sie sind der Nährboden, auf dem gelebter Glaube gedeiht.

Zum Schluss erinnere ich mich an einen anderen, älteren Schlager. Die Comedian Harmonists mussten eine Zeit erleiden, in der Güte und Treue, Gerechtigkeit und Frieden mit Füßen getreten wurden. Weil der der sechs Sänger Juden waren, durfte die Gruppe nicht mehr auftreten. Das letzte Lied, das sie aufnahmen, heißt: „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück/ und ich träum davon in jedem Augenblick. /Irgendwo auf der Welt gibt’s ein bisschen Seligkeit/ und ich träum davon schon lange Zeit. /Irgendwo auf der Welt fängt der Weg zum Himmel an/ – irgendwo, irgendwie, irgendwann.“
Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX.  Amen

Lied:    +102, 1 – 3             Da wohnt ein Sehnen

Fürbitte
Guter Gott, dein Sohn hat alle seliggepriesen und deine Kinder genannt, die für den Frieden wirken.

Gib uns die Bereitschaft und auch den Mut, immer und überall für Ausgleich und für Gerechtigkeit einzutreten durch Worte und Taten.
Gib uns, dass Güte und Treue Haltungen sind, die wir gerne zeigen und leben wollen.

Wir bitten dich für alle Menschen, die sich nach Liebe sehnen:
Lass sie spüren, dass sie schon längst geliebt werden und hilf uns, deine Liebe selbst an andere weiterzugeben.
Wir bitten dich für alle, die in diesen Tagen an den Gräbern ihrer Lieben trauern:
Komm ihnen nahe mit deinem Trost.

Du kommst uns entgegen mit Augen, die verstehen; mit Worten, die uns aufbauen, mit Zeichen, die uns berühren – in Brot und Wein.

Vater Unser
Friedensgruß
Einsetzungsworte
Christe, du Lamm Gottes

Schlussgebet
Du hast uns eingeladen, mit allem zu dir zu kommen. Du stärkst uns mit deinem Wort und mit dem Mahl deines Sohnes, das uns sagt: du willst uns nahe sein. Lass uns in der kommenden Zeit deine Nähe spüren und die in unserem Alltag vertrauen. Hilf uns, anderen eine Stütze zu sein, wenn sie uns brauchen und denen zu vertrauen, die wir brauchen – durch JX, deinen Sohn. Amen

Schlusslied:     421            Verleih uns Frieden gnädiglich
                
Abkündigungen
Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 31.10.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst am Reformationstag! Vor mehr als 500 Jahren wurde die Kirche aufgerüttelt durch Martin Luther und seine mutigen Mitstreiter und Mitstreiterinnen. Seitdem geht die evangelische Kirche ihren Weg durch die Zeit –  voller Hoffnung und manchmal auch sorgenvoll. In Verfehlungen und doch auch im Vertrauen auf Vergebung.  Wieviel immer sich aber verändert – wir haben einen festen Grund, der uns Halt gibt und auf dem wir stehen. So sagt es Paulus, der Apostel, in seinem 1. Brief an die Gemeinde in Korinth (3,11): „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Auf ihn blicken wir, wenn wir heute den Gottesdienst feiern.
So feiern wir im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Lied: 440,1-4 All Morgen ist ganz frisch und neu

Psalm 46
Gott ist wie eine feste Burg,
er gibt uns Zuversicht und Stärke in den Nöten, die uns getroffen haben.
Selbst wenn die Welt aus den Fugen gerät,
die Berge zerfallen oder das Meer die Küsten unterspült,
stehen wir nicht vor dem Abgrund des Todes.
Wir müssen uns vor der Gefahr nicht fürchten.
Gott ist bei uns und lässt uns nicht untergehen.
Er hilft uns am Morgen und am Abend.
Der den Erdkreis regiert und die Königreiche begrenzt,
ist sich nicht zu schade, bei uns zu sein.
Der den Bogen der Krieger zerbricht
und ihre Wagen mit Feuer verbrennt,
ist uns Schutz und Schild,
eine Burg, in der wir sicher wohnen.

Kollektengebet
Du Gott des Lebens, allein durch den Glauben sollen wir gerettet werden, so hören wir es an diesem Tag. Das ist für uns eine gute Botschaft. Doch immer wieder fällt es uns auch schwer, zu glauben, zu vertrauen, zu hoffen. Gehst du wirklich mit uns durch unser Leben? Wir möchten dir vertrauen – und sind doch oft gefangen in den Zweifeln und Ängsten unserer Zeit. Wir bitten dich: gib uns nicht auf. Zeig uns deine Gegenwart. Und sprich mit deinem Wort zu uns! Das bitten wir dich im Namen deines Sohnes, der mit dir und der Heiligen Geistkraft lebt und Leben schafft von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Lesung: 5. Mose 6,4-9

Glaubensbekenntnis

Lied: 362,1.3.4 Ein feste Burg ist unser Gott

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
eine 18jährige Schülerin wurde kürzlich von ihrer Lehrerin gefragt: „Wie wichtig ist für dich Freiheit?“ „Wichtig!“ war ihre Antwort. „Wie wichtig auf einer Skala von 1-10?“ „12, mindestens!“ „Und was ist Freiheit?“ Darauf gab sie zurück: „Freiheit ist ganz individuell und vielseitig. Aber man merkt sofort, wenn sie fehlt.“

Ja, man merkt sofort, wenn sie fehlt – denn Freiheit ist eines der entscheidenden Grundbedürfnisse des Menschen. Wir sind es gewohnt, mit all den Freiheiten zu leben, die das Grundgesetz uns gewährt: die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Glaubens- und Religionsfreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Freiheit der Berufswahl. Und zu Recht reagieren wir sehr empfindlich, wenn irgendetwas davon eingeschränkt wird. Diese Freiheiten sind wie ein Schutzraum für uns. Sie sind nichts Selbstverständliches - das haben wir gerade in Bezug auf die Versammlungsfreiheit in den letzten Monaten gemerkt. Wir haben auch gemerkt, wie wichtig es ist, dass Freiheiten nur dann eingeschränkt werden, wenn ein wirklich begründeter Ausnahmefall vorliegt. Leichtfertig darf das nicht geschehen.

Von der Freiheit handelt auch der Predigttext dieses Reformationstages: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“  ruft der Apostel Paulus seinen Gemeinden zu. Zur Freiheit befreit – das „2 F“ der Urchristenheit :).  Welche Freiheit meint Paulus?  Hören wir genauer hin, was er an die Gemeinden in Galatien, der heutigen Türkei, schreibt:

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auferlegen. Seht, ich, Paulus, sage euch: wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge noch einmal jedem, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, wenn ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, ihr seid aus der Gnade herausgefallen. Denn wir warten durch den Glauben auf die Gerechtigkeit. In Jesus Christus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“

Diese Sätze sind nicht leicht zu verstehen! Auf den Punkt gebracht sagt Paulus, dass der Glaube an Jesus Christus ausreicht, um vor Gott gerecht da zu stehen.

Heute am Reformationstag hören wir dabei mit, was Martin Luther ganz ähnlich gesagt hat: Allein durch Christus (solus Christus), allein durch Gottes Gnade (sola gratia) und allein durch den Glauben (sola fide) sind wir gerettet. Kein Mensch kann beurteilen, ob wir vor Gott gerecht werden oder nicht. Und keine kirchliche Instanz hat eine Macht über uns. Es kommt in unserem Verhältnis zu Gott nur und allein auf das Vertrauen an, dass wir zu Jesus Christus haben.

Wenn wir an Paulus denken, so schreibt er seine Gedanken hinein in eine extreme Streitsituation, die in den damaligen Gemeinden herrschte: müssen nichtjüdische Männer sich erst einmal beschneiden lassen, um zur christlichen Gemeinde zu gehören? Muss man also erst einmal dem jüdischen Glauben angehören, damit man auch an den Messias Jesus glauben kann? Für uns heute scheint diese Frage weit weg zu sein, aber Paulus schrieb seinen Brief ja nur gut 20 Jahre nach dem Tod und der Auferstehung Jesu. Da gab es eine verfasste christliche Kirche noch nicht, und die frühen Gemeinden Jesu gehörten zu vielfältigen Strömungen. Viele ihrer Mitglieder waren Jüdinnen und Juden. Andere waren es nicht, aber sie standen dem jüdischen Glauben nahe. Und wieder andere hatten vorher die Gottheiten ihrer eigenen Völker verehrt, sie gehörten also zu den sogenannten Heidenchristen. So herrschte also eine bunte Vielfalt in den Gemeinden, sicher auch in denen in Galatien.

Ihnen legt Paulus nun mit großem Ernst etwas ans Herz: „Gebt die Freiheit nicht auf, die euch der Messias geschenkt hat! Lasst euch nicht wieder zur Sklaverei zwingen!“

Paulus meint: es würde Unfreiheit bedeuten, Unterdrückung, wenn alle erst einheitlich werden müssten, um zur Gemeinde von Jesus zu gehören. Das gilt für Männer ebenso wie für Frauen. Doch bei den Männern macht es sich am sichtbaren Zeichen der Beschneidung fest. Es müssen nicht alle durch dieses Tor gehen, um zum Volk Gottes dazuzugehören. Alle werden so angenommen, wie sie kommen und wie sie sind: Männer aus dem jüdischen Volk als Beschnittene und solche aus den anderen Völkern als Unbeschnittene. Das ist so, weil Jesus einen neuen, einen zweiten Weg zu Gott geöffnet hat. Und wenn Menschen ihm dabei folgen wollen, dann ist es ausreichend und entscheidend, dass sie ihm vertrauen. Vertrauen darauf, dass Gott uns Menschen von Grund auf liebt und annimmt. Das Eintrittsbillett zur christlichen Gemeinde also ist die Taufe, nichts anderes. Die Beschneidung spielt dafür keine Rolle. Sie würde zur Folge haben, dass die jungen Christen aus den Völkern auch alle Speisegebote, die koschere Küche, alle Reinheitsvorschriften und Feiertagsgebote der jüdischen Tradition beachten und einzuhalten müssten.

Es ist klar, dass dieser Gedanke in der frühen Christenheit ganz neu theologisch durchdacht werden musste, und dass es in diesem Zusammenhang etliche Verwerfungen zwischen verschiedenen Gruppen gab. Petrus und Paulus etwa haben darüber heftig gestritten. Nun aber öffnet Paulus mit seiner Position einen Raum - und hält ihn offen. Was für die jungen Gemeinden zählt, ist der Glaube an das, was Jesus gesagt und gelebt hat. Was er allerdings als Sohn seines jüdischen Volkes gesagt und getan hat. Was zählt, ist das Vertrauen auf ihn. Und entscheidend sind die Taten der Nächstenliebe als Antwort der Menschen.

Paulus kämpft hier für eine neue Art der Gemeinschaft, die schon etwas von Gottes Reich vorwegnimmt. Es ist eine offene Gemeinschaft, die einladend ist und nicht ausschließt. Zu der alle dazugehören können, so wie sie eben geprägt sind. In der auch die Unterschiede nicht eingeebnet werden; die Gemeindemitglieder können lernen, einander gelten zu lassen, sich gegenseitig auch auszuhalten. So können sie etwas großartiges Neues miteinander erleben. Das ist ein Wagnis, ein Experiment.  Ich denke, das ist die Freiheit, die er meint. Zu der uns Christus befreit: ein Raum, in dem Menschen einfach da sein dürfen. Auch ein geschützter Raum. In dem sie atmen können, sich angenommen wissen, in dem sie hören und gehört werden, in dem sie sprechen und widersprechen können, in dem sie sich gemeinsam auf den Weg machen, um etwas Neues, Gutes zu gestalten, in dem sie aber auf jeden Fall danach fragen, was nach dem Willen Gottes ist.

Martin Luther hat diesen Raum der Freiheit für sich in seinem Leben wiederentdeckt, auf radikale, umstürzende Weise. Er war in diesem Schutzraum der Freiheit. In dem er sich von Christus angenommen und geliebt wusste. Darum konnte er auch seine Angst überwinden und vor genau 500 Jahren, am 17. und 18. April 1521 in Worms vor den Kaiser und die Kurfürsten (die damaligen Großen aus Politik und Kirche) treten, um seine Thesen und seine reformatorischen Erkenntnisse zu verteidigen. In seiner einfachen Mönchskutte stand er da. Dieser schützende Raum der Freiheit hat ihm die Standfestigkeit gegeben, die er benötigte, und seinen aufrechten Gang, seine Kraft, es zu wagen. Und zugleich hat er diese Freiheit in sich getragen, auch als innere Freiheit, als freien Mut, trotz aller äußeren Bedrängnisse und Unsicherheiten, wie sein Weg wohl ausgehen würde.

Der Glaube an Jesus Christus schenkt uns einen Schutzraum der Freiheit und macht uns zugleich innerlich frei. Mit dieser Freiheit hat z.B. auch Sophie Scholl gelebt. Aus dieser Haltung heraus hat die junge Sophie im Jahre 1942 ihren Vater im Gefängnis besucht und hat ihm auf der Flöte das Lied „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten“ vorgespielt. Welch wichtige Botschaft hat sie ihm auf diesem Weg weitergegeben!

In seiner Schrift von 1520 „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ hat Luther (darüber hinaus) die zwei Dimensionen der christlichen Freiheit unübertroffen beschrieben:

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Ein Christenmensch ist eine freie Frau über alle Dinge und niemandem untertan – eine dienstbare Magd und jedermann untertan?! Wir hören die atemberaubende Souveränität, die innere Unabhängigkeit, ja auch den Stolz, der in dieser Haltung liegt. Sie musste jedem gefährlich vorkommen, der nur Unterwerfung verlangte.

Und zugleich macht diese Souveränität frei, sich den Menschen in der Haltung der Liebe zuzuwenden, für sie da zu sein und ihnen Achtung und Wertschätzung entgegenzubringen. Gute Werke zu tun, wie Luther es nennt, ist eine ganz wichtige Frucht der inneren Freiheit und des Geistes Gottes, der in den Christinnen und Christen wirkt. Ohne sie können wir nicht in der Nachfolge Jesu gehen. Doch gerecht vor Gott macht uns unser Vertrauen.

Ich glaube, dass die Überzeugungen des Paulus und des Martin Luther auch für uns heute noch hilfreich sein können. Wir dürfen uns als freie, von Gott gerechtfertigte Menschen ansehen, als gerechtfertigte Sünder, die letztlich nur ihm allein Rechenschaft schuldig sind und die vor seinem Angesicht leben. Und zugleich stehen wir in der liebevollen, achtsamen und hingebungsvollen Verantwortung zu unseren Mitmenschen und zu denen, die uns anvertraut sind.

Unsere Freiheit findet da ihre Grenze, wo die Freiheit der anderen beginnt. Darum kann es für uns niemals Freiheit ohne Verantwortung geben. Kein gnadenloses sich Durchsetzen auf Kosten anderer. Das gilt z. B. im Blick auf unser Verhalten in Pandemiezeiten. Aber genauso auch für unser ökologisches Verhalten. Für unser Verhalten im Straßenverkehr. Für unser Verhalten unseren Kolleginnen und Kollegen gegenüber. Im Grunde gilt es in allen Räumen unseres Alltags. Wir sind nicht nur für uns selbst da. Wir können im Gegenteil nur miteinander gehen, der Liebe Raum geben und es wagen, in einer offenen, einladenden Gemeinschaft zu leben, wo immer es möglich ist. Dazu möge Gott uns seinen guten Geist schenken.

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten

  1. Wir beten: Wieviel Freiheit können wir wagen? Und was müssen wir tun, um unserer Verantwortung für die Menschen gerecht zu werden? Unser Gott, diese Fragen treiben uns um in dieser Zeit, wenn wir Gottesdienste und Veranstaltungen für unsere Gruppen und die Gemeinde planen. Gib uns deinen Geist und hilf uns in unseren Entscheidungen zum Wohle der Menschen.
  2. Wenn wir dir unsere Fehler bekennen, so vergibst du uns. Deine Barmherzigkeit spricht uns frei und deine Liebe macht uns stark. Dafür danken wir dir. Hilf uns, die Not unserer Nächsten zu sehen und sie zu lindern, soweit es uns möglich ist.
  3. Sei bei denen, die krank sind und erschöpft. Stärke ihre Seele und sende ihnen deine heilenden Kräfte.
  4. Für alle, die auf der Flucht sind vor Hunger und Gewalt, bitten wir: schütze sie. Ihr Leid zerreisst unser Herz. Lass die Politiker und Hilfsorganisationen Wege finden, die aus ihrem Elend herausführen und ihnen einen Ort der Ruhe und des Bleibenkönnens gewähren.
  5. Bitte für Täuflinge und Verstorbene

Vaterunser

Lied: 351,1-3.13 Ist Gott für mich

Abkündigungen

Segen

Musik 

Gottesdienst am 24.10.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
Herzlich willkommen an diesem herbstlichen, kalten Sonntag Ende Oktober hier in der Dankeskirche.
„Um Himmels willen!“, rufen manche aus und meinen damit einen Sturm, ein Unglück, etwas Schlimmes, das geschehen ist.
„Um Himmels willen!“, das sagen uns auch die Bibeltexte dieses Sonntags und meinen es aber ganz anders: Sie mahnen uns, unsere Verantwortung anzunehmen und wahrzunehmen hier auf dieser schönen Erde. Zum Beispiel gleich der Wochenspruch: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ (Röm 12,21)
Das Gute, die Liebe, mutet uns neue Wege zu: In der Familie, in der Gemeinde, in unserer Gesellschaft, gegenüber Freund und Feind.

Eingangslied: 445, 1 – 3     Gott des Himmels und der Erden

Votum

Psalm Ps 46/ EG 725
Gott ist unser Schutz
 
Gott ist unsre Zuversicht und Stärke,
eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
     Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge
und die Berge mitten ins Meer sänken,
 wenngleich das Meer wütete und wallte
und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.
     Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein,
da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind.
 Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie festbleiben;
Gott hilft ihr früh am Morgen.
     Die Heiden müssen verzagen und die Königreiche fallen,
das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt.
 Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
     Kommt her und schauet die Werke des Herrn,
der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet,
 der den Kriegen steuert in aller Welt,
der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt.
     Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin!
Ich will der Höchste sein unter den Heiden, der Höchste auf Erden.
 Der Herr Zebaoth ist mit uns,
der Gott Jakobs ist unser Schutz.
Psalm 46,2-12

Eingangsgebet
Jesus, unser Bruder und Herr, du rufst uns in deine Nachfolge
Und versprichst uns Leben in Fülle.
Wir folgen deinem Ruf und versuchen, in deine Fußstapfen zu treten.
Wir strecken uns nach dem, was du uns versprichst.
Aber es gibt so viele Wege, und manche sehen viel leichter aus als dein Weg.
Immer wieder gehen wir Abkürzungen oder verlieren uns selbst.
Du hörst nicht auf, zu rufen nach jeder und jedem Einzelnen.
Forderst uns heraus, forderst uns auf, nicht träge zu werden, sondern
Zu unserem Glauben zu stehe, für unsere Hoffnung zu kämpfen:
Nach Gerechtigkeit auf der einen Welt, für alle, nach dem Frieden, der nur aus der Gerechtigkeit erwächst.
Wir bitten dich, hilf uns, uns aufzuraffen und verzeihe uns unsere Trägheit.
Auf dem Weg des Glaubens wollen wir einen Fuß vor den anderen setzen,
bis wir am Ende angekommen sind …
durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn …

Entzweiungen um Jesu willen Mt. 10, 34 – 39
34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

Lied: 362, 1+2    Ein feste Burg ist unser Gott

Predigt

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen Amen.

Liebe Gemeinde,
was ist für Sie der Wahlspruch Jesu? Also das Zitat, das ihn ausmacht und das für seine Sache steht.
Vielleicht: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“  Das fällt mir zuerst ein, zusammen mit anderen Seligpreisungen aus der Bergpredigt, wie zB: „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
Oder ein Motto, das wie eine Überschrift über dem ältesten Evangelium bei Markus steht: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“ So ruft der charismatische Wanderprediger auf zu Umkehr und Neuanfang angesichts von Gottes neuer Welt, um die sich seine Predigten und Gleichnisse drehen.
Mir persönlich gefällt auch: „Ich bin gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“ (Lk 4)

Aber wie sieht es aus mit dem Wahlspruch, den wir eben in der Lesung des Predigttextes gehört haben: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“  Ist das der Jesus, wie wir ihn uns vorstellen? Auf der einen Seite redet er von Nächsten- und sogar von drastischer, radikaler Feindesliebe. Auf der anderen Seite spricht er sich gegen die Elternliebe aus. Das will nicht so richtig passen. Für einen Wahlspruch von Jesus taugt dieser Satz doch wohl nicht.
Palästina ist zur Zeit Jesu in einem dauernden Zustand von Wirtschaftskrise und Unruhe. Die Römer haben Steuern eingeführt, die es vorher nicht gab, die Bevölkerung verarmt drastisch. Kinder und Alte, Witwen und Waisen sind völlig unversorgt. Kleinere Aufstände werden blutig niedergeschlagen von der Besatzungsmacht, die auch die jüdische Tradition immer wieder infrage stellt. Die Zeloten wollen das nicht mehr mitmachen und gehen in den gewaltsamen Widerstand. Unter ihnen gibt es auch welche, die aus religiöser Motivation handeln. Judas war so einer.
Jesus kritisiert zwar auch die römische Herrschaft und wird den Mächtigen am Ende ja auch so gefährlich durch das was er sagt und was er auslöst, dass sie ihn am Ende hinrichten. Aber sein Widerstand ist gewissermaßen noch subversiver. Er ruft deshalb zu Gewaltverzicht und Feindesliebe auf, weil er das, wie später Gandhi oder Martin Luther King, für den klügeren Widerstand hält. Die römischen Soldaten spielten mitunter ihre Machtspiele. Und von den Hobbyrömern hier weiß ich, wie schwer so eine römische Ausrüstung zu tragen war. Jesus sagt: Wenn dich einer zwingt, sie ihm eine Meile zu tragen, dann gehe zwei mit ihm. Das setzt darauf, den Kreislauf der Gewalt zu überwinden und den Feind oder Gegner zu verunsichern.

„Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Es handelt sich also nicht um einen Aufruf zu Gewalt. Es geht um die Nachfolge Jesu, der Vers steht in der sogenannten Aussendungsrede Jesu. Jesus schickt seine Jüngerinnen und Jünger auf den Weg und bereitet sie darauf vor, dass es ungemütlich werden kann. Es kann etwas kosten, eine Christin oder ein Christ zu sein.
Mein Großvater hatte eine sehr kleine chemische Fabrik oder Werkstatt. Im Sudentenland war sie einmal größer. Auch mein Vater war Chemiker. Mein Opa mischte Reinigungsmittel, Seife und Hautcremes in riesigen Kesseln, Zahnpasta und leider auch Unkrautvernichtungsmittel. Oft traf er sich mit den Vertretern seiner Produkte, Und wenn ich dazu kam, dann stellte er mich vor und sagte, auf mich zeigend: “Das ist der Atomphysiker in unserer Familie.“
Sie und ich wissen, dass es anders kam. Vor dem Abitur beschloss ich, Theologie zu studieren. Meine Familie war davon total überrascht, es erwischte sie gewissermaßen auf dem falschen Fuß. Dazu kam, dass wir katholisch waren und ich auch noch die Konfession wechselte.

Mitunter trifft einen Menschen ein Ruf, und er weiß im gleichen Moment, das ist keine von den Verlockungen, mit denen uns diese Welt ständig in Aufruhr versetzt. Dieser Ruf ist etwas Anderes und er kommt von woanders her. Ich soll dem, was bisher war, den Abschied geben und soll mich zu etwas Neuem aufmachen.
Viele Geschichten in der Bibel erzählen davon, wie Menschen solch einen Ruf vernommen haben, Noah, als er die Arche baute, Abraham, als er im hohen Alter aus seiner Heimatstadt Haran wegzog. Und natürlich die Jünger: Jesus lädt sie ein, folget mir nach! und sie lassen alles stehen und liegen und gehen mit.
Die Nachfolge Jesu muss nicht in Ablehnung oder Verfolgung münden, aber sie kann. An Jesus zu glauben bedeutet nicht einfach Friede, Freude Eierkuchen. Wer ihm wirklich nachfolgt, ist gefordert. Glaube heißt, sich gegen andere zu stellen, gegen das Übliche. Glaube heißt, sich selbst zu hinterfragen und umzukehren. Und Glauben bedeutet auch, zu zweifeln.

Die Worte Jesu rufen uns nicht zum Schwert und auch nicht zum Familienstreit. Aber sie fragen uns danach, was uns wirklich wichtig ist. Welche Bedeutung hat für dich der Glaube, haben christliche Werte? Bist du bereit, dafür etwas in Kauf zu nehmen, einen neuen Weg zu gehen?
Zehn Jahre nach meiner Entscheidung, Theologie zu studieren, haben uns meine Eltern in den USA besucht. Auf dem Flughafen kam mir mein Vater entgegengelaufen und sagte: „Wir sind jetzt Brüder!“, was mich damals sehr verwirrt hat. Er meinte, er sei nun auch evangelisch geworden. Eine Glaubensgeschichte aus unseren Breitengraten.
Gott schenkt uns als Christen in Mitteleuropa ein sicheres und komfortables Leben. Dafür können wir ihm dankbar sein. Das ist nicht allen unseren Glaubensgeschwistern geschenkt. Nicht unseren Geschwistern in der Partnerdiözese Amritsar in Nordindien. Nicht denen in Indonesien oder an vielen anderen Orten dieser Welt. In Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Das also gibt Jesus den Seinen mit auf den Weg, als Warnung und als Trost: “Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Lied: 395    Vertraut den neuen Wegen

Fürbitte
Großer Gott,
du versprichst uns Leben in Fülle und rüstest uns mit allem aus,
was wir brauchen.
Wir wollen die Waffe des Gebetes ergreifen, nicht mehr und nicht weniger und dich bitten:

•    Für alle Menschen, die innerlich einen Kampf ausfechten, die sich täglich neu für den richtigen Weg entscheiden müssen, die um ihren Glauben ringen, die von Zweifeln oder Verzweiflung geplagt werden. – Schütze sie und halte sie in deiner Liebe fest.
•    Für die Menschen, die sich für unsere Gemeinde und die weltweite Kirche einsetzen, die um das Überleben der kirchlichen Gemeinschaften kämpfen, finanziell oder spirituell – lass sie nicht müde werden und schenke ihnen Fantasie und Kraft.
•    Für alle Christen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, die um ihr Leben fürchten müssen, die ihre Heimat verlassen müssen, und auch für die, die ihren Glauben nur heimlich leben – Erfülle sie mit deinem Frieden und lasse sie nicht los.

Vater Unser

Schlusslied: 625    Wir strecken uns nach dir

Abkündigungen

Segen

Orgelnachspiel

Gottesdienst am 17.10.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgel
Begrüßung

Willkommen zum Gottesdienst in der Dankeskirche. Und Dank und Dankbarkeit passen auch gut zum Thema dieses Sonntages, an dem es um Gottes gute Ordnungen geht und der uns ein wenig über das Leben lehren will. Schon dem Wochenspruch aus dem Prophetenbuch Micha (6.8) gelingt es in einem Satz: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.

Gottes gute Ordnungen befreien uns aus eigenen einengenden Normen und öffnen uns für die Weite seiner Liebe. – Als Predigttext hören wir gleich einen Text aus dem Buch des Predigers, der neu in die Perikopenordnung gekommen ist.

Und wir wollen auch wieder singen. Dabei gehe ich davon aus, dass Sie hier alle den vorgeschriebenen Abstand von anderthalb Metern ringsherum eingehalten haben (außer Sie gehören zu einem Haushalt). Wenn nicht, tun sie das bitte oder lassen sie das Singen und setzen ihre Maske bitte wieder auf.
Wir singen vier Lieder – und wir wollen auch einzelne Antwortgesänge wieder anstimmen, das Amen zB, und das Halleluja.

Eingangslied: 444, 1 – 3      Die güldene Sonne
Votum
Aus Psalm 119 / EG  748

Erhalte mich, Herr, durch dein Wort, dass ich lebe

Wohl denen, die ohne Tadel leben,
die im Gesetz des Herrn wandeln!
Wohl denen, die sich an seine Mahnungen halten,
die ihn von ganzem Herzen suchen,
die auf seinen Wegen wandeln
und kein Unrecht tun.
Wenn ich schaue allein auf deine Gebote,
so werde ich nicht zuschanden.
Ich danke dir mit aufrichtigem Herzen,
dass du mich lehrst die Ordnungen deiner Gerechtigkeit.
Deine Gebote will ich halten;
verlass mich nimmermehr!
Öffne mir die Augen,
dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.
Zeige mir, Herr, den Weg deiner Gebote,
dass ich sie bewahre bis ans Ende.
Meine Seele verlangt nach deinem Heil;
ich hoffe auf dein Wort.
Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort
und sagen: Wann tröstest du mich?
 Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre,
so wäre ich vergangen in meinem Elend.
     Dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Wege.
 Erhalte mich durch dein Wort, dass ich lebe,
und lass mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung.
     Stärke mich, dass ich gerettet werde,
so will ich stets Freude haben an deinen Geboten.

Eingangsgebet
Gott, du bist stiller Lebensbegleiter in Tagen des Glücks und der Traurigkeit. Unmerklich bleibst du unser Allernächster. Herr, wir möchten so gerne glauben! Lass uns dich wahrnehmen in den Stunden des Glücks und in der tiefen Verzweiflung, im Alltag und im Fest. Komm, belebe erstarrte Sinne, lass uns wacher und geistesgegenwärtiger leben vor dir. Öffne nun unsere Ohren, damit wir dein schweres Wort an uns wahrhaft heranlassen. Das bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn. Amen.

Lesung/Predigttext Prediger  12, 1 - 7
1 Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«; 2 ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, – 3 zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, wenn finster werden, die durch die Fenster sehen, 4 wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leise wird und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; 5 wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; – 6 ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt. 7 Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat. 8 Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel.

Wochenlied: 295, 1+2     Wohl denen, die da wandeln

Predigt
Die Liebe unseres Herrn Jesus Christus, die Gnade Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
vor vielen Jahren habe ich in der Gutenbergstraße einen alleine lebenden alten Herrn besucht. Er war fast einhundert und erzählte mir von den Schlachtfeldern des 1. WK bei Verdun, die er als junger Mann überlebt hatte und die meisten anderen aber nicht. Vor ein paar Jahren besuchte ich eine über einhundertjährige Frau in der Luisenstraße zum Geburtstag. Ihr achtzigjähriger Sohn hatte ihr Brot in kleine Stückchen geschnitten. Sie erzählte mir, dass sie mit ihrer Mutter frischen Saft zu den Soldaten brachte, die im Frankfurter Hauptbahnhof zu Kriegsbeginn 1914 auf ihre Abfahrt an die Front warteten und fröhliche Lieder sangen.

Zuletzt findet ein Buch Eingang in das Alte Testament, das einen neuen Ton in den biblischen Glauben einbringt. Der Prediger, auf Hebräisch Kohelet, hat am Hof gelebt und zugleich den Alltag und das Leben genau beobachtet. Im Judentum wird sein Buch am freudig gestimmten Laubhüttenfest in den Synagogen verlesen.  Es steckt, wie wir von anderen Stellen daraus wissen, voller Bilder: wir kennen vielleicht die zweifache und die dreifache Schnur, die nicht so leicht entzweireißt, dann, wenn zu einer Verbindung zweier Menschen, die sich gemeinsam wärmen und gegenseitig aufhelfen können nämlich Nachwuchs dazu kommt. So ironisch und augenzwinkernd, so realistisch und pragmatisch schaut der Prediger auf das Leben.  Die Litanei von der Zeit steht ja schließlich auch bei ihm, die damit schließt, dass es nichts Besseres gibt im Leben als sich gütlich zu tun, es sich schmecken zu lassen und fröhlich zu bleiben: Alles hat seine Zeit.

Siebzehn Metaphern für das Altwerden habe ich in unserem Text gezählt. Sie kommen wie ein Echo aus einer fernen Welt daher, in Reihen schnürt der Prediger sie aneinander, das ist typisch für ihn und die biblische Weisheitsliteratur. Er scheint sein Thema zu umkreisen. Denn die Erfahrung des Alters lässt sich nicht leicht auf den Punkt bringen, sondern nur in Bildern umreißen. Das Alter ist die Zeit der abnehmenden Kraft. Wenn Hohes Angst macht und Wege nicht mehr ohne Weiteres gegangen werden können. Es ist die Zeit der Ernte: Wenn Müllerinnen die Arbeit niederlegen, weil das Korn zu Ende gemahlen ist. Wenn die Hülle der Kaper nach langer Zeit endlich aufbricht und ihre Frucht freilegt. Und wenn der Mandelbaum blüht, dann sind spätestens auch die Oliven zu Öl gepresst. Es ist die Zeit, wo dir klar wird, dass das Glück nicht im Haben, sondern im Sein liegt, weil Silber und Gold, Eimer und Rad zerbrechen.

Wenn solche Erfahrungen sich einstellen, dann machst du zugleich mit ihnen die Erfahrung des Alters. Und das ist nicht unbedingt eine Frage des Jahrgangs, Kohelet spricht nicht nur zu Hochbetagten. ER spricht zu Menschen, die sich alt fühlen nach den langen pandemischen Monaten. Er spricht zu Menschen, die auf Heilung warten oder die an der Schwelle sind zwischen zwei Lebensphasen und noch nicht wissen, wie es weitergehen kann. Zu denen spricht Kohelet, die sich hineinnehmen lassen in die Bildsprache seiner Überlegungen.

„Die Wächter des Hauses zittern, weil die Arme und Beine, die Hüter des Körpers, schwach oder untrainiert geworden sind. „Die starken Männer krümmen sich“, weil die Muskelkraft nachlässt oder sie allmählich Osteoporose haben. „Die Müllerinnen stellen die Arbeit ein, weil nur noch wenige übriggeblieben sind.“ Heute lässt sich der Verlust der Zähne mit Implantaten oder einem Gebiss ausgleichen; damals war das nicht möglich. Und wenn schließlich der Mandelbaum blüht, die Heuschrecke sich hinschleppt und die Kaper sich öffnet – dann geht der Mensch in sein ewiges Haus und auf der Straße stimmt man die Totenklage an.

Oktober, der Sommer schließt die Türen an der Gasse. Zwischen Erntedank und den letzten Tagen dieses Kirchenjahres schauen wir zurück und fragen nach unserem Leben und nach dem, dem wir alles zu verdanken haben. „Ist es nun nicht besser für den Menschen, dass er isst und trinkt und guter Dinge ist bei all seinem Mühen? Aber dies sah ich auch, dass alles von Gottes Hand kommt.“ Wirkliches Glück kennt seinen Geber Ich weiß mich bezogen, begleitet und beschenkt. Ich weiß, woher ich komme und wohin ich gehen werde, woher mein Lebensglück kommt und wohin ich es am Ende wieder zurückbringe. Seien wir also dankbar am Ende des Kirchenjahres und am Ende des Lebens.

Sei dankbar für das, was wie die Kaper oder die Olive erst genießbar wird, wenn es eine Weile gelegen hat in deiner Lebensgeschichte. Das, was vergangen und trotzdem gültig ist. Die verheilten und vernarbten Wunden deines Lebens; Die frühere Liebe, die noch immer in deinem Herzen wohnt. Und sei auch dankbar für die Türen, die zugegangen sind. Sie haben dich vielleicht geschützt.

Sei dankbar für die Stimmen, die leise wurden. Aber auch für die, die du gerne länger gehört hättest und die verschwunden sind aus deinem Leben, das waren Schmerz und Liebe und das war dein Leben. Und so, wie es war, genauso, war es gut, lebendig, intensiv. Sei dankbar für die Plagen, die ein Ende genommen haben. Für zu Beklagendes auch und noch mehr für alles, was geblüht hat in deinem Leben wie der schönste Mandelbaum. Für die wild wachsenden und unscheinbaren Geschichten deines Lebens, die in karger Erde sich durchgeschlagen haben und am Ende unverwüstbar sind. Dankbar für das Glück, ausgerechnet in diesem Land hier geboren worden zu sein, mit all den Vorteilen, die das unverdient für dich hat – denn auch dafür hast du nichts getan. Es ist dein eigenes, unverwechselbares Leben, wie es das bei allen Menschen die jemals gelebt haben und leben werden nur dieses eine und einzige Mal gibt.

Was nehmen wir nun mit aus diesem beeindruckenden Bilderrätsel des Predigers? Als jüngerer Mensch könnte es sein: Leben bewusst in deinem Lebensalter jetzt. Danke Gott für die Lebenskraft, die er dir schenkt. Danke ihm für die Gesundheit und die Freude, die er dir schenkt. Fürchte dich nicht vor dem Alter, aber achte die Altgewordenen, die es schwerer haben. Gehe aufmerksam mit ihnen um. Und übe dich in der Dankbarkeit für jeden Tag deines Lebens. Dann wirst du dein Leben tiefer erleben, als wenn du meinst, es selbst in der Hand zu haben.

Als älterer Mensch danke ich Gott, der mich ins Leben gesandt hat und mich bis zu diesem Tag bewahrt und geleitet hat. Ich danke ihm für dieses reiche Leben. Für meine Jugend, die er mir geschenkt hat; dafür, dass ich den Glauben in meinem Leben finden konnte. Dass er mir in den leichten und schönen und auch in den schweren Zeiten meines Lebens Kraft und Segen geschenkt hat. Und auch dafür, dass er mich hat alt werden lassen. Mit ihm will ich meinen Weg weitergehen.

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen

Lied: EG+ 111    Meine Zeit steht in deinen Händen

Fürbitte
Gott, ohne deinen Geist bleiben wir mit uns allein. Mit deiner Geisteskraft lehnen wir uns an dich an. Komm und verwandle unsere Bitten zum Gebet. So rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Für alle, die innerlich auf der Stelle treten, die mutlos und lebensmüde geworden sind; für alle Zeitgenossen, die an sich und ihrem Leben verzweifeln, die leben ohne Richtung und Ziel.
Gemeinsam rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Für die Unscheinbaren, die Unterschätzten, die Gekränkten, die Verlierer. Für die, denen der Herbst und die zunehmende Dunkelheit zusetzt. Für die Obdachlosen und Flüchtlinge, die nicht wissen, wohin sie ihr Haupt hinlegen sollen. Für alle, denen der Himmel nichts mehr sagt und die vom Licht des Glaubens immer weniger erreicht werden.
Gemeinsam rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Für deine Gemeinde, dass sie vielstimmig ist und sein darf – wie der Chor der biblischen Stimmen. Lass sie hellhörig sein für die Zeichen der Zeit, gastfreundlich, mitleidig, ein Zufluchtsort für Unbehauste und Ruhelose.
Gemeinsam rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Für die Starken, die Gesunden, die Erfolgreichen, die Glücklichen, für alle, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen und denen alles gelingt. Lass sie nachdenklich und dankbar bleiben und auf dich als den Geber allen Glückes stoßen.
Gemeinsam rufen wir: Herr, erbarme dich.
 
Unser Leben ist wie ein Windhauch. Doch deine Verheißung, Gott, bleibt.
Auf dich ist Verlass.
Dir sei die Ehre und der Lobpreis, jetzt und in Ewigkeit.

Vater Unser
Schlusslied: 171, 3+4    Bewahre uns, Gott
Abkündigungen
Segen
Orgel

Gottesdienst am 10.10.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik
Begrüßung

Seien Sie alle, seid ihr alle herzlich gegrüßt an diesem neuen Morgen!
Wie können wir leben angesichts der Erkenntnis, dass unser Leben hier begrenzt ist? Was ist uns wichtig?  Und welche Bedeutung messen wir Gott bei  -  in unseren Höhen wie auch in unseren Tiefen? Um diese Fragen geht es heute.
Dabei erreicht uns ein Wort aus der Bibel, aus dem Buch des Profeten Jeremia 17,14. Es erinnert uns daran, dass Gott ansprechbar für uns ist, dass er uns mit seiner Hilfe und Kraft näher ist als wir ahnen und dass er es mit uns wirklich zu tun haben will. „Heile du mich, Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfen.“
Mit diesem Vertrauen feiern wir den Gottesdienst – und feiern ihn im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Lied: 445, 1.2.5 Gott des Himmels und der Erden

Psalm 31 (EG 716)

Kollektengebet
Du, unser Gott, wir haben uns aufgemacht an diesem Morgen. Du lädst uns ein, in dein Haus zu kommen, so wie wir sind.
Gemeinsam wollen wir auf dein Wort hören, uns mahnen und stärken lassen, uns aufrichten und segnen lassen.
Heile, unser Gott, was uns wehtut und schmerzt. Und lass uns dahin kommen, dass wir dich mit unserem Leben neu loben können.
Das bitten wir dich im Namen Jesu Christi, deines Sohnes. Amen.

Schriftlesung: Prediger Salomo (Kohelet) 3,1-13

Glaubensbekenntnis

Lied: + 102,1-4 Da wohnt ein Sehnen

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

In meinem Arbeitszimmer, liebe Gemeinde, liegt ein kleiner, bunter Teppich. Ich habe ihn heute mitgebracht. Schon seit langem gehört er zu mir und zu meiner Geschichte. Eines meiner Kinder hat ihn damals als Grundschulkind selbst gewebt.  Und hat ihn mir geschenkt.  Darum ist er sehr kostbar für mich! Viele bunte, ganz unterschiedliche Wollfäden durchziehen ihn. Dicke und dünne, helle und dunkle, glitzernde und matte Fäden. Dieser kleine, für mich ganz wertvolle Teppich kam mir in den Sinn, als ich den Predigttext dieses Sonntags las. Es ist ein dramatisches Lied des Königs von Juda aus dem 8. Jh.  vor Christus.

Wenn das Leben eines Menschen bedroht ist, dann sagen wir: „Es hängt nur noch an einem seidenen Faden.“ So erging es auch Hiskia. Er war der König des Südreiches Juda. Alles, was er anpackte, schien ihm zu gelingen. Seinen kleinen Staat hielt er handlungsfähig, trotz der beiden großen Supermächte, die zu seiner Zeit das Sagen hatten: Assyrien im Norden und Ägypten im Südwesten. Er war ein gewiefter Taktiker und Politiker; so verhinderte er tatsächlich die Belagerung seiner Hauptstadt. Und er lebte in einer vertrauensvollen, im guten Sinne frommen Beziehung zu Gott. Sein ganzes Volk sah zu ihm auf und vertraute ihm. Hiskia aber wurde auf der Höhe seiner Tage todkrank.

„Bestelle dein Haus, denn du wirst nicht am Leben bleiben“, so sagte es ihm der Profet Jesaja. „Bald ist dein Ende da.“    

Wer immer schon einmal mit einer schlimmen Nachricht konfrontiert war, kann sich vorstellen, was nun in Hiskia vorging. Angst – Panik – Tränen. „Hiskia wandte sein Gesicht zur Wand und betete zu Gott. Und er weinte sehr“, so hören wir aus dem Bibeltext in Jesaja 38.

Keiner soll ihn jetzt sehen. Er braucht Zeit. Er versucht zu begreifen. Und dann kommen ihm Bilder in den Kopf. Von einer Hütte, die abgebrochen wird. Von einem Zelt, das über ihm ist und nun weggenommen wird. Von einem Lebensfaden, der abgeschnitten wird.

„Zu Ende gewebt habe ich mein Leben wie ein Weber; und er schneidet mich ab vom Faden“ -  so wird Hiskia es später im Gebet, in seiner Klage rufen. Zuerst einmal aber ist er sprachlos. Ohne Worte. Hiskia braucht viel Zeit, um überhaupt wieder Worte zu finden.

Dem König Hiskia fällt das Bild vom Weben ein. Und bei allem realistischen Anschauen seiner Situation, bei allem Schmerz - ist mit diesem Bild nicht auch irgendwo ein Trost verbunden? Das Leben als ein filigraner Teppich, das menschliche Leben als ein kunstvolles Webstück – ich stelle mir vor, wie er zurückschaut: Faden ist an Faden geknüpft. Manchmal ist das Muster geordnet und manchmal auch weniger ordentlich.  Aber genau mit diesem Muster und mit den verschiedenen Fäden ist es in sich einmalig! Und im Muster dieses Webstückes sind viele einzelne Geschichten seines Lebens verborgen: zuversichtliche und fröhliche Geschichten, aber auch traurige und schmerzliche. Manchmal ist auf den ersten Blick auch gar kein Zusammenhang zu erkennen; außer diesem, dass der Faden irgendwie weiterläuft, dass er sich durchzieht. Und doch: das Webstück seines Lebens ist abwechslungsreich; es ist bunt.  Und es ist absolut wertvoll in sich selbst.

Unter diesem Blickwinkel schaue ich auf mein eigenes Leben. Und ich sehe, dass auch ich eingespannt bin wie in einen großen Webrahmen, der mich umgibt und der mich hält. Mein Lebensfaden läuft fort, mit seiner Geschichte. Er hat irgendwo angefangen.  Und heute ist er hier. Ich sehe all das, was gelungen ist, aber ich sehe auch die Brüche und die Übergänge, die nicht einfach waren. Ich sehe, was ich noch richtigstellen will, was ich noch tun will, noch erreichen will. Wie gut, dass da noch Platz ist im Webrahmen meines Lebens. Wie gut, dass da noch so mancher Faden weitergesponnen werden kann. Noch so manches neue Muster kann da entstehen! Neue Entdeckungen, die auf mich warten, ein neues Engagement, das ich irgendwann vielleicht finden werde. Ich habe an diesem Kunstwerk gewebt – so wie jeder Mensch an seinem eigenen Kunstwerk webt. Andere haben auch daran mitgewirkt.  Und Gott hat daran auf seine eigene, geheimnisvolle Weise mitgewebt.

Aber fertig ist das Kunstwerk wirklich noch nicht. Noch so manches Neue kann kommen. Es ist noch Platz da auf dem Webrahmen. Und es ist noch Zeit da.

Und dann denke ich wieder an Hiskia, den König von einst: was würde ich tun, wenn es hieße, dass ich schon vorzeitig vom Faden abgeschnitten werden sollte? Bestimmt würde ich - genauso wie er - mit Gott verhandeln wollen. Dann würde ich ihm gern mein buntes, vielfältiges Lebensmuster zeigen und wie sehr es doch mit so vielen Menschen verwoben ist. Die starken Fäden und die dünnen, die dunklen und die strahlend hellen. Die hellen Zeiten, Fäden der Freude, die schönen Zeiten, eingewebte Perlen der Liebe, die Hoffnung auf gute Ausgänge und ihre Erfüllung und wie der Faden trotzdem weiterlief, auch wenn er durch meine Ängste und Aussichtslosigkeiten hindurchgehen musste.

Hiskia sagt es auf seine Weise, auch er verhandelt: „Erinnere dich doch, Gott, an deine Güte. An meine Versuche, dir zu dienen. Denke doch daran, wie ich das getan habe, was dir gefällt.  Tritt für mich ein!“

Und Gottes Herz lässt sich erweichen, als er auf Hiskia blickt. Noch einmal wird ihm eine Spanne Zeit geschenkt. 15 Jahre – auch wenn sie ganz und gar unverdient sind. „Ich habe dein Gebet gehört und habe deine Tränen gesehen“, so lässt Gott es ihm durch Jesaja sagen.

Im Leben des Königs gibt es tatsächlich noch einmal eine Wende:  sein Klagelied verwandelt sich.  Es darf ein Danklied daraus werden. Er darf noch einmal in eine offene Zukunft schauen. Und so singt er schließlich: „Du hast dich meiner Seele herzlich angenommen! Gott hat mir geholfen. Darum lasst uns singen und musizieren, solange wir leben, im Haus des Herrn.“

Hiskia versteht nun ganz neu, dass das Leben bedeutet, Gott zu loben. Dass es bedeutet, im Kontakt mit Gott zu sein. Hiskia hat erfahren, dass Gott da ist – wenn es ihm gut geht, aber genauso auch, wenn er um Hilfe ruft.

Aus eigener Anschauung wissen wir, dass Heilung nicht immer so geschieht wie im Leben des Königs Hiskia. Aus unseren Erfahrungen im Leben wissen wir: nicht jedes Leid wird so aufgehoben.  Nicht jede Krankheit wird so kuriert. Die große Wende tritt längst nicht immer so ein.  Es gibt kein garantiertes Erfolgsrezept.  Es kann sein, dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, dass das Webstück des Lebens unvollendet bleibt, dass es Fragment bleibt in unseren Augen.

Trotzdem aber, denke ich, können wir etwas ganz Wichtiges von Hiskia lernen.

  • Wenn wir in Not sind, dann können wir die Not mit allen Fasern ausdrücken; wir können sie laut benennen, wir müssen sie nicht nur bei uns selbst lassen. Gott ist da - und wenn er als Klagemauer da ist, zu der wir gehen. Er bleibt uns treu und nimmt sich unserer Seele herzlich an.  Er wird uns die Kräfte geben, die wir gerade in dieser Notsituation brauchen.
  • Und wir lernen dieses Andere: unsere Lebenszeit ist uns geschenkt! Auch wenn das Leben fragmentarisch daherkommt, unvollendet: nichts ist selbstverständlich. Jeder Tag ist Gnade. Jedes Jahr unseres Lebens ist letztendlich ein Geschenk. Ein Kunstwerk, wertvoll und aus Gottes Hand. Und es bleibt in Gottes Hand geborgen, egal, wie groß und wie umfangreich es gewebt worden ist. Jeder Tag neu - geschenkte Zeit.

Gerade deshalb ist es gut, innezuhalten und sich zu fragen: wie will ich mein weiteres Leben gestalten? Wie kann ich mit innerem Frieden leben, wie kann ich mit Dankbarkeit und mit Liebe da sein? Wir können Licht der Welt sein, sagt Jesus. Auch durch uns kann die Welt heller und wärmer werden. So weben wir weiter am Kunstwerk des Lebens. Gott aber hält zuletzt den Webrahmen und die Fäden in seiner Hand.

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Musik

Fürbitten
Lasst uns unseren Dank und unsere Bitten zu Gott bringen und beten.

Du, liebevoller Gott, kein Tag ist selbstverständlich. Jeder Tag ist ein Geschenk aus deiner Hand. So oft gehen wir blind und unbewusst durch unsere Zeit. Lass uns achtsamer sein für den Augenblick. Lass uns die Zeit wahrnehmen, genießen und auskosten. Lass uns mit Vorsicht unsere Schritte gehen.

Unser Gott, die Zeit, die wir miteinander erleben, ist ein Geschenk. Lass uns aufmerksam füreinander sein, aufeinander achten und nach dem Anderen, nach der Anderen fragen. Lass uns so der Gleichgültigkeit und Kälte widerstehen, die sich so oft ausbreiten wollen in unserem Land.

Wir bitten dich: schärfe unseren Blick für die Menschen, die sich zurückgezogen haben, die sich ausgegrenzt fühlen oder die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr am gemeinschaftlichen Leben teilnehmen können. Lass uns gemeinsam nach Wegen für ihre Teilhabe suchen und beglückende Erfahrungen miteinander machen.

Wir danken dir für die Zeiten der Genesung, auf die wir im Leben zurückblicken können. Als wir neue Kräfte bekamen nach Zeiten der Schwachheit, als eine neue Hoffnung und Zuversicht in uns gewachsen sind.

Und wir bitten dich für alle Menschen, die krank sind.  Nimm du dich ihrer Seele an. Heile sie, wo es möglich ist. Tröste sie. Bewahre sie vor Verzweiflung. Gib ihnen die Kräfte, die sie gerade jetzt benötigen. Stelle ihnen Menschen wie Engel zur Seite und sei ihnen mit deinem guten Geist nahe.

Bitte für Verstorbene

Vaterunser

Lied: 170, 1-4 Komm, Herr, segne uns

Abkündigungen

Segen

Musik

Erntedankgottesdienst am 3.10.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung und Votum

Lied: Wir pflügen und wir streuen  EG 508

Psalm 104 im Wechsel mit Gemeinde

Gebet

Wir feiern Erntedank und danken dir, Gott,
für alles, was du uns schenkst.
Für das Brot. Das wir essen,
für Wohnung und Kleidung,
für Arbeit und Ausbildung,
für Freude und Freundschaft.
Für die Menschen, die uns vertraut sind.
Hilf uns, Gott, dass wir die nicht vergessen, denen
Es nicht gut geht,
die nicht genug zu essen und zu trinken haben,
die arm sind, ohne Arbeit und Ausbildung.
Und hilf uns, deine Schöpfung zu bewahren,
für die Generationen nach uns, für alle Lebewesen.

Lesung: Lukas 12,13-21

Glaubensbekenntnis

Bericht von der Ernte in der Wetterau: Florian Hartmann

Lied: Ich singe dir mit Herz und Mund EG 324

Predigt zu Jes 58,7-12
Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! 8Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. 9Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, 10sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. 11Und der Herr wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.

Liebe Gemeinde,
so verkündet es der Prophet Jesaja seinem Volk: Wenn ihr euch euren Mitmenschen gegenüber zugewandt und liebevoll verhaltet, dann ist Gott da. Dann antwortet Gott auf unser Rufen. Da werden unsere Herzen weit und Gottes Geist strahlt aus in unsere Welt.

Wichtig ist allerdings, dass die Reihenfolge stimmt! Gott lässt sich nicht bestechen oder herbeizwingen. Wenn wir uns nur unseren Mitmenschen zuwenden, um einen eigenen Vorteil zu erlangen, um uns einen gnädigen Gott und einen guten Platz im Himmel zu verdienen, dann wird diese Rechnung nicht aufgehen. Gott ist da, wo Menschen sich ohne Berechnung selbstlos für andere einsetzen. Eben um dem anderen zu helfen, nicht sich selbst.

Im Gleichnis vom Weltgericht erzählt Jesus genau davon. Diejenigen, die Jesus so viel Gutes getan haben, wussten es gar nicht. Sie hatten ohne Berechnung und ohne Hintergedanken, ohne etwas für sich selbst erreichen zu wollen, ihren Mitmenschen geholfen. Ihnen hatten sie Gutes getan und damit auch Jesus. Und die, die keinen Einlass ins Himmelreich finden, die haben ihren Mitmenschen nicht beigestanden, weil sie in ihnen Jesus nicht gesehen haben. Und so versuchen sie auch sich vor Jesus zu rechtfertigen: Hätten wir dich, Jesus, erkannt – wir hätten dich natürlich gekleidet, wir hätten dich besucht! Warum hast du dich denn nicht zu erkennen gegeben, Jesus?

„Siehe, hier bin ich!“ – so spricht Gott. Was werden wir sagen, wenn wir vor Jesus stehen?

Habe ich getan, was vor Gott recht ist? Kann ich mit gutem Grund hoffen, dass Gott sich naht?
Schon Luther hat immer wieder betont, wie wichtig die tägliche Umkehr ist. Ich bin gefragt und kann mich nicht hinter Vorschriften oder dem, was die anderen tun, verstecken. Umkehr tut Not: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut.!“

Die Menschlichkeit einer Gesellschaft entscheidet sich daran, wie menschenwürdig die in ihr leben, die es schwer haben – aus welchen Gründen auch immer. Gott lässt sich finden, wenn die Schere zwischen arm und reich zusammengeht. Wenn wir dafür etwas tun, wenn wir diejenigen an unser Herz heranlassen, die noch nicht oder nicht mehr für sich selber sorgen können.

Politisch ist das alles kompliziert. Gerade in der Landwirtschaft. Zwischen EU und Deutschland, zwischen Agrarindustrie und Biolandwirtschaft. Viele suchen ihren Weg, der es ermöglicht, von der Landwirtschaft zu leben und dennoch nachhaltig ist. Das ist eine schwierige Aufgabe. Der Konkurrenzdruck ist groß. Es müssen so viele Faktoren zusammenspielen, um eine gute Ernte einzufahren. Wir haben eben davon gehört. Das Erntedankfest bindet da vieles zusammen: den Dank dafür, dass wir hier in der Wetterau auf unglaublich fruchtbaren Boden leben, der gute Ernten ermöglicht. Den Dank dafür, dass das Wetter im Großen und Ganzen wieder mitgespielt hat, keine Unwetter die Ernte vernichtet oder den Boden weggespült haben.
Das Erntedankfest zeigt aber auch, dass es nicht darum gehen, immer möglichst hohe Erträge zu erzielen. An der Landwirtschaft und auch an anderen Betrieben, sehen wir, wie wichtig es ist, nachhaltig zu denken, nachhaltig zu handeln und immer auch die kommenden Generationen im Blick zu haben. Reine Profitgier zerstört die Natur hier bei uns – und gleichzeitig auch den in den Ländern des globalen Südens.

Auch die Kultur und unser Gemeinschaftsleben sind in Gefahr, wenn es nur noch um Profit geht. In vielen Dörfern gibt es schon lange keinen Dorfladen und keine Grundschule mehr.  Auch wie es mit der Kirche weitergehen wird ist unklar. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie schnell gemeinschaftliches Leben zum Erliegen kommen kann und wie schwer es ist, danach an Vergangenes wieder anzuknüpfen. Wie viele Menschen unter Einsamkeit gelitten haben und immer noch leiden.

Brich dem Hungrigen dein Brot!“ So ruft Jesaja zur Umkehr auf. Und dieser Ruf gilt bis heute.

Dabei geht es nicht darum, anderen Schuld zu zuweisen. Es ist nicht so, dass die anderen immer alles falsch machen. Wir leben in einem System, in dem wir uns eigentlich gut gefällt, das uns aber oft gefangen hält und an dem wir manchmal leiden. Ich gehe auch gerne einkaufen und gönne mir etwas. Ich vertraue auf das Geld. Geld gibt mir Sicherheit.

Da bleibt Jesaja ein Stachel im Fleisch, der uns helfen will, unser Herz zu öffnen. „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe in dein Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn an, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird Gott sagen: Hier bin ich!“

Jesaja schaut zurück, aber er feiert auch. Er stellt uns vor Augen, wie die Kinder Gottes in einer herrlichen Ernteprozession aufbrechen aus dieser Gefangenschaft des Geldes in die Freiheit der Kinder Gottes: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.!“

Das ist eine große Prozession der Befreiung, die Jesaja da beschreibt. Dass wir alle hineinfinden in die Gemeinschaft Gottes. Eine Gemeinschaft in der nicht entscheidend ist, was die einzelnen besitzen, sondern eine Gemeinschaft, die sich um ihre Menschen sorgt, in der genug für alle da ist.

Liebe wird mehr, wenn wir sie teilen. Wir können sie nicht horten wie da Geld. Liebe lässt erfüllt mich und lässt mich aufstrahlen wie das Licht der Morgenröte. DA lerne ic h teilen ohne Angst, selbst etwas zu verlieren. Da tue ich mutige Schritte für meine Mitmenschen, nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit allen Glaubenden und im Vertrauen auf Gott.

„Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.“
Amen.

Lied: Dass du mich einstimmen lässt ein deinen Jubel 580,1.2

Wir wollen nun das Abendmahl am Platz miteinander feiern. Jesus selbst lädt uns dazu ein. Wir erinnern uns dabei an das Abendmahl, das er am letzten Abend mit seinen Jüngern gefeiert hat:

Gebet
Gott des Lebens. Von den Früchten der Erde bringen wir dir dieses Brot auf deinen Tisch, damit es uns zum Brot des Lebens werde. Groß ist deine Güte. Zu unserer Stärkung schenkst du uns den Saft der Trauben, die Frucht des Weinstockes und der Arbeit des Menschen. Groß ist deine Güte. Mit unserer Sehnsucht kommen wir zu dir an deinen Tisch. Mit unserer Schwäche, unserer Sorge, unserer Lebensfreude und unserer Kraft. Nimm du an, was wir bringen. Erhalte und belebe uns! Darum bitten wir dich durch Jesus Christus unseren Bruder und Herrn. Amen

Vaterunser

Einsetzungsworte: Konfis halten Brot und Kelch

Christe, du Lamm Gottes (von Frank gesungen)

Friedensgruß: legt eure rechte Hand aufs Herz und wendet euch einander mit einer Verbeugung zu

Brot von dem einen Brot. Trauben von der Frucht des Weinstocks. So nehmt nun das Brot! Es stärke euch und werde für euch zum Brot des Lebens. (essen)
So nehmt nun die Trauben. Sie mögen euch stärken, euch Heil und Freude schenken. Die Vergebung Jesu Christi ist euch gegeben. (essen)
Jesus Christus spricht: „Seht, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“
Das stärke und bewahre euch im Glauben bis zum ewigen Leben.  Amen.

Dankgebet
Du hast uns gestärkt, unser Gott. Wir haben deine Freundlichkeit geschmeckt. So gehen wir in diesen Tag: geliebt und gesegnet.
Wir danken dir! Amen.

Lied: 632,1.3.4 Wenn das Brot, das wir teilen

Fürbitten

Gott,
du bist die Quelle des Lebens,
du schenkst uns Nahrung, Kleidung,
ein Dach über dem Kopf,
Menschen, die sich um uns sorgen.
Dafür danken wir dir.

Wir bitten dich für die Menschen,
die sich nicht freuen können,
weil sie Hunger haben,
weil sie ohne Arbeit sind,
weil sie unter Gewalt, Krieg oder Unrecht leiden,
weil sie keinen haben, der sich um sie sorgt.
Hilf uns, die Not der Menschen in der Welt wahrzunehmen,
ohne darüber zynisch zu werden oder abzustumpfen.
Lehre uns teilen,
damit die Hoffnungslosen wieder Mut bekommen.

Gott, wir bitten dich für die Menschen in unserer Stadt,
für die Kinder, die Jugendlichen und die Erwachsenen.
Wir denken an die Kranken, die Traurigen, die Einsamen.
Tröste du sie, gib ihnen neuen Lebensmut
und hilf uns, ihnen beizustehen.

Wir denken an _, die in der vergangenen Woche bestattet wurden. Nimm sie auf in deine Ewigkeit und tröste ihre Angehörigen. Wir zünden eine Kerze für sie an.

Gott, erhöre unsere Bitten, dein ist der Ruhm und Herrlichkeit in Ewigkeit.

Lied: Verleih uns Frieden   eg+

Vorstellung des Projektes und Kollektenabkündigung

Segen
Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 26.9.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum
WOCHENSPRUCH
Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.
(1.Johannes 5,4c)

Psalm 138

Dank für Gottes Verheißung
1381VON DAVID.
Ich danke dir von ganzem Herzen.
Ich will dich mit Liedern preisen
vor der versammelten Götterschar.
2Ich bete in Richtung deines heiligen Tempels.
Ich will dir danken für deinen Namen,
der für deine Güte und Treue steht.
Denn du hast eine große Verheißung gegeben,
wie es deinem Namen entspricht.
3Als ich zu dir rief, gabst du mir Antwort
und hast meinem Leben neue Kraft gegeben.
4Es danken dir, Herr, alle Könige der Welt.
Denn sie hören die Worte aus deinem Mund.
5Sie sollen singen von den Wegen des Herrn:
»Groß ist der Herr in seiner Herrlichkeit.
6Hoch ist der Herr, aber er sieht den Geringen.
Er thront in der Höhe, doch er nimmt alles wahr.«
7Wenn ich mitten durch Gefahren gehen muss,
erhältst du mich am Leben.
Wenn meine Feinde vor Zorn toben,
streckst du deine Hand aus und rettest mich.
8Der Herr bringt meine Sache zum guten Ende.
Deine Güte, Herr, bleibt für immer bestehen.
Lass nicht ab von allem, was deine Hände tun.

Gebet
Gott, du bist für uns wie ein Vater und eine Mutter,
du hast uns geschaffen zu deinem Ebenbild
und sprichst uns eine Würde zu,
die uns niemand nehmen kann.
Lass uns in dieser Stunde auf deine Stimme achten,
auf die Weisung deiner Gebote.
Hilf uns, dass wir dich von ganzem Herzen lieben
und unseren Nächsten wie uns selbst.
Dies bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn,
der mit dir und dem Heiligen Geist
lebt und Leben schenkt bis in Ewigkeit.
Amen.

Lesung : Mt 15,21-28
Eine kanaanäische Frau vertraut auf Jesus
Markus 7,24-30

21Jesus verließ Gennesaret und zog sich in das Gebiet von Tyros und Sidon zurück.22Da kam eine kanaanäische Frau aus dieser Gegend zu ihm. Sie schrie: »Hab Erbarmen mit mir, Herr, du Sohn Davids! Meine Tochter wird von einem bösen Dämon beherrscht!«23Aber Jesus gab ihr keine Antwort. Da kamen seine Jünger zu ihm und baten: »Schick sie weg! Denn sie schreit hinter uns her.«24Aber Jesus antwortete: »Ich bin nur zu Israel gesandt, dieser Herde von verlorenen Schafen.«25Aber die Frau fiel vor ihm auf die Knie und sagte: »Herr, hilf mir doch!«26Aber Jesus antwortete: »Es ist nicht richtig, den Kindern das Brot weg zu nehmen und es den Hunden vorzuwerfen.«27Die Frau entgegnete: »Ja, Herr! Aber die Hunde fressen doch die Krümel, die vom Tisch ihrer Herren herunterfallen.«28Darauf antwortete Jesus: »Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, soll dir geschehen! «In demselben Augenblick wurde ihre Tochter gesund.

Glaubensbekenntnis

Lied: EG 346,1.3 Such, wer da will, ein ander Ziel

Predigt
Liebe Gemeinde,
der Glaube steht am heutigen Sonntag im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Das hört sich so selbstverständlich an – um was soll es denn sonst gehen, wenn nicht um den Glauben. Glauben – das ist ein ziemlich großes Wort. Vor knapp drei Wochen haben die neuen Konfirmand*innen sich gemeinsam als Gruppe auf den Weg gemacht, um zu erfahren, zu erleben, zu erspüren, was es mit diesem Glauben auf sich hat, wie das gehen kann zu glauben.
Lässt Glauben sich denn erklären? Ich möchte Sie einladen zu einer Geschichte, in der unterschiedliche Facetten „zu glauben“ zur Sprache kommen.

Sie setzte sich wie jeden Abend an das Bett ihrer Tochter. Diese gähnte herzhaft. Sie lächelte. „Nun wollen wir noch beten, Lilly.“ Das kleine Mädchen faltete die Hände und begann zu sprechen: „Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe meine Augen zu, …“ Nach dem Gebet beugte sie sich über ihre Tochter, um ihr einen Gute-Nacht-Kuss zu geben. „Mama?“ „Ja, mein Schatz.“ „Warum glaubst du?“ Die dunklen Augen der Tochter schauten interessiert. Die Mutter nickte und überlegte ein bisschen. „Keine so einfache Frage! Ich glaube, weil meine Mutter mit mir früher auch gebetet hat und die Kinderbibel mit mir gelesen hat. Und irgendwann in meinem Leben habe ich festgestellt, dass Gott mich in meinem Leben begleitet und unterstützt.“ „Hmm“, hörte sie ihre Tochter nur murmeln. Als sie in das Gesicht ihrer Tochter blickte, sah sie, dass sie ihre Augen bereits geschlossen hatte. Sie deckte ihr Kind noch einmal zu und schlich leise aus dem Zimmer.

Auf dem Flur angekommen drehte sie sich nach links zu der Tür, hinter der ihr Sohn schon in seinem Bett saß. „So, hast du schon Zähne geputzt?“ „Ja, schon längst“, gab ihr Erstgeborener lässig zurück. „Gut, dann können wir ja jetzt beten.“ „Muss das sein, Mama?“ Ihr Sohn verdrehte leicht die Augen. „Ich weiß gar nicht, ob ich daran glaube, ich meine an Gott und so.“ Sie musste ein wenig schmunzeln: Wie unterschiedlich ihre beiden Kinder doch waren. „Vielleicht sollten wir da morgen mal in Ruhe drüber reden und nicht heute Abend, wenn wir beide müde sind.“ Er nickte. „Okay, machen wir. Gute Nacht, Mami, ich hab dich lieb.“ „Ich dich auch, Bela.“

Langsam ging sie die Treppe hinunter. Zwei Kinder, so unterschiedlich. Lilly bedeutete der Glaube Halt, ihr war das gemeinsame Beten wichtig. Bela dagegen hatte kein Interesse an Gott und Glauben. Und doch hatten sie und ihr Mann beiden Kindern aus der Kinderbibel vorgelesen, sie mit in den Gottesdienst genommen, mit ihnen Krabbelgottesdienste besucht. Sie hatten versucht die Erziehung gleich zu gestalten - und doch mit unterschiedlichem Ergebnis.

Sie überlegte, wie ihr Glaube entstanden war, und konnte sich nicht daran erinnern, dass sie irgendwann ohne Glauben gewesen war. Sie war wie so viele als Baby getauft worden. Davon zeugten Bilder in ihrem Fotoalbum. Ihre Mutter hatte immer dafür gesorgt, dass sie in den Kindergottesdienst ging und dort schon früh die Geschichten aus der Bibel erzählt bekam. Im evangelischen Kindergarten war diese christliche Erziehung weiter gegangen. Erst im Jugendalter, kurz nach der Konfirmation, waren ihr Zweifel an ihrem Glauben und ihrem Gottesbild gekommen. Sie hatten damals einen Kreis, in dem Jugendgottesdienste mit aktuellem Thema vorbereitet wurden. Dort wurde engagiert geredet und diskutiert. Eines Tages, sie wusste es noch genau, hatte sie gerade erfahren, dass die kleine Cousine ihrer Freundin an einer Erdnuss erstickt war. Sie war traurig und wütend zur Vorbereitung des Jugendgottesdienstes gefahren und hatte den Pfarrer unter Tränen angeschrien: „Wie kann Gott so etwas nur zulassen? Ich dachte, der ist allmächtig und gütig?“ Alle waren einen Moment still. Den Rest der Stunde versuchten alle eine Antwort zu finden und merkten schnell, dass ihre Antwortversuche diese Frage nicht umfassend beantworten konnten.

Und doch stellten diese Fragen ihren Glauben nicht infrage, sondern sie veränderten ihr Gottesbild und ihren Glauben. Immer wieder begegneten ihr Menschen auf ihrem Lebensweg, die sie und ihren Glauben veränderten: der Lateinlehrer, der in seinem Glauben und in sich ruhte und die Kinder nicht nur in Latein, sondern auch in Herzensbildung unterrichtete. Die Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne auf einer Israelreise. Ihre Freundin im Studium, die alles, gerade gesellschaftliche Themen, das Verhältnis von Frau und Mann und das Thema Rassismus, so anders dachte und anging. Das alles hatte sie zu dem Menschen gemacht, der sie heute war, mit ihrem Glauben, der sie immer noch trug, auch durch Schicksalsschläge und Zeiten des Zweifels.

Wie anders war ihr Lebensweg als der der ersten Christinnen und Christen. Ihr fielen Abschnitte aus der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen ein: Die gute Botschaft, das Evangelium, richtete sich an erwachsene Menschen, die Gottes Wort, verkündet von den Apostelinnen und Aposteln, hörten. Diese zogen von Stadt zu Stadt und erzählten den Menschen von Jesus, seinen Worten und Taten, seiner Auferstehung. Sie erzählten vom Reich Gottes, das schon angebrochen war, aber erst vollendet würde, wenn Jesus Christus wiederkäme. Viele hörten ihnen zu. Einige kamen zum Glauben und ließen sich taufen. Diese erzählten dann ihrerseits die gute Botschaft weiter. Manchmal konnte man aus den alten Schriften die Begeisterung der ersten Christinnen und Christen in den Schriften des Neuen Testaments spüren. Sie brannten für ihren Glauben und hielten auch in Widerständen und Verfolgung an ihm fest.

Sie dachte nochmal an den Predigttext des letzten Gottesdienstes aus dem Brief an die Gemeinde in Rom. Da ging es darum, wie Glauben entstehen und verbreitet werden könnte. Sie holte ihre Bibel aus dem Schrank und las noch einmal: „Wenn ihr also mit dem Mund bekennt: ‚Jesus ist der Herr‘, und im Herzen glaubt, dass Gott ihn vom Tod auferweckt hat, werdet ihr gerettet. Wer mit dem Herzen glaubt, wird von Gott als gerecht anerkannt; und wer mit dem Mund bekennt, wird im letzten Gericht gerettet. So steht es ja in den Heiligen Schriften: ‚Wer ihm glaubt und auf ihn vertraut, wird nicht zugrunde gehen.‘ Das gilt ohne Unterschied für Juden und Nichtjuden. Sie alle haben ein und denselben Herrn: Jesus Christus. Aus seinem Reichtum schenkt er allen, die sich zu ihm als ihrem Herrn bekennen, ewiges Leben. Es heißt ja auch: ‚Alle, die sich zum Herrn bekennen und seinen Namen anrufen, werden gerettet.‘ Sie können sich aber nur zu ihm bekennen, wenn sie vorher zum Glauben gekommen sind. Und sie können nur zum Glauben kommen, wenn sie die Botschaft gehört haben. Die Botschaft aber können sie nur hören, wenn sie ihnen verkündet worden ist. Und sie kann ihnen nur verkündet werden, wenn Boten mit der Botschaft ausgesandt worden sind. Aber genau das ist geschehen! Es ist eingetroffen, was vorausgesagt war: ‚Welche Freude ist es, wenn die Boten kommen und die Gute Nachricht bringen!‘ Doch nicht alle sind dem Ruf der Guten Nachricht gefolgt. Schon der Prophet Jesaja sagt: ‚Herr, wer hat schon unserer Botschaft Glauben geschenkt?‘ Der Glaube kommt also aus dem Hören der Botschaft; die Botschaft aber gründet in dem Auftrag, den Christus gegeben hat.“ (Röm 10,9-17 GUTE NACHRICHT BIBEL, STUTTGART 2018)

Das Bekennen, so überlegte sie, das Bekennen war durchaus eine schwierige Sache. Neulich hatten ihre Kolleginnen und Kollegen in der Teeküche bei der Kaffeepause über den Tod geredet. Erst vor kurzem war eine nette, junge Kollegin an Brustkrebs verstorben. Alle waren noch immer traurig und bestürzt. In der Traueransprache hatte die Pfarrerin auf die christliche Hoffnung Bezug genommen, dass Jesus Christus den Tod überwunden hat und wir auf ein ewiges Leben bei Gott vertrauen können. Sie hatte diese Ansprache getröstet, aber einige Kollegen empfanden sie als Hinwegtrösten. „Diesen ständigen Bezug auf die Ewigkeit, der nervt mich im Christentum. Das Leben findet doch jetzt statt, und nicht erst nach dem Tod.“ Eine Kollegin nickt und fügt hinzu: „Und warum unsere Kollegin sterben musste, konnte die Pfarrerin mir auch nicht erklären.“ Einige nickten. Sie hatte geschwiegen. Zum einen, weil sie auch nicht auf alle Fragen eine Antwort hatte. Zum anderen wollte sie sich nicht für ihren Glauben rechtfertigen müssen. Sie wusste, dass einige ihrer Kolleginnen und Kollegen nichts mit Glauben und Kirche anfangen konnten. Nach dem Gespräch hatte sie sich schlecht gefühlt. Das mit dem Bekennen von der guten Botschaft war bei ihr also durchaus noch ausbaufähig.

Aber die innere Überzeugung, die hatte sie. Die Überzeugung, dass Gott sie begleitete, dass Gott auch in Schwerem an ihrer Seite war. Das Vertrauen, dass Gott eines Tages die Welt gerecht und friedlich gestalten würde, aber schon hier und jetzt damit anfing. Dieses Vertrauen in Gott hatte ihr geholfen, als in ihrer Schwangerschaft Komplikationen aufgetreten waren und sie sich drei Wochen absolut schonen musste, um sich und das Kind nicht zu gefährden. Ja, sie hatte Angst gehabt. Ja, es war eine schlimme Zeit gewesen. Ja, sie hatte Zweifel gehabt. Aber in der Rückschau konnte sie erkennen, dass Gott sie und das Kind in ihr geschützt hatte. Andere würden sagen: Glück gehabt! Sie sagte voller Überzeugung: Gott sei Dank!

Wieder dachte sie an ihre Kinder, die beide in ihren Zimmern schliefen. Wie unterschiedlich die beiden waren, auch in ihrem Glauben oder Nicht-Glauben! Aber vielleicht war es auch einfach eine unterschiedliche Herangehensweise: Während ihre Tochter sich noch den Kinderglauben bewahrt hatte, stellte ihr etwas älterer Sohn gerade alles und auch Gott in Frage. Erst in einigen Jahren, vielleicht auch erst wenn er anfing, seinen Weg getrennt von den Eltern zu gehen, würde zu sehen sein, welche Antworten er gefunden hatte.
Sie lächelte in sich hinein. Dafür war ihr Sohn ein hilfsbereiter und couragierter Jugendlicher, der sich für Gerechtigkeit und gegen Ausgrenzung in seiner Klasse einsetzte. Obwohl viele Jungs einen Klassenkameraden schnitten, sich über ihn lustig machten, zum Teil sogar mobbten, spielte und traf sich ihr Sohn weiter mit ihm. Das war ja auch eine Art Verkündigung, nur nicht mit Worten, sondern mit Taten: Jesus hatte sich auch auf die Seite der Benachteiligten gestellt.

Sie setzte sich nach draußen auf die Terrasse. Es wurde dunkel, sie hörte Geräusche des Lebens um sich herum. Sie überlegt, wie viele Menschen aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis wirklich glaubten. Vielleicht ein Drittel? Sie war sich unsicher, denn über Glauben wurde ja nicht so oft gesprochen. Doch viele hatten ihre Kinder taufen lassen. Die meisten von ihnen gingen später zur Konfirmation. Aber wie tief der Glaube reichte, ob nur ein oberflächliches Lippenbekenntnis oder ein tragendes Vertrauen, das vermochte sie nicht zu sagen. Und man konnte ja selber nicht Glauben machen: Gott wirkte ihn. Durch das Hören der Botschaft. Und diese gute Botschaft wurde ja immer noch und immer wieder durch Worte und durch Taten verkündet. Nicht nur in den Kirchen und in der Predigt, sondern überall. Durch ein freundliches Wort, einen aufmunternden Blick, eine kleine Spende. Ja, Verkündigung kann ebenso vielfältig sein wie der Glaube, dachte sie, klappte die Bibel zu und ging wieder hinein.
Amen.

Lied: EG 329, 1.2 Bis hierher hat mich Gott gebracht

Fürbitten

Barmherziger Gott,
heute bitten wir dich ganz besonders für die, die nicht glauben können,
und auch für die, die gar nicht glauben wollen.
Wir denken an die, die gerne glauben möchten,
die aber durch Erfahrungen in ihren Glauben erschüttert sind.

Gott, wir bitten dich auch für die, die Glauben für Kinderkram halten
und glauben, nur sich selbst vertrauen zu können,
für die, die ihre eigene Schuld nicht sehen, aber andere hart verurteilen.

Gott, wir bitten dich aber auch für die, denen ihre Frömmigkeit zur Heuchelei geworden ist,
und für die, die in ihrem Glauben intolerant geworden sind.

Wir bitten dich schließlich für uns selbst, dass wir nicht hochmütig werden,
denn in allem, was wir an anderen sehen, steckt auch etwas von uns selbst.
Du bist größer und barmherziger, als wir es uns vorstellen können.
Gib uns das, was wir brauchen in unserer jetzigen Situation.

Gott, wir bitten dich für __, die wir in der letzten Woche unter deiner Zusage beerdigt haben, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, weil deine Liebe den Tod überwunden hat. Wir zünden eine Kerze an, als Zeichen dafür, dass du mit deiner Liebe und deinem Trost auch in den dunklen Stunden unseres Lebens an unserer Seite bist. Lass das besonders die Angehörigen spüren. Tröste und stärke sie.

Wir bitten dich für __, der / die in der letzten Woche getauft wurde. Sei bei __, wenn sie deine Welt entdeckt und schenke ihr Lebensfreude, Mut und deinen guten Segen.
Wir zünden eine Kerze an.

Vaterunser

Lied: EG 319

Abkündigungen

Segen

Musik zum Ausgang

zu den Konfirmationen am 19.9.2021 von Pfarrerin Meike Naumann

Lesung: Mk 4, 35-41 

Im Sturm auf die Probe gestellt

Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Wir wollen ans andere Ufer fahren.« Sie ließen die Volksmenge zurück und fuhren mit dem Boot los, in dem er saß. Auch andere Boote fuhren mit. Da kam ein starker Sturm auf. Die Wellen schlugen ins Boot hinein, sodass es schon volllief. Jesus schlief hinten im Boot auf einem Kissen. Seine Jünger weckten ihn und riefen: »Lehrer! Macht es dir nichts aus, dass wir untergehen?« Jesus stand auf, bedrohte den Wind und sagte zum See: »Werde ruhig! Sei still!« Da legte sich der Wind, und es wurde ganz still. Jesus fragte die Jünger: »Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben?« Aber die Jünger überkam große Furcht. Sie fragten sich: »Wer ist er eigentlich? Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm!«

Predigt

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
liebe Festgemeinde,

manchmal kommt alles ganz anders als geplant. Da wirkt ein See oder das Meer völlig ruhig und harmlos. Alles ist völlig entspannt. Und dann bricht ganz plötzlich ein Unwetter los und versetzt alle in Angst und Schrecken. Vielleicht habt Ihr so einen Wetterumschwung schon einmal erlebt, das kann ja wirklich überall passieren. Am See Genezareth, wo die Geschichte spielt, die wir eben in der Lesung gehört haben, da passiert so etwas öfter. Die örtlichen Begebenheiten dort sind so, dass nach einem wettertechnisch völlig ruhigen Vormittag und Mittag, nachmittags heftige Fallwinde aufkommen können. Und diese Fallwinde sind durchaus stark genug, um kleinere Fischerboote, wie sie zur Zeit Jesus üblich waren, ins Schwanken zu bringen. So kann es gehen. Nicht nur am See Genezareth. So kann es überall zu jeder Zeit geschehen. Ganz unverhofft.

Unser Leben geht seinen ganz alltäglichen Gang. Wir arbeiten, gehen in die Schule, haben unsere Hobbies wie Musik, Sport, Theater oder, oder….unsere Freizeit ist ausgefüllt mit Sachen, die uns Spaß machen oder manchmal auch nicht. Wir planen unseren Urlaub für die Sommerferien oder freuen uns auf ein großes Fest. Wie zum Beispiel Eure Konfirmation. Und dann – ganz plötzlich geschieht etwas, das unser Leben von Grund auf durcheinander bringt. Auf einmal ist nichts mehr so, wie wir es immer gewohnt waren. Wir müssen alles neu sortieren: den Alltag, die Schule, die Arbeit, die Freizeit, unsere Freundschaften. Keine Ahnung wie das funktionieren soll. Wann wird sich wieder Normalität einstellen? Wird es die Normalität, die wir kannten überhaupt wiedergeben? Das alles beunruhigt uns und macht auch richtig Angst.

Die Geschichte, die das Markusevangelium von dieser abenteuerlichen Bootsfahrt erzählt, ist eine wunderbare Geschichte gegen die Angst. Die ersten Christ*innen haben sich solche Wundergeschichten von Jesus erzählt, um sich gegenseitig Mut zu machen. Denn auch sie haben in stürmischen Zeiten gelebt. Ihr Leben war keine ruhige Flusskreuzfahrt, sondern Ihr Lebensboot war vielen Stürmen ausgesetzt. Sie wurden oft wegen ihres Glaubens verfolgt. Und durch diese Bedrohung machten sich auch bei ihnen Zweifel breit, ob der christliche Glaube denn wirklich der richtige Glaube sei. Inmitten solcher Stürme war es gut zu hören: Was auch immer geschehen mag, wie sehr ihr euch auch fürchtet, ihr seid nicht allein. Jesus ist bei euch und steht euch bei.

Das zu hören tut uns heute noch genauso gut wie den Menschen vor 2000 Jahren. Manchmal kommt uns ein Tag, der für andere ganz gewöhnlich wirkt, vor wie ein stürmisches, aufgewühltes Meer. Kaum zu schaffen! In unserer Geschichte ist Jesus mitten im Sturm. Aber was macht er? Er schläft! Ja, er lässt sich nicht in die Angst seiner Jünger*innen hineinziehen. Er ermutigt sie vielmehr, Vertrauen zu haben und die Ruhe zu bewahren.

Liebe Gemeinde, wir sollen uns von der Angst nicht unterkriegen lassen, sagt uns diese Geschichte. Die Angst ist nicht plötzlich weggezaubert. Nein. Aber es lässt sich mit ihr leben. Zu wissen, dass wir nicht allein sind, das tut gut. Gott ist mit uns in einem Boot. Wenn wir darauf vertrauen, dann können wir auch ruhiger werden, so wie der See ruhiger wird. Manchmal hilft es schon, wenn wir in einer chaotischen, stürmischen Situation die Ruhe bewahren. Dann gelingt es uns vielleicht, kleine Schritte zu planen und zu tun. Wir starren nicht wie gelähmt auf das Meer von Problemen, das wir überwinden müssen. Wir können immer einen Schritt nach dem anderen machen. Und irgendwann legt sich auch der heftigste Sturm.

Das beruhigt. Es gilt durchzuhalten und dem Sturm tapfer zu trotzen. Voller Vertrauen darauf, dass Jesus die Macht hat dem Sturm Einhalt zu gebieten und die Wogen zu glätten. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen, darauf dürfen wir vertrauen. Ihr, liebe Konfis, habt eure Zukunft vor euch. Auch da wird es stürmische Zeiten geben. Nicht alles klappt auf Anhieb und der Wind bläst einem direkt ins Gesicht. Aber, da bin ich ganz sicher, es wird viele schöne Erlebnisse und gute Zeiten für euch geben. Im Bild der Geschichte gesprochen: da warten tolle und aufregende Segeltörns auf euch oder erfolgreiche und aufregende Wildwasserfahrten. Da bin ich mir sicher und das wünsche ich euch von Herzen. Ihr könnt euch getrost Jesus als Steuermann und Gott als Kapitän anvertrauen mit all euren Gedanken, Plänen und auch mit euren Sorgen und Zweifeln. Ihr werdet sehen, dass es guttut, sich darauf verlassen zu können, dass Gott immer bei uns ist und uns liebevoll begleitet. Das gibt immer wieder neuen Mut und neue Kraft. Amen.

Gottesdienst am 12.9.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Begrüßung

Herzlich willkommen zum Gottesdienst in der Dankeskirche.
Am vergangenen Sonntag sind wir mit Konfirmandinnen und Konfirmanden eingezogen (und kommenden Sonntag tun wir das wieder). Eben sind 23 Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher hier feierlich eingezogen und haben hier vorne Platz genommen.

Die Konfirmanden nehmen ihren Glauben in die eigene Verantwortung. Sie als Kirchenvorsteher übernehmen Verantwortung als Leitung unserer Kirchengemeinde für die kommenden sechs Jahre. Kein neuer Lebensabschnitt, aber immerhin eine neue Sitzungsperiode unseres Vorstands.

Es ist der 2. Sonntag im September: Das ist der Tag des offenen Denkmals, des Jugendstilfestivals und Orgeltag heute bei uns. Eigentlich ist es auch der Tag unseres schönen Gemeindefestes in und um die Dankeskirche. Schade, dass es nun schon zum 2. Mal ausfallen muss. Aber wir feiern ja trotzdem: Gottesdienst, und die Verabschiedung das alten und die Einführung des neuen Kirchenvorstands.

Predigt

Die Gnade unseres Herrn JX, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des HG sei mit uns allen. Amen.

Liebe Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher, liebe Gemeinde,
dieser Gottesdienst markiert für uns einen Übergang: vom alten zum neuen Kirchenvorstand. Eine Gelegenheit, zurückzutreten und sich zu vergewissern, was wir da eigentlich tun; und um Gottes Segen zu bitten: für das was war und für das was kommt. Und dafür, dass wir unsere unterschiedlichen Gaben zum Nutzen der Gemeinde zusammenführen und gemeinsam wirksam werden lassen, wie wir es eben in der Lesung hörten (1. Kor 12, 4-11). Zu fragen, was führen und leiten in der Kirche eigentlich heißt.

Schauen wir doch einfach mal in der Bibel nach:
Gleich am Anfang leitet Gott. ER legt die Grundstrukturen: Licht und Dunkel, Festes und Fließendes. Er erfindet die Polarität, das Paar, die Lebensräume Wasser, Land und Luft. ER spricht und dann geschieht. ER ordnet und schafft Zusammenhänge, behält den Blick auf das Ganze, schenkt Ruhezeiten. Und ihm liegt anscheinend an der Verantwortung und dem inneren Potenzial seiner Geschöpfe.  ER segnet ausdrücklich die Kreativität und Selbstständigkeit seiner Geschöpfe und freut sich an ihnen. Und zeigt ihnen seine Freude wie ein Lob.

Ich denke an den Auszug aus Ägypten. Eine große Aufgabe, für die es eine gute Organisation, eine klare Leitung und am besten auch eine Arbeitsteilung geben sollte. Gott stellte Mose seinen Bruder Aaron zur Seite: Keine einfache Beziehung, sicher nicht ohne den Geschwisterkonflikt, den wir immer wieder in der Bibel finden. Nicht ohne Konflikte, aber es kommt nicht zum Bruch. Das gemeinsame Ziel steht im Vordergrund, aber keiner von beiden erreicht das gelobte Land. Mose mit der Gesamtleitung, der ältere Aaron wurde sein Sprecher und Stellvertreter. Ihm wurde das Amt des Hoheproesters übertragen, die geistliche Leitung also.

Und schließlich denke ich an Jesus und seine Jünger. Bei genauerem Hinsehen gab es in der Gruppe eine Arbeitsteilung, zB einen Quartiermeister, einen Leiter, einen etwas zwielichtigen Finanzbeauftragten. Bei der Speisung der 5000 haben sie den Auftrag, aus der Menge Gruppen zu bilden, wie in einer Kirchengemeinde. Denn 5000 sind eine anonyme Masse. Aber Konfirmandeneltern, Taufkinder, die Pfadfinder, der Jugendchor oder die Kantorei, der Besuchsdienst oder die Gemeindebriefredaktion: das sind Einzelne, die sich untereinander kennen und voneinander wissen. Und so gab Jesus den Auftrag, sie sich in kleine Gruppen setzen zu lassen. Und so konnte das Wunder seinen Lauf nehmen.

Im Kirchenvorstand geht es also um führen und leiten:
Führen heißt (nach Müller-Weißner, Chef sein im Hause des Herrn):  1. Im beruflichen Umfeld 2. andere Menschen 3. wertschätzend und 4. zielgerichtet 5. in einer spezifischen Situation 6. dazu zu bewegen 7. Aufgaben zu übernehmen und erfolgreich auszuführen.
Die beiden Vorsitzenden des Kirchenvorstandes sind verantwortlich für die Personalführung. Mit der „unmittelbaren Beaufsichtigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ hat der Kirchenvorstand als Ganzes nichts zu tun. Auch nicht mit den Personalgesprächen, welche die Vorsitzenden nach Absprache ihrer Bereiche mit den Angestellten der Gemeinde führen.

Der Kirchenvorstand ist verantwortlich für das Leiten.
Leiten heißt (nach Müller-Weißner): 1. Die Kirchengemeinde 2. als Feld von Strategie und Planung begreifen und 3. in einer vorfindlichen Situation 4. geeignete Lenkungsmittel benutzen, um 5. das Überleben zu sichern und 6. die Zukunft zu gestalten.
Es geht also nicht um den Blumenschmuck in der Kirche, sondern darum, dass er finanziert werden kann. Es geht nicht um das Benehmen einzelner Nutzer unserer Gemeinderäume, sondern um unsere Hausordnung und wie sie überwacht werden kann. Sicherlich manchmal auch um das Detail und genauere Hinsehen – aber vor allem um das Ganze. Auch wenn die Tagesordnungen des KVs oft nach klein/klein aussehen.

Leiten ähnelt in manchem der Aufgabe, die Eltern haben. Es geht darum, Verantwortung für den Rahmen zu übernehmen, für das Klima in der Gemeinde. Entwicklungsräume, also Lebensräume zu gestalten, die vielleicht auch Grenzen brauchen. Jeder Erwachsene hat schon viel damit zu tun, sich selber zu leiten. Gemeinsam leiten ist noch eine Stufe schwerer. Weil es darum geht, dass unterschiedliche Menschen gemeinsam Verantwortung übernehmen. Ganz wesentlich dabei ist, dass die Unterschiede eingebracht und genutzt werden können.

Leiten gelingt, wenn Auftrag und Fähigkeit für eine möglichst klar definierte Aufgabe zusammenkommen. Leitung braucht die für ihre Aufgaben angemessene Möglichkeit, Dinge zu gestalten und durchzusetzen. Gemeinsame Leitung lebt von gegenseitiger Achtung und Loyalität. Auch wenn sich meine Meinung nicht durchsetzen konnte, sollte ich einen gemeinsam getroffenen Beschluss nach außen loyal vertreten.

Von Reiner Kunze gibt es dieses schöne Gedicht:
Rudern zwei
ein boot,
der eine
kundig der sterne,
der andre
kundig der stürme,
wird der eine
führn durch die sterne,
wird der andre
führn durch die stürme,
und am ende ganz am ende
wird das meer in der erinnerung
blau sein

Das macht Sinn: Wenn zwei sich mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten zusammentun, so bringen sie ihr Boot weiter übers Wasser als einer allein. Darum wird das Schiff, das sich Gemeinde nennt, auch nicht von einem allein gesteuert, sondern „Kirchenvorstand und Pfarrerinnen und Pfarrer leiten gemeinsam die Gemeinde“ (KGO). Gemeinsam leiten funktioniert aber nicht automatisch. Die zwei im Gedicht sind in verschiedenen Gebieten kundig; über die Sterne und die Stürme wird nicht diskutiert und abgestimmt, sondern der jeweils Kundige übernimmt Führung. Das ist die hohe Kunst des gemeinsamen Leitens: Unterschiede anerkennen und wertschätzend einsetzen. Verschiedene Gaben zu ihrem Recht kommen lassen. Im Rückblick finde ich, dass uns das sehr gut gelungen ist.

Kirche ist eine hörende Gemeinschaft. Der Ausgangspunkt ist immer das Hören auf Gottes Wort. Im Hören darauf fragen wir nach den Verheißungen der Kirche und dem Auftrag, der ihr gegeben ist.

Dazu gehört auch, als Gemeindeleitung aufeinander zu hören. Geistlich leiten geschieht immer im Miteinander des Kirchenvorstands und in seiner Verschiedenheit. Niemand kann und soll es alleine machen. Gut, wenn jemand den Hut aufhat. Nicht auf die anderen zu hören heißt, sie abzuhängen und zu demotivieren. Sie aber zu fragen heißt, sie zu beteiligen.

Schließlich bedeutet geistliche Gemeindeleitung auch, miteinander zu feiern. Das heißt, es sich nicht nur miteinander gut gehen zu lassen. Das bestimmt auch. Aber vor allem Gott für das zu danken, was wachsen durfte; ihm anzuvertrauen, was nicht verwirklicht werden konnte; und seinen Segen zu erbitten für das, was kommt.

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX. Amen

zur Konfirmation am 5.9.2021 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Konfis und liebe Gemeinde,
um es gleich vorweg zu sagen: ich bin stolz auf euch! Und das sage ich nicht nur so dahin oder weil man es sagen muss in einer Predigt an der Konfirmation. Ich sage das aus tiefstem Herzen. Ich bin stolz auf euch, weil ihr durchgehalten habt. Dieses Konfijahr war so ganz anders als wir alle es geplant und uns vorgestellt haben. Und so anders als viele frühere Konfijahre. Ich will jetzt gar nicht aufzählen, was alles nicht ging.

Aber ihr seid drangeblieben und habt euch auf die besonderen Umstände und Bedingungen eingelassen. Als wolltet ihr damit sagen: Jetzt gerade! Wir lassen uns nicht kleinkriegen! Keine und keiner von euch hat aufgegeben, auch wenn ihr viel habt zurückstecken müssen. Die Welt stand Kopf eineinhalb Jahre lang, aber ihr habt trotzdem nicht die Orientierung verloren. Habt weitergemacht.  Mit Sicherheit hatten auch eure Eltern einen ganz entscheidenden Anteil daran, indem sie euch unterstützt haben. Ihr habt nach vorne geschaut. Genau deshalb bin ich stolz auf euch!

Unser Konfiunterricht hat unter erschwerten Bedingungen stattgefunden, wir alle mussten uns erst einmal mit Online – Meetings und digitalen Formaten anfreunden – und ihr wart mir damit um Längen voraus. Aber zugleich konnten wir viel Neues entdecken: den Schöpfungsbound, andere Actionbounds, den Klimawandel am Beispiel von Vanuatu und was Fairer Handel bedeutet. Wir sind neue Wege gegangen, um uns an die Kernthemen des Lebens heranzupirschen. Und wir waren ja alle in dieser Zeit herausgefordert, neu über unseren Glauben nachzudenken.

Der Präsenzunterricht mit euch hat mir wirklich Spaß gemacht, weil es so lebendig hin und her ging mit euren Fragen, Einwürfen und Ideen. Oft bin ich nach der Stunde nach Haus gekommen und habe gesagt: Was habe ich doch für tolle Konfis!

Diese Zeit hat uns auch herausgefordert, eigene Worte für das Beten zu finden. Stellvertretend will ich nur eine Bitte lesen, die in eurer Konfigruppe entstanden ist: „Herr, wir bitten dich in dieser schweren Zeit, sei auch hier bei uns. Lass uns deine segnende Hand spüren und gib uns Geduld und Kraft, diese Zeit zu bestehen. So segne und bewahre uns.“

Geduld und Kraft finden, um schwierige Zeiten zu bestehen. Vielleicht ist es tatsächlich das, was wir alle – Jugendliche wie Erwachsene – aus diesem Konfijahr mitnehmen.

Es gab eine wirklich lustige Situation mit euch; das war in der ersten virtuellen Konfistunde: als da plötzlich am Bildschirm eine schwarze Kachel zu sehen war und der Name „Jesus“ dazu. Bis heute weiß ich nicht, wer von euch ihn da hineingestellt oder seinen eigenen Namen dahingehend verändert hat. Aber dass es im Chat munter hin und her ging, das habe ich wohl gemerkt und werde es nicht vergessen. Nach der Stunde entdeckte ich dann das fröhliche „Halleluja“ des virtuellen Jesus, als ich den Chatroom aufmachte, und auch manche seiner anderen Kommentare. Eine witzige Idee, mit der ihr mich natürlich auch von rechts überholt habt.

Bei der Vorbereitung zu dieser Predigt aber fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen: ist er nicht wirklich die ganze Zeit über dabei gewesen? Unsichtbar, aber lebendig und tröstend? Hat er uns nicht wirklich die Geduld und die Kraft gegeben, um durch diese Zeit zu kommen?

„Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“, hat er einst zu seinen Jüngern und Jüngerinnen gesagt. Und dieses andere: „Seht, ich bin bei euch alle Tage und bis an das Ende der Welt.“

Ja, ich bin sicher: er ist die ganze Zeit dabei gewesen; und wird auch künftig bei uns sein. Ich möchte euch heute zu etwas ermutigen: nehmt diesen Glauben mit! Er ist eine unendlich große Kraft, um durch das Leben zu kommen. Er ist wie ein Geländer, an dem man sich festhalten kann. Wie ein Felsen unter den Füßen, der euch Halt gibt. Er sagt euch: „Du bist niemals allein. Gott ist die verborgene Kraft deines Lebens. Sie geht mit dir und wird dir helfen.“

Und ich möchte euch ermuntern: nehmt dieses Bild von eurer Kerze mit! Ihr seht sie: die Kerze eurer Gruppe brennt auf dem Altar. Ihr Licht leuchtet! Ihr habt sie gemeinsam gestaltet. Jede und jeder von euch hat den eigenen Teil dazu beigetragen, dass sie nun so schön geworden ist. Und dazu habt ihr ja füreinander noch eine kleinere Kerze gestaltet.
Diese Kerze bleibt ein sichtbares Zeichen eurer Verbundenheit miteinander. Und sie sagt euch etwas Entscheidendes für euer Leben: „Schaut immer in die Richtung, wo es hell ist! Schaut immer nach dem Licht!“

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

zur Konfirmation am 5.9.2021 von Pfarrer Rainer Böhm

Orgel und Trompete
Einzug
Begrüßung

Ich begrüße Sie und Euch ganz herzlich zum Konfirmations-Gottesdienst hier in Bad Nauheim in der Dankeskirche.
11 Konfirmandinnen und Konfirmanden, Eltern und Geschwister, Großeltern und Paten, Ich begrüße die wenigen ganz normalen GD-Besucher aus Bad Nauheim, Gemeindemitglieder und Kurgäste.
Geimpft oder getestet, auf Abstand und in Familiengruppen, Konfirmation im September 2021 – manches ist heute anders. Aber trotzdem:
Feierliche Musik; eine festlich geschmückte Kirche; festlich gekleidete Jugendliche und Erwachsene. Viele haben sich für Euch auf den Weg gemacht: auch von weiter weg; auch aus einer anderen Konfession; oder gar nicht mehr in der Kirche: allen ein herzliches Willkommen in Eurem Namen.
Denn um Euch geht es ja jetzt: Um Euren Lebensweg. Um Eure persönliche Entscheidung, unabhängig von den Eltern, Euren Glauben in die eigene Verantwortung zu nehmen.

Votum

Psalm 23 gemeinsam

Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl
und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.
Amen.

Wir beten weiter:

Eingangsgebet
Guter Gott
In der Taufe hast du diesen Jugendlichen versprochen, dass du sie auf ihrem Lebensweg begleiten wirst.
Heute, am Tag ihrer Konfirmation schauen wir zurück:
Sie sind äußerlich und innerlich gewachsen.
Wir danken dir für alles, was schön war in ihrer Kindheit, was das, was gelungen ist und auch für das, was schwierig war, was wir aber gemeinsam bestehen konnten.
Wir bitten dich an diesem Festtag:
Hilf unseren Konfirmandinnen und Konfirmanden und uns allen, heute deine Stimme zu hören.
Sei bei uns an diesem Tag und schenk uns, was wir zum Leben brauchen:
Worte, die weiterhelfen.
Vertrauen, das mutig macht,
Freude und Hoffnung für unser Leben und für unsere Welt.
Hilf uns, unser Leben in dir zu gründen und auf dich zu bauen! Das bitten wir dich durch Jesus Christus, unseren Bruder und Herrn. Amen.

Lesung    Abrams Berufung und Zug nach Kanaan (1. Mose 12)
121Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.2Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

Predigt
Und der Herr sprach zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen werde.
1. Mose 12, 1

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Festgemeinde,
am Anfang steht diese Aufforderung: Geh! Geh aus deinem Vaterland! Geh in ein Land, das ich dir zeigen werde! Wenn wir uns fragen, was ist das eigentlich: Konfirmation; was bedeutet das? Dann denke ich: wir feiern diesen Gedanken vom Aufbrechen, vom Aufbruch: Gehe los, und komme woanders an, komme an in dem Land deines Lebens. Und vertraue darauf, du wirst geführt, du brauchst dich nicht alleine zu fühlen. Du findest dieses Land. Gott zeigt es auch dir. Aber die Aufforderung kann einem auch Angst machen!
Natürlich bleibt ihr alle erst mal dort, wo ihr jetzt seid. Und daran wird sich in der nächsten Zeit auch gar nicht so viel ändern, Und doch wird das gehen der eigenen Wege für euch allmählich zu einem Muster werden. Und für Eure Eltern – das gehen lassen und vertrauen.

Deshalb habe ich euch heute diesen Wanderstock mitgebracht. Es ist eigentlich ein Pilgerstab aus Haselnuss. Ich habe ihn selber auf dem Jakobsweg durch die Schweiz dabeigehabt. Heute soll er uns auch an Ingmar Bartsch erinnern, meinen Vikar, der Euch ja auch unterrichtet hat und der mit seiner Frau jetzt den ganzen Jakobsweg läuft, von Butzbach bis Santiago de Compostella. Ich stelle mir vor, Abraham hatte damals einen ähnlichen Stock, als er sich auf den Weg gemacht hat. Stütze und Erleichterung. Vielleicht kauft ihr euch von eurem Konfirmationsgeld ein gescheites Fahrrad oder später einen Roller. Und eure Eltern werden erfahren wie es ist, am Freitag oder Samstag zu warten, bis ihr wieder nach Hause kommt.
Konfirmation bedeutet Aufbruch. Du darfst deinen eigenen Weg gehen. Ihr könntet natürlich sagen: warum soll man das noch besonders betonen: wir gehen ja sowieso. Und das Leben ist ja auch so: dass jede Generation vor neuen Aufgaben steht; dass jeder Mensch sich seine eignen Ziele sucht, seinen eignen Weg dorthin, sein eigenes Leben lebt.

Der Vers, um den es hier geht, spricht von einem Ziel, dem gelobten Land. In der Vorstellungswelt der Israeliten flossen dort Milch und Honig, wie in unserem Schlaraffenland. Mose hat sein Volk dorthin geführt, aus der Vormundschaft in die Freiheit. Das war ein langer, steiniger Weg, ein Weg durch die Wüste, mit Umwegen und dem Gefühl der Unsicherheit. Aber am Ende kamen sie ins gelobte Land, ausgestattet von Gott mit den 10 Geboten, den Grundregeln für die Freiheit.
Das Land eures Lebens ist euer Land. Ihr werdet es gestalten. Vor ein paar Jahren habe ich meinen Sohn Johannes eingeladen, zu einem Rockkonzert mit mir zu gehen: John Fogerty. “Wie alt ist der denn“, war seine Frage. „Naja, der dürfte jetzt über 70 sein.“ Tu mir leid, Papa, aber hat der noch Zukunft.“ Weiß nicht, dachte ich, jedenfalls hat der eine ziemliche Vergangenheit.

Je älter ich werde und je länger ich nun schon konfirmiere, desto deutlicher wird mir: Wir beginnen mit der Konfirmation wirklich, euch auf den Weg in das Land eures Lebens zu verabschieden. Und das ist euer Land, nicht unseres.
Manche Last, manche Hypothek wird euch leider begleiten. Nicht nur der Klimawandel mit allen Konsequenzen, die wir immer deutlicher sehen: alle offenen Weltprobleme. Und auch so manches ungelöste Problem unseres eigenen Lebens können oder konnten wir euch leider nicht ersparen. Wir sind aber auch noch eine ganze Weile für euch da. Ihr habt unseren Rat und unsere Unterstützung solange ihr sie braucht und annehmen könnt.
Zuletzt geht ihr alleine, mit einem Partner oder einer Partnerin vielleicht. Wir können euch von unserem Land erzählen, wie wir es gefunden haben, was gut war oder was missglückt ist und dann aber doch gut wurde. Wir vertrauen darauf, dass euer Weg behütet sein wird und das Land gesegnet. Und auch dass ihr selbst ein Segen seid: das erleben wir ja mit euch. Und das werden andere mit euch erleben: wo ihr es schafft, nicht nur an euch zu denken, wo ihr Verantwortung übernehmt für andere und für die Zukunft unserer Welt, Gottes Schöpfung.

Deshalb sind wir ja jetzt in der Kirche: Wir Christen vertrauen darauf, dass Gott uns führt. So wie er es bei Abraham und Mose getan hat. Deshalb kann man eigentlich sein ganzes Leben als eine Wanderung sehen oder einen Pilgerweg, bei dem sich eigentlich dauernd die Landschaft ändert, als würde man von Butzbach nach Santiago di Compostella wandern.  Unterwegs machen wir manchmal Halt, halten inne, vergewissern uns: so wie heute bei eurer Konfirmation.
Ob ihr den Beruf, den ihr einmal lernt, euer ganzes Leben ausüben werdet; ob ihr für immer an dem Ort, wo ihr einmal wohnt, bleiben werdet; ob eure Freundschaften Bestand haben und alles bleibt wie es ist – dazu können wir in Wahrheit wenig sagen. Wir erleben ja gerade, was sich alles plötzlich ändern kann, quasi von heute auf morgen. Und ich weiß, das habt ihr auch schon erfahren.
Aber eines ist sicher: Gott selbst, der euch heute seinen Segen zusagt, begleitet euch auf dem Weg in das Land eures Lebens.                                    

Amen.

Schlussgebet:
Freundlicher Gott,
Dein Wort haben wir gehört –
Du rufst uns auf deinen Weg.
Dein Brot haben wir geteilt:
Du verbindest uns zu deiner Kirche.
Deinen Kelch haben wir getrunken –
Du willst uns nahe sein.
So bitten wir dich:
Schütze uns in deinem Haus.
Wecke uns mit deinem Ruf.
Leuchte uns mit deinem Licht.
Leite uns mit deinem Wort.
Führe uns auf deinem Weg.

Für die Konfirmierten bitten wir:
Lass sie viel Freude haben an diesem Tag und erfahren,
wie schön es ist, für andere wichtig zu sein.
Für die Familien bitten wir,
dass sie weiter für ihre Kinder sorgen werden.
Und für unsere Kirche bitten wir:
Dass Alte und Junge darin einen guten Platz finden und miteinander reden;
Dass uns die Fragen nicht ausgehen und die Freude daran,
miteinander nach Antworten zu suchen,
in deinem Haus, freundlicher Gott. Amen

Lied
Abkündigungen

Gottesdienst am 29.8.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung

Wochenspruch:
Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan.
(Mt 25,40 LUTHER 2017)

Psalm 136: EG 719

Gebet
Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Dafür danken wir.
Eine Woche liegt hinter uns,
Du weißt, was war.
Was gut war, was schwer.
Was falsch war, vergib uns.

Gott, du hast uns das Leben geschenkt,
du, Gott des Anfangs.
Lass dein gutes Wort in uns wohnen.
Schenk uns neue Kraft.
mach uns Mut für den nächsten Schritt.
Lass uns aufleben, mach uns frei.
Amen.

Schriftlesung: Gen 4

Kain erschlägt Abel
Adam schlief mit seiner Frau Eva. Sie wurde schwanger und brachte Kain zur Welt. Da sagte sie: »Mithilfe des Herrn habe ich einen Sohn bekommen.« Danach brachte sie seinen Bruder Abel zur Welt. Abel wurde Hirte und Kain wurde Ackerbauer.
Eines Tages brachte Kain dem Herrn von dem Ertrag seines Feldes eine Opfergabe dar. Auch Abel brachte ein Opfer dar: die erstgeborenen Tiere seiner Herde und ihr Fett. Der Herr schaute wohlwollend auf Abel und sein Opfer. Doch Kain und sein Opferschaute er nicht wohlwollend an. Da packte Kain der Zorn, und er blickte finster zu Boden. Der Herr fragte Kain: »Warum bist du so zornig, und warum blickst du zu Boden? Ist es nicht so: Wenn du Gutes planst, kannst du den Blick frei erheben. Hast du jedoch nichts Gutes im Sinn, dann lauert die Sünde an der Tür. Sie lockt dich, aber du darfst ihr nicht nachgeben!«
Kain sagte zu seinem Bruder Abel: »Lass uns aufs Feld gehen! «Als sie auf dem Feld waren, fiel Kain über seinen Bruder Abel her und erschlug ihn. Da sagte der Herr zu Kain: »Wo ist dein Bruder Abel? «Kain antwortete: »Das weiß ich nicht. Bin ich dazu da, auf meinen Bruder achtzugeben?« Der Herr entgegnete ihm: »Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit vom Ackerboden zu mir. Verflucht sollst du sein, verbannt vom Ackerboden, den deine Hand mit seinem Blut getränkt hat! Wenn du ihn bearbeitest, wird er dir künftig keinen Ertrag mehr bringen. Du wirst ein heimatloser Flüchtling sein und von Ort zu Ort ziehen.« Kain erwiderte dem Herrn: »Die Strafe ist zu schwer für mich. Du verjagst mich jetzt vom Ackerland und verbannst mich aus deiner Gegenwart. Als heimatloser Flüchtling muss ich von Ort zu Ort ziehen. Jeder, dem ich begegne, kann mich erschlagen.« Der Herr antwortete: »Das soll nicht geschehen! Wer Kain tötet, an dem soll es siebenfach gerächt werden. «Der Herr machte ein Zeichen an Kain. Niemand, der ihm begegnete, durfte ihn töten. Kain zog fort, weg vom Herrn, und ließ sich im Land Nod nieder. Das liegt östlich des Gartens Eden.

Glaubensbekenntnis

Lied: EG 432 Gott gab uns Atem

PREDIGT
Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unsere Herzen.
Amen.

Liebe Gemeinde,
Kain und Abel. Die Geschichte kennen die meisten. Aus der Urgeschichte. Von den Anfängen. Die Schöpfung. Das Licht. Den Tag und die Nacht. Den Himmel und die Erde. Das Wasser und die Erde und das Grüne. Die Sonne, den Mond und die Sterne. Die Wassertiere und die Flugtiere. Das Wild, die Kriechtiere und das Vieh. Schließlich das erste Menschenpaar, Adam und Eva. Den Ruhetag. Den Garten Eden. Und die Vertreibung daraus. Die ersten geborenen Menschen. Der erste Mensch, der stirbt. Der erste Mord. Die erste Sünde. Ein Brudermord.

Kain und Abel. Ich erinnere mich an die Grundschule. Wir bekamen die Aufgabe zu zeichnen. Abels Altar und Kains Altar. Wichtig war der Lehrerin die Gestaltung des Rauchs. Bei Kain wie vom Wind verweht, unruhig und voller Zacken. Bei Abel eine wunderbare aufsteigende Rauchsäule. Gott sieht Abel und sein Opfer. Nimmt es an. Kains nicht. Abels Opfer war das Gott gefälligere, so lernten wir. Viel wertvoller als Kains.

Lange Jahre hielt sich diese Deutung, wohl nicht nur bei mir. Auch im Studium, in der Wissenschaft, wurde weiter nach Gründen gesucht. Es gehe wohl um verschiedene Lebensformen. Ackerbauerkultur und Nomadentum. Doch eigentlich gebe es gar keinen Unterschied zwischen Kain und Abel. Kain habe nichts falsch gemacht. Und Abel habe nichts besser gemacht. Gott handelte einfach so, ohne irgendwelche Gründe.

Lassen Sie sich einladen, der Geschichte heute Morgen etwas auf die Spur zu kommen, indem wir über die Ränder unseres Predigttextes hinausschauen. Schauen, was davor erzählt wird. Und was danach. Das Kapitel zu Ende lesen. Denn: da steht noch etwas! Etwas ganz Wichtiges, Erhellendes. Das Sinn und Tiefe gibt. Auch an unserem Text erst einmal ruhig entlang gehen. Und den Erinnerungen lauschen. Den Erinnerungen von Adam und Kain, von Abel und Eva. Und schließlich ein wenig das Geheimnis lüften können, das sich hinter Gottes Handeln verbirgt, das Geheimnis der Liebe.

„Ich erinnere mich“, sagt Adam, „weil ich von dem Baum gegessen hatte, verfluchte Gott den Ackerboden. Nur mit Mühe sollte ich mich von ihm ernähren, mein Leben lang. Mit Dornen und Disteln mich abplagen. Und am Ende zum Ackerboden zurückkehren. ‚Ja, Erde bist du, und zur Erde kehrst du zurück‘, sagte Gott. Nun waren wir sterblich. Gott machte uns Kleider und schickte uns fort aus dem Garten.

‚Mutter alles Lebendigen‘, hatte ich Eva genannt. Ich erkannte sie. Wir schliefen zusammen und sie wurde schwanger. Kain wurde geboren. Und bald darauf Abel. Viel später dann war sie noch einmal guter Hoffnung und wir bekamen noch einen Sohn. Aber davon soll sie besser selbst erzählen, denn das ist ihre Geschichte. Ich habe mich abgeplagt und geackert. Wie Gott es gesagt hatte. Unsere Söhne wuchsen heran und wurden selbständig ... Jetzt erzählst Du besser selbst weiter, Kain!“

Doch ehe Kain zu Wort kam, begann sehr schnell und leise Abel zu sprechen: „Verzeih, wenn ich mich vordrängle. Ich weiß sehr wohl, ich bin nur der Zweite. Der Ewig-Zweite. Der kleine Bruder eben. Bloß einmal will ich es anders um. Ist auch gar nicht viel, was ich von mir erzählen will. Was ich erinnere. Meinen Namen, Abel. Der ist wichtig. Damit Ihr versteht. Und mit mir fühlt und spürt. Abel. ‚Hauch‘ bedeutet das. Eine Luftnummer bin ich. Abel, das heißt auch ‚ein Nichts‘. Mein Name ist Programm. Schon der erzählt von meiner Vergänglichkeit. Pfffffffffffff. (laut die Luft auspusten)

Ja, ein ‚Nichts-chen‘, mehr bin ich nicht. So wie jeder Mensch. Ein Nichts-chen, ein Hauch, vergänglich, mit kurzer Lebensspanne. So wie jede Frau und jeder Mann. Ein Habenichts bin ich. Ziehe umher mit meiner Kleinviehherde. Von Weide zu Weide. Nomade bin ich, hüte Schafe und Ziegen. Ein Kleinviehhirte. Schlage mich so durch. Reich werde ich damit nicht. Komme grad so zurecht. Bin eher ein Looser, ein Verlierer. Ein Opfer. Mit mir ist wirklich nicht viel los.

Und dann, eines schönen Tages, sehe ich, wie mein großer Bruder, der Kain, von den Früchten seines Feldes opfert. Gute Idee, denke ich. Der Gottheit danken. Und um gute Ernte bitten. Also mache ich es ihm nach. Opfere etwas von den Erstgeburten meiner Herde und von ihren Fettstücken. Und erlebe und erfahre: Gott sieht mich an. Mich. Mein Opfer. Mich, den Hauch, das Nichts-chen. Den, der sonst immer übersehen wird. Das tut so gut. Die Gottheit sieht mich.“

Abel hält inne, fast so, als wäre er schon viel zu laut geworden. Als hätte er schon viel zu viel Raum eingenommen. Sich richtig wichtig gemacht!

Da ergreift auch schon Kain das Wort: „Nun hört mir mal gut zu. Hört, was ich erinnere. Ich war zuerst da. Der Erstgeborene. Der Große. Der Ältere. Das zukünftige Haupt der Familie, der neue Patriarch. Ich trage Verantwortung für die Familie. Das doppelte Erbteil ist mir versprochen. Meine Mutter war sehr stolz, als sie mich bekam. ‚Ich hab's gekonnt, einen Mann erschaffen – mit Adonaj.‘ (Gen 4,1 BigS 2011) Und meinen Namen, Kain, wählte sie mit Bedacht. Da steckt ‚erwerben‘ drin und ‚besitzen‘. Mein Name ist Programm. Ich bin Mutters Hauptgewinn. Ein Gewinner. Mir kann keiner was. Nicht so eine Null, so ein Nichts-chen. So ein Nichtiger. Wie mein Bruder. Der Erste eben. Und der Beste. Der Hauptgewinner. ‚The winner takes it all!‘ Der Sieger bekommt alles. So einer bin ich. Dazu stehe ich.

Auf dem Feld rackere ich mich ab. So wie mein Vater. Mühsam ist es, dem Boden etwas abzuringen. Gewinn zu machen. Aber ich bin stark. Ich schaffe das. Und Abel, der war nie ein echter Konkurrent für mich. Darum macht er wohl auch so ganz was anderes. Der ist und bleibt eben ein Nichts-chen. Meinem Namen mache ich alle Ehre. Sicher ist meine Mutter sehr stolz auf mich. Ich weiß gar nicht mehr, warum ich das machte. Aber eines schönen Tages nahm ich von meiner Ernte, von den Früchten meines Ackers. In denen so viel harte Arbeit und Mühsal steckten. Und ich opferte sie.

Und der Kleine, dieses ‚Nichts-chen‘, musste es mir natürlich nachmachen. Typisch! Wie mich das nervt! Schon immer. Glaubt mir, das kannte ich schon. Daran hatte ich mich längst gewöhnt. Was ich aber dann erlebt hatte, was ich noch nicht kannte, war, wie die Gottheit reagierte. Gott sah mein Opfer nicht an. Genauso wenig wie mich! Aber diese Luftnummer, dieses Nichts-chen und sein Opfer, die sah er. Die beachtete er. Die sah er an. Nicht zu fassen. Ich hatte doch nichts falsch gemacht! Oder? Ach egal, es gelang mir nicht, noch irgendwie einen klaren Gedanken zu fassen.

Gefühle übermannten mich. Überfielen mich. Überrannten mich. In mir tobte es. Mir wurde so heiß. Aufs Äußerste entflammte ich, und ich spürte, wie mir meine Gesichtszüge entglitten. Eifersüchtig war ich. Und wie! Neidisch. Diese Ungerechtigkeit! Zornig wurde ich, richtig gehend wütend. Ich musste zu Boden schauen. Bloß nicht mehr dieses Nichts-chen und sein Opfer sehen! Und trotzdem wurde ich rasend vor Wut.

Es machte es keinen Deut besser, dass Gott mich jetzt doch sah. Ansah. Und mich ansprach. ‚Warum brennt es in dir? Und warum entgleiten deine Gesichtszüge derart? Ist es nicht so: Wenn dir Gutes gelingt, schaust du stolz; wenn dir aber nichts Gutes gelingt, lauert die Sünde an der Tür. ‚Auf dich richtet sich ihr Verlangen, doch du – du musst sie beherrschen.‘ (Gen 4,6-8 BIGS 2011) Das erreichte mich gar nicht. Völlig unmöglich, jetzt darüber nachzudenken. Und auch noch zu antworten! Ich versuchte mich zusammen zu reißen. Wirklich! Wollte meinem Bruder etwas sagen. Doch als wir dann auf dem Feld waren, fehlten mir die Worte. Mein Groll und meine Wut wurden übermächtig. Und so erschlug ich ihn.

Und da! Da war Gott dann plötzlich auch da. Hatte mich gesehen. Und was ich getan hatte. Und fragte mich. ‚Wo ist Abel, dein Bruder?‘ (Gen 4,9a BIGS 2011) Ich sagte nur.
‚Das weiß ich nicht. Habe ich etwa die Aufsicht über meinen Bruder?‘ (Gen 4,9b BIGS 2011) Ja, bin ich denn sein Hüter? Meines Bruders Hüter? Nein. Alles andere bin ich. Aber gewiss nicht der Hüter meines Bruders! Doch Gott machte weiter, ließ nicht locker. Stellte mir die nächste Frage. ‚Was hast du getan? Laut schreit das Blut deines Bruders zu mir vom Acker her. Also: Verflucht bist du, weg vom Acker, der das Blut deines Bruders von deiner Hand geschluckt und aufgenommen hat! Wenn du den Acker weiter bearbeitest, wird er dir seine Kraft nicht mehr geben. Heimatlos und ruhelos musst du auf der Erde sein.‘ (Gen 4,10-12 BIGS 2011)

Ja. Das verstehe ich immer noch nicht. Warum Gott mir das Leben ließ. Mich nicht richtig hart bestrafte. Warum er mich nur verfluchte? Und nicht tötete? Warum war Gott so gnädig? Wo er mich und mein Opfer doch nicht gesehen hatte? Trotzdem bekam ich eine Riesenpanik. Wie würde es mir ergehen, da draußen? So sagte ich ängstlich und voller Sorge: ‚Meine Schuld ist zu groß, sie kann nicht aufgehoben werden. Doch schau, du vertreibst mich heute vom Antlitz des Ackers, und auch vor deinem Antlitz muss ich mich verbergen und soll heimatlos und ruhelos auf der Erde sein – dann kann jeder mich töten, der mich findet.‘ (Gen 4,13-15 BIGS 2011)

Darauf gab Gott mir die klare Zusage: ‚Also denn: Wer Kain tötet, soll siebenfach gerächt werden.‘ (Gen 4,16 BIGS 2011) Damit konnte ich leben. Weiter machen. Ein Schutzzeichen bekam ich auch. Keiner sollte es wagen mich zu töten. Zukunft sollte ich haben. Die bekam ich. Und Nachkommenschaft. Den Henoch. Nach ihm benannte ich eine Stadt, die ich erbaute. Mein Enkel Irad bekam den Mehujaël. Und der den Metuschaël. Und der bekam den Lamech. der sich zwei Frauen nahm. Mit Ada bekam er den Jabal. Auf den das Hirtenleben zurückgeht. Und den Jubal. Auf den alles Spielen auf Instrumenten zurückgeht. Und mit Zilla den Tubal-Kain. Der war ein Schmied von Bronze- und Eisenpflügen. Und auch von Waffen. Lamech sagte seinen Frauen; ‚Einen Mann töte ich für meine Wunde, ein Kind für meine Strieme. Wenn Kain siebenmal gerächt wird, so Lamech siebenundsiebzigmal, denn: Wer Kain tötet, soll siebenfach gerächt werden.‘ (Gen 4,23-24 BIGS 2011) Die Gewalt nahm zu. Das Töten und die Kriege. Der Blutrausch. Viele Lebensjahre hatte ich. Keiner wagte mir etwas anzutun. Nie. Keinen Tag. Ich habe Geschichte gemacht.“ Kain unterbrach sich. Hielt inne. Zufrieden. Stolz. Mit sich und der Welt im Reinen.

Da ergriff Eva das Wort. „Ich erinnere mich auch. Wie glücklich ich war! Und so stolz, als ich den Kain geboren hatte. Mit Gott hatte ich mir einen Mann erworben. Kain. Einen Mann hatte ich erschaffen. Abel, nun ja, das war der zweite. Nur ein Hauch eben. Ein Hauch von Leben. Nicht zu vergleichen mit Kain. Sie wurden beide erwachsen. Kain wurde Ackerbauer, Abel ein Hirte. Und dann verschwanden sie beide aus meinem Leben. Am selben Tag. Mein Kain wurde der Mörder seines Bruders. Das ‚Nichts-chen‘ war verhaucht. Nur sein Blut schrie von der Erde.

Inzwischen bin ich alt geworden. Vieles wurde mir zugetragen. Über das Opfer der beiden. Über den Mord. Über Kains Leben. Meine Enkel und Urenkel und so weiter. All die neuen Generationen. Über die Blutspur, die Kains Nachkommen in der Welt hinterließen. Ich hatte viel Zeit nachzudenken. Inzwischen ist mir so einiges klar geworden. Auch über unsere Gottheit. Die mich Mitschöpferin werden ließ. Die meinen Stolz ertrug. Und meine Geringschätzung für Abel. Kein Wunder, dass Kain auf seinen Bruder herabsah. Von ihm nichts wissen wollte. Für ihn kein Bruder sein wollte. Und darum auch nicht so handelte. Nie und nimmer. Zu keiner Zeit.

Als Gott Abel ansah und sein Opfer. Meinen kleinen, zarten Abel, diesen Windhauch, dies Nichts-chen'. Da ist Kain völlig durchgedreht. Da fühlte der sich total provoziert. Er, der Mann, und sein Opfer werden übersehen. Da sind Gefühle in ihm empor geflammt, die hat er nicht ertragen, nicht ausgehalten. Dass Gott sich von ihm wünschte, dass er ein Bruder sei. Dass er achtgibt auf Abel, diese Nichtigkeit. Das habe auch ich erst spät begriffen. Mein Auftrag, meine Aufgabe als Mutter, wäre ja dieselbe gewesen. Auf den Kleinen, den Schwachen, diesen Hauch, dies Nichts-chen acht zu geben. Es zu schützen. Zu beschützen. Der Erstgeborene hatte ja sowieso alle Vorteile auf seiner Seite.

Ach ja. Es ist so schwer für die Starken. Wenn Gott die Starken verwirft. Und die Schwachen erwählt. Die Gottheit ist frei in ihrer Entscheidung. Tätermutter und Opfermutter bin ich. In einer Person. Als ich Gottes Willen endlich verstanden hatte, für mich akzeptiert hatte, erinnerte ich mich endlich. Eva, Mutter allen Lebens, so heiße ich doch! Also wandte ich mich Adam zu. Und der erkannte mich noch einmal und ich ‚gebar einen Sohn und gab ihm den Namen Set, denn seht, Gott hat mir einen anderen Nachkommen gesetzt anstelle Abels, denn Kain hat ihn getötet.‘ (Gen 4,25 BIGS 2011) Das war mir eine Herzenssache. Set, mein dritter Sohn, für Abel, weil Kain ihn erschlug. So blieb ich Eva, Mutter des Lebens. Und gab das Leben weiter. Für Abel. Auf einer anderen Linie. In Set. Dem Setzling. Für Abel. Und Set bekam den Enosch. Das ‚Menschlein‘. Damals begannen die Menschen, Gott anzurufen.“

Nachdenklich enden Evas Erinnerungen. Eine kluge Frau. Gereift. Widerständig. Erklärt das Richtige der Mächtigen für falsch. Ergreift Partei für Abel, für die Schwachen. Kehrt um zu Recht und Gerechtigkeit. Erkennt die Sünde. Den Mord. Das Handeln gegen die Gottheit und Gottes Schöpfergeist. Die Erkenntnis von Gut und Böse. Auch draußen. Nach dem Rauswurf aus dem Garten Eden. Gottes Parteinahme für die Schwachen und Unterdrückten beginnt früh. Für die Übersehenen und Zarten. Für die ewigen Zweiten. Für die Letzten. Gott wirbt von Anfang an um uns: Seht die im Schatten leben. In Armut und Unterdrückung. Die nicht angesehen werden. Die übersehen werden. Die Bibel erzählt die Geschichte der Opfer. Ist an ihrer Seite. Und Gott mit ihnen.

Haben wir mehr als die Alternative: Kain oder Abel? Täter oder Opfer? Adam und Eva haben ein drittes Kind geboren, Set, der Stammvater war die Linie, die über die Väter Israels und über König David und von dort bis zu Jesus führte. Uns bleibt der dritte Weg: Jesus zu folgen, der sagte: „Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr für mich getan.“ (Mt 25,40 BIGS 2011) Und: „Du sollst die Lebendige, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deinem ganzen Leben und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Denken, und deine Nächsten wie dich selbst.“ (Lk 10,27 unter Bezug auf Lev 19,18 BIGS 2011) Und: „Ich gebe euch ein neues Gebot, dass ihr euch gegenseitig liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr euch gegenseitig liebt.“ (Joh 13,34 BIGS 2011)

Solange wir in dieser Welt leben, sind wir nicht vollkommen. Sünder und Gerechte sind wir, zugleich. Täterinnen und Opfer. Immer noch sind Kain und Abel in uns. Wenn wir die Nachrichten sehen, erkennen wir jeden Tag, wie dünn die Schicht der Zivilisation immer noch ist. Noch immer ist der Mensch dem andern ein Wolf. Doch hat Gott einen neuen Anfang gemacht. Mit dem Wagnis der Liebe. „Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr für mich getan.“ (Mt 25,40 BIGS 2011)
Amen.

Lied: eg +135 Wie ein Fest nach langer Trauer

Fürbitten:
Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Wie Mutter und Vater bist du für uns.
Wir danken dir für deine Liebe.
Du siehst alle Menschen von Geburt an.
Du siehst unsere Vergänglichkeit,
unsere Fehler und unsere Schuld
und doch sorgst du für uns.
Danke für deine Gnade und Liebe.
Wir bitten dich, erbarme dich.

Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Wie Mutter und Vater bist du für uns.
Deine Liebe und Fürsorge gelten nicht nur uns,
sondern allen Lebewesen dieser Welt,
deiner Schöpfung.
Darum legen wir dir heute besonders an dein Herz,
die unter Ungerechtigkeit und Gewalt leiden,
die fliehen müssen und heimatlos sind.
Lass sie Schutz, ein Zuhause und Frieden finden.
Wir bitten dich, erbarme dich.

Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Wie Mutter und Vater bist du für uns.
Deine Liebe und Fürsorge gelten nicht nur uns,
sondern auch den Kranken und Sterbenden,
den Trauernden und Verzweifelten.
Schenke ihnen neue Kraft,
und auch all denen, die andere in ihrer Not begleiten.
Wir bitten dich, erbarme dich.

Gott, du hast uns das Leben geschenkt.
Wie Mutter und Vater bist du für uns.
In der Stille bringen wir die Menschen vor dich,
die uns am Herzen liegen,
und alles andere, was uns sonst noch bewegt:

Wir bitten dich, erbarme dich.

Jesus Christus, Licht der Welt,
öffne uns, wenn wir nun mit den Worten beten,
die du uns geschenkt hast:

Vater unser ...

Abkündigungen

Lied: EG 430 Gib Frieden, Herr, gib Frieden

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 22.8.2021 mit Video von Pfarrer Friedhelm Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

+ Gesang „Ich will den Herrn loben“ (EG 335)

+ Begrüßung
Einen schönen guten Morgen! Herzlich willkommen hier in Dankeskirche zu unserem Gottesdienst heute am 12. Sonntag nach Trinitatis!

Viele Menschen kommen nach Bad Nauheim zur ärztlichen Behandlung in einer der Kliniken. Bad Nauheim nennt sich „Gesundheitsstadt“. Heil werden, von einer Krankheit genesen können. Das ist auch ein zentrales Thema in der Bibel. Auch heute steht eine Heilungsgeschichte im Mittelpunkt des Gottesdienstes, im Mittelpunkt der Predigt. Wie können wir solche Heilungsgeschichten heute hören? Was können wir heute von ihnen lernen? Diesen Fragen wollen in diesem Gottesdienst nachgehen und hoffen, dass wir dabei etwas heilsames entdecken können.

Mit Blick auf die geltenden Hygieneregeln möchte ich Sie noch darauf hinweisen, dass Sie, wenn Sie sich in der Kirche bewegen Ihre Maske bitte tragen möchten, an Ihrem Platz können Sie die  Maske abnehmen. Wie können in der Kirche auch singen, aber beim Singen müssen Sie die Maske dann aufsetzen.
Nun wünsche ich Ihnen und Euch, ich wünsche uns allen einen gesegneten Gottesdienst.

+ Votum

+ Psalm 146 (im Wechsel)

Halleluja! Lobe den HERRN, meine Seele!
Ich will den HERRN loben, solange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, solange ich bin.
Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen.
Denn des Menschen Geist muss davon, und er muss wieder zu Erde werden; dann sind verloren alle seine Pläne.
Wohl dem, dessen Hilfe der Gott Jakobs ist, der seine Hoffnung setzt auf den HERRN, seinen Gott, der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was darinnen ist; der Treue hält ewiglich,
der Recht schafft denen, die Gewalt leiden, der die Hungrigen speiset. Der HERR macht die Gefangenen frei.
Der HERR macht die Blinden sehend. Der HERR richtet auf, die niedergeschlagen sind. Der HERR liebt die Gerechten.
Der HERR behütet die Fremdlinge und erhält Waisen und Witwen; aber die Gottlosen führt er in die Irre.
Der HERR ist König ewiglich, dein Gott, Zion, für und für. Halleluja!

+  Kollektengebet
Guter Gott, vor Dir sammeln wir uns im Gebet. Wir danken Dir für unser Leben, das wir aus Deiner Hand empfangen haben. Wir danken Dir für alle schönen und beglückenden Momente, die wir erfahren dürfen. Vor Dir aber denken wir auch an das, was uns belastet und begrenzt. - In Deinem Sohn Jesus Christus zeigst Du uns Deine Zuwendung zu uns Menschen, gerade auch in dem, was uns schmerzt, was uns krank macht und niederdrückt. Wir bitten Dich um Deine Nähe in diesem Gottesdienst. Lass uns erfahren, was unser Leben hell macht. Lass uns erfahren, dass dort wo Wege verschlossen sind, sich Öffnungen auftun und Neues möglich wird. – Dies bitten wir im Namen Deines Sohnes Jesus Christus, der mit Dir in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes lebt und wirkt, jetzt und allezeit. Amen.

Lied: EG 440, 1 – 4: „All Morgen ist ganz frisch und neu…“

Lesung: Jes. 35, 1 – 6a
1 Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. 2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unseres Gottes. 3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt … und wird euch helfen.« 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken.

+ Glaubensbekenntnis

+ Gesang u. Gemeinde “Wohl denen, die da wandeln…“ (EG 295, 1 – 4 – 2+4 mit Gemeinde)

+ Predigt über Mk 7, 31 – 37
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in Mk. 7, 31 – 37:

31 Und als Jesus (er) wieder fortging aus dem Gebiet von Tyrus, kam er durch Sidon an das Galiläische Meer, mitten in das Gebiet der Zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen, der taub war und stammelte, und baten ihn, dass er ihm die Hand auflege. 33 Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in die Ohren und spuckte aus und berührte seine Zunge 34 und sah auf zum Himmel und seufzte und sprach zu ihm: Hefata!, das heißt: Tu dich auf! 35 Und sogleich taten sich seine Ohren auf, und die Fessel seiner Zunge wurde gelöst, und er redete richtig. 36 Und Jesus gebot ihnen, sie sollten's niemandem sagen. Je mehr er's ihnen aber verbot, desto mehr breiteten sie es aus. 37 Und sie wunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

So erzählt es uns das Markusevangelium: Jesus kehrt zurück von einer kurzen Reise ins nördliche Nachbarland. Er war im Gebiet des heutigen Libanon unterwegs, in Tyros und Sidon und kommt wieder an den See Genezareth, an das Galiläische Meer. Er geht an dessen östliches Ufer im Gebiet der Zehn Städte, der Dekapolis. Und da bringen die Menschen dort einen Kranken zu Jesus. Der konnte nicht hören und nicht richtig sprechen. Nur ein Stammeln war bei ihm zu vernehmen, nur Wortlaute, aus denen niemand einen Sinn heraushören konnte. Ja, schwierig das richtige Sprechen zu lernen, wenn man nicht richtig hören kann. Welch eine Not! - Je älter ich werde und je mehr bei mir das Hören schwächer wird, desto mehr kann ich etwas nachvollziehen von dieser Not, von diesem Ausgegrenztsein, wenn man nicht mehr richtig hören kann. Nicht mehr verstehen kann, was die Menschen um einen herum erzählen. Man sieht wohl, dass gesprochen wird, manches kann man von den Lippen ablesen, aber manchmal bekommt man nur noch Bruchstücke mit - oder gar nichts mehr. - Die wunderbare Hilfe durch Hörgeräte, die wir heute haben, gab es damals nicht. Was kann dann noch helfen? –

Immerhin, er hat Menschen, die sich um ihn kümmern, die ihn in seiner Not nicht allein lassen. Gut, wenn man in seiner Not nicht allein gelassen wird. Wenn da Menschen sind, die sich zuwenden, die bereit sind zu helfen und zu unterstützen. - Sie bringen den im Hören und Sprechen erkrankten Menschen zu Jesus, sie bringen ihn in der Hoffnung, dass Jesus die Hände auf ihn lege, dass er irgendwie eine Veränderung herbeiführen kann, eine Verbesserung, eine Heilung, wie weitgehend auch immer.

Jesus sieht ihn, berührt ihn, sieht auf zum Himmel und seufzt - dann spricht er zu ihm in seiner Sprache auf Aramäisch: Efata!, das heißt: Tue dich auf!

Jesus sieht ihn, berührt ihn, sieht auf zum Himmel und seufzt. Ein seufzender Jesus! – Erinnern Sie das noch, wann Sie das letzte Mal geseufzt haben? Wann war das, der letzte Seufzer? Gestern vielleicht, oder vielleicht sogar heute Morgen? Oder schon sehr lange zurück? Solange, dass Sie sich gar nicht mehr erinnern können? Der letzte Seufzer. – Was, was geschieht da denn eigentlich, wenn wir seufzen? – Wir seufzen, wenn wir an eine Grenze stoßen, an ein Hindernis. Wir seufzen, wenn wir etwas gerne anders haben möchten und zugleich doch wissen, es ist jetzt so, es kann jetzt nicht sogleich verändert werden. Für den Moment muss ich damit leben. Ach ja.

Wir seufzen, wenn wir Menschen begegnen in ihrer Erkrankung, in ihren Grenzerfahrungen, in ihren Belastungen. Wir seufzen, weil wir wünschen, dass es ihnen besser gehen möge und wir doch zugleich wissen, dass eine Verbesserung so schnell nicht eintreten wird. Dass man erstmal damit leben muss. Ach ja.

Wir haben vielleicht geseufzt, als wir die Nachrichten vernahmen, dass die Corona-Pandemie noch längst nicht überwunden ist und wir jetzt offenbar nun noch mit einer vierten Welle klarkommen müssen.

Wir seufzen vielleicht, angesichts der Klimaveränderungen mit den verheerenden Folgen von extremen Wetter, von extremer Hitze, von Trockenheit und Waldbränden, von sintflutartigem Regen, der in den Tälern zu gewaltigen Fluten wird, die alles mitreißen. Werden wir da noch Wege finden zu einem Lebensstil, der stärker unserer natürlichen Umwelt angepasst ist, der die Erwärmung des Luftraums nicht weiter anheizt?

Wir seufzen angesichts des Schicksals der Menschen in Afghanistan. Und, angesichts dessen, dass die westlichen Streitkräfte einschließlich der Bundeswehr wohl einen Rückzugsplan für die militärischen Einheiten vorbereitet und durchgeführt haben, nicht aber für die Ortskräfte, deren Hilfe man jahrelang in Anspruch nahm. Warum?

Ach ja, offenbar lässt sich da doch so einiges finden, das uns Anlass zum Seufzen gibt. Jede und jeder von uns wird da so eine eigene Liste haben.

In unserer Geschichte von Jesus und dem Taubstummen geht es so weiter: In dem Moment, in dem Jesus seufzt schaut er auf hin zum Himmel. Es ist, als wenn sein Seufzen ein Gebet ist. Ein Gebet um Veränderung, ein Gebet um das Öffnen dessen, was da gerade verschlossen ist. Ein Gebet darum, dass Hören da wieder möglich wird, wo es gerade nicht geht. Ein Gebet darum, dass Sprechen da wieder möglich wird, wo jetzt noch der Mund verstummt oder nur Unverständliches Stammeln kann.

Es ist, als wollte uns die Geschichte sagen, wenn wir Anlass zum Seufzen haben, sollten wir unsere Seufzer zum Himmel richten. Dann wird aus unserem Seufzen ein Gebet. Ein Seufzer-Gebet. Der Apostel Paulus spricht davon, dass ein Gebet schon allein aus einem tiefen, langen Seufzer bestehen kann. Wenn so ein Seufzer-Gebet zum Himmel gerichtet wird, dann kann es geschehen, dass unsere Hoffnung gestärkt wird. Ja, im Moment müssen wir mit dem leben, was ist. Aber wir müssen unsere Hoffnung nicht aufgeben. Es kann geschehen, dass eine Wende zum Guten sich doch noch einstellt. Wir müssen nicht jetzt schon im Angesicht von Grenzen und Belastungen aufgeben. Da ist etwas, das uns hilft beim Tragen. Da gibt es etwas, das unsere Geduld zu stärken vermag.

Effata, so spricht Jesus in Aramäisch zu dem Taubstummen, Effata: Tue dich auf! Ja, es kann geschehen. Es kann sich etwas öffnen. Etwas, das so lange schon verschlossen ist, in uns und um uns herum, es kann sich doch öffnen. Es muss nicht verschlossen bleiben auf immer und ewig. Öffnungen sind möglich. --

Die Menschen zur der Zeit, als das Markus-Evangelium geschrieben wurde, hatten keine Schwierigkeiten damit, sich vorzustellen, dass es bei Jesus auch zu sofortigen Heilungen kommen konnte. Dass sich Ohren nach dem Gebet Jesu sogleich öffnen, dass die Zunge sich sogleich löst und das Sprechen ermöglicht.  - Das ist bei uns heute anders. In unserem modernen Weltbild haben Wunder kaum einen Platz. Wir sind da skeptischer geworden. Wir haben unsere Erfahrungen, wir haben unsere Einsichten. Wir wollen uns auch nicht einfach zu einem Wunderglauben überreden lassen, an dessen Ende dann doch die nüchterne Erkenntnis bleibt, dass wir aus den Bedingungen unseres Lebens nicht einfach so herausspringen können. So einfach lässt sich unser Leben nicht aus den Angeln heben. – Und was können wir dann mit den Wundergeschichten des Neuen Testaments anfangen?

Ich glaube, dass diese Geschichten uns in unserem Seufzen helfen können. Dass aus unserem Seufzen ein Seufzer-Gebet wird. Dass wir nicht nur nach unten starren, sondern uns trauen, den Kopf zu heben und nach oben zu schauen. Dass wir uns so aufrichten und lernen, den Mut nicht zu schnell aufzugeben. Dass wir die Hoffnung nicht zu schnell aufgeben. Dass wir dran bleiben, auch an dem, was uns begrenzt und belastet. Dass wir uns öffnen können dafür, dass sich doch noch neue Wege auftun können. Dass wir dafür offen bleiben: Wer weiß: Wir können doch noch Neues hören, wir können doch noch Anderes hören. Wer weiß: Wir können doch noch neue Worte finden, wir können doch noch aus dem Stammeln herauskommen. - Heilungsgeschichten halten uns offen für Veränderungen zum Guten, und wenn nicht jetzt, dann vielleicht morgen oder eines Tages. Ein Seufzer zum Himmel gerichtet kann dabei helfen.

Interessant ist ja, dass bei dem Taubstummen erst das Hören geheilt wird und dann das Sprechen. Eine interessante Reihenfolge: Erst das Hören und dann das Sprechen. - Wieviel Veränderungen zum Guten könnte es bei uns geben, wenn erst das Hören da wäre und dann erst das Sprechen. Das ist - glaube ich - eine gute Reihenfolge, die zu mancher Gesundung führen könnte: Erst Zuhören, dann Sprechen. Das könnte wahrhaft helfen in unseren Beziehungen, in der Partnerschaft, in den Familien, in den Gemeinden, ja auch in der Politik. Wenn es erst zum Hören kommt und dann zum Sprechen. Wenn erst versucht wird, zu verstehen, bevor man versucht, seine Meinung beizutragen.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zu dem aramäischen Wort: Efata oder Hefata, das übersetzt heißt: Tue dich auf! Da dieses Wort im Markus-Evangelium in einer Geschichte erscheint, in der sich Menschen um einen Kranken kümmern und zu seiner Heilung beitragen, haben viele kirchliche und andere christliche Sozialwerke und Diakoniestationen das Wort „Hephata“ zu ihrem Leitwort und zu ihrem Programm gemacht. So auch hier in Bad Nauheim das Sozialwerk Hephata in der Lindenstraße. Es ist ein Seniorenheim. Und auch hier setzt man sich dafür ein, für den Lebensabend immer wieder danach zu suchen, welche neuen Wege sich auftun können, auch in dieser späten Phase des Lebens. Und so wirkt unsere Geschichte aus dem Markus-Evangelium weiter fort bis in unsere Gegenwart hinein und will uns offenhalten für Linderung, für Heilung für Gesundung.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen

+ Gesang “In dir ist Freude“ (EG 398)

+ Fürbitten
Guter Gott, Du bist ein Freund des Lebens und das Leben ist Deine Gabe. Du überlässt uns nicht den Mächten der Krankheit, der Verzweiflung und der Niedergeschlagenheit. Wir sollen uns am Leben freuen können. Von Dir berufen, deinem Willen zu folgen und das Leben in seinen Möglichkeiten zu bewahren, wollen wir unsere Wege gehen.

Wir bitten um Deine belebende Kraft, der Bedrohung des Lebens zu widerstehen. Segne unsere Anstrengungen, Leben zerstörenden Tendenzen zu wehren, unsere Umwelt achtsam zu behandeln, Ehrfurcht vor dem Leben zu wecken und zu einem Leben im Einklang mit der Natur zu ermutigen.

Tritt auf für die besondere Würde jedes menschlichen Lebens. Mach uns empfindsam für seine Unverfügbarkeit. Alles bedrohte Leben nimm in Deinen Schutz und lass es uns achten und selber schützen. Wir bitten Dich, hilf, dass die in Afghanistan Schutz suchenden Menschen schnell und unbeschädigt aus dem Land herauskommen und ein Asyl finden. Wehre allen Versuchen, Menschen zurückzusetzen oder auszugrenzen, weil ihr Leben durch Krankheit, Behinderung und nahenden Tod gezeichnet ist.

Öffne uns dafür, im Leben anderer deinen Segen zu erfahren. Du hast uns einander gegeben zur Bereicherung und Fülle. Mach uns bereit, Belastungen zu ertragen. Gib uns ein Gespür, was wir in der Gemeinschaft einander zumuten können. Hilf, uns auch in unvorhersehbaren Situationen einzulassen auf Dein Erbarmen.

Sei mit Deiner Gnade in all unserer Schwachheit mächtig. Du kannst Lasten in Segen wandeln. Du hast verheißen, dass denen, die Dich lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Das ist unsere Hoffnung, dass Deine ganze Schöpfung befreit werden soll aus ihrer Vergänglichkeit hin zu der Freiheit, die Du bereiten kannst.

Begegne uns in der Gebrochenheit dieses Lebens schon jetzt mit den Zeichen Deines Heils. Stärke uns Mut und Kraft, mit unserem Verhalten diese Hoffnung zu bezeugen. Darum bitten wir im Vertrauen auf Jesus Christus, deinen Sohn, unsern Bruder und Herrn.

+ Vaterunser

+ Lied EG 432, 1 – 3: „Gott gab uns Atem“

+ Abkündigungen

+ Segen

+ Orgelnachspiel

Gottesdienst am 15.8.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung und Votum
Es ist kein lauter Gottessdienst, zu dem ich Sie und euch heute willkommen heiße. Es ist ein Gottesdienst zur Stille. Und ich begrüße alle herzlich dazu!

Welche Bedeutung hat die Stille für uns Menschen? Was hat sie mit dem Glauben zu tun? Und welche Kräfte können aus der Stille erwachsen?

Mit dem Gottesdienst heute wollen wir versuchen, Antworten darauf zu finden. Ich freue mich, dass es heute Mehrere sind, die den Gottesdienst gemeinsam im Team gestalten.

Wir hören auf ein Wort aus den Klageliedern Jeremias, aus dem 3. Kapitel, die Verse 22 und 23: „Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende. Sie ist an jedem Morgen neu. Wie ist seine Treue so groß!“

So feiern wir den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.

Psalm 65,1-6
Für dich ist die Stille Lobgesang, du Gott, der auf dem Berg Zion wohnt. Du bist es, der Gebete erhört, darum kommen die Menschen zu dir.

Schuld und Vergehen drücken uns hart, doch du mögest sie uns vergeben.

Glücklich sind, die du erwählst und die du dir nahe kommen lässt. Sie dürfen in den Vorhöfen des Tempels zu Hause sein.

Wir sehnen uns nach dem reichen Trost, den du in deinem Haus für uns bereithältst. Gott, auf deine Gerechtigkeit ist Verlass. Dir vertrauen die Enden der Erde. Amen.

Lied: Was für ein Vertrauen

Gebet
Du, unser Gott,
Stille ist ein Geschenk für den Menschen, der sucht und lauscht.
Wir danken dir für den Sonntag,
für die Ruhe des Feiertages,
für die Zeit der Erholung und der Besinnung.
Zeige uns, wie wir das kostbare Geschenk der Stille annehmen können.
Hilf uns, auf die leisen Töne zu hören.
Das bitten wir im Namen deines Sohnes Jesus Christus.
Amen.

Glaubensbekenntnis

Votum G. Eilermann: Die Stille lieben; Stille ist relativ

Musik

Votum Friedhelm Pieper: Die Stille erfahren; Stille kann absolut sein

Musik
Ansprache I, Susanne Pieper:
Ganz besondere Erlebnisse.  Eine ganz besondere Zeit: weit weg. Am Meer, in der Wüste. Wo Stille so ganz besonders intensiv zu erfahren war…Orte der Stille aber können wir auch in der Nähe finden! So wie diesen Kirchenraum: hier wird dir und mir Stille angeboten! Menschen kommen hierher.  Gerade auch dann, wenn die Kirche leer ist. Sie sehnen sich danach, einfach einmal nicht reden zu müssen. Sie möchten einfach Ruhe finden.  Ganz in der Nähe einen Raum der Stille finden.  Davon spricht auch ein berühmter Dichter:  

Zitat (Andrea Vaupel): Reiner Kunze:

„Einladung zu einer Tasse Jasmintee

Treten Sie ein, legen Sie Ihre
Traurigkeit ab, hier
dürfen Sie schweigen“
(Reiner Kunze, Sensible Wege und frühe Gedichte, 1969, S.  105)

Ansprache II, Susanne Pieper: Schweigen kann tröstlich sein, wenn einfach ein Raum da ist, wo ich dasein kann. Schweigen kann entlastend sein, wenn jemand eine Zeit hinter sich hat, in der er sehr viel reden musste.  Dann ist das Schweigen dürfen wohltuend und entspannend. Manchmal, wenn man zu viel allein ist, können aber Schweigen und Stille auch zu viel werden. Dann ist es wichtig, wieder nach außen zu gehen, Kontakte zu suchen. Eine neue Balance zu finden zwischen dem Alleinsein und der Gemeinschaft.

Das Schweigen aber kann uns auch für das Leise öffnen! Wir können anfangen, tiefer zu hören. Im Alten Testament, im 1. Buch der Könige, Kap. 19 wird erzählt, wie Gott sich gerade im Leisen finden lässt: der Profet Elia hatte sich in einer Höhle versteckt,  aus Furcht vor der Königin Isebel,  die ihn verfolgte.

Da sprach Gott zu Elia: „Geh aus deiner Höhle heraus und steige auf den Berg. Denn ich werde dort an dir vorübergehen!“ und ein großer, starker Sturm kam, der die Felsen zerbersten ließ. Aber Gott war nicht in dem Sturm. Danach kam ein Erdbeben. Aber Gott war nicht in dem Erdbeben. Nach dem Beben kam ein Feuer. Doch Gott war nicht in dem Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Martin Buber übersetzt: „Nach dem Feuer eine Stimme verschwebenden Schweigens“.

Und aus dieser sanften Stille spricht Gott mit Elia. Gott lässt sich gerade im Leisen finden.

Das können wir auch an Jesus Christus erkennen.  Auch er suchte die nächtliche Stille, die Einsamkeit, und kam dort mit seinem himmlischen Vater ins Gespräch. Markus berichtet davon.

Mk 1,35: „Und am Morgen, noch bevor der Tag begann, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.“

Das Beten in der Stille ist eine Quelle der Kraft.

Lied: EG 323, 1.3 Man lobt dich in der Stille

Zitat (Andrea Vaupel): Erling Kagge ist ein norwegischer Verleger, Jurist und Abenteurer. Er schreibt in seinem Buch „Stille – Ein Wegweiser“ diese Gedanken:

„Aber die Stille kann auch ein Freund sein. Eine bereichernde Kraft. Die Stille, die im Gras wohnt. An der Unterseite jedes Halms. Und in dem blauen Zwischenraum zwischen den Steinen. Die Stille, die sich wie ein Vogeljunges zwischen deine Hände legt. Allein auf dem Meer hörst du das Wasser, im Wald einen dahinrieselnden Bach oder Zweige, die sich im Wind bewegen, in den Bergen kleine Bewegungen zwischen den Steinen und Moosen. Dann ist die Stille beruhigend. Ich suche danach in mir.  Von Minute zu Minute. Es kann draußen in der Natur sein, aber es kann ebenso gut auf dem Weg ins Büro geschehen; ich halte unmittelbar vor einem Termin einen Moment inne oder steige aus einem Gespräch einfach aus. Die Welt auszusperren heißt nicht, seiner Umgebung den Rücken zuzukehren, sondern im Gegenteil:  es heißt, die Welt ein wenig deutlicher zu sehen, eine Richtung beizubehalten und zu versuchen, das Leben zu lieben.

Die Stille ist eine Bereicherung an sich.  Es ist etwas Exklusives und Luxuriöses. Ein Schlüssel, mit dem sich neue Arten des Denkens erschließen. Eine praktische Ressource für ein reicheres Leben.“

Susanne Pieper: Aus dem Reichtum der Stille, aus dem Schweigen heraus beten wir. Wir bringen unseren Dank, wir bringen unsere Bitten zu Gott.

Fürbitten
Es ist gut, vor dir zur Ruhe zu kommen, barmherziger Gott. Dein Friede will in uns einziehen. Du erquickst unsere Seele. Du bist die Quelle der Kraft, mit der wir unsere Herausforderungen bestehen können.
Dafür loben wir dich!
Lass uns deinen Frieden weitertragen. Liebe üben, wo Gleichgültigkeit herrscht. Verzeihen, wo Menschen sich beleidigen. Brücken bauen, wo Gräben sind.  Hoffnungslichter anzünden, wo Menschen zu verzweifeln drohen. Trost schenken, wo Menschen danach rufen.
Lass deinen Frieden groß werden in uns, damit er sich ausbreitet – hin zu deinem Reich.

Vaterunser

Abkündigungen

Lied: Leg deine Hand in meine Hand

Segen

Musik

Gottesdienst am 8.8.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

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Musik zum Eingang

Begrüßung
Höre, Israel, der Herr ist unser Gott“: So beginnt das Schema Israel, das Grundbekenntnis des Volkes Israel. Am 10. Sonntag nach Trinitatis, dem Israelsonntag, geht es um das Verhältnis und die bleibende Verbindung zwischen Christentum und Judentum. Wir begehen diesen Sonntag als

Tag der Besinnung auf die Verbundenheit zwischen der Kirche und Israel. Denn vieles von dem, was Jesus gelehrt hat, ist nur aus dem Judentum zu verstehen: So die Frage nach dem höchsten Gebot oder die Bedeutung des Gesetzes. Das Volk Israel spielt eine herausragende Rolle in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Und auch wenn wir nicht wissen, was Gottes Plan mit den beiden Religionen ist, so bleibt Israel doch Gottes auserwähltes Volk.

Und so feiern wir unseren Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und heiligen Geistes. Amen.

Psalm 111: EG 744

Kyrie
Ewiger Gott, Richter der Welt,
wir hören die Klage deines Volkes
und müssen erkennen,
wir Christ*innen dazu Anlass boten,
sie aufs Neue anzustimmen.
Nicht nur einmal mussten jüdische Menschen
Die Zerstörung ihrer Gotteshäuser beweinen.
Nicht nur einmal hat sie die Angst
Vor der Gewalttätigkeit der Feinde
Aus ihrer Heimat vertrieben.
Nicht nur einmal wurden viele von ihnen ermordet
Und ganz Israel von Vernichtung bedroht.

Du, Heiliger Israels,
vergiss das Leiden deines Volkes nicht.
Du hast seine Tränen bei dir gesammelt
Und wirst über seine Peiniger richten.
Vor dir bekennen wir die Schuld unserer Kirche,
die oft Hass gegen Jud*innen gesät hat im Namen Christi.

Wir bitten dich, gerechter Gott:
Vergib uns um deiner Barmherzigkeit willen
Und stell uns deinem Volk
In fester Verbundenheit zur Seite.   Kyrie eleison!

Gloria
Wir können uns den Aufgaben und der Verantwortung dieser Zeit stellen, wir können für Gerechtigkeit und Frieden eintreten, denn Gott ist bei uns. So wie er es schon Jesaja versprochen hat:
Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir.
Weiche nicht zurück, denn ich bin dein Gott.
Ich stärke dich und ich helfe dir,
ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit. Jes 41,10
Gott schenkt uns immer

Kollektengebet
Guter Gott,
wir danken dir dafür,
dass wir hier zusammen sein können,
dass du uns zusammenführst,
um miteinander dein Wort zu hören.
Wo wir verzagt sind, richte uns auf!
Wo wir zufrieden sind, mach uns dankbar!
Lass deine Liebe unser Herz erfüllen und die Welt!
Amen.

Schriftlesung
Exodus 19,1-6
191Genau drei Monate nach dem Auszug aus Ägyptenkamen die Israeliten in die Wüste Sinai.2Sie waren von Refidim aufgebrochen und erreichten nun die Wüste Sinai. In der Wüste schlugen sie ihr Lager auf. Dort lagerte sich Israel am Fuß des Berges,3Mose aber stieg zu Gott hinauf. Da rief ihm der Herr vom Berg aus zu: »Sag es dem Haus Jakob! Verkünde es den Israeliten:4Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe. Euch aber habe ich wie ein Adler auf Flügeln getragen und hierher zu mir gebracht.5Hört jetzt auf meine Stimme und haltet meinen Bund! Dann sollt ihr mein Eigentum sein unter allen Völkern. Denn mir gehört die ganze Erde.6Ihr aber sollt für mich ein Volk von Priestern sein, ein heiliges Volk. Diese Worte sollst du den Israeliten sagen.

Glaubensbekenntnis

Lied:  EG 316,1.3.5

Predigt

Liebe Gemeinde,
„Euch aber habe ich wie ein Adler auf Flügeln getragen“ – dieses Bild, dass Gott sich seinem Volk zuwendet wie ein Adler findet sich an mehreren Stellen in der Bibel. Adler nehmen ihre Jungen unter ihre Fittiche, um sie wärmen und zu schützen. Wenn die kleinen Adler fliegen lernen, fliegen die Alten neben den Jungtieren her, um sie auf ihren Flügel zum Horst zurückzubringen, falls dem Jungtier die Kraft ausgeht.

An dieser Stelle der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel bildet das Bild des Adlers die Botschaft des Textes ziemlich gut ab. Wie ein Adler die ersten Flugversuche seines Jungtieres begleitet, hat Gott sein Volk auf dem Weg aus der Sklaverei in Ägypten bis zum Berg Sinai begleitet. Ein langer Weg liegt hinter ihnen. Ein Weg auf dem ihnen Leid, Verfolgung, Sehnsucht und auch Verblendung begegnet sind. Es war nicht leicht auf diesem Weg den Überblick zu behalten und das Ziel nicht aus dem Blick zu verlieren.

Da ist es gut, dass die Menschen auf ihrer Flucht daran erinnert werden, dass ihr Weg – trotz all der Gefahren und Widerstände – behütet wird und dass dieser Weg ein Ziel hat: Die Offenbarung Gottes am Sinai und den Bund Gottes mit Israel. Wenn die Israelit*innen es auch noch nicht wussten, wie Gott sie nach der Flucht aus Ägypten begleiten wird und welches eigentlich ihr Ziel sein wird – sie erlebten mit einem Mal eine so große Freiheit, dass es möglich schien alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Die Hoffnung war riesengroß. Mose war der Hoffnungsträger dieser göttlichen Botschaft und ihm folgte man durch das Schilfmeer in die Wüste.

Doch der Alltag beendet den Höhenflug dieser Hoffnung und Begeisterung. Hunger, Durst und viele andere Gefahren auf dem Weg durch die Wüste verstellen den Blick nach vorn. Die Erinnerungen an die Leiden der Unterdrückung verblassen und auf einmal war in Ägypten doch nicht alles schlecht.

Das Hochgefühl des Aufbruchs ist erloschen. Die Freiheit scheint nicht mehr so wichtig und das Ziel ist sowieso in unerreichbare Ferne gerückt. Der Weg durch die Wüste ist mühsam und es wird nach Schuldigen gesucht für diese Enttäuschung. Immer öfter kommt die Frage auf, ob dieser unsichtbare Gott, dem man da folgt, wirklich der richtige Gott ist.
Erschöpft kommt das Volk Israel am Sinai an. Kann es hier zur Ruhe kommen? Kann es wieder wahrnehmen, dass es auch in den schweren Zeiten der Wüstenwanderung sehr wohl begleitet und bewahrt war? Hat Gott nicht Manna geschenkt und Mose Wasser aus dem Felsen geschlagen?

Gott hat sein Volk wie „auf Adelers Fittichen sicher geführet“.
An diesem Ort wird es möglich, zu erkennen wie Gott trotz aller Bedrängung und Not sein Volk geführt hat. Und tatsächlich stellt sich am Vorabend großer Ereignisse neue Hoffnung ein. Mose wird auf den Berg gehen, Gott wird ihm dort in Wind und Wetter erscheinen. Mose wird die Tafeln des Bundes erhalten – und sie erst einmal wieder zerschmettern angesichts des Goldenen Kalbes. Israel steht hier an einem Wendepunkt seiner Geschichtemit Gott. Ohne Pomp wird Israel zum Bundesvolk Gottes erwählt.

An dieser Stelle treffen wir Christ*innen auf das Volk am Fuß des Berges Sinai. Denn auch wir nehmen für uns in Anspruch, dass auch wir Gottesbundesvolk seien. Leider haben wir Christ*innen nie der Versuchung widerstehen können, den Erwählungsglauben des Volkes Israel gegen das Volk selbst zu wenden, dem jüdischen Volk vorzuwerfen, es halte sich für etwas Besseres, sei überheblich – ohne zu merken, dass wir das gleiche dann auch über uns selbst sagen müssten.

Denn gerne halten auch wir Christ*innen uns für etwas Besseres. Nämlich dann, wenn wir uns als neues Bundesvolk betrachten, das alte aber für überholt erklären. Wenn wir einerseits die Zehn Gebote für uns reklamieren, aber zugleich der jüdischen Religion Gesetzlichkeit vorwerfen.

Wir müssen uns also fragen, wo wir uns mit unserer Glaubensgewissheit, Volk Gottes zu sein, eigentlich befinden: Stehen wir auch am Fuß des Berges Sinai und hören den Ruf, Gottes Volk zu sein? Oder sind wir der Meinung, dass für uns der Berg der Verklärung, wo sich die Wolke über Jesus legte, reicht. Sind wir damit der Meinung, dass wir mit dem Volk Israel nichts zu tun haben? Und vergessen dabei, dass die entscheidenden alttestamentlichen Gestalten Mose und Elia auch auf diesem Berg den Jüngern erschienen sind. Reihen wir uns ein, neben dem Volk Israel, den gemeinsamen Bund zu verehren? Oder verdrängen wir das Volk Israel von seinem Platz und bekämpfen es gar?
Wie geht unser Weg als Volk des Bundes weiter?

Das Volk Israel hat lernen müssen, dass Gottes Bundesvolk zu sein, auch heißt, für Gott einzustehen, das Ideal der Schöpfung Gottes dazustellen und Gottes Regeln vorbildhaft zu befolgen. Damit macht man sich in der Welt keine Freunde. Es ist eine harte Aufgabe.
So hat Gott vom Sinai her das Volk Israel wieder auf einen langen Weg ins gelobte Land geschickt. Wieder beginnt die entbehrungsreiche Wanderung durch die Wüste, wieder holen die Mühen der Ebene das Volk ein, wieder drohen Hoffnungen zu zerbrechen an der harten Wirklichkeit.

Einen wesentlichen Grund für die Mühen der Ebene haben allerdings wir Christ*innen gelegt. Denn immer wieder haben Christ*innen ihren Anspruch Gottes Volk zu sein, damit belegen wollen, dass sie das Volk Israel gedemütigt und verleumdet haben. Die christliche Überheblichkeit wurde zu einer echten Gefahr für jüdische Mitbürger*innen. Ein aufgehetzter Mob konnte dann schon mal am Karfreitag jüdische Menschen verfolgen mit der Begründung, sie seien schuld am Tod Jesu.

Wenn wir wirklich für uns in Anspruch nehmen wollen, als Christ*innen auch erwähltes Volk zu sein wie das Volk Israel, dann müssen wir den Weg weiter mitgehen vom Berg Sinai oder auch vom Berg der Verheißung. Dann müssen wir uns in die Mühen der Ebene begeben. Das heißt, wir müssen christlichen Judenhass überwinden, aus der Geschichte lernen und heute sehr aktuell gegen jede Art von Antisemitismus und Rassismus Stellung beziehen.
Volk Gottes zu sein, heißt sich in die Pflicht nehmen zu lassen für den Willen Gottes in seiner Schöpfung, in dieser Welt, in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt.
Gott begleitet uns dabei und schenkt uns immer wieder die Möglichkeit umzukehren und neu anzufangen.

Lied + 89 Du bist da

Fürbitten
Ewiger Gott,
Du bist Vater und Mutter aller Menschen.
Uns alle hast Du nach Deinem Bilde geschaffen.
Deine Liebe und Deine Barmherzigkeit gilt uns allen.
Dafür danken wir Dir.

Wir bitten Dich heute insbesondere für jüdische Menschen in der Nähe und in der Ferne.
Sei an ihrer Seite und stärke sie, wo immer sie Diskriminierung und Gewalt erfahren.
Auch für die jüdischen Gemeinden und Verbände in unserer Nachbarschaft
bitten wir Dich um Schutz und Bewahrung.

Wir bitten Dich auch für die Geschwister im Glauben aus den anderen Religionen
und für die Menschen anderer Weltanschauungen,
die gemeinsam mit uns nach Frieden und Gerechtigkeit streben.
Behüte sie und lass sie nicht müde werden auf ihrem Weg.

Und wir denken an die Menschen in unserer Kirche, in unserer Stadt und unserem Land,denen es nicht gut geht,
die Deiner und unserer Zuwendung besonders bedürfen.
Lass sie nicht allein, gibt ihnen Kraft und Mut, ihren Weg zu gehen.

Ewiger Gott,
wir bitten dich für __, die am letzten Samstag getauft wurden. Schenke ihnen Augen, die sehen und Ohren, die hören auf das, was in der Welt um sie herum passiert. Und schenke ihnen ein offenes Herz ihre Mitmenschen zu verstehen und selbst verstanden zu werden. Begleite du sie mit deinem Segen.

Ewiger Gott,
wir bitten dich für die Menschen von denen wir in der letzten Woche Abschied nehmen mussten. Wir bitten für _ und zünden eine Kerze für sie an. Nimm du sie auf in deine Ewigkeit und schicke den Angehörigen dein Osterlicht, dass ihnen den Weg aus der Dunkelheit der Trauer heraus zeige.

Ewiger Gott, Quelle der Barmherzigkeit,
sei auch mit uns, auf dass wir zum Zeichen Deiner Barmherzigkeit,
Deiner Gerechtigkeit und Deines Friedens werden.
Amen.

Vaterunser

Abkündigungen

Lied: EG 613 Freunde, dass der Mandelzweig

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 1.8.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

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Vom Hausbau
Wer auf Gott vertraut hat auf Fels gebaut

Eingangsmusik
Begrüßung

Das Haus auf unserem GD Blatt sieht aus, als sei es in die Hand Gottes gebaut. Auf jeden Fall ist es auf Fels gebaut, wie es Jesus sich wünscht. ER sagt: Vertraut auf Gott, und ihr werdet leben. Wer sein Leben in Gottes Hand baut, der vertraut auf ihn, der kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
Es geht heute um Vertrauen, um den Hausbau, um das Fundament. Dieses Haus auf der Titelseite steht übrigens auf einer kleinen Insel vor Island, auf Heimaey.
Herzlich willkommen zu unseren Gottesdienst. Wir freuen uns, dass er von Mitgliedern der Kantorei unter der Leitung von Kantor Frank Scheffler musikalisch gestaltet wird. Und wir wollen Abendmahl feiern, unter Coronabedingungen, versteht sich.

Votum

Psalm  63
Ich will Gott loben mein Leben lang
G:    Gott, du bist mein Gott, den ich suche.
Es dürstet meine Seele nach dir,
P:    mein ganzer Mensch verlangt nach dir
aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist.
G:    So schaue ich aus nach dir in deinem Heiligtum,
wollte gerne sehen deine Macht und Herrlichkeit.
P:    Denn deine Güte ist besser als Leben;
meine Lippen preisen dich.
G:    So will ich dich loben mein Leben lang
und meine Hände in deinem Namen aufheben.
P:    Das ist meines Herzens Freude und Wonne,
wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben kann;
G:    wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich,
wenn ich wach liege, sinne ich über dich nach.
P:    Denn du bist mein Helfer,
und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.
G:    Meine Seele hängt an dir;
deine rechte Hand hält mich.

Gebet
Guter Gott,
dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unseren Wegen.
Darauf vertrauen und hoffen wir.
Wir bitten dich um einen festen Stand in den Stürmen unseres Lebens.
Um offene Ohren und Herzen, und deinLicht, das unseren Weg erhellt.
Durch JX, deinen Sohn. Amen

Lesung
Vom Hausbau
24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. 25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. 26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. 27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.

Musik:         EG 589     Komm bau ein Haus

Predigt

Die Gnade unseres Herrn JX, die Lebe Gottes und die Gemeinschaft des HG Sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
Selten hat mich ein Bibelwort so unmittelbar berührt. Ich sehe noch die zusammenbrechenden, umgestoßenen Häuser in der Eifel, Menschen, die mit Hubschraubern von den Dächern gerettet werden. Ich sammle in meinem Pfarrhaus noch das letzte Erinnerungsstück. Und sie haben dort alles verloren, einschließlich ihrer beruflichen Existenz. Da kam ein Regen, eine Flut, und sie hatten zwar nicht auf Sand gebaut, aber vielleicht zu dicht an den Bach oder den Fluss. Jedenfalls nicht auf schützenden Fels. Und alles war in den Fluten verloren und viele sind gestorben.

Die Bibel erzählt schon an ihrem Anfang von einer schrecklichen Flut: die Sintflut löscht alles Leben aus auf der Erde, nur Noah und seine Familie werden in der Arche mit vielen Tieren gerettet. Gewiss ist dies kein historischer Bericht, aber Reflex auf die vielfältigen Fluterfahrungen der Menschen im Nahen Osten. Und zugleich eine mahnende Stimme, die auf die Verantwortung der Menschen verweist; aber auch nicht leugnet, dass wir in der Verantwortung stehen, was die Klimaerwärmung, was große Dürren, aber auch heftigen Regen angeht.

Das Gleichnis vom Hausbau ist der Abschluss der Bergpredigt. In ihr ruft uns Jesus mit radikalen und rigorosen Forderungen zu seiner Nachfolge auf: Wir Menschen scheitern notwendig daran, weil wir eben nur Menschen sind. Keiner der Schüler, die ich in meinem Pfarrerleben unterrichtet habe, wäre tatsächlich bereit gewesen, auch noch die andere Backe anzubieten.

Die Forderungen Jesu sind unerfüllbar. Sie sollen gar keine ethische Anweisung sein, sondern deutlich machen, dass der Mensch den Willen Gottes allein von sich aus nicht erfüllen kann. Wenn der Mensch diese Situation erkennt, dass er unzulänglich und Sünder ist – letztlich unfähig zum absoluten Guten, dann ist er allein auf Gottes Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung angewiesen.

Die Forderungen der Bergpredigt machen deutlich, dass es Jesus nicht um neue Gesetze und konkrete Anweisungen geht, sondern um eine Grundhaltung, eine Gesinnungsethik, also eine innere Haltung und Herzenseinstellung. Deshalb treibt er die jüdischen Gesetze in seiner Rede auf die Spitze: Keine Scheidung! Nicht schwören! Niemals vergelten!

Bei der Bergpredigt handelt es sich um überprägnante Normen, die bewusst das tatsächlich Erreichbare um Vieles überragen. Solches ist notwendig, weil das Ziel immer weiter gesteckt sein muss als das, was man wirklich erreichen kann.  Eine der Anweisungen aus der Bergpredigt begleitet mich seit dem 1. Oder 2. Semester im Studium: „Wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr da schon Besonderes?“ Es weist mich darauf hin, dass es nicht nur um den Nächsten geht, sondern auch um den Übernächsten und sein Lebenswohl.
Deshalb hat mich immer gefreut, dass wir in unserer Gemeinde Partner in Frankreich, Ostdeutschland und Indien haben; dass es Hausaufgabenhilfe für geflüchtete Kinder gab; dass es hier einen Friedenskreis und ein Friedensgebet gibt und dass wir den Eine-Welt-Laden unterstützen oder in der Corona-Notlage dort eine große Spende nach Indien überwiesen haben, auch wenn wir selbst nicht aus dem Vollen schöpfen können.

„Wer sein Haus auf Fels baute“: Das hat Bischof Tebartz van Elst auf dem Domberg in Limburg getan. Vor einigen Wochen hatte ich die Gelegenheit, dieses markante Haus zu besichtigen. Es ist in seinem Kellergeschoss tatsächlich auf gewachsenen Fels gebaut, er ragt in den großen Konferenzraum, in dem sich nun ein anderer Bischof, der privat in Limburg eine Sozialwohnung bezogen hat, mit Mitgliedern der deutschen Bischofskonferenz trifft. Das umstrittene Haus nutzt er als Dienstsitz.

Seine hohen Kosten wurden nicht durch eine goldene Badewanne verursacht. Die gibts im Baumarkt, sie steht halt frei im Raum. Na und?  Teurer wurde alles durch viel mehr Abraum, durch das Freilegen der Felsen und bei der Sanierung eines angrenzenden Gebäudes. So hatte der frühere Bischof also auf Fels bauen lassen, aber die Zeichen der Zeit und den Zusammenhang von Reden und Handeln nicht beachtet. Wenn Worte im Widerspruch zum eigenen Handeln stehen, wittert die Öffentlichkeit Scheinheiligkeit und Heuchelei. Das war weniger das Problem des Bischofs damals, als dasjenige seiner Administration und Öffentlichkeitsarbeit.

Ich habe mich neulich ziemlich ausgiebig mit Häusern beschäftigt: Wir haben das Haus, das unsere Eltern in Schleswig-Holstein vor 20 Jahren für ihr Alter erworben hatten, wiederverkauft. Dan hatten wir selbst überlegt, hier in der Wetterau ein Haus zu bauen oder zu kaufen und ich habe Worte wie Grunderwerbssteuer oder Baunebenkosten gelernt.
Wenn Jesus am Ende der Bergpredigt das Bild vom Hausbau benutzt, dann greift er dabei wie in seinen Gleichnissen auf die Lebenswelt seiner Zuhörer zurück. Das kennen alle. Es geht nicht um die Gestaltung des Außengeländes oder die Aufteilung der Zimmer, schon gar nicht um Farben oder heiztechnische Lösungen. Es geht um die Gründung des Hauses, das Fundament, seine Verbindung zur Umgebung, um Stein oder Sand.

Paulus nimmt im Brief an die Korinther das Bild vom Fundament auf und spricht von Jesus als dem Grund, der gelegt ist, und der durch nichts und niemanden ersetzt werden kann (1. Kor 3, 11). Vielleicht entfaltet sich die Kraft dieses Bildes ja gerade in Situationen, in denen ich vor den Trümmern meines eigenen Handelns stehe. Im Großen und auch im Kleinen. Dann, wenn ich erkenne, dass ich mehr Sorgfalt hätte walten lassen müssen, hinter dem zurückgeblieben bin, was gut gewesen wäre.

Neben allem gelingenden im Leben gibt es eben auch das: Häuser stürzen ein, Projekte und Lebenspläne misslingen. Manches hätte anders gebaut, geplant, bedacht, getan, gesagt werden sollen. Derjenige, der uns zu soliden Fundamentarbeiten aufruft, ist zugleich der stabile Grund unseres Lebens. Was auch kommen mag, was gelingen und was scheitern mag: Der Grund ist gelegt. ER bleibt fest. Auf ihn können wir uns verlassen. ER bleibt – für mich und das Haus meines Lebens. Seine Zusage steht, wie Worte, in Stein gemeißelt, die jeden Sturm und jedes Unwetter des Lebens überstehen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in JX.  Amen

Lied:        EG + 54    Vater, unser Vater

Fürbittgebet:

Guter Gott,
du schenkst uns das tragfähige Fundament für unser Lebenshaus, das allen Unwettern standhalten kann.
Um diese Zuversicht und Gewissheit bitten wir dich:
Für Menschen, denen der Boden unter den Füßen zu verschwinden droht, weil sie Verluste erleben.
Für menschen, die ihr Leben in den Sand gesetzt zu haben glauben: Dass sie neu beginnen können und ein tragfähiges Fundament für ihr Lebenshaus entdecken.
Für Menschen, deren Leben durch Unwetter du Stürme in Gefahr ist: dass sie durch die Verbindung und das Vertrauen zu dir getragen und gehalten werden.
Wir danken dir, lebendiger Gott, für alle Bewahrung und Leitung auf unseren Wegen. Wir danken dir für alles Glück und alle Freude, die wir in unserem Lebenshaus täglich erleben dürfen.
Dein Wort ist wie ein Licht – lass es uns hören, verstehen und bedenken – heute und alle Tage – so, wie du alle Tage bei uns bist und wir das in deinem Mahl erleben und spüren dürfen.

Vater Unser
Friedensgruß
Einsetzungsworte

Brot
Wein/Traube

Schlussgebet
Du hast uns eingeladen, mit allem zu dir zu kommen. Du stärkst uns mit deinem Wort und mit dem Mahl deines Sohnes, das uns sagt: du willst uns nahe sein. Lass uns in der kommenden Zeit deine Nähe spüren und die in unserem Alltag vertrauen. Hilf uns, anderen eine Stütze zu sein, wenn sie uns brauchen und denen zu vertrauen, die wir brauchen – durch JX, deinen Sohn

Schlusslied:     EG 295     Wohl denen die da wandeln
Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 25.7.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Lust und Laster -
Wissen allein genügt nicht – es braucht auch Selbsterkenntnis

Eingangsmusik:
aus dem Oratorium `Elias´ von Felix Mendelssohn das Duett `Herr höre unser Gebet´.

Begrüßung
„Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ (Eph 5).
Mir fallen bei dem Wort vom Licht die unglaublich klaren, plastischen Farben an frischen Apriltagen ein; das Licht des Südens, die alten Licht und Luftbäder der  Arbeiterbewegung oder die Höhensonne von früher.
Was dieses Wort vom Licht aus der Sicht des Evangeliums bedeuten kann, das wird uns der Apostel Paulus erläutern. ER wünscht sich ein Christsein mit Leib und Seele.

Votum

Psalm 121    EG  749
Der Herr behütet dich
G:    Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?
P:    Meine Hilfe kommt vom Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat.
G:    Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.
Siehe, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.
P:    Der Herr behütet dich;
der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand,
G:    dass dich des Tages die Sonne nicht steche
noch der Mond des Nachts.
P:    Der Herr behüte dich vor allem Übel,
er behüte deine Seele.
G:    Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang
von nun an bis in Ewigkeit!
 
Gebet
Guter Gott, wir sitzen oder stehen hier in unserer schönen Kirche. Wir sehen die Menschen vor uns, neben uns, wir hören Worte, Lieder, Musik. Wir atmen langsam oder etwas schneller, je nach unserer momentanen Befindlichkeit. Wir spüren unsere gefalteten Hände, wir spüren unseren ganzen Körper, vielleicht ist er locker, vielleicht ist er noch etwas angespannt von dem, was uns beschäftigt.
Wir hoffen, nach diesem Gottesdienst fühlen wir uns wohl in unserer Haut, können frei atmen, den Blick erheben, aufrecht gehen. Wir bitten dich: Mache uns mit deinem befreienden Wort zu lebendigen Gliedern an deinem Leib.
Das bitten wir dich durch Jesus Chrístus, deinen Sohn.

Lesung
1. Kor. 6, 9-14 (15-18) 19-20 |
 9 Oder wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder 10 noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben. 11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. 13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird das eine wie das andere zunichtemachen. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem Herrn, und der Herr dem Leibe. 14 Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft. 17 Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm.
19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? 20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.

Musik:         441    Du höchstes Licht, du ewger Schein

Predigt
Die Liebe unseres Herrn JX, die Gnade Gottes und die Gemeinschaft des HG sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
Als die Ehefrau vom Gottesdienst nach Hause kommt, fragt ihr Mann beiläufig: „Na, worüber hat der Pfarrer den heute gepredigt?“ Sie antwortet: “Über Laster und Sünden.“ Seine Rückfrage: “Und was hat er dazu gesagt?“ beantwortet sie lakonisch: “Er ist dagegen.“
Das entspricht der gängigen Erwartung, wenn es um Themen wie Sünde und Sexualmoral geht. Früher war man dann wohl schnell versucht, die Menschen, die im Hochsommer am Sonntagmorgen in die Kirche kamen, im wahrsten Sinne des Wortes abzukanzeln. Aber würde sich dadurch etwas ändern? Und wem wäre damit gedient, wenn ich jetzt die Verrohung der Sitten anprangere und Ihnen mit erhobenem Zeigefinger die Leviten lese?

Dann spricht da ein Moralapostel. Wie in unserem Text Paulus: Drei Mal schleudert Paulus ein „Wisst Ihr nicht … !“ den vermeintlichen „Übeltätern entgegen. Frei übersetzt: „Wie blöde seid ihr eigentlich?!“

Aber natürlich wissen sie es. Gerade so, wie jeder normale Mensch weiß, dass er seinem Körper nichts Gutes tut, wenn er raucht, Alkohol trinkt, Fettes isst. Gerade so wie jeder Mensch weiß, dass es nicht gerade eine Heldentat ist, ins Bordell zu gehen.

Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. Das ist ja wunderbar. Schön wäre jetzt nur noch, wenn Paulus noch erwähnt, wie man das hinbekommt. Offenbar ist ein quälend schlechtes Gewissen, offenbar sind peinigende Schuld- und Schamgefühle alleine noch kein Rezept, um das eigene Verhalten zu verändern. Im Gegenteil: sie sind eingebaut in den süchtigen Kreislauf von Triebdurchbruch, Schuld und Scham, sich schwören, so etwas nie mehr zu tun – bis zum nächsten Triebdurchbruch.

Moralpredigten haben zur Unglaubwürdigkeit der Kirche beigetragen. Sie haben einen blinden Fleck – nämlich das Leben des Predigers oder der Predigerin. Halten sie sich selbst an das, was in der Bibel steht und was sie predigen? Das ist die Gefahr der Selbstgerechtigkeit. Sich hin zu stellen und zu sagen: Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin wie die anderen „die mit Sexualität unverantwortlich umgehen; die andere Gottheiten verehren; die in der Ehe oder gar in gleichgeschlechtlichen Beziehungen das Recht Gottes verletzen; die andere bestehlen oder gierig immer mehr wollen; die sich betrinken und schlecht über andere reden.“

Was also tun gegen Scheinheiligkeit? Glaubwürdigkeit entsteht, wenn das öffentliche Reden im Einklang steht mit dem, was ich auch sonst tue. Der erste Schritt zu einem ganzheitlichen Leben ist wohl, sich selbst kritisch und nüchtern zu betrachten. Was macht mich so wütend auf diese verlotterten Korinther? Es mögen Gefühle der Ohnmacht sein, der Hilflosigkeit. Nichts tun zu können gegen ihre Haltungen. Und ganz vielleicht auch noch ein kleines bißchen Neid auf das, was sie sich erlauben und wie sie sich ausleben.

Aber eigentlich schreibt Paulus ja auch wenig später im gleichen Brief an dieselben Leute, nach diesem ganzen Hass auf die Unzüchtigen einen der schönsten Texte über die Liebe in der ganzen Bibel: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt keinen Mutwillen …“ So kann auch Paulus selbst aus der Liebe, die er im 13 Kapitel feiert, im 6. Kapitel herausfallen in Zorn und Hass. Mit seinen eigenen Worten möchte man ihm sagen: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Was lernen wir nun daraus?

1. Gegenüber unseren Emotionen hat der Verstand alleine keine Chance. Deshalb ist etwas zu predigen viel leichter, als das gepredigte selbst vorzuleben. Und das gilt übrigens für uns alle hier, nicht dass wir uns da falsch verstehen. Es gilt, die Kraft zu nüchterner Selbstkritik aufzubringen, eine Art innerer Beichte, realistischer Selbsteinschätzung. Indem wir uns unsere vermeintlichen Schwächen eingestehen, verändert sich Inhalt und Art unseres Redens gegenüber anderen in Richtung Barmherzigkeit – wenn ich nur einen Funken Empathie aufzubringen in der Lage bin.

2. Sich über andere zu empören ist viel leichter, als zu versuchen, das Fremde, das andere zu verstehen, das mir und meinen Werten entgegensteht.  Hallo! – Korinth war eine Hafenstadt. Es war berühmt für die Verlockungen des Konsums – dort gab es alles! Des Luxus, der Lebenslust. Und berüchtigt für die Tempelprostitution im Aphroditetempel, mit vermutlich mehr als 1000 sog. Priesterinnen. Aber wer von uns war in Hamburg und wäre nicht über die Reeperbahn geschlichen?

3. „Tu deinem Körper etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ Das schrieb Teresa von Avila. ZB schön Essen gehen mit Freunden. Oder nachher einen Mittagsschlaf. Es geht um den ganzen Menschen, wir glauben nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit „Herzen Mund und Händen“. Glaube ist ganzheitlich. Und deshalb ist es auch nicht nebensächlich, wie wir mit unsrem Körper umgehen, nicht nur mit unserer Seele. Wir dürfen kleinen Raubbau an ihm betreiben.

Und 4.  wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist?“ Inmitten unserer aus den Fugen geratenen Welt werden wir eingeladen, auszuprobieren, was dieses Bild für uns bedeuten kann. Fühle ich mich getragen oder unterstützt mich der Heilige Geist in dem, was ich mir ohnehin vorgenommen habe? Baut er uns Brücken aus der spannungsvollen Unsicherheit heraus oder stellt er sich inmitten von Katastrophischem uns tröstend auf die Seite?

Gott selbst hat uns losgekauft, und deshalb gehören wir nicht länger uns selbst. Gerade, weil er uns aus den von uns selbst gesetzten Grenzen befreit, ermöglicht er uns, behutsamer auf das Leben in der Welt zu achten. Wir werden nicht nur mitmenschlicher, sondern auch zu seinen (Mit-)Geschöpfen: „Wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm.“
Amen

Musik:        166    Tut mir auf die schöne Pforte

Fürbitte

Gütiger Gott,
es ist nicht leicht zu lieben, ohne zu verletzen;
zu genießen, ohne zu missbrauchen;
etwas aufzubauen, ohne zu zerstören;
etwas Neues zu wollen, ohne das alte zu enttäuschen oder vor den Kopf zu stoßen.
Wir bitten dich deshalb: Lass uns das tun, was du segnest, was das Leben fördert in seiner Buntheit und Vielfalt.

Du hast uns durch die Taufe Freiheit geschenkt, alles ist uns erlaubt. Lehre uns, verantwortungsvoll mit dieser Freiheit umzugehen, sie kreativ zu nutzen. Nichts soll uns gefangen nehmen. All denen die noch gefangen sind in Angst und Verzweiflung, in Vorurteilen und selbstzerstörerischen Zwängen, in Sucht und Besitz, zeige dich als derjenige, der den Schlüssel zur Befreiung besitzt. Denn alles kann uns zum Guten dienen.

Erhalte und fördere in uns den liebevollen Blick für den Nächsten. Lehre und zeige uns deinen Weg des Lebens. So kommen wir am Ende in dein Reich.

Vater Unser

Schlusslied:
Oratorium Elias  von Felix Mendelssohn das Duett `Hebe deine Augen auf zu den Bergen, von welchen dir Hilfe kommt´

Abkündigungen

Segen

Ausgangsmusik:
Oratorium ‚Elias‘: `Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig´.

Gottesdienst am 18.7.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum:
Liebe Gemeinde,
So seid ihr nun nicht mehr Fremde und Ausländer, sondern ihr seid Mitbürgerinnen der Heiligen und Hausgenossen Gottes.
 Ephesus 2,19 BIGS 2011)
Mit dem Wochenspruch aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Ephesus begrüße ich Sie ganz herzlich zu unserem Gottesdienst. Dass wir Hausgenossinnen Gottes sind, das verlieren wir im Alltagstrott oft aus dem Blick. Obwohl wir doch alles haben, fühlen wir uns ausgebrannt und leer. Obwohl wir täglich satt werden, ist das ein ungeheurer Durst nach mehr in uns. Wir sehnen uns nach etwas, das wir nicht in Worte fassen können.
Gott stillt körperlichen und seelischen Hunger, davon erzählt der 7. Sonntag nach Trinitatis.

Psalm 146: EG 757

Kollektengebet
Du, unser Gott,
Vieles bewegt uns, Unterschiedliches bringen wir mit,
was uns freut und traurig macht,
was uns beschwert und was leicht ist in diesen Tagen,
mitten im Sommer, in der Ferienzeit,
nach dem Schuljahresende und viel freier Zeit vor uns.
Das alles bringen wir mit und bitten dich:
Lass uns zur Ruhe kommen mit unseren Gedanken und Gefühlen!
Hilf uns ganz hier zu sein in deinem Namen
und als deine Gemeinde auf dein Wort zu hören,
das uns stärken und ausrichten will.

Schriftlesung
Elia am Bach Krit und bei der Witwe zu Sarepta
171Und es sprach Elia, der Tischbiter, aus Tischbe in Gilead zu Ahab: So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe:
Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen, ich sage es denn.
2Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 3Geh weg von hier und wende dich nach Osten und verbirg dich am Bach Krit, der zum Jordan fließt. 4Und du sollst aus dem Bach trinken, und ich habe den Raben geboten, dass sie dich dort versorgen sollen. 5Er aber ging hin und tat nach dem Wort des Herrn und setzte sich nieder am Bach Krit, der zum Jordan fließt. 6Und die Raben brachten ihm Brot und Fleisch des Morgens und des Abends, und er trank aus dem Bach. 7Und es geschah nach einiger Zeit, dass der Bach vertrocknete; denn es war kein Regen im Lande. 8Da kam das Wort des Herrn zu ihm: 9Mach dich auf und geh nach Sarepta, das zu Sidon gehört, und bleibe dort; denn ich habe dort einer Witwe geboten, dass sie dich versorge.
10Und er machte sich auf und ging nach Sarepta. Und als er an das Tor der Stadt kam, siehe, da war eine Witwe, die las Holz auf. Und er rief ihr zu und sprach: Hole mir ein wenig Wasser im Gefäß, dass ich trinke! 11Und als sie hinging zu holen, rief er ihr nach und sprach: Bringe mir auch einen Bissen Brot mit! 12Sie sprach: So wahr der Herr, dein Gott, lebt: Ich habe nichts Gebackenes, nur eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Und siehe, ich habe ein Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will’s mir und meinem Sohn zubereiten, dass wir essen – und sterben.
13Elia sprach zu ihr: Fürchte dich nicht! Geh hin und mach’s, wie du gesagt hast. Doch mache zuerst mir etwas Gebackenes davon und bringe mir’s heraus; dir aber und deinem Sohn sollst du danach auch etwas backen. 14Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden. 15Sie ging hin und tat, wie Elia gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. 16Das Mehl im Topf wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er geredet hatte durch Elia.

Glaubensbekenntnis

Lied: EG 320 Nun lasst uns Gott dem Herren

PREDIGT
Liebe Gemeinde,
Kennen Sie das Märchen der Gebrüder Grimm vom „süßen Brei“? Ein armes, frommes Mädchen lebt mit seiner Mutter allein und hat nichts mehr zu essen. Es bekommt ein Töpfchen geschenkt, das süßen Hirsebrei von allein kocht, wenn die richtigen Worte gesprochen sind, und auch wieder aufhört. Eines Tages kocht das Töpfchen weiter und weiter und das ganze Dorf ist voller süßem Hirsebrei, bis das Mädchen nach Hause kommt und es zum Stillstand kommt.

Verlockende märchenhafte Vorstellung: immer süßen Hirsebrei zu haben, wenn man hungrig ist. In der biblischen Geschichte verspricht der Gottesmann Elija, dass das Mehl im Topf und das Öl im Krug nicht aufhören werden. Ist das ähnlich märchenhaft?

Vergleichbar ist die ausweglose Situation in der Hungersnot der beiden Familien aus der Bibel und im Märchen. Verursacht durch die Dürre haben sie nicht genug zu essen. Sie werden sterben und haben nur noch eine kleine Mahlzeit. Doch Elija schenkt keinen Wundertopf, sondern will vom gebackenen Brot zuerst etwas abhaben. Dann verspricht er, dass Öl und Mehl nicht ausgehen werden. Die Witwe ist zurückhaltend, vielleicht sogar ärgerlich? Von dem wenigen noch etwas abgeben? Und das auch noch zuerst? Vielleicht musste sie ihrem verstorbenen Mann auch immer zuerst etwas zu Essen zubereiten. Das war damals üblich in der patriarchalen Gesellschaft, in der Frauen abhängig waren von den Männern in der Familie, zuerst vom Vater, dann vom Ehemann. Jetzt lebt sie allein, ohne männliche Unterstützung, ohne für sich und ihren Sohn irgendwo noch etwas auftreiben zu können, rechtlos und mittellos.

Und Elija, der Gottesmann? Er soll das Wort und den Willen Gottes verkünden und gegen die falschen Propheten des Baal auftreten. Er soll gegen den mächtigen König Ahab und seiner Frau Isebel, die vom Gott Israels nichts wissen wollen, auftreten. Sie verehren Baal, den Herrn und Meister, Fruchtbarkeitsgott auf Seiten der Mächtigen. Elija hat dem gegenüber kaum eine Chance. Alle anderen Propheten des Gottes Israels sind schon verfolgt worden. Machtlos bleibt er zurück und soll überleben angesichts der Dürre und Not, die nicht aufhören wird, bis Gott es wieder regnen lässt. Der Gottesmann erlebt diese Not und Dürre am eigenen Leib. Gott schickt ihn nach Osten, an einen Bach Kerit, und versorgt ihn dort mit Brot und Fleisch, das die Raben ihm bringen, bis die Dürre den Bach austrocknen lässt und Elija sich wieder auf den Weg macht.

Kein Regen wird fallen, Dürrezeiten und Hungersnöte. Denken Sie auch an Hunger und Elend heute? An die Trockenheit in fernen Ländern Afrikas und nun auch bei uns? Die Fichten sterben ab, sogar die Buchen leiden in unseren Wäldern. Klimawandel? Klimakatastrophe? Dass wir Menschen seit Jahrzehnten darum wissen und immer noch nichts lernen, macht mich wütend. „Fridays für Future“ war durch Corona ausgebremst, doch jetzt demonstrieren sie wieder, Junge und auch viele Alte, die es einfach nicht hinnehmen wollten, dass die Politik das Thema Klimawandel immer wieder hinten anstellt.

Menschen fliehen vor der Dürre, wenn kein Regen das Land fruchtbar macht, wenn sie vor Hunger nicht mehr ein noch aus wissen. Sie kommen zu uns nach Europa, nach Deutschland und suchen ein sicheres Zuhause. Das macht vielen Angst, die um ihre Existenz hier bangen und natürlich auch zuerst an sich denken, weil die Arbeitsplätze nicht für alle ausreichen könnten, weil es keinen bezahlbaren Wohnraum für alle geben könnte. Weil das Boot voll ist. Zuerst wir, zuerst ich, denken viele. Für uns alle wird es nicht reichen, das Mehl im Topf und das Öl im Krug. Das ist nur allzu verständlich, oder?

Zeigt die Geschichte der Bibel einen Ausweg? Was macht Elija?

Er kommt zu einer Witwe, die auch nichts hat oder fast nichts. Sie leidet an Hunger. Sie und ihr Sohn werden nicht überleben. Sie haben nichts mehr als ein bisschen Mehl und ein bisschen Öl. Wie soll das reichen?

Und dann reicht es doch! Wie geschieht hier das Wunder? Elija weist die Witwe an, noch einen Brotfladen zu backen und davon zuerst ihm geben. Zuerst dem Mann? Das erinnert mich an früher, wenn bei Tisch am Sonntag zuerst der Vater das größte Stück vom Braten abgekriegt hat. Weil der Mann damals das Sagen hatte. Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei! Und doch bestimmt das „zuerst“ unser Denken und Handeln. Zuerst ich! Zuerst wir! Zuerst unser Land, unsere Nation! Ist das hier in der Geschichte auch gemeint?
Das Wort „zuerst“ zeigt noch etwas anderes: Ich denke an die Erstlingsgabe der Ernte als Abgabe an Gott. So wird es im Dritten Buch Mose beschrieben. Indem die Israeliten erst (zuerst) etwas von der Ernte an Gott zurückgeben, erkennen sie an, dass die Gabe des Lebens und des Lebensnotwendigen nicht selbstverständlich ist. Nicht die Menschen selbst haben die Ernte eingebracht oder unser Auskommen verdient. Es ist Geschenk und Gnade. Es geht um Dankbarkeit und Anerkennung des Gottes Israels, der das Leben schenkt. Und es allen Menschen gleichermaßen schenkt, ausreichend und auskömmlich.

Daran erinnert das „zuerst“, zu dem Elija die Witwe auffordert. Dadurch erkennt auch die Witwe an, die nicht zum Volk Israel gehört und von dessen Gott nichts weiß, dass die Menschen das Leben und alles zum Leben Notwendige diesem Gott verdanken. Zuerst Elija als Prophet dieses Gottes etwas zu Essen zuzubereiten, gibt diesem Gott die Ehre, erkennt ihn an, und dann reicht das Lebensnotwendige für lange Zeit. Mehl und Öl versiegen nicht. Die Witwe und ihr Sohn werden leben, bis wieder Regen fällt und sie sich selbst versorgen können. In Vers 15 heißt es, dass sie es genau so tut. Allerdings isst sie dann zuerst vom Brot und nicht Elija, wie sie selbst es vielleicht befürchtet hat, dass der Mann zuerst versorgt werden will. Nein Elija erkennt an, dass sie dem Gebot der Erstlingsgabe folgt und ihre Dankbarkeit darin ausdrückt. Deshalb ist sie zuerst genannt: Sie hatte zu essen, er und sie und ihr Haus, Tag für Tag.

Eine Erstlingsgabe abgeben? Das machen wir heute nicht mehr. Am Erntedankfest wird der Altar mit Erntegaben geschmückt. Manche geben Spenden für die Tafeln in ihren Gemeinden. So kann Not abgewendet werden. Hier bei uns oder auch durch Spenden in anderen Teilen der Welt.

Das Umdenken geschieht noch vorher, indem wir die Gabe des Lebens und des Lebensnotwendigen anerkennen und Gott dafür danken, bei jedem Essen, das so selbstverständlich auf unseren Tisch kommt, bei jedem Einkauf von Gütern, die andere für uns produziert haben. Egal ob es Lebensmittel, Kleidung oder Möbel sind. Alles hat seinen Preis. Fair produziert soll es sein, damit alle gut davon leben können. Immer mehr reift das Bewusstsein für die Zusammenhänge in der Welt, wie sehr wir miteinander verbunden sind. „Bad Nauheim fair wandeln“ heißt der Verein, in dem sich Menschen aus unserer Stadt genau dafür engagieren. Regelmäßige Vorträge bringen das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit, Zusammenarbeit mit den örtlichen Schulen oder unseren Konfigruppen, sensibilisieren schon Kinder und Jugendliche, dafür, wie sie mit ihrem Einkaufsverhalten Einfluss auf das Leben vieler Familien in Ländern der sogenannten Dritten Welt nehmen können.

Vieles haben wir schon gelernt, vieles kann anders werden: Fair gehandelter Kaffee ist teurer, weil die Kaffeebauern ihre Kinder zur Schule schicken können. Und das Frühstücksei kostet mehr und schmeckt besser, weil auch die männlichen Küken überleben können. Oder eine Frau bringt ihrem Nachbar einen halben Kuchen vorbei, weil sie weiß, er freut sich, dass sie an ihn gedacht hat.

Nicht zuerst wir oder zuerst ich. Wir sind aufeinander angewiesen und können das Wunder erleben, indem wir an die anderen denken und damit Gott die Ehre geben.

Die Geschichte von der Witwe in Zarpath dankt Gott für die Gabe des Lebens und Mehl im Krug und Öl im Topf versiegen nicht. Sie quillen auch nicht wie von Wunderhand aus dem Topf und werden nicht zu einer Bedrohung wie im Märchen. Sie können geteilt werden und werden so zum Segen.
Amen.

Musik EG 182 Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt

Fürbitte
Du unser Gott,
von dir kommt die Gabe des Lebens.
Wir bitten, dass wir mit allem sorgsam umgehen: mit dem Boden, dem Wasser, der Luft.
Wir bitten für Pflanzen und Tiere, unsere Mitgeschöpfe.
Wir bitten für die Menschen, die aus Ländern fliehen,
die von Hungersnot oder Katastrophen heimgesucht werden.
Wir bitten für die Menschen, deren Heimat vom Krieg zerstört ist,
die ein neues Zuhause suchen, die unter der Ungerechtigkeit in der Welt leiden.
Wir bitten für die Menschen, die an Leib und Seele krank sind
und dringend Hilfe brauchen.
Und wir danken dir für jede Gabe des Lebens, für alles, was wir haben.
Hilf uns, dir zuerst die Ehre zu geben und dann teilen zu können:
unser tägliches Brot und unser Dach, unsere Kleidung und unsere Habe.
Schenk uns eine lebenswerte Zukunft und zeig uns, was wir dazu beitragen können.

Vaterunser

Abkündigungen

Lied eg+142 Verleih uns Frieden gnädiglich

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 11.7.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

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Musik

Psalm 67,2-8
2 Gott sei uns gnädig und segne uns, er lasse uns sein Antlitz leuchten, 3 dass man auf Erden erkenne seinen Weg, unter allen Heiden sein Heil. 4 Es danken dir, Gott, die Völker, es danken dir alle Völker. 5 Die Völker freuen sich und jauchzen, dass du die Menschen recht richtest und regierst die Völker auf Erden. 6 Es danken dir, Gott, die Völker, es danken dir alle Völker. 7 Das Land gibt sein Gewächs; es segne uns Gott, unser Gott! 8 Es segne uns Gott, und alle Welt fürchte ihn!

Gebet
Herr großer Gott, Du hast die Macht über Himmel und Erde. Schenke uns, dass wir Dir in diesem Gottesdienst begegnen. Sprich Du in unser Herz und fülle es mit Deiner Liebe für uns Menschen. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit. Amen.

Lesung Jesaja 43,1-7
1 Jetzt aber spricht der Herr, der Jakob geschaffen und sein Volk Israel gebildet hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich befreit. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir. 2 Wenn du durch Wasserfluten gehst, bin ich bei dir. Reißende Ströme spülen dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, verbrennst du nicht. Die Flammen können dir nichts anhaben. 3 Denn ich bin der Herr, dein Gott. Ich bin der Heilige Israels, der dich rettet. Ich habe Ägypten als Kaufpreis für dich bezahlt, dazu noch Nubien und Seba. 4 Du bist kostbar und wertvoll für mich, und ich habe dich lieb. Deshalb gebe ich Menschen für dich preis und setze Völker für dein Leben aufs Spiel. 5 Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir. Ich hole deine Nachkommen aus dem Osten herbei und bringe sie aus dem Westen zusammen. 6 Zum Norden sage ich: Gib sie heraus! Und zum Süden: Halt sie nicht zurück! Meine Söhne sollen aus der Ferne kommen, meine Töchter von den fernsten Winkeln der Erde. 7 Alle, die ich zu mir gerufen habe, sollen kommen. Denn ich habe sie zu meiner Ehre geschaffen, ich habe sie geformt und gebildet.

Lied EG 452

Predigt zu Matthäus 28, 16-20
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

meine Frau und ich werden in ein paar Tagen von hier aus zu Fuß nach Santiago de Compostela starten. Schon wenn ich das sage, klingt es verrückt und unwirklich. Aber wir freuen uns auf dieses Abenteuer, auch wenn es herausfordernd wird. Wie heißt es so schön: Wer etwas anfängt, kann scheitern. Wer nicht anfängt, ist schon gescheitert. Für unsere Pilgerreise haben wir viel vorzubereiten. Wir brauchen eine Auslandskrankenversicherung, ein Zelt, Rucksäcke, Wanderschuhe, Pilgerführer, Klamotten, etwas zu Essen und viel Wasser. Auch die Dinge zu Hause sollten wir geordnet haben. Was ist, wenn etwas passiert? Wer kommt im Fall der Fälle an unsere Dokumente? Wer entscheidet in medizinischen Notfällen?

Wir sortieren also gerade unsere Dokumente und stellen Vollmachten aus. Patientenverfügungen zum Beispiel. Betreuungsvollmachten. Und Vertretungsvollmachten für verschiedene Anlässe. So eine Vollmacht beschreibt meist die Sache, um die es geht. Die Konditionen geregelt. Und es wird geregelt, wer mit dieser Vollmacht handeln darf. Wer eine solche Vollmacht hat, der trägt auch Verantwortung. Denn eine Vollmacht – und das steckt bereits im Wort drin – verleiht Macht.Um

Macht und Vollmacht geht es auch im heutigen Predigttext.In Matthäus 28 steht ab Vers 16:
16 Die elf Jünger gingen nach Galiläa. Sie stiegen auf den Berg, wohin Jesus sie bestellt hatte. 17 Als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Aber einige hatten auch Zweifel. 18 Jesus kam zu ihnen und sagte: »Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde. 19 Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jünger und Jüngerinnen zu werden. Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! 20 Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe! Seid gewiss: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.«

Jesus spricht: „Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde.“ Luther übersetzte das mit den etwas bekannteren Worten: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Macht? Gewalt? Wo ist der Unterschied? Diese Begriffe zu trennen, ist gar nicht so einfach. Denn die Bedeutung von Worten ändert sich im Laufe der Zeit und im Kontext. Die meisten modernen Übersetzungen nutzen für das griechische Wort ἐξουσία (exousia) im Deutschen den Begriff „Macht“. Luther spricht von Gewalt. In seiner Zeit war „Gewalt“ nicht nur negativ konnotiert. Sie bedeutete auch „Ordnung“ und damit „Sicherheit“. Heute verstehen wir unter Gewalt eher Unterdrückung, rohe Kraft und unrechtmäßiges Vorgehen.

Auch der „Macht“ begegnen wir heutzutage skeptisch. Dabei ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie die Gewaltenteilung. Hier sieht man, dass die Begriffe ineinander übergehen. Denn ganz offensichtlich sagen wir nicht Machtteilung. Wir haben die Legislative, also das gesetzgebende Parlament, die Exekutive, also die ausführende Regierung und die Judikative, also die Recht setzenden und prüfenden Gerichte. Und wir haben die Medien, die sich immer mehr zur vierten Gewalt entwickelt haben. Unter diesen Institutionen ist die staatliche Macht auf verschiedenen Ebenen aufgeteilt. Nicht umsonst werden wir misstrauisch, wenn eine der vier Institutionen zu viel Macht haben könnte. Das kann man in den Diskussionen der sozialen Netzwerke gut beobachten. Und zurecht kritisieren wir als Kirche Abhängigkeitsstrukturen und negative Machtverhältnisse.

Wir trauen Macht nicht über den Weg. Wie passt das dann zu unserem Text? Und meint Jesus überhaupt diese politische, von Menschen ausgeübte Macht? Ist die identisch mit der göttlichen Macht? Die Bibel gibt da meines Erachtens eine eindeutige Antwort. Gottes Macht ist nämlich anders. Anders, als das, was wir Menschen als Macht definieren. Ihre Quelle ist die befreiende Liebe Gottes. In der Lesung aus Jesaja 43 haben wir folgenden Satz gehört: „So spricht der Herr, der Dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich befreit. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir.“ So spricht Gott zu seinem Volk und – da bin ich mir sehr sicher – so spricht Gott auch zu uns.

Gottes Fokus liegt auf uns Menschen. Er sucht uns, weil wir Menschen zu ihm gehören. Weil wir mit ihm in Beziehung sein können. Und für dieses Ziel setzt er seine Macht ein. Und diese Macht bedeutet nicht Herrschaft über andere. Gottes Macht ist sanft. Sie ist liebevoll, weil sie Gottes Liebe entspringt. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Über diesen Bibelvers aus Römer 12,21 haben die Konfirmandinnen und Konfirmanden vor ein paar Wochen nachgedacht. So eine Haltung kann machtvoll Teufelskreise durchbrechen. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ lesen wir 2. Korinther 12,9. Und die Bergpredigt ist ein Manifest der Macht der Liebe. Diese göttliche Macht ist Jesus gegeben. Er sagt: „Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde. 19 Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jünger und Jüngerinnen zu werden.“ Jesus erteilt uns quasi eine klassische Vollmacht. Jesus beschreibt zuerst, worum es geht. Um Gottes Macht er Liebe. Und er sagt, wer diese Vollmacht bekommt: Seine Jüngerinnen und Jünger und damit wir Christen. Und er macht die Konditionen klar. Ladet die Menschen in meinem Namen ein, ebenfalls an der Macht der Liebe teilzuhaben. Ladet sie ein, ebenfalls Jüngerinnen und Jünger zu werden.

Was fangen wir nun mit der Vollmacht an? Wie kann ich, wie können Sie diese Vollmacht umsetzen? Das ist ja ein ganz schön respekteinflößender Auftrag. Im Gegensatz zu menschlichen Vollmachten ist der Bevollmächtigende, also Jesus, in diesem Fall nicht weg. Er ist noch da. Mehr noch: Er stärkt uns den Rücken, wenn wir mit seiner Vollmacht losziehen: „Seid gewiss: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.“ Da bleibt immer noch die Herausforderung, wie wir das nun konkret angehen können. Vor ein paar Tagen hat eine Kirchvorsteherin eine Email herumgeschickt. Es ging um die Social Media Kanäle der Gemeinde. Sie regte an, dass jeder, der in der Gemeinde von etwas begeistert ist, es für diese Kanäle zur Verfügung stellen kann. Die kleine Begegnung im Alltag. Die bereichernde Veranstaltung in der Gemeinde. Die Schönheit von Gottes Schöpfung in Bad Nauheim. Wenn Sie die Ergebnisse interessieren, dann schauen Sie gerne mal bei Instagram und Facebook vorbei. Mich hat diese Email begeistert. Weil so unsere Gemeinschaft bereichert wird. Wir teilen die kleinen und großen Freuden des Alltags, die Herausforderungen und das im Lichte unseres Glaubens als Christen. Und wir teilen das mit allen Menschen. Sozusagen mit aller Welt.

Ich bin mir sicher, dass wir schon hier mit der Vollmacht Jesu starten. Wer in alle Welt gehen will, der muss einen ersten Schritt machen. Also würde ich sagen: Auf geht es. Reden wir über das, was uns begeistert. Reden wir über das, was unser Leben trägt. Reden wir über unseren Glauben. Nicht aufdringlich, Nicht bedrängend. Sondern in der sanften, klaren Art, wie es Jesus getan hat. Nicht mit dem weltlichen Machtanspruch eines Missionsbefehls. Sondern mit der sehnenden Liebe Gottes nach dem Menschen. Das Evangelium ist der Grund, weshalb wir uns hier im Gottesdienst versammeln. Es trägt unsere Gemeinschaft. Und es kann andere Menschen tragen. Und wenn wir davon reden, haben wir Rückenwind. Denn Jesus Christus spricht:

„Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde. 19 Geht nun hin zu allen Völkern und ladet die Menschen ein, meine Jünger und Jüngerinnen zu werden. Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! 20 Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe! Seid gewiss: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt.“

Lied EG 369

Fürbitten
Gott, Deine Macht ist so anders, als unsere menschlichen Vorstellungen. Sie ist sanft. Geprägt von Deiner Liebe zu uns Menschen. Schenke uns, dass sich diese Liebe kraftvoll ausbreitet. Wir bitten Dich: Mache uns zu Boten Deiner guten Nachricht. Schenke uns Phantasie und Glaubensmut, Schritte zu anderen Menschen zu gehen.

Gott, wir bitten Dich, dass die Mächtigen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weise regieren und handeln. Für die Opfer von Krieg und Gewalt bitten wir Dich, dass sie die Hoffnung nicht aufgeben. Schenke ihnen Frieden und Zuversicht und lass uns unseren Teil dazu beitragen, dass alle Menschen ein würdiges Leben führen können.

Gott, wir bitten Dich für die Kranken, die Einsamen und die Sterbenden. Sei Du ihnen nahe. Sei ihnen Trost in schweren Stunden und schenke Menschen, die ihnen beistehen.

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Lied EG 590

 

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

 

Musik

Gottesdienst am 4.7.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst heute, am 5.  Sonntag nach Trinitatis! Was gibt uns Kraft für unser Leben? Was hilft uns, durch Höhen und Tiefen zu kommen? Wo sind die Quellen unserer Spiritualität? Um diese Fragen geht es im Gottesdienst heute.

Nach so langer Zeit feiern wir heute endlich wieder das Abendmahl. Darauf freue ich mich sehr! In anderer Form als sonst, doch ebenso würdevoll möge es werden. Dazu liegt neben Ihrem Platz ein kleiner Teller mit Brot und Trauben. Sie sind herzlich eingeladen, es mitzufeiern! Singen werden wir noch nicht. Aber Timo Kreuder wird für uns das „Heilig, heilig“  und das „Christe, du Lamm Gottes“ stellvertretend singen.  Dafür und für die musikalische Gestaltung dieser Stunde ein herzliches Dankeschön.

Ein Wort aus Eph.2,8 begleitet uns in die neue Woche: „Durch die unverdiente Gnade seid ihr gerettet worden. Es ist nicht euer eigenes Werk, es ist Gottes Geschenk.“
Wir feiern den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Meditation zu Psalm 73
Wenn mir auch Leib und Seele verschmachten, bleibst du, Gott, der Trost meines Herzens.
Ich setze mein Vertrauen auf dich, du gibst mir Halt.

Als ich strauchelte und ausglitt, hast du mich ergriffen und mir den Weg gezeigt, den ich gehen kann.

Dass es den Hochmütigen und Prahlenden so gut geht und ihre Worte bejubelt werden, kann ich nicht verstehen.

Aber ich will mich mit ihnen nicht vergleichen, sondern trotzdem bei dir bleiben, mein Gott.

Du hältst mich bei meiner rechten Hand und zeigst mir meinen Weg.

Und am Ende nimmst du mich mit Ehren an. Darum frage ich nicht mehr nach Himmel und Erde, wenn ich nur dich habe. Wenn mir auch Leib und Seele verschmachten, bleibst du, Gott, der Trost meines Herzens.

Lied EG 625,1-3
1 Wir strecken uns nach dir, in dir wohnt die Lebendigkeit. Wir trauen uns zu dir, in dir wohnt die Barmherzigkeit. Du bist, wie du bist: schön sind deine Namen. Halleluja. Amen. Halleluja. Amen.
2 Wir öffnen uns vor dir, in dir wohnt die Wahrhaftigkeit. Wir freuen uns an dir, in dir wohnt die Gerechtigkeit. Du bist, wie du bist: schön sind deine Namen. Halleluja. Amen. Halleluja. Amen.
3 Wir halten uns bei dir, in dir wohnt die Beständigkeit. Wir sehnen uns nach dir, in dir wohnt die Vollkommenheit. Du bist, wie du bist: schön sind deine Namen. Halleluja. Amen. Halleluja. Amen.

Gebet
In deine Gegenwart kommen wir, unser Gott, mit allem, was wir mitbringen: unser Alltagsglück und unsere Freude, unsere Enttäuschungen und unsere Sorgen. Wir möchten Kraft tanken und Ruhe. Möchten uns neu im Glauben ausrichten. Wir möchten uns stärken lassen für einen neuen Aufbruch. Lass uns heute die Kraft deiner Liebe spüren. Das bitten wir im Namen deines Sohnes Jesus Christus. Amen.

Lesung aus dem 1. Kor.1,18-25
Paulus schreibt: „Vom Kreuz zu erzählen, gilt denen als unklug, die zugrunde gehen. Uns aber rettet es, weil Gottes Kraft darin liegt. Denn es steht in der Schrift: ‚Ich mache die Weisheit der Weisen zunichte, und den Verstand der Verständigen setze ich ins Unrecht.‘  
Wo sind die Weisen? Wo sind die Gelehrten? Wo sind die, die in dieser Welt das Wort führen? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als kurzsichtig erwiesen? Umgeben von Gottes Weisheit hat die Welt mit ihrer Weisheit Gott nicht erkannt. Deshalb hat Gott es den Glaubenden geschenkt, sie durch die unkluge Verkündigung zu retten.
Es gibt jüdische Menschen, die erwarten Zeichen Gottes, und es gibt griechische Menschen, die suchen Weisheit;  wir aber verkündigen den gekreuzigten Messias. Manche jüdischen Menschen halten das für ein Ärgernis, manche aus den Völkern für unvernünftig. Denen aber, die von Gott gerufen werden, ob jüdisch oder nichtjüdisch, verkörpert der Messias göttliche Macht und göttliche Weisheit.
Denn das Unkluge, das zu Gott gehört, ist weiser als die Menschen es sind; und das Schwache, das zu Gott gehört, ist stärker als die Menschen es sind.

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Liebe Gemeinde,
die Sache mit dem Kreuz ist gar nicht so einfach wie sie scheint.

Eine Grundschulklasse besuchte mit ihrer Religionslehrerin die Kirche. Alles wurde angeschaut und eingehend erklärt: die Kanzel, die Orgel, das Taufbecken und der Altar. Da schaute ein Kind am Altar nach oben und entdeckte das große Kreuz. „Was macht denn der Mann da oben?“  fragte es und zeigte verwundert auf das Kruzifix. Ja, diese Frage kommt inzwischen öfter bei Kindern vor, denn das elementare Wissen über christliche Inhalte hat in unserer Gesellschaft in der Tat abgenommen. Und doch steckt hinter dieser Frage noch mehr. Das Erschrecken eines Kindes über das, was es dort sieht. Und das wiederum erinnert mich an eine Szene aus unserer eigenen Familie. Es war in der Hauptstraße in Heppenheim an der Bergstraße, am Randes des Odenwaldes. An einer Kreuzung der Darmstädter Straße stand ein lebensgroßes Kruzifix. Täglich fuhr ich mit meinen Kindern im Auto daran vorbei, und jedes Mal rief eines der Kinder völlig entrüstet: „Mama, der hängt da immer noch!“  Für Kinder im Vorschulalter sind Statuen, Figuren und Darstellungen etwas Lebendiges, und nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum unser Kind so verstört und empört reagierte. Damit wollte es also im Grunde sagen: Den muss man da doch abnehmen! Das geht doch nicht! Das kann man doch nicht zulassen! Es dauerte übrigens Monate, bis unser Kind sich darüber beruhigte und offenbar einen anderen Zugang dazu gewinnen konnte.

Wir Erwachsenen haben uns so sehr an Kreuzesdarstellungen gewöhnt. Erst die Kinder mit ihren unverstellten Fragen, mit ihren unschuldigen Reaktionen stoßen uns wieder darauf, wie anstößig, wie befremdlich eigentlich das ist, was wir sehen: einen Menschen, der das Opfer eines brutal agierenden Unrechtsstaates geworden ist. Machen wir uns nichts vor:

Viele Menschen hinterfragen heute laut oder leise das Geschehen am Kreuz: „Musste das sein?“ „Ich mag das gar nicht immer anschauen!“ „Wie soll ich das eigentlich verstehen?“

Und mit diesen Fragen und Empfindungen finden sie sich in bester Gesellschaft wieder: schon zur Zeit der ersten christlichen Gemeinden gab es dieses Befremden gegenüber dem, was am Kreuz geschehen war. Der Apostel Paulus spricht davon, dass die einen das Ganze für ein „Ärgernis“ hielten und die anderen es einfach für „unvernünftig“ erklärten.

War Jesus gescheitert? Diese Frage beschäftigte seine Jünger zentral nach den Ereignissen von Jerusalem. Mit seiner Sanftmut, mit seinen Seligpreisungen, mit seiner Friedensethik und mit seinem so überaus liebevollen Handeln den Menschen gegenüber? Die Emmausjünger klagen auf ihrem Weg zurück in ihr Heimatdorf: „Jesus, das war der Profet, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allen Menschen – doch dann wurde er gekreuzigt. Und wir hatten gehofft, er würde Israel erlösen.“ Und er war ja nicht der einzige - überaus viele andere erlitten unter den Römern dasselbe Schicksal. Wie sollte man das alles verstehen? Einerseits war er der wundertätige Heiler – und wurde andererseits selbst verwundet. Er hatte den Sturm gestillt – und wurde dann selbst bezwungen. Er hatte so viele Menschen aus der Not gerettet – und erlebte zuletzt selbst die ultimative Not. Viele waren irritiert. Macht und Ohnmacht lagen hier so nahe beieinander. Und alle gängigen Vorstellungen von einem siegreichen Messias wurden durchkreuzt, im wahrsten Sinne.

Trotzdem sagt Paulus: „Vom Kreuz zu erzählen, das rettet uns, weil Gottes Kraft darin liegt.“ Daran hält er fest. Paulus kann das sagen, weil das Wort vom Kreuz für ihn immer zugleich auch das Wort von der Auferstehung bedeutet.  Nur von der Auferstehung her bekommt das Ganze einen Sinn! Sie ist der finale, letztgültige Stempel Gottes für diesen Weg Jesu. Mit der Auferweckung seines Sohnes bestätigt Gott, dass dieser ganze Weg Jesu in seinem Sinne war. Dass es ein Ausdruck der grenzenlosen Liebe Jesu zu den schuldigen Menschen war. Von der Auferstehung her wird erkennbar, dass Gott ihn die ganze Zeit hindurch unsichtbar begleitet hat. Und dass Jesus nicht verlassen war, auch wenn er dies so empfunden hat.  Man muss also offenbar genauer hinschauen. Man muss einen tieferen Blick gewinnen. Dann wird deutlich, dass gerade dieser Messias göttliche Macht und göttliche Weisheit in sich trägt. Unter dem Gegenteil verborgen, sozusagen.

Das Wort vom Kreuz hatte in den urchristlichen Gemeinden tatsächlich eine ungeheure Kraft, denn es stellte die gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Kopf. Reiche und Arme waren da in derselben Gemeinde versammelt, Freie Bürger gehörten dazu, aber genauso auch Sklavinnen und Sklaven. Der Sohn Gottes war selbst durch die Ohnmacht hindurchgegangen. Alles Äußere war ihm genommen worden. Und dadurch erkannten alle, die ihm nachfolgten, dass es im menschlichen Miteinander nicht mehr auf das Äußere ankam, nicht auf Ansehen und auf den Besitz, sondern auf das Innere eines jeden Menschen, auf seine Person, auf seine Liebesfähigkeit und auf seine Liebesbedürftigkeit.

So werden auch wir heute zusammengebracht, in unseren Gemeinden.  Die Kraft des Evangeliums überwindet alle kleinlichen Unterschiede und Grenzen, die wir sonst so oft zwischen uns ziehen. Wir alle gehören zusammen und sind miteinander verbunden. Das dürfen wir gerade und ganz besonders im Abendmahl miteinander feiern und erleben.

Immer wieder erfahren Menschen diese Kraft, die im Wort vom Kreuz steckt, auch in ihren eigenen Lebenskrisen. Es gibt Momente, in denen wir meinen, ganz unten angekommen zu sein. Wo wir den Eindruck haben, dass niemand uns versteht, niemand nachvollziehen kann, wie es uns geht – weil alles so beschämend ist oder so schwer. In diesen Momenten ist es ungemein tröstend, sich den Sohn Gottes vor Augen zu stellen: er hat selbst die tiefsten Tiefen des menschlichen Lebens ausgelotet. Er war ganz unten. Er weiß, wie es mir geht, wenn ich mich elend fühle. Deswegen ist er mir genau dort auch nahe und führt mich auf den Weg, den er selbst gegangen ist: aus dem Leid wieder ins Leben zurück. Gottes Liebe zu uns kennt keine Grenzen. Und seine Solidarität mit uns Menschen ist so tief wie das Meer. Darin liegt der Kern des Evangeliums.

Aus dieser Kraftquelle können wir schöpfen.  Sie tröstet uns. Sie richtet uns auf. Sie heilt uns und spendet uns Leben.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied 398, 1.2
1 In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ! Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist; hilfst uns von Schanden, rettest von Banden. Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben. Halleluja. Zu deiner Güte steht unser G’müte, an dir wir kleben im Tod und Leben; nichts kann uns scheiden. Halleluja.
2 Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod, du hast’s in Händen, kannst alles wenden, wie nur heißen mag die Not. Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren mit hellem Schalle, freuen uns alle zu dieser Stunde. Halleluja. Wir jubilieren und triumphieren, lieben und loben dein Macht dort droben mit Herz und Munde. Halleluja.

Abendmahl

Vaterunser

Abkündigungen

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Musik

Gottesdienst am 27.6.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Begrüßung
„Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal 6,2). Das ist der Wochenspruch für die heute beginnende Woche. Über fehlende Lasten können wir uns nicht beklagen, egal, ob es um die kleinen Lasten des Alltags oder die großen Lasten von Leib und Seele geht. In diesem Gottesdienst geht es darum, einige Lasten unseres Miteinanders nicht nur auszuhalten, sondern zu verändern. Es gibt biblische Vorbilder, an denen wir uns orientieren können. Und es gibt Gottes Hilfe, um die wir heute bitten können.

Votum

Lied EG 449 Die güldne Sonne (Strophen 1+4+6)

Psalm 42
Meine Seele dürstet nach Gott
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Meine Seele dürstet nach Gott,
nach dem lebendigen Gott.
Wann werde ich dahin kommen,
dass ich Gottes Angesicht schaue?
Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht,
weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?
Daran will ich denken
und ausschütten mein Herz bei mir selbst:
wie ich einherzog in großer Schar,
mit ihnen zu wallen zum Hause Gottes
mit Frohlocken und Danken
in der Schar derer, die da feiern.
Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.
Am Tage sendet der Herr seine Güte,
und des Nachts singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens.
Ich sage zu Gott, meinem Fels:
Warum hast du mich vergessen?
Warum muss ich so traurig gehen,
wenn mein Feind mich dränget?
Es ist wie Mord in meinen Gebeinen, wenn mich meine Feinde schmähen
und täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?
Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.
Ps 42,2-6.9-12

Gebet
Gott, unser Vater, hilf uns, geschwisterlich miteinander umzugehen. Du ermutigst uns, erste Schritte der Versöhnung zu gehen, statt auf das Entgegenkommen der anderen zu warten. Du willst dir das Urteil über andere nicht aus der Hand nehmen lassen. Hilf, dass wir einander ertragen lernen, indem wir uns ein Beispiel nehmen an Jesus Christus, unserm Herrn.

Lesung Lukas 6,36-42

36»Seid barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist.37Ihr sollt andere nicht verurteilen, dann wird auch Gott euch nicht verurteilen. Sitzt über niemanden zu Gericht, dann wird Gott auch über euch nicht zu Gericht sitzen. Vergebt anderen, dann wird Gott auch euch vergeben.38Schenkt, dann wird Gott auch euch beschenken: Ein gutes Maß wird euch in den Schoß geschüttet –festgedrückt, geschüttelt und voll bis an den Rand. Denn der Maßstab, den ihr an andere anlegt, wird auch für euch gelten.«
39Jesus erzählte ihnen auch ein Gleichnis: »Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden sie nicht beide in die Grube fallen?40Kein Jünger steht über seinem Lehrer. Auch wenn er fertig ausgebildet ist, ist er nur wie sein Lehrer.
41Du siehst den Splitter im Auge deines Bruders oder deiner Schwester. Bemerkst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge?42Wie kannst du zu deinem Bruder oder zu deiner Schwester sagen: ›Komm her! Ich zieh dir den Splitter aus deinem Auge. ‹Siehst du nicht den Balken in deinem eigenen Auge? Du Scheinheiliger! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge! Dann hast du den Blick frei, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders oder deiner Schwester zu ziehen.«

Glaubensbekenntnis

Lied EG 428 1+2+5 Komm in unsre stolze Welt

Predigt
„Man kann sich seine Familie nicht aussuchen.“ Der Mann saß vor seiner Kaffeetasse und schaute in die milchbraune Pfütze darin. Graue Haare fielen ihm in die Stirn und ließen Schuppen auf sein schwarzes Jackett rieseln. Er strich die Haare zurück, sah auf und blickte auf die Frau in den Fünfzigern, die ihm gegenüber saß. Dann ließ er seinen Blick durch die Gaststube mit den dunkel gekleideten Menschen schweifen. Ungefähr die Hälfte von ihnen war Verwandtschaft. Der Rest waren Freunde und Bekannte. Sie saßen in Gruppen an den Tischen, aßen Butterkuchen und hoben ab und zu die Thermoskannen, um zu sehen, ob noch Kaffee da war. Manche redeten noch über Vater, der nun seit knapp zwei Stunden neben seiner Frau auf dem Friedhof lag. Bei anderen war das Gespräch schon bei der Arbeit, der Politik oder den Enkelkindern.
 
„Man kann sich seine Familie nicht aussuchen“, wiederholte er mit Nachdruck. „Du wirst geboren und dann ist die Familie schon da. Vielleicht kriegst du noch Geschwister oder einen Stiefvater, aber darauf hast du keinen Einfluss. Und ob sie dich unterbuttern oder du Mutters Nesthäkchen wirst, entscheidest du auch nicht selbst.“ Die Frau ihm gegenüber schwieg und überlegte, ob sie sich schuldig fühlen sollte, weil sie das Nesthäkchen gewesen war.

„Nicht jeder kriegt die Familie, die er verdient“, setzte er hinzu. „Überhaupt kriegen die meisten nicht das, was sie verdienen. Jedenfalls, wenn ‚verdienen‘ bedeutet, dass man dafür was getan hat. Du kriegst vielleicht Geld für deine Arbeit. Aber ‚verdienen‘? Wenn du den Betrieb deines Vaters erbst und der läuft gut und du kaufst dir einen Mercedes – nicht mal dann hast du dir den komplett verdient. Und wenn du studierst, weil dir deine Eltern in der Schule geholfen und immer schöne Bücher gekauft haben – hast du das dann etwa mehr verdient als der Michi aus deiner Klasse, der schon als Zweijähriger Stubenarrest gekriegt und später nicht mal seinen Hauptschulabschluss geschafft hat? Was verdient man überhaupt im Leben? Dass du Krankheiten kriegst oder dein Kind einen Unfall hat?“ Seine Stimme brach kurz weg. Dann fing er sich wieder.
 
„Ich sag dir was. Das eigentliche Problem ist, dass die Leute nicht wahrhaben wollen, dass sie sich fast nichts in ihrem Leben verdient haben. Ihren Erfolg, ihr Haus, ihr Auto, ihre Frau, ihre Gesundheit. Nimm dir einen beliebigen Lebenslauf. Und dann lass mal plötzlich den liebevollen Papa weg. Oder die Oma, die sich immer gekümmert hat. Oder den tollen Deutschlehrer. Die Ehefrau, die kostenlos den Haushalt und die Kinder versorgt. Oder nimm den Zufall weg, dass du in Deutschland geboren bist und nicht in Somalia. Und so weiter. Dann merkst du, dass du fast nichts von all dem Mist selbst verdient hast. Dass total viel Glück eine Rolle spielt, wenn’s dir gut geht. Aber das wollen die Leute ja nicht wahrhaben. Weil das an ihrem Selbstbewusstsein kratzt. Und wenn sie sich eingestehen würden, dass man das meiste unverdient geschenkt bekommen hat, müssten sie ja vielleicht zu dem Schluss kommen, dass man auch mal was abgeben könnte. Wenn man schon nicht gerecht teilt. Weil noch nie gerecht geteilt worden ist.“ Seine Stimme wurde bitter.
 
Die Frau sah an ihm vorbei zu einem Mann, der zwei Tische weiter saß. Er hatte den Gesichtsausdruck eines angemessen trauernden Sohnes. Aber er wirkte nicht trostbedürftig. Er wirkte überhaupt nicht bedürftig, sondern kümmerte sich um die Leute um ihn herum. Obwohl er auf die Sechzig zuging, sah er attraktiv aus in seinem dunklen Anzug und strahlte Selbstsicherheit und Zugewandtheit aus. Er wirkte wie der Gastgeber hier, dabei hatten seine vielen Geschwister sich um alles hier gekümmert. „Hast du mal mit ihm geredet?“, fragte sie. „Ich bin doch nicht blöd!“, entgegnete er. „Es hat sich nichts geändert. Es ist genau wie früher. Einer ist der Prinz und die anderen liegen ihm zu Füßen.“
 
Lassen Sie uns für einen Moment aus der Geschichte herausspringen. „Einer ist der Prinz“, das kennt man. Manchmal ist der kleine Bruder der Prinz, manchmal der Kollege in der Firma, manchmal die Nachbarin. Der Prinz kriegt meistens, was er will. Er weiß, wie man sich bei denen, die Einfluss haben, lieb Kind macht. Die anderen müssen eben zusehen. Manchmal ist das nur anstrengend, aber richtig weh tut es unter Geschwistern.

Wer sich in der Kindheit ungerecht behandelt fühlt, vergisst das nicht. Im Gegenteil. Oft wird es schlimmer mit zunehmendem Alter. Alle Gefühle von Ungerechtigkeit und Zurücksetzung sind wieder da. Und all die Fragen. „Hast du meine Schwester wirklich mehr gemocht als mich? Oder hat es nur so ausgesehen?“ „Warum hat unser Bruder den Betrieb allein geerbt und nicht wir alle zusammen?“ „Hatten wir anderen deine Zuneigung nicht verdient?“ Wenn man das aber die Eltern nicht mehr fragen kann, weil sie inzwischen verstorben sind, muss man wohl oder übel ohne Antwort weiterleben. Und sich fragen, wem man jetzt die Schuld für das alles geben soll.
 
In unserem heutigen Predigttext, der Geschichte von Josef und seinen Brüdern scheint verhältnismäßig klar, wer die Bösen und die Guten sind: Die Bösen sind die Geschwister, die das Lieblingskind ihres Vaters nach Ägypten verkauft haben. Sie haben sich von ihrer Eifersucht zu einem Verbrechen hinreißen lassen und ihren Vater belogen und getäuscht. Ihr Bruder Josef dagegen ist der Gute, Edle, der unschuldig zum Sklaven wird, durch eine Intrige im Gefängnis landet, aber dann doch wie Phönix aus der Asche steigt und das Leben eines großen Patriarchen führt. Er kann es sich am Ende sogar leisten, seine ganze Großfamilie mitzuversorgen. Ich lese
 
Lesen des Textes. 1. Buch Mose 50,15-21
Josefs Edelmut und sein Tod
15Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.
16Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: 17So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte.
18Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. 19Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? 20Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber
Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. 21So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.

Wenn man nun das Evangelium noch im Ohr hat, verliert die Josefsgeschichte plötzlich etwas von ihrer märchenhaften Eindeutigkeit. „Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge?“ Einen Splitter im Auge hat auch Josef. Er hatte ja früher offenbar keine Schwierigkeiten damit, das Lieblingskind zu sein und bevorzugt zu werden. Im Gegenteil. Er zeigte sein Überlegenheitsgefühl und seine Herrschaftsträume deutlich genug. Natürlich ist das nicht halb so schlimm wie der Verkauf des eigenen Bruders, aber die feine Art ist es auch nicht gerade. In Wirklichkeit hat nicht nur Josef seinen Brüdern etwas zu vergeben, sondern auch umgekehrt. Genau genommen hätte auch der Vater, der seinen Lieblingssohn so schamlos bevorzugt hat, die Vergebung seiner Kinder nötig gehabt.

Lässt sich das überhaupt alles ausräumen, wie es der biblische Text behauptet? Oder wird hinter der nackten Existenzangst, die Josefs Brüder zur Unterwerfung treibt und sie aus Angst einen Versöhnungswunsch des alten Vaters erfinden lässt, die alte Eifersucht immer weiterschwelen? Hat vielleicht Josef seine Brüder am Ende so bereitwillig versorgt, nicht, weil er es sich leisten konnte, sondern weil er eingesehen hatte, dass er ihnen auch etwas schuldig geblieben war? Und weil er nicht über die Lippen brachte, dass er auch auf ihre Vergebung angewiesen war und nicht nur sie auf die seine?
 
Nur in den ganz extremen Fällen sind Schuld und Vergebung einseitig verteilt. Im normalen Familienleben ist es meistens komplizierter. Meist sieht man die größere Schuld bei anderen und bei sich selbst die kleinere – wenn überhaupt. Man glaubt zu wissen, was man selbst verdient hätte und was der andere verdient hätte. Nur: der andere glaubt es auch zu wissen. Bloß andersherum. Deswegen warten beide auf den ersten Schritt des anderen. Vergeblich.
 
Der gedämpfte Lärm in der Gaststube nahm ab. Langsam leerte sich der Raum. Noch immer saß der Mann am Tisch und hielt sich an der kalten Kaffeetasse fest. Die Frau ihm gegenüber legte ihm die Hand auf den Arm. „Es tut mir leid, dass ich das Nesthäkchen war“, sagte sie. „Ich fand es schön, von allen verhätschelt zu werden, aber ich habe nicht darüber nachgedacht, dass es dich oder euch kränken könnte.“ Überrascht sah er auf. „Aber ich meinte gar nicht dich“, sagte er. „Du musst dich doch nicht entschuldigen. Ich meinte ihn.“ Er sah zum seinem Bruder hinüber. Dieser wirkte inzwischen nicht mehr so attraktiv und selbstbewusst wie noch vor einer Viertelstunde. Die Freunde der Familie hatten sich verabschiedet. Niemand war mehr da, um den der gut gekleidete Mann sich kümmern konnte. Der letzte Mensch, dessen Lieblingskind er gewesen war, war unter der Erde. Und obwohl alle seine Geschwister noch da waren, saß er jetzt allein und spielte mit den Krümeln auf der Tischdecke. Trotz seiner augenscheinlichen Einsamkeit schien er noch nicht gehen zu wollen.
 
Seine Schwester bemerkte es auch. Dann sah sie ihr Gegenüber an. „Vielleicht bin nicht ich die, die sich entschuldigen muss“, sagte sie. „Aber vielleicht kann er auch nicht so viel dafür, wie wir denken. Vielleicht konnten nicht mal unsere Eltern so viel dafür. Du hast schon Recht: Was verdient man schon in seinem Leben! Unser verkorkstes Verhältnis haben wir alle nicht verdient. Deswegen kann genauso gut ich den Anfang machen.“

Lied EG+ 135 Wie ein Fest nach langer Trauer

Fürbitten
Gott, deine Augen sehen die Welt. Du übersiehst uns nicht und du übersiehst auch kein Unrecht. Dafür danken wir dir.
 
Gott, wir bitten dich für alle Länder, in denen die Bevölkerung gespalten ist und die einen die anderen verteufeln: Lass die Menschen einander zuhören und sich darin üben, die anderen zu verstehen.
 
Gott, wir bitten dich für alle, die sich für Gerechtigkeit einsetzen und denen das Urteilen nicht erspart bleibt: Für Richter, Anwältinnen und Polizisten, für Menschenrechtler und Aktivistinnen. Gib ihnen ein klares Urteilsvermögen und ein gütiges Herz.
 
Gott, wir bitten dich für alle Familien, für die zerstrittenen, aber auch die harmonischen und die vielen, die irgendwo dazwischen liegen: Schenke ihnen anhaltenden Frieden, nachwachsende Freude aneinander und ein vertrauensvolles Miteinander.

Gott, wir bitten dich für alle, die von einem lieben Menschen Abschied nehmen mussten. So bitten wir dich heute besonders für die Angehörigen von _, die wir in dieser Woche unter deinem Segen bestattet haben. Wir bitten dich: Nimm unsere Verstorbenen bei dir auf und tröste die Angehörigen.

Gott, wir bitten dich für uns selbst: Nimm von uns die Lust, über andere zu urteilen.
Schenke uns Wohlwollen und Verständnis. Gib uns einen Gerechtigkeitssinn, der den anderen ebenso dient wie uns selbst.

Vater Unser
Abkündigungen
Segen

Gottesdienst am 20.6.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Wir feiern Gottesdienst. Hier sind alle herzlich willkommen. Um das Suchen und Finden geht es heute. In Gottes Nähe sollen wir finden, was uns glücklich macht. Segen will uns den Rücken stärken – über den Tag hinaus.  All diese Versprechen liegen verborgen in dem Bibelwort aus Lukas 19,10, das uns in die neue Woche begleitet. Hören wir es gemeinsam: „Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ging.“
Lasst uns den Gottesdienst feiern im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Meditation zu Psalm 103
Ich will Gott loben mit meiner Seele und ihm mit allem, was in mir ist, preisen.
   Ich will ihm danken und ihm nicht vergessen, was er mir Gutes getan hat.
Er hat mich geliebt, als ich mich selbst nicht lieben konnte. Seine Gnade und Barmherzigkeit haben mich umhüllt wie ein warmer Mantel.
   Gott hat mich herausgeholt aus dem Loch, in das ich mich zurückgezogen habe.
Er hat mir Freude geschenkt und mich wieder fröhlich gemacht.
   Wie ein Adler kann ich mein Nest verlassen. Gott nimmt mich an trotz allem, was ich getan und gedacht habe.
Seine Gnade ist so groß wie der Himmel, der sich über der Erde wölbt.
   Meine Schuld vergibt er mir und ich darf zu ihm kommen wie zu einem Vater und einer Mutter. Amen.

Lied EG 447,1.2.4
1 Lobet den Herren alle, die ihn ehren; lasst uns mit Freuden seinem Namen singen und Preis und Dank zu seinem Altar bringen. Lobet den Herrn!
2 Der unser Leben, das er uns gegeben, in dieser Nacht so väterlich bedecket und aus dem Schlaf uns fröhlich auferwecket: Lobet den Herren!
4 Gib, dass wir heute, Herr, durch dein Geleite auf unsern Wegen unverhindert gehen und überall in deiner Gnade stehen. Lobet den Herren!

Lesung Lukas 15,1-10
Immer wieder kamen viele Zolleinnehmer und andere Leute, die zu den Sündern gezählt wurden, zu Jesus, um ihn zu hören. Die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sagten: „Mit welchen sündigen Leuten gibt er sich da ab! Er isst sogar mit ihnen!“

Da erzählte ihnen Jesus folgendes Gleichnis: „Stellt euch vor, einer von euch hätte hundert Schafe und eins davon geht verloren, was wird er tun? Lässt er nicht die neunundneunzig in der Wildnis zurück, um das verlorene Schaf solange zu suchen, bis er es gefunden hat? Und wenn er es gefunden hat, so nimmt er es voller Freude auf seine Schultern und trägt es nach Hause. Dort angekommen ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: ‚Freut euch mit mir, ich habe mein verlorenes Schaf wiedergefunden!‘  

Ich sage euch: So wird auch im Himmel Freude herrschen über einen Sünder, der zu Gott umkehrt – mehr als über neunundneunzig andere, die nach Gottes Willen leben und es deshalb gar nicht nötig haben, zu ihm umzukehren.

Oder nehmt ein anderes Beispiel: Eine Frau hat zehn Silbermünzen gespart. Eines Tages verliert sie eine davon. Sofort zündet sie eine Lampe an, stellt das ganze Haus auf den Kopf und sucht in allen Ecken. Endlich findet sie die Münze. Sie ruft ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und erzählt: ‚Ich habe mein verlorenes Geld wiedergefunden! Freut euch mit mir!‘ Genauso freuen sich auch die Engel Gottes, wenn ein einziger Sünder zu Gott umkehrt.“

Gebet
Du, liebender Gott, siehst mich an.
Ich bin in diese Kirche gekommen.
Ich suche dich auf, Gott.
Ich bin auf der Suche nach dir – mit meinen Gedanken.
Mit meiner Seele.
Und mit meinem Gebet.
Ich bin durstig nach dir.
Und das ist meine Bitte:
Dass du mich findest.
Mich ansprichst und mich berührst.
Komm auf mich zu mit deinem guten Wort
Und mit deinem Segen.
So kann ich leben.
Und finde neue Kräfte. Amen.

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Es gibt ein Ritual bei uns zuhause, liebe Gemeinde, und das geht so -  ich frage meinen Mann: „Hast du mein Handy gesehen?“ Er antwortet: „Ach, schon wieder? Also:  grundsätzlich hilft es, zu überlegen, wo du es zuletzt gehabt hast…“ „Ja, wenn ich das wüsste...kannst du mich mal anrufen?“ Und er tut es wieder einmal in seiner unnachahmlichen Geduld. Bald schon klingelt es irgendwo im Haus. Ganz leise. Aber verheißungsvoll. Mit spitzen Ohren laufe ich dem vertrauten Ton entgegen. „Ich hab’s!“ kommt dann endlich der ersehnte Schrei.

Alltagsrituale. Gut, wenn man darüber noch lachen kann. Gut, wenn man vor allem über sich selbst lachen kann. Das Handy kann man ja jedenfalls noch anrufen. Bei der Lesebrille, dem Schlüsselbund, dem Portemonnaie oder dem Schulheft wäre es schon schwieriger. Ja, Suchen und Finden sind ein Teil unseres Lebens. Es ist ärgerlich, weil es uns unterbricht und unnötige Zeit raubt. Es ist aber auch lehrreich, weil wir wieder einmal daran erinnert werden, dass alles irgendwo wohnen sollte und seinen festen Platz haben sollte. Vor allem aber gehört ja zu diesem Spiel die Freude! Die große Erleichterung, etwas wiedergefunden zu haben. Denn immer ist damit das Gefühl verbunden, dass die Welt wieder etwas mehr in Ordnung ist, vollständiger und runder ist.

Vor allem von der Freude handeln auch die beiden Gleichnisse, die Jesus erzählt. Die Freude über das Wiedergefundene, das ist die Pointe der beiden kleinen Beispielgeschichten. Der Hirte mit seinem verlorenen Schaf und die Frau mit ihrer Silbermünze -  sie beide halten mit ihrer Freude und Erleichterung nicht hinter den Berg. Schnell rufen sie ihre Freunde und Freundinnen, ihre Nachbarn und Nachbarinnen zusammen und fordern sie begeistert auf: „Freut euch mit mir! Ich muss euch etwas erzählen.“  Wir sind da wohl heute meistens verschämter. Über das eigene Missgeschick spricht man halt nicht gern; das ist doch peinlich! In welches Licht gerät man denn dann…  In den Gleichnissen aber wird die Freude großzügig mit anderen geteilt. Dieses Glück des Wiederfindens ist doch alles andere als selbstverständlich! Deshalb können es ruhig alle wissen. Und schließlich ist das Suchen und das Finden doch einfach auch etwas ganz Menschliches, das jedem und jeder passieren kann.

Warum eigentlich erzählt Jesus diese beiden Gleichnisse? Er will damit sein eigenes Verhalten erklären. Jesus bietet immer wieder denen seine Gemeinschaft und seine Nähe an, die in der Gesellschaft seiner Zeit nicht gut angesehen sind: den Zolleinnehmern,  die mit den römischen Besatzern ihre Geschäfte machen und  denen,  die die Gebote nicht halten und zu den verrufenen Leuten gehören. Nun gibt es aber auch die Pharisäer, die dafür bekannt sind, dass sie im Alltag die Gebote genau befolgen. Und es gibt die Schriftgelehrten, die die Menschen in den Heiligen Schriften unterweisen. Verschiedene Gruppierungen also treten hier auf, und sie alle verhalten sich sehr unterschiedlich Jesus gegenüber: Zöllner und Sünder kommen zu ihm, um ihn zu hören. Gerade sie fühlen sich von ihm angesprochen. Schriftgelehrte und pharisäische Menschen kommen dagegen, um genau diese Nähe zwischen Jesus und den schlecht Angesehenen zu kritisieren, zu hinterfragen. Sie wollen wissen, auf welcher Seite Jesus steht. Und vielleicht sind sie einfach irritiert, denn Jesus hat ja auch schon mehrfach Einladungen zum Essen angenommen, die Pharisäer ihm gegenüber ausgesprochen haben. Also:  wie sollen sie das alles verstehen?

Wir können an dieser Situation etwas sehen: es geschieht sehr leicht, die eigene Identität zu definieren, indem man sich von anderen Gruppen abgrenzt. Häufig zeigt sich die Identität in bestimmten Gruppenzugehörigkeiten.  Das heißt, wir sortieren sowohl uns selbst als auch andere oft ganz schnell bestimmten Gruppen zu: bist du Kaffee- oder Teetrinker? Frühaufsteherin oder Nachtarbeiter, Lerche oder Eule? Dortmund –, Schalke -  oder Bayern - Fan? Grünwähler oder CDU – Wählerin? Solche Vorlieben zeigen etwas von unserem Lebensstil, und sie schaffen uns eine eigene Identität. Oftmals aber wird nun die Identität auch mit einer Art von Negativfolie konstruiert. Das zeigen soziologische Untersuchungen. Das zeigen aber genauso auch unsere Alltagserfahrungen. Menschen haben ein Interesse daran, die eigene Identität aufzuwerten, und das geschieht oft dadurch, dass man andere Gruppen abwertet und sich ganz klar von ihnen abgrenzt.  Mit „den anderen“ möchte man dann auf keinen Fall verwechselt werden, mit ihnen möchte man keine Gemeinschaft haben. Und so entstehen sehr schnell unsichtbare Gräben zwischen den Menschen.

In der letzten Konfirmandenstunde haben wir uns mit den Gleichnissen Jesu aus dem heutigen Predigttext beschäftigt, und ich habe meine Konfis gefragt: Was meint ihr, wer wären heute die verlorenen Schafe oder die verlorenen Münzen? Da kamen viele Antworten: „Ausgegrenzte Leute, Obdachlose, Bettler, drogensüchtige Menschen, politisch oder religiös extreme Leute, oder solche, die andere mobben.“  Zu denen geht man erstmal auf Distanz. Das ist verständlich, aber es schafft ja auch weitere tiefe Risse und Gräben. Und die Frage ist, wie sie überwunden werden können. Und wie man in einen hilfreichen Dialog miteinander kommen kann, der etwas verändert.

Wenn in unserer Geschichte die Pharisäer und Schriftgelehrten murren, dann drücken sie damit nicht nur ihre Gruppenidentität aus. Sie sehen Jesus auch als einen der ihren an, als einen Lehrer, und wollen, dass er sich von den sogenannten Sündern fernhalten soll. Vielleicht wollen sie ihn einfach auch schützen.

Jesus aber nimmt mit seinen Gleichnissen eine andere Perspektive ein, quasi eine göttliche. Er geht immer gerade auf die anderen zu. Auf die, die an den Rändern sind. Er blickt die Menschen anders an. Blickt vor allem jeden Einzelnen anders an. Jesus sieht zuerst auf die Person und erst dann auf ihr Verhalten. Er unterscheidet zwischen Person und Tat. Er schaut den Menschen zunächst mit einem liebevollen Blick an, bevor er ihn beurteilt. Und er blickt durch das Äußere hindurch auf das Innere, durch die Fassade hindurch auf den Kern. Darüberhinaus Jesus geht davon aus, dass Menschen sich auch ändern können. Deshalb kommen sie in Scharen, um ihn zu hören. Deshalb werden sie von ihm angezogen. Und sie erkennen durch das Verhalten Jesu, durch seine Unvoreingenommenheit, dass Gott sie liebt. Trotz alledem. Ich bin davon überzeugt, dass dies das Geheimnis Jesu ist; seine warme, helle und großartige Ausstrahlung auf die Menschen seiner Zeit.

Jesus versteht sich als Sohn Gottes. Er bringt den Menschen Gottes unendliche Liebe entgegen und Gottes Zuwendung. Wenn die Zöllner und Sünder nun zu ihm kommen, um ihn zu hören, wenn sie mit ihm essen und trinken, dann kehren sie zugleich zu Gott um. Dann kommen sie zurück an den gemeinsamen Tisch, in die große Gemeinschaft der Kinder Gottes. Dann ist es, als würden sie wiedergefunden werden. Weil sie bereit sind, ihr Leben zu ändern und neu anzufangen. Mit ihnen wird die Gemeinschaft wieder vollständig. So wie das verlorene Schaf nun wieder die Herde der anderen Neunundneunzig vollständig macht und die verlorene Münze die Zehnerzahl vervollkommnet. So wie ein letztes Puzzleteil, das sich irgendwo in der Wohnung versteckt hatte, wiedergefunden wird und das Puzzle nun endlich fertig wird und schön.

„Freut euch darüber!“ ist also die Botschaft Jesu.  Gottes Gemeinschaft ist größer als ihr denkt. Zieht den Kreis nicht zu klein. Gott freut sich über jeden Menschen, der auf seine Liebe antwortet und zu ihm zurückkommt. Gott gibt niemanden verloren, und jeder einzelne Mensch ist ihm wichtig. Jede und Jeder soll ein Teil der Gemeinschaft sein.

Und dann wechsele ich plötzlich noch einmal die Perspektive. Und bin selbst mitten im Gleichnis drin. Manchmal bin ich ja selbst so wie eine kleine Münze, die davongerollt ist. Und nun irgendwo liegt, im Licht oder im Schatten, mit meinen Fragen und Zweifeln, mit meinen Unsicherheiten, quälenden Gedanken und Sorgen, und ich warte darauf, gefunden zu werden.  Wie gut ist es da, zu hören, dass sich jemand auf die Suche macht, nach mir, nach dir, nach uns allen.  Ein Licht anzündet, in alle Ecken und Räume leuchtet, und auf die Knie geht, um das Verlorengegangene zu finden. Um mich, um dich zu finden. Gott ist wie der Hirte. Gott ist wie die Frau, die uns sucht. Mit dieser Gewissheit dürfen wir leben: dass wir gesucht und gefunden werden. In der Dunkelheit, wenn wir uns klein und verloren fühlen. Oder im Licht, wenn das Leben auf uns scheint. Immer ist jemand da, der nach uns fragt und dem wir wichtig sind. Immer ist jemand da, der uns liebt. Gott nimmt uns in seine Hände, er trägt uns auf seinen Schultern, er bringt uns nach Hause und in die Gemeinschaft. Wir sind nicht allein. Wir dürfen zusammen das Leben feiern.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied 152 Suchen und fragen (Erdentöne, Himmelsklang)
1 Suchen und fragen, hoffen und sehn, miteinander glauben und sich verstehn, lachen, sich öffnen, tanzen, befrein.
So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein. So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein.
2 Klagende hören, Trauernde sehn, aneinander glauben und sich verstehn, auf unsre Armut lässt Gott sich ein.
So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein. So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein.
3 Planen und bauen, Neuland begehn, füreinander glauben und sich verstehn, leben für Viele, Brot sein und Wein.
So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein. So spricht Gott sein Ja, so stirbt unser Nein.

Fürbitten
1 Du, Quelle meines Lebens, ich hab dich gesucht und du hast mich gefunden. Vor dir darf ich sein. Einfach da sein und leben. Du beurteilst mich nicht nach tausend Maßstäben. Du taxierst mich nicht ab. Bist nicht mit mir fertig.  So wie es mir gerade geht, darf ich vor dir sein. Von Herzen danke ich dir für deine unendliche Liebe zu mir.
2 Heute bringen wir dir als Gemeinde, was uns auf dem Herzen liegt. Für alle, die ihren Ort in dieser Welt noch nicht gefunden haben, bitten wir. Zeige ihnen ein Zuhause, in dem sie heimisch werden können.
3 Für alle, die sich leer fühlen und unnütz, bitten wir. Zeige ihnen eine Aufgabe, die ihnen Spaß macht und die sie erfüllt.
4 Für alle, die krank sind, bitten wir. Sei du an ihrer Seite, tröste sie, stärke sie und lass sie alle Liebe erfahren, die sie jetzt gerade benötigen.
5 Bitte für die getauften Kinder und für die verstorbenen Mitglieder der Gemeinde

Vaterunser

Abkündigungen

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen

Musik

Gottesdienst am 13.6.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel

Votum

Begrüßung
Christus spricht: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid: ich will euch erquicken. Mit dem Wochenspruch begrüße ich Sie alle ganz herzlich in diesem Gottesdienst. Möge Sie dieser Gottesdienst erquicken, wenn Sie die Nähe Gottes suchen, in Freude und im Leid, in Hoffnung und in Sorge oder einfach auf der Suche nach Seelenfrieden. Möge Ihre Sehnsucht zumindest ein wenig gestillt werden - und dennoch lebendig bleiben.

Psalm 36,6-10
Herr, deine Güte reicht, soweit der Himmel ist,
und deine Wahrheit soweit die Wolken gehen.
    Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes/
    Und dein Recht wie die große Tiefe.
Herr, du hilfst Menschen und Tieren.
Wie köstlich ist deine Güte, Gott,
dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben.
Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses,
    und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom.
Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
und in deinem Lichte sehen wir das Licht.

Gebet
Barmherziger Gott,
dein Sohn lädt uns ein, uns mit unseren Sorgen und Ängsten, unserer Erschöpfung und Reue vertrauensvoll an dich zu wenden. Du willst uns wieder aufrichten und neue Kraft schenken. Dafür danken wir dir und bitten dich heute am Wahltag: Gib deinen Geist, schenke uns gute Nerven und Gelassenheit dazu. Wie es auch wird- deine Güte bleibt, für uns, für alle, heute und immer.

Lesung Epheser 2,17-22

Musik

Predigt in szenischer Lesung
P= Pfarrerin                G: Gemeindeglied

P:   
Liebe Gemeinde, der Predigttext für heute steht im 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth. Im 14. Kapitel.
G:    (meldet sich räuspernd und kommt nach vorn)
Also, dieser Text – ich muss schon sagen – der ist reichlich seltsam…. Ich habe den schon zweimal gelesen, das versteht doch kein normaler Mensch….
P:    
Sie haben sich ja richtig auf den Gottesdienst vorbereitet. Das finde ich richtig gut. Aber vielleicht lassen Sie mich den Text erstmal vorlesen, dann wissen alle hier, worum es geht.
„Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht zu Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht: im Geist redet er Geheimnisse.!
G:     
Entschuldigung, aber da muss ich direkt unterbrechen. Zungenreden – ohne Zunge kann man doch gar nicht reden. Soll das eine Geheimsprache sein von der Paulus da spricht? Kompliziertes Gerede mit tausend Fremdwörtern die niemand versteht? Und kann es sein, dass Paulus das gar nicht gut findet?
P:    
Ehrlich gesagt: Zungenreden zu erklären ist gar nicht so einfach. Es war damals in Korinth gerade ziemlich in. Aber es war auch nicht unumstritten.
G:     
Ich habe das so verstanden, dass der Heilige Geist einem da so eine Art Geistesblitz schickt und dann kann man es einfach –
P:    
Lassen Sie mich versuchen es zu erklären. Zungenreden ist eine Art von Gebet. Allerdings kann man die Worte, die da gebetet werden, nicht verstehen. Es ist oft keine richtige Sprache. Die Menschen, die in Zungen reden sind wie in Ekstase. Sie sind vom heiligen Geist ergriffen. Es ist ein spirituelles Erlebnis. Etwas ganz Persönliches. Das hat nicht jeder und diese Art zu beten liegt auch nicht jedem.
G:    
Das ist krass. Die Menschen schalten einfach ihren Verstand aus und lassen ihre Gefühle raus? Sie sind aus dem Häuschen?
P:    
Manche nennen das Zungenreden auch Engelssprache. Das soll ausdrücken, dass zwischen dem Menschen, der betet und dem Göttlichen eine ganz besondere Verbindung entsteht.
G:    
Wozu soll das denn gut sein?
P:    
Genau mit dieser Frage hat Paulus sich beschäftigt. Denn das Zungenreden hat die Konflikte in der Gemeinde in Korinth noch verschärft.
G:    
Gab es da auch schon Knatsch? Ich dachte, da wäre die Welt noch in Ordnung gewesen…Über was haben die sich denn gestritten?
P:    
Streit gab es auch in Korinth schon genug. Es gab Streit zwischen Armen und Reichen. Es gab welche, die meinten, sie seien die besseren Christ*innen. Und es gab Streit darüber, wie die frohe Botschaft von Jesus Christus weitererzählt werden sollte. Und zwar so, dass auch Nichtchrist*innen die Botschaft verstehen.
G:     
Zungenrede scheint mir da nur bedingt geeignet zu sein?! – Und Paulus war auch nicht wirklich begeistert, wenn ich es richtig gelesen habe….
P:    
Das stimmt. Paulus ist das Reden zwar auch ziemlich schwergefallen, aber hat sich gegen die Zungenrede ausgesprochen. - Aber ich lese mal weiter, dann klärt sich vielleicht einiges:

„Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zu Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde. Ich möchte, dass ihr alle in Zungen reden könnt, aber noch viel mehr, dass ihr prophetisch redet. Denn wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen redet; es sei denn, er legt es auch aus, auf das die Gemeinde erbaut werde. Nun aber, Brüder und Schwestern, wenn ich zu euch käme und redete in Zungen, was würde ich euch nützen, wenn ich nicht mit euch redete in Worten der Offenbarung oder der Erkenntnis oder der Prophetie oder der Lehre?“
G:     
Da eiert der Paulus aber ganz schön rum! Zungenreden ja, aber nur mit Übersetzung! Richtig geheuer sind diese Zungenredner dem Paulus scheinbar nicht. Der wirkt auch sonst eher nüchtern und durchdacht.
P:    
Ja, das stimmt. Paulus durchdenkt alles ganz genau, was er sagt. Mit zu viel Ekstase kann er nichts anfangen, obwohl er anderen das durchaus zugesteht. Was er aber gar nicht gelten lässt, ist die Haltung einiger Menschen in Korinth, die behaupten, dass nur wer in Zungen redet auch ein echter Christ / eine echte Christin ist. Und erst recht nicht, dass man damit angibt, so nach dem Motto: guck mal, ich habe den besseren Draht zu Gott als du.
G:    
Da war ja ganz schön was los in der Gemeinde. Das ging bestimmt hoch her zwischen diesen Gruppen. Da frage ich mich, wie die ihren Kirchenvorstand gewählt haben. Und wer den Job machen wollte?! So eine Gemeinde zusammenzuhalten – das ist doch unmöglich!
P:    
Die Botschaft von Jesus Christus kann auf verschiedene Arten verbreitet werden, das ist für Paulus ok, aber es muss immer verstehbar sein. Paulus schreibt weiter:

„So verhält es sich auch mit leblosen Instrumenten, es sei eine Flöte oder eine Harfe: Wenn sie nicht unterschiedliche Töne von sich geben, wie kann man erkennen, was auf der Flöte oder Harfe gespielt wird? Und wenn die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zur Schlacht rüsten?“
G:    
Wenn alle den gleichen Ton spielen würden, das wäre absolut langweilig! In einer Gemeinde muss es verschiedene Klangfarben geben, da hat Paulus völlig recht.
P:    
Es ist aber auch so, dass die verschiedenen Instrumente aufeinander hören müssen, wenn sie zusammenspielen. Davon lebt jedes Ensemble, jedes Orchester, selbst der Gemeindegesang.
G:    
das heißt aber nicht, dass man nicht verschiedener Meinung sein darf! Es muss auch mal einen gepflegten Streit geben.
P:    
das sehe ich und das sieht auch Paulus so. Aber es muss immer fair bleiben. Es muss um die Sache gehen und alle müssen sich gegenseitig zuhören und die Argumente der anderen ernstnehmen. Es darf niemand verletzt werden oder ausgelacht.

Aber bevor wir vom eigentlichen Thema Zungenrede abkommen: Der Predigttext ist noch nicht Ende:

Paulus schreibt: „So auch ihr: Wenn ihr in Zungen redet und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen, was gemeint ist? Ihr werdet in den Wind reden. Es gibt vielerlei Sprachen in der Welt, und nichts ist ohne Sprache. Wenn ich nun die Bedeutung der Sprache nicht kenne, werde ich ein Fremder sein für den, der redet, und der redet, wird für mich ein Fremder sein. So auch ihr: da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr sie im Überfluss habt und so die Gemeinde erbaut.“
G.    
Also geht es darum, dass wir uns einig sind, darüber, dass wir uns uneinig sind? Das ist jetzt nicht so befriedigend, oder? In einer Gemeinde müssen doch auch Entscheidungen getroffen werden.
P:    
Dafür gibt es den Kirchenvorstand.
G:    
Und wie soll so ein Kirchenvorstand zu einer Entscheidung kommen, wenn alle andere Meinungen haben? So wie damals in Korinth?
P:    
Ja, das ist richtig schwer. Aber Paulus gibt uns eine Richtschnur, die alternativlos ist. Die Liebe!
G.    
Also, jetzt wirklich – was hat – bitte schön – die Liebe mit einem Kirchenvorstand zu tun?
P:    
Die Liebe steht in unserem Grundsatzprogramm als Kirche. Ein Kapitel vorher schreibt Paulus den Korinthern: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.“ (1 kor 13,1)
G:    
Ist das ein Seitenhieb auf die enthusiastische Zungenrede?
P.    
Nein, die anderen kommen genauso dran. Paulus schreibt: „Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“
G:     
Wenn ich mich richtig erinnere, dann fängt doch der Predigttext über das Zungenreden auch mit der Liebe an. Wie war das nochmal?
P:    
„Strebt nach der Liebe“. Das ist wie eine Überschrift.
G:    
Könnte doch ein ganz gutes Motto für einen Kirchenvorstand sein oder für die ganze Kirche.
P.    
Darauf sage ich nur: Ja und Amen!

Musik: EG 417 „Lasst die Wurzel unseres Handelns Liebe sein“

Fürbitten
Herr unser Gott, du lädst uns ein, an deinem Reich mitzuwirken.
Doch du weißt auch um die Zweifel, die uns lähmen; um die Angst, die uns manchmal blind macht für die Nöte anderer Menschen.

Deshalb brauchen wir deine Hilfe und bitten dich:

Für deine Kirche: Dass sie allen, die guten Willens kommen, eine Heimat ist und auch den noch Fernstehenden ein Zuhause wird. Dass sie die richtigen Worte findet, glaubwürdig und begeisternd von dir zu erzählen.

Wir bitten für deine Welt: Sende den Kranken und Notleidendenden Menschen an ihre Seite, die mit ihnen weinen, mit denen sie aber auch lachen können. Hilf uns eine Welt zu schaffen, in der niemand mehr seine Heimat verlassen muss und in der denen geholfen wird, die in Not sind.

Für die Trauernden und Verzweifelten bitten wir: Gib dich denen zu erkennen, die an ihrem Leben verzweifeln- in Einsamkeit und Krankheit. Tröste die Menschen, die um einen lieben Angehörigen trauern.

Wir bitten für deine Gemeinde: Erwecke in ihr immer wieder die Hoffnung auf dein Reich. Lass uns einander in Liebe Wegweiser sein.

In der vergangenen Woche haben wir Abschied genommen von

Wir zünden eine Kerze für sie an und bitten dich: Nimm sei auf in deine Herrlichkeit und schenke ihnen ewige Heimat bei dir.

Für die Trauernden und Verzweifelten bitten wir: Gib dich denen zu erkennen, die an ihrem Leben verzweifeln- in Einsamkeit und Krankheit. Tröste die Menschen, die um einen lieben Angehörigen trauern.

Alles, was uns bewegt, alles Ausgesprochene und Unausgesprochene bringen wir vor dich, wenn wir gemeinsam das Vater unser beten:

Vater Unser
Abkündigungen
Segen
Kantorei

Gottesdienst am 6.6.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Seien Sie alle herzlich willkommen an diesem neuen Morgen! Wir feiern den Gottesdienst, um unser Hören auf Gott einzuüben, um seine Stimme herauszuhören aus den vielen anderen Stimmen, die uns Tag für Tag erreichen. Und zugleich wird viel Vertrauen in uns gelegt, in das, was wir als Christinnen und als Christen sagen, was aus unserem Munde kommt.  So sagt Jesus es in den Worten des Wochenspruchs aus dem Lukasevangelium 10,16: „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich.“ Darin liegt zum einen die Erinnerung daran, mit Bedacht unsere Worte zu wählen. Und zugleich werden wir mit dieser Zusage Jesu überaus hochgeschätzt.

Lassen Sie uns heute entdecken, was die Worte Gottes für einen Menschen bedeuten können. Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

+144,1.2 Dich rühmt der Morgen

Psalm des Jona 2,1-7
Und Jona betete zum Herrn, seinem Gott, im Leib des Fisches und sprach:
Ich rief zum Herrn in meiner Angst und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. Alle deine Wogen und Wellen gingen über mich, dass ich dachte, ich wäre von deinen Augen verstoßen, ich würde deinen heiligen Tempel nicht mehr sehen. Wasser umgaben mich und gingen mir ans Leben, die Tiefe umringte mich, Schilf bedeckte meinen Kopf.

382, 1.3 Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr, fremd wie dein Name sind mir deine Wege. Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott; mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen? Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt? Ich möchte glauben, komm du mir entgegen.
Sprich du das Wort, das tröstet und befreit, und das mich führt in deinen großen Frieden. Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt, und lass mich unter deinen Kindern leben. Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst. Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.

Psalm des Jona 2,8-11
Als meine Seele in mir verzagte, da gedachte ich an den Herrn, und mein Gebet kam zu dir, in deinen heiligen Tempel. Ich will dir mit Dank Opfer bringen. Meine Gelübde will ich erfüllen dem Gott, der mir geholfen hat.
Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spuckte Jona aus ans Land.

Gebet
Guter Gott, heute kommen wir zu dir. Manchmal laufen wir auch davon, vor unseren Aufgaben und vor Konflikten. Oder vor uns selbst. So wie wir sind, so kommen wir zu dir – mit all unseren Irrwegen und Umwegen.
Zeige uns die Richtung, die wir gehen sollen. Tröste uns und begeistere uns.
Es ist gut zu wissen, dass du überall da bist. In der tiefsten Tiefe und auf den höchsten Höhen. Von allen Seiten umgibst du uns.
So sprich du uns an in dieser Stunde. Das bitten wir im Namen deines Sohnes und im Namen des Heiligen Geistes. Amen.

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Gottvertrauen, liebe Gemeinde,
wir tauchen heute morgen ein in ein Profetenstück vom Gottvertrauen. Ich, nein wir möchten Ihnen heute den Bibeltext von Jona erzählen, und wir werden entdecken, ob und wie wir da selbst vorkommen.

Machen wir uns gemeinsam auf den Weg mit Jona, dem Profeten. Ein wenig kennen wir Jona noch aus der Kinder- bibel von damals oder aus dem einen oder anderen Lied.

1.Akt
Der Vorhang hebt sich.  Und sofort geht es los:
„Das Wort Gottes erging an Jona: ‚Steh auf! Geh nach Ninive, in die riesige Stadt! Predige gegen sie, denn ihre Bosheit ist bis vor mein Angesicht gedrungen!‘“

Welche Zumutung, aber auch: welch ein Vertrauen setzt Gott da in Jona! Er soll aufstehen, losgehen, rufen, kritisieren, nicht aufhören, den Finger in die Wunden der Gesellschaft zu legen, gegen an predigen. Mit nichts Anderem im Gepäck als diesem „Steh auf! Geh!“    Mit Gottes großem Vertrauen, dass er das tun kann. Und ich denke mir: Ninive, das große, unüberschaubare, das gab es nicht nur damals. Das gibt es auch heute: die fehlende Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen, ihre mangelnde Teilhabe, ein wachsender Antisemitismus in unserer Gesellschaft und eine wachsende Gewaltbereitschaft. Zwangsprostitution, in die Mädchen und junge Frauen geraten, das große, dunkle Netzwerk von Kindesmissbrauch, und die Plattform – User im Darknet. Alltägliche Demütigung und Gewalt gegen Frauen, oftmals verschwiegen. „Schaut hin!“ – so lautete das Motto des Ökumenischen Kirchentages, der gerade hinter uns liegt. Ninive gab es nicht nur damals.  Ninive ist auch heute. Und Gott will, dass auch wir heute hinsehen und aufstehen gegen die Ungerechtigkeit und die Unterdrückung, die uns vor Augen kommt.

2. Akt
„Da stand Jona auf.“
Wir haben es nicht anders erwartet. Ein Profet ist eine mutige Person. Und gehorsam doch noch dazu. Doch da: ein Paukenschlag! „Da stand Jona auf, jedoch um vor Gottes Angesicht zu fliehen.“ Er soll allein in diese riesige Stadt Ninive gehen?? Soll sich hinstellen und rufen? Oder gar predigen? Bestenfalls wird er ausgelacht. Schlimmstenfalls wird er eingekerkert oder umgebracht, wie es üblich ist in den autoritären, diktatorischen Städten dieser Welt. Nein, soviel Gottvertrauen hat Jona dann doch nicht! Er geht zum Hafen nach Jaffa und sucht sich ein Schiff, das so weit weg wie möglich fährt.  Nach Tarsis im heutigen Spanien. Auf die andere Seite des Mittelmeeres. Nur weg von Gottes Angesicht!

Mensch Jona, das kenne ich gut. Ich bin auch schon einmal weggelaufen – oder hätte es an anderer Stelle am liebsten getan. Aufgaben können zu schwer werden. Lasten zu groß. Da möchte man endlich in Ruhe gelassen werden, nicht immer die Verantwortung tragen. Jona, offenbar brauchst du Distanz. Einen ruhigen Ort. Einen Ankerplatz für deine wundgeriebene Seele. Einen sicheren Hafen, einfach ganz weit weg. Und doch, Jona: ich weiß nicht, ob Du so einfach weglaufen kannst. Das hat irgendwie auch etwas Rührendes, was du da vorhast.

3. Akt
Ist es ein Märchen? Oder Fantasy? Das Drama spitzt sich jedenfalls zu:

Jona ist auf dem Schiff. Total erschöpft, verkriecht er sich in das unterste Deck des Schiffes.  Nur noch seine Ruhe haben. Da kommt ein Sturm auf, ja ein Orkan. Und schon werfen die Matrosen das Los. Mal sehen, auf wen es fällt. Mal sehen, wer schuld ist an diesem ganzen Unglück, an dieser Misere, dieser lebensgefährlichen Situation! Es fällt auf Jona und Jona gesteht: Ich bin es. Und Jona lässt es zu, ja er bittet sogar darum, über Bord geworfen zu werden.

Das finde ich schlimm. Mit diesem Teil der Geschichte habe ich die größten Schwierigkeiten: wieso sollte so etwas Zufälliges wie ein Los die Wahrheit bringen? Warum wird ein Ungewitter als Strafe Gottes gesehen und nicht einfach als ein Naturereignis?  Und warum überhaupt und um Gottes Willen soll ein einziger Mensch die Ursache für ein Unwetter sein? Warum wird hier ausgerechnet ein Sündenbock gesucht? Aus vielen historischen Situationen wissen wir, dass Sündenbocktheorien Unheil schaffen und maßloses Leid. Dieser Teil der Geschichte ist archaisch.

Dieser Teil der Geschichte hat keinen pädagogischen Mehrwert, ja darf es niemals haben. Das einzig Positive daran ist, dass Jona sich innerhalb dieses Prozesses zu der Tatsache stellt und sich dazu bekennt, dass er weggelaufen ist. Jona kommt aus seinem Versteck heraus, er kommt aus seiner Deckung.

Finale furioso
„Gott aber bestimmte einen großen Fisch, um Jona zu verschlucken. Und Jona war drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches.“

Gott also gibt Jona noch eine Chance. Er rettet Jona, wenn auch auf sehr ungewöhnlichem Wege. Gott hält fest an seinem Vertrauen in Jona. Und er tut alles dafür, dass Jona unbeschadet bleibt, dass er eine Zukunft hat. Und hier, inmitten des Wales, geschieht mit Jona eine große Veränderung.  Er ist eingeschlossen, ja. Aber er ist zugleich auch geschützt vor dem verderbenden Wasser, gerettet vor dem Sturm da draußen. Ich denke dabei an Menschen, die sich bei Kriegshandlungen in einen Bunker flüchten: eingeschlossen, aber in größtmöglicher Sicherheit. Jona weiß nicht, wie es weitergehen wird. Er hat keinerlei Kontrolle mehr. Der Wal schwimmt mit ihm irgendwohin, ohne sichtbares Ziel. Der ganze Ausgang ist ungewiss. Jona weiß nichts mehr. Nun aber geschieht es: dies ist der Moment des Gebetes. Dies ist der Moment, um sich an Gott zu erinnern. „Als meine Seele in mir verzagte, da gedachte ich an den Herrn.“ Und Jona beginnt, wieder den Kontakt zu Gott zu suchen. Er übt sich neu in ein Vertrauen ein. Mit seiner ganzen Existenz vertraut Jona sich Gott von neuem an. Er dankt Gott von ganzem Herzen! Und er ist bereit, ihm ein Gelübde zu geben.

Jona erlebt hier die krasseste Situation seines Lebens. Den ultimativen Lockdown.

Ich erkenne uns wieder in dieser Situation, in der Jona war. In den letzten Monaten waren auch wir eingeschlossen, im Lockdown. Gewiss, wir hatten es deutlich bequemer als er – mit Couch, Fernseher und der Möglichkeit, spazieren zu gehen - aber auch wir wussten zeitweise nicht, wie es weitergehen würde. Auch uns war die Kontrolle aus den Händen genommen. Und wie alles ausgehen würde, war keineswegs klar. Wir waren existentiell gefährdet, und wir haben selbst dem Tod viel direkter ins Auge gesehen als jemals zuvor.

Viele von uns haben wohl wirklich mehr und intensiver zu Gott gebetet und gefleht als vorher. Viele von uns haben neu um Vertrauen gerungen, und wir haben Gott neu unser Leben in seine Hände gegeben.

Sogar die Kirchen wurden zu modernen Fischbäuchen. Nicht nur unsere Kirchen hier in Bad Nauheim waren nach der ersten Zeit der Schockstarre geöffnet. In vielen Städten war das so. Und viele Jonasse kamen herein: hineingeschleudert von den schweren Wogen ihres Lebens. So traten sie ein aus dem tosenden Meer ihres Alltags, der komplett durcheinandergeraten war. Und so kamen sie hinein in die Stille. In einen anderen Raum. Nun durften sie einfach nur da sein – angefüllt mit ihren Sorgen, ihren Fragen und ihrem großen Wunsch nach Segen. Und oft mit dem zaghaften Vertrauen darauf, dass Gott ihr Beten hört, wenn sie eine Kerze anzündeten.

Auch unsere Kirchen sind Walfischbäuche. Große Segensräume. Bergende Orte auf Zeit, in denen wir den Lärm und die Stürme für einen Moment hinter uns lassen können. In denen unser Vertrauen wieder wächst, dass Gott da ist. Dass er uns begleitet und uns in seinen Händen hält. Und dass Gott nicht strafen will, sondern dass er ein gnädiger, barmherziger und überaus geduldiger Gott ist. So wie Jona es in seinem weiteren Leben erkannt hat.

Unser Leben geht weiter. So wie das Leben des Jona weitergehen durfte.

Gott hat Vertrauen in uns. So wie er in Jona Vertrauen hatte.
Und der Herr sprach zu dem Fisch, und der spuckte Jona aus ans Land.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied 380, 1.3.6.7 Ja, ich will euch tragen

Fürbitten

  1. Barmherziger Gott, jeder Tag ist dein Geschenk an uns. Wir danken dir für jede Stunde unseres Lebens. Lass uns unsere Tage schätzen, in Achtsamkeit mit uns selbst und in Wertschätzung unserer Nächsten.
  2. Du traust uns zu, deine Liebe zu dieser Welt zu bezeugen. Gib uns deinen Heiligen Geist, damit wir diese deine Welt zum Guten verändern können, zu mehr Gerechtigkeit und Solidarität. Hilf uns dabei auch, Konflikte durchzustehen.
  3. Wir bitten dich für alle, die es wagen, loszugehen, in einen neuen Lebensabschnitt oder zu Menschen, denen sie vertrauen wollen. Segne alle Schritte auf ihrem Weg.
  4. Wir bitten dich für alle, die zu Unrecht gefangen sind. Sei du ihnen nahe und stärke sie. Lass sie spüren, dass sie nicht vergessen sind.
  5. Wir bitten dich für die Menschen in unserer Partnerdiözese in Indien. Stärke alle, die sich für die Schwächsten in dieser Zeit einsetzen und mach der Pandemie ein Ende.
  6. Bitte für Verstorbene und ihre Familien

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden
Amen

Musik

Gottesdienst am 30.5.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

Begrüßung
Ich heiße Sie an diesem Morgen herzlich willkommen zum Gottesdienst! Heute feiern wir den Sonntag Trinitatis, die Dreieinigkeit Gottes. Gott in dreifacher Gestalt. Die Christen der jungen Kirche wollten eine Antwort finden auf die Frage, wie man Gott, den Schöpfer der Welt, seinen Sohn Jesus Christus und den Heiligen Geist zusammendenken kann. Und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. So wurde der Gedanke der Dreieinigkeit Gottes miteinander entwickelt. Ansätze dazu finden wir bereits im Neuen Testament, z.B. in dem Spruch für die neue Woche aus dem 2. Kor. Brief 13,13. Dort grüßt Paulus die Gemeinde mit den Worten: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“

So feiern wir nun den Gottesdienst! Und sind zusammen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 113
Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang
sei Gottes Name gelobt!
Lobt Gott, alle, die ihr ihm mit Ehrfurcht begegnet,
lobt seinen Namen, heute und morgen.
Denn er ist Herr über alle Völker,
seine Güte reicht von Horizont zu Horizont.
Wer könnte sich mit ihm vergleichen?
Gott wohnt im Himmel und sieht doch bis in die tiefste Tiefe.
Er richtet die Gebeugten auf
Und zieht die Armen aus dem Schmutz.
Er setzt die Geringen neben die Fürsten,
 bringt die Verachteten wie die Beliebten zu Ehren.
In seinen Augen ist niemand gering.
Darum lasst uns Gott preisen:
Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang
Sei Gottes Name gelobt. Halleluja.

Gebet
Du, unser Gott, bist Schöpfer der Welt. Mit deinem guten Geist hast du uns begabt. Du willst, dass wir als gesegnete Menschen durch unsere Tage gehen.

Doch so oft blicken wir nur auf unseren eigenen, kleinen Weg. Lassen Dir nur wenig Raum bei uns. Wir kommen zu Dir mit allem, was uns belastet: mit unseren Enttäuschungen, verurteilenden Gedanken, verletzenden Worten und unterlassenen Taten. Wir bitten dich um Vergebung. Wir bitten dich um Befreiung.

Mach Du uns neu. Du kannst alles neu machen. Führe uns auf neue Wege.
Das bitten wir Dich im Namen Jesu Christi, deines Sohnes, und im Namen des Heiligen Geistes. Amen

Lied: 165,1.4.6 Gott ist gegenwärtig

Lesung aus Joh. 3,1-8
Es gab aber einen Pharisäer, der hieß Nikodemus. Er gehörte zur jüdischen Obrigkeit. Der kam nachts zu Jesus und sagte zu ihm: „Rabbi, wir wissen, dass du von Gott als Lehrer gekommen bist, denn niemand kann diese Wunderzeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist.“  Jesus antwortete ihm und sagte: „Amen, amen, ich sage dir: alle, die nicht erneut geboren werden, können das Königreich Gottes nicht sehen.“ Nikodemus sagte zu ihm: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Es ist doch nicht möglich, ein zweites Mal in den Bauch der eigenen Mutter hineinzugehen und geboren zu werden!“ Jesus antwortete: „Amen, amen, ich sage dir: Alle, die nicht aus Wasser und Geistkraft geboren werden, können nicht in das Königreich Gottes hineingehen. Was aus der Materie geboren ist, ist Materie; und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: ‘Ihr müsst erneut geboren werden.‘ Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht. So ist es bei allen, die aus der Geistkraft geboren sind.“

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Liebe Gemeinde,
plötzlich war es halb zwei in der Nacht. Wir hatten völlig die Zeit vergessen. Sieben Monate lang hatten wir uns nicht gesehen, nur miteinander telefoniert. Jetzt war es höchste Zeit, dass wir uns endlich wieder einmal von Angesicht zu Angesicht sahen.  Es gab einfach so viel zu bereden, zu erzählen, zu lachen und aufzuholen… So ging es mir vor kurzem, als ich endlich meine Eltern wieder einmal besuchen konnte.

Nachtgespräche – ihr Reiz liegt einfach darin, dass sie zeitlich nicht begrenzt sind – auch wenn man es vielleicht am nächsten Morgen bereut. In Nachtgesprächen kommt eher einmal Grundsätzliches zur Sprache,  für das im hektischen Alltagsgeschehen keine Zeit ist. In Nachtgesprächen kommt die Wahrheit auf den Tisch. Mit all ihren Seiten. Und in Nachtgesprächen werden auch manchesmal Verabredungen für die Zukunft getroffen. Solche besonderen Gespräche können überall stattfinden: drinnen oder draußen auf der Bank. Im Schein einer Laterne, am Strand oder am Lagerfeuer.

Von einem Nachgespräch erzählt auch der Bibeltext dieses Tages: „Es gab einen Pharisäer, der hieß Nikodemus. Der kam nachts zu Jesus.“ Warum kommt Nikodemus nachts? Nachts ist es ruhig in der belebten Stadt. Nachts ist Zeit zum ausführlichen Reden und Diskutieren. Und die Nacht fängt früh an in Jerusalem. Gegen 18.00h, wenn die Sonne fast schlagartig untergegangen ist. Wir müssen Nikodemus nicht unterstellen, dass er als Pharisäer Angst vor den anderen hatte, Angst, gesehen zu werden, wie er zu Jesus ging. Denn Nikodemus ist ein selbstbewusster Mensch. Einer, der sehr eigenständig denkt und handelt. Einer, der sich sein eigenes Urteil bildet und darin bedächtig und vorsichtig ist. Zweimal noch ist von ihm im Johannesevangelium die Rede. So wird er später seine Brüder unter den Pharisäern daran erinnern, dass es nach der Thora notwendig ist, einen Menschen zunächst anzuhören und ausführlich zu Wort kommen zu lassen, bevor man irgendein Urteil über ihn spricht. Dies sagt er ganz explizit im Blick auf Jesus. Und am Ende, direkt nach dem Tod Jesu, kommt Nikodemus und bringt eine große Menge an Salben und Kräutern, Myrrhe und Aloe, damit Jesus würdig bestattet werden kann. Es wirkt, als stehe er quer zum Sanhedrin, zum obersten Rat in Jerusalem. Nikodemus ist offen. Nachdenklich. Er will wirklich wissen, wer Jesus ist und was sein Auftreten bedeutet. „Rabbi, wir wissen, dass du von Gott als Lehrer gekommen bist, denn niemand kann diese Wunderzeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist.“ Das ist ein freundlicher Gesprächsauftakt. Wenn Jesus ein Lehrer von Gott ist, mit diesen Wundertaten, dann, ja ist dann schon angebrochen, worauf alle so sehnsüchtig warten? Ist der Messias dann schon auf dem Weg? Bei ihnen? Wird dann endlich wieder heil, was gerade alles zerbrochen daliegt? Wenn Wasser zu Wein verwandelt worden ist, wenn er behauptet, er könne den Tempel, der in 46 Jahren erbaut wurde, in drei Tagen nach einer Zerstörung wiederaufbauen – ist das Größenwahn und Blasphemie oder ist Gott wirklich definitiv auf seiner Seite? Wer ist dieser Mann? Genau diese Fragen treiben den nächtlichen Besucher um.

Und Jesus antwortete: „Amen, ich sage dir: alle, die nicht erneut geboren werden, können das Königreich Gottes nicht sehen. Und alle, die nicht aus Wasser und Geistkraft geboren werden, können nicht in das Königreich Gottes hineingehen.“  

Jesus fragt hier nicht, was Nikodemus eigentlich will.  Er antwortet auf einer ganz anderen Ebene. Ist das überhaupt wirklich ein Gespräch? Was passiert hier? Als wollte Jesus sagen: es geht hier gerade gar nicht um mich, und wer ich bin innerhalb aller eurer gängigen Erwartungen, es geht um das Reich Gottes. Und um das Thema der Neugeburt.  Jesus geht in medias res, mitten hinein in sein zentrales Anliegen.

Jesus spricht von der Neugeburt. Aber wie soll das gehen?  Hat Nikodemus nicht recht mit seiner Frage? Neu geboren werden – wie soll man das denn machen? Geboren wird man doch. Das kann man schließlich nicht selbst herbeiführen. Das geschieht mit einem. Und wenn man schon alt ist, ist das wirklich eine schöne Vorstellung, alles noch einmal von vorne zu erleben? Nochmal durch alles hindurch zu gehen, was bis jetzt zum Leben gehört hat? Das will doch nicht wirklich jemand, oder? Erneut geboren werden, sagt Jesus, bedeutet, aus Wasser und der Geistkraft geboren zu werden. Das ist also eine andere Geburt als die natürliche. Das ist quasi eine zweite Geburt. Ich verstehe das so: es gibt unser irdisches Leben, unsere ganz irdische, materielle Existenz. In ihr sind wir zuhause. In unserem Körper.  Aber dann gibt es noch mehr:  es gibt die geistliche, die spirituelle Dimension unseres Lebens. Es gibt unseren Kontakt zu Gott, unsere Beziehung zu ihm. Und diese Dimension wird durch die Taufe geschaffen. Da wird uns gesagt: „Du bist Gottes Sohn, du bist Gottes Tochter“.

Und mit der Taufe sind eben das Wasser und der Geist elementar verbunden. Jesus selbst wurde durch Johannes mit dem Wasser des Jordan getauft. Und Gottes Geist in Gestalt einer Taube bezeugte ihm und allen, die dabei waren, dass Jesus der Sohn Gottes ist.

So geht es also bei der Neugeburt um die Taufe.

Das meint die Taufe, wie Johannes der Täufer sie den Menschen angeboten hat, sie dringlich gemacht hat. Die Taufe als radikale Umkehr zu Gott. Auf die Umkehr fokussiert sich alles, sagt Jesus damit. Jetzt ist die Zeit zur Umkehr.

Etwas gefällt mir sehr an dem, was Jesus hier sagt.  Seine Antwort an Nikodemus kommt zwar sehr schroff daher. Aber es liegt auch ganz viel Hoffnung darin. Er sagt damit nämlich: ein Mensch kann sich verändern, allen anderen Meinungen zum Trotz. Er muss nicht der alte bleiben. Ein Mensch kann sogar neu werden. Er kann etwas bereuen und einen anderen, einen besseren Weg gehen. Wegkommen von seinem Egoismus oder wegkommen von seiner Alkoholsucht. Er kann sich umdrehen und fortan einen anderen Weg einschlagen. Selbst noch auf dem Sterbebett können Menschen erleuchtet werden. Gottes Geist kennt da viele Möglichkeiten. Manchmal ist das wie ein plötzliches Geschenk Gottes, wenn das geschieht. Und es kann eben geschehen.

Und neben dieser großartigen Hoffnung Jesu gibt es nun auch ein Gebot für die, die sich Christen nennen, Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu. Es ist das Gebot, sich selbst zu prüfen und sehr wohl die eigene Person immer wieder auch infrage zu stellen.

War das im Sinne Gottes, was ich da gesagt oder getan habe? Habe ich richtig gehandelt?  Stecke ich den anderen nicht in eine fertige Schublade, wenn ich so von ihm denke oder rede, wie ich es tue? Gebe ich ihm überhaupt noch eine Chance, auch anders zu sein?  Früher nannte man das den Beichtspiegel. Niemand ist ja fertig. Nur wer sich selbst infrage stellt, kann auch seine Sinne ändern. Und das geschieht nicht nur einmal. Das geschieht genau genommen in jedem Gottesdienst: wenn wir unsere Fehler, unsere Unterlassungen und unsere Schuld vor Gott bringen, und wenn wir um sein Erbarmen mit uns bitten und darum, dass er uns vergeben möchte, was nicht richtig war.

Dann werden wir neu durch den Geist Gottes, dann genau erfahren wir es, dass wir durch Gottes Geist neu belebt werden. Unsere Umkehr und die barmherzige Zusage Gottes - das lässt uns leben. Im Grunde also ist das Neu Geboren werden nicht ein einmaliges Ereignis; es ist vielmehr ein lebenslanger Prozess. Ein lebenslanger Prozess unserer Spiritualität. „An jedem Morgen muss der alte Adam wieder aus der Taufe kriechen“, hat M. Luther dazu gesagt. Wir sind ja immer auf dem Weg. Auch auf dem Weg mit Gott. Bis zum Ende unserer Tage hier.

Ein Letztes noch berührt mich sehr, was Jesus sagt: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht.  So ist es bei allen, die aus der Geistkraft geboren sind.“ Ich denke daran, wie ich an einem Sommerabend auf dem Balkon sitze. Es ist ein sehr heißer Tag gewesen, und nun kommt der Abendwind auf. Ich spüre, wie es auffrischt. Wie schön ist es, so vom Wind berührt zu werden. Wie schön ist es, so belebt zu werden – auch wenn ich nicht weiß, aus welcher Richtung die frische Brise eigentlich kommt. Aber es tut einfach nur gut.

Und ich denke daran, wie ich an einem Ostseehafen stehe. Viele Boote liegen da im Wasser, und einige haben schon ihre Segel gehisst. Bald wollen sie losfahren. Plötzlich fährt eine kräftige Böe in den Stoff und die Segel blähen sich. Nun ist alles bereit - die Boote können ihre Fahrt aufnehmen.

Gottes Geist bewegt uns, so wie der frische Wind am Abend. Er ist überraschend und niemand kann über ihn verfügen.

Und Gottes Geist belebt uns, so wie der Wind in die Segel fährt. Er bringt uns Freude. Er ist unsere Energie. Er bringt uns in die richtige Richtung unseres Lebens und hin zu den Menschen, die auf uns warten.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen.

Lied: + 20 Atem des Lebens

Fürbitten
Du, liebender Gott, bist uns Vater und Mutter, Anfang und Ende. Du trägst uns, hältst unser Leben in Deiner Hand und gibst uns Kraft für jeden Tag. Hilf uns, die Erde zu schützen. Wir bitten Dich: lass Deinen Willen geschehen in dieser Welt.

Jesus Christus, Sohn Gottes und unser Bruder, Du bist unser Retter, befreist uns von unserer Schuld und zeigst uns die Liebe Gottes. Wir bitten Dich: sei allen Menschen nahe, die Befreiung brauchen aus ihrer Einsamkeit, aus Verstrickung in Fehler, aus der Sackgasse der Lieblosigkeit. Deine Liebe blühe auf in unserer Welt.

Heiliger Geist, unser Tröster und frischer Wind, Du vertrittst uns beim Vater, wenn wir nicht mehr wissen, wie wir beten sollen. Du schenkst uns neue Ideen und veränderst uns, sodass wir täglich neu werden können. Wir bitten Dich: führe Menschen zur Versöhnung, wo sie im Streit oder im Krieg miteinander sind. Verändere die Herzen der Menschen, wo sie verhärtet sind im Antisemitismus, im Rassismus und in Menschenverachtung. Deine Wärme, Freude und Begeisterung durchwehe unsere Zeit.

Dreieiniger Gott, Dir gehört unser Leben. Dich loben wir heute und bis in Ewigkeit.

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden
Amen

Musik

Andacht zum Pfingstmontag 2021 von Pfarrer Rainer Böhm

Das Lied "Geist der Wahrheit" des Gospelchors "For Heavens´Sake" ist auf unserem Youtube-Kanal veröffentlicht.

Es gibt keine Pfingstbäume mit Pfingstkugeln dran. Soweit ich weiß auch kein Pfingstspiel im Gottesdienst. Wir suchen keine Pfingsteier im Garten. Finden könnten wir, bei uns im Garten jedenfalls, Pfingstrosen, aber die blühen, wann sie wollen. Vielleicht einen Ausflug in die Natur – da wäre ich dabei! Ein Picknick draußen irgendwo! Was also feiern wir an Pfingsten – komm, Heiliger Geist. Komm, du Geist der Wahrheit.

An Weinachten feiern wie die Ankunft Gottes in der Welt. An Ostern feiern wir das Leben und Gottes Sieg über den Tod. Pfingsten ist u n s e r Fest: Gottes Geist will bei uns sein. Wir sind nicht allein zu Hause, brauchen keine Angst zu haben. Gott ist da mit seinem Geist, lässt mit sich reden und hört uns zu. Er will uns Mut geben, Fantasie, Energie. Kraft auch für die Wahrheit zwischen uns, in unserem Miteinander, und auch für die Wahrheit über uns selbst.

Immer sind wir miteinander vor ihm, nie war einer allein. So erzählt es die Bibel. Im Paradies, auf der Arche, beim Zug durch das Rote Meer oder auch mit Jesus – immer waren viele zusammen. Und auch an Pfingsten. Und dabei alle verschieden – so bunt und so vielfältig wie unser Gospelchor.

Woran erkennt man also, dass Pfingsten ist? Nur an uns selbst! An unserer Freude, unserer Neugier, unserem Gesang, an dem, wie wir sind. Viele, und jeder anders. Wir selbst sind das Pfingstfest Gottes. Nach dem Christbaum im Wohnzimmer und den Ostereiern im Garten ist es jetzt an der Zeit, dass wir uns selbst auf den Weg machen: In Bad Nauheim oder Langenhain-Ziegenberg, in Berlin oder in Wien. Gott ist dabei gegenwärtig: Mit seinem Geist: der Wahrheit, der Liebe und des Aufbruchs.
Amen.

Gottesdienst an Pfingstsonntag mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Orgelvorspiel:     Leon Boellmann: Menuet Gothique aus der `Suite Gothique´                 

Begrüßung
Der Wochenspruch zum heiligen Pfingstfest macht Mut: Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth. (Sacharja 4,6)
Durch den Heiligen Geist kann alles neu werden. Der Heilige Geist lässt uns das Undenkbare denken. Der Heilige Geist lässt uns das Unbegreifbare spüren. Der Heilige Geist lässt uns das Unmögliche tun. Alles wird neu. Und wir sind der Anfang von Gottes neuer Schöpfung.
                
Votum                    

Psalm 118  EG  747
Dies ist der Tag, den der Herr macht
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
Der Herr ist meine Macht und mein Psalm
und ist mein Heil.
Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten:
Die Rechte des Herrn behält den Sieg!
Die Rechte des Herrn ist erhöht;
die Rechte des Herrn behält den Sieg!
Ich werde nicht sterben, sondern leben
und des Herrn Werke verkündigen.
Der Herr züchtigt mich schwer;
aber er gibt mich dem Tode nicht preis.
Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit,
dass ich durch sie einziehe und dem Herrn danke.
Das ist das Tor des Herrn;
die Gerechten werden dort einziehen.
Ich danke dir, dass du mich erhört hast
und hast mir geholfen.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
Das ist vom Herrn geschehen
und ist ein Wunder vor unsern Augen.
 
Dies ist der Tag, den der Herr macht;
lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.
O Herr, hilf!
O Herr, lass wohlgelingen!
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Wir segnen euch, die ihr vom Hause des Herrn seid.
Der Herr ist Gott, der uns erleuchtet.
Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars!
Du bist mein Gott, und ich danke dir;
mein Gott, ich will dich preisen.
Danket dem Herrn; denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.                

Gebet    
Gemeinsam, wie mit einem Mund, sollen wir Gott loben. Das gelingt oft nicht. Zu vieles unterscheidet uns und bringt uns gegeneinander auf.
Gemeinsam, wie mit einem Mund, können wir Gott loben. Er weckt Liebe in uns, Liebe, die nach den anderen fragt, die andere versteht und annimmt.
Herr, unser Gott, junge und alte Menschen, einfache und kluge, erfolgreiche und enttäuschte hast du zusammengeführt als deine Gemeinde. Gib einem jedem und einer jeden von deinem guten Geist, damit wir dich und uns selbst und einander besser verstehen und vorankommen auf deinem Weg.
                    
Lesung
Der Turmbau zu Babel
1 Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. 2 Als sie nun von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. 3 Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel 4 und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut über die ganze Erde. 5 Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. 6 Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. 7 Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe! 8 So zerstreute sie der HERR von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen. 9 Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Welt Sprache und sie von dort zerstreut hat über die ganze Erde.

Orgel:         Robert Schumann `Träumerei´            

Predigt   

Ein altes Foto unserer Kirche. 1905: Die Dankeskirche im Bau, vor 116 Jahren. Das Richtfest, das Bäumchen auf dem Dach, die Zimmerleute in luftiger Höhe. Ohne Absicherung. Einer hat da oben im Dachstuhl eine Bierflasche vergessen, wie eine Flaschenpost, die Herr Horstmann vor einigen Jahren fand. Die Namen der Arbeiter kennen wir nicht – nur den Namen der Firma. Stamm und Steuernagel steht da dick und fett. Mit dem Bau hat sich die Firma einen Namen gemacht.

Es scheint, dass zum Menschsein die Selbstverwirklichung gehört. Für die Generation meiner Eltern war das eigene Haus ein wichtiges Lebensziel. Die einen wollten raus aus den engen Mietwohnungen, die anderen hatten durch Krieg und Vertreibung alles verloren. Die eigenen vier Wände bedeuteten Sicherheit und Lebensqualität und einen Status: Hausbesitzer. Und eine Wertanlage für die Kinder: sie sollten es einmal besser haben.

Es war eine Zeit, da die Menschen unterwegs waren. Und wenn sie auch in den alten Sagen wie großartige Helden wirkten: In Wahrheit hatten sie Angst – ihren Feinden schutzlos ausgeliefert zu sein, zerstreut zu werden und vergessen. Gegen diese Ängste bauten sie eine Stadt und einen Turm. Wie hoch? Soo hoch, dass seine Spitze bis in den Himmel reicht.  Sie haben dafür Ziegelsteine gestrichen und gebrannt, wie man sie sich heute noch im Berliner Museum anschauen kann. Mit solchen Steinen und mit Erdharz konnten sie bauen, hoch und immer höher. Sie meinten, sie wären die Größten und die Klügsten und die Stärksten und sie wüssten alles.

Aber Gott musste sie erst einmal suchen, so klein waren sie in Wirklichkeit, denn sie waren ja auch nur Menschen. Und so klein sind die Mächtigen, die uns Angst machen wollen mit ihren Plänen. Und damit sie nicht zu mächtig werden können und damit die kleinen Leute ihnen nicht völlig ausgeliefert sind – deshalb hat er dafür gesorgt, dass es so viele Sprachen gibt. Jetzt konnten die ganzen Gernegroße herumschreien wie sie wollten. Viele haben sie nicht verstanden. Und viele haben nicht getan, was die Schreier wollten. So hat Gott mir seinem Geist dafür gesorgt, dass die Mächtigen nicht allmächtig wurden. Babel ist für uns das Synonym für Durcheinander, auf hessisch heißt das Gebabbel.

So möchte ich die Geschichte vom Turmbau und der Sprachverwirrung neu verstehen.  Sie erzählt davon, wie mächtig und groß Gott ist. Er kann Kommunikation zerstören, um Frieden zu schaffen. Sein Handeln ist nicht Strafe, sondern Rettung. Er begrenzt die Ambitionen eines übergriffigen Systems. Einer andere überfordernden Macht. Er greift ein, um seine Menschen, seine Schöpfung vor Überlastung zu schützen – die Vielfalt und Freiheit der Völker und Kulturen. Auch die Vielfalt der Sprachen ist nicht Folge der Sünde oder Strafe, sondern sie war bereits vorher vorhanden und ist von Gott so gewollt.

An Pfingsten in Jerusalem wird diese Geschichte weitererzählt. Die aus vielen Völkern versammelten Juden hören die Apostel zwar in deren galiläischem Dialekt predigen. Aber sie verstehen sie in ihrer jeweils eigenen Muttersprache von den großen Taten Gottes in Jesus Christus berichten. Der Heilige Geist schaltet die Vielfalt nicht aus. Er bestätigt und würdigt die Vielfalt und Buntheit der Kulturen. Und er schafft zu Pfingsten etwas Neues: eine versöhnte, mehrsprachige Gemeinschaft der Christen. Das ist der Beginn einer neuen Gesellschaft.

Keine Kirchengemeinde ohne Bauausschuss, keine Kirchenvorstandssitzung ohne ‚Bausachen‘. Mittel, die anderswo fehlen, Räume, die wir vielleicht so nicht brauchen, bei uns, und in unserer Region. Eine Kirche ist eigentlich dauernd im Bau. Aber durch besonders tolle Gebäude brauchen wir uns heute keinen Namen mehr zu machen. Wir wären allerdings froh und stolz über ein Hospiz in unserer alten Johanneskirche und eine dringend benötigte neue Orgel hier in der Kirche. In einer Gesellschaft, in der wir Christen weniger werden und Kirche unbedeutender, verkündet unser Kirchengebäude eine wichtige Botschaft: Wir sind hier, mitten in der Stadt, Und wir werden auch so schnell nicht von der Bildfläche verschwinden.

Mit dem Geist Gottes erhalten wir die Gabe, über alle Barrieren hinweg uns mit Menschen anderer Sprachen und Kulturen zu verständigen. Alle behalten ihre Eigenheiten, alle bleiben verschieden; es entsteht aber ein gemeinsames Verständnis, aus einem gemeinsamen Geist. Aus einem Wir-Gefühl. Diese Gemeinschaft entsteht über unseren eigenen Kirchturm hinaus: Mit den Gemeinden hier in unserer Region, die alle ganz verschieden sind und mit denen wir zueinanderkommen, Kirche bauen und in Zukunft gemeinsam Kirche sind. Über die Unterschiede von Stadt und Land hinaus.

Und das gilt auch für unsere Glaubensgeschwister in Nordindien, die unter der zweiten großen Coronawelle leiden – über alle Entfernungen hinweg sind wir mit ihnen ständig in Kontakt. Wir sind verbunden im Geist. Sie sind für uns ein leuchtendes Beispiel an Überzeugung, Glaube und Einsatz für die Armen. Wir beten für sie und wir feiern miteinander Gottesdienste. Wir besuchen einander und wir helfen ihnen mit unserem Gebet und unserer Spende.

Wenn wir ernst machen mit diesem Geist und vor allem in diesem Geist, über alle Grenzen hinweg, dann ist mir um unsere Kirche nicht bange. Vielleicht leben wir dann neu miteinander, teilen unsere Gaben und was wir haben, unsere unterschiedlichen Fische und Brote. Und staunen darüber, wieviel mehr wir bekommen, wenn wir nur geben. Und wie Jesus unser Herr uns alle satt macht.
Amen

Musik: EG 639    Damit aus Fremden Freunde werden        

Fürbitten                    
Herr, unser Gott, vielfältig wie deine Schöpfung hast du auch die Menschen geschaffen, einen jeglichen nach seiner Art.  Das macht das Leben bunt und lebendig, und dafür danken wir dir.

Sende deinen Heiligen Geist. Er verbindet uns miteinander und schafft Leben.
Lass uns von deinem Geist ergriffen sein.

Gib uns Mut und Geduld, eingefahrene Wege zu verlassen, wenn wir die Bedürfnisse der Menschen nicht im Blick haben.

Dring in unser Leben ein und wirke durch ihn. Lass unsere verschiedenen Welten einander begegnen.

Hilf uns, die Schätze der anderen zu entdecken. Schenke uns von deiner Liebe. Sie vertraut und sie vergibt.

Hilf uns, dass wir deinen Frieden leben können. Brich mit uns zusammen auf, dass wir Wege der Hoffnung und der Liebe gehen können.

Vater Unser                

Orgel:         Improvisation                   

Abkündigungen                

Segen                        

Orgelnachspiel:     Felix Mendelssohn Bartholdy: Lied ohne Worte E-Dur

Gottesdienst am 16.05.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist ab 10 Uhr als Livestream und später als Video auf unserem Youtubekanal verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung
Wasser ist ein Durstlöscher. Wasser erfrischt. Nach dem Wandern. Nach dem Sport. Zwischendurch. Ohne Wasser ist unser Leben nicht denkbar. Auch in der Bibel lesen wir viel über das Wasser. Es ist ein Symbol für das Leben. Für die Nähe zu Gott. „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.“ werden wir gleich gemeinsam beten. „Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, wer an mich glaubt,“ sagt Jesus im heutigen Predigttext. Lassen Sie sich in diesem Gottesdienst mit hineinnehmen in die Gedanken über den Durst. Und über das Wasser, das den Durst stillt.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 42, 2-6 und 9-12
2 Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. 3 Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue? 4 Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott? 5 Daran will ich denken und ausschütten mein Herz bei mir selbst: wie ich einherzog in großer Schar, mit ihnen zu wallen zum Hause Gottes mit Frohlocken und Danken in der Schar derer, die da feiern.
6 Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er mir hilft mit seinem Angesicht. 9 Am Tage sendet der HERR seine Güte, und des Nachts singe ich ihm und bete zu dem Gott meines Lebens. 10 Ich sage zu Gott, meinem Fels: Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich drängt? 11 Es ist wie Mord in meinen Gebeinen, wenn mich meine Feinde schmähen und täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott? 12 Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Gebet
Großer Gott, als guter Hirte führst Du uns zu frischem Wasser. In den Wüstenzeiten unseres Lebens. Aber auch dann, wenn es uns gut geht. Stärke uns in diesem Gottesdienst an Geist, Herz und Seele. Wecke in uns die Sehnsucht nach Dir und dem lebendigen Wasser. Das bitten wir Dich durch Deinen Sohn Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit. Amen.

Lesung: Johannes 7,37-39
37 Am letzten Tag, dem Höhepunkt des Festes, trat Jesus vor die Menschenmenge und rief laut: »Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, 38 wer an mich glaubt. So sagt es die Heilige Schrift: ›Ströme von lebendigem Wasserwerden aus seinem Inneren fließen.‹« 39 Jesus bezog dies auf den Heiligen Geist. Den sollten die erhalten, die zum Glauben an ihn gekommen waren. Denn der Heilige Geist war noch nicht gekommen, weil Jesus noch nicht in seiner Herrlichkeit sichtbar war.

Musik
Improvisation zu Psalm 42

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Vor einigen Jahren war ich in Uganda. Dort habe ich ein beeindruckendes Waisenkinderhaus besucht. Gegründet wurde es von einem jungen Mann namens Herbert. Deutsche Vornamen sind in Uganda durchaus häufig. Seine Familie war vor vielen Jahren vom Land in die Hauptstadt Kampala gezogen. Sein Vater war meines Wissens Anwalt, Herbert selbst hat in der Immobilienbranche Karriere gemacht. Seine Familie gehört zur gut versorgten Mittelschicht. Das Grundstück in einer ländlichen Gegend, auf dem sie früher gelebt haben, gehörte ihnen noch immer. Nach einigen Jahren stellten sie fest, dass sich verwahrloste Kinder auf dem Gelände aufhalten. Es waren Aidswaisen oder Kinder, die von ihren Familien wegen der Armut weggejagt wurden. Herbert und seine Familie haben nicht lange überlegt und angefangen, sich um die Kinder kümmern. Das habe Gott ihnen deutlich ans Herz gelegt, hat mir Herbert erzählt.
Ich bin ehrenamtliches Vorstandsmitglied in einer Organisation, die Herbert und die Kids unterstützt. In Uganda gibt es Wüsten, Savannen, aber auch wundervoll grüne Gegenden. Das Waisenkinderhaus steht inmitten von Bäumen und Bananenpflanzen. Ich habe in meinem Leben weder vorher noch hinterher so gute Avocado gegessen, wie dort. Allerdings gab es ein großes Problem: Das ganze Dorf liegt auf einem Hügel und hatte keinen Zugang zu frischem Wasser. Um also an Trinkwasser zu kommen, mussten Herbert und die Kinder mit Kanistern losziehen. Sie gingen anderthalb Kilometer weit zu einem Wasserloch. Ich war schockiert, als ich die Qualität des Wassers sah. Es war eine eklige, braune Brühe. Egal, wozu Herbert und die Kinder Wasser brauchten, sie mussten diese braune Brühe mühselig heranschaffen. Inzwischen haben wir dort eine Anlage aufgebaut, die Regenwasser fängt und einen Brunnen bohren können, der sogar einen Teil des Dorfes versorgt.
Aber dieses Wasserloch geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Zurück in Deutschland ist mir plötzlich aufgefallen, dass ich beim Zähneputzen das Wasser laufen lasse. Man stelle sich vor, ich hätte dieses Wasser von einem Loch anderthalb Kilometer entfernt holen müssen. Ich bin seitdem so dankbar, dass ich einfach nur den Wasserhahn aufmachen muss, wenn ich Wasser haben will. Ich kenne das gar nicht, dass Wasser wirklich richtig knapp ist, auch wenn die Wasserwerke in den letzten beiden Jahren wegen der Knappheit gewarnt haben.
Warum erzähle ich Ihnen das? Zum einen wegen meinem veränderten Verhältnis zum Wasser. Ich muss immer mal wieder an Uganda denken, wenn ich Wasser verwende. Es macht mich unheimlich dankbar, dass ich einfach duschen kann. Dass ich ausreichend sauberes Trinkwasser habe. Denn Wasser ist kostbar. Wasser ist nicht selbstverständlich. Und vor diesem Hintergrund erschließt sich mir der heutige Predigttext viel leichter. Jesus spricht: „Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, wer an mich glaubt.“ Jesus weist hier auf ein Bedürfnis hin. Wie das Wasser, brauchen wir in unserem Leben Annahme, Sinn und Hoffnung. Und Jesus sagt: Kommt her. Hier ist es. In den Wüstenzeiten, wenn sich das Leben ausgetrocknet anfühlt, dann hat Gott für uns eine Erfrischung parat. Mehr noch: Das lebendige Wasser steht uns durch Jesus immer zur Verfügung. Auch in den guten Zeiten ist es wichtig. Bei ihm können wir Kraft und Hoffnung schöpfen.
Wie geht das praktisch? Das ist der zweite Grund, weshalb ich Ihnen von Herbert erzähle. Herbert ist ein sehr frommer Mann. Man trifft ihn selten ohne Bibel an. Er strahlt eine große Zuversicht aus und es macht Spaß, mit ihm unterwegs zu sein. Aber Herbert hat auch Sorgen. Die Familie von Herbert setzt einen großen Teil ihres privaten Einkommens dafür ein, dass wildfremde Kinder ein Zuhause haben. Und sie können nur 20 Kinder aufnehmen, weil der Platz zu knapp ist. Und auch wenn das Land unheimlich viele Früchte hervorbringt, reicht das Geld manchmal nicht mal für einen Sack Reis, weil Herbert das Schulgeld zahlen muss. Inzwischen unterstützen wir ihn mit Kinderpatenschaften. Aber als ich ihn zum ersten Mal getroffen habe, da hatte er gerade mal wieder einen Engpass. Und trotzdem strahlte er diese Zuversicht aus. Und die Kinder auf dem Gelände waren fröhlich und ausgelassen und man sah ihnen an, dass sie glücklich waren. Jesus spricht: „Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, wer an mich glaubt. So sagt es die Heilige Schrift: ‚Ströme von lebendigem Wasser werden aus seinem Inneren fließen.‘"
Wenn ich Herbert sagen würde, dass dieser Vers sehr gut zu ihm passt, dann würde er abwehren. Ich finde: Zu ihm und von ihm fließt sichtbar lebendiges Wasser. Aber er würde sagen: Ich tue nur das, was richtig ist und was Gott mir ans Herz legt. Natürlich ist ihm bewusst, dass er etwas tut, was andere nicht tun. Und dass er Kindern eine Zukunft schenkt, die sie ohne ihn nicht hätten. Und doch gehört er für mich zu den Menschen, die eine Quelle lebendigen Wassers sind, ohne sich dessen immer bewusst zu sein. Und Quelle lebendigen Wassers zu sein heißt ja auch nicht, dass es einem selbst immer nur gut geht.
Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie Durst nach lebendigem Wasser? Und haben Sie die Quelle im Blick? Fließt von Ihnen lebendiges Wasser weiter an andere? Vielleicht ohne, dass Sie es bewusst wahrnehmen? Das Weiterfließen können wir übrigens nicht machen. Ich denke, dass wir auf Dauer nur das weitergeben können, was wir empfangen. Das lebendige Wasser kommt von Gott. Es fließt von ihm zu uns und weiter zu anderen Menschen. Jesus spricht: „Wer Durst hat, soll zu mir kommen. Und es soll trinken, wer an mich glaubt. So sagt es die Heilige Schrift: ‚Ströme von lebendigem Wasser werden aus seinem Inneren fließen.‘“
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lied
EG+ 61 "Wasser des Lebens"

Fürbitten
Gott, Du Quelle des Lebens, bei Dir ist Leben aus der Fülle. Doch nicht immer ist das zu spüren. Manche ignorieren den Durst nach Liebe und Geborgenheit. Andere versuchen, ihn mit anderen Dingen zu stillen. Hilf uns, dass wir uns nach Dir ausstrecken.
Gott, Du Quelle des Lebens, wir haben heute gehört, dass auch aus uns lebendiges Wasser zu anderen fließen kann. Wo wir das nicht merken, mache es uns bewusst. Hilf uns, dass wir uns gegenseitig ermutigen und einander zum Segen werden.
Gott, Du Quelle des Lebens, fassungslos schauen wir in den Nahen Osten. Es ist schwer verständlich, dass Gewalt sich immer wieder so brutal Bahn bricht. Wir bitten Dich um Frieden. Wir bitten Dich um Weisheit für die Menschen dort. Und wir bitten Dich: Lass nicht zu, dass der Konflikt auch hier in Deutschland gewaltsam ausgetragen wird, sondern schenke Dialog und ein friedfertiges Miteinander.
Gott, Du Quelle des Lebens, gestern und letzten Samstag haben die Konfirmandinnen und Konfirmanden aus dem letzten Jahrgang ihr Taufversprechen erneuert. Wir bitten Dich für sie: Erhalte ihren Glauben. Stärke ihre Hoffnung. Gib ihnen Mut und Geduld, der Spur Jesu zu folgen. Dein guter Geist lasse sie getrost ihren Weg gehen.
Gott, Du Quelle des Lebens, wir bitten Dich: Sei bei den Kranken, den Einsamen und Verbitterten. Sei bei den Menschen, die vor großen Herausforderungen stehen und um ihre Existenz fürchten müssen.

Vaterunser
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

Musik zum Ausgang

 

Ökumenischer Gottesdienst an Christi Himmelfahrt 2021 mit Video

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Begrüßung
Wir begrüßen Sie herzlich zu diesem Gottesdienst.

Wir sind sehr froh, ihn wieder in dieser Form feiern zu können: mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Immer noch unter Corona-Bedingungen. Aber wenigstens zusammen und jetzt sogar draußen an der Daki.

Es sind die Tage des ökumenischen Kirchtages in Frankfurt, der nun natürlich auch vor allem virtuell gefeiert wird. Deshalb freuen wir uns, dass wir Frau Veith bei uns begrüßen dürfen, die im Team von St. Bonifatius tätig ist.

Und wir sind froh, eine Pfarrerlegende endlich wieder erleben zu können; zu einem 1. Gemeindegottesdienst nach seinem Ruhestandsbeginn vor anderthalb Jahren: Dr. Ulrich Becke.

Wir feiern zusammen Christi Himmelfahrt. „Braucht Gott überhaupt ein Haus?“ Das war die Frage König Salomos, von dem wir gleich hören werden. Über das Für und Wider von Kirchenräumen. Wo spüren und erleben wir Gott dichter: draußen in der Natur, unter seinem Himmel, oder in der Kirche

Votum

Psalm 47
Gott ist König über alle Völker 1 Ein Psalm der Korachiter, vorzusingen. 2 Schlagt froh in die Hände, alle Völker, und jauchzet Gott mit fröhlichem Schall! 3 Denn der HERR, der Allerhöchste, ist zu fürchten, ein großer König über die ganze Erde. 4 Er zwingt die Völker unter uns und Völkerschaften unter unsere Füße. 5 Er erwählt uns unser Erbteil, die Herrlichkeit Jakobs, den er liebt. Sela. 6 Gott fährt auf unter Jauchzen, der HERR beim Schall der Posaune. 7 Lobsinget, lobsinget Gott, lobsinget, lobsinget unserm König! 8 Denn Gott ist König über die ganze Erde; lobsinget ihm mit Psalmen! 9 Gott ist König über die Völker, Gott sitzt auf seinem heiligen Thron. 10 Die Fürsten der Völker sind versammelt als Volk des Gottes Abrahams; denn Gott gehören die Schilde auf Erden; er ist hoch erhaben.

Glaubensbekenntnis
Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.

Und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott , Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserm Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein.

Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, und die eine, heilige, christliche und apostolische Kirche. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt. Amen.
(Nizäa-Konstantinopel, EG 805 / GL 586.1

Lesung 1. Könige 8,22-24; 26 – 28         
Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel 23 und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; 24 der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. 26 Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast. 27 Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? 28 Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.

Predigt

Das ist wahrhaftig großes Kino in Cinemascope und Sensorround: Stoff für opulente Bibelfilme a la Hollywood, diese Szene: endlich ist der Tempel in Jerusalem auf dem Tempelberg fertig erstellt.

Golden erstrahlen seine Zierfriese im Licht der Sonne. Gewaltiger Hofstaat umwogt Salomo, den sprichwörtlich weisen König. Sein Vater hat ein Imperium gegründet, einen Weltstaat. (Klammer auf - so schildert es die Tradition Israels. Merkwürdig, dass keine der zeitgenössischen anderen Quellen das davidisch-salomonische Großreich überhaupt auch nur erwähnt – Klammer zu)

Schon David hatte vor, seinem Gott, dem Gott Israels, einen Tempel zu errichten, um ihn vor dem Volk und den Nachbarstaaten zu verherrlichen, aber auch, um ihn listenreich an einen festen Wohnsitz zu binden als Garantie des Fortbestandes Israels.

Aber – so erzählt es die Bibel: Gott selbst verbietet ihm das, denn an seinen Händen klebt Blut, das Blut des Hethiters Uria, den David hat im Krieg ermorden lassen, um seinen Ehebruch mit Batsheba, dessen Frau, zu vertuschen; Sie kennen die Geschichte?

Und jetzt darf Salomo, der Herr über 700 Frauen und 300 Nebenfrauen in seinem Harem, das Lebenswerk des Vaters vollenden.

Und mitten in einem Gebet der großen Worte, das ja auch ein klein bisschen der Majestät der eigenen Person bühnenshowmäßig dienen soll und dient, blitzt und blinkt da doch fast überraschend sprichwörtlich salomonische Weisheit durch:
Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?

Und das heißt ja zum einen: wer bin denn ich, dass ich dem Unendlichen, dem Ewigen Israels ein Haus bauen oder zumindest einweihen könnte oder sollte?

Schimmert da etwas durch wie Martin Luthers Panikattacke bei seiner ersten Messe: im Angesicht Gottes – wer bin denn überhaupt ich vor dem lebendigen Gott?

Luther hat die Szene oft geschildert: bei seiner Primiz, seiner ersten von ihm gelesenen Messe, packt ihn wahre Panik beim Gebet „Te igitur, clementissime Pater“ und er will weg vom Altar flüchten, woran ihn sein Prior gerade noch hindern kann. Katholische Amtsbrüder haben mir versichert, dass das selbstverständlich ein Moment sei, der an die Existenzgrundlage eines Neupriesters gehe: das Hochgebet unmittelbar nach der Wandlung, das er an den im Brot jetzt präsenten Gott zu richten habe.

Zurück zu Salomons Fragestellung bei der Tempelweihe in Jerusalem: Braucht Gott überhaupt ein Haus? Können, ja: sollen wir ihn denn nicht besser unter freiem Himmel verehren wie das bei uns an Himmelfahrt zur Tradition geworden ist? So wie wir heute am Fest Christi Himmelfahrt?

Da gibt’s ja den gebräuchlichen Satz, den Pfarrer - etwa beim Geburtstagsbesuch - immer wieder zu hören bekommen: meinen Gott finde ich draußen beim Wandern, im Wald. Eine Kirche brauche ich dazu nicht!

Und dazu die alte Pfarrerreplik (meist nur gedacht oder allenfalls gemurmelt): dann soll Dich doch später mal der Oberförster beerdigen…

Im Ernst: Andachten unter freiem Himmel, wie ich sie immer wieder viele Jahre lang auf Gemeindefahrten gefeiert habe, gehören zu meinen schönsten Erinnerungen, im Wald, oder in der Wüste, wo etwa die Landschaft zum Ausleger des 23. Psalms wurde.

Und doch andererseits: Menschen brauchen Kirchen – das spüren wir schmerzlich in einer Zeit, die uns zu Digitalgottesdiensten nötigt.

Das sehen und erleben wir ja zu den Öffnungszeiten unserer Kirche an Werktagen: Menschen, die eine Kerze anzünden, für andere, für sich selbst, einfach nur still da sitzen – und dazu den umbauten Kirchenraum brauchen und nützen.
Und ganz gewiss ist dazu eben auch der Alltagsraum geeignet für private und unprätentiöse Kurzandachten.

Ein kleiner praktischer Vorschlag dazu: ganz am Ende eines Tages, so kurz vorm Einschlafen einfach mal die schönsten Sequenzen und Momente des vergehenden Tages im Geiste vor uns vorbeiziehen lassen, um dann schlicht „Danke, Gott“ zu sagen.

Wie gesagt, beides ist gut und weise: mitten im Freien, mitten im Alltag einfach mal nur so an Gott denken. Ja, auch im Urlaub. Ich hoffe, Sie erinnern sich noch, was das früher mal war: Urlaub…

Und sich dann wiederum, wenn das hoffentlich bald wieder geht: im Kirchenraum mit hineinnehmen lassen in die Geschichte Gottes mit allen seinen Menschen, sich als winziger und demütiger Teil eines ganz großen Ganzen zu fühlen. So muss es mit einem Mal damals Salomo bei der Einweihungsfeier für den funkelnagelneuen Tempel in Jerusalem ergangen sein.

Himmelfahrt ist ein schönes Fest, meist bei schönem Wetter. Vollkommen fälschlich ja auch Vatertag genannt…

Ich denke, hinter diesem Feiertag steht eine zunächst sehr schmerzliche, aber dann sehr befreiende Erfahrung der Urgemeinde damals in Jerusalem.

Um sie neu zu verstehen, lassen Sie uns einen Umweg über die Zoologie gehen.
Wie wird ein junger Bär selbständig und mündig?

Das geschieht, wenn die jungen Bären etwa zwei Jahre alt sind und die Mutter erneut trächtig wird. Sie treibt dann die kleinen Bären mit großem Nachdruck auf einen hohen Baum und setzt sich schnell ab. Bis dahin haben die Kleinen gelernt, dass das Kommando der Mutter in jedem Fall unbedingte Gültigkeit hat. Und so sitzen sie mit wachsender Ungeduld und Angst und steigendem Hunger hoch im Baum, bis sie die Einsicht ins Notwendige zwingt, den Baum zu verlassen, um jetzt selbständig ins Erwachsenenleben, ja auch ins Erwerbsleben zu treten – und der eigene Futtererwerb beginnt.

Ich denke, das steht hinter der urgemeindlichen Erfahrung von Himmelfahrt. Ich sehe in erstaunte Gesichter.

Da gibt es eine Zeit damals in Jerusalem, wo die Jüngerinnen und Jünger noch eine Zeitlang nach Ostern irgendwie fühlten und glaubten, ihr Meister sei nach wie vor mitten unter ihnen. Und dann geht dieses Gefühl für immer von ihnen, geht der Meister von ihnen für immer.

Und sie lernen, von nun an müssen wir als Gemeinde auf eigenen Füßen stehen, müssen wir geistlich erwachsen werden. Unsere spirituelle Ausrüstung bleibt uns, die hat ER uns überlassen, ER, der jetzt für immer nicht mehr unter uns ist. Das, was er uns gelehrt hat, befähigt uns zum aufrechten und erwachsenen Gang als seine Gemeinde.

In einem Gebetbuch für Kirchentag stehen die Worte:

Ich bin hier.
Ich habe Zeit.
Ich spüre den Boden unter mir.
Ich bin getragen.
Du, Gott, trägst mich.
Danke!
Von allen Seiten umgibst du mich.

Ich atme. Ich atme ein und atme aus.
Mein Atem kommt. Mein Atem geht.
Und kommt von Neuem.
Ich bin lebendig.

Ich atme. Ich atme ein und atme aus.
Mein Atem kommt. Mein Atem geht.
Und kommt von Neuem.
Ich bin lebendig.
Du, Gott, bist mein Leben.
Danke!
Du hast mich wunderbar gemacht.

Ich denke an das, was ich erlebt habe
in den vergangenen Stunden:
was mich erfreut hat oder geärgert hat …
was mich berührt oder provoziert hat …
Danke für alles!
Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz.

Ich denke an die Menschen,
denen ich begegnet bin: …
Du warst dabei!
Du verstehst meine Gedanken von ferne.

AMEN

Ökumenische Fürbitte
Großzügiger Gott,ich danke Dir für diesen neuen, frischen Tag. Einen Tag, den ich mir nicht verdient habe, aber einen Tag, den Du mir gegeben haben. Einen Tag gefüllt mit Gemeinschaft und Verbundenheit. Zu oft sehe ich nur Unterschiede, wenn ich in die Gesichter um mich herumschaue. Ich habe Sorge vor zu großer Nähe. Ich habe Angst die Bedürftigen zu erkennen, die mit Mangel leben. Ich traue mich nicht, in mich selbst zu schauen und die Widersprüche zu betrachten. Zeige mir den Weg in eine Beziehung mit allen Deinen geliebten Kindern, von denen jedes seine Heiligkeit offenbart. Und auch ich bin eines von ihnen.

Für Frieden und Gemeinschaft, öffne meine Augen!

Verbindender Gott, ich danke Dir für unsere christlichen Geschwister hier vor Ort und in der ganzen Welt. Wir versammeln uns vor dir und du versorgst und reichlich. Wir leben gemeinsam hier in diesem Ort, in dieser Stadt, in diesem Land. Heute feiern wir gemeinsam und morgen sind wir schon wieder verstreut und voneinander getrennt. Vielleicht auch wieder fremd. Du zeigst uns, dass wir nur in der Gemeinschaft genug Nahrung finden. Nur, wenn wir alle zusammenlegen, ist genug für alle da. Zeige mir den Weg, wie ich jedes deiner Geschöpfe mit dem Herzen ansehen kann. Hilf mir, dass ich auch Fremdlinge von jenseits meiner Gemeinde, meines Ortes, meiner Stadt und meines Landes in meine Nähe lasse.

Für Frieden und Gemeinschaft, öffne meine Augen!

Dreieiniger Gott, heute leben wir die Ökumene, mit kleinen oder mit großen Schritten. Wir sehen unsere gemeinsame Mission in Deiner Welt. Ich bitte Dich für Freundlichkeit in unseren Glaubensgemeinschaften, auch wenn wir uns in manchem uneinig sind. Ich bitte Dich um Weisheit und Einsicht, um die Einheit aufrechtzuerhalten, ohne Einheitlichkeit zu fordern. Zeige mir den Weg, in unseren Gemeinden die Vielfalt zu feiern, anstatt sie zu einem Grund zur Spaltung zu machen. Hilf mir, meinen Teil beizutragen, um Christ*innen zueinander zu führen und Versöhnung zu bringen.

Für Frieden und Gemeinschaft, öffne meine Augen

Vater Unser

Segen

Musik

Gottesdienst am 9.5.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik

An diesem Morgen begrüße ich Sie herzlich an Ihren Bildschirmen. Beten – macht das heute noch Sinn? Bewirkt es etwas? Um diese Fragen geht es an diesem Sonntag, der den Namen „Rogate“ trägt – das heißt eben „Betet!“ Für die einen gehört das Beten ganz natürlich zum Tagesablauf hinzu, andere wieder können gar nichts damit anfangen. Mit Ihnen möchten wir heute einen Weg gehen und erkunden, wie das Leben und das Beten zusammengehören. Zum Anfang hören wir dazu das biblische Wort der neuen Woche aus Psalm 66,20, das eine besondere Erfahrung enthält und sagt: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft und seine Güte nicht von mir wendet.“

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 95
Kommt, lasst uns Gott zujubeln!
Wir wollen ihn loben, den Fels, bei dem wir Rettung finden!
Lasst uns dankbar zu ihm kommen
Und ihn mit fröhlichen Liedern besingen!
In seiner Hand liegt alles – von den Tiefen der Erde
Bis zu den Gipfeln der höchsten Berge.
Ihn gehört das Meer, er hat es ja gemacht, und seine
Hände haben das Festland geformt.
Kommt, wir wollen ihn anbeten und uns vor ihm beugen.
Lasst uns kommen vor den Herrn, unseren Schöpfer!
Denn er ist unser Gott, und wir sind sein Volk.
Er kümmert sich um uns wie ein Hirte,
der seine Herde auf die Weide führt.

Gebet
Gott, ich vernehme die Worte dieses Psalms. Und doch frage ich: Hörst du mich? Oder hallt mein Gebet ins Leere? Ich rufe zu dir in meiner Not, ich liege wach, meine Gedanken kreisen. Vor dir, so sagen sie, kann ich meine geheimsten Gedanken zu Ende denken, kann in Worte fassen, was ich sonst niemandem sage.

Hörst du mich, Gott?  Klingt mein Rufen hinauf bis zu dir oder bleiben meine Worte ungehört? Vernimmst nicht einmal du, was ich hinausschreien muss? Nimmst nicht einmal du wahr, wie es um mich steht?

Und doch - ich bin gewiss, dir kann ich meine innere Traurigkeit zeigen, kann auch von meinen Ängsten sprechen, zu versagen. Vor dir kann ich sein, wie ich bin.
Dafür danke ich dir. Lass mich dich in meinen Gebeten suchen und dich finden.
Amen.

Lied: 444,1.3.4 Die güldene Sonne

Der Predigttext dieses Tages findet sich im Buch Jesus Sirach 35,13-18a. Dieser Text aus den sogenannten Apokryphen ist für diesen Sonntag in der neuen Perikopenordnung der EKD vorgeschlagen.

„Gott hilft dem Ärmsten ohne Ansehen der Person und erhört das Gebet des Unterdrückten. Er verachtet nicht das Flehen der Waisen noch die Witwe, wenn sie ihre Klagen ausschüttet.
Laufen ihr nicht die Tränen die Wangen herunter, und richtet sich ihr Schreien nicht gegen den, der die Tränen fließen lässt?  
Der Mensch, der Gott dient, wird mit Freude angenommen, und sein Gebet reicht bis in die Wolken. Das Gebet eines demütigen Menschen dringt durch die Wolken, und es lässt nicht nach, bis es sein Ziel erreicht hat;
es gibt nicht auf, bis der Höchste sich seiner annimmt.“

Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,
es war einmal ein Seufzer. Der kam tief aus dem Herzen einer jungen Frau, er schlüpfte durch ihren Mund und schwebte unsichtbar durch die Luft in Richtung der Wolken. Der Seufzer hieß: „Ach Gott! Wie soll es nur weitergehen?“ Ein kleiner Satz nur, aber ein ganzes Leben steckte darin. Sie musste sich völlig neu orientieren.  Ihre Lebenspläne waren durcheinandergeraten. Und es war ganz anders gekommen, als sie es sich immer vorgestellt hatte. Nun war sie wieder allein, war ganz jung schon Witwe geworden. Niemand, der sie versorgte. Noch durfte sie im Haus bleiben, aber die Gnadenfrist würde bald ablaufen. Ihre Familie war da, ja, sie würde sie unterstützen. Aber wer will schon auf die Barmherzigkeit der anderen angewiesen sein?  „Ach Gott, wie soll es nur weitergehen mit mir?“ So viele Gedanken steckten in diesem kleinen Seufzer. Schwer, dunkel und kaum zu ertragen. Dieser Seufzer - der war gar nicht als Gebet gemeint. Gar nicht als Suche nach Trost und Gewissheit, oder als Zwiesprache mit Gott. Nein, dieser Seufzer war einfach nur ein Stoßseufzer. Eine Klage. Gerade mitten aus der Dunkelheit ihres Lebens.

Lied + 26,1.2 Aus der Tiefe

Und doch – dieser tiefe Seufzer machte sich auf den Weg durch die Luft und flog in Richtung Wolken. Und er blieb doch nicht unbemerkt: als er die Wolken durchbrach, landete er direkt in Gottes Ohr. Und Gott war wach. Er hörte all das, was da mitschwang:  alle Trauer. Alle Angst. All diese Ratlosigkeit, und auch die kleinen Hoffnungen, die doch irgendwie mit dabei waren. Und in Gottes Ohren wurde aus dem Seufzer ein Gebet. Und dieses Gebet bewegte Gottes Herz.

Stellen wir uns nun einen Moment lang vor, es würde weitergehen wie in einem Märchen: da würde Gott die Sterne vom Himmel regnen lassen in die Schürze dieser Frau, und würde sie in Goldmünzen verwandeln. Oder er würde eine andere Witwe schicken, die reich ist, die geerbt hat und mit der unsere Frau nun in einer WG leben würde und einen Laden eröffnen könnte. So wäre das in einem Märchen. Aber in Wirklichkeit?  In unserer Wirklichkeit sind solche traumhaften Gebetserhörungen selten – auch wenn es sie durchaus auch geben kann. Gebetserhörungen funktionieren oft nicht eins zu eins.

So wie ich es bisher in meinem Leben erfahren habe, sieht es eher anders aus: wenn ich ein Unglück erlebt habe, etwas, was mich aus der Bahn geworfen hat, von jetzt auf gleich, dann weine ich, ich schimpfe auch, ich lasse meiner ganzen Not freien Lauf. Ich klage anderen mein Leid und muss es irgendwie loswerden. Ich mühe mich ab mit meinen Gefühlen und ich suche nach Lösungen, die mir jetzt helfen.  Und zwischendurch schicke ich einen Seufzer und Tränen in den Himmel, hoffe auf ein Wunder und weiß im nächsten Moment gar nicht, ob ich damit rechnen darf. Und dann kommen da diese Fragen: „Ich habe das Gefühl, als ginge mein Gebet nur bis zur Zimmerdecke. Hört Gott mich denn eigentlich? Lässt er sich bewegen von meinem Gebet? Wird er meine Tränen trocknen, wird er mich Heilung sehen lassen?“

Die Bibel sagt dazu: Doch. Gott hört uns. Und er lässt sich von uns bewegen. Gott reagiert auf unsere Tränen und auf unser Leid. Manchmal auch auf sehr verblüffende Weise und sehr unterschiedlich.

Ich denke an Hagar, die Magd von Sarah; sie erwartet und bekommt ein Kind von Abraham. Als sie mit ihrem Sohn in die Wüste verbannt wird, hat sie nicht einmal mehr Kraft für ein Gebet. Nur noch für Tränen reicht es, während sie meint, sie müsse ihrem Sohn beim Verdursten zusehen. Gott aber hört das Weinen des Kindes und schickt einen Engel, der ihnen einen Brunnen zeigt. Beide überleben und verbringen ihr Leben am Rande der Wüste. Das ist wohl nicht das, was Hagar sich gewünscht hat. Aber sie und ihr Sohn dürfen leben.

Und ich denke an Paulus, den Prediger, Apostel und Missionar.  Er reist durch den Mittelmeerraum und erzählt den Menschen von Gottes Liebe, die er in Jesus Christus gezeigt hat. Paulus trägt an einer schweren Krankheit.  Sie behindert ihn, und er bittet Gott um Heilung. Nun heißt Gottes Antwort: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Es ist nicht ganz das, was Paulus sich erhofft hatte, aber es macht ihm Mut, es stärkt seine Seele und es hilft ihm, dennoch zu leben und nicht aufzugeben.

Wenn Sie an Ihr Leben denken: Gab es da Situationen, wo Ihr Klagen erhört worden ist?  Haben Sie es erlebt, dass Ihr Beten etwas zum Guten verändert hat? Vielleicht ganz anders, als Sie es sich erhofft haben -  aber doch so, dass Sie im Rückblick sagen können: „Ja, da hat Gott mir geholfen, da habe ich eine neue Perspektive gefunden, eine neue Kraft für mein Leben. Da bin ich trotz allem hindurchgekommen“?

Lied: +26,4 Aus der Tiefe

Erstaunlicherweise geht der Schreiber unseres Predigttextes fest davon aus, dass Gott ganz besonders das Gebet der Witwen und Waisen, der Ärmsten und Demütigen hört. Warum? Weil sie es sind, auf die sonst niemand hört. Die keine Lobby haben, keine Fürsprecher. Die, die sozial schwach sind und bedürftig, sie liegen Gott ganz besonders am Herzen. Gerade sie sollen nicht unter die Räder kommen. So ist es in der Thora festgehalten. Die Witwen und die Waisen haben einen Anspruch auf Versorgung; sie sollen besonders als Menschen mit Rechten und mit Würde wahrgenommen werden. Und darum ist es die Aufgabe jeder Frau und jedes Mannes, die sich selbst als gläubig bezeichnen oder als gottesfürchtig, die Klagen dieser Ärmsten zu hören und auf sie zu reagieren.

Darum könnte die Geschichte vom kleinen, tiefen Seufzer so weitergehen:

Auf dem Weg vom Herzen der Frau bis hoch zu den Wolken kam der Seufzer an einigen Menschen vorbei. Am Hausbesitzer zum Beispiel – und dem fiel der Satz aus der Thora ein: „Witwen und Waisen dürft ihr nicht ausbeuten“ (aus dem 2.  Buch Mose 22,21). Und er ging zu der Frau und bot ihr an, ihre Miete zu senken. Und der Seufzer kam an einer alten Freundin vorbei, die mit ihrem eigenen Leben, ihrer Familie und ihren Kindern so beschäftigt gewesen war, dass sie das Schicksal der Frau kaum wahrgenommen hatte. Und nun ging sie zu ihrer Freundin und fragte sie: „Was brauchst du? Hab keine Scheu, es mir zu sagen.“

So kann es gehen, wenn ein Seufzer sich auf den Weg zum Himmel macht. Wenn wir selbst seufzen, dann dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott uns wirklich hört.

Und wenn wir die Seufzer eines anderen Menschen hören, dann ist es unsere Aufgabe, darauf zu reagieren und zu antworten. Eines aber gilt: jedes Gebet trägt eine Kraft in sich. Wir dürfen groß vom Beten denken. Beten hat Folgen.  Es kann andere zum Handeln bringen.

Jedes Gebet verändert uns. Es bewegt Gott. Und es verändert unsere Mitmenschen, indem es sie barmherziger machen kann. Darum ist es lebenswichtig, am Beten festzuhalten.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen.

Lied: + 31 Der Herr segne dich

Fürbitten
Du, unser Gott, Barmherziger, den Faden zu Dir immer neu knüpfen, mit Herz und Seele an Dir hängen, das hält uns lebendig, innerlich wie äußerlich. Manchmal ist unser Beten nur Schweigen, nur ein Stoßseufzer oder eine Klage. Dann wieder ist es überschwänglicher Dank oder ein jubelndes Lied. So sind wir da und hoffen, dass Du uns hörst, Dich bewegen und berühren lässt, dass Du Situationen und Menschenherzen verändern kannst.

Heute danken wir Dir für unser Leben. Dass wir versorgt sind mit allem, was wir benötigen. Für unsere Familien und Freundinnen und Freunde danken wir, für alle, die sich um uns sorgen und nach uns fragen.

Wir bitten für alle, die nicht mehr beten können. Denen der Zweifel, die Enttäuschung oder die Verbitterung den Mund verschlossen hat.  Öffne ihnen eine neue Tür zu Dir. Schenke ihnen neuen Mut, Dir zu vertrauen.

Wir bitten für alle, die erkrankt sind. Dass sie die Hoffnung nicht verlieren, geduldig mit sich sind, Hilfe und Genesung erfahren, wo immer es möglich ist.

Für alle, die sich am Rande der Gesellschaft und übersehen fühlen, bitten wir. Schenke ihnen Wertschätzung und einen liebevollen Menschen, der an ihrer Seite ist.

Wir bitten für alle, die politisch verfolgt werden. Dass ihre Botschaft gehört und respektiert wird. Schenke ihnen Recht und Befreiung.

Für alle Trauernden bitten wir, die einen Menschen verloren haben. Lass sie Trost erfahren. Lass ihnen Hilfe und Beistand nahe sein.

Du, Kraft unseres Lebens, öffne unsere Sinne für die Zeichen Deiner Gegenwart. Stärke uns und lass uns zuversichtlich leben vor Deinem Angesicht.

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden
Amen

Musik

Gottesdienst am 2.5.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik als Medizin; die heilende Kraft des Gesangs; Singen und Veränderung
Der Sonntag ‚Kantate‘ ist der Sonntag des Singens.  Der erleichterte Dank, das Loblied der Geschöpfe, der mutige Gesang gegen Unrecht und Angst – unsere Lieder vereinen sich zu einem vielstimmigen Lobgebet. Wo er so besungen wird, dort ist Gott ganz nah. Und dort können wir uns wandeln zu liebevollen, verantwortlichen und dankbaren Menschen.

Musik

Begrüßung
Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder. Der Wochenspruch aus Psalm 98 (V.1) hat auch diesem Sonntag seinen Namen gegeben: Singet! Kantate! Auch wenn es uns manchmal schwer möglich ist zu singen: Im Singen und im Loben bringen wir unseren Glauben zum Ausdruck. Wir bringen vor Gott, was uns das Leben schwermacht und loben ihn für die Wunder, die er an uns tut. So feiern wir diesen Gottesdienst im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Psalm 98
Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder. Er schafft Heil mit seiner Rechten und mit seinem heiligen Arm. 2 Der HERR lässt sein Heil verkündigen; vor den Völkern macht er seine Gerechtigkeit offenbar. 3 Er gedenkt an seine Gnade und Treue für das Haus Israel, aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes. 4 Jauchzet dem HERRN, alle Welt, singet, rühmet und lobet! 5 Lobet den HERRN mit Harfen, mit Harfen und mit Saitenspiel! 6 Mit Trompeten und Posaunen jauchzet vor dem HERRN, dem König! 7 Das Meer brause und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. 8 Die Ströme sollen in die Hände klatschen, und alle Berge seien fröhlich 9 vor dem HERRN; denn er kommt, das Erdreich zu richten. Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker, wie es recht ist.

Lied: 287     Singet dem Herrn ein neues Lied

Eingangsgebet
Singen wollen wir dir, Herr, und deinen Namen preisen.
Doch oft bleibt uns das Wort im Hals stecken. Not und Leid dieser Welt machen uns sprachlos. Auch unsere Umwelt leidet stumm.
Darum bitten wir dich: Befreie uns aus aller Not und unserem Kleinglauben, gib uns Worte, da Öffne unsere Ohren, dass wir dein Wort hören und die Sorgen unserer Mitmenschen nicht überhören; öffne unsere Augen, dass wir deine Wunder sehen und die Not nicht übersehen, die uns begegnet; öffne unseren Mund zu Klage und Lob, dass wir dir singen in der Kraft des Heiligen Geistes.

Lesung
Musik hat die Kraft, das verstörte Gemüt von Menschen aufzuhellen. So wird es vom jungen David erzählt, der für König Saul auf der Harfe spielt.
 
Alttestamentliche Lesung: 1. Samuel, 16, 14-23

Lied: 501    Wie lieblich ist der Maien

Predigt
Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder. Ps 98, 1

Liebe Gemeinde,
Singen: als Kind mit dem Schulchor die Carmina Burana, dort in Königstein, wo jetzt die Orgel aus der Johanneskirche aufgebaut worden ist. Melodien, die mich mein ganzes Leben begleiten, obwohl ich danach nie wieder in einem Chor gesungen habe. Aber im Gottesdienst. Und ein paarmal in einer leeren Kirche zusammen mit meiner Frau. Für uns kam es aus ganzem Herzen. Es war wie ein inniges Gebet für mich. „Wie lieblich ist der Maien“ in einer leeren Klosterkirche in Thüringen.

Singen: Irgendwann vor ihrer Konfirmation sagte der Pfarrer zu ihr: „Du stellst dich dann ganz hinten hin, wenn wir im Gottesdienst unser Konfirmandenlied singen. Und dann machst du einfach nur den Mund auf und zu und tust nur so, als ob du singen würdest!“ Das erzählte mir die alte Dame mit bebender Stimme. Und dass sie jetzt doch manchmal singen würde. Obwohl ihr die Worte von damals immer noch weh tun. Ein Wunder überhaupt, dass sie nicht aufgehört hat zu singen. Und ein Wunder, dass ihr der Glaube nicht abhandengekommen ist.

Singen: Was uns etwas bedeutet, spüren wir, wenn wir es nicht mehr haben. Im Moment des Verlusts. Für mich ist es nun schon das zweite Jahr, in dem eines meines Lieblingslieder gewissermaßen nicht funktioniert: Denn das tut es nur mit anderen, als Gemeindegesang oder sagen wir: also Mindestens zu Zweit. Es gibt ein paar Lieder im Gesangbuch, die mich so ergreifen, dass ich manchmal dabei weinen muss. Unser Kantor und Organist Frank Scheffler könnte viel darüber sagen: die heilsame Wirkung des Gesangs; das Singen in der Gemeinschaft; die positive Wirkung auf Körper, Geist und Seele.

Ich erinnere mich an den heiligen Schauer, den ich in einem Gottesdienst in Schönberg empfand, als im Lied „Du meine Seele singe“ der Posaunenchor einsetzte. Das war gewaltig, dazu der brausende Gemeindegesang. Für mich haben viele Lieder eine reinigende, kathartische Wirkung. Und deshalb gehört fehlender Chor- und Gemeindegesang in Coronazeiten auch zu der seelischen Inzidenz, die Bischof Bedford-Strom neulich angesprochen hat. Zu etwas, was wir schmerzlich vermissen.

Singen ist also nicht nur singen. Es macht etwas mit uns, wie das Beten; es ist eine Kraft, die eine Veränderung bewirken kann. Nicht nur mit uns, sondern über uns hinaus, wie das Gebet.

Kantate, Singt! Das Singen ist Ausdruck des gelebten Glaubens. Wenn wir die schönen Lieder singen, dann empfinden wir zugleich den Widerspruch zu unserer Wirklichkeit. Singen wir von Gottes Herrlichkeit und beklagen das Leid der Menschen in Indien. Wenn wir von dem Frieden singen, den uns Christus gebracht hat, dann gehört dazu, dass wir über den Unfrieden klagen und sehen, wo Menschen unter Krieg und Verfolgung leiden. Wenn wir in der Osterzeit davon singen, dass Gott neues Leben schenkt und uns frei atmen lässt, dann denken wir an George Floyd und stimmen ein in die Rufe gegen Rassismus auch hier bei uns. Wenn wir in den Liedern Gottes wunderbare Schöpfung besingen hören wir zugleich das Seufzen der Kreatur und denken an den Klimawandel und das Leiden von Pflanzen und Tieren und treten ein für das Lebensrecht der Natur und der nachfolgenden Generationen.

Singen:  es kann für uns nicht beim Singen allein bleiben. Wir freuen uns am Gesang. Ich kann gar nicht abwarten, dass es wieder erlaubt ist in der Kirche, die Zeit wird sehr lang. Ich weiß das alles ganz neu zu schätzen. Und ich weiß jetzt, dass es so nicht weitergehen kann.
Mit dem Gesang können wir uns gegenseitig dazu stärken. „Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit, mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.“ So heißt es in der Epistel für heute. Selbst wenn wir im Gottesdienst noch nicht miteinander singen können, können wir einstimmen in den großen Gesang der Kirche und in das Lob der ganzen Schöpfung und der Welt, wie sie ist und wie sie sein wird mit Gottes und mit unserer Hilfe: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Erde verändert ihr altes Gesicht. Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Erde lebt auf und wird licht.“
Amen

Lied

Gebet und Fürbitten
Gott, du Herr des Lebens, dich preisen wir mit unseren Liedern;
doch wir rufen auch wegen des Unrechts, das in der Welt geschieht. Mit unseren Klagen und Bitten kommen wir zu dir:
 
Wir beklagen die Friedlosigkeit, die an so vielen Orten der Erde herrscht,
und bitten für alle Frauen, Männer und Kinder, die an den Folgen von Hass leiden, wir bitten für die Menschen, die auf der Flucht sind und für die, die bei uns in Frieden leben wollen.
Wir rufen zu dir: Herr, erhöre uns.
 
Himmelschreiend ist das Unrechts, das uns in der Nähe und in der Ferne begegnet, und wir bitten dich für alle Menschen, denen die Freiheit zum Atmen fehlt und für die, die unterdrückt und benachteiligt werden, wir bitten für die Kinder, die Opfer von Gewalt und Missbrauch werden.
Wir rufen zu dir: Herr, erhöre uns.
 
Wir loben deine Schöpfung und bringen vor dich ihrLeiden, wir beklagen das Aussterben von Tierarten und die Massentierhaltung; wir sorgen uns um das Klima auf der Erde und die Verwüstung von Lebensräumen, wir bitten dich für die belebte und unbelebte Natur.
Wir rufen zu dir: Herr, erhöre uns.
 
So oft vergessen wir beides: wir schreien nicht vom Unrecht, das wir sehen,
und wir singen nicht von der Hoffnung, die wir haben.
Wir rufen zu dir: Herr, erhöre uns.
 
Wir bitten dich für uns alle:
Gib uns den Mut und die Freude, dir Lob zu singen.

Vater Unser

Segen

Abkündigungen

Musik

Gottesdienst am 25.4.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik
Begrüßung
Jubilate – freut euch! Das ist der Name dieses Sonntags. Dazu ein herzliches Willkommen hier aus der Wilhelmskirche in Bad Nauheim! Freut euch – das Osterlicht leuchtet. Die Osterfreude klingt weiter. Die Welt um uns herum steht in voller Blüte, und wir atmen etwas von der Schöpfung, die wieder neu wird.
Das passt gut zu dem Wochenspruch er Bibel aus dem 2.  Korintherbrief; er lautet: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen, sieh: Neues ist geworden!“
So lasst uns diesen Gottesdienst feiern im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 66
Jubelt Gott zu, all ihr Menschen auf der Erde! Singt und musiziert zu seiner Ehre. Rühmt seinen Namen heute und morgen. Du handelst in Liebe und dein Werk ist Erbarmen.
Für deine Kinder verwandelst du das Meer, machst es zum gangbaren Weg, zur trockenen Bahn. Durch deine Hand wird unser Leben erhalten. Du bewahrst uns, dass unsere Füße nicht gleiten, und deine Augen blicken auf unser Tun. Jubelt ihr Länder, lasst alle Welt zur Ehre Gottes singen. Alle werden sich vor dir beugen, du Höchster.

Gebet
Du naher und ferner Gott zugleich, wir kommen vor dein Angesicht an diesem Tag. „In dir leben wir und sind wir“, so hören wir es heute. Eine jede und ein jeder ist mit dir, unser Gott, verwoben. Deine Nähe durchzieht unser Leben so wie ein roter Faden. Mal nehmen wir ihn wahr, mal läuft er verdeckt durch das Webmuster unseres Lebens. Wir suchen dich – hinter den Wundern deiner Schöpfung und zwischen den Rätseln unseres Lebens. Und wo wir dich gefunden haben, da hüpft unsere Seele vor Freude. Lass dich von uns finden. Darum bitten wir dich im Namen deines Sohnes Jesus Christus, unseres Bruders und Herrn. Amen.

Lied EG 324,1.2.12.13  Ich singe dir mit Herz und Mund

Lesung  Apostelgeschichte 17,22-34 (nach der Hoffnung für alle und der Bibel in gerechter Sprache)

Paulus wartete in Athen auf seine Mitarbeiter Silas und Timotheus. Er erfuhr, dass die Athener immer gerne etwas Neues sagen oder hören wollten. Nun stand er mitten auf dem Areopag, dem zentralen Platz der Stadt, und rief:  „Ihr Leute von Athen, ich sehe, dass ihr euren Göttern mit großer Hingabe dient. Denn als ich durch eure Stadt ging und mir eure Heiligtümer ansah, habe ich sogar einen Altar gefunden, auf dem stand: ‚Für die unbekannte Gottheit‘. Diesen Gott, den ihr verehrt, ohne ihn zu kennen, den möchte ich euch nun bekannt machen.

Es ist der Gott, der die Welt und alles, was in ihr ist, geschaffen hat. Er ist Herr des Himmels und der Erde und wohnt nicht in Tempeln, die Menschen gebaut haben. Er lässt sich nicht von Menschenhänden versorgen, denn er selbst gibt allen den Atem, das Leben und alles, was notwendig ist. Aus einem Menschen ließ er die ganze Menschheit hervorgehen. Er will, dass die Menschen ihn suchen, mit ihm in Berührung kommen und ihn finden. In der Tat - Gott ist nicht fern von jeder und jedem von uns.  Denn in Gott leben wir, bewegen wir uns und sind wir. So wie es einige eurer Dichter gesagt haben: ‚Wir sind seine Kinder.‘

Wenn wir also von göttlicher Art sind, dürfen wir nicht meinen, dass wir Gott in Statuen aus Gold, Silber oder behauenen Steinen darstellen könnten. Dies sind ja doch nur Gebilde unserer Kunst und unserer Vorstellungen. Bisher hat Gott mit Geduld darüber hinweggesehen, nun aber fordert er die Menschen überall auf, umzukehren. Er hat einen Tag festgesetzt, um an ihm die Menschheit gerecht zu richten durch einen Mann, den er selbst dazu bestimmt hat. Er hat ihn gegenüber allen besonders ausgewiesen, indem er ihn von den Toten auferweckte.“

Als Paulus von der Auferstehung der Toten sprach, begannen einige Athener zu spotten, andere aber meinten: “Darüber wollen wir dich ein anderes Mal hören.“ Da ging Paulus von ihnen weg. Einige Leute aber schlossen sich ihm an und fanden zum Glauben. Darunter waren Dionysius, ein Mitglied des Gerichtes auf dem Areopag, und eine Frau namens Damaris, und weitere mit ihnen.

Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
es war in diesem Raum. Hier in der Wilhelmskirche. Die Stühle - zur Seite gestellt. Ein langes Seil war auf dem Boden ausgebreitet, in Form einer Spirale. Wir waren mitten in der Konfistunde. Einzelne Sätze des Glaubensbekenntnisses lagen verteilt an dem langen Seil auf dem Boden, und nun schritten die Jugendlichen das Seil ab; sie sollten an einem der Sätze stehenbleiben, der ihnen am meisten zusagte. „Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Hier stellten sich die meisten auf. Zwei weitere befanden sich an dem Halbsatz „gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.“ Und eine kleine Gruppe stand bei der „Auferstehung der Toten“. Andere Passagen lagen ganz ohne die Konfis da. Nun fragte ich die größte Gruppe: „Warum habt ihr euch zum 1.  Satz des Glaubensbekenntnisses gestellt?“ Ein Mädchen antwortete: „Gott verbinde ich am meisten mit der Natur. Ich kann ihn hier am besten finden.“ Ich ging weiter. “Und euch ist der Satz ‚gelitten unter Pontius Pilatus‘ am wichtigsten?“ „Ja, weil man das historisch beweisen kann,“ sagte ein Junge. „Alles andere muss man glauben.“ Ein Glaube, der sich hier für zwei Konfis erdet. „Ich sehe, dass ihr hier bei der Aussage von der ‚Auferstehung der Toten‘  steht.“ „Ja, das gibt mir Hoffnung in meinem Leben,“ war die Antwort. An einem Punkt können sich die Konfis in die Tradition einklinken, etwas von den überkommenen Glaubensinhalten mit ihrer Welt in Verbindung bringen, etwas in ihre Sprache übersetzen. Ja, die Aussagen des Glaubens müssen immer wieder übersetzt werden, sie müssen verständlich gemacht werden. Sonst sind sie für das Leben nichtssagend.

Vor dieser Aufgabe stand auch Paulus, der Apostel, als er einen Zwischenstopp auf seiner Missionsreise einlegte. Athen- das war einmal eine blühende Metropole. Hier waren die Götter in ihren bunten Tempeln zuhause. Die Stadt wurde zwar mit der Besetzung durch die Römer fast bedeutungslos; aber die Sehnsucht der Bewohner nach guten Lehren für ein glückliches Leben, diese Sehnsucht war ungebrochen. Wie kann Paulus dieser Kultur, die ja ganz anders ist als seine eigene, so von seinem Glauben erzählen, dass die Athener ihn verstehen? Woran kann er anknüpfen?

Paulus nimmt sich zuerst einmal Zeit. Das imponiert mir. Während er durch die Straßen geht, fallen ihm die kleinen und großen Tempel der verschiedenen Gottheiten auf, die angebetet werden und denen geopfert wird, damit sie den Menschen wohlgesonnen bleiben. Er schaut hin. Nimmt wahr, was da ist: „Ich sehe, dass ihr euren Göttern mit großer Hingabe dient.“ Daraus klingt Respekt. Und es klingt daraus Wertschätzung für den Glaubenshorizont der anderen. Wertschätzung und Respekt, das sind die grundlegenden Voraussetzungen für einen jeden Dialog zwischen Religionen.  Erstmal hinhören. Hinsehen. Ehrerbietung für die Vorstellungen, in denen der Andere lebt, Achtung für den Glaubenshorizont, in dem die Andere sich bewegt.  Diese Haltung ist auch in unserer Zeit, in unserer multireligiösen, gegenwärtigen Gesellschaft unbedingt vonnöten, damit es einen Zusammenhalt geben kann, damit Menschen, die ansonsten sehr unterschiedlich sind, friedlich zusammenleben können.

Paulus sieht die Tempel. Und dann da diesen besonderen Altar, gewidmet „Dem unbekannten Gott“. Warum steht der da? Wollen die Bewohner von Athen nur sichergehen, dass sie keine Gottheit dieser Welt übersehen? Befürchten sie, sonst irgendwie bestraft zu werden, wenn sie dieser unbekannten Größe keinen Respekt erweisen? Ist das eine religiöse Rückversicherung für alle Fälle? Mag sein. Vielleicht. Aber es steckt doch mehr dahinter: Sie sind neugierig. Im besten Sinne. Sie sind Menschen, die auf der Suche sind.

Das ist eine Haltung, die sagt: Wir gehen davon aus, dass es mehr gibt als das, was wir bisher begriffen und verstanden haben. Wir sind offen für Neues. Für das, was wir noch nicht wissen. Wir wollen mehr verstehen von dem, was diese Welt zusammenhält.

Unser Geist ist auf dem Sprung.

Genau das wertzuschätzen, ist erst einmal gut! Solch eine suchende Haltung ist die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt Forschung gibt. Wissenschaft, die hilfreich für uns Menschen ist; die uns weiter nach vorne bringt, uns zu Entdeckungen führt, gerade auch zu medizinischen Entdeckungen, die heilsam für uns sind, ja lebensrettend. Gerade in dieser Zeit erfahren wir Tag für Tag, wie wichtig solch eine suchende Haltung ist. Der Geist ist auf dem Sprung.

Aber auch die Seele ist auf dem Sprung.

Und daran knüpft Paulus nun auch an. Er knüpft an den leeren Altar an, geweiht „Dem unbekannten Gott“. Der leere Altar – ein großartiges Symbol ist das! Gott also lässt sich nicht darstellen. Der Mensch soll sich kein Bildnis von ihm machen. Gott lässt sich nicht einzwängen in das Korsett menschlicher Vorstellungen, nicht bannen in Statuen und Standbilder. Er lässt sich aber auch nicht nur auf unsere bisherigen Erfahrungen festlegen. Er überrascht uns je neu. Mit ihm zu leben, ist ein Abenteuer.

Der Altar, an dem wir Gott anbeten, ist leer. Und Paulus kommt ins Erzählen; kommt ins Schwärmen von dem Gott, der größer ist als Himmel und Erde, der vor und hinter allem Raum da ist, vor und hinter allen unseren denkbaren Kategorien von Zeit. Er ist die Kraftquelle des Lebens, sagt er.  Er ist der Ursprung aller Lebendigkeit. Er gibt und wir dürfen nehmen. Er ist von uns nicht abhängig. Und will es doch unbedingt mit uns zu tun haben! Gott will in einer Beziehung zu uns sein. Wir sind ihm keineswegs gleichgültig. Das heißt aber auch, dass wir mit Gott niemals fertig sind. Dass immer noch etwas Überraschendes kommen kann. Weil es ein gemeinsamer Weg ist mit ihm.

„Gott will, dass die Menschen ihn suchen, in Berührung mit ihm kommen und ihn finden“, sagt Paulus. Gott lässt sich demnach finden. Ist das mehr als eine Behauptung? Kann das in diesen schweren Tagen zu einem Versprechen werden? Kann das eine Verheißung sein? Das wäre so viel.

Und so höre ich Paulus, wie er uns über alle zeitliche Distanz hinweg zuruft: „Gib nicht auf.  Auch wenn du gerade meinst, nur dunkle Wolken über dir zu erkennen, auch wenn du den Weg nicht siehst, und um dich her nur Dickicht ist. Auch in deiner Irrsal und Wirrsal gib nicht auf. Wage es, Gott immer wieder zu suchen.  Suche nach Spuren von ihm. Frage nach ihm, bete, und du wirst es erleben, dass er sich von dir finden lässt. Du wirst Neues von ihm sehen!“

Gott lässt sich finden. Kann das sogar ein Trost werden? An vielen Tagen gehen wir gebückt unter der Decke der Pandemie. Wir seufzen in der Trauer um die Opfer. Und unsere Seele reibt sich wund an den schwierigen Fragen dieser Zeit, auf die es so schnell keine Antwort gibt und mit denen wir leben müssen. Aber trotzdem: es scheint mir, als öffnete Paulus uns eine Tür für eine besondere Wesensseite Gottes. Als sagte er zu uns: „Seht nicht nur auf die Ränder eures Lebens. Schaut hin! Wir alle sind nicht verlassen. Er ist uns näher, als wir ahnen. Von allen Seiten umgibt er uns und hält seine Hand über uns. Und wir können niemals tiefer fallen als nur in Gottes Hand. Gott ist um uns herum, so wie die Luft, die wir atmen. Wie das Wasser, in das wir eintauchen. Wie der Gesang der Vögel, die wir am Morgen hören. In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Und Gott ist da in jedem Zeichen der Liebe, das wir Menschen einander geben und voneinander annehmen. ‚Wo Barmherzigkeit ist und Liebe, da ist Gott‘, so singen wir es doch. Das gilt gerade jetzt, wo so viele Menschen sich einsetzen, um die Bedürftigen zu pflegen und für sie zu sorgen, in einer tiefen Solidarität und Barmherzigkeit. Gott ist da in jedem Zeichen der Liebe. Er will, dass wir ihn suchen.  Und er wird sich von uns finden lassen. An jedem Tag.“

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied EG 432,1-3 Gott gab uns Atem, damit wir leben

Fürbitten
Du, Gott, bist die Kraftquelle unseres Lebens, bist Ursprung aller Lebendigkeit. Wir danken dir für jeden Morgen, den wir sehen, für jede Stunde, die du uns schenkst. Wir loben dich für jedes Lachen in unserer Mitte. Wir preisen dich für das Licht des Tages und für die bergende Ruhe der Nacht.
Wir danken dir für alle Zeichen der Liebe, die wir empfangen von denen, die uns zugetan sind.  Von denen, mit denen wir verbunden sind durch die treue Gemeinschaft der Glaubenden. Halte uns alle in diesem guten Netz miteinander verbunden, damit niemand verloren geht und einsam wird.
Wir bitten dich für alle, die krank sind: stärke sie und tröste sie. Lass sie deine Gegenwart und Kraft spüren.
Wir bitten dich für alle Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte: gib ihnen die Kräfte, die sie benötigen und lass sie sich getragen wissen durch unsere Gemeinschaft und Vernunft.
Wir bitten dich für alle, die um einen Menschen traurig sind: sei du unsichtbar an ihrer Seite. Stärke ihre Schritte an jedem einzelnen Tag und schenke ihnen neue Hoffnung für ihr Leben.
Wir bitten dich für alle Familien, die unter besonderen Belastungen stehen. Gib ihnen Geduld und lass sie aufatmen. Schütze die Schwachen und die Kinder.
Lass uns dich finden in jedem Zeichen der Liebe.  Bleibe du uns spürbar nahe, barmherziger Gott. Mit den Worten des Vaterunsers sagen wir dir, was uns noch wichtig ist:

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.
 

Musik

Gottesdienst am 18.04.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Vorspiel

Begrüßung und Votum
Guten Morgen und herzlich Willkommen zum Gottesdiens. Am heutigen Sonntag fließen viele Themen zusammen. Schwerpunkt ist der gute Hirte, der seine Herde sammelt und zu neuen Weiden führt. Gleichzeitig denken wir heute an ein wichtiges Ereignis der Kirchengeschichte. Am 18. April 1521, also genau vor 500 Jahren, hielt Luther beim Reichstag zu Worms seine berühmte Rede vor dem Kaiser. Er beendete sie mit den kämpferischen Worten: „Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“ Elf Tage später kam Luther übrigens mit großer Sicherheit durch Bad Nauheim.
Ganz aktuell ist der bundesweite Gedenktag für die Coronaopfer, an die wir in der Fürbitte denken werden. Es sind drei sehr verschiedene Themen, denen wir heute in diesem Gottesdienst begegnen werden. Es ist eine Begegnung mit dem Leben. Freud und Leid, Herausforderungen und Ermutigung, Verantwortung und Sicherheit begegnen uns im Alltag. In diesem Gottesdienst betrachten wir sie im Lichte Gottes. Und so feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 23
1 Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. 2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. 3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. 4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. 5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. 6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Gebet
Gott des Lebens, durch die Auferstehung Deines Sohnes hast Du der hoffnungslosen Welt Deine Zukunft eröffnet. Schenke uns, dass auch wir aus dieser Hoffnung leben. Stärke uns in diesem Gottesdienst und lass uns die Welt im Lichte Deiner Auferstehung, Deiner Liebe und Deiner Gnade sehen und begreifen. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, Deinen Sohn. Amen.

Schriftlesung aus Hesekiel 34, 1-2; 10-16; 31
1 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? 10 So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen. 11 Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. 12 Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. 13 Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande. 14 Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. 15 Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. 16 Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist. 31 Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Lied 346 „Such wer da will ein ander Ziel“ 1,3,4

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Die Sonne steht hoch am wolkenlosen Himmel. Das saftige Grün der Wiesen reicht bis zum Horizont. Auf einer Weide blöken glückliche Schafe. Sie grasen, zwei Hunde laufen herum und halten die Herde beisammen. Vor seinem umgebauten Bauwagen sitzt der Hirte und schaut glücklich auf die friedliche Szene. Einen Kaffee in der Hand lächelt er in sich hinein. Zufrieden mit sich und der Welt.
Meine letzte Begegnung mit einem Hirten war im Fernsehen. Es war ein Bericht über einen Aussteiger, der zum Hirten geworden ist. Und die Szene mit den Schafen und dem Bauwagen ist irgendwie ambivalent. Einerseits wirkt sie völlig aus der Zeit gefallen: Der Beruf des Hirten ist in Deutschland seit Jahrzehnten quasi ausgestorben. Andererseits ist es es supermodern. Hirten stehen für die Rückbesinnung auf die Natur. Und es gibt anscheinend immer mehr Aussteiger. So ist das mit dem Hirtenbild generell. Eigentlich spielt es in unserem Alltag keine Rolle mehr und doch ist es erstaunlich gut in Erinnerung. Wir haben einige Redensarten, die auf das Hüten zurückgreifen. Dabei geht es um die Herausforderung, auf etwas aufzupassen und Verantwortung zu übernehmen. Das Haus hüten. Die Zunge hüten. Schön finde ich die Wendung: „Das ist wie einen Sack Flöhe hüten.“ Man hütet Dinge wie den eigenen Augapfel.

Aufpassen und Beschützen sind Grundaufgaben von Hirtinnen und Hirten. Sie tragen Verantwortung. Für Hesekiel steht der Hirte für Gott genau so wie für die politische und religiöse Elite der damaligen Zeit: 1 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2 Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?
Hier geht es eindeutig um Machtmissbrauch. Das ist ein topaktuelles Thema. Ihnen fallen sicher auf Anhieb Beispiele ein: Für Menschen, die die ihnen anvertraute Macht und Verantwortung zu ihrem persönlichen Vorteil nutzen. Abgeordnete, die über ihre Firmen Maskendeals vermitteln. Oder Geld für die Lobbyarbeit von autokratischen Staaten erhalten. Manager, die ihre Firmen mit Staatsgeldern gerade so vor der Pleite bewahren und wenig später Menschen entlassen und sich selbst fette Boni auszahlen. Menschen, die ohne Not staatliche Unterstützung und Solidarleistungen beantragen, um sich selbst zu bereichern. Mir fallen viele Beispiele ein, bei denen ich mich über den Missbrauch von großer und kleiner Macht aufregen könnte. „Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?“

Und in meiner Empörung über Machtmissbrauch muss ich an Martin Luther denken. Der ist heute vor 500 Jahren gegen Machtmissbrauch aufgestanden. Und das hat ihn richtig was gekostet. Wie mag es ihm wohl gegangen sein? Vor 500 Jahren an diesem 18. April morgens 10 Uhr in Worms auf dem Weg zum mächtigsten Mann der bekannten Welt? Wie mag er sich gefühlt haben, mit der Option, zu widerrufen und dann sein altes Leben wieder zu bekommen? Was mag er gedacht haben, als er beschlossen hat, dem Kaiser ins Gesicht zu sagen, dass er aus Verantwortung vor Gott nicht von seiner Meinung abweichen kann?  Martin Luther wusste sich von Gott getragen. Er vertraute seiner Erkenntnis, dass Gott gnädig ist, dass Gott seine Macht nicht missbraucht. Und auch Martin Luther war nicht unfehlbar. Auch er, der Heilige der evangelischen Kirche, hat seine ganz dunklen Seiten.

Ich denke, meine Wut über Menschen, die Macht missbrauchen und ihrer Verantwortung nicht nachkommen, ist gerechtfertigt. Aber tief in mir ahne ich, dass auch ich in dieser Gefahr stehe. Denn auch ich trage Verantwortung. In meinem Umfeld. Auch ich habe manchmal Hirtenfunktion. Und damit meine ich nicht nur, dass Pfarrerinnen und Pfarrer oft als Hirten bezeichnet werden. Ich trage Verantwortung in meiner Familie. Ich trage Verantwortung im Beruf. In meinem Ehrenamt. Oder für meinen Lebensstil. Sicher fallen Ihnen selbst Bereiche ein, in denen Sie Verantwortung und sogar Macht haben. Und wo Verantwortung ist, da ist Versagen leider nicht weit. Das ist menschlich.

Irgendwie bin ich jetzt in so eine Art Verantwortungsethik geraten. Mach nur alles richtig, dann wirst Du ein guter Mensch sein. Verantwortungsvoll zu handeln, ist absolut wichtig. Keine Frage. Aber wo bleibt da die Hoffnung im Angesicht der Realität? Es wäre nämlich fatal, wenn ich mit meiner Verantwortung und meinem Versagen ganz allein wäre. Nur auf mich selbst geworfen. Angewiesen darauf, dass ich das schon irgendwie wieder hinbekommen muss.

Die Hoffnung, die wir so dringend brauchen, kommt aus den speziellen Themen dieses Sonntages. Folgende drei Dinge sind mir dabei wichtig:
1. Wir kommen von Ostern. Am Kreuz ist unsere Schuld mit Jesus gestorben. Umkehr ist möglich. Und das allein aus Gottes Gnade. Für diese Erkenntnis hat Martin Luther vor 500 Jahren gekämpft. Und diese Erkenntnis trägt und befreit uns auch heute noch.
2. Die Worte des Propheten Hesekiel sind ein Feuerwerk der Hoffnung. Gott stellt eine wunderbare Zukunft für seine ganze Herde in Aussicht: „Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen. Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.“ Das ist eine grandiose Botschaft. Gott sucht mich. Auch wenn ich zu den Verlorenen gehöre. Auch wenn ich den Überblick verloren habe in der Pandemie. Gott sucht mich und bei Gott finde ich Geborgenheit und Zuversicht.
3. muss ich dann doch wieder ein wenig auf die Euphoriebremse treten. Der historische Kontext, in dem sich das Hesekielbuch verortet, ist die Zeit des Exils. Das Volkes Israel lebte in der Verbannung. Das Land lag mehr oder weniger in Trümmern. Im Text sagt Gott mehr als 10 Mal „Ich will“. Und man möchte ihm zurufen: „Na, mach doch!“ Die Zukunft, von der hier gesprochen wird, ist noch nicht angebrochen. Und doch hat der Text den Menschen über Generationen Hoffnung gegeben. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat das Volk Israel durch schwere Zeiten getragen. Und diese Hoffnung ist es, die uns auch heute tragen kann. Mehr noch. Aus dieser Aussicht auf die Zukunft können wir handeln. Und etwas verändern. Uns. Die Umstände. Wir können Gott näher kommen. Wir können aus der Gnade leben. Dazu helfe uns Gott. Amen.

Musikstück

Fürbitten und Vaterunser
Gott, in der Bibel begegnest Du uns als guter Hirte. Bei Dir können wir Zuflucht finden. Wir bitten Dich: Bringe uns zurück, wenn wir uns verirrt haben. Suche uns, wenn wir uns verloren fühlen. Verbinde uns, wenn wir verwundet sind. Stärke uns, wenn wir schwach sind. Behüte uns, wenn es uns gut geht.
Gott, wir bitten Dich für unsere Gemeinde. Wir wünschen uns, bald wieder mit vielen Menschen hier in der Dankeskirche Gottesdienst zu feiern. Wir wünschen uns, dass wieder Gruppen und Kreise stattfinden. Bitte erhalte uns auch in diesen Zeiten unsere Gemeinschaft. Wir bitten Dich auch für unsere Kirche. In der nächsten Woche tagt die Kirchensynode der EKHN. Bitte schenke den Verantwortlichen Weisheit und gute Entscheidungen. Lass die Synode mit Weitsicht in die Zukunft schauen und wichtige Reformprozesse voranbringen.
Gott, in der Coronapandemie fühlen sich viele Menschen hilflos. Es ist schwer zu fassen, was da gerade geschieht. Und bei aller Hoffnung ist immer noch kein Ende in Sicht. Gott, wir bitten Dich:
Gib Weisheit denen, die politische Entscheidungen treffen.
Stärke alle, die die Kranken pflegen.
Erfrische die Erschöpften.
Tröste die Mutlosen.
Beschütze die Kinder.
Behüte die Kranken.
Sei bei denen, die um ihre Lieben weinen.
Sei am Bett der Sterbenden.
Berge die Toten in deinen Armen.
Lass niemand verloren gehen.
Bewahre uns, Gott, in deinem Frieden.

Und alles, was uns noch bewegt, bringen wir im Vaterunser vor Dich.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Abkündigungen
Wegen der Coronasituation in der Wetterau verzichten wir bis auf weiteres auf Präsenzveranstaltungen. Sie finden ein vielseitiges, digitales Angebot mit Andachten und dem Programm der Kinderkirche auf unserer Internetseite www.evangelisch-in-bad-nauheim.de. Auch den nächsten Gottesdienst am Sonntag, dem 25. April, mit Pfarrerin Pieper können Sie im Livestream um 10 Uhr und danach jederzeit auf Youtube mitfeiern.
Wir würden uns freuen, wenn Sie am heutigen Sonntag mit einer Kollekte die allgemeine Gemeindearbeit unterstützen würden. Neben vielfältigen anderen tollen Projekten wie Veranstaltungen im Gemeindegarten oder dem Gemeindebrief, finanzieren wir damit auch die Technik für die Onlinegottesdienste. Sie können Ihre Spende in bar gerne im Gemeindebüro abgeben. Auf unserer Homepage finden Sie im Abschnitt Spenden einen Link, über den Sie den heutigen Kollektenzweck auf sichere Weise direkt bargeldlos unterstützen können. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung.

Lied: 170 „Komm Herr, segne uns“

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Nachspiel

Gottesdienst am 11.4.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Begrüßung

Herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst!
„Ich glaube nur, was ich sehe“, sagen viele. Was ich mit dem Verstand fassen kann, was ich be-greifen kann, nur das hat Bestand. Auferstehung? Das passt da nicht hinein. Auch viele Jünger konnten die Botschaft von der Auferstehung Jesu zunächst nicht glauben.
Wo war der Beweis? Wo die logische Erklärung? Der erste Sonntag nach Ostern (Quasimodogeniti) erzählt davon, wie Jesus den Zweiflern und Skeptikern entgegenkam, sich anfassen ließ und gemeinsam mit ihnen aß. So konnten sie später auch glauben, was sie nicht sahen: die unsichtbare Gemeinschaft mit Christus. Schon jetzt haben Christ*innen Anteil an seinem, dem neuen Leben. Darf man das glauben? „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Jesus.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes.
Gott ist die Liebe.
Im Namen Jesu Christi.
Jesus ist als Bruder für uns in die Welt gekommen.
Und im Namen des Heiligen Geistes,
der Kraft, die uns beflügelt und die unter uns Gemeinschaft stiftet.
Amen.

Gebet
Gott, du Freundin und Quelle
lass uns springen
lass uns mit offenen
Augen und Herzen durch die Welt gehen

Lass uns vertraute Wege verlassen
damit wir spüren
wo dein Geist weht
wo dein Wasser sprudelt.

Wo wir zu Nomad*innen, Hirt*innen
und Prophet*innen werden,
lass uns Geschichten
erzählen
suchen und hören
das Feuer lebendig halten
und Salz der Erde sein.
Amen

Schriftlesung Joh 21,1-14
Der Auferstandene am See von Tiberias 1 Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. 7 Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. 8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. 9 Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. 10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. 12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. 13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch. 14 Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

Glaubensbekenntnis

Lied: Der schöne Ostertag EG 117

Predigt

Friede sei mit euch, von dem der da ist und der da war und der da kommt!

„Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer“ (Joh 21,4 BIGS 2011).
Da stehen sie nun die sieben Jünger: Simon Petrus, Thomas, Nathanael, die Söhne des Zebedäus und zwei andere Jünger*innen. Ob auch Frauen dabei gewesen sind, wissen wir nicht. Es könnte aber durchaus sein. Ich gehe eigentlich davon aus, schließlich gehörten sie zu der Gefolgschaft Jesu unbedingt dazu!

Allen ging es ähnlich. Den Jüngerinnen und den Jüngern, der ganzen frühen Gemeinschaft von Christinnen und Christen: Jesus war weg. Ein leerer Raum, eine Riesenlücke tat sich auf, eine große Orientierungslosigkeit. Was bleibt? Was sollen wir jetzt nur machen?
„Da sagt Petrus: „Ich geh fischen.“ (Joh 21,3 LUTHER 2017) Und die anderen: „Wir kommen mit dir.“ (Joh 21,3 LUTHER 2017) Ein bisschen trostlos und resigniert klingt das. Nichts mehr von dieser anfänglichen Begeisterung. Keine inspirierenden Aufbrüche, ein Vakuum, eine Leere, die auch nicht so einfach gefüllt werden kann.

Trostlos und resigniert – so habe ich mich und viele andere Hauptamtliche und Ehrenamtliche in den letzten beiden Wochen auch gefühlt. Das zweite Mal an Ostern auf Präsenzgottesdienste verzichten!
Dabei hatten wir so viel vorbereitet, um Ostern in diesem Jahr richtig feiern zu können. Aber die Corona-Pandemie hat uns da alle ausgebremst.
Vielleicht fühlten sich die Jünger*innen ähnlich? Auch sie waren ausgebremst. Nach Ostern war nichts mehr so wie es vorher gewesen war. Jesus war zwar auferstanden, aber er war nicht mehr bei ihnen.
Was also sollten sie tun?

Fischen gehen – das, was sie, bevor sie mit Jesus unterwegs waren, auch getan haben. Zurück zum Alltagsgeschäft. Die Jünger*innen machen das, was sie gelernt haben. Aber es scheint, als haben sie das Fischen verlernt. Die ganze Nacht auf dem See zugebracht und nichts gefangen. Was bleibt?
Einfach nichts! Das ist doch eine Erfahrung, die wir auch kennen. Bestimmte Dinge, die uns früher gut gelungen sind, funktionieren nicht mehr. Eine innere Ratlosigkeit breitet sich aus oder auch bestimmte Zugehörigkeitserfahrungen, die plötzlich nicht mehr funktionieren. Eine Gruppe, in der ich lange mein Zuhause hatte, die nach und nach auseinanderbröselt, oder ein Chor, in dem ich jahrelang mit Freude gesungen habe, in dem ich mich nicht mehr beheimaten kann, weil irgendetwas verlorengegangen ist. Oder die Situation in unseren Familien, wenn jemand aus dem Haus geht. Oder die Kinder alle weg sind und die Eltern auf sich zurückgeworfen. Was bleibt??
Und dann ist da dieser Mensch dort am Strand, der sie fragt: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ (Joh 21,5 LUTHER 2017). Die Jünger*innen müssen antworten: „Nein.“ (Joh 21,5 LUTHER 2017)

„Habt ihr nichts zu essen?“ (Joh 21,5 LUTHER 2017)
Habt ihr nichts, was euch innerlich belebt und ausfüllt, habt ihr keine Nahrung? Dies klingt wie die mitfühlende Frage eines sorgenden Menschen, der sich um die Lebensenergie, um das, was die Jünger*innen am Leben hält, sorgt.
Mit leeren Händen und leeren Netzen stehen sie da. Ich denke, Jesus bezieht sich auf den realen Hunger, aber auch auf die innere Leere, in die sich die Jünger*innen hineinbegeben haben.
Jesus steht am Strand, aber „sie wussten nicht, dass es Jesus war.“ (Joh 21,4 LUTHER 2017) Sie erkannten Jesus einfach nicht. Mich erinnert diese Szene an die Situation der Maria Magdalena am Grab. Sie, die Jesus so innig verbunden war, erkannte Jesus nicht. Erst als er ihren Namen aussprach, wusste sie, dass er es ist!
Vielleicht ist Ihnen/ Euch das auch schon mal passiert. Ein Mensch, der wichtig Ihnen war, eine alte Lehrerin oder eine Kollegin, eine Schüler*in, jemand aus der Kirchengemeinde, die Sie früher mal sehr geschätzt haben, begegnet Ihnen und Sie erkennen diesen Menschen einfach nicht. Vielleicht gibt es so ein vages Gefühl: Ja, die habe ich schon mal gesehen. Aber mehr auch nicht.

„Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten Seite des Bootes, dann werdet ihr welchen finden.“ (Joh 21,6 LUTHER 2017)

Ich stelle mir diese Situation, als Jesus das am frühen Tag zu ihnen sagt, fast ein bisschen verrückt vor. Normalerweise verschwinden die Fische an den tiefen Grund des Sees, sobald die Sonne am Himmel steht, und dann so eine Aufforderung, am frühen Tag: „Werft das Netz aus… Da warfen sie es aus und konnten es nicht mehr heraufziehen wegen der Menge der Fische.“ (Joh 21,6 LUTHER 2017)

Welch eine Wandlung innerhalb kürzester Zeit! Diese Menschen sind ausgelaugt, verzagt, haben scheinbar keine Kraft mehr. Jesus sorgt dafür, dass sie einen Riesenfang machen. Dieser Fang ist ein Neuanfang, Ein Netz voller Fische.
Eigentlich total super, nur dass die Jünger*innen plötzlich vor einem ganz neuen Problem stehen. Ein volles Netz und keine Kraft!
In genau diesem Moment begreifen sie, wer der Mann am Strand ist. Jesus steht am Strand. Der, den sie vermisst glauben, der sie nach seinem Tod mit einer Leere und einer großen Trostlosigkeit konfrontierte, dieser Jesus macht sie hier zum Teil eines Wunders. Durch seine Gegenwart dürfen sie die plötzliche Wendung erleben, dass ihre Netze gefüllt sind.
Die Jünger*innen haben überhaupt nicht mit Jesus gerechnet, sonst hätten sie doch wohl etwas für ihn vorbereitet. Völlig unvorbereitet trifft sie die Begegnung mit Jesus. „Als Simon Petrus hörte, dass es Jesus war, zog er sein Oberkleid an, denn er war nackt, und sprang in den See. Die anderen Jüngerinnen und Jünger aber kamen mit dem Boot.“ (Joh 21,7f. BIGS 2011)
Jesus steht am Ufer. Ich finde dieses Bild so stark. So kraftvoll. Dieses Ufer als ein Bild für das, was schon da ist, nicht im Wasser, sondern zu Land. Wahrscheinlich müssen wir nur genau hinschauen, damit wir Jesus erkennen. Er sitzt nicht still in der Ecke und schaut, wie wir mit Leere, Vakuum und Trostlosigkeit klarzukommen versuchen. Er steht am Ufer, wartet auf uns.
Er konfrontiert uns genauso wie seine Jünger*innen mit unseren Lebens-Situationen, in denen wir wie die Jünger mit leeren Händen dastanden. Gerade in schwierigen Zeiten können wir davon ein Lied singen. Die letzten Einschränkungen der letzten Monate haben uns alle an unsere Grenzen gebracht. Nur noch ganz wenige Kontakte zu haben, nicht unbeschwert mit anderen Menschen zusammen sein zu dürfen, Angst um liebe Menschen zu haben, die krank sind.

Jesusbegegnungen können für uns wie für die Jünger*innen zu Gottesbegegnungen werden. Unerwartete Momente der Präsenz und der Gegenwärtigkeit dessen, was uns unbedingt und ganz existenziell angeht,

Ich denke an Begegnungen mit Menschen, die unser Herz berühren.
Gottesbegegnungen. In unserem Alltag können sie ganz klein sein, aber auch so groß, dass wir es nicht fassen können. Diese Begegnungen verlaufen wie in unserer Geschichte oft eigenartig. Es gehen plötzlich Türen auf im Leben, die neue Chancen bieten. Das Wunder, eine Partnerin oder einen Partner zu finden, jemandem in schwerer Not beistehen zu können. Es sind nicht immer Netze voller Fische, sondern auch Gespräche mit Menschen, die wir brauchen, Halt und das Wissen, nicht allein zu sein, mit anderen in der Suche nach dieser Präsenz Gottes verbunden zu sein.

„Jesus sagte zu ihnen: ‚Kommt und frühstückt!‘ Niemand von den Jüngerinnen und Jüngern wagte zu fragen: ‚Wer bist du?‘ Denn sie wussten: Es war Jesus der Lebendige. Jesus kam, nahm das Brot und gab es ihnen, und den Fisch ebenso.“ (Joh 21,12-13 BIGS 2011)
Die Jünger*innen kommen an den Strand und Jesus hat Frühstück gemacht. Jesus isst mit den Jünger*innen und gibt ihnen das, was sie brauchen. Er weiß, dass sie nach dem Fischen richtig Hunger haben. Jesus versorgt und sorgt sich um seine Jünger*innen.
Was bleibt uns? Jesus bleibt als der Auferstandene und ist auch in unserem Alltag dabei. Das ist ganz einfach. Gleichzeitig ist und bleibt es unglaublich.
In unserer Geschichte wird die Leere, das Vakuum verwandelt. Es ist ein Leben in Fülle mit diesem Gott, die uns als Freundin und Freund einfach so sein lässt. Kein Abschiednehmen für immer, nein es ist ein Ankommen bei einer Kraft und einer Verheißung, die nachhaltig ist und die trägt.
Eine, die bleibt - für immer und ewig. Keine Uhr muss zurückgedreht werden. Leben im Hier und Jetzt. Keine Resignation nach der Abschiedstrauer, genau das erkennen und das wahrnehmen: Jesus wartet am Ufer. Kein Alleinsein, keine Leere in uns, sondern die Freude, jemanden zu haben, die da ist und sich um uns sorgt.
Jesus steht da am Ufer. Kommt, lasst uns ihm entgegen gehen!

Lied: Christ ist erstanden EG 99

Fürbittengebet    

Gott,
wir bitten,
zeig dich uns den Weg zu dir.
Wir wissen so oft nicht wo wir in all dem Chaos um uns herum
wir anfangen sollen
dich zu suchen.

Zeig uns, wo und wie wir uns engagieren
Können für eine Welt
in der Menschen in Frieden miteinander und mit deiner Schöpfung leben können:

ohne Angst
ohne Unterdrückung
ohne Hass und Machtgier.

Zeig dich uns
wie du da am Ufer stehst
auf die wartest
die nichts
zu essen haben
die kein zuhause haben
die nicht weiterwissen
die nichts mehr hoffen.

Lass uns anfangen
Träumer*innen
Prophet*innen
Jünger*innen
zu werden und mutig und
ohne Angst für andere einstehen.
Hilf uns
das große Ganze im Blick zu haben
mit Zuversicht
mit Kraft und Liebe und
mit der Gewissheit
dass du da am Ufer
auf uns wartest.

Wir denken besonders an die Menschen denken,
die in der vergangenen Woche verstorben sind und unter deinem Wort bestattet wurden.
Hilf uns den Angehörigen beizustehen, sie zu trösten.
Sei du bei ihnen mit deiner Liebe und schicke ihnen deinen guten Geist, der heilt und vom Leben erzählt.
Amen

Vaterunser

Kollekte

Segen

Gottesdienst am Ostersonntag 2021 mit Video vom Pfarrteam Bad Nauheim/Ober-Mörlen

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung
Die Nacht ist vorbei.
Das Licht eines neuen Morgens ist aufgegangen.
Der erste Tag einer neuen Schöpfung.
Die Macht des Todes ist gebrochen.
Der Herr ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!

Lasst uns den Tag der Auferstehung feiern

Im Namen des Vaters und des Sohnes und
des Heiligen Geistes.    G: Amen

Herzlich Willkommen zum Ostergottesdienst hier aus der
Dankeskirche in Bad Nauheim.
Er wird gemeinsam gestaltet von Pfarrerinnen und
Pfarrern aus dem Kooperationsraum Bad Nauheim –
Ober-Mörlen und Kantor Frank Scheffler.
Wir freuen uns, dass wir diesen Gottesdienst jetzt
mit Ihnen / mit Euch feiern.

Eingangspsalm
Manches scheint klar und endgültig.
Aber manchmal kommt es doch noch zu einer
überraschenden Wendung, zum Wunder.

An Ostern wird alles auf den Kopf gestellt:
Nicht der Tod hat das letzte Wort,
sondern Gott, der Herr.

Hört Auszüge aus dem 118. Psalm:

Danket dem Herrn, denn er ist freundlich,
und seine Güte währet ewiglich.
Der Herr ist meine Macht und mein Psalm und ist mein
Heil.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
Das ist vom Herrn geschehen
Und ist ein Wunder vor unseren Augen.
Dies ist der Tag, den der Herr macht;
Lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.

Kommt lasst uns anbeten:
G: Ehr sei dem Vater    177.2

Sündenbekenntnis oder Not
Zu Gott können wir kommen mit allem was uns bewegt,
auch mit unserer Unvollkommenheit und unserem Zwiespalt:
Heute ist Ostern – heute feiern wir die Auferstehung Jesu von den Toten.
Aber kann das sein?
Auferstehung widerspricht allen Naturgesetzen.
Tot ist tot.
Aus, Ende, vorbei!

Doch wenn Du, Gott, der Schöpfer dieser Welt bist,
dann liegt auch alle Macht in deinen Händen.
Als Herr über Raum und Zeit ist Deine Macht auch größer als die Macht des Todes.

Ist Deine Macht auch stärker als unser Zweifel?
Mehre unseren kleinen Glauben!
Herr, erbarme Dich!

    So rufen wir dich an:
 Kyrie eleison. Herr, erbarme dich.

Kyrie:    178.2
    G:    Herr, erbarme dich
Christus, erbarme dich
Herr, erbarm dich über uns

Gnadenzusage oder Trost
Gott, der Herr, ist barmherzig.
Wir müssen nicht perfekt sein.
Auf die Blickrichtung kommt es an:
Lasst uns laufen mit Geduld
in dem Kampf, der uns bestimmt ist
und aufsehen zu Jesus,
dem Anfänger und Vollender des Glaubens.
(Hebr. 12, 1c.2a)
Friede sei mit uns allen. Amen!

Gebet des Tages
Ich lade Sie und Euch ein, mit mir zu beten:
Gott des Lebens,
Deine Liebe ist stärker als der Tod.
Heute an Ostern tritt dies in aller Klarheit zu Tage.
Erfülle uns mit der Auferstehungsfreude,
dass wir ganz von ihr ergriffen werden
und wir freudig einstimmen in den Osterjubel:
Der Herr ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!

Darum bitten wir Dich
im Namen deines auferstandenen Sohnes,
der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt
und Leben schenkt gestern, heute und in Ewigkeit.
G: Amen

Lesung    
Eigentlich wollten sie nur nach seinem Grab sehen.
Maria Magdalena und Maria.
Ihrer Trauer Raum geben.
Doch dann kommt es zu umstürzenden Ereignissen.
Und urplötzlich sind sie die ersten Zeuginnen der
Auferstehung Jesu.

Hört das Osterevangelium nach Matth. 28, 1 – 10:

Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der
Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die an-
dere Maria, um nach dem Grab zu sehen. Und es ge-
schah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn
kam vom Himmel herab, trat hinzu, wälzte den
Stein weg und setzte sich darauf. Seine Erscheinung war
wie der Blitz und sein Gewand weiß wie Schnee. Die
Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden,
als wären sie tot.
Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch
nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat.
Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht
eilends hin und sagt seinen Jüngern: er ist auferstanden
von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach
Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch
gesagt.  Und sie gingen eilends weg vom Grab mit
Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jün-
gern zu verkündigen.
Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid
gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine
Füße und fielen vor ihm nieder. Da sprach Jesus zu
ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündet es
meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: dort wer-
den sie mich sehen.
    Halleluja     G: Halleluja

Glaubensbekenntnis

Gesangsquartett: „Gelobt sei Gott im höchsten Thron“
Predigt A
  (Sophie-Lotte Immanuel, Ober-Mörlen und Langenhain-Ziegenberg)

Liebe Gemeinde,
Furcht und Freude – diese zwei Emotionen, die so gegensätzlich scheinen, kommen in der Erzählung von Matthäus oft vor. Gehäuft sogar, könnte man sagen.
    
FURCHT
Die zwei Frauen, die sich da auf den Weg zum Grab machen,
haben in den vergangenen Tagen Unfassbares erlebt. Jesus ist gestorben, den sie so geliebt haben. Für den sie viel aufgegeben haben.
Und nicht nur das. Er ist auf eine Art und Weise gestorben, die grausamer kaum sein könnte. Er wurde gedemütigt, bespuckt und gequält. Sie haben ihn ausgelacht, und selbst die Hohenpriester haben noch unter sich gefeixt: „Er hat auf Gott vertraut; der soll ihn jetzt retten, wenn er will. Er hat ja gesagt: ich bin Gottes Sohn.“
Wie kann das Leben danach nur weitergehen? Wie soll man danach in den Alltag zurückfinden, ja auch zu Gott zurückfinden? Ist Gott auch an diesem Kreuz gestorben?

Maria aus Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus und des Josef beschließen also, mit der Last der Trauer und all dem, was passiert ist, auf dem Herzen liegend, dass sie den Leib Jesu mit schön riechenden Ölen einreiben wollen. Deswegen gehen sie los.
Auf der einen Seite stehen die Römer. Mit ihren Schwertern und ledernen Rüstungen, mit ihren Schilden und all der Macht und Gewalt eines Weltreiches. Und auf der anderen Seite stehen die Frauen. Kein Schwert, kein Schild, keine Macht: aber das Öl, teuer erkauft, halten sie in den Händen.
Und es ist, als ob sie sich mit der Zärtlichkeit ihrer Hände Jesus zurückerobern wollen. Das Letzte soll nicht dieser Tod sein. Sondern ihre Liebe zu ihm. Das ist echte Trauerarbeit.

Woher sie den Mut und die Kraft dafür wohlgenommen haben? Ich kann mir vorstellen, dass sie nicht darüber nachgedacht haben, wie sie die Wachen überwältigen oder gar den großen Stein wegrollen würden. Hätten sie das getan, wären sie vielleicht morgens gar nicht erst aus dem Bett aufgestanden.
Sie sind losgegangen, und vielleicht ging in dem Moment nur das: immer nur ein Schritt nach dem anderen. Und darin sind mir diese zwei Frauen so nah. Ja, jetzt gerade sind sie mir nah, wo ich auch nur einen Schritt nach dem anderen tun kann, einen Tag nach dem anderen bewältige. An die nächsten Wochen, Monate mag ich gar nicht denken.
Das ganze letzte Jahr steckt mir in den Knochen. Wo bleibt meine Kraft, und wo bleibt mein Mut eigentlich?

Die zwei Marias kommen am Grab an und sehen, wie unter dem Beben der Erde ein Engel des HERRN wie ein Blitz vom Himmel herabkommt.

Musik: EG 99 Christ ist erstanden

Predigt B
(Susanne Pieper, Bad Nauheim)

FREUDE
Der Engel wälzt den Stein weg, der vor dem Eingang des Grabes gelegen hat und setzt sich einfach drauf. Er rollt das Schwere weg. Die Frauen müssen nicht mehr dagegen ankämpfen. Sie müssen sich nicht mehr damit belasten. Jemand, wie vom Himmel gesandt, kommt ihnen zu Hilfe. Das wünsche ich mir auch, dass mir jemand das Schwere von meinem Herzen rollt.

Die Wachen aber, die römischen Soldaten, schwer bewaffnet wie sie sind, fürchten sich zu Tode. Ihre Macht wird ohnmächtig, ihre tödliche Macht. Ihre Herrschaft von Gewalt und Zerstörung liegt am Boden. Was für ein Zeichen und was für eine Vision ist das!

Den Engel des Lebens interessieren die Wachen gar nicht. Er ignoriert sie und setzt sich einfach auf den Stein. Welch eine Verachtung der Mächtigen liegt in dieser Geste. Aber auch: welch feine Ironie!

Ich stelle mir vor, wie sein Blick die Besatzersoldaten nur kurz streift. Und wie sein Blick dann hin zu den beiden Marias schwenkt.  Und auf sie gerichtet bleibt. Und wie diese unglaublichen Worte erklingen: „Habt keine Angst! Jesus ist nicht hier, er ist auferstanden, wie er gesagt hat.
Darauf kommt es von jetzt ab an: das Grab ist nicht das Ende eures Weges. Der Tod ist nicht das Ziel eurer schweren Schritte. Die Trauer soll euch nicht für den Rest eures Lebens den Rücken krumm machen.
Da hat er gelegen. Ja. Aber jetzt geht er vor euch her. Ihr werdet leben, und ihr werdet ihn sehen.“

Ich sehe die beiden Marias vor meinem inneren Auge. Bis hierher sind ihre Augen vor Trauer nur auf den Boden gerichtet. Jetzt aber blicken sie auf, verwundert, und sie richten sich auf, noch ungläubig. Bis hierher denken sie, sie sind am Ende ihres Weges angekommen. Jetzt aber sehen sie ein neues Ziel.
Und die beiden laufen los, „mit Furcht und großer Freude“. Beflügelt von der unfassbaren Aussicht, dass das Leben für sie weitergehen wird. Dass der Sohn Gottes, Jesus, ihr geliebter Freund, ihnen vorausgeht und auf sie wartet.

Ich habe mich gefragt: ist diese Ostergeschichte zu fern für mich? Zu groß für diese Zeit?
Aber ich glaube, sie ist es nicht. Ich will von ihr etwas mitnehmen in diese Zeit:

Mit den beiden Marias will ich glauben, dass ich die Furcht überwinden kann.

So wie sie will auch ich der Möglichkeit Raum geben, dass etwas Neues aufblühen kann. Ich muss nicht nur Vergänglichkeit und Zerstörung sehen.

Diese Frauengeschichte von Ostern macht mir Mut; und sie gibt mir Kraft. Sie erzählt vom Aufbruch und vom Leben, da, wo man gar nichts mehr erwartet hat.

Schritt für Schritt will ich mit den Frauen mitgehen. Und mich für die Freude öffnen. Trotz allem. Vielleicht gehe ich langsamer als sie, aber ich gehe mit. Wir haben nämlich ein gemeinsames Ziel: der, der aus dem Himmelslicht gekommen ist und unter die Menschen gefallen ist, der lebt. Und er geht uns voraus. Er wartet auf uns und will uns die Fülle des Lebens schenken.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Gesangsquintett: „Heut triumphieret Gottes Sohn“

Fürbittengebet

Mein Gott,
das letzte Jahr steckt uns in den Knochen. Und jetzt sind wir hier.
Vor unseren Bildschirmen.
Ganz in echt und doch virtuell.
So ist unser ganzes Leben gewesen, in den letzten Monaten.
Heute, an Ostern, legen wir dir das alles in die Hände.
Wie’s uns geht. Was uns fehlt.
Wir bitten dich: Zeig uns unsere Hoffnungsvorräte.
Führe uns zu Kraftquellen.
Füll doch du unsere Leere aus.

Und ja, im Moment haben wir viel mit uns selbst zu tun, Gott. Und trotzdem denken wie auch an die Anderen,
weil du in den Flüchtlingslagern und Kriegsruinen wohnst,
weil du mitfrierst und mithungerst,
weil du jede Träne mitweinst.
Dürfen wir auf Frieden hoffen?
Wir bitten dich darum, nicht nur um Frieden. Essen, Geborgenheit. Wärme.
Für all die, die das gerade vermissen.

Wenn du nicht weißt, was du beten sollst, dann sprich das Vater Unser – so legen wir all das, was uns auf dem Herzen liegt, in dieses eine wichtigste Gebet:

Vaterunser

Segen

Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Arie „I know that my redeemer lives“

Gottesdienst an Karfreitag 2021 mit Video vom Pfarrteam Bad Nauheim/Ober-Mörlen

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musikal. Vorspiel

Begrüßung
Zum GD an Karfreitag begrüßen wir Sie herzlich.
Eigentlich ist es ein Trauer-GD:
Wir gedenken des Leidens und Sterbens Jesu an diesem Tag. Und Gedanken an eigene Trauer, eigenes Leiden stellen sich dabei unweigerlich ein, an nahe und ferne Orte heutigen Leidens auf unserer Erde. Der Tod erscheint uns allemal als ein hoffnungsloses Geschehen.
Wir gedenken des Leidens und Sterbens Jesu an diesem Tag.
Da gibt es einen Zwischenton. Da ist etwas, was uns aufhorchen lässt. Enttäuschung, Verzweiflung, Schmerz, Ohnmacht umgeben auch Jesu Kreuz. Aber in der Sinnlosigkeit dieses Todes leuchtet ein geheimnisvoller Sinn. Und der macht das Kreuz zu einem Zeichen der Hoffnung. Jesus ist für uns gestorben – damit wir leben und Hoffnung haben.

Eingangsvotum
Wir sind hier, um des To¬des Jesu von Na¬za¬reth zu ge¬den¬ken,
auf das Kreuz zu bli¬cken, das die Mitte un¬se¬res Glau¬bens ist.
Vor dem Kreuz Jesu neh¬men wir wahr: das Un¬recht, das Men¬schen ein¬an¬der zu¬fü¬gen.
Vor dem Kreuz Jesu neh¬men wir auch wahr: Gott selbst will uns vom Ver¬der¬ben er¬lö¬sen.
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
        
Worte, dem 22. Psalm nachempfunden

Gott, mein Gott, warum
Hast du mich verlassen?
Zu dir schrei ich am Tag
Und des Nachts, und werde nicht gestillt…
Heiliger, hoch thronender, ruhmreicher,
du gibst nicht nach.
Mein Vater, meine Vorväter, Generationen zurück,
sie sagten: „Ihm kannst du vertrauen,
er ließ uns entkommen, der tut, was Er sagt“-
die waren deiner schamlos sicher.
Doch ich bin ein Wurm in der Erde-
Mit ihren ledernen Stiefeln
Zertrampeln sie mich und lachen sich tot:
Er hat doch einen Gott!
Ich wurde geboren
Und in deine Hände gelegt.
Du bist mein Gott von Mutterschoß an.
Weißt du es noch? Ja, du weißt. Amen.
(Huub Oosterhuis)

Gebet

Lasst uns beten:
Heute ist Karfreitag.
Dein Todestag, Jesus Christus.
Wir denken an dein Leiden.
An dein Sterben am Kreuz.
All die Steine auf unseren Schultern
Sind mit dabei.
So bist du uns nah.
Weil du ganzer Mensch warst,
Können wir unser Menschsein vor dein Kreuz bringen.
Amen.

Lied:  EG 91, 1 + 4 Herr, stärke mich

Lesung
Johannes 19, 16 – 30 Jesu Kreuzigung und Tod
16 Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber,
17 und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. 18 Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. 19 Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König. 20 Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. 21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König. 22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. 23 Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. 24 Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten. 25 Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. 26 Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! 27 Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. 28 Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. 29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund. 30 Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied.

Musik

Predigt
Da stirbt einer. Er ist im Dämmerzustand zwischen Bewusstlosigkeit und Schmerz, tödlich verwundet von Schergen, wie sie überall zu finden und jetzt gerade zB in Myanmar aktiv sind. Sein Schmerz ist ohne jede Betäubung. Krass und überwältigend. In wachen Momenten spricht er. Oder ist es ein Flüstern?

Die Tradition liest diese Worte als letzte Botschaft Jesu, mit der er seinen Kreuzestod selbst deutet und seinen Jüngern letzte Weisungen gibt. Die Exegese geht davon aus, dass diese Worte nicht historisch sind. Sie spiegeln den Glauben der frühen Kirche wider.

Das Neue Testament ist ein Glaubenszeugnis. In der Sprache der damaligen Zeit.
und aus gläubigem Herzen. Wir wissen: Poesie drückt Wirklichkeit oft besser aus als bloße Fakten.

Die sieben Worte Jesu am Kreuz:

1.    „Vater vergib ihnen; denn sie wissen nicht was sie tun“ (Lk 23,24)
Jesus betet am Kreuz für die, die ihm das alles antun: „Vergib ihnen!“ Bittet um Vergebung für diejenigen, die ihm das Leben nehmen und ihn quälen. Warum sollte ihnen vergeben werden? Weil sie ahnungslos sind, ohne Wissen um das, was sie eigentlich tun. Es sind nur Befehlsempfänger. Aber sie sind deshalb nicht schuldlos. Deshalb brauchen sie ja auch Vergebung. Sie sind verantwortlich für ihr Handeln – so wie es Judas war für seinen Verrat. Und auch ihm hat er vergeben. In dem Moment, als er seinen Verrat beim Abendmahl offenbar machte hat er ihm Brot und Wein gereicht. Alle haben sich schuldig gemacht, von Pontius bis Pilatus. Aber schon im Moment der Schuld gilt die Vergebung, tritt sie in Kraft.

2.    “Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23, 43)
Wie weit ist es eigentlich bis zum Paradies? Wie lange dauert es nach unserem Tod. Ist es eine ewige Warteschleife, oder kommen wir bald an? Da stirbt einer neben ihm, an einem anderen Kreuz. Für ihn ist Jesus die letzte Hoffnung, er bittet ihn um Zuwendung. Er möchte wissen was kommt, wenn wir gehen. Und er hört: Heute noch! Am Ende des Elends steht die Himmelstüre schon offen. Nicht übermorgen oder irgendwann. Was für ein tröstlicher Gedanke, finde ich. Die Gemeinschaft mit Jesus am Kreuz wird zu einer gemeinsamen Reise in die Ewigkeit, die Verheißung, das Paradies. Good Friday heißt der Karfreitag auf Englisch, ein guter Tag ist heute.

3.    „Siehe, dein Sohn! Siehe, deine Mutter“ (Joh 19,26)
Der sterbende Jesus denkt an die Lebenden, er sorgt sich um ihre Zukunft. Er sieht die Mutter. Er weiß, welchen langen Weg sie gegangen ist, schon damals nach Bethlehem. Sie hat um seine Nähe gerungen, seine Rückkehr zur Familie, und immer alles in ihrem Herzen bewegt, von Anfang an. Sie soll nicht untröstlich zurückbleiben und unversorgt, Josef ist anscheinend schon lange tot. Und der geliebte Johannes. Auch er soll nicht mutterseelenallein bleiben. Trauer verbindet neu, Hinterbliebene werden einander anvertraut. Im letzten Moment.  Schaut aufeinander!

4.    „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk 15, 34)
Das große Warum. Jesus kennt es, und wir kennen es auch. Warum diese himmelschreiende Pandemie, Millionen abgebrochene Leben. Warum diese Frau, inoperabler Hirntumor. Zwei Kinder, warum sie? Was alles wäre noch möglich gewesen, an Leben, nun beten wir für sie und einen sanften Tod und gute und mitfühlende Ärztinnen und Pflegerinnen. Mein Warum ist sein Warum. Mein Warum ist aufgehoben in seinem. Verlorenheit ist ihm nicht fremd, vergebliche Gottsuche auch nicht. Damit können wir leben und sterben mit ihm, jeder mit seinen Schmerzen und weiß nicht warum. Das teilen wir mit ihm um Gottes Willen.

5.    „Mich dürstet“ (Joh 19,28)
Was für ein erbärmlicher, menschlicher Wunsch. Er hat Bedürfnisse wie wir, einen Körper wie du und ich. Im Tod wird der Durst nach Leben unendlich. Ein Schluck schafft Linderung und hilft gegen das innere Verbrennen. Was für ein armseliges Betteln des Gottessohnes, heruntergekommen wie niemals zuvor. Seht welch ein Mensch. Jeder kleine Schluck, den wir uns reichen auf letzten Wegen, ist hier abgebildet. Auf dem Heimweg zur Quelle des Lebens.

6.    „Es ist vollbracht“ (Joh 19, 30)
Endlich. Weniger triumphal als erschöpft; weniger heldenhaft als im Fenster der Dankeskirche dargestellt. Geschafft. Jesus bringt es zu Ende. Es ist ein letzter Hauch. Alles, was Odem hat, geht diesen Weg bis zum letzten Zug. Steil bergauf, auf die Spitze getriebener Todesmut in der Hinrichtung, ganz oben als Ziel steht ein Gipfelkreuz, schon fast im Himmel, im Heimatland.

7.    „In deine Hände befehle ich meinen Geist“ (Lk 23,46)
Ganz am Ende vertrauen wir uns an. Dann ist es gut. Genug. Dann brauchen wir nicht mehr zu kämpfen. Dann können wir uns überlassen. Nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Am Ende kommt es nur noch darauf an, nur noch darauf, zu vertrauen, loszulassen, sich fallen zu lassen. Ti dir den Gefallen, lass dich fallen. Jesus ist unser ganz persönliches Fallbeispiel: Gott nimmt alles Weitere in seine Hand.

„Ihm sei’s begonnen, der Monde und Sonnen an blauen Gezeiten des Himmels bewegt. Du Vater, du rate, lenk du und wende! Herr dir in die Hände sei Anfang und Ende, sei alles gelegt!“ (Eduard Mörike)
Amen.

Musik
Fürbitten:

Gott, du Schöpfer der Welt,
letzte Worte Jesu am Kreuz
malen wir uns das bildlich aus,
so fällt es uns schwer, das auszuhalten.
Uns prägen die Bilder der Schönen und Reichen.
Wir wollen das Leben feiern und genießen.
Das Leid, das Sterben, gar der Tod hat da keinen Platz.
Über Jahrzehnte haben wir ihn abgeschoben in Krankenhäuser und Altenheime.
Und so verstören uns Bilder von Militärlastern voller Särge in Bergamo oder von Massengräbern in Brasilien.
Nur langsam gewähren wir ihm wieder Raum in Palliativversorgung, Hospizen oder mit Aussegnungen.
Wir leben nicht im Paradies.
Hilf uns das Leid, den Tod als Teil unserer Existenz zu akzeptieren,
damit wir es aushalten können,
damit wir Leidende begleiten können,
damit wir das Leben gewinnen.

Gott, Vater der Barmherzigkeit,
letzte Worte Jesu am Kreuz
Namenlos ist oft das Leiden in dieser Welt.
Verstümmelte Kriegsopfer, hungernde Kinder, Folgen des Klimawandels.
Die Nachrichten davon wollen uns verstummen lassen.
Worte sind manchmal auch fehl am Platz,
doch hilf uns, nicht beim Schweigen stehenzubleiben

Stärke alle, die im Großen und im Kleinen für Frieden eintreten
unter uns und in dieser Welt,
damit Konflikte gelöst und Waffen entschärft werden und die Gewalt ein Ende findet.

Ermutige alle, die sich im Großen und im Kleinen für Gerechtigkeit einsetzen
unter uns und in dieser Welt,
damit die Güter dieser Welt fair verteilt werden
jeder und jede die Wertschätzung widerfährt, die ihm, die ihr gebührt
und dem Unrecht gewehrt wird.

Gib Energie allen, die sich im Großen und im Kleinen für die Bewahrung deiner Schöpfung engagieren unter uns und in dieser Welt,
damit der Klimawandel gestoppt wird,
wir den Lebensraum von Pflanzen und Tieren nicht zerstören
und die Grundlagen unseres Lebens erhalten.

Verhilf auch uns selbst zu Mut und Einsicht danach zu leben.

Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit,
letzte Worte Jesu am Kreuz.
Was werden meine sein?
Wie wird es mir ergehen?
Sterbe ich alt und lebenssatt, nach großem Leiden oder plötzlich und unerwartet?
Viele Fragen beschweren uns, wenn wir an unser Sterben denken?
Wie wird es sein? Was wird danach sein? Mit unseren Lieben und mit uns selbst?
Gib uns den Mut unsere Sterblichkeit nicht zu verdrängen und rechtzeitig Regelungen zu treffen für uns und für das, was bleibt.
Schenke uns einen gnädigen Tod oder komme wieder zu Deiner Zeit
Mehre unseren Glauben und stärke unsere Hoffnung auf eine Zukunft bei Dir.

In der Stille bringen wir das vor Dich, was uns jetzt persönlich bewegt

STILLE

Wir danken Dir, gnädiger Gott, denn Du hörst unser Gebet
und so fassen wir all das und alles andere in die Worte,
die Jesus seine Jüngerinnen und Jünger zu seinen Lebzeiten zu beten gelehrt hat.

Vater Unser

Segen

Musikalischer Ausklang

Gottesdienst zum Gründonnerstag am 01.04.21 mit Vikar Ingmar Bartsch

Begrüßung
Es ist Gründonnerstag. Wir denken heute an das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern. Und wir gehen mit ihm den schweren Weg durch die Karwoche. Wir kommen von Palmsonntag, dem umjubelten Einzug Jesu in Jerusalem. Und wir gehen auf Karfreitag zu, auf das Leiden und Sterben Jesu. Wir warten auf den Ostersonntag, an dem wir daran denken, dass Jesus auferstanden ist. Wir feiern Gottesdienst. Und auch wenn wir zu Hause an unseren Tablets, Mobiltelefonen und Computern mitfeiern, gehen wir durch die Karwoche mit Jesus und durch ihn in gegenseitiger Verbundenheit und Gemeinschaft.
Und so feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Lasst uns beten
Jesus Christus, du bist mitten unter uns. In Deinem Wort. Wenn wir uns bewusst Zeit nehmen, an Dich zu denken. Im Gebet. In unserem Alltag. Du bist mitten unter uns in diesem Gottesdienst. Halte in uns das Sehnen wach nach Deiner lebendigen Botschaft. Entfalte diese Botschaft in unseren Herzen. Das bitten wir Dich, der Du mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebst und regierst in Ewigkeit. Amen.

Lesung aus Mt 26,17-30
17 Aber am ersten Tag der Ungesäuerten Brote traten die Jünger zu Jesus und sprachen: Wo willst du, dass wir dir das Passalamm zum Essen bereiten? 18 Er sprach: Geht hin in die Stadt zu einem und sprecht zu ihm: Der Meister lässt dir sagen: Meine Zeit ist nahe; ich will bei dir das Passamahl halten mit meinen Jüngern. 19 Und die Jünger taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und bereiteten das Passalamm. 20 Und am Abend setzte er sich zu Tisch mit den Zwölfen. 21 Und als sie aßen, sprach er: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. 22 Und sie wurden sehr betrübt und fingen an, jeder einzeln zu ihm zu sagen: Herr, bin ich's? 23 Er antwortete und sprach: Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht, der wird mich verraten. 24 Der Menschensohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. 25 Da antwortete Judas, der ihn verriet, und sprach: Bin ich's, Rabbi? Er sprach zu ihm: Du sagst es. 26 Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. 27 Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; 28 das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. 29 Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinken werde mit euch in meines Vaters Reich. 30 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.

Lied 228 "Er ist das Brot"

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Vor ein paar Tagen kam ich eher zufällig auf die Facebookseite der Firma eines Freundes. Die war schon eine Weile nicht mehr aktualisiert worden. Einer der letzten Einträge war die Firmenweihnachtsfeier 2019. Da sitzen viele Leute in einem engen Raum zusammen. Ohne Abstand. Ohne Masken. Bilder wie von einem anderen Stern. Und während ich die Fotos betrachte, schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Hätten sich die Leute anders verhalten, wenn sie gewusst hätten, was kommen wird?
Jesus und seine Jünger feiern Passahfest. Es ist Teil ihres Lebens, es ist Teil ihrer Kultur. Und es scheint auf wundervolle Art eine Routine zu sein. Die Initiative geht von den Jüngern aus. Sie fragen Jesus: „Wo willst Du, dass wir das Passahlamm zum Essen zubereiten?“ Das klingt nach: Hey Jesus, es ist wieder so weit. Wir freuen uns auf das Passahfest! Wie wollen wir es dieses Jahr machen? So wie immer? Wie hast Du Dir das gedacht? Die Jünger starten mit den Vorbereitungen. Und sie wissen noch nicht, dass wenig später alles anders sein wird. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie grundlegend sich ihr Leben verändern wird. Und so sitzen sie da. Die Jünger. Sie bereiten das Passahlamm vor. Sie feiern mit Jesus. Zum letzten Mal, ohne es zu wissen. Natürlich hat Jesus Andeutungen gemacht. Er hat gesagt, dass sich die Dinge verändern würden. Und auch beim Passahmahl hat er von den bevorstehenden Ereignissen gesprochen. Aber richtig realisiert haben die Jünger das nicht.

Manchmal sind wir in einer ähnlichen Situation, wie die Jünger. Wir tun unbewusst Dinge zum letzten Mal und das muss nicht mal was Negatives sein. Ich kenne jemanden, der wusste bei seiner letzten Zigarette noch nicht, dass es die letzte sein würde. Er hat danach von einem Tag auf den anderen aufgehört und hat in den letzten 50 Jahren keine Zigarette mehr angefasst. Aber es kann eben auch nicht so positiv sein. Mir war es nicht klar, dass ich im Februar 2020 vorerst zum letzten Mal in der Dankeskirche Abendmahl feiern würde. Wie die Jünger tun wir manchmal Dinge zum letzten Mal, ohne es zu wissen.

Da sitzen sie nun, die Jünger. Unwissend beim letzten Abendmahl. Und hier stehe ich nun. Mit meiner Erinnerungen an das letzte Abendmahl vor über einem Jahr. Ist das nicht deprimierend? Ja. Das ist es. Und es ist wichtig, sich das einzugestehen. Es fehlt uns an Begegnungen in dieser Pandemie. Es fehlt uns an Gemeinschaft. Wir haben vieles verloren im letzten Jahr. Und wir haben einiges ersetzen können, aber auch mit der größten Anstrengung können wir nicht so tun, als wäre alles gut. Und so sehne ich mich nach der Kraft der Jünger, mit der sie die Botschaft von Jesus verbreitet haben. Und die Umstände damals waren wirklich schlecht: Nach Jesu Auferstehung gerieten die Christen schnell ins Fadenkreuz der Machthaber. Sie gehörten zu den Sympathisanten eines hingerichteten, politischen Dissidenten. Die Ausgangsbedingungen für das Startup Kirche hätten kaum schlechter sein können.
Was hat den Jüngern also geholfen, nachdem Jesus weg war und sie Angst um ihr Leben hatten? Die erste Antwort ist: Ostern. Nach Gründonnerstag und Karfreitag ging es weiter. Jesus ist auferstanden und das hat das Leben seiner Jüngerinnen und Jünger verändert. Das hat neue Hoffnung gegeben und das gibt uns heute neue Hoffnung. Wir leben in der Hoffnung, dass Tod, Krankheit und Leiden nicht das Ende sind. Wir leben in der Hoffnung, dass Gott in Jesus stärker ist, als alles, was uns bedrängt. Und wenn diese Hoffnung in uns in Vergessenheit geraten ist, weil uns die Umstände übermächtig erscheinen, dann dürfen wir uns gegenseitig daran erinnern. Auch am Gründonnerstag. Wir dürfen unsere Hoffnung lebendig halten. Wir wissen: Sogar nach dem Tod geht es weiter.
Was hat den Jüngern noch geholfen? Die Erinnerung. Das, was wir heute als Abendmahl kennen, ist aus diesem letzten Passahfest entstanden. Jesus hat einige Hinweise gegeben, wie es gefeiert werden soll. Aber es war keine detaillierte Anleitung. Wie das Erinnerungsmahl der Jünger exakt aussehen sollte, das mussten sie selbst überlegen und gestalten. Und als sie mit ihrem Erinnerungsmahl begonnen haben, haben sie festgestellt: Der auferstandene Christus ist dabei. Und diese Erfahrung können wir heute auch machen.
Ja, wir können gerade nicht in der Kirche zusammenkommen. Wir können das Abendmahl nicht so feiern, wie noch im letzten Februar. Aber wir können uns zu Hause an Jesu letztes Abendmahl erinnern. Mit Brot und Wein oder Traubensaft. Kreieren Sie Ihr eigenes Erinnerungsmahl. Nehmen Sie das mit hinein, was Sie daran tröstet. Denken Sie beim Essen bewusst an Jesus. An seinen Weg zum Kreuz. An sein Leiden. An sein Sterben. An seine Auferstehung. Finden Sie eine Form, in der Sie sich erinnern können. So, wie es die Jünger getan haben.
Und wenn Sie das tun, dann haben Sie eben doch nicht vor einem Jahr zum letzten Mal Abendmahl gefeiert. Sie haben heute wieder gefeiert. Oder morgen. Es ist anders, als in der Kirche. Und es wird sich auch anders anfühlen. Aber es ist eine Ausdrucksform unseres Glaubens. Wir verzichten in diesem Livestream übrigens darauf, Abendmahl digital zu feiern, denn es ist nicht jedermanns Sache. Aber wenn Sie gerne in Ihr eigenes Erinnerungsmahl eine Abendmahlsliturgie integrieren möchten, dann finden Sie auf diesem Kanal ein Video dazu. Sie können es gerne ausprobieren. Und wenn Sie dann Ihr eigenes Erinnerungsmahl gestalten, dann ich bin mir sicher: Sie werden entdecken, dass Jesus dabei ist. Dass Sie getröstet werden. Wie die Jünger, aus deren Erinnerungsmahlen unser heutiges Abendmahl geworden ist. Das wir seit hunderten von Jahren feiern und das wir auch wieder feiern werden.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied: Kommt mit Gaben und Lobgesang 229

Fürbitten
Herr, großer Gott, wie gern hätten wir diese für unseren Glauben so wichtigen Tage in stärkender Gemeinschaft erlebt. Wie gern hätten wir in einer großen Runde Abendmahl gefeiert. Wir klagen Dir, dass das nicht möglich ist in der Pandemie. Stärke Du uns und halte in uns die Hoffnung und die Erinnerung wach, dass Du stärker bist, als alle unsere Sorgen.
Herr, großer Gott, wir klagen Dir, dass Menschen weltweit in Armut leben. Wir klagen Dir, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen und verfolgt werden. Wir klagen Dir die Gewalt, die Menschen einander antun. Stellvertretend nennen wir Dir die Situation in Myanmar. Schenke Du Frieden in der Welt und mache uns zu Friedensstiftern. In unserem privaten Umfeld und darüber hinaus.
Herr, großer Gott, wir klagen Dir diese Pandemie. Wir klagen Dir die Ungewissheit. Wir klagen Dir, dass in unserem Land viele Menschen Politiker für unfähig halten und Politiker Menschen für unfähig halten. Wir klagen Dir dass das gesellschaftliche Klima in der Pandemie rauer geworden ist. Wir bitten Dich, heile unsere Herzen, mach uns besonnen und schenke uns, dass wir fröhlich werden an den Dingen, die uns dankbar machen in allen Schwierigkeiten.
Herr, großer Gott, wir bitten Dich für die Menschen, die einsam sind, wir bitten Dich für die Kranken und die Sterbenden. Sei Du ihnen nahe und schenke ihnen Menschen zur Seite, die sie aufrichten, trösten und stärken.
Wir bitten Dich für unsere Gemeinde. Wir möchten die Hoffnung und die Freude über Deine Auferstehungsbotschaft weitergeben. Hilf uns, dass uns das gelingt und lass diese Botschaft Frucht tragen in unseren Herzen und den Herzen unserer Nächsten.

Und was uns sonst bewegt, legen wir in das Vaterunser:
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Gottesdienst am 28.3.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Gottesdienst am Palmsonntag 2021 unter Verwendung des Projekts „Faire Jobs für Näherinnen“ von Brot für die Welt

Musik zum Eingang

Begrüßung und Votum
Liturgin 1
Wir feiern unseren Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir begrüßen Sie ganz herzlich zu unserem Gottesdienst am Palmsonntag, dem letzten Sonntag in der Passionszeit. An diesem Sonntag zieht Jesus auf einem Esel in Jerusalem ein. Seine Freundinnen und Freund begleiten ihn. Viele Menschen stehen an den Straßen Jerusalems und begrüßen ihn jubelnd. So viele Hoffnungen und Sehnsüchte richten sich auf Jesus. Mit dem Einzug in Jerusalem beginnt der schwerste Abschnitt auf Jesu Weg. Spannung liegt in der Luft, alle spüren, dass etwas Schlimmes passieren wird. Wir wollen in diesem Gottesdienst innezuhalten uns an das Leiden und Sterben unseres Bruders Jesus denken. Dass Jesus gefoltert und hingerichtet worden ist, bleibt für uns Christinnen und Christen trotz der Wucht des Erschreckens ein Zeichen. Es ist ein Zeichen dafür, dass wir vertrauen können: Gott ist auch im Leid. Dennoch sollen wir deswegen nicht nur Leid ertragen, sondern dort, wo Menschen durch andere Menschen leiden, etwas dagegen tun. In diesen Zeiten, in denen die Nachrichten überwiegend von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unser Land und unsere Gesellschaft bestimmt sind, wollen wir wachsam sein, dass neben all den Schwierigkeiten und Sorgen die uns ganz konkret beschäftigen, die Menschen nicht vergessen werden, die schon vor Corona unter ungerechten Lebensbedingungen gelitten haben und deren Situation sich nun immer weiter verschärft.

Liturgin 2
Denn der Herr ist gerecht, er liebt gerechte Taten. Wer aufrichtig ist, darf sein Angesicht schauen.

So steht es im 11. Psalm (Vers 7). Und so wollen wir heute über Leid und Gerechtigkeit nachdenken – und von einer jungen Frau hören, die Ungerechtigkeit erfährt und daran leidet, aber trotzdem die Kraft hat, dagegen zu kämpfen.
Gerechtigkeit! „Es ist die große Sache aller Staaten und Thronen, dass gescheh', was rechtens ist, und jedem auf der Welt das Seine werde; Denn da, wo die Gerechtigkeit regiert, da freut sich jeder, sicher seines Erbes…, so schreibt es Friedrich Schiller. Menschen haben ein Empfinden dafür, was gerecht ist und was nicht. Und wenn etwas Ungerechtes länger andauert, regt sich Widerstand.

Liturgin 1
Passion heißt Leiden, und in den sieben Wochen vor Ostern erinnern wir uns an das Leiden und Sterben Jesu Christi. Wir schauen nicht weg, wo anderen Unrecht und Leid geschieht. Überall auf der Welt leiden Menschen unter der Verletzung der elementarsten Menschenrechte. Wir wollen ihr Schicksal nicht dem Vergessen überlassen. Begleiten Sie uns heute nach Nicaragua. Das ist nur eines von sehr vielen Ländern dieser Erde, in denen Menschen nicht überall in gerechten Verhältnissen leben können. Nicaragua ist nach Haiti das zweitärmste Land Amerikas. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. Lassen Sie uns hören, wie Menschen dort leben und wie sie Leid und Gerechtigkeit erfahren.

Musik: Bleibet hier und wachet mit mir

Gebet
Gott,
du bist für uns da, du stehst auf unserer Seite,
besonders auf der Seite der Armen und der Schutzlosen.
Wenn wir hören,
was Menschen anderen Menschen antun,
wie sie anderen die elementaren Rechte nehmen,
dann kocht in uns ohnmächtige Wut.

Gott,
es fällt oft schwer,
nicht irre zu werden an der Welt und an dir.
Gott, steh auf,
erhebe deine Hand
und vergiss die Elenden nicht.

Lass uns nicht in Gleichgültigkeit fliehen.
Bewahre uns einen kritischen Geist,
ein waches Gewissen
und ein mitfühlendes Herz.

Hilf uns, immer wieder hinzusehen und unsere Stimme zu erheben,
für die, die keine Stimme haben.
Amen.

Sprecherin 1
„Sei der Erste, der das Beste bekommt!“ So steht es auf der Webseite der Sportartikelfirma „Under armour“, was soviel wie „kampfbereit“ oder „in Rüstung“ bedeutet. Sehnige, durchtrainierte Menschen setzen auf den Fotos zum Sprung an und machen in ihrer Kleidung eine gute Figur. 55 Euro zahlt man für eine „SC30 Ultra Performance Shorts“ in schwarz. Solche schwarzen Shorts sind nur eines von vielen Milliarden Kleidungsstücken, die aus den Nähstuben der Armut kommen. Zum Beispiel aus den Händen von María Elena aus Nicaragua.

Sprecherin 2       
Ich heiße María Elena Gonzales Jiménez. Ich bin 23 Jahre alt und komme aus Nicaragua. Ich habe einen Job. Der Holzstuhl an meiner Nähmaschine, auf dem ich jeden Tag sitze, ist hart. Ich sitze da auch nicht so gut, meist muss ich mich mehr oder weniger runterbücken. In der Halle mit den vielen Nähmaschinen es ist heiß und stickig. Ventilatoren gibt es nicht. Der Druck ist enorm. Meine Chefs geben Stückzahlen vor, die wir gar nicht schaffen können. Doch ich brauche den Job. 5.000 Córdobas verdiene ich im Monat, das sind umgerechnet rund 132 Euro. Mit meiner Arbeit ernähre ich den Vater, der ist über 80, meine ältere Schwester und deren drei Kinder. Das ist es, was mir durch den Kopf geht, wenn ich die Nähte der schwarzen Shorts säume, 1.500mal am Tag derselbe Handgriff, zehn Stunden lang, sechs Tage die Woche.

Sprecherin 3
Verhilf mir zu meinem Recht, Gott!
Vertritt mich vor Gericht gegen das Volk,
das sich nicht an deine Gebote hält!
Rette mich vor falschen und bösen Menschen!
Ja, du bist der Gott, der meine Zuflucht ist!
Sende dein Licht und deine Wahrheit!
Sie sollen mich sicher führen.
Sie sollen mich zu dem Berg bringen,
wo dein Heiligtum ist – deine Wohnung.
Dann will ich vor den Altar Gottes treten –
vor Gott, den Grund meiner unbändigen Freude.
Verse aus dem Psalm 43

Liedruf: Bleibet hier und wachet mit mir

Sprecherin 2
Ja, meine Kolleginnen und ich haben harte Arbeitsbedingungen. Und bei uns allen reicht das Geld hinten und vorne nicht – aber ich lasse mich davon nicht unterkriegen. Meine Mutter hat immer gesagt: Geht, Mädchen, kämpft für eure Rechte! Sie hat mich auch öfter mitgenommen zu Workshops einer Bewegung, die „María Elena Cuadra“ (MEC) heißt. Das ist eine Frauenorganisation, die für
menschenwürdige Arbeitsverhältnisse in den Textilfabriken kämpft.
Zum Beispiel dafür, dass der Mindestlohn gezahlt wird, dass Gesundheits- und Hygienebestimmungen eingehalten werden, dass Arbeiterinnen und Arbeiter nach
Unfällen eine medizinische Behandlung erhalten.

Sprecherin 1
Lasst uns nicht vergessen: Es sind Menschen wie María Elena, die unsere Kleidungsstücke herstellen. Sie tun dies an vielen Orten dieser Erde, oft bei schlechter Bezahlung und unter schwierigen Arbeitsbedingungen.
Lasst uns nicht vergessen: Was und wie wir einkaufen ist Gottesdienst im Alltag der Welt. Vor allem aber lasst uns das nicht vergessen: Ein nachhaltiges Denken, damit Menschen wie María Elena ein Leben in der von Gott geschenkten Würde möglich ist.

Sprecherin 3
Denn der HERR sagt: »Ich liebe Gerechtigkeit und hasse gemeinen Raub. Ich halte meinem Volk die Treue, und belohne es für seine Leiden; ich schließe mit ihm einen unauflöslichen Bund und sage ihm für alle Zeiten meinen Schutz zu. Jesaja 61,8
Liedruf  - Bleibet hier und wachet mit mir

Sprecherin 2
Ich war 18, als ich etwas über meine Rechte erfuhr. Ich hatte Glück! Denn das hat mein Leben verändert. Rechte sind für uns gemacht – wir müssen sie aber kennen. Rechte, die meine Arbeit in der Fabrik betreffen – aber auch zu Hause und in der Gesellschaft. Da kam so viel in Bewegung, dass ich sehr viel Kraft bekam. Diese Kraft reicht aus, um neben der Arbeit noch Jura zu studieren. Abends, wenn ich zu Hause bin, dann lerne ich eben noch. Und ich arbeite ehrenamtlich bei der Organisation MEC mit, der ich persönlich meinen Wandel verdanke. Das ist es mir wert! Damit gebe ich das, was ich bekommen habe, an andere zurück.

Sprecherin 1
Ungerechte Lebensverhältnisse und Unterdrückung haben eine lange Geschichte. Selten gab es Zeiten, in denen Menschen es geschafft haben, so zu leben, dass für alle ein gutes Leben möglich war. Ein Leben ohne Hunger, Ausbeutung, Fremdbestimmung. Zu Zeiten des Propheten Jesaja, 700 vor Christus, war die soziale Lage in Israel angespannt. Der Graben zwischen Arm und Reich wurde immer tiefer. Große Teile der Bevölkerung verarmten. Menschen wurden unterdrückt und ihrer Rechte beraubt. Das assyrische Großreich bedrohte Israel und eroberte es schließlich. Der Prophet Jesaja steht in dieser Situation auf der Seite der Armen und Entrechteten. Immer wieder klagt er die Reichen an, die die Gesetze Gottes brechen. Immer wieder weist er laut daraufhin, dass Gott ein Gott der Gerechtigkeit und des Friedens ist. Deshalb ist es sozusagen die Kernaufgabe für den Menschen, so zu handeln, dass allen Gerechtigkeit widerfährt. Gott hält für alle echten Frieden und echte Ruhe bereit. Gott verlässt die Menschen nicht. Seine Gebote sind die Richtschnur für ein Leben in Gerechtigkeit. Und so ruft Jesaja sein Volk immer wieder auf:

Sprecher*in 3
Darum harrt der Herr darauf, dass er euch gnädig sei, und darum macht er sich auf, dass er sich euer erbarme; denn der Herr ist ein Gott des Rechts. Wohl allen, die auf ihn harren! Du Volk Zions, das in Jerusalem wohnt, du wirst nicht weinen! Er wird dir gnädig sein, wenn du rufst. Er wird dir antworten, sobald er's hört. Und der Herr wird euch in Trübsal Brot und in Ängsten Wasser geben. Und dein Lehrer wird sich nicht mehr verbergen müssen, sondern deine Augen werden deinen Lehrer sehen. Und wenn ihr zur Rechten oder zur Linken gehen wollt, werden deine Ohren hinter dir das Wort hören: Dies ist der Weg; den geht!  (Jesaja 30,18-21)

Lied: Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen

Liturgin 1
Maria Elenas Geschichte ist nur eine von weltweiten Milliarden Geschichten. Doch ich hoffe, dass sie Mut machen konnte. Und dass sie uns zeigt, dass wir einander beistehen sollen, wenn wir Unrecht erfahren. Die Geschichte zeigt genau das. Helfen wir einander, stützen wir uns und sehen nicht weg – dann wächst Gutes aus dem Leid. Dann kann aus dem abgeschlagenen Baum wieder ein Trieb wachsen.
Wir bitten Gott um sein Licht und seine Wahrheit. Gott öffne Herzen und Augen, Hände und Verstand für das, was wir als Christinnen und Christen tun können auf dem Weg zur Gerechtigkeit im Namen Gottes, in der Nachfolge Jesu. Ermutigt vom Geist Gottes, der Menschen von allem Anfang begeistern konnte; der Menschen begeistern konnte, das Leben zu schützen. Wir sind uns gewiss, dass wir damit die Absicht Gottes bezeugen, den Armen, Witwen, Waisen und Fremden in besonderer Weise nahe zu sein

Fürbitte
Gott, wir bitten dich für deine Kirche,
mache sie zur Zeugin und zum Werkzeug deines Friedens.
Vater unseres Lebens – Bruder unseres Leidens – Schöpfer unseres Glaubens,
wir danken dir, dass du uns dazu berufen hast, deine Geschichte zu erzählen,
vom Leben deiner Zeuginnen und Zeugen zu hören.
Dich, der du unsere Tiefe geteilt und selbst unter dem Bösen gelitten hast,
bitten wir für alle Menschen in Einsamkeit und Schmerzen.
Reiß Menschen aus Habgier und Bosheit,
lass Freundlichkeit unter uns wachsen und wehre der Gefühllosigkeit.
Wir bitten dich für alle, die anderen zu helfen versuchen.
Nimm dich unser gnädig an, rette und erhalte uns.

Und alles Gesagte und Ungesagte fassen wir zusammen in dem Gebet, das Jesus uns lehrte:
Vater unser im Himmel….

Die Kollekte sammeln wir für Brot für die Welt.

Segen

So lasst uns unsere Wege gehen
im Frieden und unter dem Segen Gottes:

Gott segne und behüte uns.
Gott schütze unser Leben
und bewahre unsre Hoffnung.
Gott lass Dein Angesicht leuchten über uns,
dass wir leuchten können für andere.
Gott erhebe Dein Angesicht auf uns
Und stärke unsern Glauben,
dass das Leben stärker ist als der Tod.

Musik: Change the world

Aus diesem Anlass bittet der Arbeitskreis um Spenden für „Brot für die Welt“, um die Menschen zu unterstützen, die unter schlechten Arbeitsbedingungen und ungerechten, niedrigen Löhnen arbeiten, wie z. B. in der Textilindustrie. In Zeiten der Corona-Pandemie sind sie besonders von Arbeitslosigkeit und Hunger bedroht.

Das Spendenkonto:

Ev. Kirchengemeinde Bad Nauheim
Verwendungszweck: Brot für die Welt
Sparkasse Oberhessen: IBAN: DE 09 5185 0079 0030 0016 21
Volksbank Mittelhessen: IBAN DE 83 51390000 0089 3284 03

Passionsandacht am 27.03.21 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Diese Passionsandacht ist auch als Video verfügbar.

Andacht zum Lied „Seh‘ ich das Kreuz an….“

Musik zum Eingang: Seh‘ ich das Kreuz an

Begrüßung mit Votum
Gott hält seine Hand über uns. Darum sind wir versammelt im Namen Gottes, der Quelle des Lebens, menschgewordener Liebe und Grund unserer Hoffnung. Amen.

Kollektengebet
Gott, Du bist Liebe,
bist Begleitung und Ziel allen Lebens.
Du schenkst uns unsere Zeit, gute und schlechte Tage.
Auch die Irrtümer, die Sackgassen und die Umwege sind wichtig.
Auch sie gehören zu unserem Menschsein.
Erinnere Dich an Deine Barmherzigkeit, an deine Güte und hilf uns zurückzufinden zu Dir, wenn wir Dich verloren haben.
In Jesus Christus spüren wir deine Kraft,
lebendig, stark und schön.
Schenk uns deine belebende Nähe,
denke an deine Güte, erinnere dich an deine Liebe zu uns
und rufe uns immer wieder zu Dir,
zum Leben in deinem Geist.
Amen.

Lesung: 1. Kor 1,18-25

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. 19Denn es steht geschrieben (Jes 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben.22Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; 24denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

Lied: Seh, ich das Kreuz an, ach wie schwer

Ansprache
Friede sei mit euch, von dem der da ist und der da war und der da kommt.

Es ist schöne Tradition in unserer Gemeinde, dass unsere Konfis im Konfirmationsgottesdienst ein Kreuz geschenkt bekommen. Das Design der Kreuze hat sich in den Jahren immer mal wieder geändert. Mal waren es Kreuze aus Olivenbaumholz, die wie ein Handschmeichler in der Hand lagen. Dann bunte Kreuze gestaltet von Menschen in fernen Ländern. Dann wieder schlichte silberne Schmuckkreuze als Kettenanhänger. Es ist unser Geschenk als Kirchengemeinde an die Jugendlichen und soll sie erinnern an die Gemeinde, die sie kennengelernt haben, an den Glauben, mit dem sie sich in der zurückliegenden Konfizeit beschäftigt haben. Natürlich hoffen wir, dass die Jugendlichen für die Kreuze einen schönen Platz finden, den Kettenanhänger auch tragen. Als Erinnerung an den, der sie auch zukünftig in ihrem Leben begleiten will.

Das Kreuz ist DAS Symbol des Christentums. Und es gibt die unterschiedlichsten Traditionen und Bräuche rund um das Kreuz. Kreuze finden sich natürlich in Kirchen und kirchlichen Räumen, in Wohnungen, manchmal am Rückspiegel eines Autos und an vielen anderen Orten. Und es gibt ganz unterschiedliche Kreuze. Waren es anfangs eher sehr schlichte aus Stein gemeißelte Modelle, so wurden sie mit der Zeit immer kunstvoller und je nachdem wie viel Geld der Auftraggeber*in hatte, auch immer aufwändiger und prunkvoller. Bis hin zu den in goldgefassten und mit Edelsteinen besetzten, überladenen Prunkkreuzen auf Domaltären oder fürstlichen Gebetsbüchern. Diese Prunksucht ist uns als Kirche mittlerweile eher peinlich. Und viele denken zu recht: Das Kreuz und ein damit zur Schau gestellter Reichtum passen nicht zusammen. Ist nicht das, wofür das Kreuz steht, das genaue Gegenteil von Schmuck, Zier und äußerem Glanz?

Das Lied „Seh ich das Kreuz an: Ach wie schwer“ nimmt beide Blickweisen in den Blick. Den Blick auf den wertvollen Kunstgegenstand und den Blick auf Gekreuzigten. Beide Sichtweisen werden einander gegenübergestellt. Das Lied ordnet Reichtum und Glanz den menschlichen Wünschen und Begierden zu. An und unter dem Kreuz herrschen Tod, Leid, Hohn und Spott. Doch weil an und unter dem Kreuz auch Gott anwesend ist, dreht er die damit verbundenen Werte einfach um: Glanz, erfolg, Reichtum stehen in völligem Gegensatz zu der Erniedrigung des Gekreuzigten und sich ist sein Leiden für uns, kostbarer und wertvoller als alle irdischen Güter. Das Lied spielt mit den Begriffen unserer materiellen Welt. Im englischen Originaltext noch deutlicher als in der deutschen Übersetzung. Diese materiellen Begriffen werden im Lied der Welt Gottes gegenübergestellt. Reichtum und Glanz stehen hier auf der menschlichen Seite – my richest gain (mein reichster Gewinn), all the vain things that charm me most (all die eitlen Dinge, die mich so sehr reizen). Doch die wahre göttliche Krone ist nicht aus Edelsteinen, sondern aus Dornen gemacht, der Mann am Kreuz ist ein König der Leidenden, der den Tod in ein neues Leben verwandelt hat.

Deshalb kann unser Blick auf das Kreuz immer nur ein doppelter Blick sein. Wir sehen darin nicht nur die Niederlage, sondern auch den Sieg, nicht nur Elend und menschliche Finsternis, sondern auch Glanz und göttliches Strahlen. „Der Tod ist verwandelt in den Sieg. Tod wo ist dein Stachel!“ Jesus hat mit seinem Tod am Kreuz die Gültigkeit von Reichtum und Macht überwunden und an ihre Stelle die Liebe und das Leben gesetzt.
Und das heißt: Weil Gott alle Werte, die vermeintlich Geltung haben, verändert, könne auch wir falsche Prioritäten unseres Lebens ablegen.

„Erfolg und Glanz verlocken mich, und doch vergehn sie mit der Zeit. Durch Jesus und sein Kreuz bin ich erlöst, aus ihrer Macht befreit.“ So singt das Lied in seiner 2. Strophe.
Wie weit trifft uns das? Natürlich haben Erfolg und Glanz einen Reiz. Wie schön wäre es, frei zu sein von allen materiellen Sorgen. Sich einfach leisten zu können, was das Leben erleichtert. Und immer besteht die Gefahr in den Strudel des „immer-mehr haben Wollens“ hineinzugeraten. Auch das gibt es.

Wie ist es mit dem Glanz nach außen? Wie stellen wir uns nach außen dar? Wie wollen wir wahrgenommen werden? Dieser Druck immer gut „rüber zu kommen“, immer glücklich und erfolgreich zu erscheinen. Das hat durch die sozialen Netzwerke eine ganz eigene Dynamik bekommen. Klicks und Likes bestimmen oft das Selbstwertgefühl und den sozialen Status einer Person. Hassmails und Fake News machen Menschen gezielt fertig. Führen in den sozialen Tod bis hin zum Selbstmord.

Und trotzdem: Ist es nicht zutiefst menschlich, dass wir für unsere Arbeit Anerkennung bekommen wollen? Ein Lob für unseren Einsatz an der Arbeit, im Ehrenamt oder im Freundeskreis und in der Familie. Wir brauchen die Bestätigung von außen.

„Erfolg und Glanz verlocken mich, und doch vergehn sie mit der Zeit und sein Kreuz bin ich erlöst, aus ihrer Macht befreit.“ Wenn ich diese Strophe höre, mich von der Melodie führen lasse, ist es eine Verheißung, eine gute Botschaft: Dein Wert wird nicht bestimmt durch Klicks und Likes. Du bist nicht davon abhängig, ob dich einer gut findet oder nicht. Du bist nicht das, was die anderen von dir denken. Die anderen haben keine Macht dich zu verurteilen. Denn der Mann am Kreuz hat  alle menschliche Macht gebrochen, er hat den Leidenden Glanz verliehen, den Gebrochenen Ruhm. Bei denen die im Schatten seines Kreuzes leben, zählen andere Werte. Zählt die Liebe, das Leben, das entsteht, wenn Menschen sich entwickeln.

Die Kreuze, die wir unseren Konfis schenken, die Kreuze, die in Kirchen und Wohnungen ihren Platz haben, haben eine wichtige Botschaft: Gib nicht den anderen Macht über dich. Lass dich nicht von dem bestimmen, was andere über dich denken. Schau auf das Kreuz und erinnere dich. Da ist einer, der dich liebt, auch wenn du selbst das gerade vielleicht nicht kannst. Da ist Trost und Hoffnung. Das Leben wird mit ihm an unserer Seite vielleicht sogar gut.

Lied

Fürbitten
Gott,
erinnere dich an deine Barmherzigkeit und Güte,
die von Ewigkeit her gewesen sind, und sieh auf uns und unsere Welt!
Wir bitten dich für alle, die es schwer haben.
Lass sie deine Gegenwart spüren und zeige ihnen Wege, die sie gehen können!
Wir bitten dich für die, die dem Bösen nicht standhalten.
Lass sie umkehren und zurückfinden!
Wir bitten dich für alle, die sich umsonst mühen.
Lass sie nicht verzweifeln und lass sie zu ihrem Ziel finden!
Wir bitten dich für alle Liebenden. Schütze und begleite sie!
Wir bitten dich für alle, die krank sind. Schenke ihnen Gesundheit!
Wir bitten dich für alle, die du aus dieser Welt zu dir gerufen hast.
Vollende sie in deinem Reich und sei mit allen, die um sie trauern!
Alles, was wir noch auf dem Herzen haben, bringen wir in der Stille vor dich…
Wir schließen unsere Bitten zusammen in dem Gebet, das Jesus Christus uns gelehrt hat:
Vater unser im Himmel….
Amen.

Abkündigungen
Segen

Gottesdienst am 21.3.2021 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik
 

Begrüßung
Ein herzliches Willkommen zu unserem Gottesdienst heute! Judika heißt dieser Sonntag, nach dem Psalmwort „Schaffe mir Recht, Gott!“ So viele Menschen finden in ihrer Umgebung keine Gerechtigkeit und suchen sie bei Gott. So wie Hiob.  In diesem Gottesdienst hören wir von ihm, dem Mann, der mit Gott um Gerechtigkeit kämpft, auch um Gerechtigkeit für sich selbst. Ihm und auch uns heute soll darum eine Zusage Gottes gelten, wie sie beim Profeten Jesaja steht (57,18):
„Gott spricht: Ihre Wege habe ich gesehen, und ich habe das Leid gesehen, das sie tragen. Darum will ich sie heilen und sie leiten und will ihnen wieder Trost geben.“
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 43
Verschaffe mir Recht, Gott!
Rette mich vor den Menschen, die betrügen und Unrecht tun! Du bist der Gott meiner Stärke. Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich so traurig umhergehen, weil Menschen mich anfeinden?
Sende dein Licht und deine Wahrheit, das sie mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung.
Dass ich hineingehe zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.
Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Hoffe auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Und wir beten:
Heiliger Gott, wir danken Dir, dass Du uns den Sonntag freihältst von allem, was uns zerstreut. Du versammelst uns in Deiner Gegenwart.
Dafür danken wir Dir.  Nimm Du Dir nun Raum in unseren Herzen. Bewege und stärke uns in dieser Stunde für die Woche, die vor uns liegt.  Dich beten wir an, dreieiniger Gott. Amen

Lied: 440,1-4 All Morgen ist ganz frisch und neu

Lesung
Wir stehen nun in der Passionszeit. Der Zeit der Prüfung und der Bewährung des Glaubens. Hören wir, wie es dem Mann Hiob ergeht. Hiob ist ein schwerkranker Mann.  Ich lese aus dem 19. Kapitel des Hiobbuches die Verse 19-27 nach der Übersetzung „Hoffnung für alle“:

„Hört mir zu! Meine engsten Freunde verabscheuen mich jetzt; sie, die mir am nächsten standen, lehnen mich ab!

Und ich? Ich bin nur noch Haut und Knochen, mit knapper Not bin ich dem Tod entkommen. Erbarmt euch über mich, meine Freunde, erbarmt euch! Gottes Hand hat mich getroffen. Warum verfolgt ihr mich, wie Gott es tut?  Habt ihr mich nicht schon genug gequält?

Ach, würden doch meine Worte in einer Inschrift festgehalten und in Stein gemeißelt, lesbar für alle Zeiten!

Und doch: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! Auf dieser todgeweihten Erde spricht er das letzte Wort.  Auch wenn meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch Gott sehen! Ich werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen, und nicht als einen Fremden. Danach sehne ich mich von ganzem Herzen.“

Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. Amen.

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
sicher kennen Sie sie auch, die Hiobsbotschaften. Sie sind etwas, was niemand braucht. Niemandem sind sie zu wünschen. Hiobsbotschaften können einem direkt den Boden unter den Füßen wegreißen.  Sie kommen unvorhergesehen und können einen ohne Vorwarnung treffen. Und dann ist da diese Frage nach dem „Warum?“ Eine Frage, die ohne Antwort bleibt. Warum diese Krankheit? Warum dieses Leid? Warum ich? Wo bleibst du,  Gott?

Hiobsbotschaft – dieser Ausdruck rührt her von dem Mann Hiob, einem Menschen aus den Weisheitsbüchern unserer Bibel. Hiob erlebt so ziemlich alles, was das Leben eines Menschen niederdrücken kann. Schlag auf Schlag trifft es ihn, als hätte es jemand auf ihn abgesehen. Erst rafft Feuer sein Vieh dahin. Dann verliert er Haus und Hof. Seine Söhne und Töchter sterben, und schließlich wird er noch selbst von einer schweren Hautkrankheit eingeholt, die ihn quält, vom Scheitel bis zur Sohle. Hiob, der so geschlagen ist, schert sich den Kopf und wirft sich in den Staub.  Mehr geht nicht. Er weiß nicht, womit er all das verdient hat. Niemand weiß das. Denn wenn es einen Menschen auf Gottes Erde gibt, dem man nichts, aber auch gar nichts zur Last legen könnte, dann dieser Hiob. Er achtet Gott. Er ist ehrlich und hat sich wirklich nichts zu Schulden kommen lassen. Drei Freunde kommen zu ihm. Sie kommen, um bei ihm Schiwa zu sitzen, so wie es in der jüdischen Kultur üblich ist:  sie kommen, um sieben Tage mit ihm am Boden zu kauern und zu trauern. Auch sie wollen es verstehen: Warum? Warum gerade du, Hiob? Und dann fallen viele kluge Worte.  Mutmaßungen, Vorwürfe an Hiob und etliche Ratschläge.  Denn in einem sind sich die Männer nun doch einig: das Schicksal des Hiob muss eine Strafe Gottes sein. Wofür auch immer. Irgendeinen Grund muss es geben. Und so fragen sie immer wieder nach, und bohren herum im Leid des Geschlagenen.

Bis Hiob endlich schreit- voller Entrüstung und voller Enttäuschung: „Erbarmt euch über mich! Warum verfolgt ihr mich? Eure Ratschläge sind Schläge für mich!“ Und er schleudert ihnen ein entschiedenes Nein entgegen: „Nein, meine Krankheit ist keine Strafe Gottes! Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Krankheit und Unglück sind kein Fluch wegen einer Sünde oder einer Verfehlung. Hört auf mit diesem unseligen Herumstochern. Es gibt hier nicht Ursache und Wirkung.“

Das, was Hiob hier erlebt, ist nicht nur ein Zeichen seiner Zeit. Auch heute stellen Menschen immer wieder diese Frage, wenn sie mit einem Schicksalsschlag konfrontiert sind: „Womit habe ich das verdient? Was habe ich falsch gemacht? Wofür soll das nun eine Strafe sein?“ oder ihre Umgebung stellt genau diese Fragen und vermutet drauf los, offen oder heimlich. -  Aber es gibt keinen Zusammenhang zwischen dem Tun und dem Ergehen. Es kann einfach jeden treffen, und das zu jeder Zeit.  Hiob leidet nicht nur körperlich, er leidet auch seelisch – daran, dass man ihn selbst für sein Unglück verantwortlich machen will, und daran, dass sich so Viele von ihm zurückziehen. Die Familie. Viele Freunde. Seine Bediensteten.

Hiob leidet aber auch daran, dass er nichts von Gott merkt. Gott ist ihm fremd, ist ihm verborgen und dunkel. „Gottes Hand hat mich getroffen“, klagt er. Und vielleicht ist das das Schwierigste, was auszuhalten ist.

Es kann im Leben tatsächlich Zeiten geben, wo man von Gott nichts spürt. Wo er sehr weit weg zu sein scheint. Zeiten der Gottesferne. Wo das Gefühl da ist, er habe sein Angesicht verborgen. Da kann es schwerfallen, überhaupt noch zu glauben. Da kann es sein, dass einen die Zweifel übermannen wollen. Gerade dann brauchen wir Freundinnen und Freunde, die das Schwere mit aushalten können und die uns nicht alleine lassen. Menschen, die sogar stellvertretend für uns glauben, die an Gott festhalten, ohne uns Vorwürfe zu machen. Sie sind dann wie ein unsichtbares Netz, das uns auffängt. Wie eine Brücke über eine tiefe Schlucht. Sie helfen uns, nicht zu fallen. Einen Weg zu gehen.  

In einer Krise können Menschen zu Stellvertretern Gottes werden. Zu Teilhaberinnen seiner Sorge um einen Menschen, der leidet. Davon erzählt ein Ausspruch aus dem chassidischen Judentum, einer besonderen Frömmigkeitsrichtung innerhalb des jüdischen Glaubens.  In diesem Ausspruch heißt es: „Wenn einer in Not ist und sagt: ‚Es gibt keinen Gott, es gibt kein Recht, und die Menschen sind schlecht‘, dann antworte: ‚Vielleicht. Aber ich bin da!‘“

Denjenigen nicht allein lassen, der ein Ohr braucht, diejenige nicht zurücklassen, die in seelischer Not ist – wie wichtig ist das zu jeder Zeit. „Ach, hört mir doch einmal zu! Damit würdet ihr mich trösten!“ sagt Hiob zu seinen Freunden.

Aber das Gute ist und schließlich das Entscheidende: Hiobs Weg ist noch nicht zuende. Er kämpft und klagt und ringt mit Gott. Er lässt ihn einfach nicht los. Hiob weiß, dass Gott alles für ihn bedeutet. Er will und er kann ohne ihn einfach nicht sein. Und so hofft Hiob auf Gott gegen Gott, gegen den Augenschein, dass er nicht da ist. Mit dieser Hoffnung gibt Hiob dem großen Trotzdem des Glaubens ein Gesicht. Und dann geschieht der Umschwung. Er ringt sich durch zu einer neuen Erkenntnis. So, als würde ein Gedanke von außen auf ihn zukommen. „Und doch: Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ das ist wie eine Inspiration.  Wie ein Geistesblitz. Seine Hoffnung hängt an diesem einzigen Satz. So wie sein Leben an einem Faden hängt. Nur weil er mit Gott gerungen hat, ist Hiob zu dieser Hoffnung hindurchgedrungen.

Und dieser Satz wird zum lösenden Wort. An dieses Bekenntnis bindet Hiob sich, er, der irgendwo zwischen Himmel und Hölle hängt. Dessen Gefühle Achterbahn fahren. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ Davon ist er nun felsenfest überzeugt. Und das proklamiert er für sich und für alle Generationen. Aus tiefer Klage wird Vertrauen. Aus Verzweiflung wird Zuversicht. Und aus dem Niedergedrückt sein wird Aufatmen. „Meine Augen werden Gott sehen, und nicht mehr als einen Fremden, sondern als einen Freund,“ dazu streckt Hiob sich nun aus. Und er erfährt einen neuen Segen in seinem Leben:  er wird gesund, ihm wird noch einmal Hab und Gut beschert, und er und seine Frau dürfen noch einmal Eltern von einer Kinderschar werden.

Ich lerne aus dieser Geschichte, dass auch unser Leben nicht immer von Hiobsbotschaften verschont bleibt. Und dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen müssen. Ob wir wollen oder nicht. Wohin uns das „Abenteuer Leben“ führt, wissen wir nicht. Aber  - und das ist das Entscheidende! -  wir sind nicht gottverlassen. Niemals. Das ruft uns das Hiobbuch mit seiner positiven Hiobsbotschaft zu, mit dieser Zuversicht: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“  Für mich ist das wie ein heller Lichtstrahl der Hoffnung, gerade in unserer Zeit, die von so manchen düsteren Wolken verhangen ist. Gott ist da. Er wird uns Licht und Befreiung schenken, so wie an diesen letzten Tagen der Passionszeit schon das Licht der Auferweckung Jesu in unser Leben scheint und in unseren Tagen aufleuchtet. Mit dieser Aussicht kommen wir hindurch.

Und der Friede unseres Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied: + 101 Du bist mein Zufluchtsort

Fürbitten
1.    Du lebst, Gott. Du bist das Licht unseres Lebens. Du wirst uns Licht und Befreiung schenken, so wie Du es zeichenhaft schon getan hast in der Auferweckung deines Sohnes. Lass uns mit dieser Gewissheit im Herzen durch unsere Tage gehen.
2.    Du Gott bist unser Zufluchtsort. Wir bitten dich für alle, die sich verlassen fühlen. Gib dich ihnen zu erkennen und tröste sie.
3.    Wir bitten dich für alle, die krank sind. Sei du ihnen nahe. Schenke ihnen Genesung und neue Kräfte.
4.    Du Gott bist unser Helfer. Wir bitten dich für alle, die Unrecht erfahren. Nimm dich ihrer Sache an. Gib ihnen Fürsprecher an die Seite, die Gerechtigkeit für sie einfordern.
5.    Für uns alle bitten wir. Nimm die Lasten von unseren Schultern, die wir nicht mehr tragen können. Stärke unsere Geduld in dieser Zeit und gib uns einen langen Atem.
6.    Für unsere Verstorbenen bitten wir, von denen wir Abschied genommen haben in dieser Woche: nimm sie auf in den Frieden deines Himmels. Schenke ihnen deine unendliche Geborgenheit und Liebe. Danke, Gott, dass du auch das Licht ihres Lebens bist und bleibst.
7.    Und alle unsere Bitten nehmen wir hinein in das Vaterunser, das Jesus Christus uns geschenkt hat:

Vaterunser
Segen
Der Herr segne dich und behüte dich
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden
Amen

Gottesdienst am 14.3.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Gottesdienst mit dem Thomas Messe Team: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“

Begrüßung
Votum

Eingangsmusik

Psalm 31 - Variation

Du stellst meine Füße auf weiten Raum
Du – manchmal frage ich mich, wer du überhaupt bist – Gott.
Du scheinst so ferne von mir zu sein
Und dann auch wieder ganz nahe bei mir
Es gibt Tage, da verstehe ich dich nicht, nehme nichts von dir wahr
Und doch ahne ich, dass du da bist. Mein Gegenüber.
Du bist da, mir ganz nah, auch wenn ich es nicht spüre.
Und jetzt stelle ich fest:
Meine Füße stellst du, Gott, auf weiten Raum
Meine Füße - wie lange tragen sie mich jetzt schon durchs Leben
Wieviel Wege bin ich schon gegangen?
Gute Wege, die mich näher zum Licht und zur Wärme brachten,
aber auch verkehrte Wege und ich stand nahe am Abgrund und schaute hinunter.
Doch du Gott warst da!
Mit mir am Abgrund!
Und du hast meine Hand gehalten
Sodass ich nicht abstürzen konnte
Du hast mich behütet und bewahrt
In guten wie in schlechten Zeiten
Und jetzt erkenne ich:
Auf weiten Raum stellst du Gott meine Füße
Weiter Raum, nicht mehr beengt sein
Freiheit und Weite spüren.
Grenzenlose Freiheit und doch umfangen von dir,
geborgen, in deinen starken Armen.
Und genau das wünschen ich mir
Deine Nähe und Liebe, jeden Tag neu
Deine Begleitung, damit ich nicht allein bin, wohin ich auch gehe
Und die Freiheit, den weiten Raum, den nur du schenken kannst
Ja, du Gott stellst meine Füße auf weiten Raum,
damit ich sicher wohne

Gebet

DU
große Weite und Licht des Lebens

DU löst mich aus meiner Enge
DU erhellst mein Dunkel
DU schaffst mir weiten Raum
DU bewegst mich zur Freiheit

Leib und Seele dürfen sich öffnen
immer wieder neu und lebendig
weit ausschreiten und das Mögliche entdecken

DICH fragen
DICH hören
DIR danken
Gott
DU
weites und großes Herz

Impulse: Unsere Erfahrungen des ‚weiten Raums‘    

Du stellst meine Füße auf weiten Raum:
In den letzten Wochen habe ich erlebt, wie bereichernd es ist, für andere etwas zu tun. Zwei gute Bekannte sind coronabedingt im Homeoffice. Da bleibt die Versorgung mit einer warmen Mahlzeit manchmal auf der Strecke. Als ich sie fragte, ob ich sie so einmal in der Woche zum Mittagessen einladen dürfte, waren sie hellauf begeistert. Mir haben schon die Überlegungen im Vorfeld viel Freude gemacht.  Überlegen was ich kochen will, Rezepte raussuchen, was schmeckt den anderen?  Die Vorbereitungen und das Kochen haben mir bisher unbekannte Erfahrungen und Erfolgserlebnisse geschenkt. Sozusagen meine Füße in einen weiten bisher ungenutzten Raum gestellt. Und bei einer gemeinsamen Mahlzeit macht das Essen doppelt Freude.
….

Lied: 638, 1+2    Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe …    

Am Meeresstrand – Kurze Phantasiereise
Nun begib dich in deiner Phantasie an einen wundervollen weißen Sandstrand — Du läufst am Wasser entlang, nimmst den Strand wahr, den Himmel, die Wolken und die Weite und beobachtest die Wellen des Meeres — Das leichte hin und her — Du kannst den feinen warmen Sand unter deinen Füßen spüren. — Die Sonne scheint angenehm warm und wärmt dich. Die sanften Wellen des ruhigen Meeres bewegen sich ganz leicht hin und her  — höre dem Rauschen des Meeres zu — genieße die warme Sonne auf deiner Haut  — genieße die wohltuende Umgebung des Meeres — lausche deinem eigenem Atem — ein und aus — ein und aus —  Stelle dir beim Einatmen die Tiefe des Meeres vor und beim Ausatmen die Weite des Horizonts--du spürst wie die Wärme der Sonne von den Armen — zum Brustbereich — in den Bauch — in dein Gesäß — in deine Beine — bis in deine Füße fließt — du spürst eine angenehme Schwere — die deinen ganzen Körper erfasst — Beobachte deinen Atem —  — ein und aus — spüre wie das Heben und Senken deines Brustkorbs dir gut tut — Du kannst deinen Atem im ganzen Körper spüren — heben und senken — angenehme Schwere, angenehme Wärme — ein und aus — lausche wieder dem Rauschen des Meeres und fühle wie eine erfrischende Brise deine Stirn berührt — sie kühlt deine Stirn — du bist völlig klar, erfrischt und entspannt — angenehme Schwere und Wärme erfüllt dich  — atme die saubere Seeluft ein — nimm die Meeresatmosphäre in dich auf — spüre wie die Sonne deinen Körper wärmt — du fühlst dich vollkommen aufgenommen und geborgen.
Das Gefühl der Geborgenheit wird dich nun auf deiner Heimreise begleiten — fühle die Wärme der Sonne, die dich erfüllt — Fühle dieses Gefühl der Freude — Fühle die angenehme Schwere deiner Glieder — die Entspannung und die wohlige Wärme — nun kehre in Gedanken zurück aus deinem Bild — verabschiede dich —

Ansprache

Du stellst unsere Füße auf weiten Raum .. Ps 31,9

Dieser Vers hat uns in den letzten Wochen begleitet, wenn wir über unsere Erfahrungen mit dem Lockdown gesprochen haben. Wir konnten uns nur online treffen – und waren froh darüber, dass das wenigstens ging. Es war sogar schon ein Stück Freiraum geworden, weil sich alle daran beteiligen konnten. Handlungsspielraum – ein schönes Wort finde ich.

Es gibt unser Leben nicht ohne die Furcht um sich selbst. Ganz besonders in diesen Zeiten. Und Angst hat mit Enge zu tun. Die Blutgefäße verengen sich. Die Muskelspannung nimmt zu. Alles verkrampft sich. Angst kann Menschen die Lebensimpulse nehmen, die Lebendigkeit. Sie kann blind machen und die Handlungsspielräume ganz klein werden lassen. „Angst essen Seele auf“, heißt ein bekannter Film.

Aber:  Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit…. Durch Christus Jesus, der dem Tode die Macht genommen hat und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium. 2. Tim 1, 7+10
Wenn der Timotheusbrief gegen die Angst anschreibt, dann geht es darum, ihr die Grenzen zu zeigen.  Sie nicht überhand nehmen zu lassen. Denn das ist die Gefahr bei der Angst: Dass sie wie ein Gefängnis wird, in das wir uns nur noch einschließen.

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“, heißt es dort weiter. Dieser „Mutmach-Geist“ ist schlicht und einfach da.
Und er gibt mir Kraft: Im Griechischen steht da dynamis, das hat mit Bewegung und Dynamik zu tun. Wo alles erstarrt und gebannt ist vor Angst, da kommt Bewegung und Schwung rein. Da sind wieder Schritte möglich, da tun sich neue Wege auf.
Er gibt mir Liebe: Da klingt Gemeinschaft, Verbundenheit, Beziehung an. Ich muss mich nicht zurückziehen, ich soll mich nicht heraus nehmen, sondern ich kann auf andere zugehen, meine Ängste mitteilen, trösten und getröstet werden.
Er gibt mir Besonnenheit: Ich habe die Fähigkeit, angemessen zu beurteilen, klar zu denken und abzuwägen. Ich kann Regeln beachten und Handlungsspielraum verantwortlich nutzen.
Kraft und Liebe und Besonnenheit, all das wird mir zugetraut, ich bin kompetent im Umgang mit der Angst!
Glauben bedeutet also nicht, keine Angst mehr haben, das wäre naiv. Der Glaube kann die Angst verändern. Der Glaube arbeitet an der Angst. Der Glaube schiebt der Angst einen Riegel vor: bis hierher und keinen Schritt weiter!

Die jüdische Schriftstellerin Rose Ausländer, die in der Nazizeit Angst und Schrecken erlebt hat, beginnt ein Gedicht mit den Worten: „Wirf deine Angst in die Luft“. Da trotzt eine der Furcht mit spielerischer Leichtigkeit. „Wirf deine Angst in die Luft“ – als könnte man damit spielen, als wäre das Fenster weit geöffnet. So wie Timotheus beim „Geist der Furcht“: Ihr seid darin doch gar nicht gefangen, ihr seid euren Ängsten doch gar nicht ausgeliefert! Ihr seid frei, ihr habt Gottes Geist und Kraft. – Das lässt mich wieder freier atmen, das macht, dass ich einen ersten Schritt heraustreten kann. Es geht weiter! Wirf deine Angst in die Luft! Es gibt keinen Grund zu verzagen! Fürchte dich nicht! Gott stellt unsere Füße auf weiten Raum.

Lied: 395. 1+3    Vertraut den neuen Wegen

Fürbitte
In unser Gebet nehmen wir die Gemeindemitglieder auf, von denen wir uns in der vergangenen Woche verabschieden mussten.
Wir bitten für Alleinstehende, denen die persönlichen Kontakte so sehr fehlen. Die Einsamkeit höhlt sie von innen aus. Bitte schenke ihnen kleine Hoffnungszeichen der Zuwendung, damit sie spüren, dass sie nicht alleine sind.

Wir bitten für die Menschen in den Alten- und Pflegeheimen. Wenn sie nun geimpft sind, mögen sie wieder ein Stück Normalität zurückgewinnen, gemeinsam essen, Besucher empfangen können. Gib uns allen einen Sinn dafür, bei aller weiterhin notwendigen Vorsicht vor dem Corona-Virus die Menschlichkeit nicht zu vergessen und an die Nächstenliebe zum Maßstab unseres Handelns zu machen.

Wir bitten dich aber auch für die Familien, du weißt, wo die Wohnungen eng werden und die Kraft und die Geduld fehlen. Wir bitten dich um Liebe in den Familien, gerade in Zeiten von Homeschooling, Homeoffice und Kurzarbeit. Du weißt um all die finanziellen Engpässe, die Nöte und Sorgen. Schenke uns da immer wieder auch den wachen Blick, wo wir helfen und einander beistehen können. Stelle du selbst unsere Füße auf weiten Raum und schenke und neue, belebende Gedanken

Wir bitten für uns - dass wir die Gelassenheit finden, noch einige Zeit mit notwendigen Einschränkungen unseres Lebens zurechtzukommen, aber auch, dass wir Spielräume erkennen, wo sie vorhanden sind und diese nutzen.

Wir haben mit Anteilnahme den Besuch des Papstes im Irak verfolgt. Es war ein starkes Zeichen für die Verständigung zwischen den Religionen. Gib den Menschen die Kraft, dieses Zeichen weiterzutragen und es mit Leben zu füllen, und hilf den verbliebenen Christen im Irak, gemeinsam mit den dort lebenden Muslimen eine Perspektive für ihr Leben und ihren Glauben zu finden.

Vater Unser
Lied: 432, 1+3        Gott gab uns Atem
 

Abkündigungen
Am Samstag, dem 20.3. laden wir Sie zur Passionsandacht in der Wilhelmskirche und als Livestream auf Youtube ein.
Die nächste Thomas Messe feiern wir am 27.6.2021

Die Kollekte des heutigen Sonntags erbitten wir für unsere allgemeine Gemeindearbeit.

Unter Gemeindearbeit sind alle Aktivitäten zusammengefasst, die nicht mit der Kirchenmusik, der Jugendarbeit oder unseren diakonischen Aufgaben zusammenhängen.
Darunter fällt der Betrieb unseres Gemeindebusses, aber auch die Stelle im Freiwilligen Sozialen Jahr. Dieses konnten wir nun schon seit einiger Zeit leider nicht mehr besetzen, weil wir es uns einfach nicht leisten können.
Auch die Öffentlichkeitsarbeit mit dem Gemeindebrief, Kirchenführern und Monatsplänen erfordert Geld für das Drucken – erstellt wird das alles kostenlos von engagierten Ehrenamtlichen.
Wir möchten auch weiterhin gerne Freizeiten anbieten, die nicht immer durch Teilnehmerbeiträge finanziert werden können. Und wir möchten nicht zuletzt auch bei Taufen und Trauungen zum Beispiel Bibeln verschenken.
In unserem Gemeindegarten und bei den Malworkshops wird Material benötigt, und bei Gemeindeversammlungen und den Begrüßungstreffen von Zugezogenen brauchen wir auch mal etwas Kaffee und Kuchen.
Gelegentlich muss auch mal etwas repariert werden, und für alles das reicht die Kirchensteuer leider nicht aus. Insgesamt fehlen uns jedes Jahr etwa 9.000 Euro in diesem Bereich.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie heute kräftig dazu beitragen könnten, unsere Gemeindearbeit zu unterstützen.
Sie können die Kollekte gerne als Barspende im Gemeindebüro abgeben oder auch überweisen. Die Kontodaten finden Sie auf unserer Homepage.
Mitgebsel: Füße

Segen                                
Musik  
    

Passionsandacht am 13.03.21 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Diese Passionsandacht ist auch als Video verfügbar.

Musik
Wir feiern diese Passionsandacht im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Gebet
Allmächtiger und barmherziger Vater, Dein Sohn Jesus Christus hat als wahrer Mensch gelebt und den Tod am Kreuz erlitten. Seine Liebe und Hingabe haben uns Heil gebracht. Tröste und bewahre uns in aller Not durch ihn, Christus, unseren Herrn. Amen.

Lesung aus 1. Korinther 1, 18-25
18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft. 19 Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.« 20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die da glauben. 22 Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, 23 wir aber predigen Christus, den Gekreuzigten, den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit; 24 denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. 25 Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

Lied „Auf das Kreuz will ich vertrauen“
Das Lied können Sie auf der Seite des Gottesdienstinstituts nachhören.

Ansprache
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Das Kreuz. Es ist das Symbol der Passionszeit. Ja, es ist das Symbol der Christen überhaupt. Aber es ist kein eindeutiges Symbol. Es gehört in jede Kirche. Es hängt bei vielen Menschen zu Hause. Es ist Modeschmuck der Lebenden und auf den Gräbern der Toten. Deshalb verknüpfen viele Menschen das Kreuz mit dem Tod. Am Ende des Lebens steht das Kreuz. Und das ist ja auch richtig: Das Kreuz erinnert an die dunkelsten Stunden im Leben Jesu und im Leben derer, die ihre Hoffnung auf ihn gesetzt hatten. Im Kreuz verdichtet sich Erfahrung von menschlicher Grausamkeit und Schuldverstrickung, von Leid und Tod.
Und gerade das ist eines der prägendsten Symbole der Christenheit! Ist das nicht seltsam? Geradezu dumm? Oder um es mit Paulus zu sagen: Eine Torheit?

Ganz anders dichtet und singt es John Bowring. In seinem Lied „In the cross of Christ I glory!“ ist das Kreuz ein Zeichen des Lebens. Des Triumphes. Lassen wir wir die Worte der ersten beiden Strophen noch einmal in der deutschen Übersetzung von Christina Falkenroths auf uns wirken:
1. Auf das Kreuz will ich vertrauen, / es strahlt hell durch alle Zeit. /
Jesus Christus will ich schauen, / sein Licht bleibt in Ewigkeit.
2. Wenn mich Leid und Kummer plagen, / Angst mir fast den Atem raubt, /
immer wird das Kreuz mich tragen. / Frieden findet, wer ihm glaubt.

Ein Lied der Freude mitten in der Passionszeit. Es wartet nicht auf Ostern und die Botschaft von der Auferstehung, sondern bringt das Kreuz selbst zum Leuchten. Ausgerechnet das, was uns an das Schmerzlichste erinnert: An die dunklen Schatten, die Leid und Tod auf das Leben werfen; ausgerechnet dieses Kreuz wird in diesem Lied besungen als Quelle des Lichts und des Vertrauens in das, was uns wirklich trägt. Wie ist das möglich? Was lässt mich die strahlende Seite des Kreuzes sehen, ausgerechnet dann, wenn ich von Leid und Tod umgeben bin? Wie kann ich dieses Lied auch innerlich mitsingen? Drei wichtige Glaubenserfahrungen werden in diesem Lied lebendig:

(1) In einer schweren Situation tut es gut, nicht allein zu sein. Es tut gut, wenn jemand mit ganzer Empathie und Solidarität an meiner Seite ist. Nicht als jemand, der „über den Dingen“ steht. Sondern jemand, der mitfühlt, mitleidet, mitweint. Für mich ist das Kreuz ein Symbol dafür, dass Gott genau das tut. Dass Gott einfach da ist. Dass er in Jesus Christus selbst durch alles Menschliche gegangen ist. Das Kreuz ist das Zeichen, dass Gott mit mir durch all das hindurchgeht, was ich als „Kreuz“ erfahre.

(2) Manchmal werden wir ausgerechnet in Situationen, die wir als zerbrochen und dunkel erleben, besonders durchlässig für das Licht und die Kraft Gottes. Oft wird das erst im Nachhinein sichtbar. Der kanadische Schriftsteller und Musiker Leonard Cohen hat das so auf den Punkt gebracht: „There is a crack in everything, that's how the light gets in“. Man könnte das ungefähr so übersetzen: „In allem ist ein Riss – auf diese Weise kommt das Licht herein“. Das Kreuz steht für mich genau für diesen Riss: Die Erfahrung von Schuld, von Zerbrochensein, von Endlichkeit – und durch diesen Riss dringt das Licht der Liebe Gottes. Es heilt und vergibt und überwindet alle Macht des Todes. Ein für allemal. Das Kreuz strahlt hell, weil Gott durch das Kreuz hindurch sein Heilswerk vollendet. Ohne Kreuz keine Auferstehung und ohne Auferstehung keine Hoffnung.

(3) Christus lebt. Sein Tod am Kreuz war nicht das letzte Wort. Mit dem Licht des Ostermorgens ist er ist mitten unter uns. Es ist die Erfahrung, dass er uns täglich begegnet. Zum Beispiel in Menschen, die uns manchmal fremd oder gleichgültig sind, die er aber seine Geschwister nennt. Es ist die Erfahrung, dass er mich immer wieder sucht, auch wenn ich mich von ihm entfernt habe. Christus lebt, und ich in ihm. Dafür steht das Kreuz. Und deshalb kann ich auf das Kreuz vertrauen.

Wir können in der Passionszeit singen vom Kreuz, das strahlt und uns trägt. Vielleicht bleibt dabei etwas Irritierendes, gerade in der heutigen Zeit. Vielleicht war es das, was Paulus meinte, als er an die Korinther schrieb: „Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es Gottes Kraft“ (1.Korinther 1,18). So ist auch unser Leben: Nicht geradlinig. Leid und Freude sind beieinander. Scheitern und Erfolg sind immer möglich. Das Leben ist nicht nur Passion oder Ostern. In der Passionszeit bedenken wir Jesu Weg nach Golgatha. Und doch sind wir schon über Golgatha hinaus. Jesus lebt. Und davon geben auch die Lieder dieser Passionsandacht Zeugnis. Wir singen gleich „Herr, stärke mich, Dein Leiden zu bedenken.“ Und wir haben vor dieser Predigt gehört:

1. Auf das Kreuz will ich vertrauen, / es strahlt hell durch alle Zeit. /
Jesus Christus will ich schauen, / sein Licht bleibt in Ewigkeit.

Lied EG 91, 1-2 und 9

Fürbitten und Vaterunser
Gott, unser Schöpfer,
Du hast dich als Mensch unter Menschen begeben, um uns gleich zu sein und uns nahe zu kommen. Du willst uns auch durch schwere Zeiten hindurch begleiten. Dafür danken wir dir.
Wir bitten dich:vHilf uns, dir zu vertrauen. Oft fühlen wir uns fern von dir, wir zweifeln an dir. Oft wollen wir erst dann glauben, wenn wir verstehen. Doch du bist größer als unsere Vernunft. Hilf uns, dich mit Kopf und Herz zu erkennen und uns im Leben auf dich zu verlassen.

Sei bei denen, die leiden:
Bei Menschen, denen durch andere Gewalt angetan wird.
Bei Menschen, die unter der Verachtung leiden, die ihnen andere entgegenbringen.
Bei Menschen, deren Vertrauen enttäuscht worden ist, und die nun nicht mehr wagen, sich anderen zu öffnen.
Bei Menschen, die krank sind und von anderen allein gelassen werden.

Vergib denen, die schuldig werden an anderen. Schenke ihnen Kraft, wieder auf andere Menschen zuzugehen und neue, tragende Bindungen aufzubauen. Gott der Liebe, wir bitten dich: hilf uns, dir zu leben und dir zu singen. Schenke uns die Fähigkeit zu staunen über das Leben, das du uns gegeben hast.

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und gebe Dir Frieden.
Amen

Musik

Die Passionsandacht basiert auf Texten und Ideen des Gottesdienstinstituts.

 

Gottesdienst am 07.03.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Klavierstück

Begrüßung
Herzlich Willkommen am Sonntag Oculi hier in der Wilhelmskirche. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen. Oder einen guten Tag. Je nachdem, wann Sie diesen Gottesdienst anschauen. „Meine Augen sehen stets auf den Herrn.“ ist der heutige Leitvers. Dieser Sonntag hat seinen Namen „Oculi“ von der lateinischen Übersetzung des Leitverses: „Oclui nostri ad dominum deum.“ Vielleicht kennen Sie diesen Vers aus einem Taizélied, das wir heute auch singen werden. Thematischer Schwerpunkt des Gottesdienstes göttliche Licht. Es freut uns, dass Sie sich von zu Hause aus zugeschaltet haben und wir diesen Gottesdienst gemeinsam feiern.
Heute gibt es wieder zwei Lieder zum Mitsingen. Damit Sie diese in Ihrem Gesangbuch besser finden können, sagen wir sie jetzt schon einmal an. Wenn Sie kein Gesangbuch zu Hause haben, können Sie sie auch über eine Suchmaschine finden. Das Lied vor der Predigt ist die Nummer 96. Das Passionslied „Du schöner Lebensbaum des Paradieses“ ist das Wochenlied. Die Nummer 96 im Gesangbuch. Das Lied nach der Predigt ist die Nummer 789.5 „Oculi nostri“. Als Taizélied hat es nur wenig Text, der meditativ mehrfach wiederholt wird. „Oculi nostri“ im Gesangbuch unter der Nummer 789.5
Und so feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Psalm und Gebet
Wir beten mit Worten aus Psalm 25: Mein Gott, ich hoffe auf dich; lass mich nicht zuschanden werden, dass meine Feinde nicht frohlocken über mich. 3 Denn keiner wird zuschanden, der auf dich harret. HERR, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige! 5 Leite mich in deiner Wahrheit und lehre mich! Denn du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich auf dich. 15 Meine Augen sehen stets auf den HERRN; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen. 16 Wende dich zu mir und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und elend. 17 Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten! 18 Sieh an meinen Jammer und mein Elend und vergib mir alle meine Sünden! 20 Bewahre meine Seele und errette mich; lass mich nicht zuschanden werden, denn ich traue auf dich!

Gott, Du Quelle des Lichts, manchmal tust Du uns die Augen auf, lässt uns hindurchsehen durch alles Ungeklärte, so dass wir zu glauben wagen, aller Unsicherheit zum Trotz. Lass uns das Licht wahrnehmen, das uns leuchtet in Christus und alle Nacht vertreibt. Christus ist unser Licht in Ewigkeit. Amen.

Lesung Eph 5,1-2; 8-9
Die Lesung für den heutigen Sonntag ist zugleich der Predigttext: 1 So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder 2 und wandelt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch. 8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; 9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. Amen.

Lied: EG 96, 1-3

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Liebe Gemeinde,
wann haben Sie das letzte Mal einen Sonnenaufgang beobachtet? Zurzeit stehen die Chancen ja recht gut. Aus dem Fenster meines Arbeitszimmers sehe ich manchmal wunderschöne Sonnenaufgänge. Es fasziniert mich, wenn sich das warme Rot über den Dächern ausbreitet. Das Licht bahnt sich einen Weg in den Tag. Nach wenigen Minuten taucht die Sonne auf und ihre unbändige Kraft wird spürbar. Das Rot wird heller, ich genieße die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf meinem Gesicht. Das Licht flutet alles. Unaufhaltsam, angenehm, faszinierend. Es ist der Zauber des neu erwachenden Tages. Vielleicht erinnern Sie sich an besondere Sonnenaufgänge. In der Osternacht. Am Meer. In den Bergen. Auf der Autobahn oder im Zug auf dem Weg zur Arbeit. Zu Hause beim Frühstück.

Um das Licht geht es im zweiten Teil des heutigen Predigttextes. Der erste Teil beschäftigt sich mit der Nachahmung. Darüber habe ich im Gottesdienst zum neuen Jahr gesprochen, als es um die Jahreslosung ging. Vielleicht erinnern Sie sich. Und wenn nicht, können Sie den Gottesdienst noch in unserem Youtubekanal nachhören. Ein positiver Aspekt der Onlinegottesdienste. So können wir uns ganz dem Lichtmotiv in den Versen acht und neun widmen. Ich lese noch einmal die beiden Verse aus dem Epheserbrief im fünften Kapitel: 8 Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; 9 die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.
Was für eine grandiose Zusage: Ihr seid Licht in dem Herrn. Die neue Genfer Bibel übersetzt: „Jetzt gehört ihr zum Licht, weil ihr mit dem Herrn verbunden seid.“ Du gehörst zum Licht. Weil Du zu Gott gehörst, weil Du zu Jesus gehörst. Vorher waren wir in der Finsternis, aber nun sind wir Licht in Gott. Christ zu sein, bedeutet also auch Transformation. Gott verändert uns durch seine liebevolle Kraft. So wie die Sonne des anbrechenden Tages die Finsternis durchdringt, langsam und sanft, kraftvoll und unaufhaltsam, lebendig. So durchdringt Gottes Kraft unser Leben. Als Nachfolger Christi ist Licht sein also unser Normalzustand.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich auf mein Leben sehe, dann bin ich nicht immer Licht. Bei mir gibt es einige Schattenseiten, über die ich mich total ärgere. Oder noch schlimmer: Ich habe Schattenseiten, über die sich andere immer wieder aufs Neue ärgern. Und nicht selten zu Recht. Wie passt das zu meinem Normalzustand? Wie passt das zu der Aussage, dass ich Licht BIN in Gott?

Dazu zwei Gedanken. Erstens: Licht kann wärmend ins Zimmer scheinen. Es kann Sicherheit geben. Menschen fühlen sich am Tag oft sicherer, als in der Nacht. Aber Licht kann auch unangenehm sein. Blenden. Dreckige Ecken in den Fokus rücken. Will ich überhaupt alle Ecken meines Lebens von Gottes Licht ausgeleuchtet haben? Vielleicht gibt es ja dunkle Ecken, in denen ich mich häuslich eingerichtet habe. Das zuzugeben, kann schmerzhaft sein. Und doch ahne ich tief in meinem Innern, dass auch in diesen Ecken Licht gut tun würde. Wenn es nur am Anfang nicht so schonungslos wäre. Auf der anderen Seite bin ich mir sicher: Gott verurteilt mich nicht deswegen. Er drängt mich nicht. Er schenkt sein Licht freigiebig. Er macht das Angebot, mit uns zusammen Licht in dunkle Ecken unseres Lebens zu bringen.

Zweitens: Licht sein ist eine individuelle Entwicklung. Bei uns in Mitteleuropa braucht der Sonnenaufgang etwas Zeit. Das macht auch seinen Zauber aus. Und so breitet sich das Licht auch in unserem Leben nach und nach aus. Wie eben angedeutet, hängt das auch damit zusammen, wie sehr wir es einlassen. Licht zu sein, ist also eine persönliche, individuelle Entwicklung. Das Licht kommt zu uns und wir können ihm Raum geben. Und das passt zur Fastenzeit. Ich finde sie eine großartige Gelegenheit, Gott in unserem Leben zu entdecken. In der Fastenzeit können wir seinem Licht in uns Raum geben. In der Fastenzeit können wir innehalten und uns fragen: Was ist mir wichtig? Woran hängt mein Herz? Wir können uns auf Gott fokussieren. Durch Gebet, durch Meditation. Durch intensive Beschäftigung mit einem Bibeltext. Durch Verzicht. Durch Schweigen. So öffnen wir uns für das Licht Gottes. Aber nicht als Spitzenleistung. Wir müssen Gott nicht beweisen, dass wir toll sind. Er weiß, dass wir Schattenseiten haben und dass wir mit seinem Licht auch ab und zu herausgefordert sind. Gerade deshalb gilt uns seine Zusage: Ihr SEID Licht in Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alles menschliche Begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Informationen zum interaktiven Gebet

Dem Licht Gottes in unserem Leben Raum geben durch Mediation, Musik und Gebet. Das möchte ich jetzt mit Ihnen praktisch ausprobieren. Wenn Sie diesen Gottesdienst auf der Internetseite der Gemeinde in Textform feiern, dann können sie ebenfalls Gebetsanliegen formulieren. Unter menti.com/eygmy24yrw finden Sie eine Seite mit einem Fenster, in das Sie Ihr Gebetsanliegen anonym eintragen können. Ihre Anliegen nehmen wir am Donnerstag mit in die Dankeskirche. Dort kommen sie an eine Gebetswand, wir werden dafür beten und eine Kerze anzünden. Die bis Mittwochabend verschickten Anliegen gehen also nicht verloren. Sollte etwas technisch nicht klappten, schicken Sie uns gerne Anliegen per Mail oder werfen Sie sie in den Briefkasten am Gemeindebüro.

Lied: EG 789.5

Fürbitten und Vaterunser
Herr, großer Gott, wir danken Dir für das Licht, mit dem Du unser Leben durchströmst. Lass uns entdecken, wie Du in unserem Leben wirkst und lass uns Kinder des Lichts sein in dieser Welt.
Barmherziger Gott, wir mussten auch in dieser Woche Abschied nehmen von lieben Menschen. Du kennst ihre Namen. Nimm sie gnädig auf in Dein Reich. Richte ihre Familien und Freunde in ihrer Trauer auf, lass sie Trost finden und stelle ihnen Menschen an die Seite, sie bei ihnen sind in dieser schweren Zeit.

Wir beten weiter mit den Worten des Vaterunsers.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Abkündigungen
Wegen der Coronasituation in der Wetterau verzichten wir bis auf weiteres auf Präsenzveranstaltungen. Sie finden ein vielseitiges, digitales Angebot mit Andachten und dem Programm der Kinderkirche auf unserer Internetseite www.evangelisch-in-bad-nauheim.de. Am Samstag, dem 13.3. laden wir Sie zur Passionsandacht ebenfalls als Livestream auf Youtube ein.

Die Kollekte ist - wie in allen Gottesdiensten in der EKHN am heutigen Sonntag – jeweils zur Hälfte bestimmt für die Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ und für die Initiative Polen-Deutschland-Zeichen der Hoffnung. Die Aktion "Hoffnung für Osteuropa" hilft und bringt Menschen zusammen. So wird Jugendlichen aus der Region um Tschernobyl jährlich ein Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Der Verein "Kinderhilfe Gomel e.V." setzt sich sowohl für die Aufenthalte hierzulande ein als auch für die Unterstützung der Familien vor Ort. Die heutige Kollekte trägt hierzu bei. „Zeichen der Hoffnung“ bittet um eine Kollekte für das Projekt „ZEITZEUGENGESPRÄCHE ALS BEITRAG ZUR VERSÖHNUNG“. Überlebende polnische KZ-Opfer berichten in Schulen und Jugendeinrichtungen. Wegen der großen Nachfrage in unserem Kirchengebiet möchte „Zeichen der Hoffnung“ mit den letzten überlebenden Zeitzeugen solche Gesprächserfahrungen insbesondere für junge Menschen ermöglichen.

Wir würden unssehr freuen, wenn Sie heute kräftig dazu beitragen könnten, diese beiden Projekte zu unterstützen. Sie können Ihre Spende in bar gerne im Gemeindebüro abgeben. Auf unserer Homepage finden Sie im Abschnitt Spenden auch einen Link, über den Sie den heutigen Kollektenzweck auf sichere Weise direkt bargeldlos unterstützen können. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung.

Segen
Gehen Sie unter dem Segen Gottes in die neue Woche:
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

Klavierstück

 

 

 

 

Gottesdienst am 28.02.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum
Herzlich willkommen, schön, dass Sie sich auch an diesem Sonntag wieder zugeschaltet haben, so dass wir gemeinsam Gottesdienst feiern können. Heute ist der 2. Sonntag in der Passionszeit. Reminiscere – so heißt dieser Sonntag. Da ist viel um uns herum, was uns traurig macht. Die Corona-Pandemie führt uns täglich an unsere Grenzen. Mal fühlen wir uns mehr, mal weniger belastet. An manchen Tagen sind wir angespannt und empfindlich und es rutscht uns ein schroffes Wort heraus, das uns anschließend leidtut. Alle hoffen wir darauf, dass mit dem Frühling und den Impfungen bald alles besser wird. Dass wir herauskommen aus der Einsamkeit und wieder einen normalen Alltag führen können. Inmitten dieser Erfahrungen von Leid und Schuld erinnert uns dieser Sonntag an die Liebe unseres Gottes, der uns nicht verloren gibt, der uns mit seiner Liebe stärken möchte.

Und so feiern wir unseren Gottesdienst im Namen Gottes, der Quelle des Lebens, menschgewordener Liebe und Grund unserer Hoffnung. Amen.

Wir werden in diesem Gottesdienst aus dem Gesangbuch die Lieder EG Nr 382 „Ich steh vor dir mit leeren Händen“  und  EG 98 „Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt“ singen. Sie können gern jetzt schon Ihr Bändchens ins Gesangbuch legen.

Gebet

Gott, du bist unser Vater und unsere Mutter,
du siehst, wie wir immer wieder Fehler machen und trotz allen Bemühungen scheitern.
Und dennoch wirst du nicht ungeduldig oder zornig mit uns,
sondern überwindest unser Versagen mit deiner Liebe.
Wir danken dir für deine Geduld,
die du uns entgegenbringst,
und für deine Langmut,
die wir oft kaum begreifen können.
Wir bitten dich:
Gib uns mehr Geduld mit uns selbst
und mehr Geduld mit anderen.
Lass uns anderen vergeben,
wie du uns vergeben hast.
Amen.

Schriftlesung Röm 5,1-6
51Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir
Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus. 2Durch ihn haben wir auch
den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der
Hoffnung auf die Herrlichkeit, die Gott geben wird. 3Nicht allein aber das, sondern
wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, 4Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, 5Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.

Glaubensbekenntnis

Lied: EG 382

Predigt

Liebe Gemeinde,
ein „Herzberuhigungsgebet“ kennen Sie so etwas? Gebete, die sich in unserem Gedächtnis fest eingegraben haben und die uns dann, wenn wir es gar nicht vermuten, in den Sinn kommen. Gebete, von denen wir in guten Zeiten gar nicht mehr wissen, dass wir sie überhaupt auswendig können. Aber dann, wenn es drauf ankommt, dann sind sie plötzlich ganz präsent. Woher wir diese Gebete kennen? Vielleicht haben unsere Eltern oder Großeltern sie in unserer Kindheit mit uns regelmäßig gebetet. Vielleicht hing ein solcher Vers als Schmuckblatt über der Eckbank in der Küche. Vielleicht haben wir dieses Lied in der Schule im Religionsunterricht gesungen oder im Konfirmandenunterricht Auswendiglernen müssen.

Solche oft uralten Texte sind ganz nah an unseren Gefühlen, an unserer Angst und auch an unserer Freude. Und sie haben oft eine tröstende und beruhigende Wirkung. „Herzberuhigungsgebete“ eben!

Ein solches „Herzberuhigungsgebet“ ist der 43. Psalm. Und es ist ein ziemlich langes, denn eigentlich gehört der 42. Psalm noch dazu. Da gibt es diese Sätze, die beide Psalmen verbinden:
Was betrübst du dich meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Wie ein Mantra, das Herz und Seele beruhigt. Und dazwischen Klage und Hoffnung. Da geht es hin und her. So ist das eben: Manchmal wohnen zwei Seelen in einer Brust. Oder auch mehr.

Wir werden dieses „Herzberuhigungsgebet“ als Ganzes beten. Und die verschiedenen Seelen bekommen verschiedene Stimmen:

Sprecher*in 1
Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir.
Meine Seele dürstet nach Gott,
nach dem lebendigen Gott.
Wann werde ich dahin kommen,
dass ich Gottes Angesicht schaue?
Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht,
weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?

Sprecher*in 2
Daran will ich denken
Und ausschütten mein Herz bei mir selbst:
Wie ich einherzog in großer Schar,
mit ihnen zu wallen zum Hause Gottes
mit Frohlocken und Danken
in der Schar derer, die da feiern.

Sprecher*in 3
Was betrübt du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Sprecher*in 2
Mein Gott, betrübt ist meine Seele in mir,
darum gedenke ich an dich
aus dem Land am Jordan und Hermon, vom Berg Misar.

Sprecher*in 1
Deine Fluten rauschen daher,
und eine Tiefe ruft die andere;
alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über ich.

Sprecher*in 2
Am Tage sendet der Herr seine Güte,
und des Nachts singe ich hm und bete zu dem Gott meines Lebens.

Sprecher*in 1
Ich sage zu Gott, meinem Fels:
Warum hast du mich vergessen?
Warum muss ich so traurig gehen,
wenn mein Feind mich dränget?
Es ist wie Mord in meinen Gebeinen,
wenn mich meine Feinde schmähen
und täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?

Sprecher*in 3
Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Sprecher*in 2
Gott, schaffe mir Recht
Und führe meine Sache wider das unheilige Volk
Und errette mich von den falschen und bösen Leuten!
Denn du bist der Gott meiner Stärke.

Sprecher*in 1
Warum hast du mich verstoßen?
Warum muss ich so traurig gehen,
wenn mein Feind mich drängt?

Sprecher*in 2
Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten
Und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung,
dass ich hineingehe zum Altar Gottes,
zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist,
und dir Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.

Sprecher*in 3
Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Selbstgespräche mit der Seele. Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Seele gesprochen? So ein Gespräch unter Freunden? Von Frau zu Frau, von Mann zu Mann sozusagen? Ich mache das manchmal. Eher heimlich, damit es damit es niemand hört. Damit mich niemand für verrückt hält. Aber das ist ganz und gar nicht verrückt. Wenn das Herz einen Tick zu schnell pocht, wenn die Kehle eng ist, wenn die Beine unruhig werden und die Hände fahrig. Wenn man gleichzeitig unter Strom steht und doch ohne Antrieb ist. Dann ist es gut, sich selbst mal von außen zu betrachten und zu sich zu sprechen: Hey, Seele, was ist mit dir? Warum bist du so traurig? Wo ist deine Lebenskraft? Wo ist dein Mut.

Der Beter des Psalms macht das. Und das sind keine billigen Muntermachersprüche wie: Was stellst du dich so an, ist doch alles halb so wild. Doch, es ist wild! Wie ernst der Beter die Sache nimmt! Wie liebevoll er mit sich selbst spricht! Wann haben Sie das letzte Mal liebevoll mit sich selbst gesprochen?

Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Ein „Herzberuhigungsgebt“ und ein „Herzentlastungsgebet“.  Nicht nur mit seiner Seele spricht der Beter, auch mit Gott. Wild, klagend, schreiend.

Warum hast du mich verstoßen?

Und gleich zweimal:
Warum muss ich so traurig gehen?

Wann haben Sie das letzte Mal so wild mit Gott gesprochen? Oder sogar geschrien?

Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Warum hast du mich vergessen?

Ähnlich hat Jesus am Kreuz geschrien: Mein Gott, mein Gott! Warum hast du mich verlassen?
Das ist der Unterschied zwischen Jammern und Klagen. Wenn du deinen Schmerz nicht für dich behältst. Wenn du ihn ablädst, rausklagst, rausschreist dahin, wo er hingehört: zu Gott.

Warum hast du mich vergessen? Warum muss ich so traurig gehen?

Wild und zornig. Wann habe ich das letzte Mal so zornig mit Gott gesprochen? Es ist jetzt schon so eine lange Zeit, die die Corona-Pandemie unseren Alltag bestimmt, dass ich merke, dass mir oft die Kraft fehlt, mich darüber wild und zornig zu werden. Dass ich mich daran gewöhnt habe jeden Tag die Zahl der Verstorbenen einfach so hinzunehmen. Und die Frage nach dem Warum bringt mich auch nicht weiter.

Wild und zornig – das war ich aber an dem Tag des schrecklichen Anschlags in Hanau, der nun auch schon wieder ein Jahr zurückliegt. Zornig darüber, dass Hass und rechtes Gedankengut in unserem Land wieder solch furchtbare Taten auslösen. Zornig darüber, dass wir Menschen scheinbar nicht fähig oder willig sind aus unserer Geschichte zu lernen. Zornig, dass uralte Vorurteile und Lügen sich ganz schnell wieder anheizen lassen und aus einem kleinen Rinnsal schnell wieder ein reißender Bach wird. Und wieder gibt es eine große Mehrheit, die schweigt. Warum Gott, passiert so etwas immer wieder?

Es ist wie Mord in meinen Gebeinen, wenn mich meine Feinde schmähen und täglich zu mir sagen: Wo ist nun dein Gott?

Ja, wo bist du, Gott? Ein „Herzberuhigungsgebet“: Ein „Herzentlastungsgebet“. Wenn du verzweifelst über all das, was die Corona-Pandemie mit uns macht: Die Einsamkeit, die vielen Menschen zu schaffen macht. Den älteren Menschen, die keinen oder nur wenig Besuch bekommen, aber auch den vielen Kindern und Jugendlichen, die nicht in die Schule gehen, die ihre Hobbies nicht ausüben können, die keine anderen zum Spielen oder einfach zu Chillen haben. Die besonderen Herausforderungen mit denen die Familien jeden Tag neu kämpfen müssen. Die existentiellen Sorgen vor die viele gestellt sind.

Ein „Herzentlastungsgebet“ - Wenn du verzweifelst an über all die Anfeindungen von außen und von innen. Dann sprich mit deiner Seele. Liebevoll und fürsorglich. Dann sprich mit Gott, wild und zornig. Und erinnere dich! Der Psalmbeter macht es vor:

Darum will ich denken und ausschütten mein Herz bei mir selbst:
Wenn ich einherzog in großer Schar,
mit ihnen zu wallen zum Hause Gottes
mit Frohlocken und Danken
in der Schar derer, die da feiern.

Neuere Hirnforschung und Traumatherapie erklären uns, was der Psalmbeter schon vor 2500 Jahren wusste: Die Imagination positiver Bilder, die gedankliche Vorstellung von guten Erinnerungen beruhigen. Erinnere dich, wie da war: Wie du im Gras gesessen hast und Blumenkränze geflochten. Wie du Eierpfannkuchen mit Heidelbeeren gegessen hast und über deine blauen Zähne gelacht hast. Wie ein Kind dir mit strahlendem Gesicht einen Kuchen aus Sand geschenkt hat. Wie du im Konzert gesessen hast und geglaubt hast, die Engel singen zu hören.

Schon das Denken an gute Erfahrungen wirkt auf das Gehirn, auf das emotionale Gedächtnis. Und das schüttet Glücks- und Beruhigungshormone ins Blut und in die Seele. Bilder helfen, neue Verschaltungen im Gehirn zu bilden. Bis ins hohe Alter. Wir können traumatische Erfahrungen und Stress verarbeiten: Durch Wiederholungen positiver Bilder. Einmal reicht da nicht. Und meistens braucht es noch einen liebevollen Menschen, der uns erinnern hilft, oder eben einen Psalm wie diesen.

Traumatherapie macht sich das zunutze. Seelisch verletzte Menschen werden aufgefordert zwischen positiven und belastenden Erinnerungen hin- und herzupendeln. Die belastenden Erinnerungen werden mit Worten oder Weinen, Schreien oder Zittern ausgedrückt. Und die positiven helfen, Herz und Seele zu beruhigen.

Genau das macht der Psalmbeter. Er pendelt hin und her: zwischen Klage und Erinnerungen an Gutes, zwischen wildem Schreien zu Gott und der Hoffnung, ja mehr noch, der Gewissheit: Gott wird mir helfen. Hin und her und immer wieder. Er stellt sich der Angst und der Verzweiflung. Aber er erinnert sich auch daran, dass er damit nicht allein ist. Ja, dass er es schon mal erlebt hat, wie es sich anfühlt, glücklich zu sein. Und da kommen die Bilder in ihm hoch: Wie er sich Jerusalem nähert, mit vielen anderen Menschen. Wie er den Tempel sieht, hoch auch dem Berg. Was für ein Anblick. Und was für ein Gefühl da war: Helle Begeisterung. Und das Gute, das er mit Gott erlebt hat. Ja, das gibt es doch auch! Am Ende des Psalms überwiegen Zuversicht und Hoffnung.

Ein „Herzberuhigungsgebet“ – gut für Leib und Seele. Wann haben Sie sich das letzte Mal so etwas Gutes getan? Wir haben zusammen den Psalm gebetet. Wiederholung lohnt sich!

Lied: 98

Fürbitte

Ewiger Gott,
du hast deinen Sohn, Jesus Christus,
in unsere Welt gesandt,
damit wir in ihm deine Liebe erkennen.
Er hat mitten unter uns gelebt,
hat Kranke geheilt und Mutlose mit neuer Hoffnung beschenkt.
In allem, was er getan und gesagt hat,
erkennen wir deine Liebe,
die uns auch dann gilt, wenn wir versagen.

Wir bitten dich, dass wir deine Liebe,
die sich in deinem Sohn Jesus Christus zeigt, annehmen können.
Wir bitten dich, dass sich deine Liebe ausbreitet
in unserer Gemeinde, in unserer Stadt und in unserem Land.
Wir bitten dich, dass du uns zu Boten machst,
die überall immer wieder von deiner Liebe erzählen.

Wir bitten dich, dass wir nicht mutlos werden
In dieser Zeit, die uns so vieles abverlangt.
Lass uns nicht an deiner Liebe zweifeln.
Wir bitten dich für alle Menschen aus unserer Gemeinde, die wir in der vergangenen Woche zu Grabe getragen habe. Nimm du sie auf in deine ewige Liebe und schenke ihnen deinen Frieden. Tröste die Angehörigen und stehe ihnen bei.

Wir bitten dich,
dass uns deine Liebe innerlich prägt und verändert,
dass unser enges Herz geweitet werde.
Amen.

Vaterunser
Abkündigungen

Kollekte für die eigene Gemeinde
Segen
Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 21.02.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Der Verrat des Judas

Musikalisches Vorspiel

Begrüßung

Ich begrüße Sie herzlich zu unserem Gottesdienst aus dem Gemeindezentrum Wilhelmskirche.

Es ist der erste Sonntag in der Passionszeit. Wir denken an das Leiden Christi, das Leiden in der Welt; an das Drama menschlichen Leidens damals und heute; an die menschlichen Tragödien damals und heute in der Pandemie, die scheinbare Unabänderlichkeit des Schicksals.

Invokavit, Gott ruft uns, heraus aus dieser Verfallenheit an das Schicksal. Hoffen wir, das wir das für uns annehmen können.

Aber gilt das auch für eine der dunkelsten Figuren der Bibel? Gilt es auch für Judas, der Jesus verrät?

Diese Frage und der Verrat des Judas werden uns heute beschäftigen.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalmgebet

Aus Psalm 91 EG W 736

Der Herr ist deine Zuversicht

Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt
und unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt,
der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg,
mein Gott, auf den ich hoffe.
Denn er errettet dich vom Strick des Jägers
und von der verderblichen Pest.
Er wird dich mit seinen Fittichen decken,
und Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,
dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht,
vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,
vor der Pest, die im Finstern schleicht,
vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.
Denn der Herr ist deine Zuversicht,
der Höchste ist deine Zuflucht.
Es wird dir kein Übel begegnen,
und keine Plage wird sich deinem Hause nahen.
Denn er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
dass sie dich auf den Händen tragen
und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

Eingangsgebet

Lieber Gott,

es gibt so viele Stimmen in mir und außerhalb von mir,
die recht haben wollen,
die über mich bestimmen wollen,
die wissen, wie ich leben soll.
Ich bin unsicher, wenn ich auf deine Stimme höre.
Sie ist so leise – und ohne Zwang.
Eher ein Flüstern als ein rufen.
In deiner leisen Stimme spüre ich deine Liebe zu meinem Leben,
Besorgnis und Barmherzigkeit.
In dieser Liebe wird es still in mir, und in dieser Stille
Lasse ich mir an deiner Gnade genügen –
Durch Jesus Christus, deinen Sohn. Amen

Lesung: Johannes 13, 21 – 30: Jesus, der Lieblingsjünger und der Verräter

21 Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. 22 Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. 23 Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. 24 Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. 25 Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist's? 26 Jesus antwortete: Der ist's, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. 27 Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! 28 Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. 29 Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. 30 Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.

Glaubensbekenntnis

Lied: 91, 1+3        Herr, Stärke mich, dein Leiden zu bedenken

Predigt

Die Gnade unseres Herrn JX, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

die Geschichte, um die es heute geht, handelt vom Zerbrechen einer Beziehung., von tiefer Enttäuschung und von Hass. Erzählt wird sie aus der Sicht von Jesus, aber es ist anzunehmen, dass auch der andere, dass Judas gequält war von Enttäuschung – so stark seine Gefühle für Jesus sind. Es ist der aus der Enttäuschung wachsende Hass auf Jesus, der Judas gefangen hält.

Mir hat man früher beigebracht: Judas ist ein Verräter, ein skrupelloser, geldgieriger Typ, ohne Ethos und Moral, der seinen Freund für ein paar Silberlinge an die Feinde verkauft. Eigentlich ist er ein Dieb. Als Jesus bei Maria und Marta zu Besuch ist, regt er sich darüber auf, dass Maria Jesu Füße mit kostbarem Öl benetzt. Er fordert, man solle das Öl verkaufen und das Geld den Armen geben. Aber vielleicht will er das Geld für seine eigenen Zwecke verwenden.

Später lernte ich noch eine zweite Auslegungstradition kennen, die Judas als, einen Freiheitskämpfer beschreibt, der sein Volk von der römischen Besatzung befreien will. Er gilt als Anhänger einer politischen Gruppe, die im Untergrund gegen die Römer opponiert und darauf wartet, endlich aufzustehen. Mit Jesus könnte sich diese Hoffnung erfüllen, er könnte ihr Anführer werden. Als Judas erkennt, dass Jesus den bewaffneten Kampf ablehnt, wendet er sich enttäuscht von ihm ab.

Und dann gibt es noch die dritte Deutungslinie: Der Teufel sei in Judas gefahren, der Satan hätte von ihm Besitz ergriffen. Judas sei nicht er selbst, sondern der Handlanger des Bösen … In der Auslegungsgeschichte existieren also verschiedene Bilder von Judas: Mal Sohn der Finsternis, der vom Teufel fremdbestimmt wird, mal tragischer Held, der an der Person seines Meisters irrewird, weil dieser seine Hoffnung nicht erfüllt.

In der Gruppe spricht es Jesus ganz offen an: „Einer von Euch wird mich verraten!“ Jetzt ist es ausgesprochen. Und nichts ist mehr wie es vorher war. Wieder einmal ist es Petrus, der einen Impuls gibt: Frag Jesus, wer es ist! Aber es gelingt nur teilweise: “Der, dem ich den Bissen eintauche und gebe.“ Alles kippt. „Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn.“

Das klingt nicht nach einer aktiven Entscheidung des Judas. Es fühlt sich eher so an, als sei Judas selbst auch der Leidtragende, als stelle er sich, seinen Willen dem Satan zur Verfügung. Als würde er instrumentalisiert. Jesus versteht das: „Was du tust, das tue bald!“ Die Jünger kapieren nichts. Oder sie reden es sich selbst schön. Und auch Judas hält diese Spannung nicht mehr aus: „Als er den Bissen genommen hatte, ging er hinaus. Und es war Nacht.“

Es ist die dunkle Nacht des Selbstverrates, denn Judas verrät sich selbst. Er verrät seine tiefe Beziehung zu Jesus. Er liefert in aus, und zwar an seinen eigenen Hass auf ihn. Daran zerbricht die Beziehung. Und damit verrät Judas nicht nur Jesus, sondern zugleich sich selbst: alles, wofür er gelebt und woran er geglaubt hat.

„Tu’s einfach“, flüstert der Satan, „so eine Gelegenheit gibt’s nicht wieder!“ Es ist das Ausleben des ungehemmten Triebes, es gibt wie bei anderem Missbrauch kein An-sich-Halten mehr. Die Triebnatur des Menschen bricht ungehemmt durch, Liebe und Hass gehen gleichsam eigene getrennte Wege. Als Jesus ihm wie eine Intinctio an diesem Abschiedsabend das in den Wein eingetunkte Brot reicht, fährt „der Satan in ihn“. Er will nicht länger genährt und gefüttert werden, abhängig sein wie ein kleines Kind. ER will jetzt groß sein und unabhängig. Aber er spürt vor allem seine Abhängigkeit. Als wäre es böse, frei sein zu wollen.

Das schürt den Hass. Und Hass macht eine Trennung im Guten unmöglich. Im Hass bleiben die Menschen auf zerstörerische Weise aneinandergebunden. Die nur scheinbare Trennung im Hass heißt Verrat. So übt der Verräter Rache an dem, was ihm seiner Meinung nach angetan worden ist. Er bestraft den anderen. Aber in Wahrheit wurde ihm gar nichts angetan, sondern er hat sich freiwillig in diese Beziehung begeben, die ihn immer mehr enttäuschte. Und dann konnte er sich die Enttäuschung nicht eingestehen, konnte sie nicht ansprechen, aber sie wuchs im Hintergrund wie ein Dämon.

Die Basis, der Ausgangspunkt des Verrates ist also das Gefühl der Abhängigkeit. In gegenseitiger Freiheit ist Verrat nicht nötig. Freiheit ist aber die Basis der Liebe. Nur in der Freiheit kann sie wachsen und gedeihen. Liebe lässt los, gibt frei, verzichtet auf die Macht der Kontrolle. Hass hält den anderen unter Verdacht, er braucht die Macht der Kontrolle, ihm fehlt die seelische Größe, die Freiheit und Eigen-Art des anderen mitzutragen.

Auf dem Boden gegenseitiger Liebe soll sich die Identität der christlichen Gemeinde gründen. „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr liebe untereinander habt“, Joh 13,35. Gegenseitige Liebe verzichtet auf misstrauische Kontrolle und lebt von einem wertschätzenden Miteinander. Sie anerkennt die Verschiedenheit des anderen und nimmt sich selbst zurück. Sich selbst zurückzunehmen, den eigenen Impuls, den anderen Gleichzuschalten damit er so ist wie ich, das geht nur in der Liebe. In geschwisterlichem Einverständnis, in Freiheit und Ehrlichkeit, in Wahrheit, die nicht gegen mich ausgelegt wird, also auch in Vertrauen so sein zu dürfen wie ich bin. Das klingt wie ein Traum.

Ein Traum – wie die Vorstellung, dass Judas doch den Weg ins Paradies findet. Auf einem Kapitell in der Kirche von Vezelay in Burgund könnte genau das dargestellt sein. Es ist fast 900 Jahre alt. Die Deutung ist umstritten. Auf der einen Seite des Säulenabschlusses sieht man Judas, der sich mit dem Strick selbst gerichtet hat. Auf der anderen Seite einen Dämon – oder eben den guten Hirten, der auch dieses verlorene Schaf zurück zu seiner Herde bringt. So hat es selbst der Papst vor einigen Monaten gedeutet.

In der dunkelsten Nacht des Verrates keimt eine neue, sogar diesen grausamen Verrat tragende Barmherzigkeit. In dem Moment, in dem er den Verrat des Judas vor allen offenbar macht, reicht Jesus ihm die Intinctio, das Zeichen größter Nähe und Verbundenheit, ein Liebesbeweis, Mahlgemeinschaft. Sie verweist mit ihrem goldenen Strahl auf jene andere Welt Gottes, die manchmal zwischen uns aufleuchtet. Wer seine Augen an diese Dunkelheit gewöhnt, wird ihn immer häufiger wahrnehmen können.

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Lied: 97, 1 – 3        Holz auf Jesu Schulter

Fürbitte

In unser Gebet nehmen wir die Gemeindemitglieder auf, von denen wir in der vergangenen Woche Abschied nehmen mussten. Wir bitten Dich Gott, sei Du ihnen ein gnädiger Vater und schenke uns die rechten Worte und Gesten, ihre Angehörigen zu trösten.

Wir zünden für die Verstorbenen eine Kerze an.

Du Gott kennst uns … wie wir schlecht über andere reden und uns immer wieder dazu hinreißen lassen, mitzumachen, anstelle dagegen aufzustehen. Du kennst unser verräterisches Herz und unsere Wege in die Dunkelheit.

Darum bitten wir Dich für alle, die in der Nacht verirrt sind: in der Nacht des Hasses auf jemanden, gefangen in rassistischen Gedanken, Gefühlen und Vorurteilen; in der Nacht des Leidens an jemandem, in der Nacht heimtückischer, sadistischer Freude am Bösen und der Gewalt; in der Lust am Untergang, in der Nacht von Angst, Zweifel und Not.

Wir bitten Dich für die Opfer von Gewalt und Rassismus, auch für die Angehörigen, wie die in Hanau, die auf Aufklärung warten und selbst diskriminiert worden sind .. Und wir bitten Dich für alle, die der bitteren Nacht des Todes entgegengehen: Erbarme Dich unser. Sende Dein Licht, auf das wir freundlicher werden, Vergebende; auf dass wir Gefallen finden an Güte und Anstand, an Hoffnung und Zuversicht, an Offenheit und Aufmerksamkeit und Empathie.

Wo unser Herz hart bleibt, gilt Deine Barmherzigkeit; wo wir nicht vergeben sollen wir wissen, dass Du es schon lange tust. Wie die Jünger wollen wir Dir in Liebe dienen. Du bringst uns zum Ziel, auch durch die Nacht. Amen

Vater Unser

Lied: 347, 1+4      Ach bleib mit deiner Gnade

Abkündigungen

Segen

Musikalisches Nachspiel

Gottesdienst am 14.02.2021 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Gemeinde: Amen.

Wir beten mit Worten aus Psalm 31:
2 HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit!
3 Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest!
4 Denn du bist mein Fels und meine Burg, und um deines Namens willen wollest du mich leiten und führen.
5 Du wollest mich aus dem Netze ziehen, / das sie mir heimlich stellten; denn du bist meine Stärke.
6 In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.
8 Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte, dass du mein Elend ansiehst und kennst die Not meiner Seele
9 und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes; du stellst meine Füße auf weiten Raum.
15 Ich aber, HERR, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott!
16 Meine Zeit steht in deinen Händen. Errette mich von der Hand meiner Feinde und von denen, die mich verfolgen.
17 Lass leuchten dein Antlitz über deinem Knecht; hilf mir durch deine Güte! Amen.

Gebet
Herr, unser Gott, Du hast Glauben, Hoffnung und Liebe in uns entzündet. Belebe diese Gaben durch die Begegnung mit Dir in diesem Gottesdienst und stille unsere Sehnsucht nach echter Beziehung. Das bitten wir durch Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit. Amen

Lied: EG 409, 1-2, 4, 7

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Das Maß war voll. Die Beziehung war belastet, das war allen Beteiligten klar. Irgendwie war seit einiger Zeit der Wurm drin. Dabei hatte das am Anfang so richtig gut funktioniert. Ein echtes Dreamteam sind sie gewesen. Gefühlt war die erste Zeit wie ein Schwebezustand. Alles schien zu gelingen. Okay. So kleine Reibereien hatte es immer gegeben. Aber alles in allem hatten sie lange Zeit wirklich gut miteinander harmoniert. Sie haben aufeinander geachtet. Sie hatten einen gemeinsamen Rahmen gefunden, an den sie sich gehalten haben. Sie haben die Grenzen des anderen respektiert. Und dann kamen die kleinen und großen Unachtsamkeiten. Manchmal fehlte auch einfach das Verständnis füreinander. Die Leichtigkeit der ersten Zeit war verflogen. Und obwohl sich jeder viel mehr anstrengte, wurde es immer schwerer, den Weg gemeinsam zu gehen. Es begann die Zeit der gegenseitigen Vorwürfe und der Forderungen. Und irgendwann redete man kaum noch miteinander.

1 Rufe laut, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 2 Sie suchen mich täglich und wollen gerne meine Wege wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie wollen, dass Gott ihnen nahe sei. 3 »Warum fasten wir und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib und du willst's nicht wissen?« Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit oder seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?

Das Tischtuch ist zerrissen. Da ist ein tiefer Graben zwischen Gott und dem Volk. Was für ein Predigttext. Ich habe mich tatsächlich gefragt, ob ich den überhaupt predigen soll. Ist das die Botschaft Gottes auch für unsere Gemeinde in dieser Zeit? Gerade jetzt, wo wir auch in unserer Gesellschaft zunehmend Probleme mit dem Dialog haben? Aber auch gerade jetzt in der närrischen Zeit, in der doch viele Menschen zumindest ein wenig ausgelassene Stimmung verbreiten? Soll ich diesen Text predigen, gerade heute, am Valentinstag? Soll ich da von Gottes Zorn über falsches Fasten predigen? Auch wenn die Fastenzeit vor der Tür steht?

Für Sie liegt die Antwort auf der Hand, denn ich rede ja gerade über diesen Text. Und ein Thema bot sich auch sofort an. Gott sagt: Richtiges Fasten ist, wenn Du nachhaltig und am Menschen orientiert handelst: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Das ethisch gute Handeln ist ein wichtiger Teil unseres Menschseins. Da kann es keine zwei Meinungen geben. Von uns hängt es ab, wie wir leben wollen. Von uns hängt es ab, wie diese Erde aussehen wird. Wir haben den Auftrag, den Armen zu helfen und die Schwachen zu schützen.

Aber ich finde, dass es in diesem Bibeltext noch ein weiteres, vielleicht etwas versteckteres Motiv gibt: Die Sehnsucht nach echter, gelingender Beziehung. Das war für mich anfangs hinter diesen ganzen krassen Vorwürfen gar nicht so leicht zu entdecken. Echte, gelingende Beziehung. Das ist eine Grundsehnsucht von uns Menschen. Und ich finde, dass sie gerade am Valentinstag mit Händen zu greifen ist. Diese Sehnsucht steckt auch in diesem Text. Sie steckt hinter all den Vorwürfen und den moralischen Ansprüchen.

Zuerst einmal ist aber offensichtlich: Hier ist eine Beziehung gründlich festgefahren. So wie wir Gott hier kennenlernen, hat er starke Emotionen. Das Volk hat sich anderen Göttern zugewandt. Diese unsichtbare Mauer zwischen ihm und dem Volk Israel nennt Gott Sünde. Und ein Teil dieser unsichtbaren Mauer sind die gegenseitigen Vorwürfe. Sie zerfressen die Beziehung. Genauso trennend ist der Egoismus. Offensichtlich meint das Volk, dass es alles tut, was Gott will. Es fastet, es macht sich klein. Und das täglich. Die Menschen sind sich sicher, dass sie ihren Teil der Beziehung erfüllen. Und dafür kann man doch ein wenig Dankbarkeit erwarten, oder?

Was läuft da also schief? Ich denke, dass das Volk Gott in ein Schema gepresst hat. Sie haben ein derart enges Bild von Gott, dass die eigentliche Idee der Beziehung völlig in den Hintergrund tritt. Denn ihr Fasten ist eigentlich ein Handel: Wir fasten und gehen in Sack und Asche und zum Ausgleich bist Du, Gott, uns nahe und zeigst Dich von Deiner besten Seite. Unter dem Deckmantel des „Für Dich!“ kommt ein „Für uns!“ zum Vorschein. Das Fasten ist ein Geschenk ohne Empathie, einfach um sich selbst und des Geschenkes willen.

Was tun? Mein Eindruck in dieser Geschichte ist – und davon spricht die gesamte Bibel – dass Umkehr helfen würde. Wo Beziehung festgefahren ist, da hilft ein Neuanfang. Gott bietet seinem Volk auch hier seine heilende Kraft an. Er bietet ihnen eine Rückkehr zur gelingenden, echten Beziehung an. Zu sich. Zu ihren Mitmenschen. Gott macht es seinem Volk eigentlich sehr leicht. Er sagt: So tun, als würdet Ihr etwas für mich machen und trotzdem nur an Euch denken, das kostet Euch unnütz Kraft. Das ist nicht Sinn Eures Lebens und am Ende erfüllt es Euch auch nicht. Im Text ist das so formuliert: 6 Ist nicht das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Heißt das nicht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

Für mich heißt das: Lass die Vorwürfe und lass den Egoismus. In einer Beziehung kommt es darauf an, dass Du Dein Gegenüber liebevoll im Blick hast und Dich nicht auf seine Kosten selbst erhöhst. Und in diesem konkreten Fall, in der Beziehung zu Gott, wird so nicht nur die Mauer zwischen ihm und den Menschen abgerissen. Vielmehr ist diese Vision, die Gott entwickelt, eine Welt, in der Menschen gerne leben wollen. Ich weiß, das ist schwierig. Irgendwie sind wir Menschen so angelegt, dass wir immer wieder an uns selbst scheitern. Irgendwie kommt der Egoismus immer wieder durch. Vielleicht erahnen wir das, vielleicht fällt uns das nicht mal auf. Und auch das sollen uns diese „alten Geschichten“ aus der Bibel auch deutlich machen. Es ist leider menschlich, dass wir in unseren Beziehungen scheitern, auch wenn wir uns so sehr nach gelingenden, echten Beziehungen sehnen.

Die gute Nachricht ist: Gott kommt uns entgegen. Umkehr ist möglich. Davon spricht die gesamte Bibel. Das ist kein leichter Prozess. Aber Gott hat Geduld mit uns. So wie mit seinem Volk. Und dieses Entgegenkommen wird in diesem Text wunderbar dargestellt: 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied: EGPlus 131

Fürbitten und Vaterunser
Barmherziger Gott, wir sehnen uns nach gelingenden und echten Beziehungen. Manchmal scheitern wir dabei an uns selbst. Wenn unsere Beziehungen zu anderen Menschen und zu Dir festgefahren sind, dann bitten wir Dich: antworte uns, wenn wir zu Dir rufen und lass das Licht hervorbrechen wie die Morgenröte.

Barmherziger Gott, wir mussten auch in dieser Woche Abschied nehmen von lieben Menschen. Du kennst ihre Namen und Du weißt um die Trauer ihrer Angehörigen und Freunde. Für die Verstorbenen bitten wir Dich, dass Du sie gnädig aufnimmst in Dein Reich. Richte die Trauernden auf, lass sie Trost finden und stelle ihnen Menschen an die Seite, sie bei ihnen sind in dieser schweren Zeit.

Barmherziger Gott, mit Dir können wir teilen, was uns bewegt. Bei Dir können wir klagen und zweifeln, aber auch danken und loben. In der Stille bringen wir vor Dich, was uns bewegt.

Wir beten weiter mit den Worten des Vaterunsers.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Abkündigungen:
Die Kandidatinnen und Kandidaten für die Kirchenvorstandswahl am 13. Juni 2021 stehen fest. Die Liste finden Sie hier: evangelisch-in-bad-nauheim.de/Kirchenwahl2021 und in den Schaukästen

Wir freuen uns, wenn Sie unsere Gemeinde mit einer Kollekte unterstützen: evangelisch-in-bad-nauheim.de/Spenden

Segen
Gehen Sie unter dem Segen Gottes in die neue Woche:
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

Gottesdienst am 7.2.2021 von Pfarrerin Susanne Pieper

Musik
Begrüßung

Einen guten Morgen und ein herzliches Willkommen aus der Wilhelmskirche in Bad Nauheim! Der Sonntag heute stellt das Wort Gottes ins Zentrum, wie es ausgesät wird und Früchte trägt. Was bedeutet das für uns und für unsere Zeit? Darüber denken wir heute und hier nach. Und da ist ein Versprechen im Raum: dass Gottes Wort uns nahe kommen will, dass es unser Glück ist und dass es blühen möchte unter uns. Darum bittet uns der Wochenspruch aus dem Hebräerbrief 3,15: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verschließt eure Herzen nicht.“
Wir feiern den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Worte aus Psalm 119
Mein Gott, ich habe gesehen, dass alles ein Ende hat, aber dein Gebot bleibt bestehen.
Dein Wort bleibt ewig, soweit wie der Himmel reicht. Deine Wahrheit währt für alle Zeit.
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.
Mein Leben ist immer in Gefahr, aber deine Weisungen vergesse ich nicht.
Deine Worte sind mein ewiges Erbe. Sie sind die Wonne meines Herzens.
Du bist mein Schutz und mein Schild. Ich hoffe auf dein Wort. Amen.

Gebet
Du, lichtvoller Gott, meine Seele verlangt nach deinem Frieden. Ich sehne mich nach deinem Wort, das mich aufrichtet, das mich tröstet. Wie wird es weitergehen? Was kommt auf unsere Gesellschaft zu, auf unser Land, auf die Menschen weltweit? Diese Fragen treiben mich um. Umso mehr bin ich in dieser Zeit dankbar für den Halt, den du mir gibst. Du kennst einen Weg für mich, einen Weg für uns. Dein Wort leuchtet uns. Es leitet uns auch in dieser Zeit. Es will uns helfen, auf einem guten Weg zu bleiben. Dafür danken wir Dir durch Jesus Christus, deinen Sohn, das Licht unserer Welt. Amen.

Lied: 166,1 Tut mir auf die schöne Pforte

Lesung: Lukas 8,4-8 und 11-15
Als wieder einmal eine große Menschenmenge aus allen Städten zusammengekommen war, erzählte Jesus dieses Gleichnis: „Ein Bauer ging aufs Feld, um sein Getreide auszusäen. Als er die Körner ausstreute, fielen ein paar von ihnen auf den Weg. Sie wurden zertreten und von den Vögeln aufgepickt. Andere Körner fielen auf felsigen Boden. Sie gingen zwar auf, aber weil es nicht feucht genug war, vertrockneten die Pflänzchen. Wieder andere Körner fielen mitten ins Dornengestrüpp. Dieses schoss zusammen mit der jungen Saat in die Höhe, so dass es sie schließlich erstickte. Die übrigen Körner aber fielen auf fruchtbaren Boden, gingen auf und brachten das Hundertfache der Aussaat als Ertrag.“ Nachdem Jesus das gesagt hatte, rief er: „Wer Ohren hat, der soll auf meine Worte hören!“

Das Gleichnis bedeutet Folgendes: Die Saat ist Gottes Botschaft. Die Menschen, bei denen die Saatkörner auf den Weg fallen, haben die Botschaft zwar gehört. Aber dann kommt der Satan, der Durcheinanderbringer, und nimmt sie ihnen aus den Herzen, damit sie nicht glauben und gerettet werden.

Andere Menschen wiederum sind wie der felsige Boden: Sie hören die Botschaft und nehmen sie mit Begeisterung an. Aber ihr Glaube hat keine starken Wurzeln. Eine Zeit lang halten sich diese Menschen zu Gott, doch wenn ihr Glaube dann auf die Probe gestellt wird, wenden sie sich wieder davon ab.

Noch andere Menschen gleichen dem von Dornengestrüpp überwucherten Boden. Sie hören die Botschaft zwar, doch dann kommen die Sorgen des Alltags, die Verführung durch den Wohlstand und die Vergnügungen des Lebens und ersticken Gottes Botschaft, so dass keine Frucht daraus entstehen kann.

Aber dann gibt es auch Menschen, die sind wie der fruchtbare Boden, auf den die Saat fällt: sie hören Gottes Botschaft und nehmen sie mit aufrichtigem und bereitwilligem Herzen an.  Sie halten treu daran fest, lassen sich durch nichts beirren und bringen schließlich reiche Frucht.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Amen.

Glaubensbekenntnis

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
es war ungefähr vor ein und halb Jahren, da saß ich mit einer Gruppe von ungefähr zwanzig Menschen hier in unserer Wilhelmskirche um einen großen Tisch herum. Wir feierten miteinander die „Dinnerchurch“: ein neues Gottesdienstprojekt, in dem wir gemeinsam kochen, essen, miteinander über einen Bibeltext nachdenken und auch zusammen das Abendmahl feiern. Jemand hatte den Text von dem Sämann, dem Bauern, der das Getreide aussät, vorgelesen. Da sagte meine Nachbarin ganz spontan: „Wie es dem Bauern mit seiner Saat ergeht, das verstehe ich gut! Ich bin Musiklehrerin; ich erteile Klavierunterricht. Und da geht es mir genauso. Das, was ich sage, das fällt bei meinen Schülern und Schülerinnen auf sehr unterschiedlichen Boden. Die eine nimmt es zur Kenntnis, hat es aber bald vergessen, bei dem anderen aber fällt es auf fruchtbaren Boden. Er nimmt es sich zu Herzen, übt entsprechend und kann mir das Musikstück in der nächsten Stunde dann schon viel, viel besser vorspielen.“ Ja, das, was an Wissen und an Erfahrung an andere weitergegeben wird, wird längst nicht überall gleich aufgenommen. Der Ertrag, der Erfolg ist nicht bei allen Menschen der gleiche. Schließlich bringen alle ja unterschiedliche Voraussetzungen mit. Und alle haben verschiedene Begabungen, mit denen sie lernen können. Darum verlangt  auch das Unterrichten immer wieder einen sehr differenzierten Blick des Lehrers oder der Lehrerin auf die,  die ihm oder ihr anvertraut sind.

Meine Nachbarin aus der Dinnerchurch erinnert mich in gewisser Weise an den Sämann aus dem biblischen Gleichnis: der ist da unterwegs. Er bringt das Saatgut auf dem Feld aus. Nicht alle Stellen des Bodens sind gleich gut für das Wachstum geeignet. Da gibt es den Weg, den Felsen und das Dornengestrüpp. Was hier landet, was hier hinfällt, das wird nicht aufgehen. Der Bauer weiß das. Trotzdem aber spart er die Bereiche nicht aus. Er ist großzügig. Mit einer weiten Armbewegung streut er die Samenkörner aus!! Es könnte ja doch etwas wachsen. Und es ist besser, dass ein Saatkorn auf einen nicht so ertragreichen Grund fällt als dass ein guter Boden ohne Saat bleibt.

Innerhalb der Auslegungstradtion der Kirche gibt es eine Richtung, die konzentriert sich fast nur auf die unfruchtbaren Böden. Da könnte man meinen, der Sämann bewege sich nur noch auf plattgetretenen Trampelpfaden, auf Wüstenböden oder bei den Dornenhecken. Aber das stimmt ja nicht! Er hat ja einen Acker, wo es sich lohnt, auszusäen. Er verlässt sich darauf, dass die Ernte groß genug sein wird! Dabei nimmt er es in Kauf, dass manche Samenkörner nicht aufgehen werden. Die eigentliche Pointe der Geschichte aber ist, dass der Einsatz sich tatsächlich verhundertfacht.  Dass darüber hinaus einiges verloren geht, das ist dann nicht so schlimm.

Liebe Gemeinde,
Jesus erzählt dieses Gleichnis seinen Jüngerinnen und Jüngern. Und damit auch uns. Das Saatgut, das ist Gottes Wort. Es fällt von außen auf den Boden. Es kommt von außen auf uns zu. Wir tragen es nicht schon immer in uns. Vielmehr ist es wichtig, auf dieses Wort zu achten und auf es zu hören. Bereit zu sein, uns auf es einzulassen. Und ihm Raum zu geben bei uns.

Vielleicht gibt es manchmal auch Zeiten, wo Gottes Botschaft leise ist oder wo wir meinen, sie habe sich versteckt. Wo wir regelrecht nach dem suchen müssen, was Gott uns denn jetzt sagen will. Manchmal, da gibt es auch Zeiten, wo unser Glaube auf die Probe gestellt wird. Alte Sicherheiten sind nicht mehr so selbstverständlich wie früher. Zweifel beginnen, an uns zu nagen; das ist dann wie mit den Sorgen und den Dornen im Gleichnis. Und wir haben mehr Fragen als Antworten.  Wolken wollen unser klares Verhältnis zu Gott verdunkeln, und unsere Seele ist durstig nach ihm, nach Klarheit, nach Trost, nach einer Aussicht und nach einem guten Wort. Nach einem Segen.

In diesen Monaten gehen wir gerade durch eine extreme und außergewöhnliche Zeit. Vielmehr als sonst sind wir auf uns selbst zurückgeworfen, auf den Boden unserer eigenen Existenz. Wir müssen es neu lernen, mit uns selbst zurechtzukommen. Mit unserer Zeit, mit unserer Arbeitszeit und Freizeit, mit unseren Energien und unseren Gedanken. Wir sind auch uns selbst ausgesetzt. Unseren Partnern. Unseren Familien. Und sie sind uns ausgesetzt. Mehr und mehr Menschen drohen, mürbe zu werden. Umso mehr steht jetzt die Frage im Raum: Was gibt uns jetzt Kraft? Woher beziehen wir unsere Energie? Woran können wir uns jetzt halten?

Dazu kommt, dass wir mit sehr ernsten Fragen konfrontiert sind, so intensiv wie lange nicht mehr: werde ich die nächsten Monate ungeimpft gut überstehen? Komme ich hindurch? Ich und meine Familie? Kommen wir gut hindurch? Die Auseinandersetzung mit dem Thema von Tod und Leben ist viel näher gerückt. Wir kommen an ihr nicht mehr vorbei. Was also zählt jetzt? Was ist jetzt wirklich wichtig? Und wo ist ein Geländer, an dem ich mich verlässlich festhalten kann?

Das Saatgut ist Gottes Wort, sagt das Gleichnis. Es fällt von außen auf den Boden.  Es kommt von außen auf uns zu. Viele Menschen haben in extremen Situationen ihres Lebens die Erfahrung gemacht, dass ein biblisches Wort auf sie zugekommen ist. Dass es für sie zu einem Geländer geworden ist. Das war das Wort „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir“ aus dem 23. Psalm. Oder „Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt, der spricht zu seinem Gott: meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe“ aus Psalm 91. Oder „Seht, ich bin bei euch alle Tage, bis an das Ende der Welt“ aus Matthäus 28.

Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig für uns ist, solch ein biblisches Wort zu suchen.  Oder uns von ihm finden zu lassen. Es hilft, einen dieser Sätze zu meditieren, ihn immer wieder vor sich her zu sagen, laut und leise, auf ihm herum zu kauen wie auf einem guten Stück Schwarzbrot, ihm Raum zu geben, ihn wie ein Mantra in uns arbeiten und wirken zu lassen.

So entsteht langsam etwas Neues. Ganz leise. Und vielleicht erst einmal unbemerkt.  Aber dann überraschend: Ein inneres Wissen wächst heran, eine tiefe Zuversicht, eine friedvolle Erkenntnis: ich bin ja wertvoll und geliebt.  Gott gibt mir einen starken Grund unter meine Füße. Er hält mich fest in seinem Arm. Und die Zukunft, die er für mich bereithält, ist größer und weiter als ich es mir bisher vorstellen konnte.

Gottes Wort kommt von außen auf uns zu. Ja. Und es will in uns hineinfallen wie ein Samenkorn, will in uns wachsen und reifen und zur Blüte kommen. Und so bringt es reiche Frucht.  Eine Frucht, die sich in unserer Zeit zeigen wird als Besonnenheit, als Geduld, als Hoffnung und als ein tiefes Vertrauen. Gott ist da und wird immer da sein. Und genau darin liegt die Kraft unseres Lebens.

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus, dem Messias. Amen.

Lied: + 145,1 Gott, du bist die Hoffnung

Fürbitten  
Du, unser Gott, dein Wort ist ein Licht auf unserem Weg. Dein Wort ist die Wonne unseres Lebens. Lass dein Wort blühen in uns, damit es groß bleibt in unserer Seele, damit es Früchte in uns trägt. Damit wir uns davon nähren können in guten wie in schwierigen Zeiten.

Gib uns Geborgenheit in dieser Zeit und hilf uns, gesund zu bleiben an Leib und Seele. Gib uns Orientierung in dieser Zeit und hilf uns, die richtigen Wege zu gehen.

Wir bitten für alle, die krank oder verletzt sind: lass sie Heilung erfahren, hilf, dass wirksame Medizin entwickelt wird. Wir bitten für alle, die im Gesundheitswesen tätig sind:  erfülle sie mit Kraft, mit Geduld und Liebe. Lass sie auch Entlastung und Erholung erfahren.

Wir bitten für alle, die heimatlos sind oder auf der Flucht: lass sie einen sicheren Ort finden.

Wir bitten für alle, die in diesen Tagen um einen lieben Menschen trauern: sei ihnen nahe mit deinem Trost, richte sie auf und führe sie ins Leben zurück.

Wir bitten dich für alle, die verstorben sind: halte sie in deinen Armen geborgen, tröste sie und lass sie das wärmende, liebevolle Licht deines Himmels erfahren.

Und alle unsere Bitten nehmen wir hinein das Vaterunser, das Jesus Christus uns geschenkt hat:

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen

Gottesdienst am 31.1.2021 mit Video von Pfarrer Johannes Hoeltz

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir feiern den Letzten Sonntag nach Epiphanias. Eine eigentümliche Weihnachtszeit geht heute zu Ende. Eine Weihnachtszeit, in der vieles gefehlt hat: Gemeinschaft, Familie, Gottesdienste, das Hinzutreten zu der Krippe in der Kirche.
Und doch: nach dieser eigentümlichen Weihnacht lässt der Predigttext aus dem zweiten Petrusbrief es noch einmal weihnachtlich werden bei uns, hier in der Wilhelmskirche und bei Ihnen zuhause. Schön, dass Sie da sind.

Wochenspruch: Über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. (Jes 60,2b)

Musik EG 73 Auf, Seele, auf und säume nicht

Psalm 97
Der Herr ist König; des freue sich das Erdreich
und seien fröhlich die Inseln, so viel ihrer sind.
Wolken und Dunkel sind um ihn her,
Gerechtigkeit und Recht sind seines Thrones Stütze.
Feuer geht vor ihm her
und verzehrt ringsum seine Feinde.
Seine Blitze erleuchten den Erdkreis,
das Erdreich sieht es und erschrickt.
Berge zerschmelzen wie Wachs vor dem Herrn,
vor dem Herrscher der ganzen Erde.
Die Himmel verkündigen seine Gerechtigkeit,
und alle Völker sehen seine Herrlichkeit.
Schämen sollen sich alle, die den Bildern dienen /
und sich der Götzen rühmen.
Betet ihn an, alle Götter!
Zion hört es und ist froh,
und die Töchter Juda sind fröhlich, weil du, Herr, recht regierest.
Denn du, Herr, bist der Höchste über allen Landen,
du bist hoch erhöht über alle Götter.
Die ihr den Herrn liebet, hasset das Arge!
Der Herr bewahrt die Seelen seiner Heiligen;
aus der Hand der Frevler wird er sie erretten.
Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen
und Freude den aufrichtigen Herzen.
Ihr Gerechten, freut euch des Herrn
und danket ihm und preiset seinen heiligen Namen!
Ehre sei dem Vater …

Gebet
Gott, ich danke dir
für die hellen Momente in meinem Leben.
Ich denke an die Zeiten,
in denen ich Liebe erfahre und Herzenswärme spüre.
Wenn ich auf einmal klarer sehe,
welchen Weg ich gehe.
Manchmal bekomme ich eine Ahnung davon,
dass die Welt nicht einfach nur Welt ist.
Sie ist durchlässig für dein himmlisches Licht.
Gott, heute ist ein Sonntag.
Da möchte ich solche hellen Momente zählen,
damit ich an den dunklen Tagen nicht vergesse:
Es gibt Licht.
Ich bitte dich:
Mach diesen Gottesdienst zu einer hellen Stunde für uns!
Sohnes,
Jesus Christus, der uns zum Bruder wurde.
Amen.

Schriftlesung Matthäusevangelium 17, 1-9 DIE VERKLÄRUNG JESU
Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.

Glaubensbekenntnis

Musik EG 69 Der Morgenstern ist aufgedrungen

Predigt - 2 Petr 1,16-19

Die Liebe Gottes und die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,
der Predigttext für den heutigen letzten Sonntag nach Epiphanias steht im 2. Petrusbrief im ersten Kapitel.

Petrus schreibt:

Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus;
sondern wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen.
Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit:
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.
Umso fester haben wir das prophetische Wort,
und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort,
bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.

Wort des lebendigen Gottes!

Liebe Gemeinde,
mit dem letzten Sonntag nach Epiphanias ist die Weihnachtszeit im Kirchenjahr zu Ende. Und heute zum Ende der Weihnachtszeit wird es noch einmal weihnachtlich. Sehr weihnachtlich.

Unser Predigttext aus dem 2. Petrusbrief lässt uns die Bilder und Motive der Weihnacht, des Heiligabends vor Augen steigen. Noch einmal Weihnachten! Das Lesen dieser Worte des Petrus zaubert mir unwillkürlich den Geschmack von Vanillekipferl, Zimtsternen und Stollen auf die Zunge. Wie schön!

Hört noch einmal:
„das Kommen unseres Herrn Jesus Christus …“
„wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen …“
„mein lieber Sohn …“
„ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort …“
„der Morgenstern [, der] aufgeht in euren Herzen.“

Da ist er: der helle Stern, dem die Weisen aus dem Morgenland folgen.
Da sind sie: die Hirten, in der Dunkelheit bei ihren Schafen vor Bethlehem. Und in dieser Dunkelheit geht ihnen das Licht auf.
Da ist er: der liebe Sohn. Das Kind in der Krippe. Gottes Sohn wird Mensch.
Ja, da ist es: Weihnachten - das Kommen unseres Herrn Jesus Christus in unsere, in seine Welt.
Ja, so ist Weihnachten: es wird hell in unserem Leben. Der Morgenstern geht in unseren Herzen auf.
Und schließlich: wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen.

Und dieses Gefühl von Weihnachten trägt uns durch die Wochen danach weiter bis jetzt zum letzten Sonntag nach Epiphanias. Und Petrus, Petrus versetzt uns noch einmal in diese Stimmung hinein. Danke, Petrus!

Aber halt! So war es doch gar nicht! Nicht dieses Weihnachten! Nicht Heiligabend 2020!

Vielleicht war es so die Heiligabende und Weihnachten davor in unserem Leben: „wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen …“
Wir standen vor der Krippe. In der Kirche. Der Adventskranz, der mit großen roten Kerzen das Kommen der Weihnacht herunterzählte. Dann der Weihnachtsbaum. Das Krippenspiel. Kinder in Engelskostümen. Der Kinderchor sang. Die Christvesper. Und spät am Abend die Christmette. Noch einmal haben wir uns auf den Weg gemacht, spät am Abend. Haben den Zauber dieser heiligen Nacht gespürt.
Wir haben gesungen. Erst im Advent und dann an Weihnachten. „Tochter Zion, freue dich!“ „Stille Nacht, heilige Nacht“, „Ich steh an deiner Krippe hier“. Und wir haben gehört. Die Kantorei hat gesungen.
Und dann der erste Feiertag, das Christfest. Am Tag des Herrn haben wir Abendmahl gefeiert. Wir haben geschmeckt und gefühlt, dass Gott Mensch geworden ist. In Brot und Wein sind wir dem Kind in der Krippe nahe gekommen.
Ja, all die Heiligabende, all die Weihnachten unsers Leben konnten wir, wenn wir uns denn wie die Hirten, wie die Weisen auf den Weg zur Krippe gemacht hatten, zurückkehren mit der Gewissheit in unserem Herzen: „wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen …“

Aber nein! So war es dieses Weihnachten nicht. Die Vanillekipferl, die Zimtsterne, den Stollen, von denen ich sprach, gab es auch in diesem Jahr. Aber was mehr?
Haben Sie es gewagt, zur Christmette in die Dankeskirche zu gehen? Mit Maske und ungutem Gefühl? Mit unseren Kindern wollten wir uns auf den Weihnachtsweg im Wald machen, den Regina Reitz und Pfarrerin Naumann vorbereitet hatten. Aber: abgesagt!
Gewiss, die Fernsehgottesdienste, die vielen Gottesdienste auf YouTube. Gut, dass es sie gibt! Aber ist das vergleichbar? Vergleichbar dem Gang zur Kirche, dem Gang zur Krippe, der Begegnung, dem Miteinander, der Gemeinschaft im Gottesdienst? Ich hatte sogar mit meiner Tochter das Privileg am Online-Familiengottesdienst des Dekanats mitzuwirken. Aber weder die Aufzeichnung Anfang Dezember noch das Anschauen am Heiligabend hat bei mir das Gefühl hinterlassen: „wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen …“

Corona ist ein Elend! Gott sei’s geklagt!
Corona ist ein Elend! Die Toten. Unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern, die sterben. Unsere Lieben, die eben gerade auch an Heiligabend aus gutem Grund nicht bei uns waren. Alleine in den Seniorenheimen. Alleine in ihren Wohnungen.
Corona ist ein Elend! Von meinen Schülern an der Berufsschule könnte ich erzählen, deren Lernen im home office leidet. Da können noch so viele Video-Konferenzen online durchgeführt werden, da kann noch so viel Kontakt per E-Mail und Telefon gehalten werden, die Lehrerin im Klassenzimmer ersetzt das alles nicht.
Corona ist ein Elend! Ich muss es Ihnen aus Ihren Lebensbereichen nicht erzählen. Sie wissen es nur zu gut.

Corona ist ein Elend! Und es ist eben auch ein geistliches Elend. Ich sehne mich nach Gottesdiensten, nach ganz normalen Gottesdiensten. Einfach in der Kirchenbank sitzen. Zeit für mich, Zeit für Gott. Einmal in der Woche. Den Raum spüren. Die Orgel erleben. Singen. Die Predigt hören. Gemeinsam das Vaterunser sprechen. Gesegnet werden.
Na klar, das machen wir auch jetzt gerade. Und gut, dass Sie dabei sind. Aber es ist einfach etwas anderes.

Vielleicht kann uns Petrus in dieser geistlichen Wüstenzeit, in der wir durch Corona sind, helfen. Vielleicht kann uns Petrus auf die Spur von Weihnachten bringen. Und nein, jetzt meine ich nicht Vanillekipferl und Stollen.

Schauen wir noch einmal genau hin. Ein weihnachtlicher Text ist unser Predigttext, aber von Stall, Krippe, dem Kind, Maria und Josef, den Hirten weiß Petrus nichts. Und vom Weihnachtsbaum in der Kirche, von Christmette und Kantorei weiß Petrus schon gar nichts.
Und mehr noch: er braucht es auch gar nicht. Es geht auch ohne. Erstaunlicherweise. Petrus erzählt von Weihnachten, ohne Weihnachten zu kennen. Oder anders gesagt: Petrus hat ein anderes Weihnachten erlebt. In der Evangeliumslesung haben wir davon gehört und in unserem Predigttext bezieht er sich darauf: „diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.“

Mit seinen engsten Jüngern, Jakobus, Johannes und eben Petrus ist Jesus auf den Berg gestiegen. Und dort oben haben sie Gott erlebt und sie haben Gott in Jesus erlebt: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Petrus hat erlebt: Gott wird Mensch. Gott ist Mensch. In diesem Menschen Jesus, seinen Freund, seinen Meister.

Nichts anderes erzählen die Weihnachtsevangelien nach Lukas und Matthäus, nur eben auf andere Weise. „wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen!“ So sprechen die Hirten, zurückgekommen von der Krippe. So schreibt es Petrus, wieder herunter gestiegen von dem Berg.

So geht Weihnachten. Und eben nicht nur am 24.12. Eben nicht nur in der Advents-, Weihnachts- und Epiphaniaszeit, eben nicht nur von Anfang Dezember bis Ende Januar. Nein, so geht Weihnachten das ganz Jahr über. So geht Weihnachten unser ganzes Leben lang. Gott wird Mensch. Gott ist nicht fern. Gott ist an unserer Seite. Gott ist einer von uns. Und so lädt er uns ein, ihm ähnlich, Gott ähnlich zu werden.

Liebe Gemeinde, ich bin weit davon entfernt, Corona rechtfertigen zu wollen. Ich will auch Corona geistlich nicht verzwecken. Nein, Corona ist einfach nur schlimm. Aber bei all dem Schlechten von Corona möchte ich auch das Gute haben. Ja, es ist schlimm, dass unser Gottesdienstleben, unser geistliches Leben und unser Gemeindeleben zurzeit so stark beschnitten und beeinträchtigt ist. Und ja, es ist gut, zu erkennen, dass Weihnachten nicht auf die schönen Weihnachtsgottesdienste beschränkt ist. Das sagt uns Petrus heute, am letzten Sonntag nach Epiphanias. Heute am Ende dieser eigentümlichen Weihnachtszeit, in der uns so viel gefehlt hat. Aber das Wesentliche, das muss nicht fehlen.

„wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen!“ Solche Weihnachtserlebnisse wünsche ich Ihnen. Wo auch immer und wann auch immer. An Heiligabend 2021 vor der Krippe in der Dankeskirche. Oder vielleicht mitten im Hochsommer. In einem voll besetzen Gottesdienst oder jetzt in der Corona-Einsamkeit.

Ich wünsche Ihnen, Gott zu erleben, zu erleben, wie uns Gott nahe kommt. Ich wünsche Ihnen, dass Sie dann berichten können, so wie die Hirten, so wie Petrus, voller Freude, voller Gewissheit, voller Glauben: „wir haben seine Herrlichkeit mit eigenen Augen gesehen!“
Bleiben Sie bereit! Bewahren Sie sich ein adventliches Herz! Ein waches Herz, das jederzeit mit dem Kommen Jesu in unsere Welt rechnet. Jesu Kommen mitten in diese dunkle Corona-Zeit. Gerade in dieser dunklen Zeit wird das Licht weihnachtlich hell aufleuchten.
Beherzigt, was Petrus uns schreibt:
„Achtet auf das Licht, das da scheint an einem dunklen Ort,
bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus!
Amen.

Musik EG 70 Wie schön leuchtet der Morgenstern

Fürbitte
Gott, du hast über Jesus gesagt:
„Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe;
den sollt ihr hören!“ (Mt 17,5)
Wir hören auf das, was Jesus sagt,
und bringen unsere Bitten vor dich.

Jesus sagt:
Selig sind, die da Leid tragen;
denn sie sollen getröstet werden. (Mt 5,4)
Gott, wir bitten dich für alle,
die leiden und sich nach Trost sehnen.
Guter Gott, unsere Eltern, unsere Großeltern und Urgroßeltern sterben. Lass uns ihre Tode nicht zu einer Zahl in der Corona-Statistik reduzieren. Hilf zu einem Sterben und Abschiednehmen in Würde. Lass die Angehörigen Trost finden in ihrer Trauer.
Nimm dich ihrer an!

Jesus sagt:
Wenn du mit deinem Bruder zürnst
oder deine Schwester etwas gegen dich hat,
versöhne dich. (nach Mt 5,22-24)
Gott, wir bitten dich für Familien, Freundinnen und Nachbarn,
die zerstritten sind.
Gib ihnen die Kraft zur Versöhnung!

Jesus sagt:
Liebt eure Feinde. (Mt 5,44)
Gott, wir bitten dich für die Menschen,
die verfeindet sind.
Wir bitten dich für die Länder,
in denen Krieg herrscht.
Gib Frieden!

Jesus sagt:
Sorgt nicht um euer Leben. (Mt 6,25)
Gott, wir bitten dich für die Menschen,
die sich sorgen,
weil sie nicht genug zum Leben haben,
weil ihnen Schweres bevorsteht.
Sorge du für sie!

Jesus sagt:
Ihr seid das Licht der Welt. (Mt 5,14)
Gott, wir bitten dich für uns,
dass wir eine warme Ausstrahlung haben,
dass wir den Menschen um uns wohltun.
Dein Licht leuchte durch uns!

Stille

Vaterunser

Abkündigungen

Segen

Musik zum Ausgang EG-HN 625 Wir strecken uns nach dir

Gottesdienst am 24.1.2021 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Vorspiel           

Begrüßung
Herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst am 3. Sonntag nach Epiphanias. Wir feiern und übertragen ihn aus dem Gemeindezentrum Wilhelmskirche – schön, dass Sie mit dabei sind!

“Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ Der Wochenspruch aus dem Lukasevangelium gibt uns das Thema dieses Sonntags vor: Wo Gott zum Orientierungspunkt wird, da spielt die Herkunft keine Rolle mehr. Da gehören alle zu ihm, egal woher sie kommen.

Natürlich sind nicht alle gut, nur weil sie von woanders kommen – oder nur weil sie von hier sind. Aber alle haben verdient, dass man ihre Geschichte hört – auch Ruth und Naomi. Deren Geschichte steht heute im Mittelpunkt.

Wir sind zusammengekommen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Psalm  67/ EG 730

Es danken dir, Gott, die Völker
Gott sei uns gnädig und segne uns,
er lasse uns sein Antlitz leuchten,
dass man auf Erden erkenne seinen Weg,
unter allen Heiden sein Heil.
Es danken dir, Gott, die Völker,
es danken dir alle Völker.
Die Völker freuen sich und jauchzen,
dass du die Menschen recht richtest
und regierst die Völker auf Erden.
Es danken dir, Gott, die Völker,
es danken dir alle Völker.
Das Land gibt sein Gewächs;
es segne uns Gott, unser Gott!
Es segne uns Gott,
und alle Welt fürchte ihn!

Eingangsgebet
Aus dem Kleinen kommen wir zu dir, großer Gott.
Wir schauen nicht über das hinaus, was uns umgibt und vergessen deine Weite. Wir brauchen dich für den anderen, weiteren Blick.
Manchmal können wir uns gar nicht vorstellen, dass du der Gott aller Menschen bist.
Manchmal glauben wir, wir hätten dich erkannt.
Manchmal werden wir überheblich und grenzen andere Menschen aus.
Dein Wort, deine Hoffnung, dein Erbarmen, alles, was du uns schenkst, reicht über unseren Horizont hinaus.
Um diesen weiteren Horizont bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn. Amen.

Lesung und Predigttext
Naomi und ihre Schwiegertochter Rut:    Rut 1,1-19  (Übersetzung: Basisbibel)

Es war zu der Zeit, als Richter in Israel regierten. Wieder einmal herrschte Hunger im Land. Da verließ ein Mann die Stadt Betlehem in Juda. Er wollte mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen eine Zeit lang im Land Moab leben. Der Mann hieß Elimelech und seine Frau hieß Naomi. Seine beiden Söhne hießen Machlon und Kiljon. Sie gehörten zur Großfamilie der Efratiter, die aus Betlehem im Land Juda kam.

Sie gingen nach Moab und ließen sich dort nieder. Da starb Naomis Mann Elimelech, und sie blieb mit ihren zwei Söhnen zurück. Die beiden heirateten Moabiterinnen. Eine hieß Orpa und die andere Rut. Ungefähr zehn Jahre lang wohnten sie in Moab. Dann starben auch die beiden Söhne Machlon und Kiljon. Naomi blieb allein zurück, ohne Söhne und Mann.

Naomi machte sich auf und zog aus Moab weg, zusammen mit ihren Schwiegertöchtern. Sie hatte dort nämlich erfahren, dass der Herr sich um sein Volk kümmerte und ihm Brot gab. So verließ sie den Ort, an dem sie gelebt hatte. Die beiden Schwiegertöchter begleiteten sie auf dem Weg zurück ins Land Juda. Unterwegs sagte Naomi zu ihren beiden Schwiegertöchtern: »Kehrt um! Geht zu euren Müttern zurück! Der Herr soll euch genauso lieben, wie ihr die Verstorbenen und auch mich geliebt habt. Er soll dafür sorgen, dass ihr ein neues Zuhause findet bei neuen Ehemännern. Naomi küsste die beiden. Aber sie weinten laut und baten Naomi: »Lass uns mit dir zu deinem Volk zurückkehren!«

Musik

Doch Naomi erwiderte: »Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Ich kann keine Söhne mehr zu Welt bringen, die euch heiraten würden. Kehrt um, meine Töchter! Geht! Ich bin einfach zu alt für eine neue Ehe. Selbst wenn ich es nicht wäre –wenn ich noch heute Nacht mit einem Mann schlafen und danach Söhne zur Welt bringen würde: Wollt ihr wirklich warten, bis sie groß sind? Wollt ihr euch so lange einschließen und mit keinem Mann verheiratet sein? Nein, meine Töchter! Mein Schicksal ist zu bitter für euch! Die Hand des Herrn hat mich getroffen.« Da weinten die beiden noch lauter. Orpa küsste ihre Schwiegermutter zum Abschied. Aber Rut blieb bei Naomi.

Noomi sagte zu Rut: »Schau! Deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott. Mach es wie sie: Kehr um!« Aber Rut antwortete: »Schick mich nicht fort! Ich will dich nicht im Stich lassen. Ja, wohin du gehst, dahin gehe auch ich. Und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott! Wo du stirbst, da will auch ich sterben, und da will ich auch begraben sein. Der Herr soll mir antun, was immer er will! Nichts kann mich von dir trennen außer dem Tod.« Naomi sah, dass Rut entschlossen war, mit ihr zu ziehen. Da hörte sie auf, es ihr auszureden. So wanderten sie gemeinsam nach Betlehem.

Lied     593, 1 – 3            Licht, das in die Welt gekommen

Predigt
Die Gnade Gottes, die Liebe unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,
die Zeit des Buches Ruth, die sog. Richterzeit, liegt über 3000 Jahre zurück. Europa ist noch kaum zur Geschichte erwacht. Weite Landstriche sind noch nicht gerodet. Die Menschen leben unter einfachsten Bedingungen. Im vorderen Orient aber ist die Kultur schon lange erwacht. In Israel gibt es bereits Städte, aber noch keinen Staat, keinen König, sondern Richter. Im Land herrscht tiefste wirtschaftliche Not. Die Landwirtschaft ist mühselig, dem Handel bleiben die Kunden aus. Wer nur irgend kann, geht woanders hin. Denn dort in der Fremde lockt die Chance eines besseren Lebens.

So war es vor dreitausend Jahren im Orient, als Elimelech mit seiner Frau Naomi von Bethlehem nach Moab zog. So war es, als viele Deutsche vor vierhundert Jahren in den Osten aufbrachen oder vor zweihundert in die andere Richtung nach Amerika – oder nach dem Krieg als Flüchtlinge oder Vertriebene hierher in den Westen kamen. So ist es auch, wenn Soldaten von ihrer Regierung in ein anderes fernes Land geschickt werden und dort ihre Liebe finden. Und dann in Friedberg oder Bad Nauheim Fuß fassen, wie Elvis oder viele andere amerikanische Soldaten. Und etliche deutsche Frauen folgten ihnen in ein besseres Leben.

Und so war es auch 2016 bei dem berühmten „Wir schaffen das“ unserer Kanzlerin: als sich, wie immer noch, tausende von Menschen aus den armen Regionen unserer Erde auf den Weg gemacht haben und es immer noch machen – sie kommen nur nicht mehr bis zu uns. Die Wirtschaft, die Politik, die Geschichte, die persönlichen Verhältnisse wirbeln immer wieder die Menschen, das Leben durcheinander.

Grenzgänger – die Bibel ist voll davon. Der Kämmerer aus Äthiopien, der unterwegs getauft wird; Mose, der sein Volk aus Ägypten bis in das gelobte Land führt; Maria und Josef, die bald nach der Geburt ihres Kindes gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, weil sie bedroht sind und es dort kein Leben für sie mehr gibt: Die Bibel ist voller Geschichten über Menschen, die fliehen und Grenzen überschreiten.

„Sie kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden“: Meine Großeltern kamen aus dem Osten, aus dem Sudetenland. Haus, Fabrik und Sägewerk, die schönen Parks und das Theater- und Opernhaus von Teplitz – sie mussten alles zurücklassen. Den einzigen Wertgegenstand, den mein Vater dabeihatte, eine Armbanduhr, musste er an der Grenze abgeben. Grenzgänger. Und es war nicht gerade so, dass man hier mit offenen Türen auf die Vertriebenen und Geflüchteten gewartet hätte.  „Kalte Heimat“ heißt ein Buch über diese Zeit in Deutschland.

Solche Grenzgänger haben wir zum Glück auch in unserer Gemeinde: Christinnen und Christen, aber auch Muslime aus Syrien, dem Iran, Äthiopien. Aus dem Süden jetzt also. Einige Menschen in unserer Gemeinde haben sich von Anfang an für die zu uns Geflüchteten eingesetzt und tun dies bis heute. Wenn es um die Sprache oder die Wohnung geht, die Arbeit und vor allem die Aufenthaltserlaubnis.

Moab liegt östlich von Israel. Dort starb Elimelech schon nach kurzer Zeit. Die Söhne aber heirateten Moabiterinnen, weil sie sich heimisch fühlten in diesem Land. Aber auch die Söhne starben früh und kinderlos – und hinterließen dadurch drei mittellose Frauen. Da besinnt sich Naomi auf ihre Heimat, aus der es inzwischen wieder bessere Nachrichten gibt. Und ihre Schwiegertöchter begleiten sie bis vor die Grenze. Dort wird Naomi klar, dass ihre beiden Schwiegertöchter in ihrer eigenen Heimat, bei ihren leiblichen Müttern mehr Möglichkeiten haben – deshalb gibt sie sie nun frei. Freiheit ist die Grundbedingung von Liebe.

Orpa entscheidet sich dafür, in ihrer Heimat zu bleiben. Und so trennen sich ihre Lebenswege, den Ruth sagt das große Wort, das zu einem beliebten Trauspruch wurde: „Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. 17 Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.“ (Luther 2017)

Deutlicher kann man es kaum ausdrücken. Was als Geschenk leben bedeutet, wird als Forderung zum Tod. Mit diesem Vers schenken sich Menschen einander, schenken einander ihr Leben. Und indem sie sich verschenken, werden sie unendlich reich. Ruth wird zur Grenzgängerin, die sich ganz auf Neues einlassen kann. Und es lag der Segen Gottes auf dem Lebensweg der Ruth, die zur Großmutter Davids wurde, und zur Ahnfrau Jesu.

Ein schon immer erstaunlicher Text, ein wunderschönes Buch. Goethe hat es als seicht abgetan. Das finde ich nicht. Vielleicht war es glaubenspolitisch gemeint: als Gegenposition zu den gesetzestreuen Schriftgelehrten, die schon damals Mischehen abgelehnt haben. Davids Stammbaum beruht auf Mischehen.  Und in vielen unserer Familien ist das ja auch heute ein Thema.

Ich persönlich bewundere diese Grenzgängerin.  Ihren Mut, ihr Offenheit, ihr Vertrauen. Davon würde ich mir manchmal gerne eine Scheibe abschneiden. Denn auch wir müssen uns doch immer wieder auf etwas ganz Neues, Unbekanntes einlassen – uns neu einlassen auf Gott, der einen anderen, neuen, unbekannten Weg mit uns gehen will.

Und dann schaue ich mich um und bin überrascht: Solche Grenzgänger gibt es hier bei uns, in unserer Gemeinde. Und sogar in meiner eignen Familie. Da müsste es doch auch mir möglich sein …

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

Lied    395                        Vertraut den neuen Wegen

Fürbitte
Gott, in Jesus Christus offenbarst du uns deine Liebe zur Welt.
Wir bitten dich: Lass dein Wort und deine Hoffnung stark in uns werden. Dass wir frei werden von dem Blick, der nur uns selbst gilt.
Schenke uns Kraft und Mut das zu tun, was vor uns liegt, den Nächsten im Blick.
Wir bitten dich für die Völker der Erde in Nord und Süd, in Ost und West:
Dass sie einander Vertrauen schenken, dass sie sich miteinander auf den Weg machen
Und mit vereinten Kräften einander dienen.
Wir bitten dich für die Kirchen:
Dass sie ihren Platz an er Seite der Ärmsten finden und sich ohne Furcht überall für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.
Wir bitten dich für die vielen Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben auf der Suche nach Leben und Auskommen,
dass Lager und kleine Boote, dass Kälte und Nässe keine Endstation werden sondern ein Ausgangspunkt sind.
Und wir bitten dich für uns selbst:
Dass uns keine Zeit zu kostbar und kein Weg zu weit ist, wenn andere uns brauchen.

Unsere Bitte, unseren Dank legen wir in das Gebet, das uns Jesus Christus gelehrt hat:

Vater Unser

Lied:        614, 1 – 3            Lass uns in deinem Namen, Herr

Segen

Nachspiel

Gottesdienst am 17.1.2021 von Pfarrerin Susanne Pieper

Musik

Begrüßung
Wir feiern Gottesdienst. Das Weihnachtsfest tragen wir noch in unseren Herzen, zugleich aber hat das Andere uns schon wieder fest im Griff: der Beruf, die Schule, die alltäglichen Aufgaben.  Doch jetzt feiern wir den Gottesdienst.  Aus der Wilhelmskirche in Bad Nauheim begrüße ich Sie und euch dazu herzlich -  an den Laptops, den Tablets und den Smartphones.

Gottesdienst -  das ist wie ein Fest, das den Alltag unterbricht. Wir lassen uns darin berühren von Gottes Reich, das wir schon hier und jetzt immer wieder einmal spüren können. Auch der biblische Spruch der neuen Woche lässt uns davon etwas erahnen. Im 1. Kapitel des Johannesevangeliums, Vers 16 steht er geschrieben: „Aus seiner göttlichen Fülle hat er uns beschenkt, hat uns mit Güte überschüttet.“

Wir feiern den Gottesdienst im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 23
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führt mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele. Er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Gebet
Du, Quelle unserer Kraft, wir blicken zurück auf unser Leben und sehen: du hast uns schon reich beschenkt. Und täglich neu beschenkst du uns mit deiner Gegenwart. Du willst uns auch heute begleiten, willst unserem Leben Sinn und Ziel geben.

Deshalb wagen wir es mit dir, auch wenn wir nicht wissen, wohin die Wege gehen, die du mit uns gehst.

Deinen Glanz suchen wir in unseren Tagen. Darum bitten wir: Komm zu uns.  Sprich uns an mit deinem guten, heilenden Wort.
Amen.

Lied: EG 66,1.4.5 Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude

Lesung aus Johannes 2,1-12
Am dritten Wochentag fand eine Hochzeit in Kana in Galiläa statt, und die Mutter Jesu war dort. Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen.
Als der Wein ausgegangen war, sagte die Mutter Jesu zu ihm: „Sie haben keinen Wein mehr!“ Jesus aber sagte zu ihr: “Was haben wir miteinander zu tun, Frau? Meine Zeit ist noch nicht gekommen.“ Seine Mutter sagte zu den Bediensteten: „Was auch immer er euch sagt, das tut!“
Nun standen dort sechs steinerne Wasserkrüge. Man benutzte sie für die Waschungen, die nach dem jüdischen Gesetz nötig sind. Jeder von ihnen fasste 100 Liter. Jesus sagte zu den Bediensteten: „Füllt die Krüge mit Wasser!“ Und sie füllten sie bis zum Rand. Und er sagte zu ihnen: „Schöpft jetzt etwas davon und bringt es dem Küchenchef!“ Und sie brachten es ihm. Der Mann probierte das Wasser: es war zu Wein geworden! Er wusste allerdings nicht, woher der Wein kam. Nur die Diener wussten Bescheid.
Da rief er den Bräutigam zu sich und sagte zu ihm: „Alle Menschen schenken zuerst den guten Wein aus, und erst dann, wenn die Gäste schon betrunken sind, kommt der billigere Wein auf den Tisch. Du aber hast den guten Wein bis jetzt aufgehoben.“
So vollbrachte Jesus im Dorf Kana in Galiläa sein erstes Wunderzeichen. Er offenbarte damit seinen göttlichen Glanz, und seine Jünger glaubten an ihn. Danach ging er mit seiner Mutter, seinen Brüdern und seinen Jüngern nach Kapernaum. Und sie blieben einige Tage dort.

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,

die Hochzeit ist in vollem Gange. Ein Fest der Liebe, ein Fest der Freude und des Lebens. Es wird gefeiert, mehrere Tage lang. Der Duft von Köstlichkeiten erfüllt den Festsaal: gebratenes Lamm, Oliven, süße Feigen und gefüllte Datteln.  Musik und Tanzen, Singen und ausgelassene Freude, Genuss pur. Und mit Jesus und seiner Mutter sind noch viele andere Gäste eingeladen. Das ganze Dorf feiert mit. Da kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, möchte man meinen.

Maria beobachtet hinter einer Tür des Festraumes das fröhliche Treiben. Sie war dabei bei der Vorbereitung des großen Festmahls. Sie gehört zum Team, das alles organisiert hat. Und ihrem wachen Blick entgeht es nicht, dass sich immer mehr Weingläser leeren. Sie bemerkt es als erste, dass der Wein ausgeht.

Eine schwierige, ja außerordentlich peinliche Situation bahnt sich da für das Brautpaar an. Möglicherweise sogar das abrupte Ende einer unbeschwerten Feier. Unerträglich diese Vorstellung für jede, die schon einmal eine große Feier ausgerichtet hat. Maria überlegt, was sie tun könnte, um das Fest zu retten.

Sie bittet ihren Sohn zu helfen. Ist er nicht gerade mit einigen jungen, kräftigen Freunden gekommen?  Vielleicht könnten sie in der Umgebung Nachschub besorgen oder ihm fällt etwas Anderes ein.

„Sie haben keinen Wein mehr.“ Ein Satz mit Aufforderungscharakter. Zwischen den Zeilen ist viel zu hören. Schroff und unwirsch reagiert der Sohn darauf, der Erwachsene, der, der inzwischen sogar Lehrer ist und seine Schüler dabei hat: „Was haben wir miteinander zu tun, Frau?“ Er nennt sie nicht einmal Mutter! Als wollte er alle alten Bindungen kappen, als wollte er sich abbeißen vom Elternhaus. Erwachsene Kinder fühlen sich oft angefixt, wenn sie Sätze mit Appellcharakter von den Eltern hören: „Du brauchst mir nicht zu sagen, was ich zu tun habe. Das ist jetzt ganz allein meine Sache!“ Es klingt wie die letzte Ablösung: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen!“

Maria hält das aus, dass er sich so entschieden abgrenzt. Als würde sie diese Unfreundlichkeit ihres Sohnes überhören.  Sie ruht in sich. Und sie ist sich sicher, dass er ihre Botschaft trotzdem verstanden hat. Er wird etwas tun – was auch immer. Voller Vertrauen wendet sie sich an die Diener: “Was er euch sagt, das tut!“

Und wenig später tritt der Sohn tatsächlich in Aktion.  Er lässt die Wasserkrüge mit frischem Wasser füllen, bis zum Rand. Und wie von Zauberhand wird ein ganz besonderer Wein daraus -  ein Wein der Extraklasse. In Hülle und Fülle, 600 Liter, das wären heute 750 Flaschen Wein. Nun kann in vollen Zügen weitergefeiert werden, bis das Fest zuende ist.

Ein Wunder, ein erstes Zeichen, das Jesus in die Öffentlichkeit hinein setzt -  auch wenn es nur im Stillen geschehen ist, auch wenn es nur einige Wenige bemerkt haben.

Was ist hier passiert? Was bedeutet es, dass Jesus solch ein Zeichen tut?

Es bedeutet, dass Jesus radikal dem Leben zugewandt ist. Er spürt, was die Menschen in einer bestimmten Situation brauchen. Und was jetzt gerade dran ist. Er ist wach und aufmerksam. Hier rettet er ein gefährdetes Fest. Dieses Fest soll gelingen für das junge Paar – es soll ein verheißungsvoller, fröhlicher Auftakt sein für ihr Leben, das noch genug harte Tage mit sich bringen wird. Mit dem, was er tut, segnet er die Partnerschaft der beiden. Er rettet den gefährdeten Anfang. Und wenn ich mir Jesus irgendwo in den Evangelien ausgelassen und fröhlich vorstellen kann, dann hier: wie er dem jungen Paar aus tiefstem Herzen ein frohes „Lechajim“ zuprostet.

Die große Zeit seines Wirkens beginnt mit einer Hochzeit. Mit Freude und Leichtigkeit, mit Musik und Gesang, Speis und Trank als Vorgeschmack auf das anbrechende Reich Gottes. So öffnet Jesus mit seinem ersten Zeichen das Tor zum Himmelreich einen kleinen Spalt weit.  Wo er kommt, wo er eingeladen wird, da bringt er Freude, Fülle und Glanz mit. Mitten im Leben.

Das ist gut zu wissen und zu hören. Mitten im kalten Januar. In diesen schwierigen und herausfordernden Zeiten, in denen wir uns danach sehnen, wieder einmal ausgelassen zu sein wie die Gäste in Kana damals, zu feiern und zusammen zu sein. Unsere Familienfeste zu feiern. Eine Hochzeit.  Eine Taufe oder eine Konfirmation. Ich glaube, in diesen Zeiten leben wir davon, dass wir unsere Erinnerungen wachhalten an die frohen Momente, an die festlichen Zeiten, die wie Lichtpunkte in unserem Leben strahlen. Und wir leben von der Zuversicht, dass sie wieder möglich sein werden!

Die Geschichte von Kana bringt mich zugleich ins Fragen:

Gibt es auch heute noch Wunder? In unserer komplizierten, verwundeten und zerbrechlichen Welt? In dieser Welt, die wie auf den Kopf gestellt wirkt?

Ich glaube, dass Gott auch heute, in unserer Welt, seinen Glanz leuchten lässt. Er will die Menschen glücklich sehen. Das lernen wir aus der Geschichte von Kana. Und wir sind gefragt, ob wir uns die Zeit nehmen, nach innen zu hören, mitten in unserem Alltag und in unseren Häusern. Ob wir neugierig genug sind, ob wir offen genug sind, die Zeichen Gottes in unserem Leben zu erkennen.

Für mich lässt Gott seinen Glanz leuchten, wo Menschen einander Freude machen.  Wo sie aufeinander achten, nacheinander fragen und füreinander einstehen. Wo sie sich unterstützen und trösten. Da öffnet sich das Tor zum Himmelreich schon einen Spalt.

Gott lässt für mich seinen Glanz leuchten, wo Menschen Heilung erfahren -  Gesundung nach einer Erkrankung, wo sie ins Leben zurückfinden nach tiefer Trauer, wo sie aufgerichtet werden und neue Hoffnung schöpfen.

Zuletzt war das Weinwunder nicht weniger als ein Schöpfungsakt. Ein Wunder ist es für mich auch, wenn Menschen aus Antigenen und ganz verschiedenen Inhaltsstoffen ein medizinisches Heilmittel entwickeln, das den Menschen zugute kommt und ihr Leben schützt. Der Impfstoff und die Erkenntnisse unserer Forscher -  auch sie sind ein Wunder unserer Zeit. Auch durch sie lässt Gott heute seinen Glanz leuchten. Er will die Menschen glücklich sehen.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen.

Lied: EG 632,1-4 Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht

Fürbitten
Lichtvoller Gott,
du lässt deinen Glanz leuchten unter uns, wo wir liebevoll miteinander umgehen. Da zeigt sich dein Himmel schon mitten in unserer Welt. Lass uns die guten, frohen Momente unseres Lebens genießen. Bringe uns dazu, sie zu erinnern und lass sie groß bleiben bei uns.

Wir bitten dich für alle, die in ihrem Leben keine schönen Seiten mehr sehen können. Lass sie aufatmen. Schenke ihnen eine neue Hoffnung.
Wir bitten dich für die vielen Menschen, die krank sind. Stärke sie in ihrer Angst und Not und stehe ihnen bei.

Wir bitten dich für alle Frauen und Männer im medizinischen Dienst, für alle, die sich um jeden Einzelnen  sorgen. Erfülle sie mit Geduld, mit Kraft und Durchhaltevermögen. Lass sie Zeiten zur Entspannung finden.

Wir bitten dich für alle, die in dieser Zeit um einen lieben Menschen trauern. Führe sie durch das Tal der Dunkelheit hindurch.  Sei du ihnen nahe und trockne ihre Tränen.
Unser Gott, sei du bei uns allen.  Wir bitten dich um deinen Segen.  Lass deinen Glanz leuchten unter uns.

Und gemeinsam beten wir das Vaterunser

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
Und die Kraft
Und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Abkündigungen

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen

Musik

Gottesdienst am 10.1.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

Herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst. Gefühlt ist Weihnachten schon wieder ganz weit weg, dabei sind es gerade mal 2 Wochen. Das neue Jahr hat begonnen und nimmt uns ganz hinein in seinen Bann. Aber die Geburt im Stall das war nicht nur ein Traum. Die Geschichte von Jesus ging weiter. Zu Beginn seines Wirkens lässt Jesus sich von Johannes im Jordan taufen. Und allerspätestens als die Stimme Gottes zu hören ist, die sagt: „Dies ist mein geliebter Sohn!“ allerspätestens wird deutlich: Dieser Jesus ist mit Gottes Geist erfüllt. Auf ihn sind wir alle Christinnen und Christen getauft. Nicht, weil wir so besonders großartig wären, sondern weil er uns liebt. So ermutigt feiern wir unseren Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Musik

Psalm 89,2-5.27-30
2Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich
und seine Treue verkünden mit meinem Munde für und für;
3denn ich sage: Auf ewig steht die Gnade fest;
du gibst deiner Treue sicheren Grund im Himmel.
4»Ich habe einen Bund geschlossen mit meinem Auserwählten,
ich habe David, meinem Knechte, geschworen:
5Ich will deinem Geschlecht festen Grund geben auf ewig
und deinen Thron bauen für und für.« SELA.
Er wird mich nennen: Du bist mein Vater,
mein Gott und der Hort meines Heils.
28Und ich will ihn zum erstgeborenen Sohn machen,
zum Höchsten unter den Königen auf Erden.
29Ich will ihm ewiglich bewahren meine Gnade,
und mein Bund soll ihm fest bleiben.
30Ich will ihm ewiglich Nachkommen geben
und seinen Thron erhalten, solange der Himmel währt.

Gebet
Himmlischer Vater,
du hast uns in unserer Taufe dazu berufen,
deine Kinder zu sein.
Wir danken dir, dass du uns mit deinem Heiligen Geist
begabst und immer neu beschenkst.
Hilf uns, dass wir nach deiner Verheißung leben,
als deine Kinder, die du mit Liebe beschenkst
und mit Weisheit begabst.
Dies bitten wir im Namen deines Sohnes,
Jesus Christus, der uns zum Bruder wurde.
Amen.

Schriftlesung Matthäus 3,13-17
Jesu Taufe
(Mk 1,9-11; Lk 3,21-22; Joh 1,32-34)
13Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. 14Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?
15Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt zu! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er’s ihm zu.16Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. 17Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Glaubensbekenntnis

Musik

Predigt

Predigttext
Brief an die Gemeinde in Rom 12,1-8
1Ich ermutige euch, Geschwister: Verlasst euch auf Gottes Mitgefühl und bringt eure Körper als lebendige und heilige Gabe dar, an der Gott Freude hat. Das ist euer vernunftgemäßer Gottes-Dienst. 2Schwimmt nicht mit dem Strom, sondern macht euch von den Strukturen dieser Zeit frei, indem ihr euer Denken erneuert. So wird euch deutlich, was Gott will: das Gute, das, was Gott Freude macht, das Vollkommene.
3Erfüllt von der Zuneigung Gottes, die mir geschenkt wurde, sage ich nun einer jeden und einem jeden von euch: Überfordert euch nicht bei dem, wofür ihr euch einsetzt, achtet auf eure Grenzen bei dem, was ihr vorhabt. Denn Gott hat jedem und jeder ein bestimmtes Maß an Kraft zugeteilt, Vertrauen zu leben. 4Denkt an unseren Körper. Er ist eine Einheit und besteht aus vielen Körperteilen, aber nicht jedes Teil hat dieselbe Aufgabe. 5So sind wir, obwohl wir viele sind, doch ein einziger Körper in der Gemeinschaft des Messias. Einzeln betrachtet sind wir Körperteile, die sich füreinander einsetzen. 6Wir haben jeweils unterschiedliche Fähigkeiten, die uns in göttlicher Zuwendung geschenkt wurden:
Wer die Gabe hat, prophetisch zu reden, nutze sie, um deutlich zu machen, welches Handeln dem Vertrauen auf Gott entspricht. 7Wer die Gabe hat, für andere zu sorgen, nutze sie zum Wohl der Gemeinschaft. Wer die Gabe hat zu lehren, nutze sie, um andere am Wissen teilhaben zu lassen. 8Wer die Gabe hat zu trösten, nutze sie, um andere zu ermutigen. Wer mit anderen teilt, sei aufrichtig dabei. Wer eine Leitungsaufgabe übernimmt, fülle sie mit Begeisterung aus. Wer solidarisch mit anderen lebt, soll es heiter tun.

Liebe Gemeinde,

bevor ich vor 5 Jahren hier in unserer Kirchengemeinde die Pfarrstelle Ost übernommen habe, (damals noch zusammen mit dem Kollegen Dr Becke), war ich 10 Jahre im Schuldienst tätig. Erst in Herborn am Gymnasium, dann an der St Lioba Schule hier in Bad Nauheim. Es war eine Arbeit, die mir viel Spaß gemacht. Inhalte und Werte zu vermitteln an junge Menschen; mit ihnen im Dialog zu sein. Gemeinsam einen Weg gehen. Dazu gehört auch ganz oft die Jugendlichen zu ermutigen. Sie zu unterstützen, indem was sie gerade tun, wo sie gerade dran sind. Und es ist toll zu beobachten, welche Fähigkeiten da zu Tage kommen, wie Erlerntes angewendet wird, wie aus Frustration und Resignation wieder Mut und Lebensfreude wird. Sie kennen das vielleicht von ihren eigenen Kindern. Als Eltern ist man immer wieder gefordert zu ermutigen. Das fängt bei den Kleinsten an, wenn der Frust groß ist, weil das mit dem Laufenlernen nicht so schnell klappt, wie gewünscht. Und es zieht sich durch das ganze Leben durch. Eigentlich hört es nie auf. Wir Menschen brauchen immer wieder andere, die uns Mut zu sprechen. Die für uns da sind, wenn wir in einer Sackgasse feststecken Wenn einfach alles schiefläuft. Und wie gut ist es da jemanden zu haben, der einen in den Arm nimmt oder einfach ein aufmunterndes Wort findet. Und es tut auch dem gut, der helfen kann. Es ist eine schöne und gute Erfahrung, helfen zu können. Ermutigen zu können. Das erfüllt und befriedigt zutiefst. Kirche nimmt auf ganz unterschiedliche Weise diese Aufgabe wahr, Menschen zu ermutigen. In der Seelsorge, der Lebensberatung, in Gruppen und Kreisen, in den Kindergärten und der Arbeit mit Jugendlichen usw.

Im Evangelium für den heutigen Sonntag hörten wir davon, wie eine Stimme aus den Himmeln zu hören war und Jesus ermutigte: „Dieses ist mein geliebtes Kind, ihm gehört meine Zuneigung.“ (Mk 1,11 eigene Übersetzung)

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir helfen meist ermutigende Worte mehr als gutgemeinte Ratschläge, die ganz genau vorschreiben, wie das Problem zu lösen ist. Noch besser ist es, gemeinsam zu überlegen und auszuprobieren, wie etwas funktionieren kann. Ein klassisches Beispiel ist da vielleicht dieses:

Wenn die (Groß-)mutter lernen möchte, wie sie eine Story auf instagram postet und verbreitet, hilft es nichts, wenn die Enkeltochter das Smartphone nimmt und alles schnell alleine tippt, sondern sie muss der (Groß-)mutter nur erklären, wie es geht. Die aber muss selber die Funktionen, die Tasten ausprobieren, selber tippen und ermutigt werden, zu probieren. Dann kann sie es bald alleine. Ähnlich geht es mir auch bei größeren Herausforderungen im Leben.
 
„Ich ermutige euch, Geschwister“. (Röm 12,1 BIGS 2011) Mit diesen Worten beginnt der heutige Predigttext. Wir haben ihn vorhin als Epistel gehört. Paulus schreibt ihn an die Gemeinde in Rom. Ermutigung brauchen die Menschen dort. Das Leben ist nicht leicht. Rom war damals das, was wir heute als eine Mega-City bezeichnen. Groß, reich, mächtig und strahlend, aber zugleich auch arm, verelendet, gewaltvoll. Ich stelle mir vor, wie die die, die sich zu Christus zählen, abends nach einem langen anstrengenden Tag zusammenkamen. Einige von ihnen hungrig, weil sie am Tage nicht genügend Geld für Essen verdient hatten. Sie hoffen, dass andere ihnen etwas zu essen mitgebracht haben, dass Speisen geteilt werden. Alle eint, dass sie anders leben wollen, als sie es jetzt tun. Sie sehnen sich nach einer gerechteren Welt. Sie wollen die Gebote der Tora, der Heiligen Schrift, halten, können es aber nicht, denn die Gesetze und das System des römischen Reiches sehen ein anderes Leben und andere Regeln für alle vor. Ich stelle mir vor, wie eine den Brief des Paulus in den Händen hält und aus ihm vorliest. „Ich ermutige euch, Geschwister“. Aufbauende Worte!
„Ich ermutige euch, Geschwister: Verlasst euch auf Gottes Mitgefühl und bringt eure Körper als lebendige und heilige Gabe dar, an der Gott Freude hat. Das ist euer vernunftgemäßer Gottes-Dienst. 2Schwimmt nicht mit dem Strom, sondern macht euch von den Strukturen dieser Zeit frei, indem ihr euer Denken erneuert. So wird euch deutlich, was Gott will: das Gute, das, was Gott Freude macht, das Vollkommene.“ (Röm 12,1-2 BIGS 2011)

Paulus ermutigt zu einem guten Leben, das Gott gefällt. Ein Leben, das nicht dem Mainstream entspricht. Ein Leben, das anders ist, das sich nicht von den herrschenden römischen Idealen leiten lässt, wo nur die Stärkeren gewinnen. Wo militärische Durchschlagskraft zählt. Wo es ein äußerst komfortables Oben für wenige und ein bitteres Unten für viele gibt. Wo Ausbeutung und Gewalt, auch sexualisierte Gewalt, ganz normal sind. Wo nach unten hin getreten wird.

„Schwimmt nicht mit dem Strom.“ (Röm 12,2 BIGS 2011)
Wer nicht mit dem Strom schwimmen möchte, braucht Mut, Ermutigung, Unterstützung. Es ist anstrengend. Damals wie heute. Paulus versichert den Menschen damals, dass Gott an und auf ihrer Seite ist. Mit diesem Zuspruch ruft er auf: „Bringt eure Körper als lebendige und heilige Gabe dar.“ (Röm 12,1 BIGS 2011)

So ermutigt Paulus die Versammelten, sich für Gott einzusetzen. Nicht irgendwie abstrakt, sondern ganz konkret mit dem Körper.

Wer sich für Gott einsetzt, wer aufsteht, aus dem Mainstream ausbricht, sich widersetzt, gegen den Strom schwimmt, braucht dafür eine Gemeinschaft, die diesen Dienst an Gott mitträgt. Es gibt Grenzen, denn so ein Dienst ist anstrengend. Deshalb schreibt Paulus weiter:

„Erfüllt von der Zuneigung Gottes, die mir geschenkt wurde, sage ich nun einer jeden und einem jeden von euch: Überfordert euch nicht bei dem, wofür ihr euch einsetzt, achtet auf eure Grenzen bei dem, was ihr vorhabt. Denn Gott hat jedem und jeder ein bestimmtes Maß an Kraft zugeteilt, Vertrauen zu leben.“ (Röm 12,3 BIGS 2011)

Wie ermutigend diese Mahnung, sich nicht zu überfordern! Stellen auch Sie sich manchmal die Frage, ob Sie auch wirklich genug tun, die Zeit nicht verplempern, sondern Ihre Fähigkeiten voll und ganz ausschöpfen? Wie ermutigend ist es zu lesen, dass ich auch Pausen einlegen darf, dass andere auch da sind. Paulus ermutigt weiter, indem er die Gemeinschaft betrachtet und darum wirbt, sie einmal genauer wahrzunehmen:

„Denkt an unseren Körper. Er ist eine Einheit und besteht aus vielen Körperteilen, aber nicht jedes Teil hat dieselbe Aufgabe. So sind wir, obwohl wir viele sind, doch ein einziger Körper in der Gemeinschaft des Messias. Einzeln betrachtet sind wir Körperteile, die sich füreinander einsetzen. Wir haben jeweils unterschiedliche Fähigkeiten, die uns in göttlicher Zuwendung geschenkt wurden:
Wer die Gabe hat, prophetisch zu reden, nutze sie, um deutlich zu machen,
welches Handeln dem Vertrauen auf Gott entspricht.
Wer die Gabe hat, für andere zu sorgen,
nutze sie zum Wohl der Gemeinschaft.
Wer die Gabe hat zu lehren,
nutze sie, um andere am Wissen teilhaben zu lassen.
Wer die Gabe hat zu trösten, nutze sie, um andere zu ermutigen.
Wer mit anderen teilt, sei aufrichtig dabei.
Wer eine Leitungsaufgabe übernimmt, fülle sie mit Begeisterung aus.
Wer solidarisch mit anderen lebt, soll es heiter tun.“ (Röm 12,4-8 BIGS 2011)

In der Gemeinschaft sind alle wichtig. Jede und jeder kann und soll sich einbringen mit dem, was sie, was er kann. „Ihr seid ein Körper“ – oder anders betont: „Ihr seid ein Körper.“ An anderer Stelle sagt Paulus sogar: „Ihr seid der Körper des Messias – das soma Christou" (1 Kor 12,27 BIGS 2011)

Als Christus-Innigkeit hat ein Theologe dieses Bild einmal bezeichnet. Ein schönes Wort! Christusinnigkeit. In Christus zu sein, in Gemeinschaft, in Beziehung. Diese Gemeinschaft ist kraftvoll. Sie ermutigt und erfährt Ermutigung. So ist es möglich, nicht mit dem Strom zu schwimmen, sondern sich von den Strukturen dieser Zeit frei zu machen.

Beim Lesen und Hören unseres Predigttextes habe ich eine Gruppe von älteren Frauen vor Augen, die heute das tun, wozu Paulus ermutigt. Sie sehen, dass in unserem System etwas schief läuft. Sie nehmen wahr, dass Respekt, gleiche Rechte für alle in Deutschland lebenden Frauen, Männer und Kinder in Gefahr sind. Sie sehen wie Frauenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus zunehmen und wollen dies nicht hinnehmen. Sie sehen unsere parlamentarische Demokratie in Gefahr. Deshalb organisieren Widerstand.

Sie gehen auf die Straße und nehmen an Demos und Kundgebungen teil Auch hier in der Wetterau bin ich ihnen im letzten Jahr bei Kundgebungen gegen Rechts begegnet. Sie strahlen eine große Lebensenergie und Lebenserfahrung aus. Sie haben alle schon etwas erlebt in ihrem Leben. Darum wissen sie auch um ihre Grenzen. Sie können sich auf andere verlassen. Und da es einfach ist, dazu zu gehören, schließen sich immer mehr Frauen an. Sie wollen auffallen, aber nicht als Einzelperson und Ausnahme, nicht als Star, sondern als Gruppe. Sie wollen heraustreten aus ihrer kleinen heilen Welt und eine gemeinsame starke Stimme für die Zukunft aller Kinder und Enkelkinder sein. Sie wollen, wenn ihre Kinder und Enkelkinder sie fragen: „Was habt ihr getan?“, etwas Ermutigendes erwidern können.

Wissen Sie, welche Gruppe ich meine?

Ich meine die „Omas gegen Rechts“. Es sind nicht nur Christinnen, die sich hier engagieren. Es ist eine überparteiliche, konfessionsunabhängige Initiative. Ich staune über ihre Kreativität, ihren Mut, mit selbstgebastelten Schildern auf Demos zu gehen, sich vor Ort in Regionalgruppen zu verbinden und in den sozialen Medien aktiv zu sein.

Mich ermutigen solche Initiativen. Bei den „Omas gegen Rechts“ nehme ich eine Kraft wahr, die ich aus christlichen Gruppen kenne und die ich so mancher christlichen Gruppe wünsche. Auch wenn sie nicht originär christlich sind, spüre ich dort die Kraft der Auferstehung. Die Frauen schwimmen nicht mit dem Strom. Sie schaffen es, Mutlosigkeit und Resignation zu überwinden. Trotz Rückschlägen bleiben sie an ihren Zielen dran. Sie stehen aktiv für ein gutes Leben ein. Sie setzen dabei ihre unterschiedlichen Fähigkeiten ein. Sie ermutigen. Als eine Bekannte Oma wurde, meinte sie fröhlich: „Jetzt kann ich endlich eine echte ‚Oma gegen Rechts‘ sein.“ Da war sie, diese Heiterkeit und Leichtigkeit von der auch Paulus schreibt. „Wer solidarisch mit anderen lebt, soll es heiter tun.“ (Röm 12,8 BIGS 2011)

Ich glaube, Paulus würde sich freuen, wenn er die „Omas gegen Rechts“ erleben könnte. Sie lassen sich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiegen das Böse mit Gutem. Sie sind für mich eine christusinnige Ermutigung, die ich immer wieder brauche. Sie auch?
Amen.

Musik

Fürbitte

Du hast uns zu deinen Kindern erwählt,
himmlischer Vater.
Wir danken dir, dass du uns als deine Erben berufen hast.
Wir danken dir für die Menschen,
in denen wir deine Liebe erkennen:
Für unsere Eltern, die uns begleiten,
für Freundinnen und Freunde, die uns verstehen,
für unsere Partner und Kinder, mit denen wir das Leben teilen.

Wir bitten dich für alle Kinder,
die wir in den vergangenen Wochen. Monaten und Jahren in deinem Namen getauft haben.
Lass sie deiner Verheißung trauen,
durch die du sie zu deinen Kindern erklärst.
Hilf uns, ihnen den Glauben an dich nahe zu bringen
und ihnen glaubwürdig vorzuleben.

Wir bitten dich für die Eltern unter uns,
die Verantwortung tragen für ihre Kinder.
Gib ihnen ein Herz voller Liebe
und hilf ihnen dabei,
sie den Weg ins Leben zu leiten.
Begabe sie mit deinem Geist
und schenke ihnen den Glauben an dich,
dass sie ihn an ihre Kinder weitergeben.

Wir bitten dich für Lehrerinnen und Lehrer,
Erzieherinnen und Erzieher,
dass sie die Fähigkeiten und Gaben
der Kinder und Jugendlichen entdecken,
die ihnen anvertraut sind.
Und lass sie in ihnen
deine Kinder und dein Ebenbild sehen.

Wir bitten dich für alle Menschen von denen wir in der letzten Woche Abschied nehmen mussten. Sei du bei unseren Verstorbenen und nimm sie auf in deine Ewigkeit. Tröste und stärke die Angehörigen, damit sie Schritte zurück ins Leben gehen können.

Vaterunser

Abkündigungen

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 3.1.2021 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Musik zum Eingang

Begrüßung

Ein herzliches Willkommen Ihnen allen zu unserem Gottesdienst. Ein heller Stern hat die drei weisen Männer aus dem Orient zur Krippe geführt. Sie erkannten das Licht, das mit Jesus über der Dunkelheit der Welt aufgegangen ist. Die Strahlen dieses Licht fallen noch heute in unsere Dunkelheit. Sie dringen in die entferntesten Ecken der Welt und machen vor keiner Grenze halt. Der Apostel Paulus sagt: „Gott hat uns einen hellen Schein in unser Herz gegeben“. Wer diesen Schein spürt, trägt dieses Licht selbst weiter, kann die frohe Botschaft nicht für sich behalten, sondern ist erfüllt von Gottes Liebe. Das Licht lässt Menschen von innen leuchten. Und dieses Leuchten wiederum macht die Gesichter anderer Menschen hell. So breitet sich das Licht immer weiter aus bis in unsere Herzen. Wir wollen uns anstecken lassen vom göttlichen Licht und feiern unseren Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 72
21Von Salomo.
Gott, gib dein Recht dem König
und deine Gerechtigkeit dem Königssohn,
2dass er dein Volk richte in Gerechtigkeit
und deine Elenden nach dem Recht.
3Lass die Berge Frieden bringen für das Volk
und die Hügel Gerechtigkeit.
10Die Könige von Tarsis und auf den Inseln
sollen Geschenke bringen,
die Könige aus Saba und Seba
sollen Gaben senden.
11Alle Könige sollen vor ihm niederfallen
und alle Völker ihm dienen.
12Denn er wird den Armen erretten, der um Hilfe schreit,
Und durch ihn sollen gesegnet sein alle Völker,
und sie werden ihn preisen.
Gelobt sei Gott der Herr, der Gott Israels,
der allein Wunder tut!
19Gelobt sei sein herrlicher Name ewiglich,
und alle Lande sollen seiner Ehre voll werden!
Amen! Amen!

Gebet
Gott,
wir sehnen uns in diesen Tagen nach Licht.
Wir sehen uns nach deinem Licht.
Dein Stern leuchte auch für uns.
Hilf uns, dass wir ihn entdecken.
Vielleicht in einem Gesicht oder einem Lied.
Leite uns mit deinem Wort.
Öffne unsere Herzen für dein Licht.
Amen.

Lied: 53 Als die Welt verloren

Schriftlesung aus dem Matthäusevangelium 2,1-12

Die Weisen aus dem Morgenland
21Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: 2Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.3Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, 4und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. 5Und sie sagten ihm: Zu Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Mi 5,1): 6»Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.«7Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, 8und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete. 9Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. 10Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut 11und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.12Und da ihnen im Traum befohlen wurde, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg wieder in ihr Land.

Glaubensbekenntnis

Lied: 56 Weil Gott in tiefster Nacht erschienen

Predigt
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen

Liebe Gemeinde!
Epiphanias in dunkler Zeit:
Epiphanias – etwas wird offenbar, wird ins Licht gerückt, wird sichtbar. Epiphanias in der dunkelsten Jahreszeit. Vielleicht gerade deshalb, weil es in dieser Zeit so dunkel ist.
Epiphanias, gleichzeitig auch das Fest der heiligen drei Könige, das am 6. Januar also überübermorgen gefeiert wird. Das Fest an dem Kinder (in normalen Jahren) als Sternsinger von Tür zu Tür in unserer Stadt ziehen und den Segen Gottes in die Häuser tragen.
Epiphanias - etwas wird offenbar, etwas zeigt sich, wie durch einen Scheinwerfer gerät etwas in den Fokus.
Es ist die Geburt Jesu, auf die wir den Blick richten. Da ist ein Mensch geboren, aber eben nicht nur ein Mensch. Gott wurde Mensch, so dass sich der Sternenhimmel veränderte, so dass es am Himmel für alle offenbar wurde. Ein neuer Stern ist aufgegangen. Den Menschen geht ein Licht auf und die drei Weisen aus dem Morgenland machen sich auf den Weg:
„Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.“  So heißt es im Matthäusevangelium. (Mt 2,2b, LUTHER 2017)

Menschen geht ein Licht auf und das hat Konsequenzen. Menschen kommen in Bewegung, Festgefahrenes löst sich, Perspektiven tun sich auf, Hoffnung wächst, Sehnsucht gedeiht.

Licht bewegt uns, lässt uns ins Handeln kommen. Zumindest wenn wir das Beispiel der drei Weisen aus dem Morgenland hören. Sie lassen sich zuerst vom Licht bewegen und dann geht es los: Sie sahen das Kind in der Krippe, fielen nieder und beteten es an. Sie taten ihre Schätze auf und schenkten dem Kind Gold, Weihrauch und Myrrhe (vgl. Mt 2,10f).

Wenn die Kinder den Stern durch unsere Stadt tragen, an den Türen der Häuser klingeln und mit einem Lied und Text den Segen zu den Menschen bringen, dann bringen sie das Licht des Sterns zu den Menschen, der die drei Weisen nach Bethlehem geführt hat. Der Stern bringt Licht in die Dunkelheit. Er steht über dem Stall und schickt sein Licht weit in die Dunkelheit hinein. An vielen Weihnachtsbäumen steckt auf der Spitze ein Stern, der an den Stern von Bethlehem erinnert.

Die Kinder schreiben den Segen mit Kreide an die Haustüren, so dass jede und jeder, der das Haus betritt das ganze Jahr über daran erinnert wird: Gott wurde Mensch. Uns Menschen ist ein Licht aufgegangen. Ein Stern steht neu am Himmel. Da ist Licht in dunkler Zeit.

Licht in dunkler Zeit:
Dunkel ist es nicht nur in der Nacht. Dunkel ist es auch, wenn das Leben schwer ist. Wenn unser Alltag durch Katastrophen jedweder Art erschüttert wird. Dunkel ist es, wenn ein lieber Mensch verstorben ist und Trauer den Blick ins Leben verschleiert. Dunkel ist es, wenn die Sorgen um den Arbeitsplatz, um die finanzielle Existenz die Luft zum Atmen nehmen. Dunkel ist es, wenn ich allein bin, weil Besuche aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt sind. Dunkel ist es, wenn kein Spielbesuch kommen darf, um Oma und Opa zu schützen. Dunkel ist es in den vielen Regionen unserer Welt in denen Krieg herrscht und in denen die Hoffnung auf Frieden gegen null geht.

Predigttext: Jes 60,1-6: dunkle Zeit:

Der Predigttext für den heutigen Gottesdienst steht im Buch des Propheten Jesaja. Er ist zu einer Zeit entstanden, in der das Volk Israel sozusagen im Dunkeln lebte. Ohne Hoffnung auf Veränderung. Dies Hoffnungslosigkeit schwingt in den Zeilen des Predigttextes deutlich mit. Es wird ein Bild von einem Land gezeichnet, das geprägt ist von Ungerechtigkeit, Schuld, Unterdrückung, Lügen und Gewalt. Und es scheint unmöglich aus diesem Kreislauf des Bösen auszubrechen.
Da wird Gottes Stimme laut hörbar. Gott spricht sein Volk direkt an, macht Mut die ausgetretenen Wege zu verlassen, neu zu beginnen.
:
„Das Buch Jesaja 60,1-6 (BigS 2011)
1Steh auf, werde licht, denn dein Licht kommt
und der Glanz Gottes strahlt über dir auf!
2Schau nur: Finsternis bedeckt die Erde
und dunkle Wolken die Völkerschaften,
aber über dir wird Gott aufstrahlen, Gottes Glanz wird über dir sichtbar.
3Die fremden Völker werden zu deinem Licht gehen,
königliche Herrschaften zu dem Lichtschein, der über dir aufstrahlt.
4Erhebe deine Augen ringsum und schau!
Sie alle sammeln sich, kommen zu dir!
Deine Söhne werden aus der Ferne kommen
und deine Töchter werden sicher an deiner Seite sein.
5Da wirst du schauen und strahlen,
dein Herz wird erbeben und weit werden,
denn zu dir hin wenden sich die Schätze der Meere,
der Reichtum der fremden Völker kommt zu dir.
6Scharen von Kamelen werden dich bedecken,
junge Kamele aus Midian und Efa.
Aus Saba werden alle kommen, Gold und Weihrauch werden sie bringen,
die Ruhmestaten Gottes verkündigen sie.
(Jes 60,1-6 BIGS 2011)

„Steh auf und werde licht“ (Jes 60,1a BIGS 2011),
Gott ruft seinem Volk zu endlich aktiv zu werden. Nichtmehr einfach alles als gegeben hinzunehmen. Wenn sich etwas ändern soll, dann muss auch etwas getan werden.

Wie ist das bei mir? Wie ist das bei Ihnen? Steh auf und werde licht!

Das hört sich so einfach an und doch kenne wir alle die Erfahrung, wie schwer es ist sich selbst zu motivieren, wirklich etwas zu verändern. Silvester ist noch nicht lange her – gerade mal der 3. Januar ist heute. Wie war das mit den guten Vorsätzen für das neue Jahr? Habe ich es denn geschafft wenigstens einen dieser Vorsätze bis heute durchzuhalten? Es ist so unglaublich schwer – aber es lohnt sich. Es lohnt sich, weil Gott nicht nur fordert, sondern weil er den Weg zeigt: Steh auf und werde licht, denn dein Licht kommt!

Ermutigung statt Befehl
Dieses „Steh auf!“ ist vermutlich gar kein Befehl, keine Aufforderung. Gott ist kein Gott, der Befehle gibt. Gott ermutigt, statt zu befehlen. Gott gibt uns einen kleinen Schubs, so dass wir Lichtes entdecken können. Viele Kerzen haben seit Beginn der Corona-Pandemie die Fenster vieler Häuser erhellt und so an die Opfer und die Helferinnen und Helfer erinnert. Ein zartes Erstes, was an Kraft gewinnt. Keine Kraft durch Stärke und Macht, sondern Kraft im Schwachen, im Zarten, im Vorsichtigen.

Das kenne ich aus der Osternacht. Wenn wir uns hier morgens ganz früh noch im Dunkeln in der Dankeskirche zum Gottesdienst einfinden. So dunkel, dass wir kaum den Menschen neben uns wahrnehmen können. Und dann wird es im Verlauf des Gottesdienstes immer heller. Kerzen werden nach und nach angezündet. Ihr Licht breitet sich aus und erhellt den Kirchenraum. Und wenn dann die ersten Sonnenstrahlen durch die bunten Glasfenster im Chorraum brechen, dann spüre ich wie sich das Licht auch in mir Bahn bricht. Es wird licht in mir. Die Kraft des Lichts breitet sich in mir aus und erfüllt mich: das wärmende Rot, das leuchtende Grün. Ein zartes Gelb – Gold.

„Steh auf und werde licht“ (Jes 60,1a BIGS 2011)genau das spüre ich jetzt.
Und ich schaue und erhebe meine Augen ringsum und schaue, genau so, wie es der biblische Text beschreibt. Körperlich spüre ich die Veränderung. Aus dem Wahrnehmen wird ein Strahlen. Der Blickwinkel ändert sich. Aus dem Wahrnehmen wird ein aktives Schauen: „Erhebe deine Augen und schau!“ (Jes 60,4a BIGS 2011) Ich nehme all das Dunkle wahr. Was eben noch so düster wirkte, ist jetzt nur der Ort, der das Lichte erhellt. Es wird licht. Ich sehe Veränderung. Neues offenbart sich. Das Dunkle wird heller. Licht in der Dunkelheit. Das Licht erreicht mich. Es verändert. Es verändert mich, uns, die Gesellschaft. Lichtes ist da, das Dunkle verliert an Schrecken. Und ich spüre, wie sich alles verändert: endlich!
„Da wirst du schauen und strahlen, dein Herz wird erbeben und weit werden.“ (Jes 60,5a BIGS 2011)
Schauen und strahlen, ein weites Herz in sich spüren.
Es ist Epiphanias. Uns geht ein Licht auf, Gott wird Mensch, der Stern steht über dem Stall. Hoffnung und Sehnsucht, eine Perspektive für das eigene Leben, für das Leben des Volkes, für die Gesellschaft. Genau jetzt kann alles anders werden.
Amen.

Lied: Mache dich auf und werde Licht, denn dein Licht kommt!

Fürbitten

du bist der Morgenstern,
auf dessen Kommen die Völker sehnsüchtig warten.
Wir bitten dich, dass du den Menschen
den Weg zu dir weist,
du sie leitest,
damit sie zu dir kommen,
dem Heiland der Welt.

Wir bitten dich für alle Menschen,
die auf der Suche sind
nach dem Sinn ihres Lebens,
nach Weisheit oder Glück.
Schicke ihnen einen Stern,
der ihnen vorausgeht,
damit sie zu dir finden,
dem Heiland der Welt.

Wir bitten dich für die,
die sich vergraben haben
in ihrem Groll und ihrer Unzufriedenheit,
in ihrer Einsamkeit.
Wir bitten dich für die, die Abschied nehmen mussten von einem geliebten Menschen und deren Blick durch Trauer getrübt ist.
Lass sie den Weg hinaus finden zurück ins Leben,
dass sie zu dir kommen,
dem Heiland der Welt.

Wir bitten dich für uns,
dass wir nicht meinen,
den Weg gefunden zu haben,
sondern auf der Suche bleiben,
damit wir dich neu finden.
Amen.

Vaterunser

Kollekte: Für die Diakonie Deutschland

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst mit Video zum neuen Jahr von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Gemeinde: Amen.

Wir beten mit Worten aus Psalm 145:
Ich will dich erheben, mein Gott, du König, und deinen Namen loben immer und ewiglich.
3 Der HERR ist groß und sehr zu loben, und seine Größe ist unausforschlich.
4 Kindeskinder werden deine Werke preisen und deine gewaltigen Taten verkündigen.
8 Gnädig und barmherzig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.
13 Dein Reich ist ein ewiges Reich, und deine Herrschaft währet für und für.
Der HERR ist getreu in all seinen Worten und gnädig in allen seinen Werken.
14 Der HERR hält alle, die da fallen, und richtet alle auf, die niedergeschlagen sind.
15 Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.
16 Du tust deine Hand auf und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen.
18 Der HERR ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn mit Ernst anrufen.
19 Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren, und hört ihr Schreien und hilft ihnen.
Kommt, lasst uns Gott anbeten.
Gemeinde: Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar. Und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Gebet
Jesus Christus, wo Du bist, weicht alle Angst. So wollen wir mit Dir das neue Jahr beginnen und aus Deiner Hand nehmen, was darin ist an Freud und Leid. Lass es ein Gnadenjahr werden, in dem wir von Deiner Barmherzigkeit leben und sie weitertragen. Dir sei Ehre in Ewigkeit. Amen
Gemeinde: Amen

Lied: EG 369

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Vor einer Weile habe ich die Familie meines Bruders besucht. Mein kleiner Neffe ist reichlich zwei Jahre alt. Er und imitiert seine Eltern, wo er nur kann. Oft wiederholt er Halbsätze der Erwachsenen. Scheinbar willkürlich. Während er einem kleinen Ball hinterher flitzt, reden wir über unsere Pläne und Erwartungen an das neue Jahr. Mein Neffe nimmt scheinbar keine Notiz von uns. Er quietscht fröhlich und rollt den Ball unter dem Tisch hindurch. Doch plötzlich sagt er „was alles möglich ist.“ Aus dem Nichts wiederholt der den letzten Teilsatz meines Bruders. Wir halten inne und lachen. Er strahlt uns an, rollt den Ball durch das Zimmer und nach kurzer Zeit wiederholt er den nächsten Halbsatz aus unserem Gespräch.
Vor einer Weile hat mein Neffe einen Laptop aus Holz bekommen. Auf den ist er mächtig stolz. „Pomputer“ ruft er ganz oft und dann muss man sich mit ihm an einen Tisch setzen. Er tippt ein wenig auf der aufgemalten Tastatur herum und dann dreht er den „Pomputer“ mit bedeutungsschwangerem Blick zu mir. Ich muss schmunzeln. Da seine Eltern überwiegend im Homeoffice sind, ist der „Pomputer“ wichtiger Teil des Alltags und das imitiert mein Neffe großartig.


Die Jahreslosung für das Jahr 2021 steht im Lukasevangelium im 6. Kapitel in Vers 36. Der Vers ist Teil der Feldrede Jesu, der „Bergpredigt“ des Lukasevangeliums. Auch die Feldrede ist ein anspruchsvolles Programm für gelingendes Zusammenleben. Sie steckt voller Imperative und auch die Jahreslosung ist auch ein solcher Imperativ: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“
Eine herausfordernde Jahreslosung. Dieses Jesuswort ist weder bequem noch kann man auf Anhieb nicken und sagen: Klar, mach ich. Nicht jeder hat gute Erfahrungen mit Vaterfiguren gemacht, auch wenn Jesus mit „Vater“ hier eindeutig Gott meint. Und es stellt sich die Frage:Was ist das eigentlich, Barmherzigkeit? Laut Wörterbuch ist Barmherzigkeit „Mitleid, Hilfsbereitschaft und tätige Nächstenliebe“. Bei Wikipedia liest man Folgendes: „Eine barmherzige Person öffnet ihr Herz fremder Not und nimmt sich ihrer mildtätig an. Dabei werden Mitleid und Barmherzigkeit unterscheiden. „Barmherzigkeit“ ist weniger ein Mit-Fühlen sondern eher Großherzigkeit.“ Barmherzigkeit kommt also vom Herzen. Und sie fragt nicht nach den Kosten. Sie hat den anderen Menschen ganz und gar im Blick und scheut den Aufwand der Hilfe nicht.
Damit liegt Barmherzigkeit nahe am Begriff der Gnade. Juristisch gesehen ist Gnade aber der Verzicht auf eine verdiente Bestrafung. Gnade fußt also noch mehr in einem Machtgefälle, während Barmherzigkeit meist auf Augenhöhe begegnet und viel praktischer ist. So wie wir es beim barmherzigen Samariter lesen können, eine der bekanntesten Geschichten aus der Bibel.
Auch wenn wir aufgefordert werden, es dem barmherzigen Samariter gleich zu tun, ist Barmherzigkeit in der Bibel überwiegend eine Eigenschaft Gottes. Psalm 145, den wir eben gebetet haben, fasst das mit wenigen Worten zusammen: „Gnädig und barmherzig ist der HERR, geduldig und von großer Güte.“
Jesus mutet uns nun zu, ebenso barmherzig zu sein, wie Gott barmherzig ist. Das ist ein hoher Anspruch. Und es ist klar: Jesus war keinesfalls anspruchslos. Er war den Armen, Kranken und Notleidenden immer sehr zugewandt. Er predigte Vergebung . Aber von denen, die es konnten, hat er außergewöhnliches verlangt. Jesus hat Menschen immer herausgefordert.
Jesus traut uns also zu, barmherzig zu sein. Wir sollen es nicht nur versuchen. Sein Imperativ geht davon aus, dass wir das schaffen können. Aber von wem lernen wir das? Hier kommt mein Neffe wieder ins Spiel. Er imitiert die Erwachsenen. Und wir können uns ein Beispiel an Gottes Barmherzigkeit nehmen. „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ In der Theologie heißt das „imitatio dei“. Gemeint ist, dass wir Menschen Gott nachahmen. Wir können also von Gott lernen, was Barmherzigkeit ist, weil wir von ihm Barmherzigkeit erfahren. Wir können anderen Menschen gegenüber barmherzig sein, weil wir selbst nicht perfekt sind. Und trotzdem sind wir von Gott geliebt.


Ich habe mal gelesen, dass Barmherzigkeit bedeutet, die Menschen um uns herum mit Gottes Augen zu sehen. Das ist vielleicht etwas anmaßend, aber durchaus nachdenkenswert. Denn es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir könnten Gott durchaus darum bitten, dass er uns die Menschen um uns herum mit seinen Augen sehen lässt.
Wir haben auch in diesem Jahr wieder eine Karte mit der Jahreslosung. Sie können sie hier an der Kirchentür abholen. Die Künstlerin, Angelika Litzkendorf, zeigt das Prinzip sehr eindrücklich. Barmherzigkeit fließt von Gott zu uns und wir können sie weitergeben.


Wenn mein Neffe uns Erwachsene imitiert, dann ist das immer irgendwie unvollständig. Es wirkt unvollkommen, wenn er auf seinem kleinen Holzlaptop herumspielt. Imitation. Für ihn ist das aber total ernst. Es ist nicht nur ein unvollkommener Versuch, es ist seine Welt. Er tut etwas absolut Wichtiges. Und mein Bruder und seine Frau würdigen das in unnachahmlich liebevoller Weise. Weil der Kleine alles gibt, um so zu sein, wie wir Erwachsenen.
Ich denke manchmal, Gott geht es ähnlich. Er sieht uns, wie wir unser Leben gestalten. Wie wir Dinge versuchen und scheitern. Er sieht, wie wir mit anderen Menschen umgehen, wie wir egoistisch sind oder uns bis zur Selbstaufgabe für andere verausgaben. Und natürlich ist unser Versuch, barmherzig zu sein, nicht so putzig, wie der Versuch meines Neffen, am Laptop zu arbeiten. Hier geht es schließlich um unsere Mitmenschen. Aber Gott ist die Quelle der Barmherzigkeit, deren Vollkommenheit wir nie erreichen. Trotzdem qualifiziert er unsere Versuche nicht einfach ab. Ihm es ist wichtig, dass wir es tun. Denn es ist ihm nicht gleichgültig, ob wir Barmherzigkeit üben oder nicht. Barmherzigkeit ist etwas Dynamisches. Sie wird mehr, wenn wir sie weitergeben. Sie verändert Leben. Schon deshalb ist es gut, wenn wir sie tun. Wenn wir Gott nachahmen.
Ich finde, das ist ein guter Vorsatz für das anbrechende Jahr. Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lied: EG 65

Fürbitten und Vaterunser
Gott, barmherzig zu sein, ist nicht einfach. Manche Menschen wollen es sein und werden ausgenutzt oder belächelt. Manche kommen mit Hartherzigkeit im Leben weiter. Dabei braucht unsere Welt mehr Mitmenschlichkeit. Verändere Du unser Leben. Lass uns die Menschen in unserer Umgebung mit Deinen Augen sehen. Zeige uns, wie wir Deine Barmherzigkeit weitergeben können.

Gott, ein neues Jahr beginnt. Viele von uns sehen ihm mit Sorge entgegen. Werden wir die Pandemie besiegen können? Wird sich die Wirtschaft erholen und werden wir wieder mehr Gemeinschaft erleben können? Wir bitten Dich für diejenigen, die Verantwortung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tragen. Schenke, dass sie weise Entscheidungen treffen. Nimm uns die Angst vor der Zukunft. Mache uns barmherzig mit unseren Mitmenschen.

Gott, ein neues Jahr beginnt. Viele von uns freuen sich darauf. Schenke uns, dass wir auch in diesem Jahr in allen Schwierigkeiten die wunderbaren Seiten des Lebens wahrnehmen. Schenke uns viele Gelegenheiten zur Dankbarkeit. Lass es ein Jahr des Segens werden.

Und alles, was uns noch bewegt, bringen wir vor Dich mit den Worten des Vaterunsers.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Gehen Sie unter dem Segen Gottes in diesen Neujahrstag und das neue Jahr:
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

Silvestergottesdienst 2020 von Pfarrerin Meike Naumann und Gemeindereferentin Stephanie Veith

Ein herzliches Willkommen Ihnen allen zu unserem Gottesdienst aus der Wilhelmskirche. Schön, dass Sie sich zu Hause dazugeschaltet haben, um diesen letzten Abend des Jahres 2020 mit einem Gottesdienst zu begehen. Ich freue mich, dass wir es in ökumenischer Gemeinschaft tun.

Ein Jahr geht zu Ende, das sicher niemand sich auch nur annähernd so vorgestellt hat. Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass die Nachrichten von einer neuartigen Lungenkrankheit berichteten, die in China grassierte. Bilder von überfüllten Krankenhäusern und Menschen, die nur noch mit Masken auf der Straße unterwegs waren kamen über die TV-Bildschirme in unsere Wohnzimmer. Seitdem hat das Corona-Virus auch unser Leben bestimmt. Und am Ende dieses Jahres sagen viele: Wie gut, dass dieses Jahr zu Ende ist. Jede und jeder hat im Alltag viele Einschränkungen auf sich nehmen müssen. Viele Menschen sind krank geworden, viele sind gestorben. Darüber, wie man das Virus eindämmen kann, gab und gibt es immer wieder heftige Auseinandersetzungen. Auf der anderen Seite gab es aber auch viel Solidarität und praktische Hilfen zwischen Menschen. Auf viele Veranstaltungen und Präsenzgottesdienste mussten und müssen wir verzichten. Wir haben aber auch gelernt, neue Formen zu finden, Kontakte zu pflegen, miteinander zu leben und unseren Glauben teilen zu können ohne einander anzustecken.

Der Impfstoff gegen das Coronavirus ist zu gelassen und seit Weihnachten laufen auch hier in Hessen die ersten Impfungen. Dafür bin ich dankbar. Und ich hoffe von ganzem Herzen, dass wir uns alle beim nächsten Silvestergottesdienst 2021 wieder in der Kirche versammeln können.

Wenn wir jetzt alle zusammen in der Dankeskirche sitzen würden, hätte jeder und jede am Eingang einen kleinen Spiegel bekommen. Wenn Sie einen Spiegel bei sich in der Nähe haben, dann dürfen Sie sich den gern holen. Wenn nicht, dann wissen Sie sicher alle wovon ich spreche, kennen alle den Blick in den Spiegel am Morgen nach dem Aufstehen, der einem manchmal ein Spiegelbild zeigt, über das man sich nicht unbedingt freut: Wieder eine neue Falte oder ein graues Haar entdeckt.
Um unser Spiegelbild, das wir oft gar nicht freundlich ansehen, darum geht es heute. Um unsere Spiegelbild, dass uns, so unzufrieden wir oft mit uns sind, ganz viel von der Liebe Gottes zu uns Menschen zeigt.

So feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm: Psalm 8
Herr, unser Herrscher!
Groß ist dein Ruhm auf der ganzen Erde!
Deine Hoheit reicht höher als der Himmel.
Aus dem Lobpreis der Schwachen und Hilflosen
baust du eine Mauer,
an der deine Widersacher und Feinde zu Fall kommen. Ich bestaune den Himmel, das Werk deiner Hände,
den Mond und alle die Sterne, die du geschaffen hast: Wie klein ist da der Mensch,
wie gering und unbedeutend!
Und doch gibst du dich mit ihm ab
und kümmerst dich um ihn!
Ja, du hast ihm Macht und Würde verliehen;
es fehlt nicht viel, und er wäre wie du.
Du hast ihn zum Herrscher gemacht
über deine Geschöpfe, alles hast du ihm unterstellt:
die Schafe, Ziegen und Rinder allzumal,
die Wildtiere in Feld und Wald,
die Vögel in der Luft und die Fische im Wasser,
die kleinen und die großen,
alles was die Meere durchzieht.
Herr, unser Herrscher,
groß ist dein Ruhm auf der ganzen Erde!

Gebet
Guter Gott,
so viel spricht gegen dich:
schlimme Erfahrungen,
Geschichten die wir nicht vergessen können,
Zweifel, die uns zu schaffen machen;
vor allem aber wir selbst,
weil wir deiner Liebe nicht trauen
und nicht so leben, wie du es uns gönnst.
So zeige dich, Gott,
lass dich sehen und spüren,
wie du dich gezeigt hast in Jesus, deinem Sohn.
Erneuere und belebe uns durch deinen Geist,
damit wir uns auf dich verlassen
und deine Liebe widerspiegeln.
Lass uns die Menschen werden,
die wir sein können:
dein lebendiges Bild.

Lesung I: Gen 1,26a.27.28a
Die alttestamentliche Lesung aus dem 1. Buch Mose erzählt, wie Gott den Menschen zu seinem lebendigen Bild erschafft:
Und Gott sprach: „Nun wollen wir Menschen machen, ein Abbild von uns, das uns ähnlich ist!“ So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild, als Gottes Ebenbild schuf er sie und schuf sie als Mann und als Frau. Und Gott segnete die Menschen und sagte zu ihnen: „Seid fruchtbar und vermehrt euch!“

Lied: Großer Gott, wir loben dich EG 331 / GL 380, 1.5

Ansprache
Das gibt es, Gott sei Dank:

Zeiten, in denen uns die Welt ein freundliches Gesicht zeigt. Wo wir mit Gott und uns selber im Reinen sind. Wo das Leben Spaß macht und wir ohne viel zu überlegen wissen: Es ist gut, wie es ist.
Da atmen wir auf und erschrecken nicht schon frühmorgens, wenn wir nur in den Spiegel schauen.
Da tanken wir Kräfte für Leib und Seele.
Das ist, als würde Gott uns freundlich zunicken und uns viel Glück und viel Segen wünschen. Wir spüren es.
Aber es gibt auch andere Zeiten, weiß Gott.

Dieses Jahr, das heute zu Ende geht, war ganz anders als die vergangenen. Das Virus veränderte viel in unser aller Alltag. Sie haben Abstand gehalten, im Homeoffice gearbeitet, die Kinder zu Hause beschult und auf Hobbies wie Sport verzichtet. Auch auf Traditionen wie das Weihnachtsfest, an dem die ganze Familie zusammenkommt, mussten wir verzichten. Wir tragen Masken und desinfizieren uns die Hände, und auch diesen Gottesdienst können wir nicht wie gewohnt miteinander feiern.

Wir alle bringen unsere Geschichte mit. Und manchmal lassen uns die Nachrichten, die Tag für Tag auf uns einprasseln, an alles andere glauben als an einen menschenfreundlichen Gott.

Ich weiß nicht, was Sie gerade ganz aktuell umtreibt und ich kann auch nur raten, was Sie in ihrem Alltag gerade ansteht. Vielleicht ist einer Ihrer Lieben krank und Sie sorgen sich. Vielleicht hat jemand von Ihnen einen lieben Menschen verloren. Vielleicht auch dies: Abschied nehmen müssen und neu anfangen im Leben, auch ungefragt und ungewollt. Vielleicht gehen die Kinder aus dem Haus und wir merken auf einmal, dass wir alt geworden sind. Vielleicht sind da Misserfolge im Beruf, die mich an mir selber zweifeln lassen. Oder die Kräfte lassen nach, und mir wird bewusst, dass ich künftig mit Einschränkungen leben muss und nicht mehr so kann wie ich möchte. Oder eine Beziehung, die mir viel bedeutet hat, wird zur Last ohne Ende.

In solchen Augenblicken fangen wir an, an Gott und an uns selbst zu zweifeln. Fragen überschwemmen uns, vor allem in schlaflosen Nächten: Wozu das alles? Warum gerade ich? Wer bin ich eigentlich? Wozu bin ich (noch) gut? Da verschwimmt Gottes Gesicht.

Sein Bild, das bei den meisten von uns im Lauf einer langen Lebensgeschichte gewachsen ist und sich natürlich auch mit der Zeit geändert hat, verändert sich dann noch einmal. In solchen Zeiten kennen wir uns selbst nicht mehr. Nicht nur unser Bild von Gott – auch das Bild, das wir von uns selbst haben, bekommt Risse und Sprünge.

Darum möchte ich mit Ihnen allen jetzt ein Bild anschauen. Dieses Bild habe ich nicht hier, es hängt bei Ihnen zuhause. Ich möchte, dass Sie jetzt aufstehen und ins Bad gehen. Schauen Sie mal über ihr Waschbecken. Vermutlich hängt da ein Spiegel. Ich schaue hier auch in den Spiegel. …

Sind Sie zurück? Was haben Sie gesehen? Ein ganz persönliches Gottesbild, wenn Sie so wollen.

Sicher fragen Sie sich: Wie bitte – das soll ein Bild von Gott sein!? Das Gesicht kommt mir doch bekannt vor. Viel zu bekannt womöglich.

Ja. Trotzdem. Auch wenn Sie’s vielleicht nicht für möglich halten: Was Sie da sehen, ist ein Gottes-Bild, eine Ikone Gottes, wie die Orthodoxen sagen. Weil wir uns aber damit schwertun, nehme ich aus der Bibel eine Erklärung dazu – wir haben sie vorhin schon als alttestamentliche Lesung gehört:
»Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei … Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn« heißt es da.

Gott schuf den Menschen – uns, Sie und mich – zu seinem Bild. Ohne Ausnahme. Keine Voraussetzungen, keine Bedingungen, keine Nachforderungen.
Keine Rede von Anstrengungen, von guten Vorsätzen oder von frommen Höchstleistungen.
Nichts dergleichen.

Wir sind – oder besser, persönlicher gesagt – ich bin Gottes lebendiges Bild. Einfach so. Ganz ohne Make-up und Fassadenpolitur. Und nicht nur dann, wenn ich mir selber gefalle. Sondern erst recht, wenn ich mir selbst nicht mehr ins Gesicht schauen mag oder Gott womöglich nur noch als Zerrbild wahrnehme.

»Wir sind der Spiegel Gottes, geschaffen, um Gott in uns aufzunehmen. Das Wasser kann noch so trübe sein – auch so widerspiegelt es den Himmel.« So sagt es der lateinamerikanische Priester und Poet Ernesto Cardenal.
Zit. nach: Gädtke, Horst Wolffram, Erika, Himmelsbrot für jeden Tag: was wir zum Leben brauchen; Sprüche und Gedichte, 2003

Ja, wir sind alle Gottes Bild – diese ganz normalen, durchschnittlichen Menschen, die wir nun mal sind. Nicht, weil wir so perfekt sind, besonders gelungene Exemplare unserer Gattung.

Und schon gar nicht, weil wir frömmer, besser, heiliger als andere wären.

Sondern einfach deshalb, weil Gott uns braucht, um seine Lebendigkeit, seine Freundlichkeit widerzuspiegeln. Weil seine Liebe ein Gesicht kriegen will: das unsere. Ich mag dich und ich brauche dich, sagt Gott – dich mit deinen Gaben und Schwächen, deinen Hoffnungen und Ängsten, deinem Lebensmut und deiner Todesangst. So, wie du bist. Du bist zu etwas gut auf dieser Welt!

Wenn Sie also wieder mal drauf und dran sind, an Gott und der Welt zu verzweifeln; wenn Ihr Glaube leer, Ihre Liebe kalt und Ihre Hoffnung brüchig wird; wenn Sie nicht mehr wissen, ob das, was Sie tun, überhaupt einen Sinn hat. Wenn Sie denken: Ich habe alles falsch gemacht, an mir ist nichts, was liebenswert wäre – dann schauen Sie in den Bilderrahmen über Ihrem Waschbecken. Er wird Ihnen Gottes Bild zeigen. Und Sie daran erinnern, wer Sie sind und dass Gott Sie brauchen kann.

Musik: Frank Scheffler

Schlussgebet
Guter Gott:
Du hast uns zu Menschen geschaffen,
die deine Liebe widerspiegeln.
Dein lebendiges Bild sollen wir sein,
damit Menschen durch uns deine Freundlichkeit spüren.
Im Vertrauen auf dich und deine guten Absichten bitten wir dich:
Sei du mit allen, die sich selbst nicht gut sind:
Schenke ihnen beides – den ehrlichen Blick für die eigenen Schwächen und das Vertrauen in ihre Stärken.
Sei mit allen, die lieber nicht in den Spiegel schauen, weil sie sehen, wie sie älter werden:
Lass sie zu ihrer Lebensgeschichte stehen und sie annehmen.
Sei mit allen, die vor allem sich selbst sehen:
Gib ihnen Augen für die Bedürfnisse anderer und lass sie die Freude erleben, das Leben mit anderen teilen zu können.
Sei mit allen, deren Glaube brüchig geworden ist:
Hilf ihnen, auch mit Bruchstücken zu leben, und gib ihnen die nötige Geduld mit dir und mit sich selber.
Sei mit allen, denen wir tagtäglich begegnen:
Dass wir in ihren Gesichtern den Reichtum des Lebens entdecken und in ihnen unsere Schwestern und Brüder erkennen.
Höre auf die Bitten, die wir dir in der Stille sagen:
Gebetsstille
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute
und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Lied: Bewahre uns, Gott EG 171 / GL 453, 1–4

Segen
Nun geht als Menschen, die wissen, dass sie Gottes lebendiges Bild sind.
Menschen, die seine Liebe widerspiegeln.
Dazu segne euch der allmächtige und menschenliebende Gott,
der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

Gottesdienst zum 1. Weihnachtsfeiertag 2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Harfe und Flöte   Herbei, o ihr Gläubigen
Wenn ein Kind zur Welt kommt, verändert sich das Leben für alle, die dieses Kind in ihrem Leben annehmen. Am Weihnachtsfest feiern wir die Geburt Jesu. Am Weihnachtsfest feiern wir, dass es immer wieder einen neuen Anfang geben kann. Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst an diesem 1. Weihnachtstag! Ich begrüße Sie und Euch herzlich mit einem biblischen Wort aus dem Johannesevangelium. Im 1. Kapitel, Vers 14 steht geschrieben: “Das Wort wurde Mensch und wohnte unter uns, und wir sahen seinen Glanz, seine göttliche Herrlichkeit.“
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 50
Gott der Herr, redet und ruft der Welt zu
von dort, wo die Sonne aufgeht, bis dorthin,
wo sie untergeht.
Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes.
Unser Gott kommt. Er wird nicht länger schweigen.
Danke Gott für das, was er dir gegeben hat
und erfülle dem Höchsten deine Gelübde.
Er sagt: „Rufe mich an in der Not,
so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.
Wer mir Dank darbringt, der ehrt mich,
und da ist der Weg, dass ich ihm zeige, wie Gott rettet.“

Lied EG 30,1-3  Es ist ein Ros entsprungen

Gebet
Jesus Christus, du Kind in der Krippe, Dir wollen wir begegnen heute am Weihnachtstag.

Zu Dir kommen wir, nicht nur heute, sondern an allen Tagen unseres Lebens. Das macht uns froh:  dass Du uns so liebevoll entgegenkommst, dass Du geboren bist, um uns nah zu sein. Dir sei Ehre in Ewigkeit. Amen.

Predigt
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
eine gute Nachricht duldet keinen Aufschub. Die Haustür flog auf. Der 18Jährige stürmte herein, wedelte mit einem Dokument in seiner Hand herum und rief: „Ich hab ihn! Ich hab den Führerschein!“

Wer sich freut, muss das gleich weitersagen: Eine Whatsapp ploppte morgens in einer Familie auf dem Handy auf: „Prüfung bestanden!“ stand da ganz lapidar. „Bin mega happy!“

Und dann war da ein junger Vater. Sein Kind war schwer erkrankt. Es musste operiert werden. Nun hatte er die Nachricht bekommen, dass alles gut verlaufen war. Voller Erleichterung rannte er los; der beste Freund musste das sofort erfahren. Fast wäre er dabei in seinen Hausschuhen losgelaufen!

Gute Nachrichten erlauben einfach keinen Aufschub. Da fließt einem das Herz über. Da fliegen die Füße, egal, ob sie zierlich und zart sind oder groß und kräftig.

Von überfließender Freude erzählt auch der Predigttext dieses Weihnachtstages aus dem Profeten Jesaja 52,7-10 und 12:

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße derjenigen, die Freude verkünden, die Frieden ansagen, Gutes predigen, Rettung ansagen, die zu Zion sprechen: „Dein Gott ist König!“

Schon erheben deine Wächter die Stimme und jubeln gemeinsam! Ja, mit eigenen Augen sehen sie, wie der Herr zum Zion zurückkehrt.

Brecht in Jubel aus, ihr Trümmer Jerusalems, denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem befreit. Entblößt hat Gott seinen heiligen Arm vor den Augen der Völker:  alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes.

Nun zieht heraus aus der Gefangenschaft.  Der Herr wird vor euch herziehen und der Gott Israels wird euren Zug beschließen.

Etwas Großes kündigt sich an. Hoffnung wollen diese Worte verbreiten. Und Trost. Um das Jahr 540- 538 vor Christ Geburt sind sie entstanden. Ein beachtlicher Teil des jüdischen Volkes lebt seit fast 50 Jahren im Exil, in Babylonien. Deportiert vom König Nebukadnezar, dem König von Babel, der Jerusalem erobert hatte. Zur Abschreckung für die Dagebliebenen ließ er zusätzlich den Tempel zerstören und wohl noch einiges andere drum herum. Trümmerfelder waren all überall zu sehen. Für die gläubigen Juden war das eine Katastrophe, denn gerade der Tempel war das Haus Gottes. War er nun zerstört, so musste das bedeuten, dass Gott nicht mehr in der Mitte seines Volkes wohnte. So deuteten sie das Geschehen. Inmitten dieser Situation aber geschieht für die eroberten Menschen etwas ganz Großes: Das Babylonische Reich geht unter; die neuen Machthaber, die Perser, haben andere Ziele. Und sie erlauben den Verbannten, nach Hause zu ziehen. Sogar der Tempel von Jerusalem darf wiederaufgebaut werden. Das ist ein Grund für übergroße Freude! Denn die Deutung des Glaubens ist, dass Gott sich seinem Volk wieder zugewandt hat. Erleichterung ist da. Aufatmen. Ein neuer Aufbruch ist möglich, ein Neustart. Ein neuer Anfang ist gesetzt. Mitten aus den Trümmern heraus.

Liebe Gemeinde,
ob das auch für uns möglich ist, an diesem ersten Weihnachtsfeiertag? Dass nach diesem Jahr voller Herausforderungen ein neuer Anfang möglich ist? Ein Aufatmen? Eine Perspektive? Ich glaube, nach diesem Jahr gibt es sie überall und im Leben vieler Menschen, die Trümmerfelder. In den Flüchtlingslagern, in den Hochhäusern ohne Balkon. Auch bei uns, trotz der Regel der Kurzarbeit, haben Menschen ihre Arbeit verloren; Läden haben Insolvenz angemeldet. Menschen sind gestorben und ihre Angehörigen konnten nicht so Abschied nehmen, wie es wichtig gewesen wäre. Pflegekräfte sind am Limit. Trümmerfelder unseres Lebens, sie sind auch am Weihnachtsfest spürbar und unübersehbar. Sie machen dieses Fest noch einmal ganz anders als sonst. Trümmerfelder, die auch mein Leben berühren und die mich erschrecken.

Und doch stellt sich auch die Frage, wie wir mit den Trümmern im eigenen Leben umgehen.  Wir können unseren Blick auf sie geheftet halten und darüber Gott anklagen. Und das hat sein Recht. Wir können versuchen, sie links liegen zu lassen und so tun, als hätten sie keine entscheidende Bedeutung für uns selbst. Aber dabei würden wir uns immer wieder an ihnen verletzen und über sie stolpern. Und es gibt die Möglichkeit, sie anzusehen; innerlich zu beginnen, aufzuräumen. Zu sortieren, woran wir unbedingt festhalten müssen, welche Erinnerungen an Menschen uns unendlich wichtig sind, was wir von ihnen in unser eigenes Leben mit hinübernehmen wollen, welche Werte uns bleiben sollen und was wir auch loslassen können. Was nun auch anders werden soll im eigenen Leben. Weniger aufwendig.  Bescheidener. Reduzierter. Dann könnte Raum entstehen und Platz für etwas Neues. Dann könnte Freiheit entstehen, und vielleicht könnten auch neue Perspektiven möglich werden. Die Bibel nennt diese Erfahrung Trost und sie nennt sie Hoffnung. Es ist die Offenheit dafür, dass Gott doch noch und wieder handeln kann im eigenen Leben.

Für unser Leben ist diese innere Bewegung existentiell. Es ist lebenswichtig für uns, dass wir uns neu orientieren können, uns aufrichten können, dass wir aufatmen können.

„Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße derjenigen, die Freude verkünden, den Frieden ansagen und Gutes predigen.“

Auf die Füße eines Gegenübers achten gerade diejenigen, die gebeugt sind.  Auf die Füße des Gegenübers achten gerade diejenigen, die ihren Kopf neigen, die nach unten schauen. Und gerade sie erkennen als erste, wenn jemand leichtfüßig daherkommt, bewegt, voller Hoffnung und guter Nachricht. Die Entwicklung des Impfstoffes, das baldige Verabreichen an die Verwundbarsten unter uns und dann an alle, die es wollen -  das ist eine Nachricht an diesem Weihnachtsfest, die uns mit Freude erfüllen kann, die gut ist und für die wir zutiefst dankbar sein können. Gott wirkt auch durch die Intelligenz und den charismatischen Forschergeist, durch die demütige Begabung der Besten in den Laboren unserer Länder.

Wenn die Stadt Jerusalem, der erste Wohnort Gottes, wiederaufgebaut werden konnte, so kann auch unser Leben wiederaufgebaut werden.

Und heute, am Weihnachtsfest, blicken wir auf das, was 500 Jahre später geschah, nachdem die Freudenboten ihre gute Nachricht vom neuen Anfang nach Jerusalem getragen haben. Da liefen noch einmal Freudenboten los:  in ihren leichten Sandalen machten sie sich auf den Weg. Es ging durch unwegsames Gelände, es ging über Stock und Stein. Felsigen Boden mussten sie überwinden, mit Grasnarben durchsetzt. Aufpassen mussten sie, dass sie nicht stolperten. Aber sie, die Hirten von Bethlehem, konnten nicht schweigen.  In der Dunkelheit ihrer Nacht hatten sie die umstürzende Botschaft der Engel Gottes gehört: „Fürchtet euch nicht!  Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ „Fürchtet euch nicht!“ Und sie hatten das Kind gesehen. Das Neugeborene, das Gotteskind. Das so lange Erwartete.  Aus ihm strahlte die Liebe Gottes und seine Zuwendung zu den Menschen. Alle mussten davon erfahren, dass Gott einen Neuanfang machte mit seinen Menschen und mit seiner Welt. Dass er das Gute wollte für seine Geschöpfe, dass er den Frieden wollte für seine Erde. Und die Hirten selber, die Freudenboten, priesen und lobten Gott für alles, was sie gesehen und gehört hatten.

Von diesem Ereignis kommen wir her. Das Licht der Geburt dieses Gotteskindes scheint in unser Leben, soweit wir uns für dieses Kind öffnen. Und die Freude über seine Ankunft will uns aufrichten. Das Gotteskind wird uns helfen, die Hoffnung wiederzufinden und unser Leben wiederaufzubauen. Mit ihm ist Gott bei uns, für alle Zeit.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, seinem Sohn. Amen.

Lied How peaceful

Fürbitten
Wir richten uns zu Gott hin aus und beten:

Dein Kind ist uns geboren, unser Gott. Wir danken dir für die Freude, dass du mit ihm unter uns lebst. Lass deine Freude in uns leuchten und lass uns sie weitertragen mit leichtem Schritt.

Dein Kind ist uns geboren, guter Gott. Wir danken dir für die Hoffnung. Wir bitten für alle, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, für die Veränderung zum Guten, dass sie gestärkt werden und Früchte ihres Tuns sehen.

Dein Kind ist uns geboren, liebevoller Gott. Wir danken dir für die Gemeinschaft untereinander. Wir bitten dich für die, die einsam sind oder krank, dass Menschen da sind, die sich ihrer annehmen.

Dein Kind ist uns geboren, ewiger Gott. Wir danken dir für das Leben. Wir bitten dich für alle, die ihr Leben loslassen müssen, dass sie spüren, sie sind nicht allein. Dein guter Engel ist mit ihnen und sie sind geborgen in dir.

Lichtvoller Gott, du schenkst uns deine Liebe. Lass sie bei uns spürbar sein als Kraft, als Hoffnung und als Zuversicht an jedem einzelnen Tag.

Und alle unsere Bitten nehmen wir mit hinein in das Vaterunser, das Jesus uns geschenkt hat:

Vaterunser
der du bist im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gibt uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.  Amen.

Lied  O du fröhliche

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden. Amen.
Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Christmette 2020 von Pfarrer Rainer Böhm und Team

Musik        Orgel und Harfe

Begrüßung
Dem Heiligen Abend folgt die Heilige Nacht, die mehr Licht in das Dunkel unserer Welt bringen soll. Das Licht der Liebe und des Friedens. Licht aus Bethlehem. Ich begrüße Sie zu unserer Christmette 2020.

Wir hören auf die alten Friedensverheißungen und die schönen weihnachtlichen Lieder und Melodien. wir hören die Worte der Weihnachtsgeschichte. Und wir werden eine Kurzgeschichte von Werner Reiser zu Gehör bringen, die von dem Engel erzählt, der nicht mehr mitsingen wollte.

Wir sind in Bad Nauheim in der Dankeskirche und wir grüßen Sie zu Hause an Ihren Bildschirmen. Wir haben uns dazu entschlossen, auf präsentische Gottesdienste angesichts der Inzidenzzahlen in der Wetterau und in Bad Nauheim zu verzichten. Wenn Sie unsere Mette nun online sehen, dann bemerken Sie, dass sich viele daran beteiligt haben – dafür ganz herzlichen Dank!

Votum
Glocken haben uns in diesen Gottesdienst gerufen.
Festliche Musik stimmt uns ein in diese besondere Nacht.
Wir tragen unsere Weihnachtsträume zusammen
Und wollen uns beflügeln lassen
Von der Botschaft dieser Nacht.

Gemeinsam mit den Engeln feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen

Gebet
Unser Gott,
eigentlich haben wir uns das oft gewünscht, ein ruhiges Fest, ein stille Nacht.
Das ist es jetzt, wenn auch anders.
Du bist zu uns gekommen, in unsere dunkle Welt mit deinem Licht. Du verlässt uns nicht, komme was da will.
Wir bitten dich um geöffnete Herzen, betende Gedanken, aber auch die Kraft zum Handeln – damit wahr wird was Jesaja schreibt: „Mein Wort soll nicht leer zu mir zurückkommen.“ (Jes 55, 11)

Lesung AT

1 Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. 3 Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. 4 Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. 5 Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; 6 auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende. Jes 9, 1 – 6

Lichtimpuls – Friedenslicht von Bethlehem
Du Gott des Friedens
In diesen Tagen erleben wir, wie begrenzt unser Leben ist.
Doch zeigt uns das Friedenslicht aus Bethlehem – Grenzen können wir überwinden.
Sei Du uns das Licht, das ermutigt, stärkt und Zuversicht gibt.
Damit auch wir Lichtwerden in dieser Zeit mit einem tröstenden Blick, einem guten Wort, einer helfenden Hand, einem weiten Herz.
So leuchtet Dein Licht des Friedens weit in diese Welt hinein und über alle Grenzen hinweg.
Amen

Weihnachtsgeschichte I
1Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.
4Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, 5auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
8Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Lied: Vom Himmel hoch …

Der Engel der nicht singen wollte     von Werner Reiser         
Als die Menge der himmlischen Heerscharen über den Feldern von Betlehem jubelte: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden", hörte ein kleiner Engel plötzlich zu singen auf. Obwohl er im unendlichen Chor nur eine kleine Stimme war, machte sich sein Schweigen doch bemerkbar. Engel singen in geschlossenen Reihen, da fällt jede Lücke sogleich auf. Die Sänger neben ihm stutzten und setzten ebenfalls aus. Das Schweigen pflanzte sich rasch fort und hätte beinahe den ganzen Chor ins Wanken gebracht, wenn nicht einige unbeirrbare Großengel mit kräftigem Anschwellen der Stimmen den Zusammenbruch des Gesanges verhindert hätten. Einer von ihnen ging dem gefährlichen Schweigen nach. Mit bewährtem Kopfnicken ordnete er das weitere Singen in der Umgebung und wandte sich dem kleinen Engel zu.

Warum willst du nicht singen?" fragte er ihn streng.

Er antwortete: "Ich wollte ja singen. Ich habe meinen Part gesungen bis zum "Ehre sei Gott in der Höhe". Aber als dann das mit dem "Frieden auf Erden unter den Menschen" kam, konnte ich nicht mehr weiter mitsingen. Auf einmal sah ich die vielen Soldaten in diesem Land und in allen Ländern. Immer und überall verbreiten sie Krieg und Schrecken, bringen Junge und Alte um und nennen das Frieden. Und auch wo nicht Soldaten sind, herrschen Streit und Gewalt, fliegen Fäuste und böse Worte zwischen den Menschen und regiert die Bitterkeit gegen Andersdenkende. Es ist nicht wahr, daß auf Erden Friede unter den Menschen ist, und ich singe nicht gegen meine Überzeugung! Ich merke doch den Unterschied zwischen dem, was wir singen, und dem, was auf Erden ist. Er ist für mein Empfinden zu groß, und ich halte diese Spannung nicht länger aus."

Der große Engel schaute ihn lange schweigend an. Er sah wie abwesend aus. Es war, als ob er auf eine höhere Weisung lauschen würde.

Dann nickte er und begann zu reden: "Gut. Du leidest am Zwiespalt zwischen Himmel und Erde, zwischen der Höhe und der Tiefe. So wisse denn, daß in dieser Nacht eben dieser Zwiespalt überbrückt wurde. Dieses Kind, das geboren wurde und um dessen Zukunft du dir Sorgen machst, soll unseren Frieden in die Welt bringen. Gott gibt in dieser Nacht seinen Frieden allen und will auch den Streit der Menschen gegen ihn beenden. Deshalb singen wir, auch wenn die Menschen dieses Geheimnis mit all seinen Auswirkungen noch nicht hören und verstehen. Wir übertönen mit unserem Gesang nicht den Zwiespalt, wie du meinst. Wir singen das neue Lied." ///

Lied: Mary …

Weihnachtsgeschichte II

15Und da die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. 16Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen. 17Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. 18Und alle, vor die es kam, wunderten sich über die Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. 19Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. 20Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

Der kleine Engel rief: "Wenn es so ist, singe ich gerne weiter."
Der Große schüttelte den Kopf und sprach: "Du wirst nicht mitsingen. Du wirst einen anderen Dienst übernehmen. Du wirst nicht mit uns in die Höhe zurückkehren. Du wirst von heute an den Frieden Gottes und dieses Kindes zu den Menschen tragen. Tag und Nacht wirst du unterwegs sein. Du sollst an ihre Häuser pochen und ihnen die Sehnsucht nach ihm in die Herzen legen. Du musst bei ihren trotzigen und langwierigen Verhandlungen dabei sein und mitten ins Gewirr der Meinungen und Drohungen deinen Gedanken fallen lassen. Du musst ihre heuchlerischen Worte aufdecken und die anderen gegen die falschen Töne mißtrauisch machen. Sie werden dir die Türe weisen, aber du wirst auf den Schwellen sitzen bleiben und hartnäckig warten. Du musst die Unschuldigen unter deine Flügel nehmen und ihr Geschrei an uns weiterleiten. Du wirst nichts zu singen haben, du wirst viel zu weinen und zu klagen haben. Du hast es so gewollt. Du liebst die Wahrheit mehr als das Gotteslob. Dieses Merkmal deines Wesens wird nun zu deinem Auftrag. Und nun geh. Unser Gesang wird dich begleiten, damit du nie vergisst, daß der Friede in dieser Nacht zur Welt gekommen ist."

Der kleine Engel war unter diesen Worten zuerst noch kleiner, dann aber größer und größer geworden, ohne dass er es selber merkte. Er setzte seinen Fuß auf die Felder von Betlehem. Er wanderte mit den Hirten zu dem Kind in der Krippe und öffnete ihnen die Herzen, daß sie verstanden, was sie sahen. Dann ging er in die weite Welt und begann zu wirken.

Angefochten und immer neu verwundet, tut er seither seinen Dienst und sorgt dafür, dass die Sehnsucht nach dem Frieden nie mehr verschwindet, sondern wächst, Menschen beunruhigt und dazu antreibt, Frieden zu suchen und zu schaffen. Wer sich ihm öffnet und ihm hilft, hört plötzlich wie von ferne einen Gesang, der ihn ermutigt, das Werk des Friedens unter den Menschen weiterzuführen.

Lied:  O du fröhliche

Fürbitte

Freundlicher Gott,
du Gott des Friedens
bist bei uns eingekehrt als Kind in der Krippe.
Nichts ist zu klein oder zu unwichtig,
als dass du dich nicht seiner annehmen würdest.

Du kennst unsere Zweifel
am Zwiespalt zwischen Himmel und Erde.
Wir erleben, wie Existenzangst und Widerspruch,
Krankheit und Tod
allgegenwärtig sind in dieser Zeit
und sehnen uns zugleich
nach Harmonie und Frieden.

Du fragst uns nach unserem Mitgefühl
Mit den Menschen, die Leid tragen
Wo schauen wir weg? Was lassen wir zu?
Hilf uns die richtigen Worte zu finden,
Trost zu spenden,
das Unabänderliche auszuhalten,
und das Nötige zu tun
für eine Zukunft mit menschlicher Nähe und Wärme.

Freundlicher Gott,
du Gott des Friedens
dein Licht der Weihnacht leuchtet in der Krippe von Bethlehem
das Licht, das Grenzen überwindet.

Du kennst unsere Zweifel
am Zwiespalt zwischen Himmel und Erde.
Wir erleben, wie Krieg und Zerstörung,
Flucht und Vertreibung,
allgegenwärtig sind
und sehnen uns zugleich
nach Harmonie und Frieden.

Du fragst uns nach unserem Mitgefühl
mit den Geflüchteten
Wo helfen wir? Wie nehmen wir sie an?
Wir bitten dich für alle, die ihre Heimat aufgegeben mussten
und für alle, die ihnen beistehen,
in den Lagern auf Lesbos und anderswo,
die Engel der Menschlichkeit.
 
Freundlicher Gott,
du Gott des Friedens,
das Licht der Weihnacht leuchtet in uns.
All unsere Weihnachtswünsche bringen wir vor dich.
So groß unser Versagen, so weit unsere Sehnsucht -  So tief reicht deine Liebe zu uns.

Vater unser

Segen
Gott, der Herr segne und behüte uns.
Er lasse sein Licht für uns leuchten, damit wir uns nicht fürchten.
Er schenke uns Freude aneinander,
damit wir selbst Freude verschenken.
Er gebe uns seinen Frieden, damit wir ihn hinaustragen in alle Welt. Amen

Schlusslied

Musik

Beteiligte:

Sunhild Breckner
Pfr. Rainer Böhm
Antje Kreutz-Lorenz
Ursel Leichtweiß
Anna Lorenz  (Gesang)
Sigrid Torff-Behrens

Vikar Ingmar Bartsch (Aufnahmen, Ton, Schnitt)
Kantor Frank Scheffler et al (Orgel, Leitung musikal Aufnahmen)

Gottesdienst zum 4. Advent von Pfarrerin Susanne Pieper

Begrüßung
„Ihr, die ihr in der Gemeinschaft Christi seid, freut euch allezeit, und wiederum sage ich: Freut euch! Lasst eure Güte allen Menschen zuteil werden. Der Herr ist nahe!“ Nicht verzagen, sich nicht fürchten müssen, sondern sich freuen können und dürfen. Das ist die Botschaft des Philipperbriefes, die uns heute im Wochenspruch entgegenkommt. Diese Freude hat einen Grund, ein Ziel und einen Namen: Gott kommt uns Menschen nahe. Das ist sein Versprechen an uns. Dieser Freude in Gottes Gegenwart lasst uns in diesem Gottesdienst nachgehen. Wir feiern ihn im Namen Gottes, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 126
Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
 so werden wir sein wie die Träumenden.
Dann wird unser Mund voll Lachens
 und unsere Zunge voll Rühmens sein.
 Dann wird man sagen unter den Heiden:
 Der Herr hat Großes an ihnen getan!
Der Herr hat Großes an uns getan,
dessen sind wir fröhlich.
Herr, bringe zurück unsere Gefangenen,
wie du die Bäche wiederbringst im Südland.
Die mit Tränen säen,
werden mit Freuden ernten.
Sie gehen hin und weinen
und streuen ihre Saat
und kommen mit Freuden
und bringen ihre Garben.
Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war am Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Lied EG 19,1.2 O komm, o komm, du Morgenstern

Gebet
Du, Ewiger Gott. Du Anfang und Ziel der Welt. Du kommst auf uns zu. Begibst Dich mitten in unsere Vergänglichkeit. Wir sehnen uns und warten auf Zeichen Deiner Nähe. Lass uns in dieser Zeit der Erwartung offen werden für das Gute, für die Ankunft Deines Sohnes. Dort, in der Armut des Stalls können wir Deiner Nähe und Zärtlichkeit begegnen. Erfülle uns mit Deiner Gegenwart, mit der Kraft Deines Geistes, mit der Hoffnung, die aus Deinem Wort zu uns spricht. Lass uns frei werden von aller Angst.
Das bitten wir durch den, in dem du kommst: Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und wirkt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Lesung aus dem 1. Buch Mose 18,1-15
Und der Herr erschien Abraham bei den Bäumen von Mamre, während er an der Tür seines Zeltes saß, als der Tag am heißesten war. Und als Abraham seine Augen hob und aufschaute, siehe, da standen drei Gestalten vor ihm. Als er sie sah, lief er ihnen vom Zelteingang entgegen und neigte sich bis zur Erde. Und er sprach: Herr, habe ich Gnade vor deinen Augen gefunden, so geh nicht an deinem Knecht vorüber. Man soll euch ein wenig Wasser bringen, um eure Füße zu waschen, und dann lasst euch unter dem Baum nieder. Und ich will euch einen Bissen Brot bringen, dass ihr euer Herz labt; danach mögt ihr weiterziehen. Denn darum seid ihr ja bei eurem Knecht vorübergekommen. Sie sagten: Tu, was du gesagt hast.
Abraham eilte in das Zelt zu Sara und sprach: Beeile dich, menge drei Krüge feinstes Mehl, knete es und backe Fladenbrot. Er selbst aber lief zu den Rindern und holte ein zartes gutes Kalb und gab es dem Knecht; der beeilte sich und bereitete es zu.

Und er trug Sauermilch und Milch auf und nahm Fleisch von dem Kalb, das er zubereitet hatte, und setzte es ihnen vor und blieb vor ihnen unter dem Baum stehen, und sie aßen.

Dann sprachen sie zu ihm: Wo ist Sara, deine Frau? Er antwortete ihnen: Drinnen im Zelt. Da hörte Abraham die Worte: Ich will übers Jahr wieder zu dir kommen; siehe, dann soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben. Das hörte Sara hinter ihm, hinter dem Vorhang des Zeltes. Abraham und Sara waren schon alt und hochbetagt, und Sara konnte gar keine Kinder mehr bekommen. Da lachte Sara innerlich und dachte: Ich bin alt und verbraucht, und meinem Mann geht es genauso. Und nun soll ich noch der Liebe pflegen? Da sprach der Herr zu Abraham: Warum lacht Sara denn und spricht: Sollte ich wirklich noch gebären? Wo ich doch so alt bin? Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen im nächsten Jahr; dann soll Sara einen Sohn haben. Aber Sara stritt es ab und sagte: Ich habe nicht gelacht. Denn sie hatte es mit der Angst bekommen. Er aber sprach: Doch, du hast gelacht.

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Liebe Gemeinde,
kennen Sie die Skulptur „Die lachende Alte“ von dem Künstler Ernst Barlach? Es ist eine Bronzefigur, die er im Jahre 1937 gestaltet hat. Eine alte Frau kniet auf dem Boden. Sie hat die Arme im Schoß nach vorne gestreckt; die Hände ruhen auf ihren Knien und der Kopf ist weit zurückgelegt. Mit offenem Gesicht schaut sie nach oben. Ihr Gesicht leuchtet. Sie lacht mit offenem Mund. Ihr ganzer Körper ist ein einziges Lachen - ein heiter wirkendes, ein frohes, ein ansteckendes Lachen.

Sie erinnert mich an Sara. Abrahams Frau. Auch Sara lacht. Sie steht hinter dem Vorhang ihres Zeltes, das sie sich mit ihrem Ehemann teilt. Gerade hat sie gehört, dass ihr und ihrem Mann noch ein Kind verheißen worden ist. In dem hohen Alter? Nachdem ihre Zeit der Fruchtbarkeit doch längst vorbei ist? Nachdem sie beide so viele Jahre lang vergeblich darauf gehofft hatten, dass Gott seine Verheißung ihrer Nachkommenschaft wahrmachen würde? Sara kichert in sich hinein. Sie juchzt ganz leise. Erstaunt. Vergnügt. Tief verwundert. Auch ungläubig? Sie kann sich schlicht nicht vorstellen, wie das gehen soll. Und ist das nicht auch eine skurrile, lustige Vorstellung, wenn eine Frau im Urgroßmutteralter plötzlich schwanger wird? Auch von Abraham wird das übrigens erzählt, ein Kapitel vorher, als er das göttliche Versprechen hört, dass Sara ein Kind bekommen wird: „Da fiel er auf sein Angesicht und lachte und sprach in seinem Herzen: soll mir mit hundert Jahren ein Kind geboren werden?“ Doch ihm bleibt es erspart, von Gott für seine Zweifel hinterfragt zu werden.

Ich möchte das Lachen von Sara als Freude verstehen; als erstaunte Freude darüber, dass ihr lebenslanger, langersehnter Wunsch doch noch in Erfüllung gehen könnte. Sara sieht ja bei ihren Freundinnen und Verwandten, wie viele frohmachende Momente es mit kleinen Kindern gibt. Wenn ich in meine eigene Biografie schaue, dann erinnere ich mich gut daran, dass mein Mann und ich, nachdem unsere Kinder geboren worden waren, viel mehr in der Familie gelacht haben als vorher. Da gab es so viele heitere und unbeschwerte Momente, so viel Situationskomik, so viele überraschende Wortschöpfungen, so viele unerwartete Fragen, die unsere Fantasie herausforderten. Als ihr Sohn geboren wird, nennen Sara und Abraham ihn „Izchak“, das heißt „Er lacht“. Ein lachendes, fröhliches Kerlchen, das seinen Eltern noch in ihrem Alter viel Freude macht und Leichtigkeit in ihr Leben bringt.

Sollte Gott etwas unmöglich sein? Diese Frage leuchtet aus dieser Väter - und Müttergeschichte heraus. Traust du Gott noch etwas zu? Kannst du dir vorstellen, dass etwas Ungewöhnliches in deine kleine Welt einbricht? Dass etwas eintrifft, das du dir ersehnt hast, wofür du gebetet hast? Das du dir sehnlichst gewünscht hast?

Bei Abraham und Sara fängt alles mit ihrer Gastfreundschaft an. Aus unserer eigenen Erfahrung wissen wir, was Gastfreundschaft bewirken kann. Denken wir einen Moment lang an die besseren Tage, die wir auch in diesem Jahr oder in früheren Jahren erleben konnten. Wenn wir Gäste eingeladen haben, dann haben wir die schöne Erfahrung machen können, dass das gemeinsame Essen wirklich Gemeinschaft schafft. Gastfreundschaft erweitert den Horizont. Man erfährt Neues, vom Gastgeber, von den Gästen und von der Welt. Da werden neue Fenster aufgemacht. Da setzt sich die Welt neu zusammen, so als würden Puzzleteile zusammengesetzt. Da wird auch mal auf etwas zusammen angestoßen. Lachen und Freude und Gespräche erfüllen den Raum. Gastfreundschaft ist Leben. Ist Lebendigkeit.

In der Wüste ist Gastfreundschaft ein eigenes Gebot, ein ungeschriebenes Gesetz. Jedes Beduinenkind lernt das von klein auf: wenn du jemanden Unbekanntes in der Wüste triffst, dann ist es deine Pflicht, ihn mit in deine Familie zu bringen. Drei Tage Gastrecht stehen jedem Fremden zu. Niemand soll in der Wüste allein und unversorgt sein. Er soll alles bekommen, was er braucht.

Vor vielen Jahren habe ich diese Haltung der Fürsorge erlebt, als wir mit unserer Studentengruppe den Sinai erkundet haben. In zwei Kleingruppen waren wir mit unseren Autos unterwegs, und damit die zweite Gruppe wusste, in welche Richtung sie bei einer Weggabelung weiterfahren sollte, wurden zwei Mitglieder der ersten Gruppe an dieser Gabelung abgesetzt, die den Ankömmlingen die Richtung anzeigen und dann auch mitgenommen werden sollten. Mehrere Stunden warteten die Beiden an dieser Stelle. Mitten in der Stille der felsigen, warmen, sonnigen Umgebung. Nichts passierte. Schließlich aber kamen zwei Beduinen mit ihrer Karawane von Kamelen vorbei. Gemächlich bewegten sie sich auf die beiden Studenten zu. „Ist bei euch alles in Ordnung? Was macht ihr hier? Braucht ihr etwas? Ist wirklich alles okay?“ Immer wieder stellten sie auf englisch diese Fragen, bis sie irgendwann – noch immer etwas skeptisch - ihrer Wege weiterzogen. Gastfreundschaft ist ein Gebot der Wüste.

„Gastfrei zu sein vergesst nicht,“ heißt es im Hebräerbrief des Neuen Testaments, “denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt“ (Hebr. 13,2). Ja, wer die Tür seines Zeltes oder seines Hauses offen hält für Überraschungsgäste, kann gelegentlich ein Wunder erleben. Es könnte sein, dass Gott selbst oder ein Bote von ihm an unserem Tisch Platz nimmt und etwas mitbringt.

Das erleben Abraham und Sara. Und sie werden beschenkt mit einer guten Nachricht. Sie unterbricht ihren tristen Alltag. Sie richtet sie auf und sie verändert ihr Leben.

Was hat diese Geschichte der Erzeltern von einst mit uns heute zu tun? Mit uns, die wir gerade in unseren Wohnungen oder Häusern sitzen, im Lockdown ausharren, versuchen, uns bestmöglichst zu schützen und auf bessere Zeiten hoffen?

Ich möchte die Geschichte von Sara und Abraham auf dieser Folie noch einmal erzählen:
Gott kommt hinein in die Wüste, mitten hinein in ein unwirtliches Leben. Er kommt, wenn die Zeit am heißesten ist. Wenn niemand mit Besuch rechnet. Weil alle sich am liebsten verkriechen, in den Schatten, ins Zelt oder ins Haus. Und mitten in dieser heißen Zeit, in der alle verkrümmt sind in sich selbst, da wird ihr Blick aufgerichtet. Und sie sehen auf wie Abraham und Sara und hören auf neue Worte. Gott und seine Boten kommen nicht zufällig vorbei. Sie haben eine Mission, sie bringen eine Botschaft mit: „In einem Jahr sieht alles ganz anders aus! In einem Jahr werdet ihr euch wieder freuen können.“ Und ich denke an den berühmten Satz von Friedrich Hölderlin aus seinem Gedicht „Patmos“, wo es heißt: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Und mir fällt zum Rettenden der Impfstoff ein, der auf dem Weg zu uns ist. Und die Menschen, die ihn verabreichen werden, sie werden wie Engel für uns sein. Und ich freue mich über ein biblisches Wort aus dem Jeremiabuch 31,17, das als Losungswort für den 17. Dezember ausgewählt worden war: „Es gibt eine Hoffnung für deine Zukunft.“

Mitten in dieser schweren, unwirtlichen Zeit warten auch wir auf ein Kind - auf das Kind von Bethlehem, das Gott hineinschickt in unsere tristen und bedeckten Tage. Und so wie Izchak seinen Eltern Freude geschenkt hat, so schenkt uns dieses Kind in der Krippe Licht und Freude und Liebe. Wie gut, dass es gerade in diesen Tagen unsere Seele aufatmen lässt.

Und nach dem Fest, da dürfen schon einmal unsere ersten Alten und Hochbetagten jubeln und juchzen und sich freuen – denn der Impfstoff wird für sie da sein. So wie vor wenigen Tagen jener alte Herr in England, der lachte und vor Freude strahlte und vor Begeisterung seine Arme in die Luft warf, nachdem er die Spritze bekommen hatte.

In einem Jahr wird es ganz anders sein.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied EG 8,1-4 Es kommt ein Schiff geladen

Fürbitten
Du, unser Gott, bist der, der war und der ist und der, der kommt.
In diesem Vertrauen bringen wir unsere Bitten für uns und für unsere Welt zu Dir.

Wir bitten für alle Pflegekräfte, für alle Ärztinnen und Ärzte in diesen Tagen. Gib ihnen Weisheit, Geduld, innere und äußere Stärke. Lass sie Kraft schöpfen aus der Liebe, mit der Du uns im Kind von Bethlehem begegnest.

Wir bitten Dich für alle, die sich vor dem kommenden Fest fürchten, weil sie Einsamkeit, Krankheit oder Sterben aushalten müssen. Lass das Licht von Bethlehem ihre Traurigkeit erhellen und die Klarheit des Herrn sie umleuchten, damit ihre Furcht und ihre Tränen weichen.

Wir bitten Dich für alle, deren Erwartungen an das Weihnachtsfest enttäuscht worden sind, die sich in diesen Tagen völlig neu orientieren müssen. Lass sie erfahren, dass Du da bist. Du besuchst sie im Kind von Bethlehem.

Lass das Licht von Bethlehem in unseren Fenstern und Herzen leuchten. Lass uns spüren, dass Neues entstehen und geboren werden kann, wo wir es gar nicht erwarten. Du gibst uns Zukunft und Hoffnung. Dein Licht vertreibt unsere Dunkelheit. Du bist der, der war, der ist und der zu uns kommt.

In diesem Vertrauen beten wir zu Dir mit den Worten des Vaterunsers:

Vater unser im Himmel.
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Gottesdienst mit Video zum 3. Advent von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: youtube.com/watch?v=tQgtu6Ng2L8

Begrüßung
Herzlich Willkommen zum Gottesdienst am dritten Advent hier in der Dankeskirche. Nicht einmal mehr zwei Wochen sind es bis Weihnachten. Wir feiern, dass Gott in Jesus in diese Welt gekommen ist. „Bereitet dem Herrn den Weg, denn siehe, der Herr kommt gewaltig.“ Das ist der Wochenspruch für die kommende Woche und damit auch eine Art Überschrift über diesem Sonntag. Aber können wir das immer so bejahen? Und wer ist Jesus für uns? Johannes der Täufer stellt sich diese Frage auch: „Bist Du der angekündigte Messias oder sollen wir warten, bis ein anderer kommt?“ Wer bist Du, Jesus? Dieser Frage wollen wir heute in diesem Gottesdienst nachspüren.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Psalm 85,2.7-12
HERR, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande und hast erlöst die Gefangenen Jakobs; 7 Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann? 8 HERR, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil! 9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten. 10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue. Amen.

Gebet
Jesus Christus, unser Heiland und Erlöser. Wenn wir zweifeln und wenig von Dir wahrnehmen, dann festige unseren Glauben und mach uns geduldig. Komme Du uns in diesem Gottesdienst entgegen, dass wir von Dir lernen und erfahren, wer Du bist, der Du mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebst und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Schriftlesung Jesaja 40, 1-10
Advent bedeutet Ankunft. Wir feiern das Kommen Jesu in unserer Welt. Als Christen stehen wir in der biblischen Tradition vom Kommen Jesu als dem Messias, das durch Johannes den Täufer angekündigt wurde. Johannes war davon überzeugt, dass die alten Prophezeiungen der jüdischen Schriften in seiner Zeit eintreffen werden. Und so hören wir von Jesaja, wie er es sich vorgestellt hat, wenn Gott selbst in die Welt kommt:
1 Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. 3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet. 6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. 9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her.

Lied EG 536

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Ich stecke meinen Einkaufszettel in die linke Hosentasche, nehme meinen Schlüssel und das Portemonaie und ziehe die Wohnungstür hinter mir zu. Auf dem Weg zum Supermarkt gehe ich die Liste in Gedanken nochmal durch. Mein Auftrag ist klar, er steht da schwarz auf weiß. Im Supermarkt starte ich mit Obst und Gemüse und arbeite die Liste nach und nach ab. Tomaten, Bananen, Äpfel, ein paar Beeren. Weiter geht es. Kekse. Was für Kekse? Die, die wir zuletzt hatten? Oder die Lieblingskekse meiner Schwiegereltern, die uns am Wochenende besuchen werden? Ein leiser Zweifel schiebt sich in meinen gewissen Auftrag. So ist das oft, wenn ein Plan oder meine Erwartungen auf die Wirklichkeit treffen. Ganz banal, an der Käsetheke. Dort, wo ich mich frage, wie „ausreichend Käse für zwei Mal Abendbrot“ auf meinem Zettel wohl zu interpretieren ist.

Zweifel schleichen sich im Alltag schnell ein. Das betrifft auch wichtigere Dinge, als Kekse. Werde ich diese Prüfung bestehen und wenn ja, mit welcher Note? Wird es mit meiner Gesundheit jemals besser? Kann ich meinem Partner, meiner Partnerin wieder vertrauen? Wird zu Weihnachten die Familie zusammenfinden? Solche Fragen verschwinden nicht einfach. Die geistern mal mehr, mal weniger stark im Kopf herum.

Und solche Fragen gibt es auch in unserem Glaubensleben: Wie kann ich an einem Gott festhalten, der Leid zulässt? Wie ist das mit Jesus: Ist er ein besonders vorbildlicher Mensch gewesen? Ist er der auferstandene Christus, der Leid und Tod überwunden hat? Wer ist dieser Jesus? Diese Frage hat sich auch Johannes der Täufer gestellt. Ich lese aus dem Matthäus-evangelium im 11. Kapitel die Verse 2-6:

2 Johannes (der Täufer) war im Gefängnis und hörte, was der Christus vollbracht hatte. Deshalb schickte er seine Jünger zu Jesus, 3 Und ließ sie fragen: Bist Du der angekündigte Messias oder sollen wir warten, bis ein anderer kommt? 4 Und Jesus antwortete ihnen, indem er sagte: „Geht zu Johannes und berichtet ihm, was Ihr seht und hört. 5 Blinde sehen wieder und Lahme gehen spazieren. Aussätzige werden rein und Taube können hören. Tote werden auferweckt und den Armen wird die gute Nachricht, das Evangelium verkündet. 6 Und gesegnet ist der Mensch, der sich nicht über mich ärgert und vom Glauben abfällt.

Die gute Nachricht ist: Ich bin nicht allein mit meinen zweifelnden Fragen. Auch andere zweifeln. Selbst Johannes der Täufer zweifelt. Er, von dem Jesus sagt, dass er ein außergewöhnlicher Prophet sei. Ein Mann Gottes. Die Zweifel von Johannes kommen vermutlich aus den Erwartungen, die er und die Menschen zu seiner Zeit an Jesus hatten. Sie hofften auf einen politischen Retter, den Messias, der das Volk befreit. Der den Römern Paroli bietet und die politische Landschaft umpflügt. Und vielleicht hoffte Johannes auch darauf, dass er aus dem Gefängnis befreit wird, wenn der Messias kommt. Und dann trafen die Erwartungen, die Hoffnungen und Wünsche auf die Realität. Denn Jesus hat sie nicht so erfüllt, wie die Menschen sich das vorgestellt haben. Der Messias ist irgendwie anders gekommen, als erwartet. Da sind Zweifel eine normale Folge.

Hängen meine Glaubenszweifel auch mit den Erwartungen zusammen, die ich an Gott habe? Weil meine Erwartungen auf die Realität prallen? Und wenn ja, welche Erwartungen habe ich an Gott? Eine Welt ohne Leid? Wohlstand für alle? Gelingendes Leben? Immer gute Laune und ein Leben in Gesundheit bis zum Tod im hohen Alter? Sind das meine Erwartungen an Gott? Und was passiert mit meinem Glauben, wenn sie nicht eintreffen?

Wie gesagt: Es ist normal, an Gott zu zweifeln. Das sagt Jesus selbst: gesegnet ist der Mensch, der sich nicht über mich ärgert und vom Glauben abfällt. Was aber kann ich tun, wenn sich diese Zweifel Bahn brechen? Wenn ich in meinen Erwartungen enttäuscht wurde? Johannes tut etwas Bemerkenswertes. Er wendet sich mit seinen Zweifeln direkt an Jesus. Er geht letztendlich mit seinen Zweifeln zu Gott. An der konkreten Situation des Johannes im Gefängnis ändert das übrigens erstmal gar nichts. Jesus hat auf die Zweifel des Johannes und damit auch auf unsere Zweifel eine Antwort: Verlasst Euch auf das, was Ihr seht und hört. Jesus sagt, dass die Zeichen seines Wirkens wahrnehmbar sind, wenn man sich darauf einlässt. Wenn man hinsieht. Wenn man hinhört.

Vielleicht muss ich dazu auch jenseits meiner Erwartungen hinsehen und hinhören. Da, wo Gott mir anders begegnet, als ich es denke. Für mich persönlich sind die Zeichen von Gottes Wirken in meinem Leben an verschiedenen Stellen zu erkennen. Wenn eine Prüfung vorbei ist und ich irgendwie das Gefühl hatte, ich war nicht allein. Selbst, wenn ich nicht bestanden haben sollte. Wenn ich nach einer Krankheit wieder an die frische Luft kann, und die Natur wahrnehme, auch wenn ich mich noch schwach fühle. Wenn Menschen den Dialog suchen und zusammenfinden, weil sie einander vergeben können. Auch wenn die Verletzungen tief sind. Wenn mir jemand in einem Nebensatz etwas sagt, was plötzlich ungeahnte Kraft in meinem Leben entfaltet. Wenn ich in den Adventsgottesdiensten spüre, dass da mehr ist, als ich selbst machen kann. Wenn ich merke: Gott ist da. Wenn mir die Nachbarin mitten in einer heftigen Arbeitsphase plötzlich Kuchen vorbeibringt, ohne zu wissen, dass ich gerade am Schreibtisch versauere.

Ich würde mir wünschen, dass wir hier in der Gemeinde noch mehr ins Gespräch kommen, über die Zeichen Gottes, die wir in unserem Leben erkennen können. Ich würde mir wünschen, dass wir uns gegenseitig stärken und ermutigen, weil wir uns von Gott erzählen. Und ich würde mir wünschen, dass wir auch über Zweifel sprechen.

Ist Jesus nun also der Messias? Oder mit Johannes gefragt: „Bist Du der angekündigte Messias oder sollen wir warten, bis ein anderer kommt?“ Jesus selbst sagt letztendlich: Meine Spuren sind gelegt. Du kannst sie entdecken. Aber sie zu suchen und mit Deinen Fragen und Zweifeln zu mir zu kommen, das ist Deine Entscheidung. Ob ich der Messias bin muss jede Generation, muss jeder Mensch für sich durchdenken, erkennen und glauben.

Gerade die Adventszeit ist eine Zeit der Zusagen. Gott bahnt sich seinen Weg zu uns Menschen. Gott kommt uns entgegen. Die Zeichen sind gelegt. Und vielleicht wirft Gott in der Advents- und Weihnachtszeit auch ein neues Licht auf die anderen drängenden Fragen unseres Lebens, wenn wir nach seinen Spuren suchen.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als unser menschliches Begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lied EG+ 112

Fürbitten und Vaterunser
Gott, Wir schauen auf Weihnachten. In Jesus Christus, dem versprochenen Erlöser, kommst Du zu uns. Schenke uns, dass wir Dich in unserem Leben erfahren können. Wir bitten Dich: Nimm uns die Zweifel an Dir. Mache uns zu Menschen, die nicht an ihren Erwartungen festmachen, wie Du sein sollst, damit wir erkennen können, wo Du uns beschenkst.

Gott, wir bitten für uns und unsere Gesellschaft in Zeiten der Pandemie. Zu sehr zermürben die Kontaktbeschränkungen. Und sie sollen noch verschärft werden. Viele Menschen geraten in Not, viele sind einsam. Wir hatten gehofft, dass die Infektionszahlen im November sinken. Wir hatten gehofft, dass wir uns eine Weile einschränken und dann ist die Lage wieder unter Kontrolle. Doch es ist anders gekommen und es ist schwer, damit umzugehen. Begleite uns in dieser Zeit. Mach uns trotz Unsicherheit geduldig und schenke uns Kraft für die kommenden Wochen. Wir bitten Dich um Weisheit für alle, die weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Wir bitten Dich, dass wir selbst weise reagieren und unseren Teil zur Bewältigung der Pandemie beitragen.

Gott, wir bitten für unsere Gemeinde. Wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie wir Weihnachten in diesem Jahr anders feiern. Wir bitten Dich, dass wir die Menschen in Bad Nauheim mit Deiner Botschaft des Friedens erreichen können. Wir bitten Dich um Deinen Segen für die Krippenwege und die Gottesdienste in den Kirchen und zu Hause. Wirke durch unsere Gemeinde in diese Welt hinein. Schenke, dass es Weihnachten wird in den Herzen der Menschen.

Und alles, was uns noch bewegt, bringen wir vor Dich mit den Worten des Vaterunsers.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Gemeinde: Amen.

 

Segen
Und so geht unter dem Segen Gottes in die kommende Woche:
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

Gottesdienst mit Video zum 1. Advent 2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/9GEjoyrdtHU

Orgel

Die erste Kerze brennt!  Ein herzliches Willkommen heute zum Gottesdienst. An diesem ersten Adventssonntag. Hier in der Dankeskirche.

Grund zur Freude bietet die Zeit des Advents! Vorfreude auf das Weihnachtsfest. Vorfreude auf die Geburt Jesu.  Auf die Ankunft des Friedenskönigs. Den Ausblick auf die Freude können wir gerade in diesen Tagen gut gebrauchen.

Worte aus dem  Buch des Profeten Sacharja begleiten uns in diese neue Woche:
„Sieh,  dein König kommt zu dir.  Ein Gerechter und ein Helfer.“

Wir feiern den Gottesdienst im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.

Meditation zu Psalm 24

Macht die Tore weit und alle Türen in der Welt auf,
damit Gott wie ein König einziehe.

Warum sollen wir die Türen öffnen,
damit Gott zu uns kommt wie ein König?
Gehört ihm nicht schon die Erde?  
Sind nicht alle Geschöpfe das Werk seiner Hände?

Macht die Tore weit und alle Türen in der Welt auf,
damit Gott wie ein König einziehe.

Wer kann die Gegenwart Gottes ertragen,
wenn er zu uns kommt, um bei uns zu wohnen?
Der, der für Gerechtigkeit eintritt
und nach Frieden trachtet, der, der sich vergeben lässt,
wo er schuldig geworden ist.

Macht die Tore weit und alle Türen in der Welt auf,
damit Gott wie ein König einziehe.

Wer Gott die Tore öffnet
und für ihn die Tür seines Herzens weit aufmacht,
der wird Segen empfangen und seine Gebete
werden den Weg zu Gott finden.

Darum macht die Tore weit auf
und alle Türen in der Welt auf,
damit Gott wie ein König einziehe. Amen.

EG 1,1-3 Macht hoch die Tür

Gebet
Du, sehnlich erwarteter Gott,
unerwartet kommst du und manchmal so anders, als wir meinen. Doch du kommst! Darauf kommt es an und darauf können wir uns verlassen. Und eben darum bitten wir dich: Erhalte uns diese Zuversicht auch in schweren Zeiten und in einer für uns unberechenbaren Welt. Hilf uns, damit wir Tritt und Halt finden auf guten Wegen. Dies bitten wir im Namen deines Sohnes, unseres Bruders und Herrn. Amen.

Schriftlesung Sacharja 9,9-10
„Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, juble laut! Sieh, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer. Er ist arm und reitet auf einem Esel, auf dem Fohlen einer Eselin.  Ich werde die Streitwagen aus Ephraim beseitigen und die Schlachtrosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird den Völkern den Frieden gebieten, und seine Macht wird von einem Meer zum anderen reichen, vom Tigrisstrom bis zu den Enden der Erde.“

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!  Amen.

Liebe Gemeinde,
ein neues Jahr ist da! Ein neues Kirchenjahr. Heute, am 1.  Advent, zünden wir die 1.  Kerze an. Und übermorgen öffnen wir die erste Tür unserer Adventskalender – ob sie nun analog sind oder in dieser Zeit zusehends digital. Viele wundern sich, wo dieses letzte Jahr geblieben ist. Wie schnell ist es vergangen, auch wenn - oder gerade weil -  Vieles so ganz anders war als gewohnt. Ja, es ist schon so eine Sache mit der Zeit.

Wir leben und wir denken in Kategorien der Zeit: Stunden.  Tage. Wochen. Monate.  Das bietet uns Orientierung. Welcher Tag ist heute? Wo befinde ich mich gerade in meinem Terminkalender? Es ist wichtig, das zu wissen.  Damit das Richtige zur rechten Zeit getan wird.

Zugleich aber merken wir auch, dass Zeiten sich ändern. Gerade wenn wir die letzten Jahre miteinander vergleichen. Zeit – Ansagen werden gemacht. Täglich können wir das in den Medien verfolgen. Was gilt jetzt, im Moment? Was hat die Stunde geschlagen? Welche Regeln haben wir heute, morgen und in den nächsten Wochen zu befolgen? Was geben die Regierenden vor, die, die jetzt eine besondere Verantwortung tragen? Das alles verlangt viel Wachheit von uns, Aufmerksamkeit und ein flexibles Handeln. Und wir müssen jeweils neu für uns durchbuchstabieren und abwägen, was im Moment gerade ein verantwortungsvolles Verhalten ist. Gerade gegenüber unseren verwundbaren Nächsten.

Inmitten dieser Zeitansage möchten manche auch den Zeitgeist bestimmen. Sie wollen zeigen, wo es langgehen soll in unserer Welt. Da spricht einer einfach so von „alternativen Fakten“.  Da benutzt einer Twitter, als wäre es eine eigene, 4. Gewalt im Staate, mit der sich an demokratischen Strukturen vorbei Politik machen lässt. Menschen wollen den Zeitgeist bestimmen. Da radikalisieren und spalten sich ganze Gesellschaften innerhalb der westlichen Welt.  Da wird in unserem Land die Geschichte relativiert, und ein dumpfer Antisemitismus kommt wieder hervorgekrochen. Sie behaupten, sie allein wüssten, was wahr ist. Das alles sind Zeichen eines Zeitgeistes, die vielmehr Schreckgespenster sind. Diese Bewegungen sind Geister, Gespenster, die uns nur vorgaukeln, dass sie die Wahrheit vertreten. Sie nehmen unsere kostbare Zeit in Anspruch.  Sie wollen unsere Aufmerksamkeit. Sie erheben den Anspruch darauf, unser Denken, unser Fühlen und Handeln zu bestimmen.  Aber sie sind alle nur menschengemacht.

Da ist es gut, dass die Zeiten auch wechseln können. Dass etwas Anderes kommen kann. Der Lauf der Welt verändert sich auch! Er entlarvt viele Akteure, die den Zeitgeist bestimmen wollen. Und plötzlich fällt einem das Kind aus dem Märchen ein, das laut ruft: „Guckt mal, der Kaiser hat ja gar keine Kleider an!“

Hinter vielen Zeitgeistern steckt gar keine Substanz. Nichts Beständiges. Potemkimsche Dörfer. Reine Fassade.

Der biblische Text dieses Tages aber erzählt von einem wahren Geist. Der beständig ist. Und in Ewigkeit derselbe ist. Der wahr ist und sich treu ist. Der vor allem den Menschen treu ist. Und der die Menschen anspricht. Durch die Zeiten hindurch. Gottes Geist. Er geht uns unvermittelt an. Egal, in welcher Zeit wir leben. Wir hören ihn heute in den Worten Sacharjas, des Profeten: „Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, juble laut! Sieh, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer. Arm, und reitet auf einem Esel. Und er wird den Völkern Frieden gebieten, und seine Herrschaft wird von einem Meer zum anderen sein, bis an die Enden der Erde.“

Ein Profet sagt, was er von Gott weiß. Und er sagt, was jetzt gerade dran ist. Was die Stunde geschlagen hat. „Freut euch und jubelt!“ Er weckt seine Leute auf, er rüttelt sie wach. Er weiß, dass Vieles im Argen liegt zwischen den Menschen seiner Zeit. In der Gesellschaft seiner Zeit brodelt es: Gewalt ist auf den Straßen, Gewalt ist in den Häusern. Unfrieden, Streit und Auseinandersetzungen sind in vielen Beziehungen zu finden. Witwer und Witwen werden ausgegrenzt. Waisenkinder sind nicht versorgt. Arme hungern. Kranke leiden. Gastfreundschaft ist ein Fremdwort. Worüber sollten die Menschen sich da freuen?!

Sacharja, der Profet aber sieht tiefer. Er öffnet seinen Zeitgenossen den Blick dafür, dass es ja auch anders gehen könnte. Er malt ihnen eine ganz atemberaubende Vision vor Augen. Und er spricht von dem, der der „König ihrer Herzen“ werden möchte: der hilft, der gerecht ist, dem es wichtig ist, Unrecht zu überwinden und Frieden aufzurichten. Der demütig ist und sich selbst nicht zu hoch einschätzt. Damit öffnet der Profet seine Leute für die Perspektive, dass es durchaus anders zugehen könnte zwischen den Menschen. Und welch ein Gegenbild ist das zu den gängigen, üblichen Herrschern der Geschichte, die sich darin überbieten und überboten, reich zu sein, selbstsüchtig, korrupt und doppelzüngig. Menschen, die auf äußere Pracht aus sind und die keine Skrupel haben, über Leichen zu gehen. „Dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer. Der reitet auf einem Esel.“ Auf einem Esel?! Der taugt also gerade gar nicht  für eine aggressive Kriegsführung.

Sacharja spricht sein profetisches Wort hinein in einen der blutigsten Abschnitte der Weltgeschichte. Es ist die Zeit der sog. Diadochen, der Nachfolger Alexanders des Großen. Wo ein Herrscher den anderen zu Tode bringt – durch Intrigen, durch Dolch und Gift. Und dennoch halten sie alle sich für göttliche Wesen. Nennen sich „Heilsbringer“ (Euergetes), „auf Erden erscheinender Gott“ (Epiphanes) oder „Heiland“ (Soter). Dagegen nun erhebt ein Profet im kleinen Jerusalem seine Stimme und sagt: „Nein! Dein König kommt zu dir, um ein wirkliches Friedensreich zu errichten.  Ohne prachtvollen Glanz.“

Wen meint der Profet damit? Gott selbst? Einen einfachen Mann aus seinem Volk? Den Messias, der sehnsüchtig erwartet wird? Die jüdische und die christliche Tradition haben dies als messianische Voraussage verstanden. Aber im Text selbst bleibt es offen.

Ich denke, seine entscheidende Botschaft ist: „Merke auf! Auch wenn deine Gegenwart gerade dunkel ist -  das ist nicht das Ende aller Tage, nicht das Ende der Geschichtsschreibung. Es kann anders werden.  Gib nicht auf! Es gibt Licht am Horizont. Richte dich auf! Du darfst dem Dunkeln Licht entgegensetzen. Du siehst es vielleicht jetzt noch nicht, aber dein König kommt zu dir. Deine Erleichterung, deine Rettung.“

Die Menschen, die zur Zeit Jesu leben, erkennen die Worte des Profeten in ihm wieder, in dem Mann aus Nazareth. Er, der Friedenskönig, der arm ist und auf einem Esel nach Jerusalem hineinreitet. Begleitet von fröhlichen, glücklichen Menschen, die ihn als Messias, als den Sohn Davids, den lang erwarteten Retter feiern und preisen. Er ist es, der die Ausgestoßenen sieht und die Ausgegrenzten wieder in die Gemeinschaft hineinholt. Durch seine Kraft werden gebeugte Menschen aufgerichtet, erfahren Kranke Hilfe. Seine Liebe macht die Herzen der Menschen warm. Seine Liebe schließt Menschen füreinander auf und lässt sie neu entdecken, was Nächstenliebe bedeutet. Er verkündet die Sanftmut als einen entscheidenden Wert des Lebens. Und er zeigt mit seinem Handeln, wie Barmherzigkeit einem Menschen guttut. „Sieh, dein König kommt zu dir.“

Auch uns tut es gut, uns an ihm auszurichten, gerade in dieser Zeit. Wir sind dem Dunklen nicht ausgeliefert. Wir können das Licht der Welt in uns hineinlassen. Es hell werden lassen in uns.

Und auch wir können in den Spuren Jesu gehen. Lichter der Fürsorge und der Mitmenschlichkeit können wir anzünden. Fragen, wie es den Nachbarn, der Nachbarin geht und bedürftige Menschen sehen. Wir können kranken Menschen Gutes tun und den Trauernden unser Ohr leihen.

Wir können Arme unterstützen.  Daran werden wir gerade heute erinnert, wo wieder die „Aktion Brot für die Welt“ eröffnet wird.

So leuchten Lichter der Hoffnung und des Glaubens auf. Lauter kleine Lichter, die in der Dunkelheit unserer Welt aufstrahlen. Sie zeigen, dass das Licht der Welt unterwegs ist, der König des Friedens und der Liebe mit seinem so ganz anderen Reich.

„Sieh, dein König kommt. Zu dir.“ Es ist Advent.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in dem Messias Jesus. Amen.

EG 11,1-3 Wie soll ich dich empfangen

Fürbitten
Du, unser Gott, wir sind auf dem Weg durch das Leben. Auf diesem Weg kommt gerade Vieles auf uns zu. Wir danken dir für das Gute der letzten Zeit: dafür, dass sich ein neues Verhältnis zu den USA anbahnt und nun für manche globalen Probleme wieder gemeinsam nach Lösungen gesucht werden kann. Wir sind zutiefst dankbar für die Aussicht auf einen baldigen Impfstoff, der uns schützen und das Leben wieder leichter machen kann. Wir klagen dir aber auch, was uns belastet:  die Pandemie, die uns in allen Bereichen unseres Landes und unserer Welt in Atem hält. Du weißt um unsere Dünnhäutigkeit, wachsende Aggressionen und Verschwörungstheorien. Um Existenzangst und Niedergeschlagenheit, um die Trauer um geliebte Menschen. Das Wort deines Profeten und Dieners begleitet uns:  Komm uns zu Hilfe! Lass uns das Recht wahren und richte den Frieden unter uns auf.
Du, unser Gott, wir sind auf dem Weg durch das Leben. Auf diesem Weg kommen Manche auf uns zu: Menschen, die in Armut leben. Denen es nicht gut geht.  Die erschöpft sind und nach einer Perspektive für sich fragen. Menschen, die einsam sind. Doch das Wort und die Liebe deines Sohnes begleitet uns. Wir wollen zusammenhalten. Wollen einander wahrnehmen und unterstützen. Komm zu uns, Gott! Wir sind auf dem Weg. Komm zu uns in diesem so besonderen und ganz anderen Advent. Wir öffnen uns für dich.
Und alle unsere Bitten, die wir noch auf dem Herzen haben, nehmen wir mit hinein in das Gebet Jesu, das er uns geschenkt hat:

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Adventsandacht am 28.11.2020 von Pfarrerin Meike Naumann

Musik zum Eingang

Begrüßung
„Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer."  Mit dem Wochenspruch aus dem Buch des Propheten Sacharja (9,9a) begrüße ich Sie ganz herzlich zu unserer Andacht am Vorabend des 1.Advent.
Mit dem 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr. Advent, das heißt Ankunft: die Adventszeit ist eine Zeit der Vorbereitung auf die Ankunft Jesu in dieser Welt, eine Zeit der Vorfreude und der gespannten Erwartung: „Macht hoch, die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit!“ so haben wir es von der Orgel gehört.
In diesem Jahr liegen den Adventsandachten die Bilder der Künstlerin Margot Brüning zu Grunde. „Hoffnungshorizonte“- so hat Margot Brüning diesen Bilderzyklus überschrieben. Die Kraft der christlichen Hoffnung kann uns helfen, die Herausforderungen unserer Zeit mutig anzunehmen. Hoffnung auf  Leben und Heilung. So feiern wir unsere Andacht im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Psalm24: EG
Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
8Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.
9Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
10Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr Zebaoth; er ist der König der Ehre. SELA.

Gebet
Lebendiger Gott,
wir kommen zusammen, um Gottesdienst zu feiern.
Wir zünden die erste Kerze an, hören die vertrauten Lieder des Advents.
Wir bereiten uns vor auf das Weihnachtsfest.

Wir bitten dich:
Komme uns nahe mit deiner Gerechtigkeit!
Lass uns erfahren, dass deine Gerechtigkeit die Welt verändert,
und schenke uns immer wieder Möglichkeiten, Teil deiner Gerechtigkeit zu werden!
Amen!

Musik: O Heiland reiß die Himmel auf

Ansprache

Liebe Gemeinde, da zwängt sich etwas aus dem Dunkel heraus. Die tiefblauen Flächen scheinen sich unweigerlich öffnen zu müssen. Da ist eine Kraft, die zum Licht drängt. Etwas, was lange im Dunkel wohnte, will jetzt frei gegeben werden. In Verbindung mit dem Licht beginnt alles zu grünen.

Es erinnert mich an Knospen die aufspringen. Und damit kommt die Erinnerung an eine alte Nachbarin aus meinem Elternhaus, die schon lange nicht mehr lebt. Aber gute 30 Jahre sind wir in Butzbach Nachbarn gewesen. Und am Zaun zwischen unseren Grundstücken da standen auf ihrer Seite Spalierobst. Äpfel und Birnen. Und auf dieser davor ein wunderbarer alter Apfelbaum. Die Knospen auf der Karte erinnern mich an die Knospen dieses Apfelbaums von denen mir meine Nachbarin einmal erzählte:

„Ich wollte ihn schon immer mal wieder abholzen lassen, den alten Apfelbaum, weil er beim Rasenmähen so im Weg steht. Dann habe ich mir aber gedacht: Nein, der treibt noch mal. Und siehe da, einige Wochen später wachsen Knospen heran. Sie werden dicker und weicher. Das erste grüne Laub spitzt durch, die ersten weißen Blätter. Und dann blüht er ganz auf, auch in diesem Jahr.“ Und meine alte Nachbarin sprach weiter: „Es gibt nichts Schöneres als Apfelblüten im Frühjahr. Das Summer der Bienen. Diese weiße Pracht. Wenn ich dann aus dem Küchenfenster schaute, atme ich auf. Wieder einmal setzt sich das Leben durch und ich freue mich so darüber.“

Diese Nachbarin, liebe Gemeinde, ist für mich ein durch und durch adventlicher Mensch. Im Winter wenn die Bäume kahl sind, das Gras vergilbt ist und die Blüten abgestorben, wenn die Kälte die Insekten vertreibt und die frühe Dunkelheit das Leben verlangsamt – zumindest in der Natur – und in diesem Jahr durch den Lockdown auch bei uns Menschen – da sehnt sie sich nach den bunten Farben des Frühlings. Da glaubt sie an die Kraft ihres Baumes. Da schaut sie gespannt auf die Knospen du vertraut darauf, dass sie blühen werden.
Am 4. Dezember stecken manche jedes Jahr Kirschzweige in eine Vase. Frisches Wasser braucht es dazu, Winterlicht und vier Wochen Warten. Mehr nicht. Irgendwann springen die Knospen auf. Der Zweig beginnt zu blühen und steht an Weihnachten in seiner kleinen Pracht. Rosa Blüten am kahlen Zweig – Frühlingsboten neben dem Adventskranz oder dem Weihnachtsbaum. Dieser Brauch erinnert an einen anderen adventlichen Menschen. An eine junge Frau. Barbara war ihr Name. Sie war Christin geworden in einer Zeit, in der man für dieses Bekenntnis sein Leben aufs Spiel setzte. Wie grausam. Es war ihr eigener Vater, der über sie das Todesurteil fällte. Auf dem Weg zum Gefängnis – so die Legende – verheddert sich ein Zweig in ihrem Kleid. Sie steckt ihn in einen Becher mit Wasser. Als der Tag der Hinrichtung kommt, blüht der Zweig. Rosa Blüten – hauchdünn. „So wie du jetzt aufblühst“, soll Barbara gesagt haben, „werde ich aufblühen in einem neuen Leben“.

Zwei Frauen – eine alt und im Alter immer mal wieder einsam. die andere vom eigenen Vater verurteilt und den Tod vor Augen. Dazwischen liegen hunderte von Jahren. Was sie eint, ist der Hoffnungshorizont, in dem sie leben: Leben setzt sich durch. Knospen springen auf – fangen an zu blühen – jedes Jahr neu und einmal auch für immer.

Adventliche Menschen sind hoffnungsvolle Menschen. Sie erwarten Gutes von der Zukunft. Sie erwarten Gutes von Gott. Sie glauben an die Kraft des Lebens. Aus den kleinsten Zeichen schöpfen sie Hoffnung und atmen auf. Wer könnte atmen ohne Hoffnung?

„Hoffnungshorizonte“ heißt die Reihe der diesjährigen Adventsandachten. Es ist erstaunlich. Eine Herleitung des deutschen Wortes „hoffen“ trägt die Vorstellung des Horizontes schon in sich. Sie kommt aus dem Indogermanischen und bedeutet sich bücken. Sie lässt sich mit dem Griechischen „sich nach vorn beugen“ vergleichen. Indem man sich nach vorne beugt, versucht man weit über das, was ganz nahe ist, über den eigenen Tellerrand hinauszusehen. Wer nach vorne schaut, schaut von sich weg auf den Horizont. Dorthin „Wo die Schnittstelle ist zwischen Himmel und Erde“ – so beschreibt es die Malerin unseres Adventsmotivs. Wer nach vorne schaut, hebt den Kopf, der Brustkorb weitet sich. Atem kann fließen.
Ich nehme noch einmal die Karte in die Hand. Im ersten Augenblick wirkt sie düster auf mich, kalt und lebensfeindlich. Aber dort am Horizont wird es schon hell. Noch ist das Licht kalt und winterweiß. Aber an einer Stelle färbt es das Blau schon in Grün. Ich stelle mir vor, wie das Licht von Weihnachten das weiße Licht in warmes, gelbes Licht verwandelt. Ich höre die Stimme des Propheten Jesaja. „das Volk, das im Finstern wandelt sieht ein großes Licht und über denen, die im finsteren Tal leben, scheint es hell.“ JEs 9,1
Die schwarzen Striche, die Knospen an dem dunkel angedeuteten Zweig beginnen sich zu regen. Sie verändern sich, werden dick und weich und springen auf. Helles Blattgrün wird frei. Die Triebe entfalten sich und ich höre den Propheten Jesaja sagen: „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein grüner Reis, ein junger Trieb aus seiner Wurzel bringt Frucht“ (Jes 11,1). Es ist ein Ros entsprungen, aus einer Wurzel zart…. Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß. Mit seinem hellen Scheine vertreibts die Finsternis. Wahr Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide. Rettet vor Sünd und Tod.  – Dieses Lied durchdringt die Landschaft meiner Adventskarte.

Gott selbst taucht da am Horizont auf. In einem kleinen Kind kommt er zur Welt Mit ihm setzt sich Leben durch. Menschen werden heil. Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, den Armen wird das Evangelium verkündet und Tote haben das ewige Leben. Und einst wird die Welt verwandelt in einen blühenden, friedlichen Ort.

Adventliche Menschen sehen Gott im Hier und Jetzt als einen ,der schon da ist. Sie wissen sehr wohl, wie zerbrechlich und endlich das Leben ist und wie mühsam es manchmal sein kann leben zu müssen. Und sie sehen Gott am Horizont als einen der noch kommt, der Leben mit sich bringt wieder einmal – immer wieder – und einmal für immer. Adventliche Menschen schauen dem entgegen und atmen auf. Jedes Jahr neu: Dann kann ihnen ein Virus die Weihnachtsfreude nicht verderben. Dann lassen sie sich verzaubern von Wirkung liebevoller Zuwendung oder tatkräftiger Unterstützung. Dann hoffen sie darauf, dass ein Liebeswort die Angst überwindet , dass Apfelblüten einsame Menschen trösten und der blühende Barbara daran erinnert, dass neues Leben und neue Wege möglich sind.

Das ist der Hoffnungshorizont, der vor uns ausgebreitet wird in den nächsten Wochen. Beugen wir uns nach vorn, schauen wir ihm entgegen und werden selbst adventliche Menschen.

Und der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes. (Röm 15,13) Amen.

Musik

Gebet
Du Gott des Neubeginns,
du sehnst dich danach,
dass wir wahrhaft adventliche Menschen werden.
Segne unsere Hoffnung
und unser Vertrauen in deine Verheißung,
damit wir mit wachsen Herzen
unsere Sehnsucht nach dir lebendig halten,
mit wachem Gespür
die Zeichen der Zeit zu deuten wissen.
Segne unsere Hoffnung
Und unser Vertrauen in deine Wiederkunft,
damit wir mit wachem Blick
Ausschau halten, wo du uns entgegenkommst,
in freudiger Erwartung
bereit sind für die Begegnung mit dir.
Segne unsere Hoffnung
Und unser Vertrauen in deine Gegenwart,
damit wir hellwach
ausgerichtet bleiben auf dich,
offen und empfänglich für dein Wort,
das uns jeden Tag neu ins Leben ruft. Amen.

Vaterunser

Segen

Geh deinen Weg durch den Advent
Und lass das Licht in dich ein –
Dass es dich berühre,
in dir leuchte
und die Gesichter der Menschen froh mache,
die mit dir sind.
Amen

Musik

Gottesdienst am 15.11.2020 von Pfarrerin Meike Naumann

Musik

Begrüßung

Der heutige Sonntag, Volkstrauertag führt uns hinein ins Nachdenken über den Sinn des Gedenkens. „Muss das denn immer sein?“ – so ertappe ich mich manches Mal bei der Vorbereitung dieses Sonntages. „Ist nicht diese Novemberzeit, in der das Leben kahl wird und uns der Ewigkeitssonntag vor der Tür steht, schon schwer genug? Und gerade dieser November ist durch Corona und den erneuten Lockdown noch schwerer als sonst.“ Die Botschaft des Volkstrauertags lautet ganz kurz zusammengefasst: Nie wieder Krieg! Es ist gerade in dieser Zeit besonders wichtig diese Botschaft für uns, unser Land und die Welt wachzuhalten. Deswegen finde ich den Volktrauertag doch gut. Und gerade weil wir in diesem Jahr keinen Kranz am Denkmal ablegen können, ist es wichtig, dass wir hier in diesem Gottesdienst gedenken und für den Frieden beten. Wir tun das im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Lassen Sie uns unsere Stimmen erheben. Das Dunkle benennen, in dem wir stehen, Schuld und Not, die in unserem Land durch Verbrechen an der Menschlichkeit entstanden sind. Lassen Sie uns unsere Stimmen erheben und unsere Sehnsucht nach Heil Raum gewinnen lassen. Wir beten mit guten, alten Worten, die vor uns schon so viele getröstet haben und sprechen gemeinsam... (Ps 51 Nr. 727)

HN 727 Psalm 51
Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz
Gott, sei mir gnädig nach deiner Güte,
und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit.
Wasche mich rein von meiner Missetat,
und reinige mich von meiner Sünde;
denn ich erkenne meine Missetat,
und meine Sünde ist immer vor mir.
An dir allein habe ich gesündigt
und übel vor dir getan,
auf dass du recht behaltest in deinen Worten
und rein dastehst, wenn du richtest.
Siehe, dir gefällt Wahrheit, die im Verborgenen liegt,
und im Geheimen tust du mir Weisheit kund.
Lass mich hören Freude und Wonne,
dass die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast.
Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden,
und tilge alle meine Missetat.
Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz,
und gib mir einen neuen, beständigen Geist.
Verwirf mich nicht von deinem Angesicht,
und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir.
Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe,
und mit einem willigen Geist rüste mich aus.
Ps 51,3-6.8.10-14

Tagesgebet
Gott des Lebens!
Du weckst in uns die Sehnsucht nach Erneuerung unserer Welt.
Lass uns erkennen, wo dein Reich heute schon unter uns ist.
Gib uns die Kraft und den Mut zu tun, was dem Frieden dient,
und dein Heil zu erwarten.
Durch Christus Jesus, unseren Herrn.
Amen.

Schriftlesung 25,31-46
31Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit, 32und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.34Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35
Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. 36Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.37Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? 38Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? Oder nackt und haben dich gekleidet? 39Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.41Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.44Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? 45Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. 46Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Glaubensbekenntnis

Musik

Predigt

Friede sei mit Euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt!

Liebe Gemeinde! Volkstrauertag.

Lange schon ist unser Leben in Deutschland wieder vom Frieden geprägt, von Wohlstand und Sicherheit. Auch Möglichkeiten des Bildungszugang für viele, Möglichkeiten von Meinungsfreiheit und demokratischer Mitgestaltung, auch Dichten und Denken und die Kunst des schönen Lebens sind im Frieden gewachsen und stehen uns offen.

Blicken wir heute zurück und schauen wir etwas genauer hin, sind die Folgen und Wirkungen von zwei Weltkriegen an Menschen und Völkern immer noch zu sehen und zu spüren. Von Deutschland aus ist im Nationalsozialismus viel Unmenschlichkeit, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in die Welt gekommen. Viel Tod und Leid hat Menschenleben mit schweren Schatten des Todes, mit Schuld und vielerlei unermesslichem Leid und Not versehen. Geprägt sind Leben, ist die Welt davon. Manches geht als Erbe durch unsere Familien, durch unsere Biographien, prägt mein Leben noch nach Jahrzehnten.

Wir hören heute eine ungewöhnliche Geschichte, die für mich schwer zu fassen ist. Erst langsam weicht mein Widerstand und ich kann mich anstiften lassen, einen ungewöhnlichen Weg in dieser Geschichte zu erkennen. Diesen Weg vielleicht sympathisch zu finden. Hören Sie selbst:

Lukas 16,1ff Vom ungerechten Verwalter
161Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. 2Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. 3Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. 4Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. 5Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. 7Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.8Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die
Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts

Liebe Gemeinde, wenn es ums Verwalten von Gottes Gaben und Gütern geht, dann ist mir einleuchtend, dass es an anderer Stelle in der Bibel heißt, wir sollen Haushalter*innen der guten Gaben Gottes sein. Was soll ich nun heute mit diesem ungerechten Verwalter anfangen, frage ich mich. So ein Opportunist, der die Fahne in den Wind hält? Das provoziert mich. Vielleicht fällt mir das deshalb so auf, weil ich mich selbst oft gefragt habe, wie ich mich wohl verhalten hätte, wenn ich im Nationalsozialismus hätte leben müssen. Wäre ich eine Sophie Scholl gewesen? Oder hätte ich eine Täter*innen-Biographie? Hätte ich mich in so einem System in Schuld verstricken lassen und in Unmenschlichkeit? Oder hätte ich mir Auswege gewünscht, sie gesucht und gefunden?

Wahrscheinlich denken die Leute zur Zeit Jesu beim ungerechten Verwalter an Land in Galiläa, an Land, das nach Kriegen, all der Fremdherrschaft und Unterdrückung, nicht mehr den Bauern vor Ort gehört, sondern reichen Leuten im Ausland. Die hatten Leute aus der Gegend angestellt, die alles in ihrem Sinne verwalten sollten. Unsere Hauptperson steht also im Dienst solch eines Systems. Das ist uns in der deutschen Geschichte nicht fremd. Das Menschen einfach gemacht haben, was sie machen sollten oder mussten, aller Unmenschlichkeit zum Trotz weitergemacht haben, was bei ihnen eben auf dem Schreibtisch lag.

Als unser Verwalter denunziert wird, sieht er zwei Wege. Beide will er nicht einschlagen. Sie scheinen ihm ohne Hoffnung zu sein. Das imponiert mir. Nach all dem Leben im Dienst der Unmenschlichkeit hat er jetzt Hoffnung und will einen neuen Weg für sich, in dem Menschlichkeit und Geborgenheit in guten Beziehungen möglich ist. Er hat wohl irgendwie in sich ein Wissen davon, dass er es wert ist – und dass die anderen Menschen es auch wert sind.

Ob er wirklich schuldig war – das denke ich – oder ob er vielleicht unschuldig denunziert wurde, das erfahren wir gar nicht. Aber wir erfahren, dass dieser Mensch abwägt.
Der Verwalter will nicht Anschuldigungen aushalten, beschuldigt werden. Dieser Mensch will nicht beschämt werden. Das finde ich beeindruckend. Das ist vielleicht auch gesund. Beschämung ist furchtbar. Meist lebensfeindlich. Schwer ist es, von da wieder in die Liebe zu kommen, in die Selbstliebe, in die Nächstenliebe oder in die Gottesliebe.

Unser Mensch sieht einen zweiten Weg: Sich bestrafen lassen. Das würde heißen eine Arbeit tun, die seinen Gaben gar nicht entspricht. Das möchte er nicht. Er möchte seinen Gaben entsprechend leben. Deswegen sucht er nach einem dritten Weg.

Ich sehe in diesem Beispiel viel Liebe, viel Wissen darum, was wir brauchen, damit wir Liebe spüren können, uns selbst lieben können, für uns selbst sorgen können.

Viele Menschen, die in einem System waren, das andere Menschen unmenschlich behandelt hat, sind davon traumatisiert. Oder sie haben gesehen, wie Menschen durch das System, in dem sie selbst mitmachen, traumatisiert worden sind. Bei ihnen selbst bleibt ein starker Eindruck davon zurück. Auch der Krieg in Deutschland hat viele Menschen traumatisiert. Wenn ich vom Holocaust rede, werden sich bei Ihnen vermutlich sofort Bilder dazu einstellen. Unermessliches Leid ist entstanden, Entmenschlichung. Auch viele andere Menschen, die die Gewalt des Krieges als Kinder erlebt haben, wissen von Traumatisierungen und reden inzwischen davon. Angehörige von Menschen mit Traumata können selbst auch davon beeinflusst werden, Sekundärtraumatisierungen sagt man dazu. Das ist ein weites Feld. Ich weise nur darauf hin, weil ich glaube, dass der Mensch in unserer Geschichte eine wirklich gute Idee hat, als er sich danach sehnt, dass es einen Weg geben muss jenseits von Beschämung und Bestrafung. Ich finde es ganz beeindruckend, dass er von der Kraft der Selbstliebe weiß. In Kontexten, die traumatisierend waren oder sind, ist es unbedingt hilfreich und notwendig, dass Menschen eine gute Selbstfürsorge entwickeln. Das lebt uns die Beispielgeschichte vor. Sicherheit soll der neue Weg bringen. Geborgenheit. Hoffnung auf gutes Leben leitet unsere Hauptperson und der Wunsch nach Beziehungen, die tragen mögen und können. Unser Mensch gibt nach all der Unmenschlichkeit, nach all dem Verstricktsein in Schuldkontexte, die auch bleiben, die Hoffnung nicht auf, dass es eine gute Gemeinschaft in Menschlichkeit und echter Zugewandtheit geben kann, wieder geben kann, auch für ihn. Er ist es sich wert.

Das Lukasevangelium, das Evangelium der Armen und der Frauen, ist übrigens das einzige Evangelium, das diese Art der Hoffnungsgeschichte erzählt. Ich vermute, dass es auch daran liegt, dass arme Leute diese Art der Geldumverteilung sicher mit einem anderen Ohr hören als Reiche, die sich spontan eher mit dem Arbeitgeber des Verwalters identifizieren könnten.

Die Geschichte fordert mich auf, einen anderen Weg zu suchen. Was rät mir die Selbstfürsorge, wonach sehnt sich meine Selbst- und Nächstenliebe? Welche Bilder der Hoffnung lässt Gottes Liebe in mir aufsteigen?

Andere machen es vor: Im Kontext großer Unmenschlichkeit die Hoffnung auf Menschlichkeit behalten. Es mir wert sein. Hoffnung in die Welt halten. Auf Beziehungen, die tragen, hoffen und Geborgenheit für möglich halten. Der Liebe etwas zutrauen und Menschlichkeit suchen. Andere machen es vor: Viele Gefühle durchschreiten und in schwierigen Kontexten einen Weg finden, jenseits von Strafe und Scham. Ich denke, ich hoffe, das können wir auch.

Und der Friede Gottes, der alles, was wir zur Sache des Friedens zu denken wagen, übersteigt, halte unseren Verstand wach, unsere Hoffnung groß und mache unsere Liebe stark. In Christus Jesus.
Amen.

Musik

Fürbitten
Ewiger Gott, Du sagst, wir sollen nicht richten:
Nicht über die anderen und auch nicht über uns.
Wir sind aber sehr geübt darin, Beschuldigungen auszusprechen; überall Täter und Opfer auszumachen.
Hilf uns umzudenken und die anderen und uns selbst als Menschen sehen,
wie du uns geschaffen hast: Begabt zum Guten.

Ewiger Gott,
Unser Land ist noch immer verletzt von den beiden großen Kriegen. Das klagen wir dir heute!
Es zieht sich durch unsere Familien seit Generationen.
Nur langsam heilen die Wunden.
All die Toten! All die erlittene und verursachte Gewalt!
All die Schuld und die Not, die sich mit beiden Weltkriegen und dem Holocaust
in die Geschichte unseres Landes eingeschrieben hat!
Oh, hilf uns Gott, Frieden zu halten. Die Heilung zu fördern.

Ewiger Gott,
Hilf uns, Gott, die Spannungen auszuhalten zwischen den so weit auseinander gehenden Entwürfen,
was Menschlichkeit in unserer Gesellschaft fordert.
Lass uns dem wachsenden Rechtsextremismus mutig entgegenstehen.
Die Folgen der Corona-Pandemie lassen den Ton zwischen den verschiedenen Gruppierungen schärfer werden.
Schenk uns Geduld und langen Atem in dieser Zeit respektvoll miteinander umzugehen!

Ewiger Gott,
Wir klagen heute über die Opfer von Krieg und auch von Terroranschlägen in Frankreich und in vielen anderen Teilen unserer Welt.
Die Attentäter werden von blindem Hass gegen anders Denkende oder anders Glaubende getrieben.
Wir klagen dir den Hass, die Angst, die Verunsicherung.
Wir klagen über jedes Opfer und ihre Familien.
Wir klagen dir den Missbrauch von Religion, die dazu benutzt wird, das eigene Machtstreben zu tarnen.
Wir klagen dir, dass wir so hilflos sind.

Ewiger Gott,
wir bitten dich für alle Völker der Welt um Gerechtigkeit und Frieden,
wo Krieg und Gewalt und Macht das Wort führen.
Ewiger Gott,
In deiner Kraft sind wir gut aufgehoben.
Stärke unsere Hoffnung, dass sich das Gute als stärker erweist als das Böse
und das Leben mächtiger ist, als der Tod.
Ewiger Gott,
wir denken an die Menschen, die wir in dieser Woche bestattet haben und zünden eine Kerze für sie an: (...) Nimm du sie auf in deinen ewigen Frieden, heile alle Wunden und wische ab alle Tränen. Sei bei ihren Angehörigen mit deinem Trost.
Noch mehr haben wir auf dem Herzen, Gott.
Als Gemeinde und als Einzelpersonen ganz privat.
Alles legen wir dir ans Herz und wissen es eingeschlossen, in das Gebet, das Jesus uns gegeben hat.

Vater unser

Abkündigungen

Segen

Musik

Gottesdienst am 8.11.2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Musik

Begrüßung
„Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder genannt werden.“ Mit diesem Wort Jesu Christi aus seiner Bergpredigt in Matthäus 5,9 begrüße ich Sie herzlich zum Gottesdienst an diesem neuen Morgen.  Den Frieden finden – den Frieden im eigenen Herzen, den Frieden zwischen Menschen, den Frieden innerhalb einer Nation und den zwischen Völkern – in diesen Tagen erleben wir es auch im Blick auf die amerikanischen Nachbarn, wie schwer es ist, Frieden zu stiften und zu halten. Dieser Gottesdienst möchte uns darin mit seinen Gebeten, Liedern und Texten eine Hilfe sein.

Wir feiern den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 85,9-14
Ich will hören, was Gott, der Herr, zu sagen hat:
Er verkündet Frieden seinem Volk,
denen die ihm die Treue halten;
doch sollen sie nicht in ihre alte Unvernunft zurückfallen.
Ganz sicher wird er allen helfen, die ihm mit Ehrfurcht begegnen.
Seine Herrlichkeit wird wieder in unserem Lande wohnen.  
Dann begegnen sich Güte und Treue, dann küssen sich Gerechtigkeit und Frieden.
Treue wird aus der Erde sprießen und Gerechtigkeit vom Himmel blicken.
Der Herr selbst wird uns mit Gutem beschenken, und unsere Felder werden reiche Ernten bringen.
Gerechtigkeit wird dem Herrn vorausgehen, ja, sie wird ihm den Weg bahnen.

Gebet
Hier sind wir, Du, barmherziger, hoffnungsspendender Gott. Wir danken Dir, dass Du da bist und auf uns wartest. Manchmal fällt es uns schwer, Deine Gegenwart zu spüren, und dann wieder ist sie einfach da. Hilf uns, dass unser Vertrauen auf Dich da bleibt, in guten wie in schwierigen Zeiten. Sende deinen Frieden hinein, wo Unfrieden das Leben vergiftet. Und stärke unsere Hoffnung auf Dein Kommen in unsere Welt.  Das bitten wir im Namen Jesu Christi, unseres Bruders und unseres Herrn.  Amen.

Lied EG 409,1.2.4.6-8 Gott liebt diese Welt

Schriftlesung aus 1.  Thessalonischer 5
„Der Herr wird herabkommen vom Himmel.  Wann das alles sein wird, zu welcher Zeit und Stunde, brauchen wir euch, liebe Schwestern und Brüder, nicht zu schreiben. Ihr selbst wisst ganz genau, dass der Tag, an dem der Herr kommt, so unerwartete eintreffen wird wie ein Dieb in der Nacht. Doch ihr lebt ja nicht in der Finsternis. Also kann euch der Tag, an dem er kommt, auch nicht wie ein Dieb in der Nacht überraschen. Ihr alle lebt im Licht; ihr gehört zum hellen Tag und nicht zur Nacht mit ihrer Dunkelheit. Darum lasst uns nicht schlafen wie die anderen! Wir wollen hellwach und nüchtern bleiben! Wir sind Kinder des Tages. Lasst uns besonnen sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.“

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde, dieser Zweig hier in der Vase - er steht für den Herbst, den wir gerade von seiner sonnigen Seite erleben. Im Laufe der Predigt will ich einige Blumen in diese Vase hinzustellen.  Und damit möchte ich etwas von dem Licht veranschaulichen, das uns der Text dieses Morgens heute nahebringen möchte.

Jetzt im Herbst spüren wir besonders, wie die Zeit verrinnt. Die Tage werden immer kürzer und auch das Kirchenjahr geht seinem Ende entgegen. Unsere Lebenszeit läuft unaufhörlich weiter. Und nichts kann die Zeit anhalten. Allerdings sind es ja ganz besondere Ereignisse und Tage, die sich davon absetzen. Sie setzen Wegmarken hinein und unterbrechen diese Zeit, die unaufhaltsam vergeht.

Was waren die besonders herausragenden Tage Ihres Lebens? Wenn wir darüber nachdenken, dann kann dabei ein bunter Strauß von ganz besonderen und einmaligen Tagen zusammenkommen.

Es könnte die Geburt eines Kindes gewesen sein oder mehrerer Kinder (zwei Blumen), oder auch der Tag der Hochzeit (eine Bl.). Ich denke auch an eine Frau, die den großen Schritt in die Selbständigkeit gewagt hatte und für die es einen Schritt in einen ganz neuen Lebensabschnitt bedeutete (eine Bl.). Vielleicht denken Sie auch an einen besonderen runden Geburtstag zurück oder an einen schönen Moment während eines Urlaubs (zwei Bl.). Es mag sein, dass Ihr innerer Blick nun auch schon nach vorne gegangen ist und Sie sich fragen: was könnte für mich zu einem ganz besonderen Tag werden? Wenn das erwachsen gewordene Kind seine erste Arbeitsstelle antritt?  Oder wenn das erwartete Enkelkind da ist? Oder wenn die ersehnte Nachricht da, dass es einen Impfstoff gibt? (3 Bl).

Einmalige, ganz besondere Tage; sie leuchten in unserem Leben hervor aus dem Einerlei der verrinnenden Zeit.

Für den Apostel Paulus gibt es einen Tag, der nicht nur für einen Einzelnen, sondern für alle Menschen ein entscheidender und einmaliger Tag sein wird. Die große Hoffnung auf diesen Tag erfüllt ihn. Sie gibt ihm die Kraft, um sich für die große Mission einzusetzen, die ihm aufgetragen ist. Auch gegen alle Widerstände und gegen alle Anfeindungen, die er erfährt. „Der Herr wird herabkommen vom Himmel,“ schreibt er an seine Gemeinde. Der Tag Gottes.  Die große Erwartung. Dafür steht diese ganz besondere Blume. Paulus erinnert die Empfängerinnen und Empfänger seines Briefes an diese Erwartung. Er schreibt seinen Brief im Jahr 50 oder 51 n. Chr., also etwa 20 Jahre nach dem Tod und der Auferstehung Jesu. Die ersten Christen, zu denen auch die aus der Stadt Thessaloniki gehören, glauben, dass die neue Zeit angebrochen ist, dass sie nicht mehr sterben werden, bis Jesus wiederkommt und sein neues Reich aufbauen wird. Doch nun war schon einige Zeit vergangen.  Und manche aus der Gemeinde waren bereits gestorben.  Die Zeit verrann weiter. Kam der Tag des Herrn nun doch nicht mehr? Oder konnte man ihn an bestimmten, besonderen Vorzeichen erkennen? Worauf sollte man sich denn nun einstellen?

Die Frage nach der Wiederkunft Jesu Christi, liebe Gemeinde, hat die Menschen durch die Geschichte hindurch immer wieder beschäftigt. In manchen religiösen Gemeinschaften und Kirchen wurde sie minutiös berechnet.  Und dann im Nachhinein immer wieder korrigiert, wenn der berechnete und verkündete Termin ereignislos verstrichen war. Auch das Judentum kennt religiöse Strömungen, in denen die Ankunft des Messias ganz konkret erwartet wurde. Das ging zum Teil so weit, dass Menschen ihr Hab und Gut verkauften, weil sie sicher waren, dass sie das alles nicht mehr benötigen würden.

Paulus aber schreibt hier ganz grundsätzlich und sehr nüchtern: Wir wissen nicht, wann der Tag Gottes kommt. Damit lehnt er es ab, Gott auf ein bestimmtes Datum festlegen zu wollen. Es gibt im Glauben kein Ultimatum, bis zu dem Gott dieses oder jenes erledigt haben müsste. Er ist frei in seinem Handeln. Und es ist ganz allein seine Entscheidung, wann die neue Welt, wann sein Reich des weltumspannenden Friedens und seiner Gerechtigkeit anbrechen wird.

Entscheidend aber ist für Paulus, dass die Christinnen und Christen ihre Hoffnung auf den Tag Gottes nicht aufgeben. Die Erwartung, dass es ein Leben ganz im Lichte Gottes geben wird. Ein Leben ohne all das persönliche Leid, das wir und die Menschen um uns herum immer wieder durchleiden müssen. Auch ohne die Schrecknisse, die Gräueltaten, die Kriege und Katastrophen, die das Leben auf dieser Erde im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erschüttert haben. Allein morgen, am 9. November, erinnern wir uns wieder an die Gewalttaten, die vor 81 Jahren an den Menschen jüdischer Herkunft in unserem Land begangen wurden und zur mörderischen, zutiefst bösartigen Vernichtung so vieler Unschuldiger führten. Es ist nicht leicht, sich dem allem zu stellen. Und um im Bild des Schlafens und Wachens zu bleiben: Angesichts all dessen möchte man schon manchmal innerlich die Decke über den Kopf ziehen und versuchen, so ganz ohne Erwartungen und Visionen durch das Leben zu kommen.

Doch genau an dieser Stelle kommen uns die Worte des Paulus entgegen. Mit ganz viel Energie und Optimismus ruft er uns zu: „Ihr seid Kinder des Tages! Ihr alle lebt im Licht! Lasst euch genau daran erinnern!“ Das ist seine gute Botschaft.  Das ist sein Evangelium, auch für uns. „Über das Wie und Wann der Wiederkehr Jesu macht euch mal keine Gedanken. Viel entscheidender ist, wie ihr inzwischen euer Leben gestaltet, wie ihr lebt. Mit welcher Haltung und Einstellung. Seid euch zuerst dessen bewusst, das ihr Kinder des Lichtes seid!“

Schnell kommen wir dazu, uns klein zu fühlen und unbedeutend. Bei uns selbst zu denken: „Ach, ich bin doch nur ein kleines Licht.  Was kann ich mit meiner kleinen Kraft schon erreichen? Was kann ich schon?“  Aber ich denke, das ist der falsche Ansatz.  Das ist eine zu kleinmütige Perspektive. Wir sind nicht Kinder des Lichtes, weil wir so besondere, herausragende Menschen sind. Oder weil wir so viel Besonderes leisten. Wir sind Kinder des Lichtes, weil wir uns von Gottes Licht bescheinen lassen können. Von Gottes Licht bescheinen lassen, das hat erst einmal ganz viel mit Stille zu tun. Ich habe das Bild vor mir, in Ruhe auf einer Parkbank zu sitzen und die Herbstsonne in mein Gesicht scheinen zu lassen. Die gute Luft einzuatmen und einen ausgiebigen Spaziergang zu unternehmen. Oder für mich ein Lied zu singen.  Oder in den Schein einer Kerze zu sehen.  Ich lasse mich von dem Licht bescheinen, das schon da ist. Ich darf mir etwas Gutes tun lassen. Ich darf etwas an mir geschehen lassen. Ich darf mir sagen lassen, dass ich ein Kind des Lichtes bin.

Wir sind auch Kinder des Lichtes, weil wir zu dem Einen gehören, der von sich gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt.“ Wir gehören zu ihm.  Ganz ohne eigenen Verdienst, ganz ohne eigene Vorleistung. Jesus Christus erhellt unsere Nacht. Darum können wir dem Dunkel standhalten, das in unserer Zeit seine eigenen Namen hat -  ob es nun Ratlosigkeit heißt oder Furcht, Resignation oder Pandemie. Wir gehören zu dem Einen, der uns das Licht gebracht hat, und der unseren Lebensweg erhellt und erhellen will.  Jesus Christus hat uns das Licht des Lebens und der unerschöpflichen Hoffnung gebracht. Und wir wissen, dass in der Mitte der Nacht der neue Tag mit ihm beginnt.

Aus diesem Wissen, aus dieser Haltung heraus können wir auch unser Leben als Kinder des Lichtes gestalten. Hellwach und nüchtern sein und mit Hoffnung im Herzen. Bis zum Tag Gottes bewusst und aufmerksam sein. Als Christinnen und als Christen haben wir den lichtvollen, hellen Tag Gottes im Kopf und im Herzen. Damit blicken wir weiter. Damit haben wir einen weiteren Horizont.  Damit haben wir eine größere Hoffnung. Damit sehen wir das Leben noch einmal aus einer anderen Perspektive an!  Wir haben damit eine andere, eine weitere Zeitrechnung. Aber wir springen damit keineswegs aus unserer Zeit heraus. Im Gegenteil – mit dem Glauben, mit der Liebe und der Hoffnung, die uns geschenkt wird, geben wir uns ein in unsere Welt, in diese Jetztzeit. „Tröstet einander und baut euch gegenseitig auf“, fordert der Apostel seine Leserinnen und Leser auf. Seid einfach füreinander da und nehmt wahr, wer ein offenes Ohr braucht, euer Mitdenken und eure Unterstützung.

So können wir als Kinder des Lichtes in dieser Zeit unser Licht leuchten lassen. Und das Licht unseres Glaubens wird leuchten -  auf seine Weise. Dafür wird unser Gott Sorge tragen.

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Lied EG 153,1-5 Der Himmel, der ist

Fürbitten

Unser Gott, wir sind Kinder des Lichts und des Tages. Du bist da und bescheinst uns mit deinem Licht der Liebe. Lass uns das an jedem Tag neu spüren und erfahren.

Wir bitten dich, hilf uns, uns nach dem Licht auszustrecken, wenn es dunkel um uns ist.

Wir bitten dich für die Menschen, die Angst haben in diesen unübersichtlichen Zeiten. Sei du ihnen nahe und schenke ihrem Inneren deinen Frieden.

Wir bitten dich für alle, die in diesen Tagen Verantwortung tragen für große Entscheidungen in unserem Land. Hilf ihnen mit klugen Gedanken und klaren Worten.

Wir bitten dich in diesen Tagen für die Menschen in den USA. Dass neue Begegnungen möglich werden und Brücken gebaut werden können über alle Zerrissenheiten hinweg.

Danke, dass du da bist und unsere Welt bescheinen willst mit dem Licht deiner Liebe. In der Stille sagen wir dir, was uns noch wichtig ist:

Vaterunser
Segen
Musik

Gottesdienst am 1.11.2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Musik

Begrüßung
Seien Sie alle herzlich gegrüßt an diesem neuen Morgen. Ein herzliches Willkommen euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden. Ich bin dankbar, dass wir selbst in diesen schwierigen Tagen den Gottesdienst miteinander feiern können. Viele Gedanken gehen uns jetzt durch den Kopf. Noch mehr als sonst suchen wir Vergewisserung, Hoffnung und einen festen Grund in der Überlieferung unseres Glaubens. So sind wir hier und hören heute noch einmal ganz anders und ganz neu die Worte des Paulus, die als Wochenspruch ausgewählt worden sind. In Römer 12,21 heißt es: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Wir feiern den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 19
Die Himmel spiegeln die Ehre Gottes und die Erde verkündet das Werk seiner Hände. Jeder Tag spricht zum andern und jede Nacht singt der andern von den Wundern seiner Schöpfung. Ihr Loblied erklingt unhörbar und breitet sich doch aus in allen Ländern bis an die Enden der Welt. Gott hat den Himmel wie ein Zelt gemacht. Die Sonne läuft ihre Bahn mit Freude wie ein starker Held. Sie erscheint in der Frühe im Osten und läuft bis in den Westen, wo sie untergeht in feuriger Glut. Nichts bleibt ihr verborgen auf ihrem Weg zu den Enden der Erde. Sie sieht, wie Gottes Gebot voller Weisheit ist und der Seele guttut. Die Weisungen Gottes sind voller Wahrheit. Sie machen das Herz rein und erleuchten die Augen.

Lied 365,1-3 Von Gott will ich nicht lassen

Gebet
Unser Gott, Barmherziger, da sind wir. In deinem Haus.  Es tut uns gut, hier zu sein. Wir bringen so Vieles mit: unseren Dank und unsere Fragen, unsere Sorgen und unsere Zweifel, unsere Mutlosigkeit und unsere Ängste. Du kannst uns stärken. Deine Liebe nimmt uns in den Arm. Und während wir dich noch suchen, hast du uns schon längst gefunden. Dir sei Ehre und Dank.  Amen.

Schriftlesung aus Jeremia 29
Der Profet Jeremia schickte aus Jerusalem einen Brief an die Familienoberhäupter, die Priester, Profeten und alle anderen,  die den Angriff der Babylonier überlebt hatten und von Nebukadnezar nach Babylonien verschleppt worden waren. Jeremia schrieb:

„So spricht der Herr, der Gott Israels, zu allen Verbannten: ‚Baut euch Häuser und wohnt darin! Legt Gärten an und esst ihre Früchte! Heiratet und zeugt Kinder! Wählt für eure Söhne Frauen aus, und lasst eure Töchter heiraten, damit auch sie Kinder zur Welt bringen. Euer Volk soll wachsen und nicht kleiner werden. Sucht das Beste für die Stadt, in die ich euch verbannt habe, und betet für sie. Denn wenn es ihr gut geht, dann wird es auch euch gut gehen.

Ich sage euch: die Babylonier werden siebzig Jahre lang herrschen, und erst wenn diese Zeit um ist, lasse ich meine Verheißungen in Erfüllung gehen und bringe euch wieder in euer Land zurück. Denn ich weiß sehr wohl, welche Gedanken ich über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides.  Ich gebe euch Zukunft und Hoffnung. Wenn ihr zu mir ruft und betet, will ich euch erhören. Wenn ihr mich sucht, werdet ihr mich finden. Ja, wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, will ich mich von euch finden lassen. Ich werde euer Schicksal zum Guten wenden: aus allen Ländern, in die ich euch zerstreut habe, will ich euch wieder sammeln und in dieses Land zurückbringen.  So spricht der Herr.‘“

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
seit einiger Zeit gehe ich wieder öfter zur Post. Briefmarken kaufen.  Tatsächlich.  Um Briefe zu schreiben und zu verschicken.  „Schneckenpost“ sagen einige dazu, weil sie länger dauert als kurz mal schnell eine e - mail loszuschicken. Macht aber nichts. Denn ein persönlich geschriebener Brief macht noch mal mehr Freude.  Das weiß ich. Und ich selbst bekomme genauso gern Briefe, so richtig mit Absender und Empfänger. Für die man einen Brieföffner braucht.  Briefe, die man auch später noch einmal in die Hand nehmen kann, sich erinnern kann und sich daran freuen kann, dass da jemand an einen gedacht hat. Das sind Zeichen von Zuwendung und Nähe, die auch Jahrzehnte später noch zu spüren sind.

Auch der Text für den heutigen Sonntag ist ein Brief. Ein Brief, der vor mehr als 2.500 Jahren aus Jerusalem losgeschickt wurde – nach Babylon. Absender ist der Profet Jeremia. Er schreibt an die Verantwortungsträger unter denen aus seinem Volk, die aus der Heimat Juda deportiert worden sind. Was war da geschehen?  Ein Blick in die Geschichte zeigt uns: die Großmacht Ägypten hatte nicht mehr die Vorherrschaft über Palästina. Sie war gebrochen worden mit dem Sieg der Armee des Königs von Babylon. So wurde der König von Juda für die andere Weltmacht aus dem Osten tributpflichtig, dem Herrscher aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris.  In der Folge wandte sich der judäische König noch einmal der ägyptischen Seite zu und bat um Hilfe. Aber das war ein Fehler – denn bald kamen die Soldaten aus Babylon und besetzten den gesamten östlichen Mittelmeerraum. Und dann passierte das, was immer in der Besetzungspolitik Babylons passierte: machtpolitisches Kalkül. Die Regierenden, von der Familie des Königs an über die militärische Leitung und die Verwaltung, die oberen Geistlichen, kluge Architekten und leitende Handwerker wurden in die Hauptstadt Babylons verschleppt. So konnte sich der Widerstand in der Heimat schlechter organisieren. Und so profitierte die Hauptstadt der Eroberer, denn die besten Köpfe und Handwerker waren in ihrer Mitte angesiedelt und mussten nun für sie arbeiten. In diese Situation hinein also schreibt der Profet Jeremia seine Nachricht an die sogenannten oberen Zehntausend aus dem ehemaligen Königreich Juda. Im Namen seines Gottes.

„Baut euch Häuser und legt euch Gärten an. Lasst eure Kinder dort heiraten, wo ihr seid. Sucht das Beste für die Stadt, in der ihr nun wohnt. Und betet für sie.“

Zu Recht fragt man sich nun: was hat dieser Brief mit uns heute zu tun? Worin liegt seine Relevanz für uns, in unserer Situation? Dieser Brief wäre doch belanglos, wenn er nur ein historisches Geschehen aus uralter Zeit beschreiben würde.

Wir leben gerade in der Zeit der Pandemie. Unvorstellbar noch wäre das vor einem Jahr gewesen. Drastische Einschränkungen gehören jetzt schon wieder zum Alltag. Verunsicherung. Ständig neue Verordnungen, die wir zu beachten haben und die all unsere Pläne zunichtemachen.

Z.B. auch unsere Pläne und fantasievollen Ideen, die wir hier in der Kirchengemeinde uns für das kommende Weihnachtsfest ausgedacht hatten. Unser großer Plan B, in den wir uns schon verliebt hatten! Das ist wie Leben im Exil. Fremdbestimmt. Keine Kontrolle mehr über das eigene Leben haben, jedenfalls nicht so, wie wir es bisher gewohnt waren und woher wir auch unsere innere Sicherheit und unseren Lebensrhythmus genommen haben.

Vielleicht hilft uns dieses Bild des Exils tatsächlich, unsere derzeitige Situation zu verstehen. Das ist ja die Suchbewegung in dieser Zeit bei allen, die jetzt am Glauben festhalten wollen, die ein Geländer für sich suchen, einen Haltegriff, an dem sie sich festhalten können. Um nicht aus der Balance zu geraten, um nicht aus der inneren Mitte zu fliegen. Um besonnen bleiben zu können im besten Sinne. Um auch geistlich, spirituell durch diese Zeit zu kommen. In den relevanten theologischen Zeitschriften der Gegenwart, ob es im Pfarrerblatt ist, in den „zeitzeichen“ oder in der „Jungen Kirche“ aus der Woltersburger Mühle – überall ist dieselbe Grundfrage zu lesen: Welche Geschichten helfen uns, durch diese Zeit zu kommen? Welche biblischen Gedanken sind wichtig für gerade diese Zeit? Was hilft uns, unseren Weg zu finden und zu gehen?

Christof Vetter, ein Kollege aus dem Weserbergland, schreibt in der September- Ausgabe von „zeitzeichen“: „Das Bild des Exils verfestigt sich für mich, wenn ich diese Wochen theologisch denken will. Ins Exil werden Menschen gezwungen, durch die Entscheidung anderer, weil sie den Krieg verloren haben oder weil der eigene Widerstand gebrochen wurde – oder nun eben durch das Virus.“ Ja, dieses Virus lässt uns fremdbestimmt sein. Es nimmt uns erst einmal gewohnte, freie Handlungsmöglichkeiten aus der Hand. Wir erkennen, wie abhängig wir sind. Und wie verletzbar.

Zum Exil gehört auch, dass Menschen klagen und dass sie traurig sind. Im großen biblischen Psalm, der das Exil in Babylon beschreibt, in Psalm 126, lesen wir: „Herr, bringe zurück unsere Gefangenen. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.  Sie gehen hin und weinen und streuen ihre Saat, und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.“  Wir wissen nicht, wie lange es geht. Aber wir warten sehnsüchtig auf das Ende und auf die Erleichterung. Ich denke, es ist wichtig, dass wir auch unserer Trauer eine Zeit und einen Raum geben. Wir trauern um die, die von uns gegangen sind in dieser Pandemie. Und es wird in naher Zukunft wichtig sein, dass wir den Vorschlag unseres Bundespräsidenten umsetzen, einen Trauertag für die Corona – Opfer festzulegen. Damit wir uns an sie erinnern, damit wir sie wertschätzen und damit weiter danach fragen, was wir aus dieser Zeit zu lernen haben. Zum Beispiel, was den nötigen Abstand zwischen dem Reich der Wildtiere und dem Reich der Menschen betrifft, der künftig unbedingt eingehalten werden muss. Trauer braucht einen Ort. Trauer braucht ihre eigene Zeit.

Zum Exil aber gehört noch viel mehr! Zum Exil gehört auch die Hoffnung; die Hoffnung, dass es einmal ein Ende haben wird mit dem Leben unter der Fremdherrschaft: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens sein und unsere Zunge voll Rühmens.“ So haben sie damals gesungen. Und das könnte auch unser Lied sein. Hoffnungsvoll verfolgen wir die Schlagzeilen zur Forschung und zur Weiterentwicklung von Medikamenten. Inständig hoffen wir auf einen Impfstoff. Und welche Freude wird es sein, wenn mithilfe der Klugheit der Wissenschaftler und mit der Hilfe des Geistes Gottes ein Impfstoff da sein wird, der uns schützt und uns das Leben wieder leichter macht.  Dann werden wir sein wie die Träumenden! (Auch wenn wir dann noch mit der Verteilungsgerechtigkeit werden zurechtkommen müssen, aber das wird schon möglich sein.)

Zum Exil gehört schließlich auch, dass man die neue Gegenwart akzeptieren muss. Dass man lernen muss, mit den neuen Voraussetzungen zu leben. Es nützt nichts, nur zurückzublicken, nur nach hinten zu schauen und sich darin zu verlieren. Vieles ist im Exil anders als zuvor. Entscheidend ist nun, für die Gemeinschaft Sorge zu tragen, in der man jetzt gerade ist: „Sucht das Beste für die Stadt und betet für sie“, so Jeremia. „Denn wenn es ihr gut geht, dann wird es auch euch gut gehen.“

Was ist das Beste für die Gemeinschaft, in der wir jetzt sind?  Es ist mehr als Abstand halten, Maske tragen und sich die Hände desinfizieren. Es ist besonnen sein. Fragen: was ist denn jetzt trotzdem alles möglich unter diesen Voraussetzungen? Oder anders möglich? Was kann ich der „Pandemie der Einsamkeit“ entgegensetzen? Was kann ich tun, um gerade jetzt Menschen zu unterstützen, sie zu stärken und ihnen beizustehen? Aber auch das Andere, das so Notwendige:   wie kann ich gut für mich selbst sorgen, damit mein Inneres gesund bleibt? Gerade jetzt ist es wichtig, acht zu geben auf die eigene Seele und liebevoll mit sich selbst zu sein.

„Auch im Exil könnt ihr beten“, versichert Jeremia seinen Leuten. Für mich gehört das zu den schönsten Worten, die er schreibt. Wo immer wir sind, unter welchen Beschränkungen, in welchen Begrenzungen wir auch gerade zu leben haben – Gott ist da. Seine Liebe zu uns ist größer als alles andere.  Größer als alle Mächte und Gewalten, als Gegenwärtiges und Zukünftiges, als Hohes und Tiefes, größer als irgendeine Kreatur. Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen. Das bleibt und das gilt. Und so hören wir zum Schluss, wie der Brief des Jeremia an die im Exil heute klingen könnte:

„So spricht der Herr, der Gott Israels und der Vater unseres Bruders Jesus Christus, zu allen in diesen Tagen:

Ihr lebt in einer sehr schwierigen Zeit. Ich verstehe, dass ihr so bald wie möglich aus dieser Ausnahmesituation herauskommen möchtet. Doch so schnell geht es nicht. Ihr werdet euch auf eine längere Zeitspanne einstellen müssen. Ihr braucht jetzt einen besonders langen Atem. Es wird dauern. Stellt euch auf diese neue Lebenssituation ein. Lebt in der Jetztzeit.
Doch gebt euch nicht auf! Sucht nach dem, wovon ihr nun leben könnt. Und achtet auf eure Seele!  Setzt Bäume. Kümmert euch um eure Pflanzen, eure Blumen und Tiere, um eure Gärten.

Singt - und wenn es für euch alleine ist.  Greift zu euren Instrumenten. Fangt an zu malen. Spielt miteinander. Schreibt Gedichte. Oder führt euer Tagebuch.Lest. Schreibt Liebesbriefe! Schickt liebevolle Päckchen ab!

Lasst euch nicht hängen und achtet darauf, dass ihr nicht weniger werdet. Ihr braucht jetzt einen langen Atem.

Nehmt auch ab und zu den Abholdienst der Restaurants in Anspruch, die in eurer Nähe sind, und unterstützt sie auf diese Weise.  Seid solidarisch mit denen, die weniger haben als ihr.
Vor allem aber seid gewiss: Ihr seid nicht allein! Ich bin da und ich werde da sein. Auch wenn ihr manchmal meint, ich sei unendlich weit entfernt oder ihr würdet nichts von mir wahrnehmen.

Ich verspreche euch: wenn ihr mich sucht, dann werdet ihr mich finden. Ihr werdet mich finden in der Liebe der Menschen zueinander. Wenn ihr nach mir fragt, dann bin ich da. Wenn ihr meine Kraft braucht, werdet ihr sie bekommen.

Ich behüte eure Seele, dass euch die Hoffnung nicht ausgeht. Ich schenke euch neue Aussichten. Ich gebe euch eine Zukunft.“

Lied + 102 Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott

Fürbitten
Gott, Du Schöpfer und Erhalter dieser Welt, wir bitten Dich um Hoffnung und um Deine Kraft, damit wir durch diese Zeiten finden. Wir bitten Dich um Liebe für die Menschen, die uns jetzt ganz besonders benötigen. Wir bitten Dich um Besonnenheit und um innere Ruhe, damit wir das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden können. Dir vertrauen wir unsere Ängste und alles an. Herr, erbarme Dich.
Wir bitten Dich für die Menschen, die jetzt in besonderer Verantwortung stehen, in der Politik, in den Kirchen, in der Wirtschaft und im Gesundheitswesen. Lass sie die richtigen Entscheidungen treffen, die unserem Gemeinwohl dienen. Schenke denen, deren Planungen durchkreuzt werden, Zeichen der Solidarität, Zuversicht und neue Perspektiven. Herr, erbarme Dich.
Lass Deinen Frieden groß in uns sein. Unsere Zeit steht in Deinen Händen. Amen

Vaterunser

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich. Der Herr lasse leuchten Sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig. Der Herr erhebe Sein Angesicht auf Dich und gebe Dir Frieden.
Amen.

Musik

Gottesdienst zum Reformationsfest mit Video am 31.10.2020 von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/zJ5erRSNm5Y

 

Begrüßung:
Wann hat zuletzt jemand zu Ihnen gesagt: „Du bist geliebt. Ohne Bedingungen.“? Das zu hören tut gut. Doch oft denken wir, wir müssten etwas tun, damit uns Freunde annehmen. Oder der Partner uns liebt. Schnell gerät in Vergessenheit, dass andere uns einfach nur schätzen und lieben, weil wir einzigartige Menschen sind. Ebenso schnell vergessen wir, dass Gott uns liebt. Wir feiern heute Reformationsfest. Martin Luther lebte in einer Zeit, in der die Menschen überwiegend vergessen haben, dass sie sich Gottes Liebe nicht erarbeiten können. Luthers Botschaft war nicht neu. Aber in seiner Zeit war sie revolutionär. Befreiend. Auch für jeden von uns heute ist diese Botschaft nicht neu. Aber vielleicht ist die Zusagen, dass Du geliebt bist, in Vergessenheit geraten. Auch deshalb feiern wir Reformationstag. Damit wir nicht vergessen: Du bist geliebt. Ohne Bedingungen.

Votum:
Und so feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Eingangsspsalm: Psalm 46, 2-12
Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. 3 Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, 4 wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. 5 Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. 6 Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen. 7 Die Völker müssen verzagen und die Königreiche fallen, das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt. 8 Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. 9 Kommt her und schauet die Werke des HERRN, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet, 10 der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. 11 Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin! Ich will mich erheben unter den Völkern, ich will mich erheben auf Erden. 12 Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. Amen.

Gebet:
Großer Gott, befreie uns von dem Irrtum, dass wir uns Deine Zuwendung erarbeiten können. Denn Du hast uns bedingungslos angenommen. Großer Gott, befreie uns von dem Irrtum, dass es Dir egal ist, wie wir unser Leben leben. Denn Du hast uns Verantwortung für uns selbst und für unseren Nächsten gegeben. Lass uns im Glauben an Dich wachsen. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, unseren Herrn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit. Amen.

Lesung und Predigttext: Mt 10, 26b-33.
26b Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. 27 Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das verkündigt auf den Dächern. 28 Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. 29 Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. 30 Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Haupt alle gezählt. 31 Darum fürchtet euch nicht; ihr seid kostbarer als viele Sperlinge. 32 Wer nun mich bekennt vor den Menschen, zu dem will ich mich auch bekennen vor meinem Vater im Himmel. 33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem Vater im Himmel. Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. Halleluja

Lied: EG 573 1+3

 

Predigt:
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Es ist ein wunderschöner Herbsttag. Die Sonne scheint, es weht ein frischer Wind. Ideal für einen Spaziergang mit Freunden. Die Kinder unserer Freunde tollen über den Weg. Sie sammeln Blätter und Kastanien auf. Plötzlich ruft die Tochter: „Papa, Papa, fang mich auf!“ Schon rennt sie auf unseren Freund zu, der blitzschnell die Arme öffnet, sie auffängt und durch die Luft wirbelt. Beide lachen ausgelassen. Was für ein kindliches Urvertrauen, denke ich. Denn unser Freund hatte nicht viel Zeit zum Reagieren. Und doch weiß das Mädchen ganz genau, dass ihr Papa sie auffangen wird. Weil sie sich angenommen weiß. Weil sie geliebt ist.
Es ist wundervoll, grundlegend geliebt und angenommen zu sein. Wir feiern heute Reformationsfest. Martin Luther hat sich jahrelang nicht wirklich angenommen gefühlt. Das hatte sicher auch mit seinem Vater zu tun. Der schickte ihn zum Jurastudium, damit etwas aus ihm wird. Das schien aber nicht so recht zu ihm zu passen und so hatte er 1505 eine Lebenskrise. Auf dem Weg von seiner Heimatstadt Mansfeld nach Erfurt gerät er im Juli 1505 in ein Gewitter.
Voller Angst – so berichtet er es selbst – verspricht er, dass er in ein Kloster eintritt, wenn er mit dem Leben davonkommt. Er verhandelt also mit Gott. Und tatsächlich: Er wird gerettet. Nun muss Luther liefern. Er geht ins Kloster. Dort will er Gott durch besondere Frömmigkeit und Treue gnädig stimmen. Doch das gelingt ihm nicht. Obwohl er sich mehr anstrengt, als alle anderen, wird er das Gefühl nicht los, dass er Gott nicht gerecht werden kann. Dass Gott so streng zu sein scheint und dass aus eigener Kraft niemand vor ihm bestehen kann, das setzt Luther unheimlich zu. Ungefähr 10 Jahre hat er das ausgehalten.

Und dann veränderte sich Luthers Sicht auf Gott. Er entdeckte, dass wir Menschen von Gott angenommen sind, ohne etwas leisten zu müssen. Das war ein Durchbruch. Ich vermute, dass seine Einsicht ein Prozess gewesen ist. Meines Erachtens hatte es mit seinem intensiven Bibelstudium zu tun. Er selbst beschreibt es als eine Art Bekehrung. An seinem Schreibtisch habe er plötzlich die Gerechtigkeit aus Gnade entdeckt. Luther ist also klar geworden, dass er sich Gottes Zuwendung nicht erarbeiten kann, egal, wie sehr er sich anstrengt. Vielmehr ist es umgekehrt: Gott nimmt uns Menschen zuerst grundlegend an. Von dieser Beobachtung beseelt, geht er in Widerspruch zum Ablasshandel seiner Kirche. Seine Entdeckung begeistert ihn so sehr, dass er für seine Glaubensüberzeugung einsteht. Auch wenn es sein Leben bedroht.

Luthers Furcht vor dem strafenden Gott war mit der Entdeckung der Gnade nicht ganz aus Luthers Leben verschwunden. Auch später hat er davon gesprochen, dass man den alten Adam täglich ersäufen müsse. Für ihn war es sonnenklar, dass wir Menschen trotz Gottes großartiger Liebe zu uns täglich an uns selbst scheitern. Für ihn war klar, dass wir täglich an Gott und anderen Menschen schuldig werden.
Auch für mich ist es eine Herausforderung, den liebenden Gott und den strafenden Gott überein zu bringen. Da fallen mir meine Freunde wieder ein und ich erinnere mich, dass Liebe nicht Gleichgültigkeit ist. Ihre Tochter weiß sich von ihren Eltern angenommen. Das macht sie mutig. So kann sie ihre Welt entdecken. Und das musste sie sich nicht erarbeiten. Ihre Eltern haben sie von Anfang an bedingungslos angenommen. Und doch setzen sie ihr Grenzen. Die sind für eine gute Entwicklung wichtig. Und auch Gott setzt Grenzen.

Der heutige Predigttext drückt das Dilemma des gnädigen und es strafenden Gottes sehr gut aus. Der Text fordert mich heraus, weil er mit drastischen Maßnahmen droht. Und es ist natürlich sinnvoll, mein Gottesbild von Jesus selbst immer wieder in Frage stellen zu lassen. Zuerst höre ich aus diesem Text aber die bedingungslose Zusage Jesu: Du bist kostbar. Du bist geliebt. Du bist angenommen. Wenn Gott die Haare auf unserem Kopf zählt, dann macht er sich echt Mühe. Selbst bei meiner Frisur hat der da noch ganz schön zu tun. Das heißt, er hat uns im Blick. Wir sind ihm wertvoll. Und wir sind angenommen. Das hat Luther mit der Rechtfertigung aus Gnade beschrieben.
Weil wir Gott besonders wertvoll sind, nimmt er uns die Menschenfurcht. Und wenn wir uns nicht vor Menschen fürchten müssen, dann können wir auch mutig bekennen. Wie gesagt: Luther selbst hat in Kauf genommen, für seinen Glauben getötet zu werden. Also könnten auch wir heutigen Christen bekennen und für das einstehen, was wir glauben und für richtig halten. Und da schleichen sich die Zweifel ein. Ich möchte eigentlich nicht wegen meines Bekenntnisses mein Leben verlieren. Ich hänge ja schon sehr an meinen gesicherten Lebensstandard. Und noch eine weitere Sache geht mir nahe: Der strafende, unbarmherzige Gott ist in diesen Versen eindeutig auszumachen. Jesus sagt: fürchtet vielmehr den, der auch Eure Seele töten kann. Und Jesus sagt weiter: Wer mich nicht bekennt, den werde ich auch nicht vor meinem Vater bekennen. Will Gott vielleicht, dass wir auch wie der junge Luther vor Angst schlottern? Gott ist gnädig und er nimmt jeden Menschen an. Daran glauben ich fest. Aber es ist ihm auch nicht gleichgültig, wie wir leben. Weil sich Liebe nicht mit Gleichgültigkeit verträgt.

Ich finde es spannend, dass wir in der Bibel beides finden. Den gnädigen Gott, der seine Geschöpfe bedingungslos annimmt. Und den strafenden Gott, der Menschen verwirft. Das lässt sich auch nicht einfach in die eine oder die andere Richtung auflösen. Wäre das möglich, hätten das berühmte Theologen in der Geschichte längst getan. Meines Erachtens stehen wir vor der Herausforderung, uns Gott immer wieder zu nähern. Luther hat das durch intensives Bibelstudium getan und ich finde, dass auch wir wieder mehr Bibel lesen könnten. Vor allem als evangelische Christen.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lied: EG 197

Fürbitten:
Gott, wir danken Dir für Deine Gnade in Jesus Christus. Wir danken Dir, dass wir nicht ständig darüber nachdenken müssen, wie wir Dich gnädig stimmen können. Wir danken Dir für die Freiheit, die daraus erwächst. Lass uns diese Freiheit verantwortlich nutzen. Vor Dir und unserem Nächsten gegenüber.

Gott, wir danken Dir, dass wir nicht ohne Orientierung durch die Welt gehen müssen. Du hast uns in der Bibel gute Weisungen gegeben, die ein sinnvolles Zusammenleben ermöglichen. Hilf uns, dass wir Dir folgen. Schenke uns, dass wir ein Leben leben, wie Du es Dir gedacht hast, als Du uns geschaffen hast.

Gott, wir möchten immer mehr erkennen, wie Du bist. Schenke uns Begegnungen mit Dir und Deinem Wort. Lass uns im Glauben wachsen und Dich vor den Menschen bekennen.

Gott, wir bitten Dich für die Menschen, die Not leiden, die einsam sind, die krank sind, die um ihre Existenz bangen. Wir bitten für die Menschen, die keinen Ausweg aus ihrer aktuellen Situation finden. Stellvertretend bitten wir für die Menschen im neuen Lager Moria auf Lesbos. Die Zustände dort sind noch schlimmer, als im alten Lager und die Geflüchteten dort werden immer verzweifelter. Manche von ihnen sind zunehmend aggressiv. Wir bitten Dich: Herr erbarme Dich und schenke Lösungen für die Menschen, die in unmenschlichen Zuständen auf unbestimmte Zeit ausharren müssen.

Gott, uns wir machen uns Sorgen. Das Attentat in einer Kirche in Nizza hat uns sprachlos gemacht. Weshalb haben Menschen solch einen Hass aufeinander? Wie sollen die Verantwortlichen reagieren? Wir klagen Dir das Leid, welches die Angehörigen der Opfer durchleben müssen. Wir klagen Dir unsere Hilflosigkeit im Angesicht einer solchen Tat.

Gott, wir machen uns Sorgen. Übermorgen beginnt einer neuer Lockdown. Die Medien nennen ihn Lockdown „light“, aber viele Menschen trifft er mit voller Härte. Doch was sind die Alternativen? Wo gibt es definitive Lösungen? Wir klagen Dir das Leid, das durch diese Pandemie ausgelöst wurde. Wir klagen Dir unsere Hilflosigkeit.

Und alles, was uns noch bewegt, bringen wir vor Dich mit den Worten des Vaterunsers.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen:
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden. Amen.
Gottesdienst am 25.10.2020 von Pfarrer Rainer Böhm

Orgelvorspiel: D. Buxtehude: Toccata F-Dur

Begrüßung
Herzlich willkommen zum Gottesdienst heute Morgen in der Dankeskirche.

Wir erleben seit einiger Zeit, wie wichtig Regeln sind. Wir alle haben gelernt, was die AHA – Regel bedeutet und wie wichtig sie jetzt für den eigenen Schutz ist und für den anderer.

An diesem Sonntag geht es um Gebote.  „Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat.“ So sagt es Jesus. Maßstab ist der Mensch: sowohl was den Hunger anbelangt, als auch was die Gesundheit betrifft. Das kann einmal die Freiheit einschränken – was unsere AHA – Regeln anbelangt; oder es kann die Freiheit vergrößern, was das Ährenraufen am Sabbat betrifft.

Das Kriterium, der Maßstab ist die Liebe. Der Prophet Micha schreibt: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: Nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“

Votum

Eingangspsalm 119 EG W 748
Erhalte mich, Herr, durch dein Wort, dass ich lebe
Wohl denen, die ohne Tadel leben,
die im Gesetz des Herrn wandeln!
Wohl denen, die sich an seine Mahnungen halten,
die ihn von ganzem Herzen suchen,
die auf seinen Wegen wandeln
und kein Unrecht tun.
Wenn ich schaue allein auf deine Gebote,
so werde ich nicht zuschanden.
Ich danke dir mit aufrichtigem Herzen,
dass du mich lehrst die Ordnungen deiner Gerechtigkeit.
Deine Gebote will ich halten;
verlass mich nimmermehr!
Öffne mir die Augen,
dass ich sehe die Wunder an deinem Gesetz.
Zeige mir, Herr, den Weg deiner Gebote,
dass ich sie bewahre bis ans Ende.
Meine Seele verlangt nach deinem Heil;
ich hoffe auf dein Wort.
Meine Augen sehnen sich nach deinem Wort
und sagen: Wann tröstest du mich?
Wenn dein Gesetz nicht mein Trost gewesen wäre,
so wäre ich vergangen in meinem Elend.
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Wege.
Erhalte mich durch dein Wort, dass ich lebe,
und lass mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung.
Stärke mich, dass ich gerettet werde,
so will ich stets Freude haben an deinen Geboten.

Eingangsgebet
Lebendiger Gott
Wir kommen zu dir an diesem Tag. Es ist Sonntag. Heilig, würdig und recht ist es, jetzt Pause zu machen und Ruhe zu finden. So kommen wir zu dir, Gott, um dir für alles zu danken, was war, und um alles gestalten zu können, was kommen wird. Wir kommen auch zu dir und legen ab, was uns den Tag schwermacht. Auch die Streitereien, die wir hören oder an denen wir selbst beteiligt sind. Sei bei uns in diesem Gottesdienst mit deinem Geist, damit wir deine Kraft spüren und empfangen. Du zeigst uns den Weg ins Leben – durch Jesus Christus, deinen Sohn. Amen

Lesung = Predigttext                  Mk 2, 23 – 28
Das Ährenraufen am Sabbat 23 Und es begab sich, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. 24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat was nicht erlaubt ist? 25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, da er Mangel hatte und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: 26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? 27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.

Variation zu EG 165:  Gott ist gegenwärtig

Predigt
Liebe Gemeinde,
Was für eine schöne Geschichte: Ein Spaziergang durch die Kornfelder, der wachsende Hunger, keine Vorsorge für Nahrung – und dann die Frage: Was essen wir. Wir „raufen einfach Ähren aus, ist die Antwort derer, die ganz genau wissen, dass dies verboten ist am Sabbat. Wohl nicht zufällig, sondern als Beobachter, sind einige Pharisäer in der Nähe.

Rasen betreten verboten – warum eigentlich, haben sich die Studenten vor 50 Jahren gefragt – was ist der Sinn dieses Verbotes, wo man doch da im Sommer so schön sitzen kann. Und es war auch sehr lange die Frage der Bad Nauheimer Kinder und Jugendlichen, als der Park noch Eintritt kostete und es Parkwächter gab.

Manchmal ist es zum Haare und nicht nur zum Ähren raufen. Die Pharisäer sehen, wie Jesu Jünger das Gebot übertreten und fragen ernst, warum der Jude jesus das gestattet. Er tut es, weil er der Sohn Gottes ist – und also der Herr über die Gebote. Deshalb setzt der Übertritt sie ja nicht außer Kraft. Aber essen ist lebensnotwendig für Hungernde; also darf einmal ein Gebot außer Kraft gesetzt werden. Es wird ja nicht schlecht, nur weil es übertreten wird. Im Gegenteil: es leuchtet umso heller.

Das 1. Buch Samuel erzählt vom Priester Abimelech. Am Sabbath hatte er eine besondere Aufgabe: Er musste aus feinem Mehl zwölf Brote backen. Schaubrote nannte man sie. Sie wurden auf den Altar gelegt.  Wenn die Woche um war, durften Abimelech und die anderen Priester die Brote essen, die dann durch neue ersetzt wurden. So war es von den Vorvätern überliefert. Und so wurde es gemacht. Woche für Woche, Sabbat für Sabbat.

Dann kam plötzlich David. Er war auf der Flucht. Und hatte Hunger. Er bat Abimelech: „Hast du nun etwas bei der Hand, etwa fünf Brote oder was sonst vorhanden ist, das gib mir in meine Hand.“ (1. Sam 21,4). Nichts Anderes hatte Abimelech anzubieten als die heiligen Brote vom Altartisch Gottes. Nach kurzer Überlegung entschied sich Abimelech, David davon zu geben, obwohl er kein Priester war. Gesetz und Tradition waren damit überschritten. Nicht außer Kraft gesetzt, aber überschritten. In diesem besonderen Fall. Um des Menschen David willen.

Jesus und Abimelech lassen zu, dass Regeln gebrochen werden. Für beide gilt jedoch, damit werden die Gebote nicht ausser Kraft gesetzt. Sie gelten immer noch, auch wenn sie um der Menschen willen übertreten worden sind. Essen ist lebensnotwendig. Regeln sind nie kritiklos angenommen oder respektiert worden. Das, worauf Jesus hinweist, ist aber das Entscheidende: Dienen Regeln dem menschlichen Leben oder nicht?

Wie ist das mit der Maskenpflicht und den Corona Einschränkungen? Es wird darüber gestritten ob sie uns dienen oder uns einschränken. Und immer wieder wird an die Eigenverantwortlichkeit appelliert. Aber das greift zu kurz: Es geht um die Verantwortung für andere.

Das gilt für Senioren, die die Regeln nicht einhalten und sagen: «Lieber lebe ich jetzt noch so wie es mir gefällt. Wenn ich ins Krankenhaus komme und sterbe – naja.“ Im Krankenhaus arbeiten aber Mütter und Väter, die durch lange Schichten oft fern von ihrer Familie dem Risiko ausgesetzt sind.

Das gilt ebenso für Junge, die gern noch Partys feiern in dem Wissen, dass sie wahrscheinlich nicht so stark erkranken, sollten sie sich infizieren. Dass sie das Virus aber auch an Menschen mit Vorerkrankung weitergeben können, die dann sehr schwer erkranken, ist nicht im Blick.

Eigenverantwortung und Fremdverantwortung gehören zusammen, wie die zwei Seiten einer Münze. Mein Wohlergehen muss den Andern in Blick haben, der durch mich nicht zu Schaden kommen soll. Deshalb sind Regeln nötig in dieser Pandemiezeit. Regeln die für alle gelten und alle im Blick haben. Die sind die Bedingungen unserer Freiheit.

Regeln machen es einem nicht nur leichter, sie können auch freimachen. Die Sonntagsregel zum Beispiel. «Du sollst den Feiertag heiligen», das dritte Gebot. Ich versuche mich bewusst daran zu halten. Nehme mir vor, am Sonntag nicht zu arbeiten – außer ich habe einen Gottesdienst zu halten, was ich aber gerne tue. Kochen, lesen, chillen, telefonieren - Lauter Dinge, die für mich den Sonntag zu einem besonderen Tag machen, wo man nichts muss, sondern tun kann, was man möchte.

Wir wissen, dass Herbst und Winter lang und auch mühsam sein werden. Es hilft hilft, uns daran zu erinnern, wenn uns die Motivation zum Durchhalten fehlt: Regeln dienen dem Leben, unserem und dem der anderen.

«Gott, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Einen Tag nach dem anderen zu leben,
einen Moment nach dem anderen zu genießen.
Entbehrung als einen Weg zum Frieden zu akzeptieren.
Diese sündige Welt anzunehmen, wie Jesus es tat,
und nicht so, wie ich sie gerne hätte.
Zu vertrauen, dass du alles richtigmachen wirst,
wenn ich mich deinem Willen hingebe,
sodass ich in diesem Leben ziemlich glücklich sein möge
und im nächsten für immer überglücklich». Amen.
(Reinhold Niebuhr)

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Variation zu EG 295: Wohl denen, die da wandeln

Fürbittgebet
Es ist zum Haareraufen, gnädiger Gott – was wir sehen und hören müssen in dieser Welt. Wir legen vor dir ab, was uns beschwert: die Pandemie, die keine Ruhe gibt und um sich greift – wo wir vergessen, aufeinander Rücksicht zu nehmen, uns in Sicherheit wiegen. Wir legen unsere Angst um uns und um andere ab und rufen zu dir:
Herr erbarme dich
Es ist zum Haareraufen, barmherziger Gott – immer wieder passiert es, dass wir als Gemeinde an Dingen festhalten, die wir längst loslassen sollten. Lass uns Wege finden, deinem lebendigen Evangelium mehr zu vertrauen. Bei dir ist so vieles möglich. Wir rufen zu dir:
Herr erbarme dich
Es ist zum Haareraufen – wenn Familien im Streit liegen, wenn Schdeiungen zum Rosenkrieg werden, wenn Kinder leiden. Es ist schlimm, wenn Menschen halsstarrig auf ihrem recht behaaren, unversöhnlich sind oder alles besser zu wissen behaupten. Wir brauchen Versöhnung, Vergebung, Gelassenheit. Hilf uns dazu beizutragen. Wir bitten dich:
Herr erbarme dich
Lebendiger Gott, wir gehen am Feldrand unseres Lebens entlang. Wir streichen mit der hand über die Ähren. Es sind die Früchte unseres Lebens. Sie wachsen nicht um ihrer selbst willen, sie sollen anderen dienen, dir zur Ehre. Gib uns die Kraft, unsere Ähren zu raufen, Gott, damit andere davon satt werden können.

Vater Unser

Segen

Orgelnachspiel:  J.S. Bach, Choralbearbeitung über `In dir ist Freude´

Gottesdienst am 18.10.2020 von Pfarrer Friedhelm Pieper

Vorspiel

Begrüßung und Votum
Herzlich willkommen, hier in der Dankeskirche! Herzlich willkommen zu diesem Gottesdienst an diesem herbstlichen Sonntagmorgen. - Für die, die mich nicht kennen: Ich bin Pfr. Friedhelm Pieper und arbeite am Zentrum Oekumene in Frankfurt. Ich wohne aber hier in Bad Nauheim, weil ich als Ehemann von Pfarrerin Susanne Pieper in deren Pfarrhaus mitwohnen darf. Das finde ich sehr schön, vor allem, dass mein Frau mich im Pfarrhaus mitwohnen lässt – aber ich wohne auch sehr gerne hier in dieser wunderbaren Stadt.

Wir feiern diesen Gottesdienst heute am 19. Sonntag nach Trinitatis!  Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen d Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen – Wir hören auf die Worte des Wochenspruchs für die kommende Woche aus Jeremia 17:

Heile Du mich, Herr, so werde ich heil; hilf Du mir, so ist mir geholfen.

Heilung: Im Mittelpunkt dieses Gd steht die Geschichte von der Heilung am Teich Bethesda, oder auch auf Hebräisch: der Teich von Beit Sata. Es gibt wohl kaum eine Geschichte in der Bibel, mit der Bad Nauheim so eng verbunden ist wie diese. Auf Ihrem Gd Blatt sehen Sie vorne das Bild von dieser Heilungsgeschichte. Das ist das große Fenster hier an der Südempore, gestiftet vor über hundert Jahren vom Ehepaar Sprengel. Das Bild verbindet die Heilung am Teich Bethesda aus dem Neuen Testament mit dem Sprudelwunder in Bad Nauheim im Jahre 1846, als da, wo heute der Sprudelhof steht, bei Tiefenbohrungen auf einmal ein mächtiger Solestrom emporschoss. So wurde der Ruf unserer Stadt als Gesundheits-stadt begründet: Die Besonderheit lag dabei anfangs in der Entdeckung und Anwendung der heilsamen Wirkung der natürlich vorkommenden Kohlensäure in der Thermalsole: Gutes, heilendes Wasser. - Und so können wir noch heute auf dem großen Sprudelbecken im Sprudelhof lesen: "Auf Gottes Geheiß aus der Tiefe geboren. Der Lebenden Leiden zu lindern erkoren." – Darum geht es heute in der Predigt über die Geschichte vom Teich Bethesda: Um Leiden, um Linderung, um Krankheit, um Heilung, um gesund werden.

Ich wünsche Ihnen, ich wünsche uns allen einen gesegneten Gottesdienst.

Psalm 146
1 Halleluja! Lobe den HERRN, meine Seele!
2 Ich will den HERRN loben, solange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, solange ich bin.
3 Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen.
4 Denn des Menschen Geist muss davon, und er muss wieder zu Erde werden; dann sind verloren alle seine Pläne.
5 Wohl dem, dessen Hilfe der Gott Jakobs ist, der seine Hoffnung setzt auf den HERRN, seinen Gott,
6 der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was darinnen ist; der Treue hält ewiglich,
7 der Recht schafft denen, die Gewalt leiden, der die Hungrigen speiset. Der HERR macht die Gefangenen frei.
8 Der HERR macht die Blinden sehend. Der HERR richtet auf, die niedergeschlagen sind. Der HERR liebt die Gerechten.
9 Der HERR behütet die Fremdlinge und erhält Waisen und Witwen; aber die Gottlosen führt er in die Irre.
10 Der HERR ist König ewiglich, dein Gott, Zion, für und für. Halleluja!

Gebet
Guter und barmherziger Gott. Wir können nicht so tun, als sei alles schon in Ordnung. Wir sehen um uns herum, wie viel Bedrückung und Krankheit den Menschen zu schaffen machen. Wieviel auf Heilung wartet - in uns und um uns herum. Wir bitten dich: Erneuere uns durch Deine Nähe, durch Dein heilendes Wort. Wandle uns um. Du bist größer als unser ängstliches Herz. Du bist der Schöpfer des Lebens. Du bist der Schöpfer neuer Zukunft. Du bist der Gott der Liebe bis in Ewigkeit. Lass unsere Kraft erstarken, schenke uns Mut und Einsicht zum rechten Tun.

Wir bitten dies Durch Jesus Christus, deinen Sohn,  der mit dir in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes lebt und regiert jetzt uns alle Zeit. Amen.

Lied: „Fürchte dich nicht“ (Fritz Baltruweit)
1. Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst, mit der du lebst. Fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst. Mit ihr lebst du.
2. Fürchte dich nicht, getragen von seinem Wort, von dem du lebst. Fürchte dich nicht, getragen von seinem Wort. Von ihm lebst du.
3. Fürchte dich nicht, gesandt in den neuen Tag, für den du lebst. Fürchte dich nicht, gesandt in den neuen Tag. Für ihn lebst du.

Lesung: Jakobus 5, 13-16
13 Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. 14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. 15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. 16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Predigt zu Johannes 5, 1 – 16

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, hier also die Geschichte von der Heilung am Teich Bethesda, am Teich Beit Sata, im JohEv, Kap. 5:

1 Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. 2 Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt Bethesda, auf Hebräisch Bei Sata. Dort sind fünf Hallen; in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. 5 Es war aber dort ein Mensch, der war seit achtunddreißig Jahren krank. 6 Als Jesus ihn liegen sah und vernahm, dass er schon so lange krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? 7 Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. 8 Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! 9 Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber Schabbat an diesem Tag.

Liebe Gemeinde,

Ich muss heute mit dem Schluss anfangen: „Es war aber Schabbat an diesem Tag“. Die Geschichte vom Teich Bethesda endet im Johannesevangelium in einem Konflikt zwischen Jesus und anderen Juden über das Einhalten des Feiertags, des Schabbats. Wer mich kennt, weiß, dass ich seit Jahrzehnten im christlich-jüdischen Dialog engagiert bin. Ich kann also diesen Konflikt in der Geschichte nicht verdrängen. Aber, es würde diese Predigt um so vieles verlängern, wenn ich mich jetzt dazu einlassen würde. Deshalb habe ich entschieden: ich gebe Ihnen einen kleinen Kommentar zu dem Thema „Das Johannesevangelium und ‚die‘ Juden“ mit. Sie finden es in Ihrem Gottesdienstblatt. Wenn es Sie interessiert, können Sie dies Thema dann zuhause lesen – und wenn Sie Fragen haben, finden Sie da auch meine Kontaktdaten.

Siehe "Anhang zum Gottesdienst am 18.10.2020 von Pfarrer Friedhelm Pieper" als separater Textabschnitt.

So – und dann können wir uns dann jetzt auch ganz auf die Anfangsgeschichte konzentrieren: die Heilung am Teich Bet Sata, am Teich Bethesda.

Und da lesen wir: Jesus zieht an einem der jüdischen Feste hinauf nach Jerusalem. – Eben so war er es gewohnt. Schon mit seinen Eltern ist er regelmäßig an den großen jüdischen Festen nach Jerusalem gezogen, um dort im Tempel mit der großen jüdischen Feiergemeinde aus dem Land Israel und aus den umliegenden Ländern zu beten, zu singen und zu feiern. In der Regel zieht Jesus von Osten her über den Ölberg nach Jerusalem hinein. Zu seiner Zeit befanden sich an der Nordostseite des Tempelberges das Schafstor und ein ausgebauter Hallenbereich um den Teich Bethesda herum. Ruinen dieser Anlage kann man noch heute in Jerusalem besichtigen. - Vom Wasser dieses Teiches sagte man: gutes, heilendes Wasser. Und so liegen dort viele Kranke und ausgezehrte Menschen. Sie hoffen, irgendwie, auf Heilung. So liegen sie da.

Jesus kommt in den Hallenbereich hinein. Und es wird ihm ein Mann gezeigt: Dieser hier, der liegt schon 38 Jahre da. 38 Jahre! Unvorstellbar! Was für ein Leidensweg! - Und was macht Jesus? Er wendet sich dem Kranken zu und fragt: Willst du gesund werden? Wie bitte? Da liegt ein Mensch seit 38 Jahren und hofft auf Heilung – und dann diese Frage: Willst du gesund werden? Was soll diese Frage? Kann man das nicht einfach voraussetzen, dass der Kranke natürlich nur eines will, eben gesund werden. Aber nein, Jesus stellt diese Frage: Willst du gesund werden? - Denkt man darüber nach, dann kommen einem Krankheitsgeschichten in den Sinn, eigene Krankheitsgeschichten oder die von anderen. Und da fällt einem schon dies ein: Ja, es stimmt, von allein wird man nicht gesund. Es kommt auch auf einen selber an. Man muss schon an dem eigenen Gesundwerden mitwirken. Man muss mitdenken und mittun. Beim Patienten fließen alle Informationen zusammen, jedenfalls, wenn man mithört und mitdenkt. Manchmal muss man den nachfolgenden Arzt über aktuelle Befunde und Verläufe informieren. Auf jeden Fall aber benötigt es die eigene Motivation, um die Genesung voranzubringen. Wenn man sich gehen lässt, gewinnt man nichts. Es gibt Menschen, denen es ein starke Hilfe ist, wenn sie in ihrem Krankheitsverlauf beten können. Wenn sie durch das Gebet die Kraft und das Durchhaltevermögen aufbauen können, um ihren Weg zu gehen - bis hin Heilung – soweit wie möglich. – Meine Frau hat neulich mit der „Lucia-Gruppe“ hier einen bewegenden Gottesdienst gestaltet. Die Lucia-Gruppe, das sind Frauen, die mit der Diagnose Krebs und all den Folgen sich auseinzusetzen hatten. Eine von ihnen sagt: „Die Diagnose war ein Schock für mich und die ganze Familie.“ – Und dann sich auf die Behandlung einlassen. – „Während der ganzen Zeit habe ich nicht aufgegeben sondern an die Chance der Genesung geglaubt. - Meine Erfahrung ist, es lohnt sich zu kämpfen, schlechten Tagen mit positiven Gedanken zu begegnen und sich nicht hängen zu lassen. Ich habe noch so viel Leben zu leben.“ Was für eine bewegenden Geschichte, sie wollte gesund werden und sie fand zurück ins Leben!

Und was macht der Kranke am Teich Bethesda? Er gibt Jesus zu verstehen, dass der ihn mit seiner Frage überhaupt gar nicht erreicht. Er hat ein ganz anderes Problem: Herr ich habe keinen Menschen, der mir hilft. Das ist die andere Seite von Krankheiten, die auch nicht verdrängt werden darf. Es gibt Momente, da reicht der Wille zum Gesundwerden eben nicht. Es gibt die Erfahrung von Grenzen, die sich nicht einfach mehr überwinden lassen. Es gibt Grenzen, die man annehmen muss. Grenzen, über die kein Mensch, kein Arzt einfach so hinweghelfen kann. Da erfahren wir die Begrenztheit und die Verletzlichkeit unseres Lebens. Es gibt Dinge, die muss man annehmen und lernen, zu tragen. - So wie wir jetzt nicht einfach aus der Corona-Pandemie herausspringen können. Wir müssen uns jetzt geduldig durch die neue Infektions-Welle hindurcharbeiten, mit all dem, was das an Einschränkungen mit sich bringt, mit all dem Auf-sich-selbst-zurückgeworfen werden. Manchmal muss man warten bis der helfende Mensch eintrifft oder die rettenden Medizin, der schützende Impfstoff. Manchmal muss man tragen, was nicht sofort überwunden werden kann.

Und nun, in unserer Geschichte, hören wir dann plötzlich das heilende Wort Jesu: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. -- Ach – ja, geradezu märchenhaft hier dieser wunderbare Schluss. Nach 38 Jahren, nun auf einmal geheilt – in einem Nu. Ach - ja, so würden wir es uns manchmal wünschen. Aber, man kann es so nun eben einfach nicht herstellen. Man kann es nicht erzwingen. Und was kann uns denn diese wundersame Heilung heute sagen?

Zunächst: für die Menschen, die die Jesusgeschichten vor fast zweitausend Jahren niedergeschrieben haben, war dies gar nicht so wundersam wie für uns. Es gehörte zu ihrem Weltbild. Dass da vom Himmel heilende Kräfte in das Leben auf dieser Erde hineinwirkten, das war Teil ihrer Weltwahrnehmung, Teil ihrer Weltanschauung. Für uns Menschen in der Moderne mit unserem naturwissenschaftlichen Weltbild besteht da ein größeres Problem. Unser Weltbild ist nach Immanuel Kant in der Regel auf bloße Vernunft aufgebaut. Was können uns da die Wundergeschichten aus der Bibel sagen? Ich höre da zwei Botschaften aus diesen Geschichten heraus:

1.: Wir sollten unser Weltbild nicht völlig verabsolutieren! Auch unsere Weltwahrnehmung ist geschichtlich gewachsen und wird vielleicht eines Tages von einer besseren und umfassenderen Weltdeutung überholt werden. Tatsächlich leben wir ja als Menschen, als Lebewesen inmitten eines ungeheuer großen Geheimnisses: und dieses Geheimnis nennt sich LEBEN! Es gibt offenbar eine Quelle des Lebens, die nach wie vor sprudelt und die bei uns und um uns herum ständig neu Leben und großer Vielfalt und Pracht hervorkommen lässt. Albert Schweizer hat es so formuliert: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das auch leben will“. Wir sind eingebettet in einen großartigen Lebenszusammenhang, wir dürfen ein Teil dieses Lebens sein. „Ich habe noch so viel Leben zu leben!“, hörten wir von der Frau aus der Lucia-Gruppe.

Und 2.: Die Wundergeschichten halten uns offen für gute Ausgänge! Es kann ja geschehen! Es ist möglich, dass wir gesund werden! Warum sollten wir die Hoffnung aufgeben? Es ist möglich, dass Menschen nach einer Krebsoperation wieder zu einem guten und erfüllten Leben finden. Es ist möglich, dass wir in ganz unterschiedlichen Krankheitssituationen wieder zur Heilung gelangen. Es ist möglich, dass selbst nach 38jähriger Krankheit eine Chance zum Heilwerden eintritt! – Die Menschen in Israel haben den katastrophalen Berg der großen Infektionszahlen der zweiten Corona-Welle nach 4 Monaten hinter sich gebracht. Da ist was möglich! Es ist möglich, dass wir in einem Jahr wieder unbeschwert miteinander Gottesdienst feiern können, wieder miteinander singen können, weil wir den Impfstoff haben, der das Corona-Virus kontrolliert. Ja, es ist möglich!

Es ist gut, wenn wir Geschichten haben, die unsere Hoffnung stärken. Es ist gut, wenn wir Geschichten haben, die uns dran halten an der Ausschau nach einem guten Ausgang. Es ist gut, wenn wir Geschichten haben, die uns helfen, gerade da, wo wir aufgeben wollen, grade da, wo wir kurz davor sind, uns hängen zu lassen. Wir brauchen Geschichten, die uns fragen: Willst du gesund werden? Wir brauchen Geschichten, die uns sagen: Heilung ist möglich! – Ja, es stimmt: Wir haben noch so viel Leben zu leben!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

Orgel

Text „If you wanna be well”
Einen amerikanischen Gospel ins Deutsche zu übersetzen ist fast unmöglich. Im Deutschen klingen die Texte häufig etwas banal, mit einer naiven Frömmigkeit versehen, mit amerikanischen Aktionismus und auf Erfolg getrimmt, scheinbar über alle Probleme des Lebens einfach hinweg stürmend. ABER: Nun gibt es diesen wunderschönen Gospel über die Heilung am Teich Bethesda und er passt so gut zu diesem Gottesdienst. Sie werden es hören: er betont nur die eine Seite der Geschichte, das gesund werden wollen! Aber wir haben in der Predigt auch gehört, dass dies eben auch eine wichtige Seite von Heilung ist. Hören wir jetzt zunächst den Text und dann schauen wir uns das Musikvideo in Englisch an.

Willst du gesund werden - Gaither Vocal Band
Dort wartend, 38 Jahre lang / Solange geweint, dass keine Träne mehr rann.
Völlig ausgemergelt, der Mann / Ausschau haltend nach heilender Hand

Dann eines Tags, seine Chance: Er traf ein, / Ein rettender Mann, der konnte ihn heil`n, / Und er blickte ihn an / Doch seine Frage überraschte ihn dann.

Willst Du gesund werden, wirklich gesund? / Deine Matte hochnehmen, dir selbst helfen, tu‘s kund. / Möchtest du frei werden, dich wirklich befrei‘n?
Geheilt und ganz werden, dann musst du es wollen: ganz rein.

Hast je versucht, dich zurecht zu bringen? / Standest auf, es wollt‘ nicht gelingen, / und du bliebst liegen darin, / sankst verzweifelt weiter dahin.

Hast dich gewöhnt an die Ketten, ach-jeh? / Bist ganz beschlagnahmt von diesem Weh, / Vor neuem Aufbruch ängstlich erstarrt, / Frag den Mann, nach neuem Herz, ganz neuem Start.

Willst Du gesund werden, wirklich gesund? / Deine Matte aufnehmen, dir selbst helfen, tu‘s kund…  - Do you wanna be well

Musikvideo
https://www.google.com/search?q=do+you+wanna+be+well+gaither+vocal+band&rlz=1C1CHBF_deDE893DE893&oq=If+you+wanna+be+well&aqs=chrome.4.69i57j0l5.9001j0j15&sourceid=chrome&ie=UTF-8

Fürbitten + Vaterunser
Als Gemeinde teilen wir Freude und Leid.

Aus unserer Gemeinde ist verstorben und wurde bestattet Herr ..., verstorben am 28.09. im Alter von 90 Jahren und Herr ..., verstorben am 02.10. im Alter von 59 Jahren. Lasst uns beten: Barmherziger Gott, wir denken an die, die einen vertrauten Menschen verloren haben. Hilf Du zu dankbarer Erinnerung an all das Schöne und Lebendige, was sie durch die Verstorbenen erfahren konnten. Und nimm unsere Toten auf in Dein Reich, in Deinen großen und tiefen Frieden. Du willst bei uns sein, auch in den dunkelsten Stunden. Du schenkst uns Dein Licht. Dafür danken wir Dir.

Am 10.10. durften wir die Taufe feiern von ..., Tochter von ..., Lasst uns beten: Gütiger Gott, wir danken Dir für das Leben von ... Lass sie werden und wachsen nach Deinem Willen und halte sie in guter Hand. Lass sie einen guten Weg in ihr Leben finden. Wir bitten Dich für Eltern und Paten, dass sie ihr gut beistehen können auf all ihren Wegen. --

Und für uns alle bitten wir:
1.    Gott, du bist ein Freund des Lebens und das Leben ist deine Gabe. Du überlässt uns nicht den Mächten der Krankheit, der Verzweiflung und der Niedergeschlagenheit. Wir sollen uns am Leben freuen können. Von dir berufen, deinem Willen zu folgen und das Leben in seinen Möglichkeiten zu bewahren, rufen wir dich an:
2.    Wir bitten um deine belebende Kraft, der Bedrohung des Lebens zu widerstehen. Segne unsere Anstrengungen, Leben zerstörenden Tendenzen zu wehren, Ehrfurcht vor dem Leben zu wecken und zum Leben - trotz aller Mühsal - zu ermutigen.
3.    Tritt auf für die besondere Würde jedes menschlichen Lebens. Mach uns empfindsam für seine Unverfügbarkeit. Alles bedrohte Leben nimm in deinen Schutz und lass es uns achten und selber schützen. Wehre allen Versuchen, Menschen zurückzusetzen oder auszugrenzen, weil ihr Leben durch Krankheit, Behinderung und nahenden Tod gezeichnet ist.
1.    Öffne uns dafür, im Leben anderer deinen Segen zu erfahren. Du hast uns einander gegeben zur Bereicherung und Fülle. Mach uns bereit, Belastungen zu ertragen. Gib uns ein Gespür, was wir in der Gemeinschaft einander zumuten können. Hilf, uns auch in unvorhersehbaren Situationen einzulassen auf dein Erbarmen.
2.    Sei mit deiner Gnade in all unserer Schwachheit mächtig. Du kannst Lasten in Segen wandeln. Du hast verheißen, dass denen, die dich lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Das ist unsere Hoffnung, dass deine ganze Schöpfung befreit werden soll aus ihrer Vergänglichkeit  hin zur der Freiheit, die du bereit kannst.
3.    Begegne uns in der Gebrochenheit dieses Lebens schon jetzt mit den Zeichen deines Heils. Stärke uns Mut und Kraft, mit unserem Verhalten diese Hoffnung zu bezeugen. Darum bitten wir im Vertrauen auf Christus, deinen Sohn, unsern Bruder und Herrn.

Vaterunser

Abkündigungen

Segen

Nachspiel

 

Anhang zum Gottesdienst am 18.10.2020 von Pfarrer Friedhelm Pieper

Das Johannesevangelium und „die“ Juden.                                                

Die Lektüre des Johannesevangeliums (Joh) lässt Leserinnen und Leser in Bezug auf die Darstellung des Judentums irritiert zurück: Auf der einen Seite lesen wir das Jesus-Wort: „Das Heil kommt von den Juden“ (4, 22) und auf der anderen Seite: „Ihr habt den Teufel zum Vater“ (8,44). Wie soll man das verstehen und wie damit umgehen?

Ein hilfreicher Zugang ergibt sich m.E. aus dem Joh Schluss in Kap. 21: „24 Dies ist der Jünger, der das bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist. 25 Es sind noch viele andere Dinge, die Jesus getan hat. Wenn aber eins nach dem andern aufgeschrieben werden sollte, so würde, meine ich, die Welt die Bücher nicht fassen, die zu schreiben wären.“ - Wir lesen von einem Jünger, der von Jesus mündliche und schriftliche Berichte gab. Dann erscheint eine „wir“-Gruppe, die die Wahrheit dieser Berichte verteidigte. Am Ende erscheint ein „ich“, offenbar der Endredaktor des Joh, der hier dann auch das letzte Wort hat. Offenbar ist das Joh-Evangelium in mindestens drei Traditionsstufen entstanden.

Wie umfangreich mögliche erste Berichte aus dem Jüngerkreis für die Grundlegung des Evangeliums waren, ist schwierig zu sagen. Die dichte und hochtheologische Sprache des Joh verweist für die entscheidenden Niederschriften jedenfalls in eine spätere Zeit. Die „wir“-Gruppe ist damit beschäftigt, die Wahrheit der Texte zu bezeugen. Da in vielen Kapiteln des Joh Auseinandersetzungen darüber stattfinden, ob von Jesus wirklich behauptet werden kann, er sei der „Messias“ (Christus) und der „Sohn Gottes“, kommen wohl aus dieser Gruppe die im ganzen Evangelium immer wieder anzutreffenden Verteidigungsargumente. Diese „wir“-Gruppe wird in der exegetischen Forschung auch „Johannes-Gruppe“ oder „Johannes-Schule“ genannt.

Nach gängiger Meinung wird das Joh auf etwa zwischen 100 und 130 n. Chr datiert. Als Adressaten treten nichtjüdische Kirchengemeinden des frühen 2. Jh. in den Blick, da sämtliche hebräische Begriffe im Joh extra ins Griechische übersetzt werden. Es ist eine Zeit, in der in den christlichen Gemeinden im Mittelmeerraum vermehrt nichtjüdische Personen Leitung und theologische Lehre übernehmen oder bereits übernommen haben. Nach meiner Meinung ist daher auch für die Endredaktion des Joh und dessen Veröffentlichung für nichtjüdische Leserschaft eher ein nichtjüdischer Redaktor anzunehmen, der sich dann hinter dem „ich“ in 21,25 verbirgt.

Vor diesem Hintergrund wird zunächst die pauschale Redeweise „die Juden“ etwas verständlicher. Soll das Joh in nichtjüdischen Gemeinden gelesen werden, dann können denen gegenüber als Gesprächs- und Streitpartner Jesu verallgemeinernd „die Juden“ benannt werden. Während bei den anderen Evangelien noch genauer von Pharisäern, Sadduzäern, Priestern, Leviten und Mitgliedern des herodianischen Königshofes die Rede ist, wird nun gegenüber den nichtjüdischen Lesern pauschal von „den Juden“ gesprochen, die mit Jesus debattieren und streiten.

Woher aber kommt die abwertende Schärfe, die zugleich auch mit der pauschalisierenden Rede von „den Juden“ im Joh einhergeht? In der Zeit der Abfassung des Joh haben sich Konflikte zwischen Synagogengemeinden und den christlichen Gruppen bereits erheblich intensiviert. Die Zeit ist insgesamt höchst konfliktträchtig. Die Eroberung Jerusalems und die Zerstörung des Tempels durch die Römer (70 n. Chr.) hat das religiöse Zentrum der jüdischen Gemeinschaft vernichtet. Nicht wenige Juden sinnen auf einen weiteren Aufstand gegen die Römer. Andere lehnen dies angesichts Machtverhältnisse völlig ab und plädieren für Verhandlungen oder gar Unterwerfung. Der Streit darüber wird mit großer Schärfe geführt. Die Christen lehnen durchgängig eine Beteiligung an Aufständen gegen Rom ab und werden auch deswegen von anderen jüdischen Gruppen schwer bekämpft, wie auch andere jüdische Personen und Gruppen, die sich gegen einen Aufstand wenden.

Die Botschaft der Christen, dass Jesus der in der Heiligen Schrift verheißene Messias sei, dass er als Sohn Gottes aus dem Tod auferweckt und zur Rechten Gottes gesetzt wurde, wird von der Mehrheit des Judentums nicht geteilt, ja, sie erscheint vielen Juden als eine religiöse Anmaßung, die bekämpft werden müsse. Bis zur Abfassung des Joh haben zugleich nichtjüdische christliche Theologen die Perspektive entwickelt, dass nur der christliche Glaube der wahre Glaube sei und das Judentum falsch liege. Damit einher geht ein Anspruch, das jüdische Erbe in den christlichen Gemeinde zu verdrängen: „Es ist ungeheuerlich, von Jesus Christus zu reden und Judaismus zu praktizieren“ (Briefe des Ignatius von Antiochien, Abfassung ca. 107 – 110 n. Chr.). Bald darauf wird Justin der Märtyrer verkünden, dass die Christen „das wahre Israel“ seien und dass die Juden die Heiligen Schriften völlig falsch interpretieren (in: Dialog mit dem Juden Tryphon, ca. 155 – 160 n. Chr.).

Das Joh entsteht also in einer Zeit des teilweise Auseinanderbrechens der Wege des Judentums und des Christentums. Diese Konfliktlage bildet den Hintergrund dafür, dass die pauschale Rede von „den Juden“ in der Endredaktion durch einen wahrscheinlich nichtjüdischen Endredaktor in Form einer scharfen Abwertung des Judentums artikuliert wird.

Wir hätten also mindestens drei Entwicklungsstufen des Joh:
1.    Berichte aus dem Jüngerkreis Jesu: Hier dürften folgende Aspekte des Joh enthalten sein: Jesus wird als Jude geschildert; er wirkt als Wanderprediger und nimmt an jüdischen Festen und an den Gebeten im Tempel teil. Dabei gibt es genaue Schilderungen von jüdischen Riten und präzise Ortsbeschreibungen im Land Israel.
2.    Die „wir“-Gruppe (Johannes-Gruppe): Diese ist offenbar mit der Verteidigung des christlichen Glaubens an Jesus beschäftig. Von ihr könnte die Umgestaltung der Überlieferung in viele argumentative und verteidigende Textpassagen stammen.
3.    Die Endredaktion: bestimmt für nichtjüdische Gemeinden wird auf dieser Ebene die endgültige Textversion in Richtung pauschaler Rede von „den Juden“ entstanden sein - und in Hinblick auf die konfliktträchtige Auseinandersetzung zwischen Christen und jüdischen Gemeinden auch die Schärfe in der Abwertung des Judentums, was dann alles in den vorliegenden Endtext eingeflossen ist.

Die pauschale abwertende Rede von „den Juden“ hatte eine katastrophale Wirkungsgeschichte. Sie lieferte Formulierungen für den Jahrhunderte anhaltenden kirchlichen Antijudaismus, der auch den Boden für den rassistischen Antisemitismus der Nazis mit bereitet. Mit diesem christlichen Antijudaismus werden die Kirchen mitschuldig an den Verbrechen gegen die Juden im Holocaust.

Wir haben daher sehr verantwortlich mit den Texten des Joh umzugehen. Ein besonderes Gewicht gewinnen dabei jene Passagen, in denen die Verwurzelung Jesu im Judentum deutlich wird und bei denen die besondere Rolle des jüdischen Volkes als göttlich erwähltes Volk anklingt: „das Heil kommt von den Juden“ (4,22). Die abwertenden Formulierungen über „die Juden“ sind im historischen Kontext des frühen jüdisch-christlichen Streites zu verstehen und zu deuten.

Wir sind heute 75 Jahre nach dem Holocaust über die erstaunliche Erneuerung der Beziehungen zwischen Juden und Christen zutiefst dankbar! Diese Entwicklung ist zu pflegen und zu vertiefen. Dabei ist das unerträgliche neue Aufflammen von Judenfeindschaft und Antisemitismus in unserem Land entschieden zu bekämpfen und zu überwinden!
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10.10.2020 -- Pfarrer Friedhelm Pieper, Referent für interreligiösen Dialog, Judentum und Naher Osten, Zentrum Oekumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Praunheimer Landstr. 206, 60488 Frankfurt am Main, Tel. +49 (0)69 976518-22, Mail: pieper@zentrum-oekumene.de, www.zentrum-oekumene.de

Gottesdienst am 11.10.2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Begrüßung
Ein herzliches Willkommen Ihnen allen, Euch allen an diesem neuen Morgen! Heute bedenken wir ganz besonders, was es auf sich hat mit dem Wort Gottes. Was immer wir aufgeben oder aufgeben müssen – Gottes Wort bleibt. Das Wort von der Liebe Gottes zur Welt, das Wort von der Liebe Gottes zu den Menschen, das Wort von der Liebe der Menschen zueinander. Öfter ist das Wort Gottes nahe bei uns – als Taufspruch, als Konfirmationswort, als Trauspruch, als Wort zum Begräbnis. Und als ein Satz, der das biblische Motto der neuen Woche ist, und der klarer nicht sein kann: „Dieses Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass er auch seine Schwester und seinen Bruder liebe.“

Wir feiern den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 1
Glücklich ist, wer nicht dem Rat gottloser Menschen folgt, wer nicht mit Sündern auf einer Seite steht, wer nicht mit solchen Leuten zusammensitzt, die über alles Heilige herziehen, sondern wer Freude hat am Gesetz des Herrn und darüber nachdenkt – Tag und Nacht.

Er ist wie ein Baum, er nah am Wasser gepflanzt ist, der Frucht trägt Jahr für Jahr und dessen Blätter nie verwelken. Was er sich vornimmt, das gelingt.

Ganz anders ergeht es allen, denen Gott gleichgültig ist: Sie sind wie Spreu, die der Wund verweht. Vor Gottes Gericht können sie nicht bestehen.

Der Herr wacht über den weg aller Menschen, die nach seinem Wort leben. Doch wer sich verschließt, der verläuft sich im Nichts.

Gebet
Du, unser Gott, hier sind wir. Wir tragen die Erlebnisse der letzten Zeit in uns. Du weißt, welche glücklichen Momente uns bewegen. Du weißt, was uns belastet, uns ängstet und uns traurig gemacht hat. Und was uns gut getan hat in den vergangenen Tagen.

Mit all dem sind wir heute hier, in deinem Haus. Öffne unser Herz für dein Wort, damit es uns berührt, in uns leuchtet und wir danach leben.  Amen.

EG  452,1-3.5 Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr

Schriftlesung 5. Mose 30,11-14
Ja, das Gebot, das ich dir heute auftrage, ist nicht zu schwer verständlich für dich und nicht abwegig. Es ist nicht im Himmel, sodass es heißen müsste: „Wer steigt für uns in den Himmel, holt es für uns herunter und bringt es uns nahe, damit wir uns danach richten?“ es ist nicht jenseits des Meeres, sodass es heißen müsste:“ Wer überquert das Meer, holt es für uns und bringt es uns nahe, damit wir uns danach richten?“ Nein, dieses Wort ist dir sehr nahe. Es ist in deinem Mund, in deinem Herzen und deinem Verstand, sodass du dich danach richten kannst.

Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!

Liebe Gemeinde,
wir hören heute von der letzten großen Aufgabe, die Mose, der Anführer des Volkes Israel, zu erfüllen hat. Ein Übergangsritus, ein „rite de passage“ ist es, den er hier vollzieht. 40 Jahre lang ist Mose mit dem Volk durch die Wüste gezogen, dem gelobten Land entgegen. Sie kamen aus der Unfreiheit der Sklaverei, aber jetzt ist die Freiheit zum Greifen nah. Nur noch kurze Zeit, und sie werden das verheißene Land betreten. Doch was wird die Zukunft bringen? Wird ihr Leben dort gelingen? Das fragt sich nicht nur Mose. Er weiß, dass er das Land nicht mehr betreten wird. Zu alt ist er geworden. Sein Nachfolger, Josua, wird den Jordan zusammen mit dem Volk überqueren. Deshalb hält Mose nun seine Abschiedsrede. Sie steht im 5. Buch Mose, wie wir sagen.  Dieses Buch heißt in der jüdischen Tradition „Devarim“ – das heißt „Worte“.

Und ich halte inne. Und denke darüber nach, wie das mit Worten eigentlich ist:

Ja, Worte können viel. Sie können aufbauen und glücklich machen. Sie können das Herz erwärmen und trösten. Worte können versöhnen und heilen. Worte können im Gegenteil aber auch traurig machen. Das Herz erkalten lassen und einen stumm machen. Sie können in den Streit führen und Beziehungen zerstören.

Worte haben eine große Macht. Es ist wichtig, achtsam und gut mit ihnen umzugehen.

Mose erinnert sein Volk an die besonderen Worte Gottes. Es sind gute Worte.  Hilfreiche Worte. Vor allem die Zehn Gebote hält er ihnen vor Augen. Wenn sie sich daran halten, so wird ihr Leben gelingen, sagt er. Dann wird die Gemeinschaft mit Gott dem Volk Frieden und Zusammenhalt bringen.  Aber sind die Worte vom Berg Sinai nicht übermächtig? Sind sie nicht zu schwer? Sind sie wirklich zu bewältigen? Mose versichert seinen Leuten, dass die Anforderungen nicht zu hoch sind. Deshalb sagt er diese wunderbaren, entlastenden Worte: „Das Gebot, das ich dir heute auftrage, ist nicht zu schwer verständlich und es ist nicht abwegig. Nicht zu hoch und nicht zu fern. Nein, dieses Wort ist dir sehr nahe.  Es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, sodass du dich danach richten kannst.“  

Dass Gottes Wort nahe bei den Menschen ist, das ist etwas ganz Besonderes für das Volk Israel. Bei den anderen Völkern rundherum war das Wort der Götter weit weg. Es war Himmelswissen. Es war ein göttliches Rätsel. Und es wurde nur sehr wenigen Eingeweihten offenbart, Priestern z.B. oder Königen. Es war auch nicht öffentlich zugänglich. Es wurde in Tempeln verborgen, in Festungen oder auf besonderen Bergen. Anders aber in Israel. Der Gott Israels kommt zu seinem Volk und geht ihm voran in der Wüste. Und er lässt sich hören in seinen Worten, die von Mund zu Mund gehen und von Herz zu Herz. Seine Worte sind verständlich und nah.  Unmittelbar. Nichts, was man erst von weit herholen muss, vom Himmel oder von weit hinter dem Meer. Es ist ganz in der Nähe; und was es allein braucht, ist ein offenes Herz, in das es fallen kann und ein Gewissen, das bereit ist, zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden.

Liebe Gemeinde, im Vorfeld der Predigt, in meiner Vorbereitung, da habe ich mich gefragt: Wie kann ich reden von der Wirkung des Wortes Gottes? Wie kann ich sie anschaulich machen?

Ich habe mich entschlossen, Ihnen drei Bilder vor Augen zu malen.  Drei Bilder von vielen, die ich in mir trage. Das ist dann also eine sehr persönliche Predigt.  Aber das Risiko nehme ich auf mich.

Als erstes möchte ich Ihnen erzählen, wie es aussehen kann, wenn Menschen die Freude über das Wort Gottes in sich tragen:

Als ich mit einer Gruppe von 17 Theologiestudenten in Jerusalem studierte, gehörte zu unserem Jahresprogramm eine einwöchige Tour durch die Wüste Sinai.  Das ging damals noch. Eine Woche Wanderungen durch Wadis und Übernachtungen in den Oasen. Mit nur mit ganz wenig Wasser zum Waschen. Aber eine großartige Erfahrung. Nach einer Woche kamen wir schmutzig, verschwitzt mit staubigem Zeug und Wüstensand in den Haaren wieder in Jerusalem an.  Wir wollten nur noch duschen und dann schlafen. Aber unser Gruppenleiter sagte bei der Ankunft: „Heute abend ist doch Simchat Thora.  Das Fest der Freude über die Thora, die Weisung Gottes. Dass ihr euch das nicht entgehen lasst! Fahrt nach Hause, macht euch frisch und dann ab in eine der Synagogen. Das müsst ihr erleben, was da los ist!“

Wir rafften uns tatsächlich auf. Und wurden wahrhaftig nicht enttäuscht: ein übervolles Gotteshaus; Große und Kleine tanzten im Kreis herum, ihre Begeisterung und Freude war überall zu spüren.  Sie klatschten, sagen und tanzten. Und einer hielt die Thorarolle so wie ein Baby im Arm. Zärtlich, vorsichtig und voller Liebe. Ganz nah an seinem Körper. Als wollte er sie nie wieder in seinem Leben loslassen. Auch so kann man sich einfach freuen darüber, dass es Gottes Worte gibt!

Heute ist übrigens Simchat Tora.  Heute feiern die jüdischen Gemeinden überall auf der Welt ihr Thorafreudenfest.:)

Melodie: „Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht“

Ein zweites Bild trage ich in mir:

Es war im Bibelmuseum in Frankfurt. Ich stand vor einer Vitrine mit einem kostbaren Ausstellungsstück. Eine Kette war da zu sehen, ihr Anhänger bestand aus einer kupfernen Kapsel, sie war wie ein kleines geschlossenes Rohr, ungefähr vier Zentimeter lang. Sie lag da, geöffnet. Und in ihr verborgen war ein Stück Pergament, auf dem ein einziger Bibelvers aus dem NT geschrieben war. Diese Halskette stammte aus dem 2. Jahrhundert nach Christus.  Und sie war im Sand der Wüste Negev gefunden worden. Was auf dem Stück Pergament stand, das weiß ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich daran, dass ich mich, vor dieser Vitrine stehend, fragte: Welcher Mensch hat wohl diese Halskette einst getragen? War es ein Mann oder eine Frau? Welche Geschichte hatte er? Wohin war er auf dem Weg? Und was ist aus ihm geworden? Und wenn ich damals als Christin gelebt hätte, welchen Bibelvers hätte ich bei mir getragen, welchen hätte ich ausgewählt, dass er mich tröstet, mich stärkt, mich an Gott erinnert und mir ein Licht ist auf meinem Weg? Wäre es das Wort Jesu aus dem Johannesevangelium: „Ich bin das Licht der Welt.  Und wer mir nachfolgt, der wird nicht im Finstern gehen, sondern wird das Licht des Lebens haben“?  Oder wäre es Psalm 27,1: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil. Vor wem sollte ich mich fürchten?“ Oder wäre es das wunderbare Wort des Auferstandenen: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“? Welches biblische Wort hätten Sie, liebe Gemeinde, in einer kupfernen Kapsel getragen, wenn Sie im 2. Jahrhundert gelebt hätten? Welches Wort trägt Sie durch die blühenden Landschaften ebenso wie durch die Wüsten des Lebens?

Melodie: „Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht“

„Dieses Wort ist dir sehr nahe. Es ist in deinem Mund und in deinem Herzen.“

Ein drittes Bild trage ich in mir:

Es war im Krankenhaus. Ich lag auf einem dieser Klinikbetten und war auf dem Weg in den OP. Ich war aufgeregt, auch ein wenig ängstlich. Nur schemenhaft sah ich die Schwestern und Pfleger um mich herum. Würde alles gutgehen? Würden die Ärzte ihre Arbeit gut machen? Da fiel mir ein Wort aus den Psalmen ein. Zuerst sagte ich es nur im Kopf für mich hin, dann traute ich mich auch, es halblaut vor mir herzusagen: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn du bist bei mir.“ Immer wieder sagte ich das, bis ich endlich ruhiger wurde. Was die anderen dachten, war mir in dem Moment völlig egal.

„Dieses Wort ist dir sehr nahe. Es ist in deinem Mund und in deinem Herzen.“ Manchmal ist ein Wort der Schrift mehr wert als der kostbarste Edelstein, mehr als der größte Barren Gold. Gottes Kraft ist dann in ihm zu spüren. Und es ist gut, es wie ein Mantra immer wieder vor sich her zu sagen. Trauen wir uns, biblische Worte auswendig zu lernen. Machen wir uns diese köstliche Mühe. Gott allein weiß, wofür es uns noch einmal von Nutzen sein kann. Wie gut, dass wir sie haben.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

EG + 127,1-4 Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut

Fürbitten
Barmherziger, ewiger Gott, Du gibst uns Dein Wort. Wir sind frei, es anzunehmen und in unserem Herzen zu tragen. Deine Worte geben unserer Seele Tiefgang. Sie erfüllen unser Leben mit Sinn. Danke für den großen Schatz Deiner Worte. Sie sind uns Richtschnur und Leitstern. Hilfe in Entscheidungen. Mahnung in Gleichgültigkeit. Stärkung in Not. Quelle von Glück und Freude.

Danke, dass unser Glaube wachsen kann. Du machst uns Mut, neue Erfahrungen mit Dir zu wagen: lass uns Schuld vergeben, wo es nötig ist. Lass uns auf neue Anfänge vertrauen.

Gib uns Mut, in Deinem Namen aufzustehen gegen Hass und Gewalt. Hilf uns, ausgleichend zu wirken. Lass Dein Wort in unseren Kirchen mächtig sein, damit sie Orte der Geborgenheit und Zuflucht sind.

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.  Amen

Erntedank-Gottesdienst mit Video am 4.10.2020 von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/lcPekSDj5gU

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn! Am Erntedankfest ist die Kirche festlich geschmückt mit Obst und Gemüse, mit Kornähren und Sonnenblumen. Traditionell steht der Dank für die Ernte im Mittelpunkt – und dazu Dank für alles, was gelungen ist. Das Erntedankfest erinnert daran: Was wirklich wichtig ist im Leben, können wir nur empfangen.

"Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit." | Ps 145,15

Psalm 104 EG 743

Gebet
Gott,
hier bin ich.
Mit allem, was mein Leben ausmacht.
Hilf mir, das Gute in meinem Leben zu erkennen und dir dafür zu danken.
Mach mich frei von dem, was mir nicht gut tut.
Zeige mir, wie ich zu einem guten Leben für alle beitragen kann.
Stärke mich mit Mut und Kreativität für diesen Weg.

Schriftlesung 5. Mose 8,7-18

Denn der HERR, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, die aus den Bergen und in den Auen fließen, 8ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt, ein Land, in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust. Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den HERRN, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.So hüte dich nun davor, den HERRN, deinen Gott, zu vergessen, sodass du seine Gebote und seine Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, nicht hältst. Wenn du nun gegessen hast und satt bist und schöne Häuser erbaust und darin wohnst und deine Rinder und Schafe und Silber und Gold und alles, was du hast, sich mehrt, dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den HERRN, deinen Gott, vergisst, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft, und dich geleitet hat durch die große und furchtbare Wüste, wo feurige Schlangen und Skorpione und lauter Dürre und kein Wasser war, und ließ dir Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen und speiste dich mit Manna in der Wüste, von dem deine Väter nichts gewusst haben, auf dass er dich demütigte und versuchte, damit er dir hernach wohltäte. Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen. Sondern gedenke an den HERRN, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, auf dass er hielte seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hat, so wie es heute ist.

Glaubensbekenntnis

Musik

Predigt

Ein buntes Erntebild breitet sich vor uns im Altarraum aus. Die Ernte war gut. Die Natur hat wahrhaft großzügig ihre Schätze freigegeben, damit wir davon leben können. Die Landwirte sind froh und dankbar – die Mühe und Arbeit des vergangenen Jahres hat sich gelohnt und reiche Frucht getragen. Der wenige Regen der kam, kam hier genau zur richtigen Zeit und in der richtigen Menge.

Und auch wir dürfen dankbar sein – dafür, dass es immer noch Menschen gibt, die die Felder bestellen. Trotz der modernen Maschinen ist das nach wie vor harte Arbeit, nicht nur dem Wetter unterworfen, sondern auch wirtschaftlichen Zwängen, die oft genug Krisen produzieren. Schweinepest, Gammelfleisch, Das sind nur einige Stichworte zu immer wiederkehrenden Skandalen, die die Preise purzeln lassen und manchen Landwirt an den Rand seiner Existenz bringen.

Aber die Arbeit und Mühe der Landwirte macht es nicht allein. Wir pflügen und wir streuen zwar den Samen auf das Land. Aber Wachsen und Gedeihen liegt in Gottes Hand, wie wir eben gesungen haben. Dass alles wächst, das können wir nur bedingt machen. Eine reiche Ernte, sie ist auch immer ein Gottesgeschenk.

So wollen wir auch Gott danken, dass wir in diesem Winter genug haben. Viele von uns werden manches aus dem eigenen Garten, vom eigenen Feld in ihren Kellern und Scheunen gelagert haben und den Winter über zufrieden davon zehren können. Das ist Anlass genug zu Freude und Dank.

Zufrieden schauen wir auf die Ernte. Wir wissen, die Arbeit war nicht umsonst. Wir fühlen uns beschenkt. Auf der anderen Seite wissen wir ganz genau, dass wir in unserem Land selbst dann keine Sorge haben müssten, wenn die Ernte diesmal nicht ganz so gut ausgefallen wäre. Ja, selbst wenn ein ganzer Teil davon durch ein Unwetter vernichtet worden wäre, müssten wir keine Not leiden. Unser Mehl zum Brotbacken, unser Gemüse, unser Obst bekämen wir dann nur in verstärkterem Maße, als es sowieso geschieht, von anderen – aus Ländern, in denen die Ernte besser war: aus Italien, aus Israel, aus holländischen Gewächshäusern, vielleicht aus Russland und Amerika. Manches würde teurer sein, aber das könnten wir verkraften. Nein, wir müssen anders als die Menschen früher keine Angst haben, Not zu leiden. Wir haben genug.
 
Genug? Wenn wir ehrlich sind, müssten wir sagen, wir haben nicht nur genug, wir haben mehr als genug zu essen – so viel, dass immer wieder Lebensmittel in der Mülltonne landen. Wir haben mehr als genug zum Anziehen. Manche macht jede Mode mit und dafür wandert anderes kaum getragen in den Kleidersack. Wir haben genug Möbel, genug Autos, genug Spielsachen, genug von allem. Wir haben nicht nur genug, wir haben zu viel. Und wir registrieren es oft nicht einmal. Wir haben uns daran gewöhnt. Ja, es ist uns zur Selbstverständlichkeit geworden.

Diese Gewöhnung, diese Selbstverständlichkeit aber hat eine gefährliche Dynamik. Es scheint mir fast wie ein Naturgesetz zu sein, dass wer etwas hat, immer mehr haben will. Wir Menschen sind selten zufrieden, wenn wir genug haben. Wir streben danach, noch mehr zu erlangen, zu besitzen. Dieser Drang, den eigenen Besitz über das Maß hinaus zu vermehren, scheint tief in uns zu stecken. Ich kenne kaum einen Menschen, der dieser Versuchung nicht immer wieder erliegt – ich eingeschlossen. Eine gefährliche Versuchung. Wenn wir ihr erliegen, dann passiert es, dass wir maßlos werden, dass wir nur uns sehen. Dann kommen wir schnell an den Punkt, wo wir unseren Besitz um jeden Preis vermehren wollen, auch dadurch, dass wir anderen etwas vorenthalten oder wegnehmen. Denn die Ressourcen unserer Erde sind begrenzt. Das wissen wir alle. Wir haben nicht endlos Nahrung und Rohstoffe zur Verfügung. Und wenn einer immer mehr braucht, bekommt eine andere weniger davon. Viel Ungerechtigkeit in der Welt geschieht, weil mancher Konzern auch in unserem Land seine Gewinne mit solcher Ausbeutung erwirtschaftet.

„Was hat das mit dem Erntedankfest zu tun?“ mag nun mancher fragen. Muss uns das heute interessieren? Dürfen wir uns heute nicht einmal unbeschwert darüber freuen, dass die Ernte gut war? Müssen wir uns gleich wieder anhören: „Ihr habt gut lachen, aber anderswo fehlt es an vielem“, und schuldbewusst den Kopf einziehen?

Darum geht es nicht! Natürlich sollen wir uns freuen und dankbar sein und feiern. Wir sollen nicht schuldbewusst den Kopf einziehen. Aber wir sollen unsere Freude nicht für uns behalten, sondern sie mit anderen teilen.

Unsere Freude kann gar nicht groß genug sein. Sie soll so groß sein, dass wir gar nicht anders können, als alle Welt daran teilhaben lassen zu wollen. Weil wir so viel geschenkt bekommen haben, deshalb sollen wir mit vollen Händen voll Dankbarkeit weiterschenken. Wo wir das tun, da werden wir ein Wunder erleben.

So wie in der Erzählung des heutigen Predigttextes, die in der Bibel steht, weil sie vom Wunder des Teilens erzählt, an das die Jünger und Jüngerinnen nicht glaubten, das ihnen Jesus aber eindringlich vor Augen führt.

Verlesen des Predigttextes
Als sich in jenen Tagen wiederum viel Volk eingefunden hatte und sie nichts zu essen hatten, rief er die Jüngerinnen und Jünger zu sich und sagte ihnen: „Ich werde durch das Volk angerührt, denn sie bleiben schon seit drei Tagen bei mir und haben nichts zu essen. Wenn ich sie ohne Essen nach Hause gehen lasse, werden sie unterwegs entkräftet zusammenbrechen; einige von ihnen sind von weit her gekommen.“ Da antworteten ihm seine Jüngerinnen und Jünger: „Wie könnte hier in der Einöde irgendeine Person diese große Menschenmenge mit Broten sättigen?“ Er fragte sie: „Wie viele Brote habt ihr bei euch?“ Sie sagten: „Sieben“. Da gebot er dem Volk, sich wie zum Essen auf die Erde niederzulegen. Und er nahm die sieben Brote, sprach den Brotsegen, brach sie und gab sie seinen Jüngerinnen und Jüngern, damit sie die Speise austeilten. Sie teilten sie an das Volk aus. Außerdem hatten sie einige kleine Fische. Er sprach das Segensgebet und gebot, auch diese auszuteilen. Und sie aßen und wurden satt. Sie hoben auf, was an Resten übrig blieb: sieben Körbe. Sie waren aber ungefähr 4.000 Menschen. Und er schickte sie fort.
(Markusevangelium 8,1-9 BIGS 2011)

Eine große Menge Menschen ist Jesus gefolgt. Seit drei Tagen sind sie mit ihm unterwegs. Nun haben sie Hunger. Jesus möchte, dass die Jüngerinnen und Jünger ihnen etwas zu essen geben. Aber die sind ratlos: Es sind so viele! Wie sollen wir die alle satt bekommen? Resignation und Mutlosigkeit klingen aus diesen Worten. Die Freundinnen und Freunde Jesu sind völlig überfordert.

Ich kann das gut nachvollziehen. Wenn ich höre, wie vielen Menschen auf der Welt das Nötigste zum Leben fehlt, dann denke ich auch schnell: Was soll ich tun? Auch wenn ich noch so viel spende, es wird nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein.

Aber: Viele Tropfen ergeben ein Meer. „Fangt doch erst mal an!“, sagt Jesus. „Wie viele Brote habt ihr bei euch?“ (Mk 8,5 BIGS 2011) Sieben sind es und dazu einige kleine Fische. Jesus lädt die Menschen ein, sich niederzusetzen. Er dankt Gott und dann fordert er auf, auszuteilen. Und siehe, alle wurden satt. Am Ende blieben noch sieben Körbe über.

Das hatten sie niemals erwartet, dass es für alle reichen würde. Deshalb hatten sie gar nicht erst mit dem Teilen beginnen wollen. Jesus aber macht ihnen deutlich: „Fangt doch erst einmal an! Es reicht weiter als ihr denkt. Nur wenn ihr beginnt, könnt ihr das Wunder des Teilens erleben!“

Wir alle kennen das Sprichwort: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Aber nicht nur Freude können wir teilen. Auch ein Stück Brot, auch eine Tafel Schokolade, eine Stunde Zeit.
Teilen kann auch bedeuten: Weggeben, was ich selber nicht mehr brauche. Das Kleid, das schon seit Jahren ungetragen im Schrank hängt; das Buch, das im Regal verstaubt; ein altes Spielzeug. Jemand anders wird sich darüber freuen.

Teilen können wir natürlich auch unser Geld. Indem wir spenden oder indem wir Produkte mit einem Siegel für fairen Handel kaufen. Es gibt Kaffee, Tee, Saft und Obst, für die die produzierenden Bauern dann soviel Geld bekommen, dass sie davon auch leben können. Den wenigsten von uns tut es weh, zwei bis drei Euro mehr für das Pfund Kaffee zu bezahlen. Für eine Familie in Guatemala aber bedeutet es menschenwürdig zu leben.

Wo wir so teilen, wird unser Brot nicht mehr Brot wie in der Erzählung vom Speisungswunder. Das können wir nicht tun. Wo wir ein Brot teilen, da bleibt es ein Brot. Wo wir es aber nicht für uns behalten, da ist am Ende trotzdem mehr: mehr Freude, vielleicht mehr Freunde. Nicht nur eine, sondern drei oder vier oder fünf sind satt geworden und haben Gemeinschaft gehabt.

Wo wir so teilen, da wachsen Freude, Menschlichkeit und Gerechtigkeit. In einer Welt, wo einer so für den anderen sorgt, hat Hass keinen Platz. Gerade angesichts der erneuten Aufrüstung und der Kriegstreiberei haben viele Menschen Sehnsucht nach einer Welt, wo alle leben können.

Die Erzählung von der Speisung der Vielen will uns ermutigen, dem Wunder des Teilens nachzuspüren. Brot und Fisch stehen für alles, was lebensnotwendig ist. Menschen, die es wagen, die mit anderen teilen, die bekommen ein neues Verhältnis zu ihrem Besitz. Denn der Besitz wird dann nicht nur weniger werden, sondern auch weniger wichtig. Aber die Zuneigung zu unseren Mitmenschen und die Erfahrung von Gerechtigkeit wachsen.

Jede und jeder kann teilen – im Kleinen und im Großen.

Erntedank soll uns dazu befreien – unsere Freude soll weiterwirken, nicht nur heute, sondern jeden Tag. Damit irgendwann einmal alle genug haben und als Schwestern und Brüder beieinander leben.
Amen.

Musik

Fürbitten
Gott, du ermutigst uns immer wieder,
deinem Wort zu vertrauen und deine Liebe in diese Welt zu tragen.

Wir bitten dich,
leite unsere Füße auf den Weg des Friedens!
Führe unsere Hände, dass sie erhalten und aufbauen,
was dem Mitmenschen und der Schöpfung dient!
Öffne unseren Mund für Worte, die trösten und stärken!

Lehre uns Geduld mit uns und anderen
und stärke das Vertrauen in unsere Fähigkeiten und Gaben!
Lass uns nicht verzagen,
wenn unsere Bemühungen ins Leere laufen!
Schenke uns die Kraft,
immer neu dafür einzutreten,
dass dein Reich auf dieser Erde wachse!

Wo wir an Grenzen geraten,
da hilf uns am Gebet festzuhalten!
Dein Wort verbindet über Grenzen
hinweg und schlägt Brücken
zu Menschen in der ganzen Welt.

Befreie uns zum Teilen,
mach uns bereit, loszulassen und abzugeben,
damit nicht nur wenige viel, sondern alle genug haben,
dass Gerechtigkeit auf der Erde wachse
und alle Menschen leben können!

Gemeinsam beten wir: Vater unser

Abkündigungen

Segen

Gottesdienst am 27.09.2020 von Pfarrerin Meike Naumann

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

"Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium." | 2. Tim 1,10b

Wir mögen hier und jetzt den Tod erleiden – durch Christus verliert der Tod seine Macht. Das geschah schon zu Jesu Lebzeiten, als er Menschen dem Tod abrang. Durch Jesu Sterben und Auferstehen ist der Tod endgültig besiegt. Was die Psalmen besangen wird in Jesus für Christen Wirklichkeit: „Du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen!“ Aus dieser Hoffnung erwächst ein „Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“, der alle Furcht vertreiben will. Gottes Güte ist mächtiger als der Tod – sich daran zu halten und darauf zu vertrauen, dazu ermutigt dieser Sonntag.

Psalm
Der Sieg Gottes
Ein Psalmlied Davids, vorzusingen.
Die Gerechten aber freuen sich /
und sind fröhlich vor Gott
und freuen sich von Herzen.
Singet Gott, lobsinget seinem Namen! /
Macht Bahn dem, der auf den Wolken einherfährt;
er heißt HERR. Freuet euch vor ihm!
Ein Vater der Waisen und ein Helfer der Witwen
ist Gott in seiner heiligen Wohnung,
ein Gott, der die Einsamen nach Hause bringt, /
der die Gefangenen herausführt, dass es ihnen wohlgehe;
Gelobt sei der Herr täglich.
Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch.
Wir haben einen Gott, der da hilft,
und den HERRN, einen Herrn, der vom Tode errettet.

Gebet
Heute Morgen sind wir da, Gott.
Wir suchen deine Nähe.
Gegen alle Einsamkeiten unseres Lebens lass uns wissen:
Du bist um uns und in uns wie die Luft zum Atmen.
Du kannst uns trösten und unsere Leiden heilen.
Du willst unser Leben teilen.
Bleibe bei und. Heute und alle Zeit. Amen.

Schriftlesung
Die Auferweckung des Lazarus
Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta. Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank. Da kam Jesus und fand Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen. Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt. Viele Juden aber waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders. Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, ging sie ihm entgegen; Maria aber blieb im Haus sitzen. Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta spricht zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der
Auferstehung am Jüngsten Tage. Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt.

Glaubensbekenntnis

Musik

Predigt

Gott gebe uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für Gottes Wort.

Liebe Gemeinde!
I
„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit!“ (2.Tim. 1,7 LUTHER 2017)
Zwei Frauen möchte ich Ihnen vorstellen. Zwei Frauen, deren Mut, Kraft und Liebe mich beeindrucken. Es kann gut sein, dass Sie eine oder vielleicht beide Frauen kennen.

Irma Duce war eine brasilianische Ordensschwester. Schon ganz jung trat sie in ihren Orden ein. Ihr Augenmerk galt denen, die von den anderen nicht gesehen wurden. Sie kümmerte sich um Obdachlose, brach leerstehende Häuser auf, um für sie ein Dach über dem Kopf zu finden. Im Hühnerstall ihres Klosters begann sie mit der Betreuung von Kranken. Daraus entstand ein kleines Krankenhaus, das wuchs und bald über 1000 Betten hatte. Mit 78 Jahren starb sie an einer schweren Lungenkrankheit. Sie hat sich um die Ärmsten gekümmert, um die, die durchs Raster fielen. Hat dafür gesorgt, dass sie gesehen wurden und dass andere ihnen gerecht werden, dass sich um sie gekümmert wird.

Cato Bontjes van Beek kam aus Fischerhude. Sie war die Nichte des Künstlers Otto Modersohn. Mit 23 Jahre wurde sie in Berlin Plötzensee hingerichtet. Schon früh erkennt sie das Leid und das Unrecht, dass die nationalsozialistische Ideologie hervorbringt. Sie engagiert sich im Widerstand, druckt Flugblätter und Schriften, die zum Kampf und zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten aufrufen. Mit ihrem Vater wird sie verhaftet und ermordet.

In solchen Menschengeschichten entdecke ich Gottes Geist. Davon bin ich immer wieder fasziniert. Wie Frauen und Männer eine innere Richtschnur haben, die sie begleitet. Nicht ohne Umwege. Nicht ohne innere Kämpfe. Aber so, dass sie eine Fährte legen, auf die ich aufmerksam werde.

Gottes Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit – und vor allem nicht der Furcht!

Irma Duce sah, wo Not war, sah mit mitleidenden liebevollen Augen und wurde aktiv. Lies sich nicht einschüchtern von Gesetzen und Umständen, die ihr den Weg versperrten.
Cato Bontjes van Beek mochte nicht tatenlos zusehen, wie sich der Geist der Furcht ausbreitete, wie Menschen Würde und Leben genommen wurde. Sie vertraute auf Gottes Liebe zu allen Menschen und wollte nicht Ausgrenzung, Mord und Hass Raum geben. Selbst auf die Gefahr hin, selber ihr Leben zu verlieren, wurde sie aktiv.

Es sind Lebensgeschichten wie die dieser beiden Frauen, die mich darüber nachdenken lassen, wie ich diesen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit und nicht der Furcht spüre und lebe.

Ich bin keine Heldin. Mein Leben aufs Spiel setzen?
Gott sei Dank leben wir im Moment in Zeiten, wo die Notwendigkeit dafür nicht gegeben ist. Aber den Geist der Furcht, den spüre ich trotzdem. Die Stimmung in unserer Gesellschaft ist angespannt, verändert sich.

Ich spüre den Geist der Furcht, wenn ich mich dabei ertappe, wie ich mich in schwierigen Situationen winde, um niemandem weh zu tun – auch aus Sorge, selber Schaden zu nehmen.

Wenn ich anderen begegne, die Sorge um das, haben, was sie sich aufgebaut haben. „Jetzt kommen so viele Fremde, das schaffen wir doch gar nicht!“
Wenn ich bei Facebook manche Auseinandersetzung verfolge und sehe, mit welcher Wortgewalt dort ausgeteilt und über andere geurteilt wird.

Wenn ich Schlagzeilen lese wie „Erschreckend, wie viele nicht mehr ihre Meinung sagen!“, mit denen suggeriert wird, dass die Meinungsfreiheit bei uns in Gefahr sei.

Da ist er, der Geist der Furcht, von dem die Bibel sagt: der ist nicht von Gott!

II
„Wie willst du das denn wissen?“ – Ich höre sie genau, diese Frage. Manche stellen sie laut. Sie finden, dass Gott zu viel von den falschen Leuten unterstellt wird. Sie sagen: „Vielleicht ist Gott ja genau in dieser Furcht spürbar? Vielleicht ist die Furcht ein Zeichen dafür, das was nicht stimmt!“

Furcht, das sehe ich auch so, ist ein Zeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist. Furcht macht klein und eng, verschließt mir den Blick für das, was mich umgibt.

Damit ist dann für mich aber auch klar, dass dieser Geist nicht von Gott kommt.

Denn die Bibel erzählt davon, wie Gottes Handeln Horizonte weit gemacht und Leben verwandelt hat.

Wie Menschen, die in sich ganz verkrümmt waren, auf einmal aufsahen und aufrecht gehen lernten.

Wie sie das, was sie im alten Leben festhielt, loslassen und sich neu entdecken konnten.

Wie ihnen gemeinsam mit anderen neue Wege eröffnet wurden, die sie sich selber nie hätten vorstellen können.

Mit Gottes Geist wird das Leben nicht klein und eng, sondern weit und offen. Dabei verschwindet die Furcht nicht – es gibt ja auch genug, vor dem wir uns fürchten könnten – am allermeisten wohl vor dem, zu dem wir Menschen untereinander fähig sind.
Aber der Furcht wird etwas entgegengesetzt, etwas, das anders, das stärker ist als sie.

Irma Duce wollte vor dem Leid um sie herum nicht die Augen verschließen. Sie vertraute Gott, der Kraft des Lebens, die keinen Menschen verloren gab
Cato Bontjes van Beeck wollte nicht tatenlos zusehen, als Menschen für wertlos erklärt wurden: „Ich will nicht nur reden, ich will etwas tun!“ Sie entdeckte in ihrem Glauben eine Quelle, die sie stärkte.

Beide vertrauten auf Gottes Liebe, die allen Menschen galt – egal wer sie waren und woher sie kamen.

III
Der Furcht etwas entgegensetzen, etwas, das stärker ist als sie.
Etwas, das ich nicht selber mache, sondern das in mir wächst und wirkt.
Etwas, das ich nicht selber mache, aber das meine Aufmerksamkeit braucht: der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Und der ganz konkret wirken kann.

Wenn ich mich nicht in die Enge treiben lasse von Aussagen wie: „Hier darf ja keine mehr ihre Meinung sagen!“, sondern besonnen nachfrage: „Natürlich gibt es Meinungsfreiheit. Geht es dir vielleicht eher darum, dass du die Zustimmung für deine Meinung vermisst?“

Wenn ich die Kraft sammle, um Dinge anzusprechen, die mir schwerfallen, aber notwendig sind und mir und andere weiter helfen.

Wenn ich mich daran erinnere, dass ich daran glaube, dass ich von Gott geliebt bin, genau wie der Mann, wie die Frau, die ihre Heimat verlassen haben und hier Fuß fassen wollen, und diese Erinnerung stärker ist als die Sorge, etwas abgeben zu müssen.
Wenn ich mit vielen anderen an einer Kundgebung gegen Hass, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit teilnehme und so ein sichtbares Zeichen setze.

IV
Kraft, Liebe und Besonnenheit – Gottes Geist ist wie ein wunderbarer kluger Dreiklang.

Kraft allein wird schnell Kraftmeierei. Die Liebe führt häufig zum Überschwang und die Besonnenheit zur Behäbigkeit.

Alle drei zusammen aber geben sich gegenseitig Raum und Stütze.

In diesen wunderbaren Dreiklang stellt Gott mich und hofft, dass ich diesem Dreiklang in mir Platz schaffe und nicht weghöre, wenn die Furcht zu laut wird.

Menschen wie Irma Duce und Cato Bontjes van Beeck und all die anderen, die mir Spuren zeigen von Gottes Geist begleiten mich dabei, erinnern mich daran, dass der Geist der Furcht nicht der Geist Gottes ist, sondern der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Amen.

Musik

Fürbitten
Himmlischer Vater,
du hast uns unser Leben geschenkt
und damit viele Möglichkeiten vor uns ausgebreitet.
Dafür danken wir dir.

Wir bitten dich für die Völker und Nationen
in den Krisengebieten dieser Welt,
die unter Krieg und Terror leiden,
dass endlich Friede einkehre.

Wir bitten dich für die Trauernden
in der Nähe und in der Ferne, die darunter leiden,
dass du der Lebenszeit Grenzen gesetzt hast,
dass du sie tröstest mit deiner grenzenlosen Liebe.

Wir bitten dich für die Männer und Frauen,
die durch eine Krankheit eingeschränkt sind,
die nicht sehen, sprechen oder hören können,
dass sie sich trotz ihrer Begrenzung entfalten.

Wir bitten dich für die Menschen,
die verbittert sind über die Begrenztheit des Lebens,
die sich in jeder Krankheit und jedem Leid und in jedem Sterben
erneut zeigt,
dass sie nicht bitter bleiben, sondern auf dich hoffen.

Wir bitten dich für diejenigen unter uns,
die mehr auf die Grenzen schauen,
die du ihnen gesetzt hast, als auf die Freiheit,
zu der du uns berufst,
dass du ihre Augen auftust
für die Möglichkeiten, die vor ihnen liegen.

Wir bitten für uns alle um die Gelassenheit,
Grenzen hinzunehmen, die wir nicht ändern können.
Wir bitten dich aber um den Mut,
gegen Grenzen zu rebellieren,
wo wir sie verändern und überwinden können.
Und wir bitten um die Weisheit,
zwischen diesen Grenzen und jenen zu unterscheiden.
Amen.

Vater Unser

Abkündigungen

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 20.09.2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Ich begrüße Sie und euch alle herzlich zu diesem Gottesdienst. Der Sommer neigt sich seinem Ende zu. Übermorgen beginnt der Herbst. Schon länger spüren wir ja, dass die Tage kürzer werden. Nun ist es gut, die Bilder und die Kraft der Sonne in uns zu speichern für die Herbsttage, die kommen.

Heute werden wir mit den Liedern und den Texten daran erinnert, dass wir nicht aus uns selbst leben, sondern aus Gottes guter Hand. Er ist für uns da. Er lässt sich ansprechen. Daran erinnern uns die Worte des Wochenspruchs aus dem 1. Petrusbrief Kap. 5: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“

Wir feiern den Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 104 i.A.

Lobe den Herrn, meine Seele! Mein Gott, du bist so groß!
Du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast.
Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich.
Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zum Nutzen der Menschen,
um Brot aus der Erde hervorzubringen.
Du bringst Wein hervor, der das menschliche Herz erfreut,
Öl, damit das Angesicht schön werde
Und Brot, das das Herz des Menschen stärkt.
Wie groß und wie zahlreich sind deine Werke, Herr!
Du hast sie alle weise geordnet.
Ich will dem Herrn singen mein Leben lang
und meinen Gott loben, solange ich da bin.

Gebet

Du, mein Gott, ich bitte dich heute: komm zu mir und rühre mich an. Hilf mir, mit Körper, Geist und Seele jetzt ganz hier zu sein. Mich einzulassen auf diesen Gottesdienst. Inmitten deiner Gemeinde.
Schenke mir neue Gedanken, die mein Leben bereichern, die ich auch mitnehmen kann in meinen Alltag morgen.
Dies bitte ich dich im Namen Jesu Christi. Amen.

Lied EG 302,1-3 Du, meine Seele, singe

Schriftlesung 1. Mose 2,4-9.15
Es war zu der Zeit, als Gott die Erde und den Himmel erschuf. Und alle Sträucher auf dem Feld waren noch nicht auf der Erde, und all das Kraut auf dem Feld war noch nicht gewachsen. Denn Gott der Herr hatte es noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute. Aber ein Nebel stieg von der Erde auf und befeuchtete alles Land. Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde von Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen. Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er geschaffen hatte. Und Gott der Herr ließ aus der Erde allerlei Bäume aufwachsen, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten in den Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaute und behütete.

Ansprache

Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,

es war im Sommer, in Finnland. Mit 70 anderen Jugendlichen war ich auf eine Freizeit gefahren, die unsere Kirchengemeinde angeboten hatte. Wir unterhielten uns über alles damals, auch darüber, was es bedeutete, mit der Bibel zu leben, als Christ in unserer Welt unterwegs zu sein. Unser Pastor war damals auch dabei, und wir waren stolz darauf, dass wir ihn alle duzen durften. Irgendwann in den tagen nahm ich mir ein Herz und fragte ihn: „Hans – Peter, hast du mal einen Moment Zeit? Ich habe da eine Frage.“ er hatte Zeit. Und so setzten wir uns an das Ufer jenes schönen finnischen Sees, und ich konnte mein Problem zur Sprache bringen: „Wie soll ich das zusammenbringen – den Schöpfungsbericht der Bibel und das, was ich im Biologieunterricht lerne: die Evolutionstheorie, die davon ausgeht, dass die Welt in Jahrmillionen entstanden ist und nicht in sieben Tagen? Entweder stimmt doch das eine oder das andere. Beides zugleich geht nicht. Und wenn das so weitergeht, werde ich noch die ganze Bibel über Bord werfen.“ Große Fragen einer 16Jährigen, an denen Vieles für sie hing. Mein Pastor überlegte. Dann sagte er: „Susanne, nimm die Bibel nicht wie ein biologisches Lehrbuch, nimm sie nicht wie ein geologisches Fachbuch. Das will sie nicht sein. Sie will etwas Anderes sagen; sie will sagen, dass Gott hinter allem steht, was wir sehen. Es ist sein Wille, dass es diese Erde gibt, dieses Universum und uns Menschen. Er ist der Schöpfer, und es liegt ein Sinn darin, dass es dich gibt und mich und jeden Menschen. Darauf kommt es an. Denk anders. Denk weiter. Denk größer!“

Mit diesen Worten und mit diesem Gespräch hat Hans-Peter Hellmanzik, mein Pastor, der mich konfirmiert und uns später getraut hat, entscheidend dazu beigetragen, dass ich hier heute stehe, dass ich mich für das Studium der Theologie entschieden habe. Er hat mich gelehrt, die Bibel anders zu sehen als nur im fundamentalistischen Sinne. Dafür bin ich ihm überaus dankbar.

„Es war zu der Zeit, als Gott die Erde und den Himmel erschuf.“ Gott wollte, dass es das alles hier gibt.

Die zweite Schöpfungserzählung am Anfang der Bibel beschreibt die Entstehung des Paradieses. Es ist eine Erzählung. Niemand war dabei. Gott pflanzt diesen wunderbaren Garten Eden, in dem noch alles gut war. Er lässt allerlei Bäume wachsen, verlockend und anziehend anzusehen. Mit Früchten zum Essen. In diesem Garten gibt es später auch Wasser die Fülle, das den Garten bewässert. Dann erschafft Gott aus Erde den Menschen und setzt ihn in den Garten, damit er ihn bearbeitet und beschützt. Auch die Tiere werden aus Erde geschaffen. Und als es kühl wird am Abend, spaziert Gott selbst durch den Garten. Was für ein schönes Bild!

Ein Garten, liebe Gemeinde, ist ein traumhafter Ort. Kein Wunder, dass fast jeder Mensch sich ein Häuschen mit Garten wünscht. Für viele Menschen in unserer Stadt ist ihr Garten, egal ob direkt am Haus gelegen oder als Schrebergarten ein bisschen weiter weg, ihr zweites Wohnzimmer, ihr zweites Zuhause. Und ich weiß es von Etlichen, die mir gesagt haben, gerade in der Coronazeit hätten sie plötzlich angefangen zu gärtnern. Im Garten, da gehen die Uhren anders. Da kann man schon einmal die Zeit vergessen. Der Garten ist Ort der Ruhe, der Erholung, des Durchatmens. Ob es die wunderschönen, offenen Rosengärten in Steinfurth sind, unser Gemeindegarten am Höhenweg oder die privaten Gärten, die man am „Tag des offenen Gartentors“ betreten und besichtigen darf – sie alle sind kleine Paradiese der Gegenwart. Allesamt Abbilder jenes biblischen Gartens Eden. Die englische Dichterin Dorothy Frances Gurney sagt dazu: „Man ist dem Herzen Gottes nirgendwo näher als in einem Garten.“ Hier spüren, riechen, schmecken, hören und sehen wir die Natur. Hier erkennen wir, dass die Natur mehr ist als Natur. Wir erkennen, dass sie Schöpfung ist. Dass eine großartige, kreative Kraftquelle sie gewollt hat und sie ins Leben gesetzt hat.

Woran freuen Sie sich besonders, wenn Sie an einen Garten denken? Ist es der Lavendel, der Rittersporn oder der Schmetterlingsflieder? Ist es die Rose, die Sonnenblume oder die Geranie auf dem Balkon? Ist es der Apfelbaum, voll mit reifen Früchten? Für jede und für jeden ist es sicher etwas Anderes. „Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden.“

Wenn ich unseren Garten in seinem Jahresverlauf beobachte, vom Frühling bis zum Winter, so sehe ich vieles wieder, das sich auch im Lebensverlauf eines Menschen abzeichnet. Auch wir als Menschen sind mit hineingenommen in diesen uralten Kreislauf von Werden und Vergehen. Wir gehören zur Erde. In uns tanzen und schweben und bewegen sich dieselben Moleküle und Atome wie in der Natur, die uns umgibt. Wir sind nur anders zusammengesetzt. „Wir sind Leben inmitten von Leben, das leben will,“ hat Albert Schweizer einmal gesagt. Die hebräische Bibel spielt genau mit diesem Gedanken. Sie erzählt, dass der Mensch, der Adam, aus Erde vom Acker gemacht ist, aus der Adamah. Der Adam aus der Adamah. Der „Erdling aus der Erde.“ Wir sind Erdlinge – Teil dieser Erde. Ganz elementar. Wir sind Erde von Erde. Das kann uns einfach auch einmal sehr demütig werden lassen. Das bedeutet, dass wir mit beiden Füßen fest auf der Erde zu stehen haben. Erdverbunden, realistisch, nicht abgehoben. Und doch sind wir ja viel mehr; wir sind mit dem Geist Gottes begabt. “Und Gott machte den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in die Nase.“ Wir können atmen, denken, unsere Gedanken spielen lassen, phantasievoll sein, Sachen erfinden, bauen und gestalten, kreativ sein. Wir sind Erdlinge und doch zugleich mit Gott und mit seiner großen geistigen Welt verbunden. Wir sind eingespannt zwischen Himmel und Erde. Können immer wieder Neues denken und tun. Nach Gottes Willen fragen und handeln.

Das ist ein großes Glück. Das ist ein großer Schatz.

Nach dem Willen Gottes – so erzählt es der Schöpfungsbericht – soll der Mensch den Garten Eden bebauen und behüten. Bebauen heißt ja bearbeiten. Gartenarbeit ist Arbeit, manchmal schweißtreibend und anstrengend. Ein Stück Land umgraben, das geht in den Rücken und in die Arme. Wurzeln herausholen, Stubben roden, Erde begradigen, Steine lesen, das fordert Disziplin, Kraft und Selbstüberwindung. In seinem schönen Buch „Pinnegars Garten“ lässt der englische Autor Reginald Arkell den alten Gärtner sagen: “ Gärtnern ist ein Ganztagsjob, wenn einem das Unkraut droht, über den Kopf zu wachsen. Und Gärtnern ist eine Tätigkeit, die einen zur Verzweiflung treiben kann. Aber was sie fordert, das gibt sie auch zurück.“ Anstrengung und Disziplin gehören zu unserem Leben und Arbeiten dazu. Ohne das geht es nicht. Der Garten Eden ist nicht als Schlaraffenland konzipiert.

Wenn wir über unsere eigenen Gärten hinausschauen in die gegenwärtige Wirklichkeit unserer Erde, so sehen wir an vielen Orten ein Gegenbild zum Paradies der Bibel: Bäume werden nicht gepflanzt, sie sterben, sie verbrennen oder werden abgeholzt. Die Westküste Amerikas brennt. Urwälder werden zu Wüstenregionen. Anhaltende Trockenheit macht Menschen und Tieren zu schaffen. Und viel zu viele Menschen hungern und haben gerade keinen Zugang zu den Früchten der Erde. Die Klimaveränderung ist mit Händen zu greifen. Auch wenn es immer noch Menschen gibt, die sie leugnen.

Kann uns in dieser Situation das Bild vom Garten Eden helfen? Können wir aus diesem Bild Kraft schöpfen für unsere Zeit? Und einen Weg finden?

„Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, damit er ihn bebaute und behütete.“ Bebauen und behüten, dieser Auftrag bleibt entscheidend. Durch die Zeiten hindurch. Wir Erdlinge, wir brauchen Gottes Geist, um immer neu zu erkennen, wo wir klimafreundlicher handeln können - und das dann auch tun. Wir alle kennen die Stichworte vom ökologischen Fußabdruck bis zum Umstieg auf klimaneutrale Verkehrsmittel. Wir wissen das alles.

Wir brauchen eine Haltung, Gott neu als den Schöpfer zu erkennen, ihm die Ehre zu geben. Das hilft uns, respektvoll und im guten Sinne demütig zu sein. Und wir haben eine Hoffnung, über das Ende aller Tage hier hinaus. Sie findet sich im 2. Petrusbrief 3: „Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach Gottes Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt.“ Bis dahin lasst uns tun, was wir tun können.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Fürbitten

Du, Gott, bist der Glanz und das Licht unserer Herzen. Wir sehen Deine schöpferische Kraft: auf Deiner Erde, an allen Sternen und Planeten und im Universum. Wir danken Dir für alles, womit wir versorgt sind.
Du vertraust unseren Händen Deine Erde an. Das ist eine hohe Verantwortung  und wir wissen nicht, ob wir ihr gerecht werden können. Gib uns Demut, damit wir Wege zur Umkehr finden. Gib uns Respekt, Herr, damit wir sparsam mit den Ressourcen umgehen.
Mit dem Virus, Gott, wendet sich die die Natur gerade gegen uns. Wir verstehen Vieles nicht, müssen uns schützen und sind angewiesen auf die medizinische Forschung. Wir sind jenseits von Eden. Wir bitten um Geist und Fantasie für die Wissenschaftler, damit ein Impfstoff möglich wird.
Wir bitten für alle, die in diesen Tagen einsam sind: Menschen in ihren Wohnungen, die Geflüchteten auf den Inseln, die, die in Minsk, in Belarus festgenommen worden sind: sei Du bei ihnen, stärke sie und gib ihnen eine Aussicht!

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Gottesdienst am 13.09.2020 von Vikar Ingmar Bartsch

Votum: Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Eingangsspsalm: Psalm 146, 1-3, 5-8
1 Lobe den Herrn, meine Seele! 2 Ich will den Herrn loben, solange ich lebe, und meinem Gott lobsingen, solange ich bin. 3 Verlasset euch nicht auf Fürsten; sie sind Menschen, die können ja nicht helfen. 5 Wohl dem, dessen Hilfe der Gott Jakobs ist, der seine Hoffnung setzt auf den Herrn, seinen Gott, 6 der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was darinnen ist; der Treue hält ewiglich, / 7 der Recht schafft denen, die Gewalt leiden, der die Hungrigen speiset. Der Herr macht die Gefangenen frei. 8 Der Herr macht die Blinden sehend. Der Herr richtet auf, die niedergeschla-gen sind. Der Herr liebt die Gerechten. Amen

Gebet
Großer Gott, manchmal trauen wir Dir zu wenig zu. Wir hören von Menschen, in deren Leben Du Veränderung bewirkt hast. Es fällt uns schwer, zu glauben, dass Du auch uns verändern kannst. Schenke uns, dass wir in diesem Gottesdienst Deine Kraft in unserem Leben spüren und von Dir angerührt werden. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, unseren Herrn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit. Amen

Lesung: 1.Mose 28,10-19
10 Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran 11 und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. 12 Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. 13 Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. 14 Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. 15 Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe. 16 Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! 17 Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. 18 Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf 19 und nannte die Stätte Bethel.

Lied:  EG 629
1.)Liebe ist nicht nur ein Wort,
Liebe das sind Worte und Taten.
Als Zeichen der Liebe ist Jesus geboren
Als Zeichen der Liebe für diese Welt.

2.)Freiheit ist nicht nur ein Wort,
Freiheit das sind Worte und Taten.
Als Zeichen der Freiheit ist Jesus gestorben
Als Zeichen der Freiheit für diese Welt.

3.)Hoffnung ist nicht nur ein Wort,
Hoffnung das sind Worte und Taten
Als Zeichen der Hoffnung ist Jesus lebendig,
Als Zeichen der Hoffnung für diese Welt.

Predigt zu Lukas 19,1-10
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus,

Hatten Sie schon mal eine Begegnung, die Ihr Leben verändert hat? Mit einer richtig beeindruckenden Person? Bei einem Vortrag, einer Buchlesung oder einem besonders inspirierendes Konzert? Beim Treffen mit einer berühmten Persönlichkeit oder dem tiefen Gespräch mit einer guten Freundin? Die berühmte Liebe auf den ersten Blick gehört definitiv in diese Kategorie. Begegnungen, die unser Leben verändern.
Der Wunsch nach Veränderung scheint uns Menschen inne zu wohnen. Bei einem der großen Händler im Internet findet man eine unüberschaubare Zahl an Ratgebern. „Verändere Dein Leben“, ist einer der Titel. Nicht super kreativ, aber man weiß gleich, worum es geht. „Der geile Scheiß vom Glücklichsein“ Das ist deutlich humorvoller. Oder „Wach auf, Dein Leben wartet!“ Und dann gibt es ja auch noch eine schier endlose Fülle an Fitnessratgebern.
Der Wunsch nach Veränderung ist kein Phänomen der heutigen Zeit. Das zeigt auch der Predigttext für den heutigen Sonntag. Es ist die bekannte Geschichte von Zachäus. Ich lese aus Lukas 19 nach der Übersetzung der BasisBibel:

1Jesus kam nach Jericho und zog durch die Stadt. 2 Und sieh doch: Dort lebte ein Mann,der Zachäus hieß. Er war der oberste Zolleinnehmer und sehr reich. 3 Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus war. Aber er konnte es nicht, denn er war klein und die Volksmenge versperrte ihm die Sicht. 4 Deshalb lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerfeigenbaum, um Jesus sehen zu können – denn dort musste er vorbeikommen. 5 Als Jesus an die Stelle kam, blickte er hoch und sagte zu ihm: »Zachäus, steig schnell herab. Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.« 6 Der stieg sofort vom Baum herab. Voller Freude nahm er Jesus bei sich auf.
7 Als die Leute das sahen,ärgerten sie sich und sagten zueinander: »Er ist bei einem Mann eingekehrt, der voller Schuld ist!« 8 Aber Zachäus stand auf und sagte zum Herrn: »Herr, sieh doch: Die Hälfte von meinem Besitz werde ich den Armen geben. Und wem ich zu viel abgenommen habe, dem werde ich es vierfach zurückzahlen.« 9 Da sagte Jesus zu ihm: »Heute ist dieses Haus gerettet worden,denn auch er ist ein Sohn Abrahams! 10D er Menschensohn ist gekommen,um die Verlorenen zu suchen und zu retten.«

Als Zachäus von Jesus hört, packt ihn die Neugier. Er läuft los. An der Straße ist das Gedränge aber zu groß. Er kann nicht sehen, was da passiert. Deshalb flitzt er noch einmal los. Er schätzt den Weg ab, den Jesus nehmen könnte und klettert auf einen Baum. Da sitzt er nun, der Zachäus.
Als Oberster der Zolleinnehmer war er kein Sympathieträger. Zöllner wirtschaften Gelder in die eigene Tasche. Das war damals jedem klar. Zöllner nutzen ihre Macht schamlos aus. Ob Zachäus das auch so gemacht hat, wissen wir nicht. Was wir aber wissen: Er war sehr reich. Und Reichtum ist verdächtig. Auch da hat sich in 2000 Jahren nicht viel verändert. Ich ertappe mich selbst dabei, dass ich denke: „Na, wo wird er denn die Kohle her haben?“ Bei dem Beruf. Die anderen nennen ihn einen Sünder, als Jesus bei ihm einkehrt. Hätte es damals Social Media schon gegeben, hätte Jesus einen ordentlichen Shitstorm geerntet. Und vermutlich war die Entrüstung der Menschen in Jericho schon für damalige Verhältnisse schon ein ordentlicher Shitsorm. Wir erfahren übrigens auch, dass er nicht besonders groß war. Deshalb musste er ja auf den Baum klettern. Offensichtlich war seine Neugierde größer, als er selbst. Ist Zachäus also ein skrupelloser Mensch ohne Gewissen? Einer von der ganz schlimmen Sorte?

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr gerät dieses Bild ins Wanken. Der Mann war immerhin oberster Zöllner. Vielleicht war er durch die Familie in diese Position gekommen. Aber sie zu behaupten oder gar auszubauen, das setzt Durchsetzungskraft voraus. Und die schien er zu haben, obwohl er mit seinem Auftreten wahrscheinlich nicht überzeugen konnte. Und da sind ja noch die neidischen Reaktionen der anderen. Wie heißt es so schön? Mitleid bekommt man geschenkt. Neid muss man sich verdienen.
Und nun kommt Jesus an diesem Baum vorbei. Und hier passiert das erste Mal etwas Unerwartetes. Der Zachäus macht sich ja in gewisser Weise lächerlich, indem er auf den Baum klettert. Er exponiert sich und nimmt in Kauf, verspottet zu werden. Und genau in diesem verletzlichen Moment dreht sich die für Zachäus gewohnte Perspektive. Jesus, der große Wunderheiler, der Lehrer, der mit der großen Gefolgschaft – dieser Jesus schaut auf. Er schaut auf zum kleinen Zachäus. Auf dem Liedblatt finden Sie ein Bild von Kees de Kort, welches das besonders gut illustriert.
Und Jesus will bei Zachäus essen. Das erinnert an die Geschichte von der Himmelsleiter. Jakob begegnet plötzlich Gott. Gott bricht mit diesem Traum in das Leben von Jakob ein und verändert es. An diese Begegnung wird Jakob sicher sein ganzes Leben lang denken. Dass Jesus bei ihm essen will, muss für Zachäus ähnlich beeindruckend gewesen sein. Denn er steigt in Höchstgeschwindigkeit vom Baum und nimmt Jesus mit nach Hause. Und dort scheint sich bei Zachäus etwas zu entladen. Ohne Zwang und ohne Aufforderung macht er tabula Rasa. Er will die Hälfte seines Vermögens spenden. Das muss ihm erstmal jemand nachmachen. Und er will allen, die er betrogen hat, das Geld vierfach erstatten.
Jesus kommentiert diese Veränderung bei Zachäus mit einer Zusage: „Heute ist diesem Haus Heil widerfahren.“ Und er sagt, dass er da ist, um das Verlorene zu suchen. Vielleicht war Zachäus mit seinem Leben gar nicht so unzufrieden. Aber da nagte etwas an ihm. Da war etwas nicht heil in seinem Leben. Da ahnte er, dass es eine Veränderung braucht. Der Knackpunkt scheint sein Umgang mit seinem Beruf gewesen zu sein. Ob ihm das ganz klar war, kann man nicht sagen. Aber in der Begegnung mit Jesus, der sich ihm ganz zuwendet, geschieht plötzlich eine Veränderung.

Ich staune immer wieder, wie treffend die Bibel uns Menschen beschreibt. Zachäus hat Facetten, die mir wohl vertraut sind. Sein Leben ist an sich nicht schlecht. Es ging ihm gut. Nach außen hatte er keinen Grund, sich zu verändern. Aber innerlich hatte er diese Unzufriedenheit. Das kenne ich auch. Da ist vielleicht eine ungeklärte Schieflage in einer Beziehung. Eine problematische Verhaltensweise. Oder ich tue etwas, was eigentlich mit meinen Werten nicht zusammenpasst – so wie es bei Zachäus der Fall gewesen sein muss. Zachäus hat die Begegnung mit Jesus verändert. Die Begegnungen mit Gottes personifizierter Liebe. Ich denke, dass das auch heute und für uns noch möglich ist. Wo wir Jesus und damit Gottes Liebe begegnen, da können sich Dinge in unserem Leben ändern. Das heißt nicht, dass unser ganzes Leben schlecht ist. Aber Jesu schenkt uns die Möglichkeit, an der ein oder anderen Stelle neu anzufangen.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lied: EG 401
1 Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht, Liebe, die du mich so milde nach dem Fall hast wiederbracht: Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

2 Liebe, die du mich erkoren, eh ich noch geschaffen war, Liebe, die du Mensch geboren und mir gleich wardst ganz und gar: Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich.

Fürbitten
Herr, großer Gott, wir danken Dir für Deine Leben verändernde Kraft. Wir bitten Dich, dass diese Kraft auch in unserem Leben wirksam wird und uns zum Guten verändert.
Herr, großer Gott, ratlos und wütend machen uns die vielen Krisen und Konflikte in unserer Welt. Ratlos und wütend macht uns der Brand in Moria und die Situation der Menschen auf der Insel Lesbos. Schenke Du gute Lösungen für diejenigen, die obdachlos sind und die unter den Folgen des Brandes zu leiden haben.
Herr, großer Gott, wir bitten Dich für unsere Gemeinde. Vieles ist anders in Coronazeiten. Manchmal brauchen wir eine Extraportion Geduld. Schenke uns, dass wir liebevoll miteinander umgehen und dass wir auch unter erschwerten Bedingungen Licht und Salz sein können in Bad Nauheim.

Und gemeinsam beten wir das Vaterunser.
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

Konfirmationsgottesdienst am 06.09.2020

Die Dialogpredigt dieses Gottesdienstes gibt es als Tonaufzeichnung: https://youtu.be/sJWlYaODMDw

 

Votum: Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Eingangspsalm: Psalm 23
Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Gebet:
Am Morgen dieses Sonntags kommen wir zu Dir, unser Gott, Du Quelle des Lebens. Wir kommen mit dem was uns freut und mit dem, was uns Angst macht. Mit unseren Sorgen, Nöten und mit unserem Dank. Sprich Du in diesem Konfirmationsgottes-dienst ins unsere Herzen. Schenke, dass unser Vertrauen in Dich wachse und hilf, dass wir unser Leben gestalten, wie Du es von uns willst. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Schriftlesung: Lukas 24, 13 – 35
Die Emmausjünger
13 Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. 14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. 15 Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. 16 Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. 17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. 18 Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? 19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; 20 wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. 21 Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. 22 Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, 23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. 24 Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht. 25 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! 26 Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? 27 Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war. 28 Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. 29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. 30 Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. 31 Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. 32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? 33 Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; 34 die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen. 35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.

Predigt:
Vor einem Jahr haben wir uns auf den Weg gemacht. In verschiedenen Konfigruppen zwar, aber mit einem gemeinsamen Ziel. Wir wollten Gottes Spuren entdecken. In der Welt, in unserer Kirchengemeinde, in unserem Leben. Wir sind losgelaufen und haben viel gemeinsam erlebt. Die Konfistunden am Dienstag. Der Besuch in der Synagoge.
Ihr habt in Gemeindeprojekten mitgeholfen. Einige von Euch haben die Wilhemskirche geschmückt. Andere haben syrisch gekocht und manche sind mit „Bad Nauheim barrierefrei“ sogar in der Zeitung gelandet.
Auf dem Weg lagen auch Gottesdienste. Die – nennen wir es mal - „normalen“ und die besonderen aus dem zweiten Programm. Ihr habt das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und den Psalm 23 gelernt, wie Generationen von Konfis vor Euch. Und ein Höhepunkt unseres gemeinsamen Weges war die Konfifreizeit im Flensunger Hof.


Und im März endete dieser Weg ganz plötzlich. Quasi über das Wochenende. Schlagartig wart Ihr nicht mehr in der Schule, konntet keine Freunde mehr treffen. Ihr konntet Eure Großeltern nicht mehr sehen.  Vielleicht haben kleine oder große Geschwister genervt, weil sie den ganzen Tag zu Hause waren. Ihr hattet plötzlich digitalen Unterricht und Eure Eltern waren die Lehrer. Und eigentlich waren Eure Eltern ja im Homeoffice.
Der Konfiunterricht fand nicht mehr statt. Der Vorstellungsgottesdienst, auf den wir uns alle gefreut hatten, war abgesagt. Plötzlich war alles anders und auch die Konfirmation stand in Frage. Und dann wurde klar, dass die Konfirmation in diesem Jahr ganz anders werden würde, als in den letzten Jahrzehnten.
Und so feiern wir jetzt ganz anders, als geplant. Mit Abstand und mit Masken. Ihr könnt nur acht Gäste mit in die Kirche bringen. Die Gemeinde muss heute auf den Gottesdienst verzichten, weil wir nur 90 Personen in die Kirche lassen dürfen. Und es kann sich hier vermutlich niemand erinnern, in Bad Nauheim je einen Konfirmationsgottesdienst ohne Abendmahl erlebt zu haben.


Habt Ihr da eigentlich mal an die Konfifreizeit zurückgedacht? An die Emmausjünger? Wir haben die Geschichte vorhin gehört. Für die hatte sich quasi auch übers Wochenende alles verändert.
Sie hatten sich zusammen mit anderen auf den Weg gemacht. Und mit Jesus. Diesem Heiler, Lehrer und Geschichtenerzähler. Dem von Gott Gesandten. Und es waren wundervolle Jahre mit ihm. Aber plötzlich war alles anders. EInfach so. Übers Wochenende. Gründonnerstag, Karfreitag. Jesus war tot. Alles war anders. Sie mussten ihr Leben neu in den Griff kriegen.
Und als sie an diesem Abend von Jerusalem nach Emmaus gehen, da sind sie enttäuscht.
Verwirrt.
Traurig.
Ängstlich.
Verunsichert.
Deprimiert.
Trostlos.
Hoffnungslos.
Verzweifelt. 
Alleingelassen.
Total fertig mit sich und der Welt. Das sieht man auf dem Bild auf dem Gottesdienstblatt: Es ist ein Druck des Künstlers Karl Schmidt-Rottluff und zeigt die beiden Emmaus Jünger so depressiv, wie sie in ihrer Trauer um Jesus und um ihr früheres Leben sind. Aber sie sind immer noch auf dem Weg. Der Weg ihres Lebens war nicht plötzlich zu Ende.
Und so gingen sie nach Hause. Das bedeutet: Sie waren wenigstens in Bewegung. Haben nicht aufgegeben. Sie sind losgegangen.  Und deshalb war diese kurze Wanderung von Jerusalem nach Emmaus zugleich der Weg in ein neues Leben. Spannend ist, dass wir nur einen der beiden Namen erfahren. Kleopas heißt der, dem Jesus auf seine Frage antwortet.

Wer war der andere Jünger eigentlich? Vielleicht hieß er auch Silas oder Johannes. Vielleicht hieß sie auch Maria? Oder er oder sie trug einen anderen damals gebräuchlichen Namen? Vielleicht hieß sie oder er auch ganz anders?
Linus zum Beispiel.
Oder Leonard.
Louis
Max
Leandro
Justin
Leo
Fabian
Emilio
Maximilian
Oder auch Susanne.
Oder Meike
Vielleicht auch Rainer.
Oder Ingmar
Mir gefällt diese Geschichte auch, weil ich mich darin so gut wiederfinden kann. Denn auf dem Weg, den die beiden gehen, passiert etwas. Das ist der Clou an dieser Erzählung. So plötzlich, wie sich das Leben über das Wochenende verändert hat, so plötzlich tritt Jesus wieder in ihr Leben. Aber Anders, als gedacht.


Er begleitet sie. Unaufdringlich, nicht mit einem Paukenschlag. Er hilft ihnen, das Geschehene zu verarbeiten. Und er scheint eine besondere Wirkung auf sie zu haben. Er nimmt sich einfach Zeit für die beiden. Er geht mit ihnen., Er verwickelt sie in ein Gespräch, begleitet sie nach Hause. Und sie erzählen ihm alles. Das Reden hilft ihnen. Es ist fast wie eine Kur, es wirkt heilsam, sich die ganze Enttäuschung von der Seele zu reden. Da hebt sich ihr Blick. Da sehen sie, was trotz allem noch möglich ist. Es ist gar nicht alles zu Ende. Vieles geht weiter. Das meiste. Wenn wir dafür sorgen. Mit ihm. Denn er lebt. Mit uns und durch uns. „Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?“ - das sagen sie, als sie erkannten, dass es Jesus war, der mit ihnen gegangen ist.


Diese Erfahrung wünschen wir Euch auch. Auch wenn heute vieles anders ist, als gedacht. Auch wenn im Leben manches anders sein wird, als gehofft und gewünscht. Jesus geht mit. Auch wenn wenn wir es nicht immer merken.
Wir hoffen, dass Ihr im Rückblick auf die Konfizeit trotz aller Veränderungen sagen könnt: „Brannte nicht unser Herz in uns, als wir gemeinsam mit Gott auf dem Weg waren?“ Und wir wünschen Euch, dass Ihr das auch im Leben spürt. Gott begleitet Euch auf Eurem Lebensweg. Auch wenn wir es nicht immer merken. Aber im Nachhinein können wir hoffentlich sagen: „Brannte nicht unser Herz in uns, als wir gemeinsam mit Gott auf dem Weg waren?“

Lied: Ins Wasser fällt ein Stein, EG 621

Glaubensbekenntnis
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel,
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten
und das ewige Leben. Amen.

 

Einsegnung der Konfirmanden

 

Fürbitten:
Unser Gott, wir danken dir für eine erlebnisreiche Konfirmandenzeit. Wir danken dir für deinen Segen für jeden einzelnen Konfirmanden. Wir      bitten dich, gib allen die Kraft, im Glauben an dich zu leben, und auch im Alltag deine wunderbare und freundliche Begleitung nicht zu vergessen. Lass die Konfirmierten mutig und willensstark in dieses Leben gehen. Hilf ihnen, ihre eigenen Wege zu finden!
Wir bitten dich für die Familien der konfirmierten Jugendlichen. Begleite sie in besonderer Weise in dieser schwierigen Zeit mit ihren Herausforderungen. Lass sie heute alle fröhlich und im Guten miteinander feiern. Lass sie die Hauptperson dieses Festes in den Mittelpunkt stellen. Spannungen und Streit sollen heute keinen Platz haben. Dafür umso mehr Leichtigkeit und Zuversicht.
Wir bitten dich für alle Jugendlichen.  Lass sie in ihrem Leben immer wieder einen Halt finden, damit sie ihre Wege sicher gehen können. Lass sie nicht verzweifeln und aufgeben, sondern immer wieder für sich selbst und andere kämpfen. Lass sie spüren, dass du bei ihnen bist und sie unterstützen willst.
Wir bitten dich für uns alle in dieser Zeit, die in Manchem gerade so ganz anders ist. Zeige uns immer aufs Neue, dass du es gut mit uns meinst. Stärke unser Vertrauen. Schenke uns freundliche Menschen an unserer Seite, die uns liebevoll begleiten.
Lass uns niemals vergessen, dass du mit uns gehst über alle Höhen und durch die Tiefen unseres Lebens.

 

Vater Unser
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Lied: Komm Herr, segne uns, EG 170

Segen:
Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Gottesdienst mit Video am 30.08.2020 von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/IxrKcGFny9c

 

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

Wochenspruch
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmemden Docht wird er nicht auslöschen. (Das Buch Jesaja 42,3 BIGS 2011)

Psalm 146 EG 757

Gebet
Du lässt Taube wieder hören
und öffnest den Mund der Stummen.
Dafür danken wir dir.
Schenke auch uns wache Augen,
damit wir deine Taten erkennen.
Gib uns offene Ohren,
dass wir auf deine Stimme hören.
Löse uns die Zunge,
dass wir deinen Namen preisen
und dich bekennen vor den Menschen.
Dies bitten wir durch unseren Herrn Jesus Christus,
deinen Sohn, der mit dir und dem Heiligen Geist
lebt und Leben schafft von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Schriftlesung Hebr 13,14-15
14 Denn auf der Erde gibt es keine Stadt, in der wir bleiben können. Wir sind unterwegs zu der Stadt, die kommen wird.
15 Durch Jesus wollen wir Gott jederzeit und in jeder Lebenslage Dankopfer darbringen; das heißt: Wir wollen uns mit unserem Beten und Singen zu ihm bekennen und ihn preisen.

Glaubensbekenntnis

Musik

Predigt
1.Korinther 3 Die Gemeinde als Bau und die Verantwortung der Bauleute
9 Wir sind also Gottes Mitarbeiter, ihr aber seid Gottes Ackerland. Oder mit einem anderen Bild: Ihr seid Gottes Bau.
10 Nach dem Auftrag, den Gott mir gegeben hat, habe ich wie ein umsichtiger Bauleiter das Fundament gelegt. Andere bauen nun darauf weiter. Aber jeder soll sehen, wie er weiterbaut!
11 Das Fundament ist gelegt: Jesus Christus. Niemand kann ein anderes legen.
12-13 Es wird auch nicht verborgen bleiben, was jemand darauf baut, ob Gold, Silber oder wertvolle Steine, ob Holz, Schilf oder Stroh. Am Tag des Gerichts wird sich erweisen, ob es Bestand hat. Dann wird die Feuerprobe gemacht: Das Werk eines jeden wird im Feuer auf seinen Wert geprüft.
14 Wenn das, was ein Mensch gebaut hat, die Probe besteht, wird er belohnt.
15 Wenn es verbrennt, wird er bestraft. Er selbst wird zwar gerettet, aber so, wie jemand gerade noch aus dem Feuer gerissen wird.
16 Wisst ihr nicht, dass ihr als Gemeinde der Tempel Gottes seid und dass der Geist* Gottes in euch wohnt?
17 Wer den Tempel Gottes zugrunde richtet, wird dafür von Gott zugrunde gerichtet. Denn der Tempel Gottes ist heilig, und dieser Tempel seid ihr.

Liebe Gemeinde,
der Predigttext hat mich an einen Zeichentrickfilm erinnert, den ich als Kind einmal gesehen habe. Vielleicht kennen Sie ihn. Die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen von Walt Disney. Die drei Schweinchen bauen jeweils ein Haus für sich, um darin zu wohnen und um sich vor dem bösen Wolf zu schützen. Aber zwei davon sind nur locker mit Stroh und Holz gebaut, so dass sie den Angriffen des Wolfes nicht standhalten. Zum Glück hat das dritte Schweinchen kräftig investiert und sein Haus aus Stein gebaut. Die anderen beiden können dorthin flüchten und sind so gerettet. Die Moral von der Geschichte war, dass es sich lohnt in einen stabilen Bau zu investieren.

Von Walt Disney und seiner Moral: „Ein stabiler Bau lohnt sich“, möchte ich unsere Aufmerksamkeit auf den heutigen Abschnitt aus dem Ersten Brief an die Gemeinde in Korinth lenken und angeregt durch Paulus folgende Fragen stellen: Wie bauen wir mit an der Gemeinde Jesu Christi, an Kirche, am Reich Gottes? Stabil, einladend, oder so, dass er kleinste Windhauch es umbläst, oder die kleinste Erschütterung es einstürzen lässt?
Christentum, das bedeutet auch 2000 Jahre bauen und manchmal auch niederreißen, wiederaufbauen und manchmal verfallen lassen. Unterschiedliche Methoden, Ideen, Stile, Konzepte. Manchmal die Frage: Bauen wir wirklich am selben Haus? Bauen wir miteinander oder gegeneinander? Lohnt es sich überhaupt noch weiterzubauen? Wer interessiert sich noch dafür?

2000 Jahre Gemeindearbeit und kein Patentrezept dafür. Es ist mühsam, spannend, bereichernd, erschöpfend, segensreich…

In der Lesung aus dem Brief an die hebräischen Gemeinden haben wir gehört, dass wir hier keine bleibende Stadt haben. Der Kirchenvater Augustin, spricht vom „wandernden Gottesvolk“.

Das sind Bilder der Mobilität, aber auch der Unbehaustheit: „Wir haben hier keine bleibende Stadt.“ Ein Zuruf, der uns aufmerksam macht, dass nichts hier für die Ewigkeit ist. Alles ist Bewegung, ist Veränderung.

Im Brief an die Gemeinde in Korinth wird ein ganz anderes Bild vor uns gezeichnet. Aufbauen, weiterbauen, gute Materialen dafür wählen. Daraus spricht Kontinuität und Verlässlichkeit, vielleicht auch so etwas wie Heimat?

Bauen und keine Stadt haben, Heimat und Wanderschaft, das sind zwei sehr verschiedene Pole. Was gilt heute mehr: Das Entdecken, die Wanderschaft, die Überraschungen? Oder das Bauen und Heimat bieten? Ich denke, es ist eine Ty Sache.
Die landeskirchliche Realität ist wohl eher das Bauen und Heimat bieten. Das zeigt sich schon alleine dadurch, dass wir zu der Kirche gehören, die geographisch in unserer Nähe ist, und dass die Bauangelegenheiten und Renovierungen jede Pfarrgemeinde, die ich kennen gelernt habe, beschäftigen. Dazu gehört auch die Klage über die nicht vorhandene Weitsicht der Vorfahren, die zu klein, oder zu groß, zu teuer, oder zu billig oder am ganz falschen Platz gebaut haben.

Der Vorteil vom Wandern scheint, dass man immer weiterziehen kann, wenn es nicht mehr gefällt, die Situation sich verändert hat, der Wind sich dreht. Beim sesshaften Leben muss man das aushalten. Gebäude müssen renoviert und angepasst werden an die aktuellen Bedürfnisse. Wir können nicht einfach aufbrechen, weil uns zu viel festhält, von den Gräbern der Vorfahren, bis zum Kredit.

Den einen erscheint die Institution Kirche zu starr, zu alt, zu kalt, zu statisch. Am liebsten würden sie die Kirche niederreißen und neu, oder gar nicht mehr aufbauen. Die anderen sind der Meinung, dass die Veränderung, der Kirche nicht guttut. Alles soll so bleiben wie es war.  Es fällt schwer, den von der Kirchenleitung geforderten Prozess der Regionalisierung mitzugehen. Was bleibt dann noch in der Gemeinde vor Ort? Was wird ihr „weggenommen“?

Manchmal passiert es, dass wir das Fundament, die Grundlage unserer Existenz als Kirche, als Christen und Christinnen aus den Augen verlieren, weil wir so im Alltagsgeschäft verhaftet sind. Warum sind wir hier versammelt, egal ob als Baumeisterin, oder Pilger? Was ist unser Auftrag? Wie erfüllen wir ihn am besten? Wie können wir als Kirche, als Gemeinde, als Gläubige, zur befreienden Botschaft Jesu einladen.

In letzter Zeit lese ich von vielen Verabschiedungen von Pfarrpersonen. Die Babyboomer gehen in Pension. Das gibt viele Gelegenheiten die unterschiedlichen Zugänge zum Pfarrberuf zu entdecken. Aber das was ich hier herauslese, scheint mir übertragbar auf viele andere, Ehrenamtliche und Hauptamtliche, die in Gemeinde aktiv sind und auch auf die unterschiedlichen Selbstverständnisse von Gemeinden.
In der letzten Zeit habe ich drei Abschiedsartikel von Kolleg*innen gelesen. Diese drei unterschiedlichen Typen mag ich heute kurz skizzieren und dabei auch immer die zwei Pole: „wanderndes Volk“ und „Bauen am Tempel Gottes“ im Blick behalten.

Zuerst der Seelsorger.
Er war auf unterschiedlichen Sonderpfarrstellen vom Jugend-, über Studierenden- bis zur Krankenhausseelsorger. Hat etliche Zusatzausbildungen absolviert. Sein Verabschiedungstext, den er selbst geschrieben hat, teilt sich in ganz viele kleine Häppchen, die alle eine eigene Überschrift haben.
Wagnis – Freude pur – Abenteuer – mit Anderen – Niederlagen – Entscheidung – Miteinander - Verirrungen – Aufgabe – Korrektur – Glaube – Mühe – Zweifel – Beschwerung -Angst oder Befreiung – der letzte Schritt.
Der Text endet mit: „Ein großer Schritt für dich,“ sagt Gott, „du bist herzlich willkommen!“
Ohne dass ich jetzt ins Detail gehe, was für kurze Überlegungen unter diesen Überschriften zu lesen waren, so ist doch die Bewegung zu merken, die Gefühle, das auf und ab, das nie Ankommen, außer letztlich bei Gott.

Als zweites der Landpfarrer.
Er war sein ganzes Arbeitsleben an einer Pfarrstelle, hat den Ort und die Pfarrgemeinde geprägt. In seinem Text, der ein Interview ist, werden die Highlights der Gemeindeentwicklung der letzten 43 Jahre knapp wiedergegeben. Kirchenbauten, Renovierungen und Großereignisse. Er bleibt auch in der Pension am Pfarrgebiet wohnen. Sein Text endet mit: „Ich wünsche der Pfarrgemeinde Gottes reichen Segen. Und ich hoffe, dass sie einen Pfarrer bekommt, dem die Gemeindearbeit ist.“

Als letztes die Pfarrerin.
Sie beschreibt in ihrem Text, wie es war, in vielen Dinge die Erste zu sein, wie es war, noch nicht ausgeschrittene Pfade zu gehen, sondern diese Wege erst zu erkämpfen. Sie beschreibt die Aufbruchsstimmung, den Wunsch in der Jugend Kirche zu verändern, sie für Frauen und Männer besser zu machen. Sie berichtet von Vorurteilen und den Möglichkeiten sie zu widerlegen. Als einzige, obwohl alle drei verheiratet sind und Kinder haben, widmet sie dem Thema Arbeitsteilung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein paar Gedanken. Ihr Text endet mit: „Wir sind als Gemeinde Teil der Welt, stehen ihr nicht gegenüber. Wir geben Raum und ergreifen Partei, begleiten und hören zu, feiern und ermahnen einander. Schließlich haben wir den Auftrag, Salz zu sein und Licht für die Welt.“

Für mich zeigt sich im Text der Kollegin eine Möglichkeit die beiden Pole zu verbinden. Der Typ „wanderndes Gottesvolk“ wird für mich hier vom „Seelsorger“ eingenommen. Er ist ganz nach an den Menschen und bei sich und seinen Gefühlen. Er braucht die Institution nicht wirklich. Manchmal erleichtert sie die Arbeit, aber verbunden sieht er sich mit den Menschen, wo auch immer sie sind, und mit Gott, den er als Gewissheit bei sich hat, ganz dynamisch. Die Liebe Gottes, die er vermittelt, braucht keine fixen Orte, sie braucht das Gespräch, die Begegnung. Er war auch der erste, der die damals noch ganz neuen Medien, E-Mail, Homepage, nutze, um mit Menschen in Kontakt zu kommen.

Der Typ „Baumeister“ wird für mich vom „Landpfarrer“ vertreten. Er ist sehr verbunden mit dem Ort, den Gebäuden, natürlich auch den Menschen und der Botschaft Jesu. Er kennt alle Leute in seiner Pfarrgemeinde, ist das Gesicht der Kirche und die Menschen wissen, wo sie in finden, wenn sie ihn brauchen. Er misst den Erfolg des eigenen Wirkens an Zahlen. Egal ob es die Gottesdienstbesucherzahlen, die Kirchengebäude oder der Kirchenbeitrag ist. Bewahren und weiterbauen, der nächsten Generation etwas hinterlassen, woran sie wieder weiterbauen kann, das war sein Bestreben.

Die Brückenbauerin zwischen diesen beiden Polen ist für mich die Pfarrerin. Schon als junge Frau hat sie diese Kirche geliebt aber auch gemerkt, da muss sich etwas verändern. Das Gebäude ist noch nicht gut genug für Gott und für die Fülle der Menschen. Da muss noch Neues dazu gebaut werden, damit Männer und Frauen und andere, die vorher nicht mitgedacht wurden, Platz finden können. Und zwar nicht nur, weil sie es für sich so haben wollte, sondern um glaubwürdig Salz und Licht der Welt zu sein. Auch Gebäude können verändert werden, sind nicht nur statisch. Sie hat sich angesprochen gefühlt von der Botschaft Jesu, die einschließt und nicht abwehrt, und hat ihr Amt so verstanden immer mehr hineinzulassen. Manchmal auch, bevor das Kirchenrecht sich geweitet hat. Sie hat verstanden, dass es die Institution braucht, aber dass die Institution, nur das Mittel zum Zweck ist, die Liebe Gottes zu allen Menschen zu verbreiten.

Drei ganz unterschiedliche Wege und Herangehensweisen an den Glauben und die eigene Arbeit in der Kirche. Ich würde sagen, alle haben ihre Berechtigung.

Aber ein wenig verunsichert mich das Ende unsere Predigtstelle. Vielleicht meint Paulus, doch, dass es nur eine richtige Form gibt? Immerhin heißt es dort:
„Der Beitrag aller Einzelnen wird zum Vorschein kommen. Der Tag des Gottesgerichtes wird ihn sichtbar machen. Denn im Feuer wird es offenbar. Die Qualität der Arbeit aller wird das Feuer prüfen. Für das Stück, das ihr weitergebaut habt, werdet ihr Lohn empfangen, wenn es bestehen bleibt.“ (1. Kor 3,13-14 BIGS 2011)
Auch, wenn Paulus nicht auf das Fegefeuer hinweist, so kommen diese Bilder doch in den Sinn.

Wie können wir wissen als Getaufte, ob wir richtig bauen, mit den richtigen Materialien, damit sie der Feuerprüfung widerstehen? Kann ich es wissen und anderen sagen: „Achtung, du bist auf dem falschen Weg“? Sollte ich anderen glauben, wenn sie mir sagen, dass ich auf dem falschen Weg bin?
Eine Garantie, ob wir auf dem richtigen Weg sind gibt es nicht. Aber die Rückfrage: Warum mache ich/ machen wir das so oder so? Geht es nur um uns, unser Ego, unser Wohlbefinden, unseren Ehrgeiz? Oder geht es darum, Jesu Weg in der heutigen Welt weiterzugehen? Licht und Salz für die Welt zu sein? Wenn wir uns da rückversichern, dann sind wir auf einem guten Weg. Und auch für unsere Irrwege gilt: „Für das Stück, das verbrennt, werdet ihr die Konsequenzen tragen, aber ihr werdet trotzdem gerettet werden, wie aus einem brennenden Haus.“ (1. Kor 3,15 BIGS 2011)
Amen.

Musik

Fürbitten
Gott,
wir alle sind deine Kinder.
Wir begegnen dir unterschiedlich,
doch du schaust uns liebevoll an.

Wir bitten dich,
hilf uns dabei großzügig auf das zu schauen, was wir in unserem Leben leisten,
und dass was andere leisten, genauso zu achten.

Wir bitten für die, die die politische Macht haben,
dass sie für das Wohl aller Menschen und der Umwelt arbeiten.

Wir bitten dich für die, die sich auf ihrem Lebensweg verirrt haben,
die nicht wissen, wie es weitergehen kann.
Lass sie deine Liebe spüren, auch durch uns.

Wir bitten für die,
die von Krieg und Naturkatastrophen betroffen sind,
die bei uns Schutz suchen.
Lass unsere Herzen nicht erkalten für ihre Not.

Wir bitten dich für uns, die wir versuchen deine Botschaft weiterzutragen,
gib uns das richtige Maß an Beständigkeit und Veränderung.

Wir denken an die Menschen, die uns nahestehen.
In der Stille bringen wir die persönlichen Bitten vor dich
….

Vaterunser

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 23.08.2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Begrüßung
Ein herzliches Willkommen Ihnen und Euch allen an diesem Morgen! Ein biblischer Leitspruch aus dem 1. Petrusbrief 5,5 begleitet uns in diese neue Woche. Dort heißt es: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er seine Gnade.“

Hochmut kommt vor dem Fall. Das wissen wir. Aber ist das alles immer so klar, so eindeutig? Die Texte dieses Sonntags helfen uns, die Maßstäbe zu verstehen, die vor Gott gelten, und die oft so ganz befreiend anders sind als unsere.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 32 i.A.
Wohl allen, denen Gott ihr Unrecht vergeben und ihre Schuld zugedeckt hat! Wohl dem Menschen, dem der Herr seine Sünden nicht anrechnet und der mit Gott kein falsches Spiel treibt!
Erst wollte ich meine Schuld verheimlichen, doch davon wurde ich schwach und elend.
Meine Lebenskraft vertrocknete wie Wasser in der Sommerhitze.
Da endlich gestand ich dir meine Sünde.
Und wirklich: Du hast mir meine ganze Schuld vergeben!
Darum sollen die, die dir treu sind, beten zur Zeit der Angst.
Du bist mein Schirm, du wirst mich vor der Angst behüten,
dass ich errettet werde und dich fröhlich loben kann.

Gebet
Mein Gott, ich trete ein in deine Nähe, und du siehst mich so, wie ich bin. Du kennst mich besser als ich mich selbst. Du weißt um alles, was ich geschafft habe bis zum heutigen Tag. Was mir gelungen ist. Du weißt auch um meine blinden Flecken. Du weißt, wie ich mich gerne sehen möchte und vor anderen erscheinen will. Du weißt auch um all das, woran ich mich nicht erinnern kann. Oder mich nicht erinnern will: meine Verletzungen. Meine Schuld. Meine Hoffnungslosigkeit. Den schlimmen Zweifel. Mein Versagen. Meine Schwächen. Gott, du siehst mich so, wie ich bin. Hülle mich ein in deine Gnade! Danke, dass Du mich liebhast.

EG 299,1-3 Aus tiefer Not schrei ich zu dir

Schriftlesung: Lukas 18,9-14
Dann sprach er aber auch zu Leuten, die von sich selber überzeugt waren, gerecht zu sein, und die anderen verachteten, mit diesem Gleichnis: Zwei Menschen gingen zum Tempel hinauf, um zu beten: der eine ein Pharisäer, der andere ein Zolleinnehmer. Der Pharisäer stand da für sich und betete: Gott, ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die übrigen Menschen, die rauben, Unrecht tun, Ehen brechen – oder auch wie dieser Zolleinnehmer. Ich faste zweimal in der Woche, ich gebe von allen meinen Einkünften den zehnten Teil an dich. Der Zolleinnehmer stand am Rande und wollte nicht einmal die Augen zum Himmel erheben.  Er schlug sich an die Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig. Ich sage euch, dieser Mensch ging gerechtfertigt hinunter nach Hause und jener nicht. Denn alle, die sich selbst erhöhen, werden erniedrigt werden, und die, die andere nicht zu beherrschen suchen, werden erhöht werden.

Ansprache
Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,
das, was Jesus hier erzählt, ist ein Gleichnis. Und seien wir ehrlich: manche Gleichnisse von ihm wirken ein wenig grob. Holzschnittartig. Sie beleuchten etwas, aber sie wirken dabei oft etwas grell. Das Einzige, was solch ein Übertreiben rechtfertigt, das ist die Lehre, die da hinter steht. Und die soll ankommen. Die Situation im Tempel, mit dem Pharisäer und Zöllner, die hat es nicht wirklich so gegeben; Jesus erzählt sie nur. Sie ist eine Karikatur, eine ironische Darstellung. Weil er damit etwas veranschaulichen will. Und darum geht es. Um seine Lehre.  Um das, was er damit sagen will. Dem auf die Spur zu kommen, das lohnt sich.

Man kann bei der Geschichte vom Pharisäer und Zöllner schnell in eine Falle tappen. Und die heißt: „Wie gut, dass ich nicht so bin wie dieser arrogante, selbstgefällige, selbstherrliche und heuchlerische Pharisäer! Das ist ja furchtbar!“ Die christliche Auslegungstradition hat sich lange pauschal so gegenüber der Gruppe der Pharisäer aufgespielt.  Und schon der Dichter Eugen Roth bringt diese Haltung, dieses „in die Falle tappen“ wunderbar auf den Punkt, wenn er in einem Vers sagt:

„Ein Mensch betrachtete einst näher
die Fabel von dem Pharisäer,
der Gott gedankt voll Heuchelei
dafür, dass er kein Zöllner sei.
„Gottlob“, rief er im eitlen Sinn,
„dass ich kein Pharisäer bin!“

So sind auch wir - mir nichts dir nichts – schnell der Versuchung erlegen, von der Jesus hier erzählt.

Worum geht es also? Ich denke, es geht um die grundsätzliche und absolut aktuelle Frage: Wie stehe ich vor Gott? Was ist richtiges Beten?

Mit dem Gleichnis Jesu wird deutlich: Mit Gott macht man keine Geschäfte. Vor ihm verweist man nicht auf dies oder das, was man angeblich gut oder sehr gut gemacht hat. Es gibt keine Augenhöhe mit Gott. Dies wäre eine fatale Selbstüberschätzung. Gott ist im Himmel und wir sind auf Erden.  Und da gibt es einen großen Unterschied. Wir sind und bleiben immer Angewiesene auf ihn. Darum ist Demut im besten Sinne und Dankbarkeit angesagt. Wir brauchen auch unsere eigenen Leistungen und Guttaten vor ihm nicht benennen.  Er sieht sie und er kennt sie ja sowieso. Und bestimmt freut er sich sehr über sie. Aber er führt keinen Punktekatalog, und wir können uns bei ihm nicht einkaufen.

Und dann wird mit dem Gleichnis Jesu auch etwas Zweites sehr deutlich: Im Gebet, im Gespräch mit Gott geht es nur um Gott und um mich. Nicht um die anderen. Das ist etwas sehr Privates. Jede und jeder steht im Gespräch mit Gott allein vor Ihm. Das ist zugleich auch ein großes Privileg. Denn Gott allein weiß ja um mich. Wer ich bin. Was ich tue. Was ich getan habe. Er weiß um meine Gedanken, und er weiß, aus welcher Motivation heraus ich das tue, was ich tue. Er weiß auch, wo ich gescheitert bin, und wo etwas ganz anders angekommen ist als wie ich es wollte und wie ich es beabsichtigt habe. Gott kennt mich durch und durch.  Er sieht alle meine Gedanken und meine Wege. „Du allein kennst das Herz aller Menschenkinder,“ bekannte schon der weise König Salomo in seinem großen Tempelgebet (1.  Könige 8, 39). Und „ein Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an“ (1.  Samuel 16,7). Und es ist ein gnädiger, ein barmherziger Blick, mit dem er mich ansieht. Gott sei Dank! Wie sollte ich sonst leben?!

Im Gespräch mit Gott geht es nur um Gott und um mich. Es geht überhaupt nicht um die anderen. Ich habe nicht nach links und rechts zu schielen, und ich muss es auch nicht. Es geht vor dem Angesicht Gottes nicht um irgendwelche Vergleiche mit anderen. Um‘s besser oder schlechter sein. „Ich danke dir dafür, dass ich nicht so bin wie der da“ - das ist kein Gebet. Das ist kein Dialog mit Gott.  Da bleibt einer ganz allein und nur bei sich selbst. Viermal nur das Wörtchen „ich“. Er ist damit überhaupt noch nicht im Gespräch mit Gott angekommen. Und er hat noch nicht verstanden, dass zum Gespräch mit Gott gehört, erst einmal wirklich zu schweigen. Sich zu sammeln und still vor ihm zu werden.

Im Gespräch mit Gott geht es nur um Gott und um mich. Entsprechend haben Überheblichkeit und Hochmut vor Gott auch keinen Platz. Und wir brauchen nicht andere Menschen in unseren Gedanken abwerten und sie verurteilen. Zugleich bedeutet es auch, einen ganz besonderen Schutzraum zu haben, wenn ich im Gespräch mit Gott bin. Denn Gott interessiert sich nur dafür, was ich über mich denke. Die anderen mögen über mich denken, was sie wollen. Ihr Urteil über mich ist ein äußeres. Sie wissen nicht wirklich viel über mich. Er aber sieht mein Inneres. Gott weiß, was ich meine.  Er vergibt mir auch meine Schuld und richtet mich wieder auf. Er lässt mich aufleben.“

So ist Gott: er möchte, dass das Leben aufblüht und Menschen zum Frieden finden.

Der Zolleinnehmer sprach: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Und ich sage euch, dieser Mensch ging gerechtfertigt hinunter nach Hause.

Und Gottes Frieden, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen.

EG 355,1.4.5 Mir ist Erbarmung widerfahren

Fürbitten
Lasst uns still werden vor Gott. Jeweils nach den Worten „Wir bitten dich“ antworten wir gemeinsam „Fange bei mir an.“

Du, unser Gott, wir danken dir für jeden Tag, an dem wir da sein dürfen. Wir danken dir für deine Vergebung und dein Erbarmen. Wir bitten dich heute für alle, die leicht in der Gefahr stehen, zu schnelle Urteile über einen Menschen zu fällen oder ihr Selbstbewusstsein durch das Vergleichen mit anderen zu definieren. Lass sie ihren Wert zuerst in deiner Liebe finden. Wir bitten dich: „Fange bei mir an!“

Wir bitten dich für alle, die oft von der Angst getrieben sind, sie könnten alles falsch machen. Für alle, die sich schnell selbst verurteilen und voller Skrupel sind. Schenke ihnen Leichtigkeit. Wenn ihr Herz sie verurteilt, lass sie erleben, dass du größer bist als ihr Herz. Stärke ihnen den Rücken. Wir bitten dich: „Fange bei mir an!“

Lass das Leben aufblühen unter uns, dass wir ehrlich zu uns selbst sind und ehrlich zueinander. Dass wir uns auch Kritisches sagen können, ohne uns zu verletzen, dass wir einander vergeben können und neue Wege miteinander wagen. Wir bitten dich: „Fange bei mir an!“

Wir bitten dich für alle, die sich einsam fühlen, die stumm geworden sind und manchmal verbittert. Lass uns einen Weg zu ihnen finden. Wir bitten dich: „Fange bei mir an!“
Bitte für das Brautpaar

Vaterunser
Segen

Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen

Gottesdienst am 16.08.2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Ich heiße Sie und Euch alle herzlich zu diesem Gottesdienst willkommen! Heute feiern wir den 10. Sonntag n. Tr., den sogenannten Israelsonntag. Ein Tag, an dem wir in den Kirchengemeinden besonders an das Volk Israel denken, an den Tempel, sein spirituelles Zentrum über viele Jahrhunderte, und daran, dass Jesu selbst diesem Volk angehört.
Jesus hat innerhalb seines Volkes gewirkt, und er hat zugleich die Tür geöffnet, sodass nun Menschen aus allen Völkern zum Gottesvolk gehören.

In diesem Sinne grüße ich Sie und Euch mit dem biblischen Leitspruch für die neue Woche. Er steht in Psalm 33,12 und lautet: „Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist. Wohl dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat.“

Wir feiern unseren Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 122
Ein Wallfahrtslied. Von David.
Ich habe mich gefreut, als man zu mir sprach:
Wir pilgern zum Haus des Herrn!
Nun stehen unsere Füße in deinen Toren, Jerusalem!
Jerusalem, gebaut als eine Stadt, in der man zusammenkommen soll.
Dorthin pilgern die Stämme, die Stämme des Herrn!
Ein Gebot für Israel ist es, zu preisen dort den Namen des Herrn.
Erbittet Frieden für Jerusalem, im Frieden mögen sein, die dich lieben!
Friede wohne in deinen Mauern und Glück in deinen Palästen!
Um meiner Schwestern, Brüder und Freunde willen will ich dir Frieden wünschen.
Um des Hauses des Herrn willen, unseres Gottes, will ich dir Gutes erbitten.

Kollektengebet
Du, großer Gott, bist der Gott Israels von alters her. Bist der Gott Abrahams und Saras, Gott und Vater Jesu Christi und der Völker. Auch wir dürfen zu dir gehören.

Wir kommen zu dir als deine Gemeinde, als dein Volk im Glauben. Du hast uns angerührt. Unsere Sehnsucht nach dir ist erwacht.

So hilf uns heute, auf dich zu hören und nach deinem Willen zu leben. Das bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn und unseren Bruder. Amen.

EG 573,1-3 Lobt den Herrn

Schriftlesung: Römer 9,1-5
Christus ist mein Zeuge und Gottes Geist bestätigt es mir in meinem Gewissen, wenn ich euch versichere: steter Schmerz wohnt in meinem Herzen. Ich wünschte nämlich, anstelle meiner Geschwister, meiner leiblichen Verwandten selbst gebannt und vom Messias getrennt zu sein. Sie sind Israelitinnen und Israeliten. Ihnen gehört die Gotteskindschaft, die göttliche Gegenwart, der Bund und das Geschenk der Thora, der Gottesdienst, die göttlichen Zusagen und Verheißungen.

Ihnen gehören die Väter und Mütter im Glauben an, und aus ihrer Mitte stammt Christus, der Messias. Gott aber, der lebendig ist über allem, gebührt Lob und Ehre bis in Ewigkeit. Amen.

Ansprache
Gottes Liebe, die Gnade Jesus Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Jerusalem, liebe Gemeinde, ist auch heute noch für viele Menschen das spirituelle Zentrum der Welt. Jerusalem und der Tempel - darum geht es an diesem Sonntag. Ich bitte Sie deshalb, einen Augenblick lang das Bild auf der ersten Seite des Gottesdienstblattes zu betrachten. Zuerst fällt da der Felsendom auf, mit seiner bestechenden, glänzenden Kuppel aus Gold. Und darunter sehen wie die hohe, lange Mauer, gebaut aus dem hellen Jerusalemstein. Sie ist der einzige noch erhaltene Rest des herodianischen Tempels, der zur Zeit Jesu in Jerusalem stand. 70 n. Chr. haben römische Truppen unter dem Kaiser Titus ihn zerstört. Heute stellt dieser Mauerrest die Klagemauer dar. Damals war es die westliche Umfassungsmauer der Tempelplattform; 470 m lang und 250 m breit war das gesamte Areal. Da ahnen wir, wie beeindruckend dieser Sakralbau für die Menschen damals gewesen sein muss!

Und so möchte ich Sie für einen Moment in jene Zeit entführen und in die Nähe jenes berühmten Ortes. Lassen Sie sich einfach ein auf die folgende kurze Szene:

Der 10jährige Shimon und seine 8jährige Schwester Rebekka sind mit ihren Eltern unterwegs. Zu Fuß. Schon seit 4 Tagen. Ihr Ziel ist die große Stadt, hoch auf den Hügeln Judäas. Und ihr Ziel ist der Tempel. Rechtzeitig zum Laubhüttenfest wollen sie dort sein. Den Kindern tun die Füße weh. Endlich macht die Familie eine Pause. Da fragt Shimon, was er schon immer wissen wollte: „Abba, Papa, hört mich Gott eigentlich nur, wenn ich im Tempel bete? Oder hört er mich auch hier, wo ich gerade bin?“ Der Vater überlegt. Dann sagt er: „Ich bin sicher, er hört dich auch hier. Er wohnt im unsichtbaren Himmel, und er ist so groß, dass kein Himmel ihn fassen kann. Wir ziehen nun zum Tempel, damit wir ihn dort zusammen mit all unseren Verwandten und Freunden loben und ihn ehren können, und ihm danken für alles was er uns gibt.“

Viele Jahre später: Rebekka und ihr Bruder Shimon sind längst erwachsen geworden. Sie haben nun selbst Kinder. Aber sie leben mit ihnen nicht mehr in Israel, sondern weit entfernt in der Stadt Alexandrien. Den Tempel, zu dem sie immer gepilgert sind, den gibt es nicht mehr. Durch den Herrscher Roms wurde er zerstört. Sie feiern jetzt ihren kleinen Gottesdienst draußen, unter dem Schatten der Bäume. In der Fremde. Nun ist es Rebekkas Tochter, die ihre Mutter fragt: „Imma, Mama, wenn der Tempel nicht mehr da ist, ist Gott dann auch nicht mehr da?“ Die Mutter überlegt. Schließlich antwortet sie: „Doch, mein Kind. Gott ist noch da. Sein Name wohnt nicht mehr in seinem Haus, aber sein Name und er selbst ist mit uns in die Fremde gezogen. Da kannst du sicher sein: er ist auch hier bei uns.“

Die Zerstörung des ersten und des zweiten Tempels ist eine der großen Katastrophen im kollektiven jüdischen Gedächtnis. Der große Historiker Simon Montefiore beschreibt dies sehr eindrücklich in seinem grandiosen Werk „Jerusalem – die Biografie“. Immer wieder wurde die Stadt, ihr Heiligtum und der Tempelschatz zum Ziel der Habgier mächtiger Könige, Provinzfürsten und Potentaten. Für die Bürger Jerusalems war es oft gerade kein Segen, am Fuße des Tempels zu wohnen. Sie erlitten durch die Geschichte hindurch unermessliches Leid.

Man kann sich vielleicht fragen, warum wir als Kirche uns überhaupt an diese Ereignisse erinnern sollen, und ob es uns nicht eigentlich egal sein könnte. Aber die Antwort ist, dass wir als Kirche untrennbar mit dem jüdischen Volk verbunden sind. Jesus selbst war im Tempel zuhause; er hat dort immer wieder gepredigt; auch die ersten Christen haben sich nach dem Tod und nach der Auferstehung Jesu im Tempel getroffen und dort zusammen gebetet. Der Name des Gottes, an den wir glauben, war also im Tempel zuhause.

Umso mehr stellt sich daher die Frage, wie der Tempel und die Gegenwart Gottes zusammenhängt. Ist seine Gegenwart auf den Tempel beschränkt, so wie es die Tochter von Rebekka gefragt hat? In der jüdischen Theologie gibt es dazu eine besondere Lehre; es ist die rabbinische Lehre von der Schechina Gottes. Die Schechina, das ist das Wohnen Gottes unter den Menschen. Seine Niederlassung. Die Rabbinen lehren, dass in Gott selbst eine Trennung vorgeht. Er scheidet sich von sich selbst. Er gibt sich weg an sein Volk. Er erlebt die Leiden seines Volkes mit, und er zieht mit ihnen ins Exil, in das Elend der Fremde. Gottes Geist- so könnte man sagen – ist bei seinen Menschen. Auch ohne Tempel, auch ohne feste Gebetsstätte. Ganz ähnlich sagt es Jesus ja auch im Gespräch mit der Samaritanerin am Brunnen, als sie ihn fragt, wo man denn nun Gott anbeten solle, auf dem Berg Garizim oder in Jerusalem. „Glaube mir,“ antwortet er, „es kommt die Zeit, dass ihr weder auf dem Berg Garizim noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Schon jetzt ist die Zeit, in der die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten.“

Gottes Geist ist nicht an Mauern und nicht an Steine gebunden. Er ist frei. Auch wir hier in Bad Nauheim können genauso gut im kleinen Park hinter der Dankeskirche Gottesdienst feiern wie auch hier in der Dankeskirche. Gott ist überall ansprechbar auf dieser Erde. Und er ist überall zu finden.

Und trotzdem brauchen wir Menschen ja auch feste Räume, klar definierte Gotteshäuser – Kirchen, Kapellen oder Synagogen – wo wir uns versammeln können, gemeinsam zu Gott beten und uns unseres Glaubens vergewissern können. Wo unsere Seele einen Schutzraum findet. Darum war es auch gut, das die jüdischen Gemeinden damals schon, während der Tempel noch stand, überall an ihren Wohnorten Synagogen hatten, in denen sie zusammenkommen konnten. (Universalität und Partikularität liegen immer ganz dicht beieinander.)

Wir brauchen geheiligte Orte. Geheiligt durch das Gebet und durch den gemeinsamen Glau- ben.

Die Zeit des Tempels in Jerusalem ist vorbei. Der Tempel ist Vergangenheit. Und damit auch seine Brandopfer und Schlachtopfer. Die Realität heute ist, dass drei große, monotheistische Religionen in Jerusalem zuhause sind. Bitte schauen Sie dazu nun das Bild auf der letzten Seite des Gottesdienstblattes an: da sieht man links die helle Kuppel der Hurva- Synagoge; rechts davon den Turm der evangelischen Erlöserkirche und die beiden Kuppeln der christlichen Grabeskirche. Und zwei muslimische Minarette. Die jeweiligen heiligen Stätten sind auf engstem Raum zusammengeballt. Und ihre wichtigste Aufgabe ist es, ihren religiösen Nachbarn Respekt zu erweisen und gemeinsam den Frieden zu bewahren. Alles andere würde Krieg bedeuten. Heute kann ein Ort nur dann als heilig gelten, wenn er für alle heilig sein darf. Das gilt z. B. auch für die Hagia Sophia in unseren Tagen.

Einen letzten Gedanken aber möchte ich mitnehmen aus der damaligen imposanten Anlage des Tempels: das ist die Erinnerung an das „Allerheiligste“. Das Allerheiligste – das war ein leerer Raum in der Mitte des großen Tempels, mit all seinen Säulengängen und einzelnen Hallen. Ein Raum - nur mit einem Altar in der Mitte und einem großen Leuchter. Ein Raum, der nur einmal im Jahr vom Hohenpriester betreten werden durfte. Ein Raum, der Gott allein vorbehalten war.

Das ist ein schönes Symbol, das bleiben kann: es ist gut, auch in uns selbst solch einen leeren Raum zu haben. Den wir für Gott freihalten. Und es ist gut, solch einen leeren Raum auch in unserer Gemeinschaft zu haben. In den wir Gott immer wieder einladen. In dem er bei uns zuhause ist.

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

EG 613

Fürbitten
Mitgehender Gott, wir danken Dir für das Erbe des Glaubens: für Dein Wort, für alle Erzählungen darüber, wie Du Dich den Menschen gezeigt hast. Wir sind reich gesegnet mit Deinem Erbe. An Dich zu glauben, das hilft uns täglich, zu leben.

Hilf uns, einen Raum in uns frei zu halten, in dem Du wirken kannst.

Wir bitten Dich für unsere jüdischen Glaubensgeschwister, dass sie behütet bleiben vor Hass und Antisemitismus.

Wir bitten Dich für Jerusalem, diese dreimal heilige Stadt. Hilf, dass die Menschen der verschiedenen Religionen sich trotz aller Differenzen begegnen wollen als Kinder des Einen Gottes.

Wir bitten um Frieden für Jerusalem - für alle, die politisch und religiös Verantwortung tragen. Frieden für Israelis und Palästinenser, für Einheimisch und Touristen, wir bitten um

Frieden in der Region des Nahen Ostens. Wir bitten um Trost für die Menschen in Beirut. Lass sie Ermutigung erfahren durch die Hilfe, die ihnen zuteil wird.

Lege Deinen Segen auf unsere Erde. Und alle unsere Bitten nehmen wir hinein in das Vaterunser, das wir gemeinsam sprechen:

Vaterunser

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Gottesdienst am 09.08.2020 von Pfarrer Rainer Böhm

Begrüßung
Herzlich willkommen zum Gottesdienst in der Dankeskirche. Heute hätten wir, nach vielen Sonntagen, endlich wieder draußen feiern können. Aber angesichts der tropischen Hitze sind wir drinen geblieben, weil es hier wenigstens etwas kühler ist.
Ermutigen tut gut. Ich weiß noch, wie ich als kleiner Junge mit meinem Vater eine riesenlange und gefährliche Bergtour gemacht habe. Hinterher schimpften alle auf ihn, mit so einem kleinen Kind – aber ich war stolz und er war es auch.
Auch Gott traut uns einiges zu. Viel mehr, als wir für möglich halten.  „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern." Lk 12, 48

Psalm 63,2-9
Gott, du bist mein Gott, den ich suche.
Es dürstet meine Seele nach dir,
mein ganzer Mensch verlangt nach dir
aus trockenem, dürrem Land, wo kein Wasser ist.
So schaue ich aus nach dir in deinem Heiligtum,
wollte gerne sehen deine Macht und Herrlichkeit.
Denn deine Güte ist besser als Leben;
meine Lippen preisen dich.
So will ich dich loben mein Leben lang
und meine Hände in deinem Namen aufheben.
Das ist meines Herzens Freude und Wonne,
wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben kann;
wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich,
wenn ich wach liege, sinne ich über dich nach.
Denn du bist mein Helfer,
und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.Lass
Meine Seele hängt an dir;
deine rechte Hand hält mich.

Gebet
Herr des Lebens,
du berufst uns Menschen zum Werkzeug deines Handelns.
Wir bitten dich, Lass uns deinen Ruf hören.
Hilf uns, dass wir uns nicht wegducken und entschuldigen, wenn du uns brauchst.
Wie oft vertraust du uns Aufgaben an, die wir nicht sehen oder nicht verstehen.
Wie oft redest du zu uns, aber wir hören dich nicht.
Vergib uns, wo wir Verantwortung abgelehnt haben.
Sieh nicht auf unser Schweigen und unsere Trägheit.
Lass uns das Ziel vor Augen haben, das du uns gesetzt hast in Jesus Christus –
Menschen zu werden nach deinem Vorbild, füreinander einzustehen, die Schöpfung zu bewahren, Gerechtigkeit zu üben – durch JX, deinen Sohn. Amen.

Lesung = Predigttext: Jeremia 1, 4 – 10
4 Und des HERRN Wort geschah zu mir: 5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. 6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. 7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. 9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.

Lied EG 398 "In dir ist Freude"
1. In dir ist Freude in allem Leide,
o du süßer Jesu Christ!
Durch dich wir haben himmlische Gaben,
du der wahre Heiland bist;
hilfest von Schanden, rettest von Banden.
Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet,
wird ewig bleiben. Halleluja.
Zu deiner Güte steht unser G’müte,
an dir wir kleben im Tod und Leben;
nichts kann uns scheiden. Halleluja.

2. Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden
Teufel, Welt, Sünd oder Tod;
du hast’s in Händen, kannst alles wenden,
wie nur heißen mag die Not.
Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren
mit hellem Schalle, freuen uns alle
zu dieser Stunde. Halleluja.
Wir jubilieren und triumphieren,
lieben und loben dein Macht dort droben
mit Herz und Munde. Halleluja.
Text: Cyriakus Schneegaß 1598
Melodie und Satz: Giovanni Giacomo Gastoldi 1591; geistlich Erfurt 1598



Predigt
I. Letzten Mittwoch in der Dankeskirche. Ich weise ein Ehepaar darauf hin, dass wir nur die mit Nummern gekennzeichneten Plätze in der Kirche belegen, es aber weiter vorne noch freie Plätze gibt und die Platzanweiserin dann ihre Namen in eine Liste einträgt. „Haben Sie einen Polizeiausweis? Was soll das hier eigentlich?“ Ich habe Mühe, die Contenance zu bewahren.
Letzten Samstag in Berlin. Etwa 20.000 Menschen demonstrieren auf der Straße des 17. Juni. Impfgegner. Corona-Leugner. Selbst ernannte „Querdenker“. Aber auch Rechtsradikale. Reichsbürger. In ihren Augen sind die staatlichen Corona-Maßnahmen eine große Verschwörung.
Mitten unter ihnen die Journalistin Dunja Hayali. Sie dreht für’s ZDF. Interviewt die Demonstrierenden. Und trägt dabei eine Maske. Sie wird beschimpft und bedrängt. „Schämt euch!“ „Hau ab!“ Und immer wieder: „Lügenpresse, Lügenpresse!“ Die Filmende wird selbst gefilmt. Auf den Rat ihrer Security bricht sie schließlich den Dreh ab.
In diesen Zeiten liegen die Nerven blank. Schnell ist mit Feindseligkeit zu rechnen. Dabei bilden sich erstaunliche Allianzen.  Corona? Eine kleine Grippe! Klimawandel? Eine Erfindung der Medien! Rechtsradikalismus? Ein Märchen der Regierung – um davon abzulenken, dass das deutsche Volk gerade gegen Migranten ausgetauscht wird.

II. Die Krisen machen Angst. Klimawandel. Vermüllung. Artensterben. Überbevölkerung. Atomare Bedrohung. Globalisierter Kapitalismus. Soziale Spaltung. Armutsmigration. Vormarsch der Populisten. Und jetzt auch noch die Corona-Pandemie.
Irgendwie sind wir alle in der Angst verbunden: Linke wie Rechte. Verschiedene Themen, aber das gleiche Grundgefühl. Der Bedrohtheit unseres Lebens. Man kann es leugnen. Aber trotzdem nagt und bohrt es weiter.
In den letzten Monaten und Wochen habe ich manchmal das Gefühl gehabt, meine Kräfte werden über Gebühr beansprucht. Corona. Der Lockdown und die Zeit danach. So viel Unsicherheit. So viel Sorge, Angst und Verzicht. Wir werden im Leben nicht immer gefragt, ob wir haben wollen, was uns zufällt. Und manches ist zu viel. Das hat nicht nur mit Corona zu tun. Es gibt solche Zeiten immer wieder im Leben, in denen ich denke: Manchmal würde ich lieber ausweichen.

III. Auch er wäre gerne ausgewichen. Ein Mann aus einer ganz anderen Zeit. Einer, der über Gebühr beansprucht wurde. Ein Prophet wider Willen. Jeremia, ein Priestersohn im 7. Jahrhundert vor Christus. Gegen seinen Willen und über seine Kraft hinaus wird er von Gott berufen. Das Südreich Israels, Juda, in dem er lebt, ist eingekeilt zwischen den Großmächten seiner Zeit: Assyrer, Babylonier, Ägypter. Die Verantwortlichen verlieren den Kopf, schließen falsche Bündnisse und lassen ihr Vertrauen auf Gott fahren. Jeremia mahnt und wirbt: wendet euch zu Gott zurück. Vertraut auf ihn, und er wird euch helfen. Die Menschen hören nicht auf ihn.
So wird sein Leben selbst zum Zeichen. Jeremia bleibt unverheiratet und kinderlos, um auf den Niedergang des Volkes hinzuweisen. Er trägt ein Joch durch die Straßen, um zu zeigen, wie sich das Volk unter die Herrschaft der Babylonier erniedrigt. Die Menschen glauben ihm nicht. Sie schieben ihre Angst auf ihn und werfen ihn in eine Zisterne. Der Schlamm hält seine Füße fest, erst in letzter Minute wird er gerettet. Jeremia bleibt Gott treu.
 
III. Neulich habe ich verstanden, dass es auch vegane Schuhe gibt. Natürlich, ohne tierische Produkte. Mein Sohn lebt jetzt vegan, die eine Tochter ist Vegetarierin, die andere normal oder wie man es nennt. Mich beeindruckt, wie ernsthaft sich die jungen Leute mit den Krisen beschäftigen, wie radikal ihre lösungen sind. Und ehrlich gesagt finde ich selbst schon lange, dass wir auch in der Kirche das Thema Tierethik – unser menschliches Verhalten der Ausbeutung – viel zu lange vor uns hergeschoben haben.
Aber muss ich wirklich ständig mein Verhalten überprüfen? Was ich esse. Was ich konsumiere. Wie die Dinge hergestellt werden. Wie sie verpackt werden. Muss ich tatsächlich auf Fleisch verzichten? Auf mein Auto?  Muss ich mich auf jede Minderheit wertschätzend einlassen? Ich denke: Ich habe doch schon so viel verändert. Ist es denn nie genug? Müssen wir Christen überhaupt die Umwelt retten? Schließlich weiß das Neue Testament doch um die Endlichkeit dieser Welt!

IV. Jeremia ahnt vielleicht: Es ist schwer, sich für sein eigenes Leben zu entscheiden. Es tut weh und macht mitunter einsam. Du fällst auch immer wieder auf die Erwartungen der anderen zurück. Aber es ist dein Leben – und Gott wird dieses Leben begleiten und behüten. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten.
Welch eine Zusage. Ich bin bei dir, spricht dein Gott.
Wenn Du Deinen Weg durchs Leben gehst – ich bin bei Dir.
Wenn es Dir gut geht – ich bin bei Dir.
Wenn Dir Tränen den Blick verschleiern und Du vor Trauer nicht mehr weißt, wie Du den Tag durchstehen sollst – ich bin bei Dir.
Wenn Du glücklich einen Menschen in die Arme schließt, der Dir alles bedeutet – ich bin bei Dir.
Wenn Du traurig Abschied nehmen musst von einem Menschen, der Dir alles bedeutet hat – ich bin bei Dir.
Wenn Du vor dem Spiegel stehst und Dir selber nicht in die Augen schauen magst – ich bin bei Dir.
Wenn Du das Gefühl hast, von der Welt verlassen zu sein – ich bin bei Dir.

V. Jeremia hat Angst.  Auf vieles hat er verzichten müssen. Und doch steht über seinem Leben die Zusage: ich bin bei dir. Und er hat, als Prophet wider Willen, sein eigenes Leben geführt. In aller Widerständigkeit. Der Auftrag war groß. Vielleicht zu groß. Aber er hat ihn für sich selbst angenommen und sich begleitet erfahren. Ich glaube, das ist groß und viel, was man über ein Leben sagen kann. Und sein Buch, das Buch Jeremia in unserer Bibel, erzählt davon, wie er alles aus Gottes Hand genommen hat.
Dass ich in den Krisen dieser Tage verzweifle, ist nur natürlich. Wenn ich trotzdem Mut bekomme und Lust auf Veränderung zum Guten, dann ist ein anderer Geist am Werk. Und wenn wir dann auch noch gemeinsam anfangen, unseren Teil zu einer besseren Welt beizutragen, dann ist Gottes Kraft in uns wirksam. Denn er gibt nicht nur Jeremia, er gibt auch uns den Auftrag und die Kraft, zu bauen und zu pflanzen. Amen.

Lied: EG 625: Wir strecken uns nach dir
1. Wir strecken uns nach dir,
in dir wohnt die Lebendigkeit.
Wir trauen uns zu dir,
in dir wohnt die Barmherzigkeit.
Du bist, wie du bist:
Schön sind deine Namen.
Halleluja. Amen. Halleluja. Amen.


2. Wir öffnen uns vor dir,
in dir wohnt die Wahrhaftigkeit.
Wir freuen uns an dir,
in dir wohnt die Gerechtigkeit.
Du bist, wie du bist:
Schön sind deine Namen.
Halleluja. Amen. Halleluja. Amen.


3. Wir halten uns bei dir,
in dir wohnt die Beständigkeit.
Wir sehnen uns nach dir,
in dir wohnt die Vollkommenheit.
Du bist, wie du bist:
Schön sind deine Namen.
Halleluja. Amen. Halleluja. Amen.
Text: Friedrich Karl Barth 1985
Melodie: Peter Janssens 1985


Fürbitte
Herr unser Gott, wir wissen: du begleitest uns.
Du gehst alle unsere Wege mit.

Und frei uns gehorsam sind deine Propheten den Weg gegangen,
den du ihnen gewiesen hast.
Sei auch bei denen, die jedes Risiko scheuen. Und bei denen, die sich unsicher fühlen, schwach und getrieben.
Deine Propheten haben Ungewohntes und Unerwartetes getan und sich hinweggesetzt über das Übliche. Wir wissen, auch wir können so manches. Gib uns die Hoffnung und den Mut dazu.

Bewahre uns vor den falschen Propheten bei uns.
Wo ein amerikanischer Präsident seine Lügenmärchen verbreitet, die Millionen Menschen lesen und glauben.
Wo es immer mehr gibt, die abschaffen wollen, was uns wichtig ist: Geschwisterlichkeit, Toleranz, ein offenes und tolerantes Miteinander.
Wo manche immer alles besser wissen, und gleichzeitig das Miteinander vergiften, weil es ihnen nur darum geht, vor anderen zu glänzen, wichtig zu tun, andere zurückzustellen.

Die Propheten heute, gnädiger Gott, echte Propheten. Zehntausende, Hunderttausende. Sie heißen heute Amelie und Bernd, Martina, Henriette oder Leon. Oder Ahmed, Shirin und Nikita.

Hilf uns, das Unmögliche zu sagen, Träume wachzuhalten, der Sinnlosigkeit zu wiedersprechen, die Angst auszuhalten, aufzustehen gegen alle Kräfte, die Menschen klein und stummmachen.

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden. Amen.

Gottesdienst am 02.08.2020 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/NvgMxQOnUgA

 

Votum: Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Eingangsspsalm: 22, 2-6, 12, 20
2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. 3 Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe. 4 Aber du bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels. 5 Unsere Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfst du ihnen heraus. 6 Zu dir schrien sie und wurden errettet, sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden. 12 Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer. 20 Aber du, HERR, sei nicht ferne; meine Stärke, eile, mir zu helfen!

Gebet:
Jesus Christus, unser Bruder und Freund, Licht der Welt und Salz der Erde hast Du uns genannt. Sei unser Verbündeter. Dann können wir unserem Zweifel an Gott und der Dunkelheit in unserer Seele Dein Licht entgegenhalten und verzagen nicht. Du bist unsere Hoffnung, jetzt und in Ewigkeit. Amen.

Lesung: Johannes 9,1-7
1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? 3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. 4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden 7 und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Lied: EG+ 102 „Da wohnt ein Sehnen“
Refrain: Da wohnt ein Sehnen tief in uns, o Gott, nach dir, dich zu sehn, dir nah zusein.Es ist ein Sehnen, ist ein Durst nach Glück, nach Liebe, wie nur du sie gibst.
1. Um Frieden, um Freiheit, um Hoffnung bitten wir. In Sorge, im Schmerz – sei da, sei uns nahe, Gott. Ref.
2. Um Einsicht, Beherztheit, um Beistand bitten wir. In Ohnmacht, in Furcht – sei da, sei uns nahe, Gott. Ref.
3. Um Heilung, um Ganzsein, um Zukunft bitten wir. In Krankheit, im Tod – sei da, sei uns nahe, Gott. Ref.
4. Dass du, Gott, das Sehnen, den Durst stillst, bitten wir. Wir hoffen auf dich – sei da, sei uns nahe, Gott. Ref.

 

Predigt:
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

„Die Gesundheitsstadt“ - dieser kurze, griffige Werbeslogan beschreibt Bad Nauheim sehr gut und er ist überall in der Stadt zu finden. In den Kuranlagen, Rehazentren und Kliniken ist das Thema Gesundheit allgegenwärtig. Auch in unserer Dankeskirche ist das Motiv zu finden. Das Sprudelfenster auf der Südempore, (auf Ihrer rechten Seite) stellt eine biblische Geschichte dar, in der das heilende Wasser dominierend ist. Es ist die Heilung eines Blinden und wir finden dieses Motiv in der Bibel an mehreren Stellen. Auch im Predigttext für den heutigen Sonntag, den wir eben gehört haben – mit ein paar kleinen Unterschieden.

Das Sprudelfenster zeigt eine Heilung am Teich Bethesda, die heutige Blindenheilung spielt in der Nähe des Teiches Siloah. Beide Orte liegen in Jerusalem. Und natürlich lässt sich nicht vom Sprudelfenster auf die realen Verhältnisse der damaligen Zeit schließen. Trotzdem können wir uns diese Szene gut vorstellen. In den Zeilen vorher erfahren wir von einem Wortgefecht. Jesus und die religiösen Führer hatten im Tempel so hart diskutiert, dass in ihnen der Plan reifte, Jesus zu töten.

Vielleicht waren die Jünger gedanklich noch dabei, die Geschehnisse im Tempel einzuordnen, als schon die nächste Herausforderung auf sie wartet. Johannes schreibt: „Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war.“ Jesus sieht sich also nicht besorgt nach seinen Feinden um. Er versucht nicht, die Stadt auf schnellstem Wege zu verlassen. Er wendet sich sofort wieder der Not anderer Menschen zu. Doch seine Jünger beschäftigt etwas anderes. Sie fragen als erstes:

„Wer hat Schuld am Schicksal dieses blind Geborenen?“

„Wer ist Schuld daran, dass dieser Mann blind geboren wurde?“ Er selbst? Oder haben gar seine Eltern Schuld auf sich geladen? Wir zucken bei dieser Interpretation unweigerlich zusammen. Aber damals war das eine normale Schlussfolgerung. Wie fromm ein Mensch ist, machte man an seinen Lebensumständen fest. Man nennt das Tun-Ergehen-Zusammenhang. Wer ein gottgefälliges Leben führt, dem geht es gut. Und im Umkehrschluss heißt das: Wem es nicht gut geht, bei dem stimmt etwas mit dem Glauben nicht. Ich bin froh, dass wir diese Interpretation heute hinter uns gelassen haben.

Die Frage nach der dem Ursprung des Leides hingegen ist heute noch aktuell. Das scheint zu uns Menschen dazu zu gehören. Wer ist schuld an den Dingen, die uns widerfahren? Warum müssen wir durch schwierige Zeiten gehen, warum gibt es sinnloses Leid in dieser Welt? Diese Fragen fordern mich immer mal wieder heraus und so geht das auch anderen Menschen. Ich habe erst neulich wieder eine Diskussion zu diesem Thema in den Kommentaren unter einem digitalen Zeitungsartikel verfolgt. Erstaunlich, wie viele Leute sich da zu Wort melden.

Die Bibel hat kein geschlossenes Konzept, wo das Leid herkommt und was dessen Sinn ist. Vielmehr zeigt sie eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, die sich aber durchaus widersprechen. Die Wurzel allen Übels kann man bei Adam und Eva und der Vertreibung aus dem Paradies suchen. In manchen biblischen Geschichten sind es Menschen, die sich gegenseitig Leid antun. Schuld und Sünde spielen sowohl im alten als auch im neuen Testament eine wichtige Rolle. Leid kann im alten Testament auch eine Strafe Gottes sein, wenn sich das Volk gegen ihn und seine guten Weisungen richtet. Bei Hiob lässt Gott tatsächlich selbst das durch Satan verursachte Leid zu. Gleichzeitig wächst Hiobs Gottesbeziehung in dieser Leidenszeit. In den Psalmen finden wir Klage bis hin zur Anklage, die oft ganz plötzlich zum Gotteslob wird. Vor allem die Psalmbeter vertrauen darauf, dass Gott das Leid wenden kann. Leid ist auch das Kennzeichen der noch unvollendeten Schöpfung.

An der Frage nach dem Leid haben sich Generationen von Theologinnen und Theologen die Zähne ausgebissen. Eng damit verknüpft ist ja auch die Frage, wie das Leid in der Welt und Gottes Gerechtigkeit und Gottes Güte zusammenpassen, also die so genannte Theodizefrage. Und auch die Jünger, die ja mit Jesus unterwegs waren, konnten die Frage nach dem Ursprung des Leides ganz offensichtlich nicht beantworten.

Ich persönlich denke, dass die Welt nicht schlüssig erklärbar ist und sich viele Dinge meinem Verstand entziehen. Ich kann zum Beispiel auch nicht erklären, weshalb es Liebe gibt. Manche Dinge sind für mein menschliches Gehirn zu groß. Deshalb gefällt mir auch der so genannte Kanzelsegen, der am Ende der Predigt kommt und in dem es heißt, dass der Friede Gottes höher ist, als alles menschliche Begreifen. Dieser Erklärversuch ist wie viele Dinge in meinem Glaubensleben in Bewegung und nicht in Stein gemeißelt. Ein weiterer Ansatz ist im strengen Sinne keine Erklärung für das Leid. Es ist eher eine Lösung. Leid fordert mich dazu heraus, es lindern. Es ist einfach da und wo es mir möglich ist, sollte ich etwas dagegen tun.

Das ist in dieser Heilungsgeschichte übrigens auch der Ansatz von Jesus. Seine Antwort auf die Frage der Jünger lautet kurz und bündig: „Es hat weder dieser gesündigt, noch seine Eltern, sondern, es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.“ Und dann – nach einer kurzen Bemerkung, dass die Zeit zum Handeln begrenzt ist – heilt er den Blindgeborenen. Jesus lenkt den Blick vom Problem weg hin zu einer Lösung. Er hält sich nicht mit der Schuldfrage auf, er handelt und heilt. Er blickt nicht in die Vergangenheit, er wendet sich in der Gegenwart dem konkreten Menschen zu. Und er lenkt den Blick au f die Zukunft. Weg vom Leid hin zum Heil und zum Leben, zur Hoffnung. Ob Gott das Leid zulässt – das bleibt offen. Sicher ist aber, dass er das Leben liebt.

Damit qualifiziert er übrigens die Frage nicht ab. Ich denke, dass Gott genau weiß, dass uns Menschen diese Frage beschäftigt. Gott kennt unsere Fragen und er kennt unser Leid. Er kennt unsere Zweifel. Schließlich ist er selbst Mensch geworden. Er weiß, wie verletzlich wir sind und wie verzweifelt wir sein können. Deshalb finden wir auch so viele unterschiedliche Ansätze zur Frage nach dem Leid in der Bibel. Ich halte das für einen Schatz, denn wir können bei Gott andocken, wenn wir die Welt nicht erklären können. Wir können sicher sein, dass Gott mit uns ist und unsere Gedanken kennt und ernst nimmt. Und dass er unseren Blick auf die Zukunft, auf das Leben und die Hoffnung ausrichtet.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alles menschliche Begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied: EG 396 „Wer nur den lieben Gott lässt walten“
1. Wer nur den lieben Gott lässt walten
und hoffet auf ihn allezeit,
den wird er wunderbar erhalten
in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut,
der hat auf keinen Sand gebaut.

3. Man halte nur ein wenig stille
und sei doch in sich selbst vergnügt,
wie unser's Gottes Gnadenwille,
wie sein Allwissenheit es fügt;
Gott, der uns sich hat auserwählt,
der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.

7. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu;
denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

Fürbitten:
Gott, wenn wir an unsere Grenzen kommen und uns die Welt nicht mehr erklären können, suchen wir nach einem Schuldigen. Wir wünschen uns einfache Erklärungen. Doch oft führen diese in die Irre. Deshalb bitten wir Dich: Öffne uns die Augen und weite unseren Horizont. Richte unseren Blick auf die Zukunft und unsere Mitmenschen aus. Hilf uns, dass wir Leid lindern, wo es uns möglich ist.

Gott, die Pandemie hat die Welt noch fest im Griff. Wir hatten gedacht, nach ein paar Wochen ist alles vorbei und es gab deutliche Zeichen der Hoffnung. Aber nun steigen auch bei uns die Zahlen wieder und wir wissen nicht, wie sich die Situation entwickeln wird.

Wir bitten Dich: Sei bei den Kranken, den Einsamen und Verbitterten. Sei bei den Menschen, die vor großen Herausforderungen stehen und um ihre Existenz fürchten müssen. Wir bitten Dich: Herr erbarme Dich!

Gott, wir sorgen uns um den sozialen Frieden in unserem Land. Lass nicht zu, dass Menschen auf der Suche nach Schuldigen selbst Schuld auf sich laden. Lass extreme Positionen und Gewaltbereitschaft nicht zur Entfaltung kommen. Schenke in einem Klima zunehmender Polarisierungen Menschen, die aufeinander zugehen und trotz unterschiedlicher Meinungen respektvoll mit einander reden. Schenke den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Weisheit und gute Entscheidungen. Wir bitten Dich, erbarme Dich über unser Land und unsere Gesellschaft.

Und gemeinsam beten wir das Vaterunser.

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.

Rückmeldungen zu diesem Gottesdienst: bartsch@ev-kirche-bn.de oder 06033 79 60 527

Gottesdienst am 26.7.2020 von Pfarrer Rainer Böhm

Begrüßung
Jeder Sonntag hat in unserer Kirche ein eigenes Thema. Das Thema dieses Sonntags ist die Gemeinschaft, wie sie sich im Teilen zeigt: Im Teilen von Brot und Wein; im Teilen von Anteilnahme und Verantwortung. .. Verantwortung für andere – das lernen wir wohl in dieser Krise. Die Begegnung mit Gott führt in die Liebe; die Liebe führt in die Gemeinschaft des Teiles über alle Grenzen hinweg.

Psalm 107, 1 – 9
Danklied der Erlösten 1 Danket dem HERRN; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. 2 So sollen sagen, die erlöst sind durch den HERRN, die er aus der Not erlöst hat, 3 die er aus den Ländern zusammengebracht hat von Osten und Westen, von Norden und Süden. 4 Die irregingen in der Wüste, auf ungebahntem Wege, und fanden keine Stadt, in der sie wohnen konnten, 5 die hungrig und durstig waren und deren Seele verschmachtete, 6 die dann zum HERRN riefen in ihrer Not und er errettete sie aus ihren Ängsten 7 und führte sie den richtigen Weg, dass sie kamen zur Stadt, in der sie wohnen konnten: 8 Die sollen dem HERRN danken für seine Güte / und für seine Wunder, die er an den Menschenkindern tut, 9 dass er sättigt die durstige Seele und die Hungrigen füllt mit Gutem.

Gebet
So ist das,
Denn wir lieber aus dem Weg gehen
Sind dein Weg.
Die wir lieber nicht bei uns sehen möchten
Sind in deinem Blick.
Die wir nicht einladen wollen
Rufst du an deinen Tisch.
Die wir lieber nicht anhören wollen
Sind die Stimme, durch die du zu uns sprichst.
So ist das.
Und so bist du, überraschender, wunderwirkender Gott.
Amen

Lesung = Predigttext                 Lukas 9, 10 – 17          
Die Rückkehr der Zwölf. Die Speisung der Fünftausend 10 Und die Apostel kamen zurück und erzählten Jesus, wie große Dinge sie getan hatten. Und er nahm sie zu sich und zog sich mit ihnen allein in eine Stadt zurück, die heißt Betsaida. 11 Als die Menge das merkte, zog sie ihm nach. Und er ließ sie zu sich und sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften. 12 Aber der Tag fing an, sich zu neigen. Da traten die Zwölf zu ihm und sprachen: Lass das Volk gehen, dass sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Essen finden; denn wir sind hier an einer einsamen Stätte. 13 Da sprach er zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen. Sie aber sprachen: Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische, es sei denn, dass wir hingehen sollen und für dieses ganze Volk Essen kaufen. 14 Denn es waren etwa fünftausend Männer. Er sprach aber zu seinen Jüngern: Lasst sie sich lagern in Gruppen zu je fünfzig. 15 Und sie taten das und ließen alle sich lagern. 16 Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und segnete sie, brach die Brote und gab sie den Jüngern, dass sie dem Volk austeilten. 17 Und sie aßen und wurden alle satt; und es wurde aufgesammelt, was ihnen an Brocken übrigblieb, zwölf Körbe voll.

Predigt

Liebe Gemeinde,

ich stelle mir vor, Sie und ich wären dabei gewesen. Aber wo wäre dann unser Platz gewesen? Vielleicht als einer von den 5000 Menschen, irgendwo in dieser Menge, die wir uns in diesen Zeiten kaum vorzustellen können. Oder wenn, dann nur als eine Art Risikofaktor. – Oder können wir es uns vorstellen, an der Stelle Jesu zu sein? Einen ganzen Tag lang zu predigen und dann auch noch 5000 Menschen satt zu machen? Das kann ich mir nicht vorstellen und ich denke, es wäre auch vermessen.

Dann bleiben ja eigentlich nur die Jünger. Ich stelle mir also vor, Sie und ich wären dabei gewesen, als Jünger. Die Geschichte hätte für uns einen ganz und gar unerfreulichen Beginn gehabt. Denn wir haben anstrengende Tage hinter uns. In seinem Auftrag waren wir durch die Dörfer gezogen, haben gepredigt und sogar geheilt. Sie werden müde gewesen sein – so wie wir nach einer anstrengenden Woche. Dann brauchen wir Ruhe und müssen mal abschalten. Dann bin auch ich mal für niemanden zu sprechen. Ein anderer Pfarrer vertritt mich dann.

Und dann kommen da diese 5000 Leute. Kann ich denn nicht einmal ausruhen? Bitte – muss das denn nun auch noch sein? Und dann hätten Sie und ich zum ersten Mal gestaunt: Wie der müde Jesus sein und unser Ruhebedürfnis zurückstellt. ER redet und heilt und teilt sich aus. Da ist kein „kommt morgen wieder“. Anstrengend ist das mit diesem Jesus, das dämmert uns jetzt.

Wir hätten beobachtet, wie die Sonne so langsam untergeht, es etwas kühler wird – und bald hätten wir nur noch mit einem halben Ohr zugehört. Ich kenne das: wenn der andere einfach kein Ende finden kann. Die Unruhe, die dann aufsteigt, das Gefühl, es reicht, man muss doch jetzt mal die Realitäten sehen. Und irgendwann hätten wir dann mit den anderen vor Jesus gestanden und gesagt: „Herr, lass gut sein. Bald kommt die Nacht, sie haben nichts zu essen dabei, lass sie nach Hause gehen.“ Denn im Sorgen für andere – da sind wir gut. Da wissen wir, was für sie gut ist. Und dann wären wir zum zweiten Mal überrascht gewesen. Denn Jesus denkt gar nicht daran, aufzuhören: „Lasst uns doch gemeinsam zu Abend essen. Gebt ihr ihnen zu essen!“

Wie bitte!! Wir mit diesen wildfremden Menschen, die uns unsere wohlverdiente Ruhe gestohlen haben! Sind wir denn hier für alles und alle verantwortlich? Und sowieso: wir haben gerade mal fünf Brote und zwei Fische – für uns! Selber bezahlt. Außerdem haben dann alle nicht genug und keinem ist geholfen.  Aber dann hätten wir es geschafft und unsere Überraschung versteckt und schnell ein Hilfsprogramm aufgestellt: wir gehen los und kaufen noch mehr. Viel Arbeit für 5000 Menschen, aber irgendwie zu schaffen, Spendenaktion starten!

Aber nein, wir sollen aus der Menge Gruppen machen, damit sich die Menschen sehen und kennenlernen, nicht immer nur nach vorne schauen. Also hört auf, von den Geflüchteten zu reden, von den im Mittelmeer ertrunkenen – sie alle haben Namen, haben Familien, haben eine Geschichte. 5000 Gemeindemitglieder sind viele und keine, wenn kaum einer den anderen kennt. Bildet Kleingruppen!

Und dann hätten wir gesehen, wie er unser Brot nimmt und für das bisschen auch noch dankt und es uns dann gibt, das, was uns zugestanden hätte und dazu sagt: „Gebt es weg! Behaltet nichts zurück! Vertraut auf Gott, der aus wenig viel machen kann. Vertraut auf die Menschen, die sehen ihr gebt alles und behaltet nur eure leeren Hände.“ Und dann hätten wir wieder über uns selbstgestaunt, wie wir alles weggegeben hätten ohne an uns selbst zu denken. Wie wir uns eingesetzt hätten für andere, ohne nach ihrem Alter und ihrer Herkunft zu fragen oder nach unserer Zeit. Dass alle eine Zukunft haben miteinander, dass alle Menschen eine Gemeinschaft sind, auch die die anderen, von denen wir denken, sie gehören nicht dazu, weil sie anders aussehen, eine andere Religion haben, eine andere Bildung, komisch sind.

Wie die Träumenden haben sie wohl damals gehandelt: ausgeteilt, was ihnen gehörte, und nichts zurückbehalten. Und haben so das Reich Gottes vorweggenommen. Und es wurden alle satt! Wurde das Brot mehr? Oder lassen sich 5000 anstecken von dem Vertrauen der Jünger? Holten aus den Jackentaschen und Beuteln ihre heimlichen Vorräte, ihren vorsorglichen Proviant und gaben selbst alles weiter und empfingen und gaben auch? Aber dann wäre das ja gar kein Wunder gewesen, meinen Sie? Sind Sie sich da sicher? Wäre es nicht auch ein Wunder, dazu verwandelt zu werden?

Zwölf Körbe blieben übrig, jeder von uns stand an einem Korb. Und ich brauche mir gar nicht mehr vorzustellen, wir wären dabei gewesen – wir sind dabei! Jeder von uns steht an einem solchen Korb. Darin ist das was wir brauchen und viel mehr: an Geld, Zeit, Kraft, Brot. Alles wurde uns von Gott hineingelegt. Und Gott glaubt auch an uns: dass wir verteilen, wie sie damals zu verteilen gelernt haben. An Menschen, die brauchen, was wir haben. Denen der Magen knurrt, die Seele hungert, die Zukunft und das ganze Leben verbaut ist.  Lernen, darauf zu schauen, Gerechtigkeit herzustellen zwischen Arm und Reich, Nord und Süd, den Rassen und Geschlechtern. Gott vertraut uns. Dass wir seine Schöpfung retten, dass wir alles tun, damit alle genug haben zu leben, für Körper und Seele.

Es ist nicht nur so, dass wir an Wunder glauben und auf Wunder hoffen: Auch Gott glaubt daran: dass wir ihm vertrauen und denen, die uns so brauchen wie die Hungernden das Brot.
Amen

Guter Gott,
wenn wir einen Glauben hätten, der sogar Berge versetzen kann –
was wäre das ohne die lebendige Liebe zu anderen und zu uns selbst.
Wir haben dir für vieles zu danken.
Wir können erzählen, wie schön die Welt ist;
Unser Leben wurde bis heute bewahrt;
Uns ist gelungen, was eigentlich so schwer erschien.
Wir danken dir für die guten Nachrichten und für deine gute Nachricht.
Wenn wir ausruhen dürfen,
wenn Gedanken uns weiter helfen.

Du hast uns so vieles geschenkt.
Wir wollen unsere Hände öffnen
Und denen helfen, die uns brauchen,
und abgeben, was andere nötig haben.
Gott, lass uns lernen zu teilen:
Unsere Zeit, unsere Kraft,
unsere Liebe, unsere Geduld,
auch unseren Glauben an dich lass uns teilen mit anderen.

Vater Unser

Segen

Gottesdienst am 19.7.2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Vorspiel

Ich begrüße Sie und Euch alle herzlich zu diesem Gottesdienst. An diesem 6. Sontag nach Trinitatis erinnern wir uns in besonderer Weise an die Taufe. Dazu passt der biblische Spruch der neuen Woche besonders gut. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!“

Gott auch uns bei unserem Namen gerufen. Mit unserer Taufe hat er eine Geschichte mit uns begonnen, mit jeder und jedem von uns.  Darin ist ein großer Segen verborgen.

Lasst uns den Gottesdienst feiern im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.  Amen.

Psalm 111

Halleluja!

Ich danke Gott von ganzem Herzen im Kreise der großen Gemeinde.

Groß sind die Werke des Herrn; wer sie erforscht, hat Freude daran.

Gnädig und voller Zuwendung ist Gott, ewig gedenkt er an seinen Bund.

Heilig ist sein Name.

Die Ehrfurcht vor dem Herrn ist der Anfang der Weisheit.

Klug ist, wer sein Leben nach Gottes Geboten ausrichtet.

Sein Lob bleibt für alle Zeit.

Gebet

Gütiger Gott, von allen Seiten umgibst du uns. Du hast uns im Leib unserer Mutter gebildet, du hast uns beim Namen gerufen, als wir dich noch nicht kannten. Durch die Taufe wissen wir, dass wir deine Kinder sind. Dafür loben wir dich!

Hilf uns, auch heute deine Stimme zu hören: als Wegweisung und Hilfe, als dein aufrichtendes Wort.

Herr, segne uns diesen Gottesdienst.

Amen.

EG 449,1.4 Die güldne Sonne

Schriftlesung aus dem 5. Buch Mose 7

„Ihr seid ein heiliges Volk, ihr gehört ganz eurem Gott. Er hat euch aus allen Völkern der Welt zu seinem Eigentum erwählt. Das hat er nicht getan, weil, ihr etwa größer wäret als die anderen Völker. Ich seid ja das kleinste von allen Völkern. Sondern weil er euch geliebt hat und weil er das Versprechen halten wollte, das er euren Vorfahren gegeben hat. Darum hat er euch aus der Sklaverei in Ägypten herausgeholt. So erkennt doch: Euer Gott ist allein Gott und er ist treu! Über tausende von Generationen steht er zu seinem Bund und erweist allen seine Barmherzigkeit, die ihn lieben und sich an seine Gebote halten. Darum lebt nach den Weisungen und Geboten, die ich euch heute gebe. So wird der Herr euch lieben und segnen.“

Ansprache

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde, die Worte, die wir eben gehört haben, sind die Grundlage der Predigt heute, und Sie finden Sie zum Nachlesen auch auf unserem Gottesdienstblatt. Zu Beginn möchte ich Sie heute einladen zu einem kleinen Ausflug.  Einem Ausflug in die Zeit, als dieser Text entstanden ist.

Wir schreiben ungefähr die Jahre zwischen 700 und 650 vor Christus. Alles spielt sich auf dem Gebiet des heutigen Israel und Palästina ab. Zwei Reiche gab es dort einst: Das Nordreich mit seiner Hauptstadt Samaria und das Südreich, mit seiner Hauptstadt Jerusalem. Im Jahr 720 v.Chr.  gab es einen großen Angriff auf das Nordreich: das mächtige Volk der Assyrer kam und eroberte das Reich des Nordens. In der Folgezeit kam es zu einem Austausch, einem Austausch der Eliten. Die „oberen Zehntausend“ des Nordreiches Israel wurden nach Assyrien verschleppt, und im Gegenzug kam eine große assyrische Führungsschicht ins Gebiet des Nordreiches. Auf diesem Weg wurde die Struktur des Landes zerstört. Die zweite Folge war, dass auch die religiöse Identität des Volkes verloren zu gehen drohte. Gleichgültigkeit zog ein. Das Volk drohte, seinen Glauben, seine religiöse Verwurzelung zu verlieren. Das sah der König des Südreiches, Josia, sehr genau. Seine Berater machten ihn darauf aufmerksam, dass der Glaube Israels durch den Einfluss Assyriens bald eingeschmolzen sein könnte im großen Schmelztiegel der assyrischen Kultur. Und darum schrieben sie die alten Worte des Anführers Mose noch einmal neu auf für die Menschen ihrer Zeit. Das Volk Israel sollte sich wieder seines besonderen Wertes und seines Auftrags bewusstwerden. „Hört“, schrieben sie, „was Mose gesagt hat: ihr seid für Gott ein heiliges Volk. Er hat euch erwählt. Haltet seine Weisungen, seine Gebote. Dann werdet ihr leben!“

Eine Rede also, die das Volk vor seiner inneren Auflösung bewahren sollte. Die Israeliten werden daran erinnert, dass sie von einer großartigen Geschichte herkommen. Dass Gott sie befreit hat aus der ägyptischen Sklaverei. Und ihnen den Bund und die Gebote geschenkt hat.

Gerade diese Berufung Gottes aber liegt nicht nur in der Vergangenheit; sie gilt genauso für die Gegenwart und für die Zukunft; denn wenn die Menschen auf Gottes Gebote achten, dann bauen sie an einer größeren Gemeinschaft.  Einer Gemeinschaft, in der sich jeder einzelne geborgen weiß. Ohne sie wird das Volk nicht überleben. A n ganz zentraler Stelle heißt es hier: „Ihr seid ein heiliges Volk, Gott hat euch zu seinem Eigentum erwählt.“

Ich habe mich oft gefragt, was es eigentlich mit der Erwählung auf sich hat. Wie man sie verstehen soll.

-Klar ist auf jeden Fall, dass es kein menschliches Verdienst ist, erwählt zu werden. „Gott hat es nicht getan, weil ihr etwa größer wäret als die anderen Völker“, sagt Mose in dieser Rede. Oft scheint es vielmehr so, dass Gott gerade auf die Kleinsten oder Jüngsten blickt: David, der spätere König, ist der jüngste von sieben Brüdern. Mose, der Anführer, ist einer, der nicht einmal gut reden kann.

- Erwählung ist auch kein Freibrief, nun einfach tun und lassen zu können, was man will. Ein Egoshooter zu werden und über alle Stränge zu schlagen. Gott einfach einen guten Mann sein lassen. Das zeigen allein schon die mahnenden, kritischen Stimmen der Profeten in Israels Geschichte.

- Nein, Erwählung ist kein Privileg ohne Folgen. Es ist Beauftragung, Verpflichtung. Das Volk Israel empfängt die Thora, die Weisungen zum Leben. Und es soll ein Beispiel dafür geben, dass die Gebote dem Leben dienen. Das ist seine Aufgabe.  Ein Vorbild sein, ein Licht für die Völker.

Gott schreibt seine Geschichte mit den Menschen. Mit Abraham und Sara, mit Mose, Miriam und Aaron.  Mit seinem Volk. Menschen werden von ihm berufen und mit einer Aufgabe betraut. Und jedem sagt er damit: „Kostbar bist du für mich.“ Es bleibt Gottes Geheimnis, nach welchem Kriterium er seine Wahl trifft.

Dabei aber geht Gottes Geschichte mit uns Menschen immer weiter. Sie bleibt nicht stehen.  Immer gibt es eine Fortsetzung! An der Schwelle zwischen dem Alten und dem Neuen Testament begegnet uns wieder einer, der von Gott berufen wird:  Johannes der Täufer.  Er ruft zur Umkehr auf, er tauft Jesus und dreht damit die Geschichte wieder in eine neue Richtung. Und dann tritt Jesus auf, wird erwählt und berufen, und wird Zeuge dafür, dass Gottes Liebe allen Menschen gilt. „Kostbar bist du für mich, mein geliebter Sohn“, so hört er es.

Und Jesus wiederum beruft und erwählt Einzelne, seine Jünger. Und beauftrag sie: „Tauft die Menschen und lehrt sie, alles zu halten, was ich euch aufgetragen habe.“

Und so kommen wir ins Spiel. Wir heute und hier.  Wir gehören mit hinein in die große Berufungsgeschichte, die Gott mit den Menschen schreibt. Mit der Taufe wurde auch uns von Gott gesagt:“ Kostbar bist du für mich!“ Gesegnet und berufen, nach den Geboten Gottes zu leben und mitzubauen an einer Gemeinschaft, in der die Menschen leben können.

Auch uns als Christen gelten ja die 10 Gebote, die zentralen Weisungen der Thora. Das Gebot der Gottesliebe und der Menschen- liebe.

Liebe Gemeinde, vor kurzem habe ich die Zeitungen der letzten Tage durchgeblättert. Vor meinem inneren Auge liefen die Ereignisse der letzten Monate vorbei, dieser neuen Coronazeit, die so Vieles an den Tag bringt. Da begann ich, die Meßlatte der uralten Gebote dazu zu legen. Und plötzlich sprang mir ihre Aktualität ins Auge:

Nächstenliebe – das heißt gerade Abstand halten.

„Ehre deinen Vater und deine Mutter“-  das ist der besondere Schutz der älteren und der alten Menschen.

„Rede nicht falsch Zeugnis wieder deinen Nächsten“ – verbreite keine Gerüchte. Das ist: Nein sagen zu Lügen, Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien.

„Töte nicht“ und rufe nicht zum Töten auf.  Das bedeutet, wachsam zu sein, Aufklärung und Recht zu fordern, wenn Politikerinnen und Anwältinnen anonym vom NSU 2.0 mit Morddrohungen überzogen werden.

Die Gebote sind uns gegeben. Für uns. Hier und jetzt. Sie helfen uns, klar zu sehen und uns zu  orientieren. Sie sind Gottes Geschenk für unser Leben. Gott aber ist es, der zuvor und zuallererst zu jedem und jeder von uns sagt: „Kostbar bist du für mich.“

Amen.

EG +115,1-5

Fürbitten
Unser Gott, dich  allein beten wir an. Kostbar sind wir in deinen Augen, so wissen wir es seit unserer Taufe. Danke für deine Liebe, mit der du für uns da bist, Tag für Tag. Oft sehen wir sie nicht und halten sie schlicht für selbstverständlich. Du nährst uns, erhältst uns und erneuerst uns Stunde um Stunde. Danke für deine Liebe, die wir erkannt haben im Leben, im Sterben und im Auferstehen deines Sohnes Jesus Christus.

Du hast dein Volk aus der Sklaverei geführt und den Bund mit ihm geschlossen. Dein Blick geht gerade zum Kleinen und zum Unbedeutenden.  Genau das stärkst du mit deiner Liebe. Hilf uns, in deinen Spuren zu gehen: gerade die Menschen zu sehen, die bei uns als klein und unbedeutend gelten, am Rande der Gesellschaft leben und die Öffentlichkeit meiden.

Lass deine Gebote des Lebens Gehör finden in unserer Welt. Dass das Recht und die Demokratie geschützt bleiben, dass Unrecht aufgeklärt und als Unrecht benannt wird, dass die Menschenwürde für Kinder, Frauen und Männer hergestellt und gewahrt wird. Wir bitten um deine Hilfe.

Wir bitten dich für alle, die mit einer Krankheit zu kämpfen haben. Schenke ihnen Erleichterung.  Stärke sie und lass sie deinen Segen spüren. Für alle, die einen kranken Menschen versorgen und an seiner Seite sind, bitten wir: dass genug Stärke, Geduld und Liebe da ist, aber auch erholsame Auszeiten für sie selbst.

Bitte für die Verstorbenen

Vaterunser

Abkündigungen

Segen

Der Herr segne dich und behüte dich

Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig

Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Gottesdienst am 5.7.2020 von Pfarrer Ernst Rohleder

Orgelvorspiel

Begrüßung
Liebe Gemeinde
Für diejenigen, die mich noch nicht kennen, möchte ich mich kurz vorstellen. Ich bin Ernst Rohleder, Pfarrer für Altenseelsorge im Dekanat Wetterau. Unter anderen bin ich in mehreren Seniorenheimen für Seelsorge und Gottesdienste verantwortlich. Gerne gebe ich, indem wir Gottesdienst feiern auch einen kleinen Einblick in das Feiern der Gottesdienste dort.

Lied
I: Komm, heilger Geist, mit deiner Kraft,
die uns verbindet und Leben schafft.:I
Wie ein Feuer sich verbreitet
und die Dunkelheit erhellt,
so soll uns dein Geist ergreifen,
umgestalten unsre Welt.
I: Komm, heilger Geist,…

Wie der Sturm so unaufhaltsam
dring in unser Leben ein.
Nur, wenn wir uns nicht verschließen,
können wir deine Kirche sein.
I: Komm, heilger Geist,…

Schenke uns von deiner Liebe,
die vertraut und die vergibt.
Alle sprechen eine Sprache,
wenn ein Mensch den andern liebt

Votum

Eingangspsalm mit Kehrvers
Alle meine Quelle entspringen in Dir

6 HERR, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.
7 Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes /
und dein Recht wie die große Tiefe.

Alle meine Quelle entspringen in Dir

HERR, du hilfst Menschen und Tieren.
8 Wie köstlich ist deine Güte, Gott,
dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!

Alle meine Quelle entspringen in Dir

9 Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses,
und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom.
10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
und in deinem Lichte sehen wir das Licht.

Alle meine Quelle entspringen in Dir

Breite deine Güte über die, die dich kennen,
und deine Gerechtigkeit über deine Frommen.

Alle meine Quelle entspringen in Dir

Kommt, lasst uns anbeten……

Gemeinsam gelesenes Gebet
Gott,
du bist da – am Abend und am Morgen
du bist da - am Tag und in der Nacht
Du bist die Antwort aller Fragen
Du bist da – am Ende aller Zeit.
Wir bitten Dich:
Sei da in Trauer und in Glück
Sei da in dunklen und in hellen Stunden
Sei da mit deiner Hand, die hält.
Amen. (nach W. Gies)

Schriftlesung Galater 3,26 und 27
Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus.
Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.
Glaubensbekenntnis

Lied: Mein Leben liegt in deiner Hand nach der Melodie 324 Nun danket all..
Mein Leben liegt in deiner Hand,
du Herr von Welt und Zeit.
Du hältst mich fest in Bund und Band
in alle Ewigkeit.

Ich bin getauft und sage Ja
Mit allem, was ich bin.
Ich weiß, du bist stets für mich da,
gibst meinem Leben Sinn.

Du bringst mir Zukunft, schenkst mir Halt;
Du lenkst mir meinen Schritt
Und deine Wahrheit wird Gestalt;
Du gehst mein Leben mit.

Du gibst dem Denken Ziel und Raum,
machst Hände frei zur Tat.
Du segnest mir Gefühl und Traum;
nimmst an dich, was ich bat.

So singe ich dir meinen Dank.
Halt meinen Glauben fest,
der mich als Mensch ein Leben lang
bei dir zu Haus sein lässt.

Ansprache
Liebe Gemeinde,
untergehen,
die ganze Last alleine tragen,
unter einer Last zusammenbrechen,
die Wellen schlagen über einem zusammen,
ein rettendes Ufer erreichen,
es gerade noch einmal schaffen,
die Kurve kriegen.
Vielleicht haben Sie so etwas schon einmal erlebt?
Im wahrsten Sinne des Wortes?
In einem übertragenen Sinne?
Oder in einem Traum, aus dem Sie schweißgebadet aufgewacht sind?
Und wie sind jetzt ihre Erinnerungen daran?
Dann kommt gleich eine Geschichte für Sie!

Als Altenseelsorger suche ich immer wieder nach anschaulichen Möglichkeiten für Gottesdienste und Ansprachen abseits der geprägten sonntäglichen Predigttexte, die für die Menschen in Senioreneinrichtungen oft nicht mehr geeignet sind. So gehe ich seit Jahren mit Gottesdienstreihen durch das Kirchenjahr. Unter anderem mit der Betrachtung der Heiligen, denn in den Seniorenheimen habe ich ja auch immer auch katholische und evangelische Gemeindeglieder im Gottesdienst.

Ich denke, auch uns, fallen einige sofort ein: Sankt Martin, Nikolaus, die Barbara mit den Barbarazweigen im Dezember, Hildegard von Bingen, um nur einige zu nennen.  Viele Heilige werden auch bei uns in der Evangelischen Kirche bedacht. Ihre Bedeutung und ihre Verehrung sind in der evangelischen oder katholischen Kirche selbstverständlich eine andere.

Gemeinsam beten wir in unzähligen Gottesdiensten das Apostolische Glaubensbekenntnis und sprechen. Ich glaube an den heiligen Geist und dann an die Gemeinschaft der Heiligen. Wer sind denn die Heiligen, die wir da so bekennen?   

Sehen wir uns ein paar Sätze aus der Frühzeit der Christenheit an. Paulus beginnt seinen Römerbrief mit der Adresse:  An alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! (1,7) und grüßt am Ende seines Römerbriefes (16,15): Grüsst Philologus und Julia, Nereus und seine Schwester und Olympas und alle Heiligen bei ihnen. Daraus wird deutlich, was auch der Petrusbrief schreibt: Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht; (1.Petr 2,9)

Die Heiligen, das ist eine Ehrenbezeichnung für die zum Glauben gekommenen in der Zeit der frühen Christen. An die Heiligen im späteren Sinn, nämlich einzelner, besonders verehrter Personen, dachte damals noch niemand. Die Gemeinschaft der Heiligen, das sind wir! – wir, die glauben, wir, die von Christus erlöst sind und die vom Heiligen Geist geführt werden. Eine Gemeinschaft, die sich seit jetzt zwei Jahrtausenden durch die Geschichte zieht und die Christen aller Zeiten miteinander verbindet. In dieser Gemeinschaft sind wir mit den Christen vergangener Jahrhunderte, ja Jahrtausende verbunden; mit ihnen stehen wir gemeinsam vor Gott. Sie bezeugen uns den Glauben in ihrer Zeit und können damit ein Licht werfen auf unsere Zeit und auf die Aufgaben, vor denen unser Glaube heute steht.

Die Heiligen im späteren Sinn, sind ja von der Kirche besonders verehrte und gefeierte Einzelne, und dazu stehen wir unterschiedlich, ob wir nun evangelisch oder katholisch sind. Aber in der Gemeinschaft der Heiligen sind wir mit Ihnen verbunden. Und ihnen kommt die Würde zu, eindrückliche Zeugen unseres Glaubens zu sein. Ihr Vorbild kann dem einem Mut geben, der anderen Trost, einem Dritten Hoffnung oder einer Vierten Gelassenheit. Je nachdem, um welchen Heiligen es handelt und welchen Blick man auf ihn wirft.

Oft können wir die Geschichten der Heiligen, die Legenden, aber auch lesen als die Geschichte eines Menschen in seiner seelischen Entwicklung oder Reifung, ja geradezu als die Geschichte einer seelischen Fragestellung und ihrer Antwort. Und gerade – aber nicht nur dort – können sich die Bewohnerinnen und Bewohner in den Geschichten mit ihrer Seele und ihren Fragen wiederfinden.

Von einigen Heiligen gibt es gesicherte historische Daten als Personen der Geschichte. Um ihre Geschichte ranken sich außerdem Legenden. Andere sind alleine durch ihre Legenden greifbar. Das Anliegen der Legenden ist es, Gottes Wirken am Menschen zu erzählen und das ist nicht an eine Geschichte oder an eine Person gebunden. Gott handelt heute, wie auch damals. Gerade die Legenden der Heiligen zeigen in Bildern, wie Gott in unser Leben eingreift. So drückt es jedenfalls Anselm Grün aus, ein vielen auch bekannter Theologe und Buchautor

Der Heilige des heutigen Tages ist der heilige Christophorus und diese Geschichte für alle, die schon einmal untergegangen sind, es gerade noch einmal geschafft haben, die oft die ganze Last alleine tragen müssen, über denen die Wellen schon einmal zusammengeschlagen sind. Ich vermute irgendwie ist jeder von uns dabei.

Von Christophorus gibt es keine historische Überlieferung, sondern nur eine überlieferte Legende. Und im Kern geht sie so, denn sie wird immer auch ein wenig anders erzählt.

Es war einmal ein sehr großer und starker Mann, so groß, dass mache schon fast Riese zu ihm sagen wollten: Er hieß Phoros. Das ist Griechisch und heißt der Träger, denn er trug schwere Waffen und hatte ihn vielen Kriegen vielen Herren gedient. Mit seinem breiten Rücken konnte er auch viel tragen und schaffen. Und weil er stark war, wollte er nur dem mächtigsten Herrscher auf Erden dienen. Und diente er schließlich einem König. Einmal ritt er mit seinem König und wurde von einem Räuberhauptmann überfallen. Da sah er, wie sich der König vor dem Räuberhauptmann fürchtete. Also musste doch dieser größer und mächtiger sein, allerdings war er auch eben böse und schlimm fast wie der Teufel selbst. Und weil Phoros nun dem Bösen und teuflischen diente, wird er manchmal auch Reprobus, der Verdammte genannte.

Nun geschah es, dass der teuflische Räuberhauptmann einmal auf seinen Zügen an einem Kreuz vorbei kam, wo ein Bild des gekreuzigten Christus daran hing. Da machte der Räuberhauptmann einen großen Bogen, weil er sich vor dem Anblick des Christus fürchtete.

Da wurde dem riesenhaften Kerl klar, wenn sich dieser vor dem bloßen Anblick des Gekreuzigten fürchtet, dann muss dieser wohl noch größer und mächtiger sein. So zog er durch die Welt und suchte, wie er diesem Christus wohl dienen könnte. Schließlich riet ihm ein frommer Einsiedler, er solle sich doch an einem großen gefährlichen Fluss niederlassen und Reisende hinübertragen, so könne er den Menschen helfen. „Sei jedermanns Diener, so wirst du gewiss Christus begegnen und den König der Könige sehen.“

Eines Tages hörte er eine feine Stimme und er erblickte einen kleinen Knaben, der ihn bat: Trag mich hinüber.

Das anfangs so leichte Kind wurde auf seinen Schultern immer schwerer, kaum kann er die Last noch tragen und in der Mitte des Flusses schließlich schienen Riese und Kind unterzugehen. Er glaubt sterben zu müssen. Mit letzter Kraft erreicht er das andere Ufer. Und als er das Kind am anderen Ufer absetzt, sagt er: „Es war mir als habe ich die ganze Welt getragen.“

Das Kind antwortete ihm: Christophorus, du hast mehr getragen als die Welt, denn du hast den Herrn der Welt getragen. Ich bin Jesus Christus.

Und als du untergetaucht bist, da habe ich dich getauft: du sollst nicht mehr Phorus, sondern Christophorus, Christopher heißen, denn du hast Christus getragen.

Und das habe zum Zeichen, dein großer hölzerner Stecken, der soll über’s Jahr wieder ausschlagen und blühen.

Soweit die Legende. Viele Reisende, Autofahrer – auch evangelische - haben eine Christophorus-Plakette dabei, um auf ihren Wegen sicher begleitet, geschützt, getragen zu werden. Wo die Verehrung des Christophorus lebendig ist, da glaubt man, dass wer am Morgen sein Bild anschaue, der komme gut über den Tag, sozusagen durch den reißenden Strom der Alltagsgeschäfte, in denen man nur allzu oft glaubt unterzugehen. Die Angst, wie soll ich das alles schaffen, beschäftigt viele Menschen, sie fühlen sich ausgebrannt, erschöpft, ausgelaugt. Ich will gar nicht davon sprechen, was die Corona-Krise hier an der ein oder anderen Stellen zusätzlich dazu getan hat. Und es hat sicher auch Situationen in Ihrem Leben gegeben, in denen es Ihnen so oder ähnlich ergangen sein mag. Auch wenn es dabei vielleicht nicht um die Arbeitsbelastung geht, so gibt es doch viele Situationen, vor denen sich fast jeder Mensch unwillkürlich die Frage stellt, wie soll ich das schaffen, wie kann ich das schaffen? Das kann ein unangenehmes Gespräch sein, das vor mir liegt, das kann ein notwendiger Krankenhausaufenthalt sein, und vieles mehr. Wie schaff ich das hundurch?

Jemand hat das Gefühl, alle legten nur ihm oder ihr die Lasten auf.
Jemand hat das Gefühl, die Wellen schlügen über ihr zusammen.
Jemand hat das Gefühl vom Strom des Lebens unweigerlich abgetrieben zu werden und das rettende Ufer zu verlieren.
Es war mir, ich müsste sterben –
und einmal werden wir sterben.

Und wenn er, Christophorus, auch drohte unterzugehen, so kommt er doch durch die Gefahren, durch den großen Fluss. Ja mehr noch, er kommt als ein anderer am anderen Ufer an. Als Phorus oder in der anderen Überlieferung, sogar der Verdammte, geht er in den Fluss und er steigt als Christusträger am anderen Ufer heraus. Christus ist als Kraft bei ihm oder in ihm. Wer Christus in sich, bei sich trägt, der kann ihn nicht verlieren.

Es liegt aber auch eine große Symbolkraft darin, dass er die Menschen von einem Ufer zum anderen bringt. Es ist ein besonderer Übergang.

Besondere Übergänge gibt es auch im Leben, wenn man sozusagen eine Schwelle überschreitet und sich neue Räume für einen öffnen. Solche Schwellen sind in unserer Lebensgeschichte wichtig. Von der Kindheit zur Jugend. Ich weiß gerade von meinen Heimbewohnern, dass dieser Übergang gerade in der Kriegszeit ganz anders erlebt wurde, als das heute zum Glück möglich ist. Von der Jugend zu Erwachsenenalter. Zur eigenen Familie, in vielen Biografien gibt es in der Lebensmitte eine Schwelle, ja eine Krise oft dazu. Der Übergang von der Arbeitswelt in den Ruhestand, das Aufgeben der eigenen Wohnung, der Einzug in ein Haus, der Auszug aus der Wohnung in ein Seniorenheim, und einmal werden wir alle die letzte Schwelle unseres Lebens überschreiten. Die Schwelle und Übergänge werden manchmal freudig erwartet, manchmal machen sie große Angst, manchmal beides gleichzeitig, wie zum Beispiel das Erwachsenwerden.

Ich glaube, jede und jeder könnte aus seiner Lebensgeschichte dazu etwas beitragen.
Für viele Übergänge gibt es in den Religionen und auch eben in unserer christlichen Kirche besondere Begleitung. Die Taufe feiert den Beginn des Lebens, die Kommunion/Firmung oder evangelisch die Konfirmation zielt auf das besondere Jugendalter ab, die Familiengründung wird in der Hochzeit gefeiert, und schließlich begleiten wir Menschen bei der Beerdigung über die Schwelle des Todes. Alle diese Handlungen wollen dazu helfen, dass wir die Angst vor den Übergangen verlieren.

Christophorus ist sozusagen der Patron der Übergänge. Die Legende zeigt uns, mit welcher Wucht uns eine Übergangssituation belasten kann, Phorus droht unterzugehen, den Übergang nicht zu schaffen, ja er glaubt sterben zu müssen, dass es mit ihm aus sei.

In vielen Situationen glauben auch wir manchmal, dass es aus sei, wir können uns jedenfalls nicht vorstellen wie es weiter gehen soll.

Da sagt die Legende auch, in jedem Übergang kommen uns Kräfte zu, das scheinbar Unmögliche zu schaffen, es sind oft Kräfte, die uns selbst bisher unbewusst waren.

Die Legende von Christophorus ist die Verheißung, dass wir nicht untergehen werden. Christus bringt uns schließlich selbst ans andere Ufer.

Im Grunde sind wir alle durch unsere Taufe schon Christusträger geworden. Daran können wir uns immer erinnern, an den kleinen und an den großen Übergängen unseres Lebens, und wenn wir wieder einmal im täglichen Chaos versinken. Amen.

Lied: Kennt ihr die Legende von Christophorus

Kennt ihr die Legende von Christophorus,
er trägt auf seinem Rücken
und muss sich dabei bücken,
ein kleines Kind, - durch die Gefahren,
durch den großen Fluss.

Kehrvers:
Euch und uns und dir und mir –
ein gutes Beispiel gibt er hier,
gibt uns der Christophorus
an dem großen Fluss.

Ich wünscht, ich hätte Hände,
wie Christophorus
und trüg auf meinem  Rücken
und müsst mich dabei bücken,
ein kleines Kind, - durch die Gefahren,
durch den großen Fluss.
Kehrvers:

Es gäbe eine Wende, o Christophorus,
wenn wir die stolzen Rücken
für Menschenkinder bücken,
dann kommen sie - durch die Gefahren
durch den großen Fluss.
Kehrvers:

Schlussgebet
Gott, dein Wort ist unsere Freude.
Wir entdecken Spuren deiner Liebe in unserem Alltag.
Wir danken Dir für Menschen, die unser Leben hell machen:
für Freundinnen und Freunde, die uns verstehen,
für Vertraute, die uns begleiten,
die da sind
durch ihr Lachen und Reden, durch ihr stilles Mittragen.
Wir danken Dir,
für Menschen, die uns im Glauben vorangegangen sind,
und die uns durch ihr Leben
ein lebendiges Zeugnis und Beispiel geben.

Wir danken Dir, dass wir in unserer Taufe Christus angezogen haben wie ein Kleid und so alle zu Christusträgern geworden sind.
Wir vertrauen darauf, dass wir von ihm und durch ihn an den kleinen und großen Übergängen durch den großen Fluss unseres Lebens getragen werden.

Und in der Gemeinschaft der Heiligen,
die vor uns gewesen sind,
und die neben uns sind, beten wir:

Vater Unser

Schlusslied: Wohl denen, die da wandeln….
Wohl denen, die da wandeln
vor Gott in Heiligkeit,
 nach seinem Worte handeln
und leben allezeit;
die recht von Herzen suchen Gott
und seine Zeugniss' halten,
sind stets bei ihm in Gnad.

Mein Herz hängt treu und feste
an dem, was dein Wort lehrt.
Herr, tu bei mir das Beste,
sonst ich zuschanden werd.
Wenn du mich leitest, treuer Gott,
so kann ich richtig laufen
den Weg deiner Gebot.

Segen

Gottesdienst am 28.06.2020 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/DbrFC4STC-A

 

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

 

Eingangsspsalm: 34 1-7
1 Von David, als er sich wahnsinnig stellte vor Abimelech und dieser ihn vertrieb und er wegging. 2 Ich will den HERRN loben allezeit; sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein. 3 Meine Seele soll sich rühmen des HERRN, dass es die Elenden hören und sich freuen. 4 Preiset mit mir den HERRN und lasst uns miteinander seinen Namen erhöhen! 5 Da ich den HERRN suchte, antwortete er mir und errettete mich aus aller meiner Furcht. 6 Die auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude, und ihr Angesicht soll nicht schamrot werden. 7 Als einer im Elend rief, hörte der HERR und half ihm aus allen seinen Nöten.

 

Gebet:
Gott, wir wollen das Leben spüren. Manchmal fehlt uns die Lebendigkeit. Dann verfallen wir in Aktionismus, versuchen alles, um ein erfülltes Leben zu haben. Aber das lässt sich nicht erzwingen. Gott, zu oft vergessen wir, dass es bei Dir Leben in Fülle gibt. Denn in Psalm 36 betet König David: Bei dir, Gott, ist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht. Lass uns in diesem Gottesdienst durch Dein Wort dieser Lebensquelle näher kommen. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt in Ewigkeit. Amen

 

Schriftlesung: (Psalm 23) nach der Basisbibel:
1 Der HERR ist mein Hirte. Mir fehlt es an nichts. 2 Die Weiden sind saftig grün. Hier lässt er mich ruhig lagern. Er leitet mich zu kühlen Wasserstellen. 3 Dort erfrischt er meine Seele. Er führt mich gerecht durchs Leben. Dafür steht er mit seinem Namen ein. 4 Und muss ich durch ein finsteres Tal, fürchte ich keine Gefahr. Denn du bist an meiner Seite! Dein Stock und dein Stab schützen und trösten mich. 5 Du deckst für mich einen Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haar mit duftendem Öl und füllst mir den Becher bis zum Rand.
6 Nichts als Liebe und Güte begleiten mich alle Tage meines Lebens. Mein Platz ist im Haus des HERRN. Dorthin werde ich zurückkehren – mein ganzes Leben lang!

 

Glaubensbekenntnis
Verbunden mit allen Christen weltweit bekennen wir unseren Glauben.
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel,
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten
und das ewige Leben. Amen.

 

Lied EG+ 145
1) Gott, du bist die Hoffnung, wo Leben verdorrt. Auf steinigem Grund, wachse in mir. Sei keimender Same, sei sicherer Ort. Treib Knospen und blühe in mir. Und ein neuer Morgen bricht auf dieser Erde an, in einem neuen Tag blühe in mir. Halte mich geborgen, fest in deiner starken Hand und segne mich. Segne mich und deine Erde.

2) Gott, du bist die Güte, wo Liebe zerbricht, in kalter Zeit atme in mir, sei zündender Funke, sei wärmendes Licht, sei Flamme und brenne in mir. Und ein neuer Morgen bricht auf dieser Erde an, in einem neuen Tag brenne in mir. Halte mich geborgen, fest in deiner starken Hand und segne mich. Segne mich und deine Erde.

3) Gott, du bist die Freude, wo Lachen erstickt, in dunkler Welt lebe in mir, sei froher Gedanke, sei tröstender Blick, sei Stimme und singe in mir. Und ein neuer Morgen bricht auf dieser Erde an, in einem neuen Tag singe in mir. Halte mich geborgen, fest in deiner starken Hand und segne mich. Segne mich und deine Erde.
 

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Seit Sonnenaufgang liegt der junge Mann gut versteckt im Gras. Schon gestern hatte er hier gelegen. Und vorgestern. Ist heute der Tag, der über sein Schicksal entscheiden würde? Würde er heute endlich erfahren, ob er endgültig die Flucht ergreifen muss? Oder kann er einfach in sein altes Leben zurückkehren? Zurück zur Normalität, so als sei nichts gewesen?

Was war da eigentlich mit ihm passiert? So richtig erklären konnte er das nicht. Er hatte seinem König gedient. Er hatte Erfolg gehabt, er war beim Volk beliebt. Zahlreiche Schlachten hatte er geschlagen und immer war er siegreich. Er hatte sich immer für den König eingesetzt. An seiner Loyalität konnte also kein Zweifel bestehen.

Doch der König hatte sich immer seltsamer verhalten. Er hatte unkontrollierte Wutausbrüche – und das konnte jeden treffen. Dann schleuderte der König seinen Spieß ohne Vorwarnung auf Menschen. Auch ihn hätte es beinahe getroffen. Mehrfach. Aber er konnte immer ausweichen. Und dann hatten Freunde angefangen, ihn zu warnen. „Der König will Dich umbringen“ haben sie ihm zugeraunt. Das war mehr, als jenes diffuse Gefühl. Aber es war auch noch keine greifbare Gefahr. Und Intrigen gab es am Hof ja mehr als genug.

So hängt der junge Mann, sein Name ist David, an diesem Morgen seinen Gedanken nach. Die Welt um ihn herum erwacht. Die Vögel beginnen zu singen. Fern im Dorf hört man einen Hahn krähen. David nimmt das alles mit wachen Sinnen auf. Das kennt er, als Soldat lag er oft da und beobachtete Feinde. Und doch ist alles anders. Seine Zukunft steht auf dem Spiel. Das Herz schlägt laut, er zwingt sich zur Ruhe. Er spürt: Ich lebe! Ich bin lebendig. Vielleicht nicht mehr lange. Wer weiß das schon. Leben ist kostbar. Und es kann sich von heute auf morgen verändern. Eben noch der Chef der Leibwache des Königs und jetzt vom Tod bedroht.

Plötzlich taucht ein Mann mit einem Jungen auf. Er macht Schießübungen. Es ist das verabredete Zeichen. David drückt sich ganz auf den Boden. Und nach wenigen Minuten hat er Gewissheit: König Saul will ihn töten.

Er hat ein Leben verloren, in dem er sich ganz gut eingerichtet hatte. Jetzt beginnt eine Zeit der Unsicherheit, ein Leben auf der Flucht. Das Leben in Höhlen und in dunklen Gassen. Ein Leben, in dem Menschen, die ihm helfen, einfach umgebracht werden. Und das alles wegen einer nicht greifbaren Bedrohung. In diesem Fall der Eifersucht König Sauls, der fürchtete, dass David ihm den Königsthron abnehmen würde.

„Das Leben spüren“. Das ist das Motto, welches uns im Rahmen einer außergewöhnlichen Thomasmesse seit einigen Wochen begleitet. Und es hat viele Facetten. Ich bin mir sicher, dass David an diesem Morgen und später auf der Flucht das Leben besonders gespürt hat. In seiner Fragilität, in all der Unsicherheit, die das Leben mit sich bringen kann. Es ist ein Aspekt des Lebens, dass es aus Höhen und Tiefen besteht. Und dass wir die Höhen besonders zu schätzen wissen, wenn wir Tiefen erlebt haben. Und ich denke, dass es bei David auch so ist. In der Bibel wird seine Lebensgeschichte als Auf und Ab berichtet. Eben noch der bejubelte General, jetzt auf der Flucht und später der König von Israel. Wenn das nicht ein Paradebeispiel von „Das Leben spüren“ ist.

An der Geschichte von König David im alten Testament beeindruckt mich immer wieder sein unerschütterliches Gottvertrauen. Die meisten der Psalmen, die wir kennen, werden König David zugeschrieben. Und sie sprechen von Verzweiflung und Angst, aber auch von großer Hoffnung. Sie sprechen vom Leben in all seinen Facetten. Und in diesem Auf und Ab des Lebens, verliert David Gott nicht aus dem Blick. Egal, was ihn gerade bewegt, er sucht die Begegnung mit dem ewigen Gott. Denn sich auf Gott einzulassen bedeutet, sich auf das Leben einzulassen. Und wir lassen uns dort auf Gott ein, wo wir die Begegnung mit ihm suchen. Wie hier im Gottesdienst. Wir lassen uns dort auf Gott ein, wo wir darauf vertrauen, dass er uns trägt und begleitet.

Wir hatten als Thomasmessenteam darum gebeten, uns Beiträge zukommen zu lassen, wo Sie das Leben besonders spüren. Und auch wir haben uns Gedanken gemacht. Einen Teil davon haben wir Ihnen schon präsentiert, auf dem Youtubekanal der Gemeinde finden Sie noch mehr kurze Clips zum Thema. Die meisten von uns spüren das Leben besonders in der Natur. Beim Wandern, beim Radfahren. Im Sonnenschein oder im Regen. Und auch das sind Gottesbegegnungen. Begegnungen mit dem Unverfügbaren, mit dem, was über uns hinaus weist.

In Zeiten der Kontaktbeschränkungen ist das Leben aber auch dort zu spüren, wo wir kontaktlose Lebenszeichen finden. In den Bildern von Regenbögen in den Fenstern oder in den bunt bemalten Steinen vor Kindergärten und Kirchen. Entstanden ist das Motto „Das Leben spüren“ schon im April, als die Einschränkungen durch Corona besonders spürbar waren. Als wir merkten, wie vermeintlich normale Dinge uns plötzlich fehlten. Freunde treffen, Essen gehen, normal zur Arbeit dürfen, in die Schule gehen und so vieles mehr. Und doch zeigten die Beispiele, dass das Leben nach wie vor spürbar ist, dass wir auch bei eingeschränkten Lebensumständen Leben spüren können.

Das Beispiel von König David macht Mut, sich auch weiterhin auf die Suche zu machen nach den Kraftquellen des Lebens. Nach den Orten, Momenten und Begegnungen, in denen das Leben besonders zu spüren ist. David hat immer wieder die Nähe Gottes gesucht, mit ihm geredet, geklagt und gelobt. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir bei ihm das Leben suchen.

In den Psalmen haben wir einen reichen, lebendigen Schatz. Vielleicht nehmen Sie sich im Sommer die Bibel zur Hand und lesen ein paar von den Psalmen. Oder das erste und zweite Buch Samuel mit der Geschichte von Saul und David. Ich bin mir sicher, Sie werden auch in diesen Texten das Leben spüren. Und Gott begegnen.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, der bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

Lied Gesangbuch 170, 1-3
1) Komm, Herr, segne uns, daß wir uns nicht trennen, sondern überall uns zu dir bekennen. Nie sind wir allein, stets sind wir die Deinen. Lachen oder Weinen wird gesegnet sein.

2) Keiner kann allein Segen sich bewahren. Weil du reichlich gibst, müssen wir nicht sparen. Segen kann gedeihn, wo wir alles teilen, schlimmen Schaden heilen, lieben und verzeihn.

3) Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden, wie du ihn versprichst uns zum Wohl auf Erden. Hilf, dass wir ihn tun, wo wir ihn erspähen -, die mit Tränen säen, werden in ihm ruhn.

 

Fürbitten
Gott, Du hast uns das Leben geschenkt. Wir sehnen uns nach Lebendigkeit, aber manchmal fühlen wir uns ausgelaugt und leer. Dann wollen wir das Leben besonders spüren. Schenke uns die kleinen und großen Orte und Begegnungen mit Dir und unseren Mitmenschen im Alltag, in denen wir erfülltes Leben spüren können.

Gott, wir bitten Dich für diejenigen, die sich besonders danach sehnen, das Leben zu spüren. Wir bitten Dich für die Kranken und die Einsamen. Für die Menschen, die zur Risikogruppe gehören und Angst haben müssen, anderen zu begegnen. Wir bitten Dich für die Überforderten. Wir bitten Dich für die Trauernden. Schenke ihnen Hoffnung und Zuversicht und ein festes Vertrauen auf Dich.

Gott, wir bitten Dich für unsere Gesellschaft. Wir machen uns Sorgen, weil Menschen unmenschlich miteinander umgehen. Wir bitten Dich für die Opfer von Rassismus, für die Ausgegrenzten und Benachteiligten. Wir bitten Dich für die Wütenden und Gewalttätigen. Wir bitten Dich für diejenigen, die Verantwortung tragen. Schenke Menschen, die besonnen sind und den Dialog suchen und schenke uns, dass wir unseren Teil dazu beitragen können.

 

Vaterunser
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

 

Segen
Mögest Du die kleinen Wegweiser des Tages nie übersehen:
Den Tau auf den Grasspitzen,
den Sonnenschein auf Deiner Tür,
das Wiederkäuen der Kuh,
das Lachen aus Kinderkehlen
der Mensch auf der Straße, der Dir ein Lächeln schenkt.
Möge Dein Tag gesegnet sein mit vielen kleinen, wundervollen Dingen.
So segne Dich der dreieinige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

 

Rückmeldungen zu diesem Gottesdienst: bartsch@ev-kirche-bn.de oder 06033 79 60 527

Gottesdienst am 21.06.2020 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/GY1cuqyXdag

Musik

Begrüßung mit Votum

Liebe Gemeinde,
ein ganz herzliches Willkommen zu unserem Gottesdienst am 2. Sonntag nach Trinitatis.
Christus spricht: Kommt her zu mir,
alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. (Mt 11,28 LUTHER 2017)

Jesus lädt uns ein. Kommt alle. Wir dürfen kommen. Wir sind willkommen. Auch wenn wir oft mit unseren Sorgen und Lasten so beladen sind, dass wir kaum an Gott denken. Auch wenn wir oft die falschen Fragen stellen. Wir alle sind eingeladen. Eingeladen auszuruhen und zu Kräften zu kommen. Einfach da zu sein so wie wir sind. Und so feiern wir unseren Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 36 EG 719
6 Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.
7 Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes / und dein Recht wie die große Tiefe.
Herr, du hilfst Menschen und Tieren.
8 Wie köstlich ist deine Güte, Gott,
dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!
9 Sie werden satt von den reichen Gütern deines Hauses,
und du tränkst sie mit Wonne wie mit einem Strom.
10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens,
und in deinem Lichte sehen wir das Licht.

Gebet
Christus spricht: kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. (Mt 11,28)
Jesus Christus, du unser Heiland und Erlöser.
In deine Nähe sehnen wir uns,
wenn das Leben uns zur Last wird,
wenn wir den täglichen Druck
nicht mehr ertragen können,
wenn wir am Ende sind
mit unserer Kraft.
Gemeinsam mit vielen
Bitten wir dich:
Erquicke unsere Seele.
Stärke unsere müden Hände
Und mache unsere wankenden Knie fest. Amen.

Schriftlesung Jes 55,1-5
551 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.
3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.
4 Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter.
5 Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des Herrn willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat. Halleluja

Glaubensbekenntnis

Musik eg+ 52 Du bist heilig

Predigt

Die Gnade und die Liebe Gottes sei mit euch allen.
Liebe Gemeinde!

An Tagen wie diesen.
Wünscht man sich, dass alles bald vorbei ist. Dass die Zeit schnell vergeht.
An diesen Tagen geht einem alles auf die Nerven. Da kommt nichts richtig an.
Ich habe alles getan. Ich habe alles gesagt. Und dann haben sie doch nichts verstanden!

An einem solchen Tag „Es war zu dieser Zeit“ (Mt 11,25 BIGS 2011), da hat Jesus wirklich alles genervt.
Wieso verstehen die Leute nichts, obwohl er doch alles ganz genau erklärt hat?
Warum hören sie nicht Gottes Wort, obwohl er’s ihnen doch auslegt?
Warum haben seine Heilungen und Wunder so geringe Wirkung?
Wieso fragt sein Vetter Johannes, der ihn doch kennt, ob er wirklich der Richtige ist?
„Bist du es, der kommen soll? Oder müssen wir auf jemand anderen warten?“ (Mt 11,3 BIGS 2011)

Blöde Frage.

Hat er vielleicht gedacht, sagt es aber nicht.
Jesus versteht: Der da fragt, Johannes der Täufer, sitzt im Gefängnis. Er ist vom Leben abgeschnitten und kann mit seinem Tod rechnen. Jesus versteht die Frage von Johannes, der seine Lebensbilanz zieht: Habe ich alles richtig gemacht? Gibt es meinen angekündigten Nachfolger?
„Bist du es, der kommen soll? Oder müssen wir auf jemand anderen warten?“ (Mt 11,3 BIGS 2011)

„Ja, bin ich, Vetter Johannes.“
„Geht und erzählt Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen, Gelähmte gehen umher, Leprakranke werden rein und taube Menschen können hören. Tote werden aufgeweckt und die Armen bringen die Freudenbotschaft. Glücklich ist, wer nicht meinetwegen Gott untreu wird.“ (Mt 11,4-6 BIGS 2011)

Jesus ärgert sich. Über die, die sich über ihn ärgern.
Manchmal kann das, was man sagt und tut, so sinnlos sein. Denn alle können es zwar sehen, aber die meisten verstehen es nicht.

Wenn er genau nachdenkt: Johannes, den sie Täufer nennen, ist es auch so gegangen. Der hat sich abgerackert, nur für Gott gelebt, auf allen Komfort verzichtet und ist ein wirklicher Prophet. Der sitzt aus königlicher Willkür im Gefängnis. Wird das vielleicht nicht überleben. Über den sagen die anderen: „Er ist von einem Dämon besessen.“ (Mt 11,18 BIGS 2011)
Und über Jesus selbst, der doch ebenfalls Gottes Willen tut, der genießt, was Gott schenkt: „Siehe, dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder!
(Mt 11,19 LUTHER 2017)

Warum sagen die einen so und die anderen so
und das eigene Glaubensleben und –tun überzeugt nicht und es geht nicht weiter?

Jesus steigert sich richtig in seinen Ärger herein. So beschreibt es das Matthäusevangelium im 11. Kapitel. Jesus beschimpft die Menschen und die Städte, in denen er tätig war. Auch da ist trotz aller Wunder und Heilungen nichts passiert. Mit solchen Leuten möchte er am liebsten gar nichts mehr zu tun haben. Manchmal findet man einfach keine Anerkennung.

Und dann...

Er weiß doch wie sie sind. Warum ärgert er sich eigentlich und verschwendet seine Kraft? Ja, seine Kraft. Die kommt von Gott. Und plötzlich richtet er sich an Gott. Gibt Antwort auf ein ungehörtes Wort.
Und beginnt zu singen. Ein Loblied. Zu dieser Zeit. An Tagen wie diesen.

Predigttext: Mt 11,25-30
25 Zu der Zeit betete Jesus: »Mein Vater, Herr über Himmel und Erde! Ich preise dich, dass du die Wahrheit über dein Reich vor den Klugen und Gebildeten verborgen und sie den Unwissenden enthüllt hast. 26 Ja, Vater, das war dein Wille, so hat es dir gefallen. 27 Mein Vater hat mir alle Macht gegeben. Nur der Vater kennt den Sohn. Und nur der Sohn kennt den Vater und jeder, dem der Sohn ihn offenbaren will. 28 Kommt alle her zu mir, die ihr euch abmüht und unter eurer Last leidet! Ich werde euch Ruhe geben. 29 Vertraut euch meiner Leitung an und lernt von mir, denn ich gehe behutsam mit euch um und sehe auf niemanden herab.[4] Wenn ihr das tut, dann findet ihr Ruhe für euer Leben. 30 Das Joch, das ich euch auflege, ist leicht, und was ich von euch verlange, ist nicht schwer zu erfüllen.«

Was ist das jetzt? Eben noch genervt und jetzt singt Jesus Loblieder?
So lässt sich das Leben besser aushalten. Im Singen und im Loben.
Und wer weiß, ob die anderen das nicht besser und lieber hören.
Ob sie Singen und Loben nicht sogar besser verstehen!
Das tröstet Jesus selbst, wenn er singen kann:

25 Zu der Zeit betete Jesus: »Mein Vater, Herr über Himmel und Erde! Ich preise dich, dass du die Wahrheit über dein Reich vor den Klugen und Gebildeten verborgen und sie den Unwissenden enthüllt hast. 26 Ja, Vater, das war dein Wille, so hat es dir gefallen. 27 Mein Vater hat mir alle Macht gegeben. Nur der Vater kennt den Sohn. Und nur der Sohn kennt den Vater und jeder, dem der Sohn ihn offenbaren will.

Das tröstet auch die anderen, oder?
Und jetzt wendet er sich ihnen freundlich und einladend zu:

28 Kommt alle her zu mir, die ihr euch abmüht und unter eurer Last leidet! Ich werde euch Ruhe geben.
Kommt alle zu mir. Ich frage nicht danach, wer ihr seid, was ihr geleistet habt.
Ihr Mühseligen und Beladenen und Belasteten: Lasst euch erfrischen. Ruht aus.
Wendet euer Denken weg von euren Sorgen und Mühen.
Ruht bei mir aus. Am frischen Wasser. In den grünen Auen.

An Tagen wie diesen. „Zu dieser Zeit.“ (Mt 11,25 BIGS 2011)

Ausruhen. Erfrischen. Das wäre schön.
Wer das kann, lässt die Sorgen, das Mühen, die Last los.
Wendet sich von sich selbst, seiner eigenen Mühe und Beladenheit ab. Ist frei!
Kann sich Jesus und Gott zuwenden. Wird wieder beweglich.
Kann auf andere sehen, statt nur auf sich selbst.
Kann auf Gott sehen und in seinem Sinne für andere da sein.

Aber dann kommt die Einschränkung: „Nehmt meine Last auf euch und lernt von mir.“ (Mt 11,29 BIGS 2011) 29 Vertraut euch meiner Leitung an und lernt von mir,

Doch eine neue Last? Eine andere: „Ich brauche keine Gewalt, und mein Herz ist nicht auf Herrschaft aus. So werdet ihr für euer Leben Ruhe finden. Denn meine Weisungen unterdrücken nicht, und meine Last ist leicht.“ (Mt 11,29-30 BIGS 2011) denn ich gehe behutsam mit euch um und sehe auf niemanden herab.[4] Wenn ihr das tut, dann findet ihr Ruhe für euer Leben. 30 Das Joch, das ich euch auflege, ist leicht, und was ich von euch verlange, ist nicht schwer zu erfüllen.«

Es ist ganz einfach. Ruhe finden für’s Leben. Könnte ganz einfach sein. Das einzige, was wir brauchen, ist Gottvertrauen. Wer Gott vertraut, wird in ihm Ruhe und Erfrischung finden.

In der Realität sieht das anders aus. Das Mühen und Beladen- und Belastetsein kommt von ganz allein. Oder?
Es kommt von außen mit Ansprüchen und Erwartungen. Mit anderen Menschen.
Beruf, Leben, Klimawandel, Corona-Pandemie, die große und kleine Politik, die Familie, die Freunde.

Es kommt von uns selbst mit Ansprüchen und Erwartungen.
Ich muss doch.
Ich muss doch mein Leben planen:
Termine setzen und einhalten, zuverlässig sein, vorbereitet sein.
Ich muss doch organisieren, durchhalten, aushalten, tragen und ertragen.

Denn ich lebe nicht allein auf der Welt, und das ist gut so.
Ich lebe mit anderen und das bedeutet, dass ich mein Leben mit dem der anderen verknüpfen muss. Das macht es leichter und schwerer.

Ich bin eine, die entscheidet, handelt und ich muss verantwortlich leben.
Und mit meiner und der Lebensplanung anderer kommen die Sorgen,
die kleinen und die großen:
Werden wir rechtzeitig zum Arzttermin da sein, obwohl der Bus Verspätung hat?
Wird die Rente reichen? Werde ich von meiner schweren Erkrankung geheilt?
Werden die Kinder noch für uns da sein, wenn sie weiter wegziehen?
Wer wird mir beim Einkaufen helfen, wenn ich nicht mehr kann?
Tue ich wirklich alles, was ich kann?
Was geschieht mit der Welt, wenn sich das Klima wandelt?
Werden die Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft für die Menschen da sein?

Sorgen und Mühen und Lasten treiben uns um und halten uns fest. Sie lenken den Blick in eine Richtung, schränken das Gesichts- und Handlungsfeld ein, fesseln und lähmen.

So wird oft genug, auch von mir selbst, beklagt, dass ich das Eigentliche aus den Augen verliere. Das, was mich ausmacht, was Gott mir schenkt. Und auch der Mensch neben mir ist oft nicht mehr in meinem Blickfeld. Und Gott... Der ist da... Aber ich denke nicht an ihn.

„Zu dieser Zeit.“ (Mt 11, 25 BIGS 2011) An Tagen wir diesen höre ich das Wort: „So kommt doch alle zu mir, die ihr euch abmüht und belastet seid: Ich will euch ausruhen lassen.“ (Mt 11,18 BIGS 2011)

Es gibt Menschen, die leben so.
Die sind fröhlich und spontan. Genießen das Leben. Denen geht alles leicht von der Hand.
Die verlassen sich auf das, was kommt, auf Gott. Und sind trotzdem ganz sicher.
Die legen ihr Leben in Gottes Hand.
Sie lassen es sich nicht von äußeren Gegebenheiten,
von anderen Menschen und sogenannten Sachzwängen aus der Hand nehmen.
Die wissen, was sie wollen, haben feste Vorstellungen von dem, was sie tun und erleben wollen.

„So kommt doch alle zu mir, die ihr euch abmüht und belastet seid: Ich will euch ausruhen lassen.“ (Mt 11,18 BIGS 2011)

Vielleicht geht das ja doch.
Ich darf das auch. Wir dürfen das.
Uns einladen lassen und ausruhen. Die Lasten ablegen und frei werden.

„Zu dieser Zeit“ (Mt 11,25 BIGS 2011), an Tagen wie diesen, wird es dann doch gut.
Und das Herz wird weit und singt Gott ein Loblied. Amen

Musik

Fürbitte
Du lädst uns ein, (...) Gott.
Bei dir haben wir das Leben in Fülle.
Bei dir enden die Sorgen.
Bei dir ist die Angst vorbei.
Du gibst und alle Welt atmet auf.
Wir bitten dich:
Höre unser Gebet.

Du lädst die Durstigen ein.
Du lädst die Hungrigen ein.
Bei dir haben sie Hoffnung
auf Wasser, Brot, Milch und Honig.
Bei dir haben sie Hoffnung auf Gerechtigkeit.
Gib ihrer Hoffnung Kraft
und erfülle sie,
damit die Hungrigen und Durstigen satt werden,
damit es gerecht in der Welt zugeht.
Wir bitten dich:
Höre unser Gebet.

Du lädst die Fragenden ein.
Du lädst die Suchenden ein.
Bei dir finden sie Antworten.
Bei dir finden sie ihren Weg.
Antworte ihrem Fragen und Suchen,
damit dein Wille sichtbar wird,
damit die Mächtigen umkehren,
damit die Klugen umkehren,
damit wir alle zu dir umkehren.
Wir bitten dich:
Höre unser Gebet.

Du lädst die Liebenden ein.
DU bist das Glück. Segne die Liebe.
Du lädst die Traurigen ein.
Wir bitten dich heute besonders für die MEnschen, die in der vergangenen Woche unter deiner Zusage beerdigt wurde, dass du niemanden verlorengehen lässt. Nicht im Leben und nicht im Tod. Wir zünden eine Kerze für sie an. Wir vertrauen dir unsere Verstorbenen an und bitten dich für ihre Familien: Tröste sie. Lindere ihren Schmerz. Stelle ihnen Menschen an die Seite, die für sie da sind und ihnen neue Wege ins Leben gehen.
Du lädst alle Welt ein.
Du lädst deine Kirche ein.
Du gibst Frieden.
Du gibst Einheit.
Schütze die Verfolgten,
rette die Ertrinkenden,
verteidige ihre Retter.
Ermutige unsere Kinder,
damit ihr Protest gehört wird.
Mache uns zu Boten des Friedens.
Wir bitten dich:
Höre unser Gebet.

Vaterunser
Abkündigungen
Segen
Musik

Gottesdienst am 14.6.2020 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=_6T9HfskGno

Begrüßung

Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst, den wir hier in der Dankeskirche digital mit Ihnen und mit Euch feiern! Kritiker sagen, es sei manchmal zu behaglich in den Gottesdiensten der Kirchen. Oder es gehe nur darum, sich wohl zu fühlen.

Heute hören wir, dass die Nachfolge Jesu bedeutet, sich auch hinterfragen zu lassen, von alten Selbstverständlichkeiten Abschied zu nehmen und neue Prioritäten im Leben zu setzen. Der Wochenspruch aus dem 10. Kapitel des Lukasevangeliums passt dazu. In ihm sagt Jesus zu seinen Jüngern und Jüngerinnen: „Wer euch hört, der hört mich. Und wer euch verachtet, der verachtet mich und den, der mich gesandt hat.“

Lasst uns nun den Gottesdienst feiern im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.

Psalm 133 Ein Wallfahrtslied von David

Seht, wie gut und wie schön ist es, wenn Schwestern und Brüder im Frieden zusammenleben!

Das ist so wohltuend wie das duftende Öl, mit dem Aaron, der Priester, gesalbt wurde, und das von seinem Kopf herunterrann in seinen Bart, bis hin zum Halssaum seines Gewandes.

Das ist so wohltuend wie frischer Tau, der vom Hermon niederfällt auf die Berge Zions.

Ja, dort schenkt der Ewige seinen Segen: Leben bis in Ewigkeit.

Gebet

Du, mein Gott, ich habe mich aufgemacht an diesem Morgen. Hier bin ich nun: mit meinem Glauben, mit meinen Fragen, mit meinen Zweifeln, mit meiner Unsicherheit, aber auch mit meiner Freude. Ich vertraue darauf, dass du mich hörst! Zeige mir, Gott, was gut ist und was wichtig ist für mein Leben. Amen.

EG 449,1.4 Die güldne Sonne

Ansprache

Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde, im Fernsehen gab es eine Dokumentation, die begann so: wir sehen eine Frau, die mit einer zweiten Frau im Schlafzimmer vor dem Kleiderschrank steht. Die beiden nehmen Kleider und Blusen samt den Kleiderbügeln aus dem Schrank und legen sie aufs Bett. Dabei fragt die eine Frau die andere, wie oft sie die Sachen getragen hat und ob sie noch passen – und wir verstehen langsam, dass es sich hier um eine Kleiderschrank – Beratung handelt. Am Ende dieser Aktion ist der Schrank deutlich leerer, aber auch übersichtlicher als am Anfang. Die Beraterin erzählt, dass es viele Menschen gibt, die nicht mehr wissen, was sie mit der Fülle ihrer Kleidung oder ihrer Bücher oder ihres sonstigen Krams machen sollen und daran zu ersticken drohen. Jedenfalls beschäftigt das Problem überfüllter Wohnungen inzwischen eine ganze Berufsgruppe von professionellen Beratern. Und hinter dem großen Wunsch, den Schrank und die Wohnung aufzuräumen, steht mit Sicherheit das Bedürfnis, das Leben selbst aufzuräumen. Nicht mehr von all dem Überflüssigen gefangen zu sein.

Das Maßlose, der totale Überfluss ist ein Problem unserer heutigen Zeit. Und wir zahlen dafür einen hohen Preis – dies zeigt sich an all dem Plastikschrott und an den Müllbergen, die in unseren Tagen produziert werden.

Wie ist das eigentlich mit alledem, was wir besitzen? Wie wichtig soll uns das eigentlich sein? Und wieviel Zeit und Aufmerksamkeit wollen wir all dem geben? Ich glaube, wir ahnen es, dass unser Besitz uns regelrecht in Besitz nehmen kann. Wir ahnen, dass er für uns zu einem Götzen werden kann, der uns fest im Griff hat. Und dass es wichtig ist, acht zu geben und etwas dafür zu tun, dass das nicht geschieht.

Auch die ersten Christinnen und Christen stellten sich schon vor 2000 Jahren diese eine Frage: was ist im Leben wirklich wichtig? Wofür will ich leben? Und was sind meine Prioritäten? Folgendes wird uns dazu aus dem 4. Kapitel der Apostelgeschichte berichtet:

Die Menge der Menschen, die zum Glauben gekommen waren, war ein Herz und eine Seele. Niemand sagte von seinen Gütern, dass es Privateigentum sei, sondern sie teilten alles, was sie hatten.

Mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Auferstehung Jesu, des Herrn. Und alle erlebten Gottes große Güte. Es litt auch niemand Mangel unter ihnen. Alle nämlich, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften sie, brachten die Verkaufserlöse herbei und legten sie den Aposteln zu Füßen. Es wurde einzeln zugeteilt.

Auch Josef, ein Levit aus Zypern, gehörte zu ihnen. Die Apostel nannten ihn Barnabas, das heißt übersetzt „der andere tröstet“. Er verkaufte seinen Acker und überreichte das Geld den Aposteln.

Den „Liebeskommunismus der Urgemeinde“ hat man das genannt, was hier beschrieben wird. Eine „ideale Gemeinschaft“, sogar ein „Vorgriff auf das Reich Gottes hier auf Erden“.  Aber vielleicht ist es wichtig, genauer hinzuschauen. Die Christen der ersten Gemeinde wurden zusammengeschlossen und verbunden durch ihren gemeinsamen Glauben. Sie hatten den Sinn ihres Lebens gefunden: sie vertrauten darauf, dass Jesus Christus ihrem Leben die richtige Richtung gab. Dass er lebte und bei ihnen war, ihnen die nötige Kraft für ihren Alltag gab und sie durch seine Liebe zu einer Gemeinschaft machte. Sie hatten das Zentrum ihres Lebens entdeckt!

Und von diesem neuen Blickwinkel her konnten sie nun klar unterscheiden, was wirklich wichtig war – und was nicht. Besitz, so stellten sie fest, liegt irgendwo dazwischen, zwischen wichtig und unwichtig. Besitz ist nicht unwichtig. Keineswegs. Wer das Nötigste nicht hat, der muss die ganze Zeit nur darüber nachdenken, wie er sich den Lebensunterhalt sichern kann. So kann man nicht leben. So diesseits der Armutsgrenze.

Auf der anderen Seite tut ein Zuviel von allem auch nicht gut. Wer zu viel besitzt, braucht immer größere und extravagantere Dinge, um ein Glücksgefühl zu empfinden und um sich noch freuen zu können. Nicht umsonst nennt man die Kaufsucht schließlich eine Sucht.

Die frühen Christen wussten, dass der Besitz zwei Seiten hat; dass er einerseits nötig ist und andererseits die Seelen besetzen kann, auch die soziale Gemeinschaft zerstören kann. Sie wussten, dass Besitz zum „Mammon“ werden kann. Deshalb versuchten sie, so zu leben, dass diese Gefahr ihre Gemeinschaft, ihr Zusammenleben nicht beherrschen konnte. Im Predigttext wird von einem Mann erzählt, der einen Acker verkaufte: „Josef, den sie Barnabas nannten, verkaufte seinen Acker und überreichte das Geld den Aposteln.“ Josef tat hier etwas, was öfter von den Christen der Urgemeinde erzählt wird: er verkaufte das Land, das Grundstück, das er anscheinend nicht brauchte. Häuser dagegen wurden weniger verkauft, denn sie wurden benötigt: zum Wohnen und zum Leben. Und sie waren Treffpunkte der Gemeinde! Da fand man zusammen – zum Beten, um das Abendmahl zu feiern und um gemeinsam zu essen. Häuser waren wichtige Orte, um sich zu treffen. Daran kann man erkennen, wie die Urgemeinde mit dem Besitz umging: das, was zum Leben gebraucht wird und das, was der Gemeinschaft dient, das wird behalten. Der Besitz hat den Sinn, die Grundbedürfnisse zu sichern und vor allem auch, um gastfreundlich zu sein. Was darüber hinaus überflüssig ist, wird der Gemeinschaft gespendet. So leben die Christen der Urgemeinde elementare Solidarität.

Mit diesem Verhalten des urchristlichen Teilens wurde durch die Kirchengeschichte hindurch oft ein moralischer Druck ausgeübt: so musst du es auch machen! Sonst bist du kein guter Christ!

Aber mit einer guten Portion Nüchternheit und Distanz können wir sehen, dass es freiwillige Gaben waren, die den Aposteln gebracht wurden. Niemand wurde zu etwas gezwungen. Es war ja damals eine Gesellschaft, die weder eine Sozial- noch eine Rentenversicherung kannte, die nichts von einer Grundsicherung wusste. Und da erbarmten sich die wohlhabenderen Mitglieder der Armen und Bedürftigen. Mit dem Ziel, dass niemand Mangel leiden sollte. Alle sollten auf diesem Wege die Möglichkeit haben, Gottes große Güte zu erfahren.

Ich glaube, trotz aller historischen Distanz zur Situation damals geben uns die ersten Christen für unsere Zeit heute etwas Wichtiges zum Nachdenken auf. Und das heißt: Mach dir bewusst, was du für dein Leben brauchst. Du und deine Kinder. Und darüber hinaus sieh dein Eigentum auch als etwas an, womit du anderen helfen kannst. Unser Grundgesetz spricht hier von der Sozialverpflichtung des Eigentums. Ganz bestimmt ist zwischen uns und den Superreichen dieser Welt eine unendliche Distanz. Aber würden alle Menschen in unserer Welt sich an der Haltung der Urchristen orientieren, dann würden nicht einige Wenige genauso viel besitzen wie die Hälfte der Menschheit.

In dieser Zeit werden die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie erst langsam deutlich. Und wir ahnen, wie entscheidend es sein wird, dass wir in unserer Gesellschaft eine soziale und solidarische Haltung bewahren: gegenüber denen, auf deren Schildern steht „Nudeln und Ketchup kosten auch Geld“, gegenüber den Studenten, den Soloselbständigen, den Geflüchteten und denen, die am Rande stehen. Und wir benötigen einen Kraftakt der internationalen Solidarität mit den Menschen z.B. in Indien und in Afrika, die drohen, eher am Hunger zugrunde zu gehen als am Virus. Es ist gut und ich bin in diesem Zusammenhang froh, dass unser Dekanat hier in der Wetterau konkret die Lebensmittelversorgung für die Daliths in unserer Partnerdiözese Amritsar unterstützt und dafür Spenden sammelt.

Solidarität, Mitgefühl und Hoffnung solle künftig das Zusammenleben bestimmen, so hat die Bestsellerautorin Isabel Allende es kürzlich gesagt und es sich gewünscht. Dies seien die wichtigen Lehren aus der Pandemie. Ob uns das gelingt? Die Chancen dazu sind da.

So wie die frühen Christinnen und Christen, so können auch wir unser Vertrauen auf Gott setzen und von daher fragen, was wir benötigen, was für unsere Seele gut ist, und was wir weitergeben können, so dass es Anderen gut tut.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne im Messias Jesus. Amen.

EG 632,1.3.4 Wenn das Brot, das wir teilen

Fürbitten

Du, unser Gott, bist die Schöpferkraft. Unaufhörlich bringst du Leben hervor. In dir, Gott, liegt die Fülle des Lebens. Hilf uns, diese Fülle auch in unserem Leben zu entdecken. Wir alle sind beschenkte Menschen. Wir haben Grund genug, dir zu danken. Lass uns nicht verzweifeln an dem, was wir nicht haben oder nicht können. Lenke unsere Aufmerksamkeit auf das, was uns möglich ist. Und lenke unsere Aufmerksamkeit auf das, was wirklich wichtig ist in unserem Leben.

Wir bitten dich heute für alle, die nicht satt werden, obwohl sie genug haben: öffne ihre Augen für den Reichtum, den du ihnen schenkst.

Wir bitten dich für alle, die wirklich nicht satt werden, weil das ungerechte Weltwirtschaftssystem sie gnadenlos benachteiligt. Stärke du ihnen den Rücken und schaffe ihnen Gerechtigkeit.

Wir bitten dich für alle, die Diskriminierung und Rassismus am eigenen Leib erfahren. Schaffe ihnen Recht und verändere die Herzen derer, unter denen sie leiden.

Wir bitten dich für alle, die Zeit und Ruhe brauchen, um wieder zu sich selbst zu finden. Für die Frauen und Männer, die durch zu viele Pflichten belastet sind, für die, die an ihrem Arbeitsplatz überfordert sind und für alle, die mit ihren Kräften am Ende sind. Schenke ihnen Zeiten, um still zu werden und um aufzuatmen.

Wir bitten dich für unsere Gemeinde: lass uns nicht auf das starren, was wir in dieser Ausnahmezeit nicht leisten können. Sei du selbst unser Reichtum und zeige uns neue Wege. Lass uns Gemeinschaft erfahren, so verschieden wir auch sind.

Und wir bitten dich von Herzen für die Menschen, die krank sind: sei du ihnen nahe und schenke ihnen Heilung, wo immer es möglich ist.

Und in der Stille sagen wir Dir, was uns noch wichtig ist:…..

Vaterunser

Segen

Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Gottesdienst am 7.6.2020 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/galZRsuSWmM

Auf dem GD Blatt sehen Sie ein überraschendes Fresko. Es befindet sich in der St.-Jakobus-Kirche im oberbayerischen Ort Urschalling am Chiemsee. Nebenan liegt ein uralter Gasthof mit Biergarten. Das Fresko ist Teil einer figurenreichen Wand- und Deckenbemalung aus dem 14. Jahrhundert , zu der ua auch ein Trommler gehört.
Dargestellt ist die heilige Dreifaltigkeit – nach christlicher Lehre der eine Gott in drei Personen. Die Dreiheit zeigt sich in drei Gesichtern und drei Oberkörpern. Nach unten zu, wo sich die Gewölberippen treffen, verschmelzen jedoch die drei Körper zu einem einzigen; die beiden Obergewänder und die drei Untergewänder der Gestalten vereinen sich zu einem einzigen Gewand. Die Gesamtgruppe hat nur zwei Arme. Die drei Heiligenscheine, die die Köpfe umgeben, sind nicht gegeneinander abgegrenzt und werden durch die drei Balken eines einzigen Kreuznimbus verklammert.
Umstritten ist die Deutung der mittleren Gestalt. Zwischen dem weißbärtigen Greis zur Rechten (also  Gott der Vater) und dem braunbärtigen Mann zur Linken (Gott der Sohn), die sich jeweils zur Mitte wenden, ist als  Heiliger Geistes ein rundes und bartloses Gesicht mit langem hellbraunem Haar zu sehen. Es schaut uns direkt an. Das weiße Obergewand bedeckt diese Gestalt nicht. Das dunklere Untergewand, ist unterhalb der Brust in Falten gerafft.
Umstritten ist, ob es sich bei dieser Gestalt um eine Frau handelt oder, um einen sehr jungen Mann. Die neuere kunstgeschichtliche Forschung neigt zur letzteren Deutung. Sie spricht vom klassischen Greis-Mann-Jüngling-Schema.
Ich bin schon lange fasziniert von den weiblichen Zügen dieser Gestalt. Ich sehe darin einen Hinweis auf die weibliche Seite Gottes und auf die alttestamentliche Rede vom Gottesgeist (hebr. ruach ist  Feminin). Auch an Maria wird gedacht. Andere Deuter sind zumindest überzeugt, dass eine uralte, auch christliche, Glaubens-Einsicht in dem Bild enthalten ist: die göttliche Liebe in Person.

Natürlich hat Gott keinen Sohn, wie wir uns Nachkommenschaft vorstellen, und auch keinen Geist, der mit unserem Geist vergleichbar ist. Gott „der Vater“ – das meint: Ich weiß, dass ich mein Leben nicht mir selbst verdanke. Gott „der Sohn“ – das meint: im Blick auf das Leben und Sterben und die lebendige Gegenwart Jesu aus Nazareth kann ich zuversichtlich sein. Der „heilige Geist“: Ich weiß, dass mein Geist und meine Energie nicht ausreichen, sondern dass ich auf eine Kraft angewiesen bin, die mich inspiriert und voranbringt.
Unsere christliche Vorstellung vom Gott in drei Personen ist ein sehr dynamisches Konzept. Die Trinitätslehre ist ein irdisches, theologisches Produkt. Aber sie birgt eine Botschaft, ein Angebot. Glaubende können „Gott den Vater, den Sohn und den heiligen Geist“ erfassen im Symbol der Dreieinheit: als ein unvorstellbares, Zeit und Raum überschreitendes Aggregat von Energien, die miteinander in Austausch stehen, in liebevoller Kommunikation einander ergänzen und gerade damit ihre Einheit vollziehen. Als ein Kommunikationsgeschehen, in das Gott die von ihm geschaffene Welt, uns Menschen alle, hineinziehen will.

Und dieser dynamische Gott ist ein Gott des Lebens. Ein Leben schaffender Gott, das wissen wir nicht erst seit Ostern; das empfinden wir ganz besonders jetzt im frühen Sommer. Und das brauchen wir ganz besonders jetzt, in den unsicheren Zeiten von Corona. Das Leben spüren.
Das taten schon die Menschen der Bibel: wenn sie vom Überschwang ihrer Gefühle überwältigt wurden: im Hohelied oder bei David im Palast; im Zorn mancher Propheten und der Lebenslust auf der Hochzeit zu Kana; in der Angst des Petrus und der Freude am Miteinander. Das ist nicht irgendwie verboten, sondern es ist erwünscht – so wie Gott sich nach der Vorstellung der Bibel am siebten Tag seiner Schöpfung erfreute.
Jetzt, wo der Sommer beginnt, wo wir uns so sehr nach dem Leben sehnen – da möchten wir Sie dazu einladen, sich auch selbst auf die Suche zu machen: was sind meine Lebensquellen, wann und wo fühle ich mich lebendig; wo kann ich das Leben spüren. Wir haben uns dazu Gedanken gemacht und möchten Sie Ihnen gleich vorstellen …

Begrüßung
Herzlich willkommen zu unserem ersten Gottesdienst im Sommermonat Juni, am Sonntag Trinitatis. Es ist der Sonntag der Dreieinigkeit Gottes – unser Gott ist drei in eins. Das feiern wir heute besonders, auch wenn wir ja in jedem Gottesdienst gleich zu Beginn daran denken.
Dieser lebendige und dynamische Gott segnet unser Leben.
„Das Leben spüren“ – das ist das Thema, mit dem wir uns im ThomasMesseTeam beschäftigt haben. Teile unserer Ideen wollen wir Ihnen heute vorstellen und uns in 14 Tagen und dann noch einmal nach den Sommerferien wieder damit beschäftigen.

Votum

Aus Psalm 145 EG W 756
Ich will dich erheben, mein Gott, du König,
und deinen Namen loben immer und ewiglich.
Der Herr ist groß und sehr zu loben,
und seine Größe ist unausforschlich.
Kindeskinder werden deine Werke preisen
und deine gewaltigen Taten verkündigen.
Gnädig und barmherzig ist der Herr,
geduldig und von großer Güte.
Dein Reich ist ein ewiges Reich,
und deine Herrschaft währet für und für.
Der Herr ist getreu in all seinen Worten
und gnädig in allen seinen Werken.
Der Herr hält alle, die da fallen,
und richtet alle auf, die niedergeschlagen sind.
Aller Augen warten auf dich,
und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.
Du tust deine Hand auf
und sättigst alles, was lebt, nach deinem Wohlgefallen.
Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen,
allen, die ihn ernstlich anrufen.
Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren,
und hört ihr Schreien und hilft ihnen.
 
Gebet
Gott, wenn wir einen Wunsch frei hätten,
was wäre es dann heute?
Welche Sehnsucht treibt uns um, wonach strecken wir uns aus.
Gesundheit und Freude. Lebenslust und Glück. Liebe und Geborgenheit.
So vieles wünschen wir uns noch für unser Leben Herr. Erfüllte Zeit.
Für unsere Nächsten und für unsere Welt.
Wenn ich nur einen Wunsch haben dürfte
Dann wünsche ich mir deinen Segen.
Dein leuchtendes Angesicht auf unserem Leben – wie das einer liebevollen Mutter und eines stolzen Vaters – der mich leben lässt und sich an meinem Leben freut.
Durch JX unseren Herrn. Amen

Fürbitte
Gott, du bist die Quelle des Lebens.
Wir bitten dich für die bedrohte Welt.
Wir danken dir für alle, die sich für die Natur einsetzen.
Vergib uns, wo wir auf Kosten anderer leben.
Oft wissen wir es noch nicht einmal.
Bewahre und behüte deine gute Schöpfung.

Jesus, du bist das Licht der Welt,
wir bitten dich für Menschen,
die in dunklen Zeiten deine Nähe suchen.
Wir danken dir für alle, die für Gerechtigkeit kämpfen.
Sei Hilfe und Kraft, die Frieden schafft.
Sei in uns, uns zu erlösen.

Heiliger Geist, Atem des Lebens,
Wir bitten dích für die Ängstlichen und Traurigen
Und die in ihrer Seele müde gewordenen.
Wir danken dir für Lebenskraft und Lebensmut,
für Impulse und Bauchgefühle, für Fantasie und Schaffenskraft.
Sei mit uns auf unseren Wegen,
sei um uns mit deinem Segen.

Gottesdienst Pfingstmontag 2020 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/xiX4Am-om0I

Musik zum Eingang

Begrüßung

Liebe Gemeinde,

wir feiern Pfingsten. Das Fest des Heiligen Geistes. Wie können wir das verstehen? Welche Bedeutung kann das für uns haben? Die Jünger waren gerade noch mutlos gewesen. Fühlten sich wie ein Baum, der umgehauen, von seinen Wurzeln abgeschlagen worden ist. Da überkommt sie eine große Kraft. Wie ein Sturmwind. Bewegt vom Heiligen Geist könne sie ihre Wurzeln wieder spüren und etwas Neues wächst in ihnen. Pfingsten lädt dazu ein darüber nachzudenken: Wo sind meine Wurzeln? Wo kann ich Kraft schöpfen? Wo kann Neues wachsen?

Votum

Wir feiern Pfingsten. wir feiern das Leben, wir feiern den Heiligen Geist gegen Atemlosigkeit, gegen Hilflosigkeit, gegen Sprachlosigkeit. Wir feiern den Geist Gottes als Durchbruch zum Leben. Wir feiern im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Worte nach Psalm 1

Wer falsche Ratgeber durchschaut, wer sich von schlechten Vorbildern nicht verleiten lässt, der ist gut dran.

Wer sich nicht zu denen hält. Die gedankenlos über Gott reden und spöttisch über die Menschen, die glauben, der ist gut dran.

Wer zu begreifen sucht, was er glaubt, wer über Gottes Wort nachdenkt Tag für Tag, der ist gut dran.

Der ist wie ein gesunder Baum, gepflanzt an Wasserbächen. Seine Wurzeln reichen tief in die Erde. Jahr für Jahr trägt er Frucht. Sein Laub bleibt grün und frisch.

Eingangsgebet

Guter Gott, häufig fühlen wir uns nicht als gute Bäume. Wir denken zu wenig über dich und dein Wort nach und dafür zu viel an uns selbst. Wir haben zu wenig Standfestigkeit, wenn es darum geht, das Richtige zu tun. Wir wehen mit dem Wind und lassen uns leicht umpusten. Aber du gibst uns nicht auf. Du brichst den geknickte Ast nicht ab. Du verleihst unseren Wurzeln Standfestigkeit. Du gibst Du gibst uns immer wieder eine neue Chance zu wachsen. Dafür danken wir dir und wir bitten dich: Sei du mit deinem Heiligen Geist mitten unter uns, rühre uns an, bewege uns und begeistere uns. Amen.

Schriftlesung Jesaja 11,1-2

1 Was von Davids[1] Königshaus noch übrig bleibt, gleicht einem abgehauenen Baumstumpf. Doch er wird zu neuem Leben erwachen: Ein junger Trieb sprießt aus seinen Wurzeln hervor. 2 Der Geist des HERRN wird auf ihm ruhen, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Erkenntnis und der Ehrfurcht vor dem HERRN.

EG 134,1.2

Predigt

Kennen Sie das auch? Den Wunsch oder Verpflichtung ganz hoch hinaus zu müssen? Erfolgreicher und besser zu sein als alle anderen? Wachstum um jeden Preis? Das gibt es im Großen, in der Wirtschaft und in der Politik. Das gibt es aber auch im Kleinen. Im Beruf, im Bekanntenkreis, in der Schule, in der Kirchengemeinde. Und wenn wir ganz ehrlich sind, dann gibt es das manchmal auch bei uns selbst. Da sind diese Stimmen. Sie kommen von außen, von Menschen, die wir kennen und aus den Medien. Und diese Stimmen kommen auch von innen.

Diese Stimmen sagen uns:

Du musst klüger sein als alle anderen. Lerne viel, informiere dich, damit du den anderen immer einen Schritt voraus bist. – Xylophon

Du musst gerissener sein, damit sich immer alles zu deinem Vorteil entwickelt. – Xylophon

Du musst schöner sein, bloß kein Gramm zu viel. Mache Sport, mach Diäten. Nur die Gutaussehenden und fitten sind erfolgreich. – Xylophon

Du musst stärker sein. Bloß keine Schwäche zeigen. Du musst dich durchsetzen können. – Xylophon

Du musst reicher sein, mehr haben. Daran misst man Erfolg. – Xylophon

Du musst mächtiger sein, du musst bestimmen, wo es lang geht und die anderen ausbooten. – Xylophon

Wachse! Schneller! Besser! Höher! Weiter! Wachse!

Und dann bricht alles zusammen – Xylophon

Stille

Das kann passieren. Wir haben das schon erlebt. Menschen können unter diesem Druck zusammenbrechen. Ganze Volkswirtschaften können zusammenbrechen. Das ist wie bei einem Baum, der ganz schnell in die Höhe wächst, aber dadurch zu dünn ist und dessen Wurzeln nicht tief genug reichen. Er kann durch den kleinsten Sturm zusammenbrechen und man hat ihn leicht gefällt. Von so einem Baum, sogar von einem ganzen Wald haben wir eben gehört. Der Prophet Jesaja spricht von solch einem Bau. Der Baum wird umgehauen. Der Baum wird umgehauen. Aber ist er damit auch tot? Es sieht auf den ersten Blick so aus. Aber es ist nicht so. Denn seine Wurzeln sind noch da.

Wenn alles zusammenbricht und scheinbar nichts mehr geht, dann kann es passieren, dass man zur Ruhe kommt und sich auf seine Wurzeln besinnt. Ich möchte Sie einladen, dem einmal nachzuspüren. Stellen Sie Ihre Füße schulterbreit auf den Boden, als wären sie dort festgewachsen. Wenn Ihnen das im Stehen leichter fällt, sind Sie eingeladen, dazu aufzustehen. Spüren Sie den Boden unter sich. Stellen Sie sich vor, dass unter Ihren Füßen Wurzeln wachsen. Spüren Sie den Wurzeln nach. Was trägt Sie? Viele Wurzeln führen in die Vergangenheit. Wo sind Sie verwurzelt? In Ihrer Familie? Welche Werte sind Ihnen wichtig? Sind Sie im Glauben verwurzelt? In einer kurzen Stille sind Sie eingeladen, dem nachzuspüren.

Da, wo alles am Boden liegt, aber die Wurzeln noch da sind, kann Neues wachsen. Der Prophet Jesaja hat es so formuliert: „Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.“ Obwohl Jesaja viele Jahre vor Jesus gelebt hat, könnte man denken, dass er hier schon auf ihn hinweist. Jesus selbst ist so eine Pflanze, die aus Wurzeln des Volkes Israel geboren ist. Auf ihm ruht der Heilige Geist – die lebensspendende Geistkraft Gottes, die schon von Anbeginn der Zeiten da war. Und durch ihn wird die Geistkraft Gottes weitergegeben. Jesus selbst hat das seinen Freunden versprochen. „Ihr werdet die Geistkraft Gottes geschenkt bekommen“, hat er gesagt, „auch wenn ich körperlich nicht mehr da bin, die Geistkraft Gottes kommt zu euch. Sie ist wie ein frischer Wind, sie richtet euch auf, wenn ihr am Boden liegt. Sie schenkt euch die ganze Fülle des Lebens.“ Diese Zusage von Jesus gilt nicht nur seinen Freunden vor 2000 Jahren. Sie gilt für immer, auch für uns. Gerade, wenn nach einem großen Zusammenbruch etwas Neues wächst, gilt die Zusage von Jesus. Jesaja hat aufgeschrieben, was die Geistkraft Gottes alles schenkt:

Wenn zaghaft Neuen in uns wächst, schenkt sie uns Weisheit. Wir dürfen uns rückbesinnen auf das, was schon unsere Eltern und Großeltern gewusst haben. Wir dürfen uns darauf verlassen, was wir gelernt haben.

Wenn zaghaft etwas Neues in uns wächst, Schenkt sie uns Einsicht und Verstand. Wir müssen nicht alles so hinnehmen wie es ist. Wort dürfen klug handeln, kritisch hinterfragen, weiterdenken, Neues entwickeln und zulassen.

Wenn zaghaft Neues in uns wächst, schenkt sie Rat. Wenn wir nicht weiter wissen, dürfen wir uns im Gebet an Gott wenden. Wir dürfen darauf hoffen, dass uns weitergeholfen wird und manchmal passiert es, dass Probleme eine ganz unerwartete Wendung bekommen, dass ein völlig anderer neuer Weg sich auftut. Das ist dann wie ein Wunder.

Wenn zaghaft etwas Neues in uns wächst, schenkt uns die Geistkraft Gottes Stärke und Kraft. Wir dürfen die Herausforderungen des Alltags annehmen in der Gewissheit, dass Gott uns so viel Kraft gibt, wie wir brauchen. Wir können mutig sein und zu uns selbst und zu unserem Glauben stehen. Wir brauchen keine Angst zu haben.

Wenn zaghaft etwas Neues in uns wächst, schenkt uns die Geistkraft Gottes uns Wissen und Erkenntnis. Wir dürfen forschen und entdecken, wie Gottes gute Schöpfung funktioniert. Wir dürfen zweifeln und verwerfen und neu entdecken, denn glauben bedeutet nicht, Wissen und naturwissenschaftliche Erkenntnisse infrage zu stellen. Glauben bedeutet, Im Vertrauen auf den Gott zu leben, der uns seine Schöpfung anvertraut hat, um sie zu bewahren.

Wenn zaghaft Neues in uns wächst, schenkt uns die Geistkraft Gottes Ehrfurcht vor Gott – die wichtigste aller Gaben. Sie bewahrt dich vor dem egoistischen Missbrauch der anderen Gaben. Denn wo Weisheit, Verstand, Stärke und Wissen nur für einen selbst benutzt werden können sie leicht zu Machtmissbrauch, Ungerechtigkeit, Leid und letztlich zum Zusammenbruch führen. Andererseits zeigt uns die Ehrfurcht vor Gott, dass all die Geistgaben Geschenke sind. Sie müssen nicht aus uns selbst kommen. Wir bekommen sie geschenkt. Was für eine Befreiung! Die Ehrfurcht ist unsere Rückbindung an Gott. Sie stärkt unsere Wurzeln und verleiht gleichzeitig Flügel.

EG+ 96

Fürbitten

Guter Gott,

es gibt so viel Traurigkeit und Niedergeschlagenheit in der Welt. Schenke uns deinen Geist der Freude, der uns immer wieder neu aufrichtet.

Es gibt so viel Angst in der Welt. Manchmal trauen wir uns vor lauter Angst nicht, das Richtige zu tun. Schenke uns deinen Geist des Mutes und der Kraft.

Es gibt so viel Hilflosigkeit in der Welt. Schenke uns deinen Geist des Rates und des Beistands.

Es gibt so viel Zwang in der Welt – Zwang, der von anderen ausgeübt wird. Und auch Druck, unter den wir uns selbst. Schenke uns deinen Geist der Freiheit.

Es gibt so viel Gerissenheit auf der Welt. Eine Klugheit, die nur den eigenen Vorteil und die Gewinnmaximierung sucht. Schenke uns deinen Geist der Weisheit und des Verstands.

Es gibt so viel Krieg und Gewalt auf der Welt. Not und Elend durch Naturkatastrophen. Schenke uns deinen Geist des Friedens und der Fürsorge.

Es gibt so viel Selbstverherrlichung auf der Welt. Schenke uns deinen Geist der Ehrfurcht und der Demut.

Es gibt so viel Trauer auf der Welt. Wir denken heute besonders an die Menschen, die wir in dieser Woche beerdigen mussten. Wir zünden eine Kerze für sie an. Schenke ihnen deinen Frieden und Ruhe in deiner Ewigkeit und schenke den Angehörigen deinen Trost.

Vaterunser
Segen
Musik

Gottesdienst Pfingstsonntag 2020 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/SNUEgcpWEII

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Psalm 118:
24 Dies ist der Tag, den der Herr macht; lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein. 25 O Herr, hilf! O Herr, lass wohlgelingen! 26 Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! Wir segnen euch vom Haus des Herrn. 27 Der Herr ist Gott, der uns erleuchtet. Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars! 28 Du bist mein Gott, und ich danke dir; mein Gott, ich will dich preisen. 29 Danket dem Herrn; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.

Gebet:
Gott, wir feiern den Geburtstag der Kirche. Manchmal möchten wir so überzeugt sein, wie es uns von den ersten Christen geschildert wird. Unerschrocken, fest im Glauben, mit Dir verbunden, ohne Furcht um Leib und Leben. Doch wir ringen mit uns und unseren Zweifeln. Bitte weise uns den richtigen Weg und erbarme Dich.
Gott, Du hast uns Deinen Heiligen Geist gegeben. Er schenkt eine Kraft, die mehr vermag, als wir uns vorstellen können. Denn Du, Gott, sagst uns zu: Es soll nicht durch Heer oder Kraft geschehen, sondern durch meinen Geist.
Wunderbarer Gott, Du entzündest in uns das Feuer Deiner göttlichen Liebe. Dies ist der Tag, an dem wir gerufen werden, Deine Kirche zu sein. Schenke uns Deinen Geist, dass er Glauben in uns wecke und all unser Denken und Tun durchdringe. Das bitten wir Dich durch Jesus Christus, unseren Herrn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.


Schriftlesung (Apostelgeschichte 2, 1-13)
1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde verstört, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer? 8 Wie hören wir sie denn ein jeder in seiner Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, 11 Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden. 12 Sie entsetzten sich aber alle und waren ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.

Glaubensbekenntnis
Verbunden mit allen Christen weltweit bekennen wir unseren Glauben.
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel,
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten
und das ewige Leben. Amen.

Lied Gesangbuch 130, 1-2
1) O Heilger Geist, kehr bei uns ein
und laß uns deine Wohnung sein, o komm du Herzens Sonne. Du Himmelslicht, laß deinen Schein
bei uns und in uns kräftig sein zu steter Freud und Wonne.
Sonne, Wonne, himmlisch Leben willst du geben,
wenn wir beten zu dir kommen wir getreten.

2) Du Quell, draus alle Weisheit fließt,
die sich in fromme Seelen gießt, laß deinen Trost uns hören, daß wir in Glaubenseinigkeit
auch können alle Christenheit dein wahres Zeugnis lehren.
Höre, lehre, daß wir können Herz und Sinnen dir ergeben,
dir zum Lob und uns zum Leben.

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

eine Gruppe von Leuten sitzt in Jerusalem und wartet. Sie sind eine Schicksalsgemeinschaft. Harte Wochen und Monate liegen hinter ihnen. Ein Auf und Ab der Gefühle. Heilungen und Wunder haben sie gesehen. Ihr Meister wurde verhaftet, gefoltert und gekreuzigt. Er war tot und plötzlich war er wieder lebendig. Ein paar Tage war es fast wieder wie früher. Und doch ganz anders. Dann kam Himmelfahrt und er war weg. Sie sollten auf den Heiligen Geist warten, hatte Jesus unmissverständlich gesagt. Sie waren Jüngerinnen und Jünger im Wartestand.
Wie haben sie sich wohl die Zeit vertrieben? In der Apostelgeschichte gibt es einige Hinweise. Es wird explizit erwähnt, dass sie alle an einem Ort waren. Sie haben also viel Zeit miteinander verbracht. Sie beteten. Sicher haben sie sich gegenseitig von ihren Erlebnissen mit Jesus erzählt und sich damit Mut zugesprochen.

Und dann geschah über ihnen ein Brausen. Plötzlich kamen zerteilte Zungen auf sie herab und sie begannen – zu predigen. Und zwar polyglott. Also in Sprachen, die sie vorher nicht kannten. Die herbeigeeilte Menge bemerkte das sofort. Hier stimmt was nicht. Und sie interpretierten das auf zwei Arten: Die einen sind vorsichtig neugierig und die anderen spotten. Mit dem Beginn der weltweiten Kirche begann also auch gleich der Spott und die Ablehnung der Botschaft von Jesus Christus.

Und das ist bis heute so: Es ist normal, dass Menschen unsere Botschaft belächeln. Und es ist normal, Zweifel zu haben. Selbst die frommen, gottesfürchtigen Leute haben Zweifel. Und daneben steht das Wunder. Hier wird berichtet, wie Menschen durch die Kraft des Heiligen Geistes über sich selbst hinauswachsen. Durch ihn können  sie mehr zu tun, als sie für möglich halten. Wie er das tut, ist nicht klar. Der Geist weht, wo er will, heißt es so schön im Johannesevangelium.

Ich erlebe den Geist Gottes oft als eine kreative Kraft. Als das, was ich im Gespräch, in der Seelsorge, in der Predigt und im Alltag nicht selbst machen kann. Es ist das Unverfügbare und zugleich begeisternde. Es ist das, wofür das ich trotz aller guten Vorbereitung nichts tun kann. Weil es einfach geschieht.

Übrigens heißt das nicht, dass man sich auf die faule Haut legen kann. Denn die Jünger haben durchaus etwas getan: Sie haben sich zur Verfügung gestellt. Durch Beten, durch Gemeinschaft und durch hoffnungsvolles Warten. Und das können wir auch. Wir können den Geist nicht erzwingen, aber wir können ihm Raum geben. In unserem Leben und in unserer Gemeinde.

Ich vermute übrigens, dass nicht alle Jüngerinnen und Jünger laut Hurra! geschrien haben, als der Geist auf sie kam. Und ich denke, dass Nüchternheit und Skepsis durchaus Gaben sein können, durch die und in denen sich der Heilige Geist entfalten kann.
Und noch eine weitere Anmerkung: das hebräische Wort „ruach“ übersetzen wir im Deutschen mit „der Geist“. Im Hebräischen ist es aber weiblich und kann auch mit „die Geisteskraft“ übersetzt werden.

Eine weitere Sache fasziniert mich an diesem Pfingstwunder aus der Apostelgeschichte. Pfingsten ist ein Fest, an dem Grenzen überwunden werden. An diesem Tag überwinden die Jünger Sprachbarrieren. Verständigungsprobleme trennen Menschen seit jeher. Wer nicht miteinander reden kann, gerät schnell in einen Konflikt. Biblisch gesehen ist das Pfingstfest ein umgekehrter Turmbau zu Babel. Während Gott in Babel die Menschen durch die Sprachverwirrung zerstreut hat, werden sie hier durch das Sprachwunder wieder zusammengeführt. Barrieren werden abgebaut, der Geist verbindet, was getrennt ist. Pfingsten ist also ein zutiefst integratives und interkulturelles Fest. Und auch deshalb dürfen wir mehr Geist wagen.

Ein Drittes: Pfingsten macht Hoffnung
Für die Jünger begann etwas Neues. Etwas Umwälzendes. Und das begann in einer Zeit der Unsicherheit. Etwas Neues kann jeden Tag beginnen. Es muss nicht so gigantisch sein, wie die Gründung einer weltweiten Kirche. Denn wir dürfen uns auch im Alltag auf die Kraft Gottes einlassen. Wenn Sie nachher die Kirche verlassen und draußen den Mundnasenschutz absetzen, dann nehmen Sie mal einen tiefen Zug frischer Luft. Vielleicht hat es sich für die Jünger so angefühlt, als sie endlich starten konnten. Als die Zeit des Wartens vorbei war. Sie hatten lange drin gesessen. Und – das konnten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen – sie würden auch wieder drin sitzen: gefangen, verfolgt, ängstlich. Aber an diesem Pfingsttag bekamen sie Kraft für das was kommen sollte.

So ist das auch heute: Der Geist inspiriert uns. Wir erfahren seine Kraft, Kreativität und Befreiung. Nicht als dauerhaft schwebendes Lebensgefühl, das wäre zu viel des Guten. Wir sind ja mitten im Leben und im Alltag verwurzelt.

Aber wir leben mit dem Blick auf den Himmel, gestärkt durch den Geist Gottes. Wie auch immer der sich in unserem Leben zeigt. Wir können in der Natur, draußen, einen tiefen Atemzug nehmen. Das erinnert uns an die belebende Kraft Gottes. An den Neuanfang der ersten Christen. Und an unsere eigene Hoffnung, dass es im Leben mehr gibt, als wir selbst machen können und als wir selbst machen müssen. Darauf will ich vertrauen. Ich will vertrauen auf den, der größer ist, als ich selbst. Denn der Friede Gottes, der höher ist, als alles menschliche Begreifen, der bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lied Gesangbuch 135, 1-3
1) Schmückt das Fest mit Maien, lasset Blumen streuen,
zündet Opfer an; denn der Geist der Gnaden
hat sich eingeladen, machet ihm die Bahn.
Nehmt ihn ein, so wird sein Schein
euch mit Licht und Heil erfüllen und den Kummer stillen.

2) Tröster der Betrübten, Siegel der Geliebten,
Geist voll Rat und Tat, starker Gottesfinger,
Friedensüberbringer, Licht auf unserm Pfad:
gib uns Kraft und Lebenssaft,
lass uns deine teuren Gaben zur Genüge laben.

3) Lass die Zungen brennen, wenn wir Jesus nennen,
führ den Geist empor; gib uns Kraft zu beten
und vor Gott zu treten, sprich du selbst uns vor.
Gib uns Mut, du höchstes Gut,
tröst uns kräftiglich von oben bei der Feinde Toben.

Fürbitten
Gott, seit dem Pfingstwunder in Jerusalem ist die Kirche weltweit gewachsen. Wir bitten Dich, erhalte sie und lass sie einen Ort der Geborgenheit, der Liebe und des Vertrauens sein. Schenke der weltweiten Christenheit und jedem einzelnen von uns Glaubensmut, Begeisterung, stärkende Gemeinschaft und ein Leben in der Nachfolge Christi.

Gott, wir sorgen uns um die Menschen in unserem Land. Das soziale Leben hat sich durch die Coronakrise verändert. Wir bitten Dich, dass dieses Virus zurückgedrängt wird und die lang ersehnten Lockerungen nicht zu neuen, unkontrollierten Krankheitsausbrüchen führen. Wir wünschen uns, dass es schnell einen Impfstoff gegen das Virus gibt. Wir bitten Dich für das gesellschaftliche Klima: Schenke uns allen Geduld und Liebe füreinander, dass wir uns nicht gegenseitig verletzen. Lass uns Friedensstifter sein.

Wir bitten dich für diejenigen in Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, die Verantwortung tragen. Lass sie weise handeln und gut umgehen mit den ihnen anvertrauten Menschen und Ressourcen. Schenke ihnen Deinen Heiligen Geist und lass uns erkennen, wo wir sie unterstützen können und wo wir Missstände anprangern müssen.

Gott, wenn ein Leben zu Ende geht, so hinterlässt das eine schmerzliche Lücke. In dieser Woche haben wir Abschied nehmen müssen von Menschen aus unserer Gemeinde. Sei Du ihnen ein gnädiger Richter am Tag der Rechenschaft, nimm sie auf in Dein Reich und lass sie schauen, was sie geglaubt haben.
Wir beten für die Familien, Angehörigen und Freunde der Verstorbenen. Du siehst ihre Trauer und Du kennst ihre Gefühle. Lass sie spüren, dass Du ihnen nahe bist. Schenke ihnen Menschen an die Seite, die sie begleiten und ihnen Trost schenken in schwerer Zeit.

Vaterunser
Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.  

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Gottesdienst am 24.05.2020 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/Ei4NI5L4_Ws

Wochenspruch:
    
"Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen." | Joh 12,32

Liebe Gemeinde,
ein herzliches Willkommen zu unserem Gottesdienst am Sonntag Exaudi. Auch wenn Ostern schon weit entfernt scheint, befinden wir uns kirchenjahreszeitlich in der Osterzeit. Der Zeit, die geprägt ist von der Freude und dem Jubel über die Auferstehung Jesu. An Himmelfahrt mussten die Jünger ein weiteres Mal Abschied nehmen von Jesus. Er ist nun nicht mehr sichtbar bei ihnen. Es liegen harte Tage vor ihnen. Doch Jesus lässt sie nicht allein. Auf andere Art wird er ihnen nahe sein: in ihren Herzen, als nie versiegende Quelle der Kraft. In einem neuen Geist werden sie Jesus erkennen. Das ist kein Ersatz für Jesu Anwesenheit, aber es ist ein Trost. Noch heute lebt dieser Geist unter uns. Wo wir in Liebe nach Gottes Willen handeln, da wird der Geist Gottes spürbar. Aber auch in unserer Not, in dieser Zeit voller Unruhe und Unsicherheit, da ist Gottes Geist uns nahe und tröstet uns.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Psalm 27

Der Herr ist mein Licht und mein Heil;
vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?
4 Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne:
dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu betrachten.
5 Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, / er birgt mich im Schutz seines Zeltes
und erhöht mich auf einen Felsen.
7 Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe;
sei mir gnädig und antworte mir!
8 Mein Herz hält dir vor dein Wort: / »Ihr sollt mein Antlitz suchen.«
Darum suche ich auch, Herr, dein Antlitz.
9 Verbirg dein Antlitz nicht vor mir,
verstoße nicht im Zorn deinen Knecht! Denn du bist meine Hilfe; verlass mich nicht und tu die Hand nicht von mir ab, du Gott meines Heils!
13 Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde
die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen.
14 Harre des Herrn!
Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!

Gebet
Jetzt sind wir hier, Gott, in deinem Haus.
Du kennst uns und siehst unser Herz,
die unterschiedlichen Gedanken und Gefühle, die wir in uns tragen,
die Freude und die Traurigkeit, die Unsicherheit und Unruhe, die wir mitbringen.
Jetzt sind wir hier, Gott, und unser Herz kann zur Ruhe kommen,
wir können aufatmen und durchatmen.
Erfülle uns durch deine Geistkraft in Jesus,
der mit dir lebt und Leben schenkt, heute und allezeit und in Ewigkeit.
Amen.

Schriftlesung Römer 8
35 Was also könnte uns von Christus und seiner Liebe trennen? Leiden und Angst vielleicht? Verfolgung? Hunger? Armut? Gefahr oder gewaltsamer Tod?
38 Denn ich bin ganz sicher: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Dämonen[7], weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch irgendwelche Gewalten, 39 weder Hohes noch Tiefes oder sonst irgendetwas auf der Welt können uns von der Liebe Gottes trennen, die er uns in Jesus Christus, unserem Herrn, schenkt.

Glaubensbekenntnis

PREDIGT
Liebe Gemeinde,
sammeln Sie Treuepunkte? Beim Bäcker? Im Getränkemarkt? Sind Sie eine treue Kundin?
Ich komme beim Sammeln dieser Punkte immer durcheinander. Das Kärtchen verschwindet auf einmal im Geldbeutel oder die Aktion ist abgelaufen bevor ich die Punkte einlösen konnte. Ich bin eine recht treue Kundin, aber ohne Treuepunkte.
 
Treue ist wichtig – dieser Meinung sind die meisten Menschen.  Die Hochzeitspaare versprechen sich Treue in der Ehe. Freundschaft ist ohne Treue nicht möglich. Wir haben aber auch alle die Erfahrung gemacht, dass Treue verloren gehen oder sogar hintergangen werden kann. Untreue ist Gift für jede Beziehung. Auch für die Beziehung zu Gott?
Wir hören den Predigttext: Jer 31,31-34 Hoffnung für alle

Der neue Bund 31 »So spricht der HERR: Es kommt die Zeit, in der ich mit dem Volk Israel und dem Volk von Juda einen neuen Bund schließe. 32 Er ist nicht mit dem zu vergleichen, den ich damals mit ihren Vorfahren schloss, als ich sie bei der Hand nahm und aus Ägypten befreite. Diesen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich doch ihr Herr war! 33 Der neue Bund, den ich dann mit dem Volk Israel schließe, wird ganz anders aussehen: Ich schreibe mein Gesetz in ihr Herz, es soll ihr ganzes Denken und Handeln bestimmen. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. 34 Niemand muss dann den anderen noch belehren, keiner braucht seinem Bruder mehr zu sagen: ›Erkenne doch den HERRN!‹ Denn alle – vom Kleinsten bis zum Größten – werden erkennen, wer ich bin. Ich vergebe ihnen ihre Schuld und denke nicht mehr an ihre Sünden. Mein Wort gilt!

Liebe Gemeinde,
Treue und Untreue sind auch für Gott ein Thema. Im Himmel schwebt Gott nicht fernab unserer Wirklichkeit als der in sich ruhende, erste und ewige Beweger. Nein, Gott ist auf Beziehung ausgerichtet, Gott ist gesellig, könnte man sagen. Gott hat gerne ein Gegenüber schon von Anfang an. Mit seinem Gegenüber, mit den Menschen hat er sogar einen Bund geschlossen. Davon erzählen die fünf Bücher Mose.
Ein Bund ist ein Versprechen, eine feste Zusage: „Ich bin bei dir, ich bleibe dir treu. Du kannst dich immer auf mich verlassen.“ So einen Bund der Treue hatte Gott mit seinem Volk Israel geschlossen, der sollte halten und gut sein für beide Seiten. Aber der alte Bund ist an der Untreue der Menschen zerbrochen. Da geht es Gott nicht besser als uns Menschen. Und ich kann mir Gott auch ganz menschlich vorstellen in seiner Reaktion auf den Bruch des Bundes. Die Bibel erzählt: Gott ist verletzt und gekränkt, ja sogar wütend. Er hat sein Volk Israel an der Hand genommen und aus Ägypten geführt. Lange und laut hatten sie Gott um Hilfe gebeten. Als Sklavinnen und Arbeiter lebten sie im fremden Land. Die Lage war unerträglich und so riefen die Menschen zu Gott um Hilfe. Gott half ihnen aus der Unterdrückung in die Freiheit.
Auf dem Weg durch die Wüste blieb Gott treu an ihrer Seite. Sie fanden Wasser zum Trinken und Manna, Himmelsbrot, zum Essen. Schließlich führte Gott sein Volk in ein neues Land, ein Land der Freiheit. Auf dem Berg Sinai schloss er den Treuebund mit ihnen und gab Mose die zehn Gebote. Gott legte sich fest in seiner Liebe und Treue zu Israel, dem kleinen, erwählten Volk. Und die Menschen legten sich auch fest in ihrer Liebe und Treue zu Gott, der groß ist und der sie befreit hatte.
Die Tafeln mit den zehn Geboten führten die Männer und Frauen des Volkes Israel in einer kostbaren, goldenen Lade wie einen Schatz mit sich. Bundeslade nannte sie ihr Heiligtum in Erinnerung an den Bund zwischen Gott und ihnen.
Gott und Mensch waren gut miteinander unterwegs. Doch die Jahre gingen ins Land, das Leben hinterließ seine Spuren, Veränderungen stellten sich ein, Traditionen gingen verloren. Irgendwann war es nicht mehr so wie am Anfang. Die Jüngeren fragten kritisch: „Was sollen wir mit den alten Geschichten anfangen? Das ist doch völlig überholt. Wir sind diesem alten Bund nicht mehr verpflichtet. Er hat keine Bedeutung für uns. Wir steigen aus und kündigen.“
Und so verließen die Menschen den Bund und stiegen aus. Ihre Fragen und Zweifel wurden immer größer. Ihr Glaube und Vertrauen wurde immer kleiner. Gott hatte keine Bedeutung mehr für ihr Leben, anderes war wichtiger. Der Bund war hinfällig geworden.
Und Gott?
Beleidigt und gekränkt hätte Gott sich zurückziehen können. „Ich habe die Nase voll von euch Menschen. Macht doch, was ihr wollt, aber ohne mich!“ Verständlich wäre das gewesen und nachvollziehbar.
Doch Gott entscheidet sich für einen anderen Weg. Er gibt seine Liebe einfach nicht auf. Er bleibt seinem Volk treu. Gott rechnet nicht auf, Gott rechnet nicht vor, Gott verlangt keine Wiedergutmachung. Gott entscheidet sich klar und eindeutig für einen anderen Weg. Er will seinen Menschen weiter nahe sein und sie begleiten, denn er liebt sie doch, so wie sie sind, fehlerhaft und treulos, gleichgültig und selbstherrlich. Es steht viel Trennendes zwischen Gott und Mensch, keine Frage, damals und heute. Aber die Liebe ist größer.
Die Liebe ist der Weg Gottes zu den Menschen, kein lautes Donnerwetter, keine Zwangsmaßnahmen, keine Erpressung. Gottes Weg zu uns Menschen, das ist der Weg der Liebe, damals und heute. Und deswegen ist der neue Bund eine Herzensangelegenheit für Gott und für die Menschen. Der neue Bund ist ein Bund des Herzens. Gott will das Herz der Menschen berühren, ihr Innerstes, ihr Denken und Handeln.

Liebe Gemeinde,
ganz schön riskant, könnte man sagen. Es ist riskant und auch ein bisschen naiv, nur auf das Herz zu setzen. Im Innersten, in unserem Herz ist so viel los. Gefühle und Gedanken gehen oft durcheinander. Heute so und morgen schon wieder ganz anders. Allein in den letzten Wochen gab es eine Berg- und Talfahrt an Gefühlen. Angst vor der Ansteckung mit Covid 19, Momente der Einsamkeit, Freude am Aufblühen der Natur um uns herum, Aggressionen gegen die scheinbar zu langsamen Lockerungen, der Drang nach draußen zurück in den vermeintlich normalen Alltag. Das nur als kleines Beispiel dafür, wie schnell Gefühle und Gedanken sich ändern können.
Aus Liebe kann Gleichgültigkeit oder sogar Hass werden. Aus Vertrauen kann Misstrauen werden. Das Herz ist ein wackeliger Kandidat in Sachen Liebe und Treue. Es kann im Sturm erobert werden. Aber genauso schnell wie es sich für etwas erwärmt, kann es auch wieder erkalten. Und dann zerbrechen Freundschaften. Auch Überzeugungen und Wertvorstellungen können sich im Lauf des Lebens mehrfach verändern, manchmal geht das ganz schnell und manchmal unwiederbringlich.
Trotz alledem entscheidet Gott sich für die Liebe. Irgendwie gibt es für ihn keine Alternative. Gott setzt auf die Liebe. Mit ihr will Gott das Herz der Menschen gewinnen. Der neue Bund wird im Herzen geschlossen. Es ist ein Bund der Liebe zwischen Gott und Mensch. Dafür setzt Gott sein Herzallerliebstes, seinen Sohn Jesus, ein.
Jesus berührt die Herzen der Menschen durch seine Worte und Taten. In seiner Gegenwart können Menschen aufatmen und neu anfangen. Die gekrümmte Frau richtet Jesus wieder auf. Der korrupte Zöllner Zachäus kann neu anfangen. Jesus berührt das Herz der Menschen. Er kommt ihnen nah, hört ihnen aufmerksam zu und spricht wohltuende, helfende Worte. So ist es möglich, dass Menschen ihr Herz öffnen können und sie werden beschenkt mit Glaube, Liebe und Hoffnung. Dann wird Wirklichkeit, was verheißen ist: Menschen erkennen Gott- Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Eigentlich würden wir heute Konfirmation feiern. Ein Jahr lang haben die Jugendlichen sich auf die Spur Gottes begeben, haben nachgefragt, Erfahrungen und Erlebnisse gesammelt, haben diskutiert und sich mit unserem christlichen Glauben auseinandergesetzt. Und sie sind für sich zu dem Ergebnis gekommen, dass sie dabei bleiben wollen. Dass sie ihren Lebensweg mit Gott gehen wollen, unter Gottes Segen. Dass sie ihr Leben unter und in der Nähe Gottes leben möchten.
Aber wie geht das?
Eine kleine Geschichte erzählt es so:
Ein Junge lässt am Strand bei herrlichem Wetter und gutem Wind seinen bunten Drachen steigen. Als seine Schnur völlig abgerollt ist, sieht man den Drachen gar nicht mehr, so hoch ist er in die Wolken hineingeschwebt. Eine ältere Frau kommt zu dem Jungen und fragt ihn, was er da mache.
Der Junge antwortet ihr, dass er seinen schönen bunten Drachen in den Himmel steigen lasse. Die Frau entgegnet ihm, wo er denn sei, sie könne gar keinen Drachen sehen. Da entgegnet der Junge, dass er ihn auch nicht sehen könne, so weit weg sei er. Aber dennoch wüsste er, dass er da ist. Er fühle, wie er an der Leine zieht.
(Nach einer Geschichte von Axel Kühner)

Liebe Gemeinde,
vielleicht ist es ja mit uns und Gott auch manchmal so. Wir können Gott nicht sehen, aber wir können ihn spüren. Es gibt eine unsichtbare Schnur zwischen Gott und uns. Wir können Gottes Kraft in uns spüren, auch hinter den dunklen Wolken in unserem Leben. Wenn wir nicht klarsehen, wenn wir traurig sind und uns ganz hilflos fühlen, wenn wir Angst haben und uns große Sorgen machen, wenn das Herz weh tut, weil wir verletzt oder verlassen worden sind.
Gott ist dennoch da und er zieht uns mit seiner Liebe, seiner Kraft und seinem Trost zu sich. Der neue Bund ist eine Herzenssache. Gott ist eindeutig. Er setzt auf die Liebe und wir müssen keine Treuepunkte sammeln.
Amen.

Musik

Fürbitten
Gott, du bist uns nahe, du kennst unser Herz und weißt, was uns bewegt.
Hilf uns, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Hilf uns, auf dich zu hören im Vielerlei unseres Alltages.
Lass uns deine Nähe spüren, schenke uns Kraft und Zuversicht für unseren Weg.

Gott, wir bringen vor dich, was unser Herz schwer macht:
Trauer um Verlorenes, Enttäuschungen und Verletzungen, Sorgen und Ängste, ausgelöste durch die Corona-Epidemie, die in diesen Tagen unser Leben bestimmt. Tröste uns, Gott, und stärke uns, damit unser unruhiges Herz bei dir zur Ruhe kommt.
Gott, wir kommen du dir mit unserer Fürbitte für andere Menschen,
die in schwierigen Beziehungen leben,
die keine Liebe erfahren,
die nicht glauben und hoffen können.
Sei du ihnen nahe und lass sie Menschen treffen, die gut zu ihnen sind.
Zeige uns, was wir tun können, damit das Miteinander gelingt.
Gib uns Weisheit und Geduld.

Gott, wir bringen vor dich, was unser Herz bewegt,
wenn wir an unsere fernen und nahen Nächsten denken.
Wir bitten dich für die, deren Leben bedroht ist durch Unruhen und Kriege.
Wir bitten dich für die, die auf der Flucht sind.
Wir bitten dich, Gott, für alle, die Abschied nehmen müssen und die nicht neu anfangen könne.
Wir bitten dich für die Angehörigen der Menschen, aus unserer Gemeinde, die wir in dieser Woche unter deinem Wort beerdigt haben.
Wir zünden eine Kerze für sie an.
Ihnen und uns gilt deine Zusage, dass du keinen verlorengehen lässt. Lass uns auf diese Zusage vertrauen und sei du bei den Angehörigen mit deinem Trost und deiner Liebe.

Vaterunser

Abkündigungen

Segen

Musik

Gottesdienst an Himmelfahrt 2020 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=XoStKCf4TNU

Orgelvorspiel: W. A. Mozart, 1. Satz aus der Sonate C- Dur (Sonata facile)

Begrüßung und Votum

Der Himmel erzählt viele Geschichten. Von unendlicher Weite, von Gottes Reich, von Treue und von Freiheit. Wie schön, dass wir diesen Gottesdienst heute draußen im Freien feiern können! Wie gut, dass wir nun wieder als Gemeinde zusammen sind. Auch wenn wir noch nicht gemeinsam singen dürfen und die Liedtexte nur mitlesen können. Auch wenn unser Zusammensein kürzer ist als gewohnt.

Ein herzliches Willkommen zum Gottesdienst hier am Himmelfahrtstag! Wir strecken uns heute zum Himmel aus und vertrauen darauf, dass Jesus Christus mit uns verbunden ist. Im Wochenspruch aus Joh. 12 Vers 32 steht geschrieben: „Jesus Christus spricht: ‚Und wenn ich erhöht sein werde, so werde ich alle zu mir bringen.‘“
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.  Amen.

Psalm 47

Freut euch und klatscht in die Hände, alle Völker! Lobt Gott mit fröhlichem Rufen!
Denn der Herr ist der Höchste, ein König über die ganze Welt.
Gott, der Herr, ist auf seinen Thron gestiegen, begleitet von Jubelrufen und dem Klang von Hörnern.
Singt zu Gottes Ehre, singt! Singt zur Ehre unseres Königs! Ja, singt und musiziert!
Denn Gott ist König über die ganze Welt, singt ihm ein neues Lied!
Ja, Gott ist König über alle Völker, er sitzt auf seinem heiligen Thron.
Die Mächtigen der Erde versammeln sich mit dem Volk,
das sich zum Gott Abrahams bekennt.
Gott gehören alle Könige der Welt, er allein ist hoch erhaben! Amen.

Kollektengebet
Wir beten:
Jesus Christus, Du bist in den Himmel aufgefahren, in die große Dimension Gottes, die alles übersteigt, was wir uns denken und vorstellen können. Wir danken Dir dafür. Denn Du bist nicht weg, sondern Du bist da.
Bist bei Gott, der wie ein Vater und wie eine Mutter für uns ist.
Und Du bist bei allen, die an Dich glauben. Überall können wir zu Dir beten.
Du hast uns den Himmel aufgeschlossen. Nun haben wir einen Heimathafen für unsere Lebensfahrt. Amen.

+155,1.2.6 Erfreue dich, Himmel, erfreue dich, Erde

Die Lesung für diesen Gottesdienst findet sich im 17. Kapitel des Johannesevangeliums,  in den Versen 20-26:
Jesus aber betete:
Vater, ich bitte dich nicht allein für meine Jünger, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben werden. Sie alle sollen eins sein, so wie du, Gott, in mir bist und ich in dir. Sie sollen in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.

Und ich habe ihnen den Glanz gegeben, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind, so wie wir eins sind. Ich bin in ihnen und du bist in mir, so dass sie zu einer Einheit vollendet werden. Die Welt soll so erkennen, dass du mich gesandt hast und dass du sie liebst, wie du mich liebst.

Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meinen Glanz sehen, den du mir gegeben hast. Denn du hast mich schon geliebt, bevor die Welt gegründet wurde.

Gerechter Gott, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen mitgeteilt und werde ihn mitteilen, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen ist und ich in ihnen bin.

Ansprache

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde am Himmelfahrtsfest,

Himmelfahrt, das ist in der Bibel ein Fest des Übergangs. Zunächst für Jesus, der gekreuzigt und auferweckt worden ist. Und der nun Abschied nimmt von dieser Erde und hinübergehen wird in die ganz andere, unsichtbare Dimension Gottes, aus der er einst gekommen ist. Der zurückkehren wird in Gottes unsichtbares Reich, das wir Himmel nennen.

Himmelfahrt ist aber genauso auch ein Fest des Übergangs für seine Jünger und seine Jüngerinnen.  Ihre Hoffnung, dass Gottes Reich nun mit dem auferstandenen Jesus sichtbar auf dieser Erde anbrechen würde, erfüllt sich noch nicht. Jesus geht von ihnen. Damit werden sie in eine ganz neue, unbekannte Selbständigkeit entlassen, und damit müssen sie erst einmal zurechtkommen. Sie sind im Übergang; sie sind dabei, als Kinder Gottes, Nachfolger und Nachfolgerinnen Jesu Christi erwachsen zu werden und ihren eigenen Weg als Kirche in dieser Welt zu suchen und zu finden. Dabei ist es eine unschätzbar große Hilfe für sie, dass sie mit dem Kommen des Geistes Gottes rechnen dürfen.

Unmittelbar vor dieser Zeit des Übergangs hält Jesus eine große Abschiedsrede an seine Nachfolger. Er weiß um die Unsicherheit, die in ihnen ist. Er weiß, wie wenig sie sich ihre Zukunft vorstellen können, wie sehr sie im Dunkeln tappen. Er weiß, wie verletzbar sie sich fühlen. Und darum geht seine Abschiedsrede an sie über in ein großes Gebet. Er richtet das an Gott, seinen Vater. Er bittet für die, die er liebt; mit denen er mehrere Jahre seines Lebens geteilt hat und deren Schicksal ihm am Herzen liegt.

Auch für uns, liebe Gemeinde, ist Himmelfahrt in diesem Jahr in besonderer Weise ein Übergang. Wir begehen dieses Fest mitten in einer Zeit, in der wir uns zwischen dem Lockdown und einer langsamen Lockerung befinden. Wir wissen in diesen Tagen noch nicht, ob die Erleichterungen so bleiben können, ob sie weiter fortgesetzt werden und ob und wann wir wieder dort anknüpfen können, wo wir vor dem Shutdown waren. Unsicherheit und Verletzbarkeit sind auch unsere Begleiter. „Es ist ganz normal, dass Sie sich in diesen Zeiten gestresst fühlen“, so habe ich kürzlich bei facebook gelesen. Das zu lesen, war gerade erst mal etwas entlastend, weil ich merkte, ich bin mit diesem Eindruck nicht allein. Auch wir können nicht absehen, wie die Zukunft in unserer Kirche und unserer Gesellschaft aussehen wird.

In dieser Zeit müssen wir gleichwohl Entscheidungen fällen. Ob wir wollen oder nicht. Ich meine dabei z.B. Entscheidungen im persönlichen Bereich. Wir erleben in diesen Wochen, dass es einen starken Rückzug ins Private gibt, ja geben muss.  Aber dann ist die Frage: bedeutet die Reduktion von Begegnungen auch, dass unsere Herzlichkeit reduziert wird? Dass wir nun viel weniger aneinander Anteil nehmen? Dass wir uns deutlich weniger austauschen und deshalb nun viel weniger voneinander wissen? Wenn wir aber weniger miteinander reden, ahnen wir, dass das Misstrauen wächst, dass Missverständnisse zunehmen. Es ist wichtig, dass uns dies bewusst ist. Oder geben wir in dieser Zeit, wo wir uns weniger begegnen, den Gesprächen am Telefon, am Smartphone oder auf der Straße umso mehr eine besondere Qualität? Nehmen wir uns mehr Zeit dafür?  Bieten wir eine andere Form der Nähe an? Des Zuhörens und des Mitdenkens? Auch das ist ja möglich. Es ist eine Zeit der Entscheidungen in dieser Phase des Übergangs.

Genauso müssen wir aber auch Entscheidungen im öffentlichen, gesellschaftlichen Bereich fällen. Schenken wir den Politikerinnen und den Politikern, den Verantwortungsträgern in der Forschung und den Virologen genau in dieser Zeit das Vertrauen, das Schiff unseres Landes durch die schwere See zu steuern, in der es sich befindet, oder macht sich ein untergründiges Misstrauen selbständig, geben wir obskuren Verschwörungstheorien Raum, die im Internet kolportiert werden, die keine nachprüfbaren Beweise haben, die sich gar mit antisemitischen Lügen garnieren und eine unverantwortliche, gefährliche Mischung abgeben? Diese Zeit des Übergangs ist eine Zeit der besonderen Herausforderungen und Entscheidungen. Und wir brauchen alle einen klaren Kopf, wir brauchen Wachheit und Nüchternheit, um Gutes von Gefährlichem zu unterscheiden. Und dabei fahren wir alle immer nur auf Sicht.

In dieser Situation, in dieser Zeit spricht mich ein Gedanke aus dem heutigen Predigttext des Johannes ganz besonders an: Da hat schon einmal jemand für uns gebetet. Das war nicht irgendjemand.  Es war Jesus Christus, der Sohn Gottes, der uns schon im Blick hatte:  

„Vater, ich bitte dich nicht allein für meine Jünger, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben werden.“ Alle, die durch ihr Wort an mich glauben werden – dazu gehören wir ja auch. Auch zu uns ist die gute Botschaft von Jesus Christus gekommen, durch unsere Väter und Mütter im Glauben, durch unsere Ahnen und Urahnen, durch alle Glaubensgenossen und -genossinnen, durch all unsere Brüder und Schwestern in den vergangenen Jahrhunderten.  Wir gehören dazu.  Wir gehören mit all denen zusammen, die Gottes große Liebe erkannt haben, die in seinem Sohn zu sehen ist. Wir heute bilden mit all denen ein großes, starkes Netz, die zur Gemeinde Jesu Christi, zu seiner Nachfolgerschaft, zu seiner Kirche gehören.  Durch die Jahrhunderte hindurch. „Vater, ich bitte dich nicht allein für meine Jünger, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben werden.“  Da sind wir mitgemeint. Auch wir heute hier in Bad Nauheim, in der Wetterau. Der Auferstandene hat uns heute im Blick. Wir sind nicht allein.  Wir sind nicht verloren.

Worum aber bittet Jesus in seinem großen Gebet, das auch das „Hohepriesterliche Gebet“ genannt wird, weil es ein so stellvertretendes Gebet für so Viele ist?

Er bittet darum, dass „alle seine Jüngerinnen und Jünger eins sein sollen“. Für mich bedeutet das: wir dürfen auf die Gemeinschaft vertrauen, die zwischen uns da ist und die uns miteinander verbindet. Auch wenn wir z.T. noch in diesem lockdown drin sind. Es gibt ein starkes Glaubensnetz, ein starkes Hoffnungsnetz, das zwischen uns geknüpft ist, und das nicht zerreissen wird, solange wir uns gemeinsam auf Gott besinnen. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit dem Gebet, den ich in dieser besonderen Zeit erlebe:
Da führe ich ein langes Telefongespräch mit einer hochbetagten Dame und am Ende sagt sie mir zu: „Ich bete für Sie! Sie sind ja noch so jung!“ (Und ich muss bei dem „so jung“ auch etwas schmunzeln, aber aus ihrer Perspektive stimmt es ja.) Da bittet mich jemand, der in einer ganz besonders hohen Verantwortung für seinen Arbeitsbereich steht: „Beten Sie für mich, dass wir alle gut durch diese Zeit kommen!“ Da kann ich selbst einem Menschen, der in einer Trauersituation ist, zusichern: „Sie sind mit in meinen Fürbitten!“ Gebete füreinander gehen hin und her in dieser Zeit; Menschen sprechen viel freier und ungehemmter darüber; sie trauen sich viel eher, dieses Wort über die Lippen zu bringen als früher.  Wir sind eine Gemeinschaft, wir gehören zusammen und können füreinander einstehen. Dies erlebe ich, wenn ich Menschen aus der Gemeinde draussen treffe; dies habe ich besonders in dem ersten Gottesdienst am letzten Sonntag gespürt, den wir endlich wieder analog zusammen in der Dankeskirche feiern konnten.  Wenn auch mit Maske und Desinfektionsmittel und Abstand halten. Egal. Wir haben uns wieder gesehen, haben uns miteinander vergewissert:  ja, die anderen sind ja auch noch da!  Wie schön! „Sie alle sollen eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“, bittet Jesus.

Jesus sagt zu seinem Vater in seinem Abschiedsgebet noch ein Zweites, bevor er zu ihm zurückkehrt. „Ich habe ihnen den Glanz gegeben, den du mir gegeben hast. So soll die Welt erkennen, dass du sie liebst, wie du mich liebst.“ Das, wovon Jesus hier spricht, ist etwas Geheimnisvolles. Martin Luther übersetzt hier „Herrlichkeit“, im griechischen heißt es „doxa“, in der Bibel Für Gerechte Sprache nun „Glanz“. Das ist für mich am schönsten; damit kann ich am meisten anfangen. Jede und jeder von uns ist von einem besonderen Glanz umgeben, oder trägt einen besonderen Glanz in sich. Seit dem Tag der Taufe, so stelle ich es mir vor. Als uns gesagt wurde: „Du bist Gottes Kind. Du bist von Gott unendlich geliebt. Als ein einmaliger Mensch auf dieser Welt. Vorweg bist du schon geliebt. Niemand kann dir das in deinem Leben nehmen. Geh aufrecht. Es ist ein Geschenk, das du nur in deine Hände und in dein Herz nehmen brauchst. Diese Liebe Gottes zu dir bleibt für immer und für alle Zeit.“  Ich glaube, wenn wir uns diese Zusage zusprechen lassen, wenn wir sie in uns hineinfallen lassen, sie (tief inhalieren und) in uns wirken lassen, dann kann es passieren, dass etwas in unseren Augen zu glänzen beginnt. Dass uns Glück erfüllt und wir einen tiefen Frieden erfahren.

Das Abschiedsgebet Jesu für seine Jüngerinnen und Jünger ist voller Liebe. Da ist kein Wort mehr von Enttäuschung über ihr Versagen, kein Wort mehr über ihre Angst oder über Mangel an Vertrauen ihm gegenüber. „Die Liebe, mit der du mich liebst, soll in ihnen sein,“ bittet der Sohn Gottes seinen himmlischen Vater.  Und ich denke mir:

Vielleicht ist das in unserer Zeit gerade genug: dieses „Liebe empfangen“. Vielleicht benötigen wir gerade nur dieses Eine, uns sagen zu lassen, dass der Sohn Gottes für uns betet, damit wir das Geschenk der Liebe Gottes sehen. So könnten wir wieder den Weg finden von der Angst zum Vertrauen, von der Unsicherheit zum Frieden. Durch unsere Tage und durch unsere Nächte hindurch.

In Ihrem Liedblatt finden Sie ein kleines Stück Glanzpapier.  Nehmen Sie es einfach mit.  Es möchte Sie daran erinnern, dass Gottes Glanz bei Ihnen ist, dass der Glanz der Liebe Gottes mit Ihnen weitergeht.

Und sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.  Amen.

+84,1.2.4  We are one in the spirit

Fürbitten

SP Unser Gott, wir danken dir für den Glanz deiner Liebe, mit dem du bei uns bist und uns umgibst. Wir dürfen am Leben sein bis zum heutigen Tag. Du hast uns durch manche gefährlichen Zeiten geführt und warst so oft schon unsichtbar an unserer Seite. Dafür loben wir dich!

MS Wir bitten dich für alle, die wir lieben und die zu uns gehören. Schütze sie. Für alle, die an Leib und Seele erkrankt sind, bitten wir: sei du an ihrer Seite. Schenke ihnen Erleichterung und Hilfe.

SP Wir bitten für alle Pflegekräfte, Ärzte und Forscher, dass sie mit Stärke, Geduld und Liebe ihren Dienst tun können.  Wir danken für ihren unschätzbaren Dienst.

MS Wir bitten dich für unsere Gesellschaft, dass der Friede in ihr erhalten bleibt. Dass wir mit Geduld aufeinander hören und uns gegenseitig unterstützen. Dass alle Anteil behalten an den Ressourcen, die wir für unser Leben benötigen.

SP Wir bitten dich für unsere Erde, dass du ihre gute Ordnung bewahrst. Halte unsere Augen und Hände offen, damit wir deine Schöpfung lieben und auf sie achtgeben, soweit es in unseren Kräften steht. Und gemeinsam…

Vaterunser

Abkündigungen

Segen

Orgelnachspiel: W. A. Mozart, Rondo alla turca
 

 

Gottesdienst am 17.05.2020 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/VWpVWv1LDLo

J. S. Bach: Präludium C-Dur

Begrüßung
Eigentlich hätten wir jetzt eine volle Dankeskirche. Denn eigentlich wäre heute unser erster Konfirmationsgottesdienst in diesem Jahr. 25 Konfis, 25 Familien, Menschen von nah und fern, junge und alte.
Aber nun ist alle anders und wir sind froh, wenigstens so wieder Gottesdienst feiern zu können. Als Video im Netz, und analog für wenige Besucher hier bei uns in der Kirche. Schön dass Sie gekommen sind, dass Sie uns eingeschaltet haben.
Rogate heißt der heutige Sonntag, dh beten. Es geht um das Vater Unser.

Eingangspsalm: Psalm 95
Ruf zu Anbetung und Gehorsam 1 Kommt herzu, lasst uns dem HERRN frohlocken und jauchzen dem Hort unsres Heils! 2 Lasst uns mit Danken vor sein Angesicht kommen und mit Psalmen ihm jauchzen! 3 Denn der HERR ist ein großer Gott und ein großer König über alle Götter. 4 Denn in seiner Hand sind die Tiefen der Erde, und die Höhen der Berge sind auch sein. 5 Denn sein ist das Meer, und er hat's gemacht, und seine Hände haben das Trockene bereitet. 6 Kommt, lasst uns anbeten und knien und niederfallen vor dem HERRN, der uns gemacht hat. 7 Denn er ist unser Gott und wir das Volk seiner Weide und Schafe seiner Hand.

Eingangsgebet
Zum ersten Mal seit Monaten wieder in unserer Kirche, Herr.
Wie schön das ist, und wie anders zugleich. Da müssen wir uns noch dran gewöhnen.
Keine Konfirmation heute.  Und wir halten Abstand voneinander.
Vater unser im Himmel.
Wir reden viel und wir sagen wenig.
In der Menge unserer Worte verlieren wir den Kontakt zueinander.
Und so beten wir auch manchmal, gedankenlos, und verlieren den Kontakt zu dir.
Dabei brauchen wir nur ruhig zu werden, auf eine Kerze zu schauen, ein Bild, ein inneres Bild, die Augen zu schließen, und schon beginnt das Gespräch, das Beten.
Vater unser im Himmel,
du weißt was wir brauchen, bevor wir es sagen.
Vergib uns unsere Schuld und lass uns neu beginnen –
Durch Jesus Christus, deinen Sohn. Amen

Lesung = Predigttext                  Mt 6, 5 – 15
Vom Beten. Das Vaterunser 5 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 6 Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten. 7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]

Kurze Variationen über 501 Wie lieblich ist der Maien

Liebe Gemeinde,
früher hatte man als Konfirmand vieles auswendig zu lernen: Luthers Kleinen Katechismus, das Glaubensbekenntnis, Kirchenlieder mit sämtlichen Strophen und natürlich das Vaterunser. Das hat sich etwas geändert, aber das Glaubensbekenntnis, die 10 Gebote, Psalm 23 und das Vaterunser lernen immer noch alle. Auch wenn wir es nicht prüfen. Wir fragen es ab. Nur in diesem Jahr ist natürlich manches anders.

Und viele von uns spüren jetzt, wie wichtig es ist und wie heilsam, beten zu können, zur Ruhe zu kommen, Besinnung zu finden. Deshalb sind wir froh, ab Mittwoch, wieder die Dankeskirche zum Gebet öffnen zu können. Die Not lehrt beten, heißt ein Sprichwort. Ich habe das vor ein paar Monaten am eigenen Leib erlebt – und tun wir es gemeinsam. Es ist gut Gebete zu haben wie einen Vorrat, die man wie eine Litanei sprechen kann.

Mich hat es in den vergangenen Wochen sehr ergriffen, wenn wir in unseren Videokonferenzen miteinander das Vater Unser gebetet haben: getrennt und doch verbunden, in einer berührenden Sprachcollage, in der mal die eine, mal die andere Stimme hervortritt, die einzelnen Worte eine Form bekommen. Ich bin an drei Aspekten des Vater Unsers ‚hängen‘ geblieben.:

Die Anrede „Vater unser im Himmel“

Zu Gott als einem Vater kommen: was für eine schöne Vorstellung. Zu diesem gütigen und verständnisvollen Vater, der sein Kind in die Arme schließt, wenn es sich verlaufen hatte; der offen ist für ein Gespräch und sich erkundigt; der verständnisvoll ist, der auf die eigene Freiheit vorbereitet und sie respektiert; der vergibt, noch bevor man sich ganz klein machen musste. So ist Gott, wie wir von Jesus wissen. Wir Menschen erleben das leider oft anders. Gut, dass es diesen Vater im Himmel gibt.

Gott ist dieser freundliche Vater, dieses Eltern-Ideal, das jeder sich wünscht und dem zugleich niemand gerecht zu werden vermag. Dieser Gott schaut in unser Herz, er kennt unsere Wahrheit. Er holt uns zu sich und nimmt uns am Ende freundlich in seine Arme.

Das Vater Unser als ein jüdisches Gebet

Das Vaterunser gilt als das christliche Gebet. Es verbindet Christinnen und Christen aller Kirchen miteinander: ob in der Orthodoxie, im Katholizismus, den Kirchen der Reformation und auch jüngeren Kirchen, überall spielt es eine zentrale Rolle. Es wird in jedem Gottesdienst gebetet. Auch bei jeder Taufe, Trauung und Beerdigung. Und  ist nicht auf den Gottesdienst beschränkt.

Dabei haben wir  zu verstehen, dass Jesus das Vater Unser als Jude betet. Es ist also ein Kaddisch, seine Wurzel ist das Gebet in der Synagoge, auch wenn es sich davon unterscheidet. Seine Inhalte sind Teil der jüdischen Tradition. Für die Gottesrede, die Kürze des Gebets und seinen vermeintlich eschatologischen Charakter gibt es zahlreiche Parallelen im Judentum Jesu.

Lesen wir es so , dann bekommt es neue Akzente. ZB die aktive Beteiligung der Betenden. Das Kommen des Reiches Gottes ist im Judentum nicht etwas, auf dass es still zu warten gilt, sondern das der menschlichen Mitwirkung bedarf. Der Mensch als Partner und Partnerin Gottes kommt viel stärker in den Blick. Vor dem Hintergrund einer Tradition, die eher das Handeln Gottes als das des Menschen akzentuiert, ist es wichtig, diese Unterschiede  der jüdischen Tradition wahrzunehmen. Sie eröffnen einen neuen Zugang zu einem oft gehörten und gesprochen Text.

Die Formulierung: Führe uns nicht in Versuchung

Führt Gott in Versuchung? Oder muss das Vaterunser geändert werden?
Die Versuchung war immer groß, den Text zu glätten und die Widersprüche aufzulösen.
Der Vers "Und führe uns nicht in Versuchung" sei "keine gute Übersetzung", sagte Papst Franziskus. Besser wäre: "Lass mich nicht in Versuchung geraten." Denn ein Vater mache so etwas nicht. Der Versucher sei ein anderer. Viele Theologen fühlen sich nun herausgefordert, die sechste Bitte des Vaterunsers zu überdenken.

Der Theologe Rupert Lay liest den Vers so: "Und führe uns auch in der Versuchung!" Die "Bibel in gerechter Sprache" übersetzt: "Führe uns nicht zum Verrat an dir!" Und die "Gute-Nachricht-Bibel" schließlich formuliert: "Und lass uns nicht in die Gefahr kommen, dir untreu zu werden."

Ich finde das sind alles Interpretationen, die in die richtige Richtung führen. Gott will uns nicht versuchen, Das sind wir selbst. Aber er will uns führen – auch durch die größten Anfechtungen unseres Glaubens und durch die größten Zweifel und tiefsten Fragen. So wie jetzt, wo alles anders ist. ER möchte uns helfen, auf dem Weg zu bleiben.
Gott – er bleibt der Rätselhafte, der ganz Andere. Unser Vater im Himmel.
Amen.

Kurze Variationen über 188 Vater unser, Vater im Himmel

Fürbitte
Vater im Himmel
Sei bei uns, wenn wir zu viele Worte machen
Und erinnere uns daran, deinen Namen zu heiligen.
Sei bei allen, die jetzt Sorgen haben, seelische, gesundheitliche, wirtschaftliche Sorgen, überall auf dieser Welt:
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Sei bei allen, die mit sich selbst hadern und unzufrieden sind, über die Situation, über sich selbst, über andere. Und es Kinder und Familie spüren lassen. Die nachtragend sind und nicht loslassen können:
Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und wenn wir an dir zweifeln und an deiner Schöpfung und uns fragen, woher diese Pandemie kommt und warum
Dann führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn du bist unser Vater im Himmel. Wir danken ir für deine Nähe. Auf dich vertrauen wir:
Denn dein ist das Reich, und die Kraft, und die herrlichkeit, in Ewigkeit. Amen

Vater Unser

Segen

Orgelnachspiel        Robert Schumann: Kanon in E-Dur

Gottesdienst am 10.05.2020 mit Video von Dekan Volkhard Guth

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/od6Eyl5kLNQ

Eingangsmusik
Begrüßung (Kantate)

Wochenspruch:
Herzlich willkommen zum Gottesdienst aus der Dankeskirche Bad Nauheim am Sonntag Kantate.
„Singet dem HERRN ein neues Lied, denn ER tut Wunder.“ Ps.98,1
Der ausgelassene Tanz, das Lied, das Trauernde berührt, das Pfeifen im Garten oder die Kantate, die tief ins Herz dringt, – Musik lässt niemanden unbewegt.

Musik eröffnet Resonanzräume. -
Dort, wo Gottes Name besungen wird, dort ist Gott ganz nah.
Je mehr unser Leben zum Gesang wird, desto stärker wird uns diese Resonanz verändern.
Auch wenn wir jetzt nicht im selben Raum singen werden, ich wünsche ich uns, dass dieser Gottesdienst uns ein Resonanzraum wird, in dem wir Gott und seiner Herrlichkeit begegnen.

Und das kann passieren! Denn wir feiern diesen Gottesdienst – wir hier, und Sie bei sich zuhause -

Votum
im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Gem.: Amen

Eingangspsalm 98, 1-6 [EG 739]

1 Singet dem Herrn ein neues Lied,
denn er tut Wunder. Er schafft Heil mit seiner Rechten und mit seinem heiligen Arm.
2 Der Herr lässt sein Heil verkündigen;
vor den Völkern macht er seine Gerechtigkeit offenbar.
3 Er gedenkt an seine Gnade und Treue für das Haus Israel,
aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.
4 Jauchzet dem Herrn, alle Welt,
singet, rühmet und lobet!
5 Lobet den Herrn mit Harfen,
mit Harfen und mit Saitenspiel!
6 Mit Trompeten und Posaunen
Jauchzet vor dem Herrn, dem König!

Kommt lasst uns anbeten!

Gesang: Ehr sei dem Vater und dem Sohn

Eingangsgebet
Herr, wie gerne würden wir dir heute ein neues Lied singen.
Aber es geht nicht. Wir können nicht gemeinsam singen.

Herr, wie gerne sähen wir jetzt und in diesen Tagen ein Wunder. Dass da jemand etwas entdeckt, das uns vor dem Virus schützt.

Schenk uns die Kraft, wenigstens die alten Lieder zu singen.
Dass wir uns von ihnen und deinem Wort erinnern lassen an deine früheren Wunder.

Es gibt sie ja. Und wir haben sie ja immer auch schon erlebt. Die Zeichen deiner Herrlichkeit.

Von denen wir leben, auf die wir trauen und von denen wir erzählen könnten.

Hilf uns, dir ein neues Lied zu singen. Heute mit diesem Gottesdienst und in unserem Leben. Denn du bist´s, der Wunder tut.
Amen

Gesang: Amen

Schriftlesung (LK.19, 37-40)
37 Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten,
38 und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!
39 Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm: Meister, weise doch deine Jünger zurecht!
40 Er antwortete und sprach: Ich sage euch: Wenn diese schweigen werden, so werden die Steine schreien.
Selig sind, die Gottes Wort hören, bewahrten und danach leben.

Gesang.: Halleluja

Lied vor der Predigt: Ich singe dir mit Herz und Mund (EG 324, 1-3.17.17)

Predigt (2.Chr.5, 2-5.10.12-14)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen

2 Da versammelte Salomo alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des Herrn hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion.
3 Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels zum Fest, das im siebenten Monat ist.
4 Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf
5 und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war; es brachten sie hinauf die Priester und Leviten.
10 Und es war nichts in der Lade außer den zwei Tafeln, die Mose am Horeb hineingelegt hatte, die Tafeln des Bundes, den der Herr mit Israel geschlossen hatte, als sie aus Ägypten zogen.
12 und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen.
13 Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: »Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig«, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn,
14 sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.

Sie haben sie erkannt?! Die Geschichte der Einweihung des salomonischen Tempels. Ein großes Fest!

Und der zentrale Akt: die Überführung der Bundeslade mit den beiden Gesetzestafeln aus der alten Stiftshütte, die Israel bei der Wüstenwanderung und der Landnahme begleitet hat, hinein in den neu erbauten Tempel auf dem Zionsberg.

Und die zentrale Botschaft: Gott ist an diesem Ort anwesend. Hier kann Israel seinem Gott begegnen.
Es ist so etwas wie die Einwohnung der Herrlichkeit Gottes.
Und damit ist der lange Weg vom Sinai zum Zion abgeschlossen.

Diese Tempelweihe, sie wird uns im Buch der Chroniken als ein Klangereignis geschildert.
Es ist dem Text wichtig zu erzählen: Indem alle Instrumente, der Gesang und auch jedes artikulierte Wort zu einer Einheit werden, zu einem Klang verschmelzen, werden alle diese Elemente zum wahren Gotteslob. Das ist die Aussage.

Der Predigttext von heute stellt also eine enge Verbindung zwischen der Musik und der Herrlichkeit Gottes her.

Wir können heute nicht miteinander singen. - Und auch wenn wir in den nächsten Wochen beginnen, wieder öffentliche Gottesdienste in unseren Kirchen zu feiern, werden wir nicht gemeinsam singen dürfen.

Vielleicht gerade deshalb aber kann unser Text uns heute, am Sonntag Kantate, zu der Frage führen, was unsere Gottesdienste eigentlich und grundlegend ausmacht!?

Ich möchte dazu gerne den Begriff der „Resonanz“ bemühen. Der Soziologe Hartmut Rosa hat ihn in den letzten Jahren in der soziologischen Debatte neu aufgegriffen.
Resonanz als Antwortbeziehung. Resonanz als Beziehungsmodus.

Was meine ich damit?
Der Predigttext von heute macht deutlich: das göttliche Handeln, die Begegnung mit der Herrlichkeit Gottes kann nicht ohne Resonanz bleiben.
Die Einwohnung Gottes im neuen Tempel führt zum unmittelbaren Lob seiner Herrlichkeit.
Mehr noch: all die Pauken, Zimbeln und Schofarhörner, der Gesang – all das wird zu einem Klang und damit offenbar zu einem einzigartigen Klangereignis.

Unser Text mag uns also daran erinnern, was das Ziel jeder unserer gemeinsamen Feiern ist: gemeinsames Gotteslob in der Erwartung seiner Gegenwart.
Und Musik spielt dabei eine Rolle.

Also nicht jene weitschweifigen, wortlastigen Veranstaltungen mit ihren Belehrungstendenzen, in denen bisweilen sogar Einleitungen, Begrüßungen und Gebete zu immer neuen Predigten werden, sondern Räume, in denen es zu Resonanzen kommen kann, zu Begegnung und zur Beziehung mit dem, dessen Lob wir singen sollen.

Dann könnte Gott vielleicht sogar unsere sonst so aufwändig inszenierten Religionsfeiern mit seiner Gegenwart heilsam unterbrechen.

Bei allem sehnlichen Warten darauf, dass wir wieder physisch miteinander Gottesdienste feiern können, lässt mich die gegenwärtige Zeit und die Erfahrung dieser Tage neu fragen, was Gottesdienst ist und wie er zu feiern sein müsste?!

Marin Luther hat in seiner Einweihungspredigt der Schlosskirche in Torgau 1544 jene oft zitierte Formel geprägt: der Gottesdienst ist nichts anders, „denn dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederum mit ihm reden durchs Gebet und Lobgesang“.
Das ist Resonanz, wovon Luther spricht. – Der Gottesdienst als Antwortbeziehung. Gott und Mensch im Beziehungsmodus.

Das, was niemand von uns machen kann, was Mose am brennenden Dornbusch erfahren hat, was eine Maria und die Hirten auf dem Felde erlebt haben, was in der Offenbarung des Johannes von „der großen Stimme“ berichtet wird, das soll geschehen in jeder unserer Versammlungen. Gott spricht sein Wort – und der einzelne Mensch, getroffen von diesem Wort, soll antworten. Und die Antwort heißt: Gott loben.
Und in der gemeinsamen Feier wird dieses Lob zu einem großen Lobgesang wie ein Klang.

Resonanz. Darum geht es im Gottesdienst. Der Gottesdienst als Antwortbeziehung. Der gesungene Lobpreis der Herrlichkeit unseres Gottes als Beziehungsmodus zwischen uns und Gott.

Ein zweiter Gedanken: Es hat ja etwas kultkritisches, wenn unser Predigttext beinahe schon lapidar feststellt, dass die Lade nichts anderes ist, als ein Kasten aus Holz. Und dass in ihr nicht mehr drin ist, als zwei Tafeln.
Auch das mag uns helfen, die Pointe des evangelischen Gottesdienstes nochmal neu zu entdecken.
So wie jede Tempelfeier an den Bundesschluss am Horeb erinnert hat und an den Inhalt dieses Bundes, so erinnern auch wir uns des Bundes, den Gott in Jesus Christus mit uns geschlossen hat – am Kreuz, in unserer Taufe.
Und indem wir das feiern, entsteht wie schon im alten Israel, eine Art zweiter Resonanz: Vergangenes wird gegenwärtig. Und es erhält genau darin seine Bedeutung für die Zukunft.

Ich freue mich darauf, wenn wir es irgendwann einmal, wenn wirklich alles überstanden ist, einfach wieder gemeinsam tun können: Singen. Aus voller Kehle. Ohne Mundschutz und Abstandsregeln.
Und dann werden wir für unsere Gottesdienste aus den letzten Wochen mitgenommen haben, dass vielleicht gar nicht allzu lange über einen Text wie den aus 2.Chr. gepredigt werden muss.
Sondern dass wir mit einem Text wie diesem in ein erwartungsvoll offenes Lob der Gemeinde geführt werden. Mit ganz viel Gesang und Musik, wie ein Klang.
Denn die Antwort auf die Begegnung mit der Herrlichkeit Gottes ist das Singen. Für Gott, für die Welt und füreinander.

Bis dahin wünsche ich uns – Ihnen und mir -, dass uns die Herrlichkeit Gottes wie in einer Wolke immer neu berührt: zuhause, beim Lesen seines Wortes, im Gebet, draußen, beim Hören einer Predigt, beim Betrachten eines Fernsehgottesdienstes, unter Freunden, in der Familie.
Und dass sie in uns Resonanz wirkt. Dass wir ins Loben kommen – weit über den Sonntag Kantate hinaus.  

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen

Lied nach der Predigt: Lob Gott getrost mit Singen (EG 243, 1.4.5)

Fürbittgebet
Singt dem Herrn ein neues Lied, denn ER tut Wunder.
Dich Gott loben wir, denn du tust Wunder.
Darum bitten wir dich
für die Menschen, die in dieser Nacht mit Schmerzen wachten,
für die Verletzten, die Kranken, die Gedemütigten.
Du hörst ihr Weinen.

Wir bitten wir dich
für die Menschen, die heute mit Sorgen erwacht sind,
für die Traurigen und die Trauernden.
Du kennst sie und hörst ihre Klage.
Das Virus bestimmt ihr und unser Leben in diesen Tagen und Nächten.
Für sie und für uns rufen wir zu dir:
Herr, erbarme dich.
Singt dem Herrn ein neues Lied, denn ER tut Wunder.
Dich loben wir, denn du tust Wunder.
So bitten wir dich
für die, die oben stehen,
für die, denen alles leicht fällt,
und denen alles zu glücken scheint.
Du kennst sie und das, was sie gefährdet.

Wir bitten wir dich
für die, denen man zuhört,
die Einfluss und Macht über
das Leben der anderen haben.
Die Politikerinnen und Politiker unseres Landes,
die in der Wirtschaft das Sagen haben
Du kennst ihre Interessen und
kannst ihre Herzen weit machen.
Für sie rufen wir zu dir:
Herr, erbarme dich.
Singt dem Herrn ein neues Lied, denn ER tut Wunder.
Dich loben wir, denn du tust Wunder.
Darum bitten wir dich
für alle Menschen, die dir vertrauen,
und für alle, die sich nach Frieden in dieser Welt ausstrecken,
für die Brückenbauer und Freiwilligen in den Hilfsorganisationen.
75 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs ist der Frieden in vielen Ländern gefährdeter denn je, auch angesichts der Auswirkungen der Pandemie.
Für sie und uns alle rufen wir zu dir:
Herr, erbarme dich.
Singt dem Herrn ein neues Lied, denn ER tut Wunder.
Wir loben wir dich, denn du tust Wunder.
Und so bitten wir dich
für deine weltweite Kirche,
für unsere Gemeinden und alle,
mit denen wir im Glauben an Jesus Christus verbunden sind.
Besonders denken wir an unsere Geschwister in unserer Partnerdiözese Amritsar in Nordindien.

Wir bitten dich für uns
und für alle, für die wir Verantwortung haben.
Du kennst unsere Grenzen und unser Wollen.
Du hörst unsere Gebete.
Im Namen Jesus Christi bitten wir dich.
Dein Heiliger Geist lässt uns singen.
Singt dem Herrn ein neues Lied, denn ER tut Wunder.

Vater unser
Amen.

Musik
Segen
Amen

Musik zum Ausgang

 

Gottesdienst am 03.05.2020 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Dieser Gottesdienst ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/_tBIVp7fKeY und als PDF.

Für diesen Gottesdienst gibt es zwei Liedvorschläge. Vor der Predigt das Lied 501 „Wie lieblich ist der  Maien“, die Strophen 1,2 und 4. Nach der Predigt könnte man das Lied „Du bist der Weg und die Wahrheit und das Leben“ von Christoph Zehendner und Johannes Nitsch singen. Dessen Text können wir aus urheberrechtlichen Gründen nicht veröffentlichen, aber wer den Titel und die Namen in die Internetsuche eingibt, wird sicher fündig.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Schuldbekenntnis
Gott, wir leben im Ausnahmezustand und fühlen uns hilflos, unsicher und eingeschränkt. Wir wüssten gerne, was richtig ist und was falsch. Wir wüssten gerne, wie lange wir noch auf ein normales Leben verzichten müssen. Wir versuchen, uns zu arrangieren und doch merken wir, dass diese Krise  schwer auszuhalten ist. Wir beklagen die Menschen, die in Existenznöte geraten sind. Wir beklagen die Kranken und Verstorbenen. Wir bitten Dich: Herr, erbarme Dich!

Gott, manchmal stehen wir uns selbst im Weg. Wir sind stolz und uneinsichtig. Wir brechen Brücken zu unseren Mitmenschen ab, manchmal durch ein vorschnelles Wort oder durch Unachtsamkeit. Wir schenken der Beziehung zu Dir wenig Beachtung.
Wir scheitern an unseren selbst gesteckten Zielen. Wir überspielen unsere Fehler. All das bringen wir vor Dich und bitten: Herr, erbarme Dich!

Gnadenzusage
Hört das Wort der Gnade, denn Jesus Christus spricht:  „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht“ Ehre sei Gott in der Höhe!

Schriftlesung aus 1. Mose 1, 1-5; 26-27 und 2,1-3.
1 Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. 2 Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. 3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 4 Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis 5 und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.  26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. 27 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.

Glaubensbekenntnis
Verbunden mit allen Christen weltweit bekennen wir unseren Glauben.
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel,
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten
und das ewige Leben. Amen.

Predigt
In dieser Predigt war ein Teller mit Weintrauben zu sehen, von denen einige etwas zermatscht oder verschrumpelt waren.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

wenn ich Weintrauben kaufe, liegen am Boden der Verpackung oft ein paar  verschrumpelte Exemplare. Vermutlich sind sie beim Transport abgefallen und dann werden sie unansehnlich und matschig. Bei der Weinrebe selbst wundere ich mich manchmal, dass die Trauben oft noch so frisch sind. Sie sind ja schon ein paar Tage vom Weinstock abgeschnitten.
Vielleicht fragen Sie sich jetzt, woher ich diese Trauben habe. Auf natürliche Weise wachsen sie im Mai in Deutschland nicht. So wie Erdbeeren im Dezember. Diese Trauben kommen aus Spanien. Ich kann nur vermuten, wie groß ihr ökologischer Fußabdruck ist. Größe 45 wird wohl nicht reichen. Und im Supermarkt, aus dem ich die Trauben habe, gab es auch welche aus Indien. Die sind um die halbe Welt gereist. Witzigerweise dürfen die trotz Corona raus aus Indien. Zu mir auf den Tisch. So wie Granatäpfel, Avocado, Papaya und anderes bei uns nicht heimisches Superfood. Manche Früchte sind sogar mit dem Flugzeug angereist. Ob das für unsere Schöpfung gut ist? Vermutlich nicht.


Ich treffe täglich – in diesem Falle beim Einkaufen –  Entscheidungen, die Auswirkungen haben. Jetzt müsste ich fünf Euro ins Phrasenschwein werfen. Denn genau genommen hat jede Entscheidung Auswirkungen. Das ist quasi das Wesensmerkmal von Entscheidungen. Sie haben Konsequenzen: Es hat Konsequenzen, wenn ich über meine Nachbarn tratsche. Wie nachhaltig meine Klamotten sind. Ob ich das Auto oder das Rad nehme. Ob ich jemanden für etwas Nebensächliches kritisiere oder lieber ein Lob ausspreche. Es ist schier zum Verzweifeln: Egal, was ich mache, es hat Konsequenzen. Und nicht immer gute.
Wir haben vorhin einen Teil der Schöpfungsgeschichte gehört. Gott hat die Welt gut gemacht und er war wirklich zufrieden. Und dann kam der Mensch. Und wenn man sich das Ergebnis anschaut…


Naja. Reden wir nicht drüber. Wir scheitern regelmäßig an eigenen und fremden Maßgaben, an Geboten und Verboten. An den Imperativen, die wir befolgen müssen. Uns Christen sehen viele Menschen wahlweise als Spießer oder als Versager mit großen Ansprüchen und noch größerem Hang zum Moralisieren. Schuldgeplagt und an der Masse der Gebote scheiternd gehen wir durch diese Welt, immer die Strafe unseres Gottes fürchtend.


Und jetzt kommt es noch dicker! Denn der heutige Predigttext aus dem Johannesevangelium schlägt heftig in die gleiche Kerbe.
Ich lese aus dem Johannesevangelium im 15 Kapitel, die Verse 1 bis 8. Jesus Christus spricht: 1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. 2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. 3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. 4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. 6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. 8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.


Halten wir fest: Jesus ist der Weinstock und ich bin eine Rebe. Und wenn ich so verschrumpelt und entkräftet daherkomme und keine gute Frucht bringe, dann werde ich abgeschnitten und ins Feuer geworfen. Ich kann schon verstehen, dass die Botschaft der Bibel manchmal sehr seltsam wirkt. Aber irgendwie passt das zu unserer Gesellschaft, wie die Faust aufs Auge. Wer Leistung bringt, aus dem kann was werden. Spare, lerne, leiste was dann haste, kannste, biste was! Und wer nichts  leisten kann, der fällt durchs Raster. Bei uns in Deutschland zum Glück nicht so tief, wie anderswo. Hier muss zumindest niemand verhungern.


Nun stehe ich also etwas entmutigt, frustriert und widerwillig vor diesem Text und werde daran erinnert, dass ich am Anspruch der Bibel und an meinen eigenen Anspruch scheitere. Aber ist das wirklich der Kern dieser Rede Jesu? Nein! Denn in diesen Worten steckt viel mehr Ermutigung und Zuspruch.


Erstens: Nicht wir Menschen entscheiden, wer gute Frucht bringt. Das entscheidet Gott. Denn er ist der Weingärtner. Jede einzelne Rebe, also jeder einzelne Mensch, ist ihm so wichtig, dass er sie hegt und pflegt. Gott wendet sich mir persönlich zu.
Zweitens: Deshalb geht es hier um eine Beziehung. Um die Verbindung zwischen Jesus und mir. Für die Bibel ist völlig klar, dass ein Mensch nicht ohne Gott auskommen will und muss. Das stellt sie gar nicht infrage. Deshalb geht es ganz grundlegend um eine organische Verbindung zwischen Jesus und uns Menschen. Ich bin in Jesus verwurzelt, wie eine Rebe in einem Weinstock. Das ist seine Zusage bei der Taufe, das ist seine Zusage an uns Menschen.
Drittens: Die Kraft muss nicht aus mir selbst kommen. Die Kraft wird mir von Jesus bereitgestellt. Ich kann also nur das geben, was mir vorher geschenkt wurde.
Viertens: Mein Scheitern ist nicht das Ende. Das ist die Osterbotschaft, die über dieser Geschichte steht. Denn Jesus hat mein Scheitern bereits getragen. Nicht im Sinne eines Weglächelns. Denn meine Entscheidungen haben immer noch Konsequenzen. Der Weingärtner reinigt die Trauben. Das kann schon mal weh tun. Das ist nicht der einfache Weg. Denn unser Glaube ist tatsächlich nicht einfach ein Kuschelglaube, bei dem alles irgendwie in Ordnung ist, was wir machen. Aber in der Verbindung mit Jesus sind wir auf der sicheren Seite. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu Euch geredet habe.


Aus diesen Jesusworten wird die krasse Mischung sichtbar, die mich am Christsein immer wieder herausfordert, aber auch so begeistert. Es ist Zuspruch und Vergebung auf der einen Seite und Anspruch und Verantwortung auf der anderen. Jesus sagt hier: Wenn Ihr in Beziehung mit mir lebt, wenn ich Eure Kraftquelle bin, dann könnt Ihr gute Frucht bringen.

 

Manchmal fühle ich mich wie so eine Weintraube. Vertrocknet oder zermatscht. Kraftlos, ausgesaugt. Mutlos. Dann hilft mir ein Gespräch mit einem lieben Menschen, ein Telefonat. Ein Gebet. Die Beschäftigung mit einem Bibeltext. Das erfrischt in vertrockneten Zeiten. Es ist die Erinnerung, dass bei Jesus eine große Kraftquelle liegt. Wie lässt sich diese Beziehung konkret gestalten und die Kraftquelle anzapfen? Jesus selbst macht dazu Vorschläge. Und auch die sind meist Zuspruch und/oder Anspruch. Werdet wie die Kinder. Also bewertet Situationen auf eine Weise neu, als würdet Ihr sie noch gar nicht kennen. Selig sind die Friedfertigen. Liebe Gott und Deinen Nächsten. Verkaufe alles und gib es den Armen. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Folge mir nach. Dein Glaube hat Dir geholfen. Ich bin der gute Hirte. Ich bin die Auferstehung und das Leben.


Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.

Amen.

Fürbitten
Gott, Du hast uns die Schöpfung anvertraut. Wir danken Dir für den Frühling, in dem wir besonders sehen können, wie wunderbar die Natur ist. Hilf uns, dass wir verantwortungsvoll mit der Erde umgehen.
Gott, wir bitten Dich für die Menschen in unserer Gemeinde und darüber hinaus, die um einen geliebten Menschen trauern. Danke, dass Du den Tod überwunden hast. Für die Trauernden bitten wir Dich, dass Du sie tröstest, stärkst und aufrichtest. Schenke ihnen Menschen, die mit ihnen gehen durch schwere Zeiten.
Kerze anzünden
Gott, wir bitten Dich für unsere Gemeinde. Danke für Möglichkeiten der digitalen Begegnung. Wir vermissen es, einander real treffen zu können. Wir vermissen das gemeinsame Lachen, Singen, Beten, Feiern, das Diskutieren, Planen und Träumen. Wir bitten Dich, lass uns bald wieder zusammenkommen können. Stärke unsere Gemeinschaft in der aktuellen Situation.
Gott, zurzeit sind viele Krisen auf der Welt nicht mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Wir danken Dir, dass es trotzdem Menschen gibt, die sich zum Teil bis zur totalen Erschöpfung für die Vergessenen einsetzen. Wir bitten Dich für die Menschen im Lager Moria auf Lesbos, die unter schlimmen Bedingungen leben. Wir bitten Dich für die Opfer von Krieg und Gewalt, besonders in Syrien. Wir bitten Dich für die Menschen in unserer Partnerdiözese Amritsar. Steh Du ihnen bei und schenke, ihnen Frieden und ein menschenwürdiges Leben.

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.  
Gehen Sie unter dem Segen Gottes in die kommende Woche:

Segen
Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

 

Rückmeldungen zu diesem Gottesdienst: bartsch@ev-kirche-bn.de oder 06033 79 60 527

Gottesdienst am 26.4.2020 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Dieser Gottesdienst steht auch online: https://youtu.be/q804S6GozSw

Musik zum Eingang

Begrüßung
"Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben." | Joh 10,11a.27–28a

Psalm 23
Der gute Hirte
1 Ein Psalm Davids.
Der Herr ist mein Hirte,
mir wird nichts mangeln.
2 Er weidet mich auf einer grünen Aue
und führet mich zum frischen Wasser.
3 Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
5 Du bereitest vor mir einen Tisch
im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.

Gnadenzusage
Zu unserem Leben gehört es, dass wir in die Irre gehen.
Und wenn wir den Weg nicht allein zurückfinden, können wir darauf vertrauen:
Gott geht mit uns.
Denn so spricht Gott, dein Erlöser:
Ich bin dein Gott, der dich lehrt, was dir hilft und dich leitet auf dem Weg, den du gehst.
(Jes 48,17 LUTHER 2017)

Kollektengebet
Gott, du beschützt uns, du bist für uns da,
wann immer wir dich brauchen.
Im dunklen Tal, im hellen Licht, im Angesicht derer, die uns übel wollen.
Darum bitten wir dich:
Lass uns aufeinander achten und füreinander eintreten.
Durch Jesus Christus, der eins ist mit dir,
der uns birgt und bewahrt wie Eltern,
die schützen und stärken, die uns kennen und lieben.
Amen.

Lied: 445, 1.2.5

Predigt
Ich lese aus dem 1. Petrusbrief im zweiten Kapitel die Verse 21-25: (Einheitsübersetzung 1. Petrus 2,21b – 25)

Ihr wisst doch:
Christus hat für euch gelitten
und euch ein Beispiel gegeben,
damit ihr seinen Spuren folgt.
22 Ihr wisst: »Er hat kein Unrecht getan;
nie ist ein unwahres Wort aus seinem Mund gekommen.«
23 Wenn er beleidigt wurde,
gab er es nicht zurück.
Wenn er leiden musste,
drohte er nicht mit Vergeltung,
sondern überließ es Gott,
ihm zum Recht zu verhelfen.
24 Unsere Sünden hat er ans Kreuz hinaufgetragen,
mit seinem eigenen Leib.
Damit sind wir für die Sünden tot
und können nun für das Gute leben.
Durch seine Wunden seid ihr geheilt worden!
25 Ihr wart wie Schafe, die sich verlaufen haben;
jetzt aber seid ihr auf den rechten Weg zurückgekehrt
und folgt dem Hirten, der euch leitet und schützt.

Liebe Gemeinde,

es ist ein Text, der herausfordert: Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben,
damit ihr seinen Spuren folgt. (vgl. 1. Petr 2,21)

Ich soll also Christus als Vorbild predigen? Den Leidenden zum guten Beispiel machen? Dem Gekreuzigten nacheifern? Und aufrufen soll ich: „Folgt seinen Spuren! Auf, ihm nach! Werdet wie er!“ Der leidende, geschundene, sterbende Mann am Kreuz – als Vorbild? Da entstehen vor meinen Augen Bilder von Christinnen und Christen, die sich für ihren Glauben geißeln und aus Buße Pilgerwege auf den Knien zurücklegen. Mir fallen Menschen ein, die sich selbst nicht vergeben können und ihr Leben von Schuld gebeugt und innerlich zerfressen verbringen. Ich denke an Menschen, die das Leid, das sie getroffen hat, klaglos als Gottes Strafe für ihre Sünden annehmen. Leiden als Strafe Gottes verstehen und klaglos aushalten - ist das gemeint, wenn der leidende Christus uns ein Vorbild werden soll???

Da suche ich mir lieber andere Vorbilder: Mir fallen strahlende Idole ein: Ich könnte über Elvis reden, den gefeierten Popsänger, über seine Hits, seine Filme, seine größten Erfolge, seine Millionen, seine Zeit hier in Bad Nauheim. So möchte doch jede und jeder von uns sein: Umjubelt wie er, im Mittelpunkt des Interesses, beliebt bei Alt und Jung. Mir fallen Youtuber ein, die eine Meinungsmacht haben mit Millionen Followern und die Meinung besonders von jungen Menschen maßgeblich bestimmen. Tagtäglich senden sie ihre Filme, Bilder und Posts in die Welt, werden dafür geliebt oder auch angefeindet. Sogar von dem Filmwandheld James Bond, dem Agenten seiner Majestät, könnte ich reden, der in jeder Situation einen kühlen Kopf behält. Klug, stark, charmant meistert er das Leben und jedes Abenteuer. So möchte man doch sein: Gut aussehend, intelligent, durchtrainiert, dann ist das Leben ein Kinderspiel. Aber ich soll über einen Ohnmächtigen reden, einen Misshandelten, einen Gequälten, einen, den sie als Verbrecher ans Kreuz genagelt haben. Und das in einer Gesellschaft, die Leid und Tod an den Rand drängt, wo jede und jeder schön und gesund, erfolgreich und mächtig sein soll. Ich soll über einen Ohnmächtigen predigen - und das in einer Zeit in der wir alle so unglaublich ohnmächtig sind. Seit ich denken kann sind Leid und Tod in den Medien nicht so präsent gewesen wie in diesen Wochen der Corona-Krise.

Da schaue ich mir lieber noch ein wenig meine Idole, die Stars, die Meinungsmacher, die Filmhelden an. Um mich abzulenken. So möchte man sein. So möchte ich sein. Gewiss, ich weiß ja: Das sind Träume, Illusionen – die Wirklichkeit sieht anders aus: Das scheinbar wunderbare Leben von Elvis endete mit einem frühen Herztod des Künstlers, der seinen Körper mit Süßigkeiten, Alkohol und andere Drogen schädigte, um seine innere Leere zu füllen. Und die Machtfülle eines Youtube-Stars kann auch eine furchtbare Belastung sein. Der Zwang täglich im Netz präsent zu sein, kann einem den Schlaf und die Lebensqualität rauben. Und der Filmwandheld ist ohne die Tricks, Schnitte und Stunts, also in der Realität, auch nur ein normaler Mensch. Von dem charmanten und überlegenen Helden bleibt nur ein Schauspieler, der eine Rolle einstudiert, ein Drehbuch umsetzt. Alles nur Illusion. So scheitern meine Träume, Wunschbilder, Illusionen an der Wirklichkeit. Wenn ich hinter die Fassade schaue, wenn ich die Vorbilder privat sehe, wenn ich hinter die Reklametafeln mit den perfekten Menschen schaue, dann zerplatzen die falschen Hoffnungen auf ein umjubeltes, mächtiges, freies Leben wie Seifenblasen - schillernd und doch zerbrechlich.

Jesus dagegen ist ein Vorbild ohne Täuschung, ohne Enttäuschung, ohne Illusion: Dieser Mann am Kreuz zeigt uns die Welt, wie sie ist – voller Leidenschaft und Begeisterung, aber auch ungerecht und voller Leid. Jesu Leben bietet uns einen Blick auf die Realität: in Armut geboren, auf der Flucht vor einem despotischen Herrscher, Freund der Armen und Rechtlosen, Tischgenosse der Menschen, die niemand beachtete, ein Mann auf Wanderschaft ohne Behausung, ohne Habe, ohne einflussreiches Amt. Ein Mann, der begeistert gefeiert wurde und seine Zeit mit seinen Freunden verbrachte. Der viel Schönes und viel Leid erlebte. Es ist ein ehrliches Leben, was uns Jesus bietet – ohne Verschönerungen, ohne Illusion.

Ich merke: Dieser Jesus am Kreuz, der passt zu all den anderen Bildern, die ich in meinem Kopf habe, die mich nicht loslassen, die mich Tag für Tag aufs Neue bestürmen. Da ist nichts mehr vorbildlich und schön. Da ist Angst und  Verunsicherung. Da ist Einsamkeit und Unsicherheit wie es denn weitergehen soll. Und da ist das alltägliche Elend, das durch die Corona-Krise an den Rand gedrängt wird: Menschen in überfüllten Flüchtlingslagern, Obdachlose…
Keine Vorbilder, aber Bilder! Eben welche, die nicht täuschen oder mir etwas vormachen, was nicht so ist. Der Gekreuzigte passt da hinein, in diese Bilder, in diese Welt, in unseren Alltag.

Doch unter uns, bei dieser Flut der Bilder und der Menge des Elends, des Leidens, der Schrecken, die uns täglich medial in den Zeitungen und Nachrichten vor Augen geführt wird, bei dieser Menge von Bildern, die sich in meinem Kopf festsetzen und deren Elend mir zu Herzen geht: Ist es da ein Wunder, dass ich träumen möchte? Ist es da nicht völlig verständlich, dass ich mich in eine Scheinwelt der Illusion flüchte, um den Alltag auszublenden? Um dem Leiden der Welt zu entfliehen, ist es doch schön, Vor-Bilder zu haben, denen das scheinbar gelingt, oder? Doch ich bin, wir Christenmenschen sind mit dem Vorbild konfrontiert, das uns keine Flucht, keine Illusion, keinen Traum ermöglicht: In dem Leidenden, dem Ohnmächtigen, dem Gekreuzigten muss ich mich der Welt und ihren Bildern stellen. Und nicht nur das: Ich muss es zulassen, dass diese Bilder mich berühren, mich betroffen und traurig machen. Denn so ist das Leben: Neben all dem Schönen und Freudigen gibt es die Seite des Lebens, die hässlich, traurig und furchtbar ist.

Trotzdem ist dieses Vor-Bild vom Gekreuzigten nicht ohne Hoffnung, nicht ohne Träume von einer besseren Welt: Denn dieser Mann am Kreuz gibt uns nicht nur mit seinem Leben, sondern auch mit seinem Sterben Grund und Hoffnung zum Träumen: Denn Jesus starb für uns. Ein Satz, der schwierig zu hören ist. Er starb für uns – zu unserer Erlösung, damit wir ein freies Leben führen können, unbelastet von den Sünden der Vergangenheit. Der Briefschreiber formuliert es so: „Durch Jesu Striemen werden wir geheilt.“ Unsere Sünden hat er ans Kreuz hinaufgetragen, mit seinem eigenen Leib.

Damit sind wir für die Sünden tot (1. Petr 2,24 BIGS 2011), durch seine Wunden werden wir heil. Durch Jesu Tod am Kreuz schenkt uns Jesus, schenkt uns Gott, Leben, das immer wieder neu beginnt. Keine Aufrechnung dessen, was wir getan haben, kein Auflisten der großen und kleinen Sünden. Durch diesen Tod am Kreuz für uns, schenkt Jesus uns Heil. Und er schenkt uns den Traum von einem freien Leben, frei von der Last, der Schuld der Vergangenheit. Jesus schenkt uns immer wieder einen neuen Anfang und Freiheit von den Belastungen der Vergangenheit.

Noch etwas ist mir an dem Vorbild des Leidenden wichtig: Jesus bleibt nicht im Leid. Das Leiden wird nicht zu einem Selbstzweck. Das Leid ist nicht der Schlusspunkt. Aus dem Leid, dem Tod und der Trauer entsteht neues Leben und neue Hoffnung. Jesus bleibt nicht im Tod gefangen. Er ist auferstanden. Auf Karfreitag folgt immer wieder der Ostermorgen. Hier wird deutlich: Leiden gehört zum Leben. Und in allem, dem Leiden und dem Schweren ist Gott an unserer Seite. Gott behütet uns wie ein Schäfer seine Herde. Leiden gehört zum Leben. Aber es ist nicht Sinn und Ziel des Lebens. Gott möchte ein gutes, frohes Leben voller Heil für uns. Nur leider funktioniert das nicht immer. Das wissen Sie und ich. Leiden gehört zum Leben – und es ist trotzdem nicht gottgewollt. Gott möchte, dass wir nicht im Leiden bleiben, sondern es überwinden, neue Hoffnung bekommen und neu auferstehen – immer wieder. Jeden Tag neu auf(er)stehen. Der Traum von einem guten Leben kann uns immer wieder Kraft geben, das Schlimme und das Leid auszuhalten, zu überstehen, wissend, dass Gott an unserer Seite ist und wir von ihm begleitet sind. Wie ein Schäfer seine Herde beschützt, so ist Gott für uns da an jedem Tag unseres Lebens.

Diese Träume von einem unbelasteten und guten Leben sind keine schillernden Seifenblasen, die zerplatzen, sobald sie mit dem harten Boden der Realität konfrontiert werden. Sondern diese Träume sind tragende Hoffnungen, gegründet in dieser Welt, basierend auf einem, der das Leben kannte und mit seinem Tod den Beweis brachte: Gott will für uns kein Leben durch Schuld belastet. Gott will für uns kein Leben im Leid. Das zeigt uns jemand, der das Leben kennt: Jesus, der für uns am Kreuz für unsere Sünden starb und wieder auferstand. Durch Jesus werden Träume wahr, sie werden lebendig und Realität.

Denn mit Jesus verändert sich unser Blick auf die Wirklichkeit. Wir sehen diese Welt, ihre Ungerechtigkeit, die Fehlerhaftigkeit, die Probleme und Mängel, und wollen sie zu einem besseren Ort machen. Wir stellen uns gegen Ungerechtigkeit – im Großen oder im Kleinen. Wir setzen uns für den Schutz der Umwelt ein, damit unsere Kinder und Kindeskinder noch eine Zukunft auf dieser Erde haben. Wir verleihen Unterdrückten eine Stimme. Wir stellen uns gegen Hass und Gewalt und gehen in unserem Alltag friedlich und rücksichtsvoll mit unseren Mitmenschen um. So hat es Jesus uns gezeigt, so können wir Tag für Tag seinen Fußstapfen folgen. Und diese Welt zu einem besseren und gerechteren Ort machen. Diese Träume zerplatzen nicht an der Wirklichkeit, wenn die Illusion der Realität weicht. Diese Träume bestehen auch vor den Bildern der Nachrichten, des wahren Lebens. Bei einem solchen Vorbild brauchen wir uns nicht in Illusionen zu flüchten. Denn Gott begleitet uns durch das Auf und Ab des Lebens, kontinuierlich und sicher wie ein Schäfer seine Herde. Jesus als Vorbild - ein besseres Vorbild könnten wir nicht haben. Denn es hält die Realität aus und bietet uns Raum zum Träumen.

Amen.

Lied: EG 209 Ich möchte‘, dass einer mit mir geht

Fürbitten
Gott, du bist mein Hirte, du weißt, was ich nötig habe.
Wir bitten für Menschen, denen die Liebe in ihrem Leben fehlt,
die sich einsam fühlen, denen die Kraft zum Leben fehlt.
Erquicke du ihre Seele,
führe sie zur Quelle, die Leben schenkt

Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal. (Ps 23, 4a BIGS 2011)
Wir bitten für Menschen,
die keinen Sinn in der Welt und in ihrem Leben entdecken,
die es nicht ertragen von ihren Familien und Freunden getrennt zu sein,
die krank sind und
Sei du bei ihnen, so dass sie kein Unglück fürchten müssen.
Gib du ihnen den Trost, den sie benötigen.

Dein Stecken und Stab trösten mich. (Ps 23, 4c BIGS 2011)
Wir bitten für alle, die einen Menschen verloren haben und deswegen trauern.
Besonders denken wir an die Angehörigen unserer Gemeindeglieder, die/der in dieser Woche kirchlich bestattet wurde.
Sei du bei ihnen auf dem Weg durch die Trauer und gib ihnen Hoffnung und Vertrauen, dass du uns alle umfängst.
Wir bitten dich für alle, die in der Pflege und Betreuung der Menschen arbeiten, die nicht allein leben können, für die Pflegekräfte und Ärzte im Krankenhaus und bei den Rettungsdiensten, gib ihnen weiterhin Kraft und Freude für ihre Arbeit unter diesen erschwerten Bedingungen.

Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. (Ps 23, 5 BIGS 2011)
Wir bitten für Menschen, die hungern, die dürsten, die in Armut leben,
die nicht wissen, wovon sie morgen leben.
Für die, die nicht wissen, ob ihre Firma die wirtschaftliche Krise überlebt, die durch den Corona-Virus ausgelöst wird, ob ihr Arbeitsplatz in wenigen Wochen noch bestehen wird.  
Gib ihnen das tägliche Brot und die Hoffnung, dass du ihnen voll einschenkst.
Denn wir vertrauen auf deine Barmherzigkeit und Güte,
die wir einst erfahren werden.

Vaterunser

Segen
Gott segne dich und behüte dich. Gott lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig. Gott erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir seinen Frieden. Amen.

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 19.4.2020 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Dieser Gottesdienst steht auch online: https://youtu.be/Qw-2i7zvWEQ

Orgel
Begrüßung
„Quasimodogeniti“ = „gleichsam wie Neugeborene“ – so stellte man sich in der frühen christlichen Kirche die Täuflinge vor, wenn sie bei ihrer Taufe im Wasser untergetaucht waren und wiederauftauchten. Ein eindrückliches, zeichenhaftes Geschehen und zugleich eine sichtbare Erklärung für die Auferstehung Jesu: gestorben und wieder auferstanden, neu geboren!
Damals kamen alle in der Osternacht getauften Christen in ihren weißen Taufgewändern am Sonntag nach Ostern zum ersten Gottesdienst als neu getaufte Mit-Christen. Deshalb nennt man bis heute diesen Sonntag den „Weißen Sonntag“. Unsere christliche Taufe ist also eng mit der Auferstehung Jesu verbunden.
Dieses österliche Geschehen übersteigt unsere Vernunft und Vorstellungskraft. Es ist ein ermunterndes Zeugnis zum Aufbruch aus Trübsinn und Resignation – gerade in dieser eigenartigen „Corona-Zeit“, in der wir nur „gemeinsam getrennt“ Gottesdienste feiern können.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen

Psalmgebet

Aus Psalm 116 EG 746
 
Der Herr tut dir Gutes
 
Sei nun wieder zufrieden, meine Seele;
denn der Herr tut dir Gutes.
 
Denn du hast meine Seele vom Tode errettet,
mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.
 
Ich werde wandeln vor dem Herrn
im Lande der Lebendigen.
 
Wie soll ich dem Herrn vergelten
all seine Wohltat, die er an mir tut?
 
Ich will den Kelch des Heils nehmen
und des Herrn Namen anrufen.
 
Dir will ich Dank opfern
und des Herrn Namen anrufen.
 
Ich will meine Gelübde dem Herrn erfüllen
vor all seinem Volk
 
in den Vorhöfen am Hause des Herrn,
in dir, Jerusalem. Halleluja!

Eingangsgebet
Gott,
wir kommen mit unseren Fragen, mit unseren Sorgen.
Wir kommen zu dir mit Ängsten und mit Zweifeln.
Schenke uns Augen, die sehen.
Schenke uns Hände, die begreifen.
Gib uns ein Herz, das dir vertraut.
Das bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn.
Amen

Lesung Johannes 20, 19+24 – 29
19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
24 Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. 25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich's nicht glauben. 26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! 27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! 28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! 29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Lied: 184 Wir glauben Gott im höchsten Thron

Predigt

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde nah und fern,

ich möchte eine Brücke schlagen über 2500 Jahre. Von uns heute zu einem Predigttext, der in Babylon entstand, wo die jüdische Oberschicht gefangen war. Weit weg von der Heimat hat Gott ihnen einen Propheten geschickt, der sie trösten und aufmuntern sollte. Ich glaube, das können wir auch gut gebrauchen. Jesaja sagt also ihnen und uns:
26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. 27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: „Mein Weg ist dem HERRN verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber“?  28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.  29 Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.  30 Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen;  31 aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. Jesaja 40, 26-31

Sie haben jahrelang zu ihrem Gott gebetet; sie haben von ihm erzählt und sich an ihn gehalten; sie sind nicht von ihm abgefallen und haben sich nicht den vielen Göttern Babylons zugewandt; sie haben der Botschaft von dem einen, barmherzigen Gott vertraut. Aber sie haben nichts von ihm gespürt; er hat sie nicht befreit; er hat sie nicht in ihre Heimat zurückgebracht. Sie haben wie vor eine Wand gebetet und vergeblich geglaubt. Deshalb haben sie schließlich die Götter der Babylonier angebetet; denn ihr Gott hatte sie vergessen.

Auch wir beten – und nichts ändert sich. Was ist, wenn das Coronavirus das persönliche Leben und das der ganzen Gesellschaft völlig umkrempelt? Was ist, wenn wir unter unseren eigenen Fehlentscheidungen leiden und den Sinn des Lebens und das Vertrauen in Menschen verlieren? Wo ist dann Gott? Kümmert er sich nicht um uns hier? Hat er immer andere im Blick?  Unsere Kirchengemeinde wird kleiner; es ist schwer, engagierte Menschen in den Kirchenvorstand zu bekommen; die Zahl der nicht getauften Menschen wird größer.
„Geht der Glaube zur Tür hinaus, kommt der Aberglaube durch´s Fenster. Verlässt Gott das Haus, kommen die Gespenster.“ So heißt ein altes Sprichwort.         

„Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der die Enden geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich!“
Hast du nicht gehört, was damals nach der Kreuzigung Jesu an Ostern geschehen ist? Sie waren wirklich verzweifelt, als ihr Meister und ihr Idol gefangen genommen und gekreuzigt wurde. Sie waren völlig enttäuscht; denn ihre Lebenshoffnung war dahin! Aus Angst vor der eigenen Gefangennahme und Kreuzigung waren sie geflohen. Sie waren Angsthasen geworden.
Und dann wurden sie Zeugen der Schöpfungsmacht Gottes; sie erlebten die Begegnung mit dem auferstandenen Jesus. Sie bekamen plötzlich neue Kraft, „dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“

Menschen: sie sind auf einmal nicht mehr dieselben. Sie sind andere geworden. Wo sind auf einmal die Feiglinge, die flüchten? Die Angsthasen, die ihn verleugnen? Die Zweifler, wie Thomas, von dem wir eben hörten? Die Angst macht nichts besser. Im Gegenteil. Sie macht das Leben in schwierigen Zeiten noch schwerer. Vorsicht ist gut, Wachsamkeit. Aber Angst ist wie gefangen zu sein. Aus ihnen werden andere. Sie haben ihre Angst verloren. Sie wissen, es geht weiter. Der Himmel steht uns allen offen.

Von dem Pfarrer und Dichter Kurt Marti stammen die Zeilen:
„Ihr fragt, wie ist die Auferstehung der Toten? – Ich weiß es nicht.
Ihr fragt, wann ist die Auferstehung der Toten? – Ich weiß es nicht.
Ihr fragt, gibt´s keine Auferstehung der Toten? – ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, wonach ihr  n i c h t  fragt: Die Auferstehung derer, die leben. Ich weiß nur, wozu er uns ruft: Zur Auferstehung heute und jetzt.“

Auferstehung als ermutigender Schritt nach vorne. Ich erlebe es als  ein aktuelles Geschehen, als Ruf aus meiner Angst. Wir – das sind die, die „auf den Herrn harren“. „Harren heißt Hoffen, weil der Schöpfergott viel mehr vermag als ich, sein Geschöpf. Er kann den Tod besiegen; er kann die Angst wegnehmen; er schenkt neue Kraft. Und er kann dies nicht nur; er hat es getan!  „Weißt du nicht? Hast du nicht gehört?“
 
Die Osterbotschaft ist Schöpfungshandeln Gottes Es übersteigt unseren Verstand! Es reißt uns bis heute heraus aus dem Jammern und Klagen über die Abwesenheit des Gottes, über seinen Tod und die Frage, wie er so etwas zulassen kann wie das, was uns in diesen Monaten geschieht. Und das hat seine Auswirkung auf unser Verhalten:

Ich erlebe, wie unsere Gemeinde zusammenhält. Wie wir uns im Internet zum gemeinsamen Gebet versammeln können und zur Beratung. Wie unsere Gemeindebrief_Redaktion vor Ostern in wenigen Tagen eine Sondernummer zusammengestellt hat, die wir in Altenheime,  gebracht, und an tausend Emailadressen verschickt haben. Gottesdienst auch so zu feiern – hier in der Kirche und bei Ihnen daheim. Oder die Osternacht in der Dankeskirche als Youtube-Video erleben zu können.

Unserem schwachen Glauben werden Flügel geschenkt, wie Adler sie haben. Auferstehung heißt aufstehen und aufbrechen wie die Menschen, die gerade getauft sind. So sind wir! Gottes Schöpfung ist noch lange nicht zu Ende.
Amen

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen

Lied: 103, 1 – 5 Gelobt sei Gott im höchsten Thron

Fürbitte
„Ostern, Aufstand des Lebens gegen den Tod.
Noch ist unser Leben vom Tod gezeichnet.
Ostern, Aufstand der Freude gegen das Leid.
Noch ist unser Leben vom Leid gezeichnet.
Nur ahnend erfassen wir das Neue.
Doch wir trauen dir, Gott, zu, dass du alles verwandelst
und dein Osterlicht heute durch uns leuchten lässt.“

Gott, wir stehen an der Seite unserer Geschwister, die leiden. Und wir wissen, dass sie durch deine Wunden geheilt sind von Schwäche und Krankheit.
Wir bitten darum, dass wir gemeinsam als deine Kinder auf der ganzen Erde diese schweren Zeitengemeinsam bestehen.
Wir bitten um Schutz für diejenigen, die ganz vorne stehen im Kampf gegen das Coronavirus, als Pflger, als Ärzte, als Forscher.
Wir bitten um Ruhe, um Trost und um Vernunft in bedrängender Panik und wachsender Angst.
Wir bitten um Verbundenheit und Solidarität in unserer weltweiten Menschenfamilie in dieser schwierigen Situation.
Lass deinen Frieden sich ausbreiten in uns.
Das bitten wir in Jesu Namen. Amen.

Vaterunser

Lied: 99 Christ ist erstanden

Segen
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. (Jesaja 9,1)
Gottes heilende Hand ruhe auf dir.
Gottes lebenspendende Kraft fließe in dich und in jede Zelle deines Körpers und in die Tiefen deiner Seele.
Sie soll dich reinigen und erfüllen und aufbauen zu Ganzheit und Stärke im Frieden Gottes.
Amen

Orgel

Gottesdienst am Ostermontag 2020 mit Video von Pfarrerin Meike Naumann

Der hier abgedruckte Gottesdienst ist auch online zu finden: https://youtu.be/8plFR0AKdTE

Liebe Kinder, liebe Eltern,

bevor es losgeht mit unserem ganz anderen Ostergottesdienst ein paar Worte vorweg. Natürlich wird der Gottesdienst, den wir gleich feiern, ganz anders sein als der Familiengottesdienst, den wir sonst immer feiern. Wir haben den Gottesdienst in der Dankeskirche aufgenommen, nicht in der Wilhelmskirche. Ihr seid zu Hause am PC oder am Tablet und guckt euch den Gottesdienst an. Wir können uns nicht wie sonst direkt begrüßen, miteinander singen, uns anschauen. Der Gottesdienst ist viel ruhiger als er es sonst ist. Ohne Anspiel oder Aktionen für euch zum Mitmachen. Und die Aufzeichnung ist vor allem viel ruhiger als die Sendungen, die ihr sonst so schaut. Aber ich freue mich trotzdem, dass wir das alles so hinbekommen haben und wünsche uns einen gesegneten Gottesdienst.

Musik zum Eingang

Liebe Kinder, liebe Eltern,

leider können wir dieses Jahr unseren Osterfamiliengottesdienst nicht gemeinsam feiern. Aber Ostern fällt nicht aus!

Und so grüße ich Euch und Sie alle aus der fast leeren Dankeskirche. Ich freue mich, dass ich nicht ganz allein hier bin. Frank Scheffler ist an der Orgel und hat uns bereits mit dem Jubelruf begrüßt:

„Christus ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!“

Diese Botschaft haben die Frauen den Jüngern überbracht. Wir wollen gemeinsam feiern, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist. Jesus lebt! Wir wollen gemeinsam feiern, denn Jesus hat uns versprochen: Wer sein Leben in meinem Namen lebt, der wird ein erfülltes Leben haben.
Wir sind zusammen im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und heilige Geistes. Amen.

Wir freuen uns und singen gemeinsam das erste Lied.

Lied: EG+ 17  Große Leute, kleine Leute

Und wir beten zu Gott mit Worten aus Psalm 118

Heute ist der Tag, den Gott gemacht hat.
Lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.
Gott, ich will für dich ein Lied singen.
Ich darf leben und erzählen, wie gut du zu uns bist.

Gott, wenn ich Angst habe, dann bist du da.
Du hörst mich, wenn ich rufe.
Was können mir Menschen tun?
Du bist da, um mir zu helfen.

Auf dich zu vertrauen ist besser, als sich nur auf Menschen
zu verlassen.
Auf dich zu vertrauen ist besser, als auf irgendeinen Supermann
zu warten.

Der Stein, den die Bauleute achtlos weggeworfen haben,
ist zum Grundstein für alles geworden.
Und das hat Gott gemacht.
Heute ist der Tag, den Gott gemacht hat.
Lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.

Die Ostergeschichte nach dem Evangelium des Lukas Kapitel 24,12

Jesus lebt!

Am Sonntagmorgen gingen die Frauen in aller Frühe zum Grab.

Sie hatten duftende Salben und Öle dabei, mit denen sie Jesus einreiben wollten. So war es damals bei Begräbnissen üblich. Als sie beim Grab ankamen, sahen sie, dass der große Stein nicht mehr vor dem Eingang lag. Jemand musste ihn weggerollt haben!

Die Frauen gingen in die Grabkammer hinein und erschraken: Das Grab war leer! Jesus war nicht mehr da! Was war mit ihm geschehen?

Ratlos standen die Frauen da. Plötzlich kamen zwei Männer auf sie zu. Ihr Kleider waren so weiß, dass sie leuchteten wie die Sonne. Furchtsam blickten die Frauen auf den Boden und wagten nicht, die Männer anzusehen.

»Ihr sucht Jesus?«, sprach einer der Männer sie an. »Warum sucht ihr ihn hier bei den Toten? Er ist nicht hier. Denn er lebt! Gott hat ihn vom Tod auferweckt.« Da erinnerten sich die Frauen, dass Jesus ihnen schon vor seinem Tod gesagt hatte: »Ich werde am Kreuz sterben. Aber am dritten Tag werde ich auferstehen.« Jetzt hatten sich seine Worte erfüllt. Gott hatte Jesus nicht dem Tod überlassen!

Voller Freude liefen sie in die Stadt zurück. Diese wunderbare Nachricht mussten sie so schnell wie möglich den anderen Jüngern bringen: Jesus war vom Tod auferstanden! Doch als die Frauen den Jüngern erzählten, was sie erlebt hatten, wollten die ihnen nicht glauben. »Was sagt ihr denn da?«, riefen sie. »Das ist völlig unmöglich! Wir haben doch gesehen, wie Jesus am Kreuz gestorben ist!« Nur Petrus sagte nichts. Er stand auf, lief zum Grab und schaute hinein. Nur das weiße Leintuch lag dort. Jesus war fort – genau wie die Frauen es gesagt hatten. Ob sie doch Recht hatten? Nachdenklich ging Petrus wieder zu den anderen zurück.

Lied: EG 116 Er ist erstanden

Gebet

Gott, wir feiern Ostern.
Wir feiern, denn du hast den Tod besiegt.
Wir freuen uns, dass du stärker bist als alles, was uns Angst macht.
Du versprichst uns neues Leben.
Wie Jesus bei dir lebt, so werden auch wir bei dir leben.
Auf dich hoffen wir.
Wir bitten dich für alle Menschen,
die sich heute nicht freuen können,
die traurig sind,
die Angst haben,
die ohne Hoffnung sind.
Lass es auch für sie Ostern werden.
Verwandle ihre Trauer in Freude.
Verwandle ihre Angst in Mut.
Verwandle ihre Hoffnungslosigkeit in Vertrauen auf dich.

Vater unser

Lied: 170 Komm, Herr, segne uns

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am Ostersonntag 2020 mit Video von Pfarrer Rainer Böhm

Der hier abgedruckte Gottesdienst ist auch online zu finden: https://youtu.be/t8cDXpbi_MQ

Eingangsmusik

BEGRÜSSUNG
Er ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden!
Ostersonntag ist der Tag, an dem es trotzdem weitergeht. Es geht weiter. Anders. Alles ist anders. Du hattest es anders geplant, gewünscht, gehofft, Du warst es anders gewohnt. Anders ist schwer. Es ist auch nicht auf einmal alles gut. Es ist immer noch schrecklich. Aber das ist nicht das Ende. Es geht weiter. Du gehst weiter. Und Du merkst, dass Du nicht alleine gehst. Jesus ist noch da. Irgendwo weiter vorne und manchmal neben dir. Auf dem Weg durch Leben und Tod. Auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Gott hat sie uns versprochen. Deshalb: Frohe Ostern!

VOTUM
Wir feiern diesen Ostergottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

EINGANGSPSALM

Leben, das ist etwas Erschütterbares.
Es ist in uns. Es ist um uns.
Und es ist uns voraus.
So wie Christus selbst:
Er ist in uns. Er ist um uns.
Und er ist uns voraus.
Unsere Hoffnung trägt seinen Namen.
Sein Name trägt unsere Hoffnung.
Oster – Hoffnung,
die das Leben wandelt
und jeden Tag neu auf uns wartet:
„Mir ist ein Stein vom Herzen genommen:
meine Hoffnung,
die ich begrub,
ist auferstanden.“
Er ist in uns. Er ist um uns.
Und er ist uns voraus.
Lasst uns miteinander Gott anbeten ...

Kyrie
Kyrie eleison – Herr, erbarme dich!
„Wir wollen alle fröhlich sein“ –
aber es gibt so vieles, was unsere Freude bedrängt:
Krankheit, Gefahr, Tod, Verunsicherung.
Wir wissen in diesem Jahr gar nicht, wie wir Ostern feiern sollen.

Christe eleison – Christe erbarme dich!
„Wir wollen alle fröhlich sein“ –
aber die Freude und Fröhlichkeit ist uns gerade vergangen,
haben wir verlernt und ausgetrieben.
Können und dürfen wir sie neu lernen?

Kyrie eleison – Herr, erbarme dich!
„Wir wollen alle fröhlich sein“ –
aber es sind viele, die sich nicht mitfreuen können:
unwillkommen in unserem reichen Land,
verfolgt und unterdrückt in anderen Ländern der Erde,
verstümmelt von Minen der neuesten Technologie.
Triumphiert nicht überall der Tod über das Leben?
Wir bitten gemeinsam: Herr, erbarme dich ...

Gloria
Die der Geist Gottes treibt,
die sind Gottes Kinder.
Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben,
nämlich Gottes Erben und Miterben Christi,
wenn anders wir mit ihm leiden
auf dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.
Lobsinget Gott,
erhebet seinen heiligen Namen ...

Der Herr sei mit euch ...

GEBET
Gott, Quelle des Lebens,
vom Tod weg wende unsere Sinne zum Leben,
von der Trauer weg zur Freude am Miteinander,
von der Ängstlichkeit zum Mut der Befreiten.

Gott, Quelle des Lebens,
unsere Gefühle erwachen zur Hoffnung,
unsere Worte bezeugen deine Wunder,
unsere Taten preisen deine Liebe.

Gott, Quelle des Lebens,
wir sind in deinen Tod getauft,
wir werden neu zu deinem Leben erweckt,
wir werden in dir sein, wie du in uns –
durch Jesus Christus, deinen Sohn

LESUNG
Mk 16, 1 - 8
Die Botschaft von Jesu Auferstehung
1 Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging.
3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?
4 Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. 5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich.
6 Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 7 Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

EG 805 Nicänisches Glaubensbekenntnis
Wir glauben an den einen Gott,
den Vater,
den Allmächtigen,
der alles geschaffen hat,
Himmel und Erde,
die sichtbare und die unsichtbare Welt.
Und an den einen Herrn Jesus Christus,
Gottes eingeborenen Sohn,
aus dem Vater geboren vor aller Zeit:
Gott von Gott,
Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater;
durch ihn ist alles geschaffen.
Für uns Menschen und zu unserm Heil ist er vom Himmel gekommen,
hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist
von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.
Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus,
hat gelitten und ist begraben worden,
ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift
und aufgefahren in den Himmel.
Er sitzt zur Rechten des Vaters
und wird wiederkommen in Herrlichkeit,
zu richten die Lebenden und die Toten;
seiner Herrschaft wird kein Ende sein.
Wir glauben an den Heiligen Geist,
der Herr ist und lebendig macht,
der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht,
der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird,
der gesprochen hat durch die Propheten,
und die eine, heilige, christliche und apostolische Kirche.
Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden.
Wir erwarten die Auferstehung der Toten
und das Leben der kommenden Welt.
Amen.
Anmerkung:
Das "und vom Sohn" (filioque) wurde später in das Glaubensbekenntnis eingefügt und in karolingischer Zeit im ganzen Frankenreich gebräuchlich. Es entspricht westlicher, nicht ostkirchlicher Tradition.

LIED 100, 1+2   Wir wollen alle fröhlich sein

Predigt

Liebe Ostergemeinde,

zunächst werden sie vom Entsetzen gepackt.
Wie im Traum ist es, als die Frauen in das Grab hineingehen. Ein Traum ist nicht die Realität. Er spricht eine andere Wahrheit aus der Tiefe der Seele. So können wir die Ostergeschichte hören – und vergleichen mit unseren Träumen, wenn in ihnen die ganze Sehnsucht nach Leben aufwacht:
Du schläfst – um aufzuwachen. Du stirbst – um zu leben: So heißt ein alter Weisheitsspruch.
Wie im Traum gehen sie ins Grab, und sie finden den Leichnam Jesu nicht, aber sehen einen Jüngling im weißen Gewand. Im Schock sind die Frauen wie versteinert, wie erstarrt. Es ist wie der zweite Verlust eines Toten. Eine Kälte, die nach dem Herzen greift. Er ist weg.

„Entsetzt euch!“, das sagt uns jetzt jede Zeitung, jede neue Meldung, das sagt uns unser ganz normaler Verstand in diesen Wochen.  Fürchtet euch vor diesem Virus. Fürchtet euch vor Ansteckung und Krankheit. Vor dem Tod! Fürchtet euch!
„Fürchtet euch!“ das dachten sie auch damals. Jesus weg. Die Hoffnung verloren. Der Glaube: umsonst. Die Liebe: vergeblich. Das sind Erfahrungen, die jeden versteinern. Hart machen. Wir treiben auch auf den Tod zu, und mit ihm verlieren wir alles. Er beherrscht unser Leben. Und deshalb klammern wir uns an alles, an Besitz und Pläne, an Bedürfnisse und Ordnungen. Und so schleicht sich der Tod auch in unser Leben.

„Entsetzt euch nicht!“, sagt der Engel. Und die drei Frauen erfahren:  Der Himmel ist offen. Und sie ahnen es ist Gott, auf den wir zugehen. Der unseren Tod in Leben verwandelt. Mehr wissen sie nicht. Aber sie bekommen den Auftrag, es den Jüngern zu sagen; und dass er vor ihnen hergehen wird nach Galiläa; dass er ihnen also voraus sein wird.
Sie fliehen vom Grab. Maria erzählt es in der Stadt den Jüngern, und die glauben ihr nicht. So schwer ist es mit der Auferstehung, dass man es nicht glauben kann. Und wem es von uns so geht, der ist in bester Gesellschaft. Bevor an Aufstehen zu denken ist, bevor das Leben neu zu begreifen ist, muss alles durch eine tiefe Erschütterung hindurch.

Das ist auch bei uns jetzt so: dass wir erschüttert werden und dann bewegt werden zu Neuem. Durch schlimme Tiefen hindurch. Erschüttert von dieser gemeinsamen Ohnmacht. Woher kann Hilfe kommen? Was wird aus uns? Erschüttert auch durch frühere Brüche. Durch Scheitern. Durch Abschiede. Aber auch in uns kann eine tiefe Sehnsucht wachsen, die uns anrührt und bewegt. Zum Leben bewegt werden und einander zum Leben bewegen. Das Leben lebendig machen und einander zum Leben erwecken – Das ist auch Ostern. So haben wir Anteil an der Auferstehung, so nehmen wir teil an der Auferstehung Jesu Christi.
Sie will uns beleben. Uns, die wir oft ganz mutlos sind; in Ängsten gefangen. Dieses Ostern heißt es: In Ängsten, aber siehe: wir leben!
Wir lernen alle viel in diesen Wochen. Darauf zu achten, was der Gemeinschaft dient. Abstand zu halten aus Verantwortung für den anderen. Wieder mehr zu telefonieren. Wir lernen, Videokonferenzen zu nutzen oder Gottesdienste und Andachten in der Kirche aufzunehmen. Wir lernen die wertzuschätzen, auf die wir vorher kaum geachtet haben: all die Fahrer und das ganze Transportwesen; Kassiererinnen und Regalauffüller, Pflegekräfte in den Krankenhäusern und Heimen, die ganze medizinische Infrastruktur unseres Landes. Ging es nicht vor kurzem noch um weitere Klinikschließungen und Einsparungen?  Eine Hoffnung wächst: vieles wird sich ändern, so wie wir uns gerade ändern.

Die Frauen berichten vom leeren Grab. Für viele damals und heute: ein anstößiger Glaube. Eine Fantasie, nicht zu beweisen. Paulus berichtet 25 Jahre später im Korintherbrief darüber, alle Evangelien deuten das Leben Jesu von diesem Ausgangspunkt aus: der Auferstehung. Ihr stärkster Beleg ist für mich aber ein anderer: Zuerst die Frauen am Grab, dann alle Jünger, Paulus und immer mehr andere Menschen: sie sind auf einmal nicht mehr dieselben. Sie sind nicht mehr wieder zu erkennen. Wo sind auf einmal die Feiglinge, die flüchten, als ihr Meister abgeholt wird? Die Angsthasen, die ihn verleugnen, bis der Hahn kräht? Die Zweifler, die sich verstecken, bis er am Kreuz erstickt?
Aus ihnen werden Apostel. Boten und Botinnen des Evangeliums. Bereit, sich für diesen Jesus zu opfern. Sie halten nicht mehr still. Sie sind einfach durch nichts und niemanden mehr zu stoppen. Ihnen ist etwas Ungeheuerliches widerfahren. Und jetzt tragen sie dieses Erlebnis übers Land. Da ist einer vergeblich hingerichtet worden. Der Himmel steht uns allen offen.

Auferstehung, Auferweckung. Wir wachen auf. Wir wachen auf zum Leben. Wir werden wach für das Leben. Für unser Leben. Auch angesichts von Grenzen, Belastungen und Ängsten:  Wir erkennen es in seiner Einmaligkeit, seiner Schönheit, und auch in seiner Gefährdung.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Lied 100, 3 – 5 Wir wollen alle fröhlich sein

Karsamstagslegende
von Bertolt  Brecht

Seine Dornenkrone
Nahmen sie ihm ab
Legten ihn ohne
Die Würde ins Grab.

Als sie gehetzt und müde
Andern Tags wieder zum Grabe kamen
Siehe, da blühte
Aus dem Hügel jenes Dornes Samen.

Und in den Blüten, abendgrau verhüllt
Sang wunderleise
Eine Drossel süß und mild
Eine helle Weise.

Da fühlten sie kaum
Mehr den Tod am Ort
Sahen über Zeit und Raum
Lächelten im hellen Traum
Und gingen träumend fort.

Fürbitte

Gott,
du unserer Hoffnung Hoffnung,
 worauf sollen wir bauen,
 wenn nicht auf den Grund,
 den du legst
 in Jesus Christus.

Wir danken dir,
dass unsere Hoffnung
 immer wieder neu Nahrung erhält
 durch das Miteinander in der Gemeinde,
 durch erste gute Nachrichten,
 durch die Genesung schon vieler vormals Infizierter,
 durch in den Medien übertragene FeierN
 und durch eigene Stille,
 durch Liebe und Dienst,
 durch neue Ideen und gereifte Erfahrung,
 durch Gebet und Hingabe.

So reicht unsere Hoffnung
weit über den Glauben des Einzelnen hinaus.
So kennt unsere Hoffnung
keine Grenzen und Mauern.
So wird einer zur Stütze des anderen.

Gott,
du unserer Hoffnung Hoffnung,
stärke unsere Gemeinschaft.

Vater Unser

Lied 99 Christ ist erstanden

Segen

Musikalisches Nachspiel

Ostermorgen in der Dankeskirche - Video mit Vikar Ingmar Bartsch

Vom Dunkel ins Licht. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages erhellen die Dankeskirche. An diesem Ostermorgen sind Sie dabei: Im Zeitraffer, mit dem Osterevangelium und dem Osterchoral „Wir wollen alle fröhlich sein“ von Kantor Uwe Krause.

Klicken Sie hier: https://youtu.be/nW_BZ04-EhA

Gottesdienst an Karfreitag 2020 mit Video von Pfarrerin Susanne Pieper

Der hier abgedruckte Gottesdienst ist auch online zu finden: https://www.youtube.com/channel/UCavtdQ1pU2H4Sd7TBtGgl9A/featured

Begrüßung

Ich grüße Sie heute herzlich über das Internet. Wir können in diesem Jahr den Karfreitag nicht gemeinsam begehen. Wir sind in einer Ausnahmesituation. Können nicht zusammen singen, beten, nachdenken und das Abendmahl feiern. Aber wir können uns durch Gottes Wort stärken lassen! Wir sind gleichwohl miteinander verbunden durch den Geist Gottes, der bei uns allen ist – egal, wo wir uns gerade befinden. Er gibt uns die Hoffnung, dass wir diese Zeit der Bewährung bestehen werden. Ich lade Sie ein, den Gottesdienst nun als Lesende miteinander zu feiern!

Votum

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! Amen.

Lasst uns beten

Jesus Christus, unser Bruder und Herr. Du bist den Weg des Leidens gegangen. Du warst einsam und ohne alle Sicherheiten. Du hast den Tod durchschritten. Wir kommen zu dir an diesem Tag. Mit unserer Not. Mit unseren Ängsten. Mit unserer Unsicherheit und Traurigkeit, mit dem, was uns bedrückt.
Sei du bei uns in dieser Zeit. Mach unsere Herzen weit, damit wir verstehen, dass dein Sterben für uns geschah. Damit wir aus deinem Leiden Trost und Kraft schöpfen für unseren Weg. Herr, erbarme dich!

Gnadenzusage

Jesus Christus spricht: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen (Offenbarung 1,17.18)

Lesung aus Matthäus 27,35-52a.54

Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Und sie saßen da und bewachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der König der Juden. Und es wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selbst, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Ebenso spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selbst nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.

Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die anderen aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe!

Aber Jesus schrie noch einmal laut und verschied. Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen. Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg.

Lasst uns mit den Worten unserer Mütter und Väter unseren christlichen Glauben bekennen

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.

Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Amen.

Lied 97,1.2.6 Holz auf Jesu Schulter

Ansprache

Gottes Liebe, die Gnade Jesus Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Liebe Gemeinde,

um ehrlich zu sein, bin ich zurückhaltend darin, ein Kreuz zu tragen. Solch ein Kreuz an einer Halskette, solch einen schönen, glänzenden Schmuck. Das Kreuz ist zwiespältig. Zu schnell verbinde ich damit Gewalt und Unterdrückung. Zu sehr erinnert es mich an das schlimme Marterinstrument der Antike, an die römische Besatzungsmacht damals.  Dann aber gab es einen Trauerfall in der Familie. Und ich habe mir doch ein kleines Kreuz gekauft. Schwer zu beschreiben, warum. Ich sehnte mich nach Schutz in bedrohter Zeit. Ich brauchte Hilfe für mein verwundetes Inneres. Ich wollte ein Zeichen haben, dass ich nicht allein bin. Dass da jemand bei mir ist. Ganz nahe.

Irgendwann hatte das Kreuz dann wieder seinen Platz in seiner Schatulle. Doch jetzt trage ich es wieder.

Fast alles ist anders geworden in den letzten Wochen. Als wäre die Wirklichkeit dieser Welt in zwei Teile zerfallen. „Es gibt kein Drehbuch dafür“, sagen die Experten. „Es gibt keine Blaupause dafür“, sagen die Politiker. Grenzen werden geschlossen. Menschen dürfen sich nicht besuchen. Viele bangen um ihre berufliche Existenz. Ärzte und Pflegekräfte kämpfen. Und unvorstellbar viele Menschen sind schon gestorben. Niemand weiß, wie viele Angehörige um sie trauern. Ein heiliger Zorn ergreift mich im Blick auf das Virus. Und manchmal möchte ich am liebsten einfach auch nur schweigen.  Auf dem Boden sitzen, sieben Tage lang, so wie die Freunde von Hiob. Mein Herz klagt und trauert um die unfassbar Vielen. (Blick auf die Kerze und die Rose auf dem Altar. Kurze Stille)

Und dann diese Fragen: Wie soll ich das mit meinem Glauben zusammenbringen? Mit Gott? Wo ist er? In einem Kirchenlied heißt es: “Gott will im Dunkeln wohnen und hat es doch erhellt.“ Mit diesen Worten von Jochen Klepper singen wir uns eine mögliche Antwort zu. Und hoffen, dass Gott doch auch da ist. Auch im Leid.   Vor einer Woche schrieb mir eine Freundin in einer sms: „Es fühlt sich an derzeit an wie Karfreitag.“  Ja, das stimmt, dachte ich. Stille Straßen. Verhaltene, ernste Stimmung. Stumme Menschen. Jeder Tag wie Karfreitag. Und dann ist da die Frage, was es denn für uns austrägt, mitten in diesen Zeiten den Karfreitag auch noch zu begehen. Und inwiefern uns das jetzt helfen kann.

Ich glaube, es gibt einen Schlüssel. Einen kurzen, prägnanten Satz von Paulus: „Gott war in Christus,“ sagt er. „Wenn du etwas von Gott verstehen willst in dieser Welt, dann schau auf Jesus Christus. Sieh auf seinen Weg.“  Er hält sich nicht nur auf der Sonnenseite des Lebens auf. Er geht auch auf die Schatten- seite: wie ein guter Arzt kümmert er sich um die Kranken, die seine Hilfe brauchen. Nimmt sie wahr. Ist für sie da. Und heilt viele von ihnen. Er sieht die, die einsam sind, spricht mit ihnen und schenkt ihnen seine Zeit.  Überschwänglich und selbstlos verschenkt er Gottes Liebe an diese Welt.  Jesus geht aber auch den Weg in das Leid. Wird verleugnet, verraten.  Verspottet und geschmäht. Ausgeliefert.  Wird einsam inmitten seiner Gegner. Um das Kreuz herum ist es dunkel. “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das ist der Ruf aus dem tiefsten Leid, das ein Mensch im Leben je erfahren kann. Diesem Schmerz stellt Jesus sich. Er trägt diese Gottverlassenheit. Er hält sie durch.

Genau damit aber ist er unser Gefährte geworden. Der, der uns auch ohne Worte versteht. Unsere Angst und unsere Situation kennt. Uns begleitet.

„Gott war in Christus.“ Gott ging in seinem Sohn Jesus in den Tod, damit niemand, kein einzelner Mensch mehr im Tod allein ist. Damit keine Not und selbst der Tod kein Ort mehr ist, an dem wir von Gott verlassen sind. An der Hand von Jesus Christus kommen wir hindurch. Das ist Gottes tiefste Solidarität mit dem Menschen.

Der Klageruf Jesu in seiner letzten Stunde findet sich auch im 22. Psalm der Bibel. Mit diesem Ruf hält Jesus sich an der Tradition seines Volkes fest wie an einem Rettungsring. Und das alte Gebet geht weiter mit den Worten: “Du hast mich erhört! Als der Elende zu Gott schrie, da hörte er es!“ Diese Aussicht betet Jesus im Stillen mit. Darauf hofft er.

Jesus hat sich durch die Gottverlassenheit hindurchgebetet. Und sein Vater hat ihn nicht im Tod gelassen. Er hat seinen Ruf erhört. Hat ihm die Hand gereicht. Hat ihm ein neues Leben geschenkt. Hat ihn aus dem Tod auferweckt.

Auf den Karfreitag folgt Ostern. Das ist unsere Hoffnung! Das ist der Fels, auf dem unsere Füße stehen können. Das ist der Grund, auf dem wir Halt finden. Es wird Befreiung geben. Gott wird auch uns das Leben schenken und die Auferstehung dazu. Wir gehen im Leben immer auf Ostern zu.

Mit dieser Aussicht werden wir auch diese Krise durchstehen.

Ich trage jetzt mein Silberkreuz an jedem Tag. Es erinnert mich daran, dass ich nicht allein bin in dieser Zeit. Einer ist da, der ist immer ganz nahe. Einer wird immer bei mir sein.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne im Messias Jesus. Amen.

Lied 209,1-4 Ich möcht, dass einer mit mir geht

Fürbitten und stilles Gebet

Unser Gott, wir danken dir für deinen Sohn. Er hat uns gezeigt, dass es möglich ist, durch das Dunkel zu gehen und trotzdem an dir festzuhalten, dir zu vertrauen. Er hat uns die Tür geöffnet für das Leben in deinem Licht. Er hat die Liebe bis zuletzt durchgehalten. Lass uns in seinen Spuren gehen.

Wir danken dir für alle Menschen, die schon genesen und immun geworden sind. Wir danken dir für alle Zeichen der Solidarität, die wir in unseren Tagen erleben.

Wir bitten dich für alle, die leiden müssen, dass du sie tröstest und bei ihnen bist.

Wir bitten dich für die Familien, die einen geliebten Menschen verloren haben und nicht mehr weiterwissen. Dass du ihnen durch die Trauer hindurch hilfst und sie aufrichtest.

Wir bitten dich für die Menschen, die schmerzlich ihre Einsamkeit spüren. Lass sie ein offenes Ohr für ihre Gedanken und Sorgen finden.

Wir bitten dich für alle Menschen, die um ihre berufliche Zukunft bangen. Schütze ihre Seele. Lass sie darauf vertrauen, dass es eine Lösung geben wird, auch wenn sie sie jetzt noch nicht sehen.

Wir bitten dich für alle Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte. Stärke sie, gib ihnen Zuversicht, bewahre sie vor Verzweiflung und schenke ihnen auch schöne Momente.

Wir bitten dich für die Menschen, die jetzt Verantwortung tragen in der Politik, Wirtschaft und Forschung. Lass sie Lösungen finden und Entscheidungen treffen, die uns schützen und uns helfen, solidarisch miteinander zu sein.

Wir bitten dich für die Familien, die in ihrem Zuhause unter besonderer Anspannung stehen. Gib ihnen Kraft, Gelassenheit und Fantasie für ihr Zusammenleben. Schütze die Kinder und die Schwachen.
Bleibe du bei uns allen mit deinem guten Geist, damit wir mutig durch diese Zeiten kommen. In der Stille sagen wir dir, was uns noch bewegt.

Vaterunser

Vaterunser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Segen

Nun geht in die kommende Zeit mit dem guten Segen unseres Gottes:
Der Herr segne dich und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen.

Tischabendmahl an Gründonnerstag 2020 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Hinweis: In diesem Gottesdienst – der Titel sagt es ja schon – wird Abendmahl gefeiert. Das Abendmahl ist ein Zeichen der Gemeinschaft. Und deshalb können Sie es zu Hause mitfeiern, indem Sie sich Brot und Wein oder Traubensaft oder einen anderen Saft zurechtstellen. So wird Ihr Tisch zu Hause zum Tisch der Gemeinschaft innerhalb der Gemeinde.

Der hier abgedruckte Gottesdienst ist auch online zu finden: https://www.youtube.com/channel/UCavtdQ1pU2H4Sd7TBtGgl9A/featured


Wir feiern dieses Tischabendmahl im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Lassen Sie uns beten:
Gott, wir halten Abstand, und bleiben zu Hause. Unsere Kontakte sind auf ein Minimum beschränkt. Viele Menschen vereinsamen in dieser Zeit. Das klagen wir Dir Gott und bitten Dich: Herr, erbarme Dich!
Gott, wir halten Abstand und bleiben zu Hause und verlieren dabei Menschen aus den Augen, die uns wichtig sind. Das klagen wir Dir Gott und bitten Dich: Herr, erbarme Dich!
Gott, wir halten Abstand und bleiben zu Hause. Doch zu Hause ist nicht für alle ein Ort der Geborgenheit. Das klagen wir Dir Gott und bitten Dich: Herr, erbarme Dich!
Gott, wir halten Abstand und bleiben zu Hause. Manchmal werden wir ungehalten und zornig. Wir werden ungerecht gegenüber unseren Mitmenschen. Das klagen wir Dir Gott und bitten Dich: Herr, erbarme Dich!

Jesus Christus spricht: Ich bin bei Euch alle Tage, bis ans Ende der Welt. Ehre sei Gott in der Höhe!

Lesung Nach Exodus 12, 1-14
1 Der HERR aber sprach zu Mose und Aaron in Ägyptenland: 2 Dieser Monat soll bei euch der erste Monat sein, und von ihm an sollt ihr die Monate des Jahres zählen. 3 Sagt der ganzen Gemeinde Israel: Am zehnten Tage dieses Monats nehme jeder Hausvater ein Lamm und schlachte es. 7 Und sie sollen von seinem Blut nehmen und beide Pfosten an der Tür und den Türsturz damit bestreichen an den Häusern, in denen sie's essen, 8 und sollen das Fleisch essen in derselben Nacht, am Feuer gebraten, und ungesäuertes Brot dazu und sollen es mit bitteren Kräutern essen. 10 Und ihr sollt nichts davon übrig lassen bis zum Morgen; wenn aber etwas übrig bleibt bis zum Morgen, sollt ihr's mit Feuer verbrennen. 11 So sollt ihr's aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es in Eile essen; es ist des HERRN Passa. 14 Ihr sollt diesen Tag als Gedenktag haben und sollt ihn feiern als ein Fest für den HERRN, ihr und alle eure Nachkommen, als ewige Ordnung.

Predigt Teil 1:
Diese Nacht war eine besondere Nacht. Es war die Nacht vor dem Auszug aus Ägypten. Wie werden sich die Menschen damals gefühlt haben? Euphorisch? Ängstlich? Voller Tatendrang oder zögernd? Sie waren in einer Situation zwischen Bangen und Hoffen. Die Nacht vor dem Aufbruch ins Ungewisse. Und gerade da lässt Gott das Volk feiern. Sie sollen sich stärken und auf das vorbereiten, was kommt.

Nein, es war kein Vergnügen, was die Israeliten am nächsten Tag und in den folgenden 40 Jahren erwartete. Es war ein langer Weg, eine Wüstenwanderung im wahrsten Sinne des Wortes. Sie rangen mit sich und mit Gott. Sie waren himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Der Weg in das gelobte Land ihrer Vorfahren war anstrengend. An manchen Tagen wünschten sie sich sogar die Sklaverei zurück. An diesem Abend aber saßen sie zusammen und stärkten sich. Jede Familie in ihrem Haus. Doch das gemeinsame Essen verband sie untereinander.  

Und damit dieser Abend und die Befreiung aus Ägypten nie in Vergessenheit gerät, machte Gott selbst aus diesem ersten Passahmahl eine jährliche Erinnerungsfeier. Jedes Jahr sollen sich die Israeliten erinnern, dass sie Sklaven waren und dass Gott sie befreit hat. Und Gott verbindet diese Erinnerung mit Essen. Das finde ich tief sympathisch. Die ungesäuerten Brote, die so genannten Mazzen erinnern daran, dass das Volk bereit zum Auszug war. Die bitteren Kräuter erinnern an die schlimme Zeit in der Sklaverei in Ägypten. Später ist das Salzwasser hinzugekommen. Es steht für die Tränen, welche die unterdrückten Menschen vergossen haben.  Ebenfalls später kamen frische, grüne Kräuter hinzu, als Symbol für den Aufbruch und die Hoffnung auf eine bessere Zeit. Und für diese Hoffnung und die Befreiung stehen auch die Kelche mit dem Wein.

Lied 221: „Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen“


Lesung
Unser Abendmahl hat seine Wurzeln auch im jüdischen Passahfest und in der Sederfeier. Denn am Abend vor seinem Tod am Kreuz feierte Jesus mit seinen Jüngern, also seinen engsten Freunden, das Passahmahl. Es war eine letzte Gemeinschaft miteinander, aber es lag ein Schleier auf diesem Fest. Die Freunde haben zusammen gegessen, sie haben gefeiert. Und doch war es anders, als sonst.
Wir hören Worte aus dem Markusevangelium im 14. Kapitel:
12 Und am ersten Tage der Ungesäuerten Brote, da man das Passalamm opferte, sprachen seine Jünger zu ihm: Wo willst du, dass wir hingehen und das Passalamm bereiten, damit du es essen kannst? 13 Und er sandte zwei seiner Jünger und sprach zu ihnen: Geht hin in die Stadt, und es wird euch ein Mensch begegnen, der trägt einen Krug mit Wasser; folgt ihm, 14 und wo er hineingeht, da sprecht zu dem Hausherrn: Der Meister lässt dir sagen: Wo ist die Herberge für mich, in der ich das Passalamm essen kann mit meinen Jüngern? 15 Und er wird euch einen großen Saal zeigen, der schön ausgelegt und vorbereitet ist; und dort richtet für uns zu. 16 Und die Jünger gingen hin und kamen in die Stadt und fanden's, wie er ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Passalamm. 17 Und am Abend kam er mit den Zwölfen. 18 Und als sie bei Tisch waren und aßen, sprach Jesus: Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch, der mit mir isst, wird mich verraten. 19 Da wurden sie traurig und sagten zu ihm, einer nach dem andern: Bin ich's? 20 Er aber sprach zu ihnen: Einer von den Zwölfen, der mit mir seinen Bissen in die Schüssel taucht. 21 Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre. 22 Und als sie aßen, nahm er das Brot, dankte und brach's und gab's ihnen und sprach: Nehmet; das ist mein Leib. 23 Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen den; und sie tranken alle daraus. 24 Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. 25 Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs Neue davon trinke im Reich Gottes. 26 Und als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.

Predigt Teil 2
Zur Zeit Jesu herrschten die Römer in Israel. Die Menschen sehnten sich nach einem Befreier, der die Macht der Römer beendet. In dieser Situation feiert Jesus das Passahfest mit seinen Freunden in Erinnerung an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Und so sitzen sie zusammen.  An diesem Abend, vor der Kreuzigung. Jesus hatte das angedeutet, aber die Jünger haben es nicht verstanden. Wie werden sie sich wohl gefühlt haben? Vermutlich auch zwischen Bangen und Hoffen. Verunsichert ob der Worte Jesu.

Nein, es ist keine leichte Zeit, in die die Jünger gehen. Ihr Meister wird qualvoll am Kreuz sterben. Sie werden Angst haben, Jesus verraten, sie werden sich einschließen. Die Botschaft von der Auferstehung wird sie zuerst tief verunsichern. Und dann wird sie ihnen Hoffnung geben, auch wenn die ersten Christen später verfolgt werden.

Doch an diesem Abend feiern sie. Mit seltsamen Andeutungen von Verrat und Tod. Aber sie haben Gemeinschaft, die stärkt. Untereinander. Mit Jesus. Die Kraft, die von diesem letzten Abendmahl ausgeht, trägt uns Christen bis heute.

Wir feiern heute Tischabendmahl. Am Gründonnerstag. Online. Zu Hause. Zwischen Bangen und Hoffen.

Nein, es sind keine leichten Zeiten, durch die wir gehen. Wie lange dauern die Einschränkungen? Was wird die Zukunft bringen?  Wie wird es mit unserer Gesellschaft weitergehen? Wann werden wir uns wieder normal treffen können? Viele Fragen gehen uns durch den Kopf.

Aber heute feiern wir. Gedämpft zwar und räumlich getrennt, aber wir wissen, dass wir nicht allein sind. Wir nehmen Anteil aneinander. Wir feiern Abendmahl und sind so untereinander und mit Jesus Christus verbunden. Vielleicht klingt das etwas trotzig. Aber es gibt Halt. Das Abendmahl feiern Menschen seit Jahrtausenden und es ist ein Zeichen der Hoffnung. Der Hoffnung, dass wieder bessere Tage kommen. Und dass Jesus das Leid der Welt kennt und getragen hat. Das Abendmahl ist ein Fest des Lebens.

Lassen Sie uns beten.
Wir loben Dich, heiliger und allmächtiger Gott, dass Du durch Deinen Sohn Jesus Christus einen neuen Bund aufgerichtet hast. Deshalb preisen wir Dich gemeinsam mit der sichtbaren und der unsichtbaren Welt und singen Dir zum Lob.

Lied 185.3: „Heilig, Heilig, Heilig“

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.  

Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten wurde, nahm er das Brot, dankte und brach es und gab es seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset. Dies ist mein Leib, der für Euch gegeben wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis.

Ebenso nach er auch den Kelch nach dem Abendmahl, dankte und gab ihnen den uns sprach: Nehmet hin und trinket alle daraus. Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für Euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches tut, so oft ihrs trinket zu meinem Gedächtnis.

Lied 190.2: „Christe, du Lamm Gottes“
 
Austeilung
Christi Leib, für Dich gegeben. Das stärke und bewahre Dich im Glauben zum ewigen Leben.
Christi Blut, für Dich gegeben. Das stärke und bewahre Dich im Glauben zum ewigen Leben.

Wir danken Dir, allmächtiger Gott, dass wir im Abendmahl Gemeinschaft haben durften in dieser Zeit zwischen Bangen und Hoffen. Wir danken Dir, dass Du uns stärkst und bitten Dich, dass wir stark werden im Vertrauen auf Dich und in der Liebe untereinander. Das bitten wir durch Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Lied 229: „Kommt mit Gaben und Lobgesang“

Fürbitten
Die Fürbitte soll einen Raum bieten für eigene Gedanken und Gebete. Legen Sie in die Stille nach den Impulssätzen hinein, was Ihnen durch den Kopf geht und was Sie Gott sagen möchten.

Gott, wir gehen durch eine verunsichernde Zeit.

Gott, bereite uns vor, auf das was noch kommt.

Gott, wecke in uns die Hoffnung auf andere Zeiten.

Gott, stärke unsere Gemeinschaft.

Gott, wir bitten Dich für uns, unsere Familien, Freunde, für unsere Gesellschaft und alle, die Verantwortung tragen. Sei Du bei uns und lass uns Deine Nähe spüren. Amen.

Segen
Und nun gehen Sie in die kommenden Tage unter dem Segen Gottes.
Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

 

Rückmeldungen zu diesem Gottesdienst: bartsch@ev-kirche-bn.de oder 06033 79 60 527

Gottesdienst am 5.4.2020 vollständig von Pfarrerin Meike Naumann

Musik zum Eingang

Begrüßung

Heute bejubelt, morgen fallen gelassen: der Einzug Jesu in Jerusalem am Palmsonntag steht am Anfang der Karwoche. Wenig später schlagen sie ihn ans Kreuz. Durch die Tiefe führt Gottes Weg zur Verherrlichung.

Es gibt Momente, in denen ist nichts, wie es scheint. Ein fröhliches Gesicht versteckt tiefe Trauer, wer Härte zeigt, kann auch barmherzig sein und hinter einer scheinbar so düsteren Zukunft verbirgt sich eine neue Chance.

Grenzmomente sind das, unsicher und vage. Erst im Nachhinein deute ich die Zeichen richtig. Der Palmsonntag führt in eine solche Grenzzeit hinein: Die Hände, die eben noch Palmzweige schwingen, sind schon zu Fäusten geballt. Das „Hosianna“ wird zum gellenden „Kreuzige“-Ruf, fröhliche Gesichter erstarren zu Fratzen. Und doch ist es Jesu Tod am Kreuz, der den Menschen Leben bringt. Sein Weg ins Dunkel war ein Weg ins Licht, heute bekennen wir das. Im Geschlagenen, im Verachteten war Gott ganz nah. Nur wenige erkannten das – wie die Frau, die den Todgeweihten wie einen König salbte.

Lied: 314 Jesus zieht in Jerusalem ein

Psalm 69 : EG 731

Kyrie
Du, Sohn Davids,
unser Befreier,
manchmal wünschten wir,
du würdest in sichtbarer Hoheit daher kommen
und würdest auf einen Schlag alles Elend, alle Gewalt beenden.
Aber du kommst auf einem Esel geritten.
In der Gestalt eines machtlosen Menschen.
Und dein Weg führt
In Leiden und Sterben.
Du enttäuschst uns,
wenn wir von dir
göttlichen Zauber erwarten.
Aber du tröstest alle,
die auf eine neue Welt hoffen,
denn die Macht deiner Liebe
verschafft dir den Sieg über alles Böse.
Mach uns von falschen Erwartungen frei und
Lehre uns dir mit Demut zu folgen.
Und so bitten wir dich, erbarme dich unser.

Gloria
Wir haben es schon so oft gehört, uns doch fällt es uns immer wieder schwer es zu glauben. So wie schon die Jünger die Ankündigung Jesu nicht hören wollten. Doch die Zusage gilt:
Der Menschensohn muss erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Joh 3,14b-15

Gebet

Gott, unser Vater,
du bist in deinem Sohn Jesus Christus zu uns gekommen,
du bist eingekehrt in unsere Welt.
Du hast uns nicht allein gelassen mit unseren Sorgen und Ängsten.
Wie gern möchten wir dich aufnehmen in unsere Familien und
Häuser,
wie sehnen wir uns nach deiner Nähe.
Und doch fällt es uns immer wieder schwer,
dir zu folgen, wohin du uns gerufen hast.
Wir sind zurückgewichen, wo du deine
Hand nach uns ausgestreckt hast.
Auch wir haben dich allein gelassen,
als du uns brauchtest.
So bitten wir dich für diese Stunde,
dass du trotz allem in unsere Herzen einziehst
und uns bereit machst für dein Kommen
zu einem jeden von uns.
Amen.

Schriftlesung: Joh 12,12-19 Einzug Jesu in Jerusalem

Glaubensbekenntnis

Lied: 314 Jesus zieht in Jerusalem ein

PREDIGT
(Text in vier Teilen nach Luther 2017 in der Predigt)

Liebe Gemeinde,

ich weiß noch als ich mir mein erstes Parfüm gekauft habe, zum ersten Mal im Leben, richtig teuer, unmöglich! Eigentlich geht das gar nicht, aber ich habe es getan. Das konnte gewiss nur im Urlaub passieren, mit Zeit zum Schnuppern und Ausprobieren. Dennoch: Warum tue ich sowas, was in meinem Leben sonst eigentlich keinen Platz hat? Ja, das habe ich mich schon gefragt und dann auch eine Antwort gewusst: Verliebt habe ich mich in einen Geruch, in einen Duft. Warum darf ich dafür nicht Geld ausgeben? Ein leckeres Essen im Lokal kostet auch seinen Preis, fügt die Vernunft noch schnell hinzu, um den Handel abzuschließen. Warum aber muss ich vernünftig sein und alles begründen? Warum soll alles plausibel sein und erklärbar? Es ist für einen Duft, für etwas Köstliches, schon mehr geopfert worden als eine Geldsumme. Das Besondere zu erwerben kann alles kosten. Im biblischen Gleichnis für das Himmelreich werden diejenigen herausgestellt, die das Besondere und Kostbarste erkennen und sich dafür einsetzen (Mt 13,44-46). Wo ist die Grenze zwischen Luxus und Verschwendung? Wo wird der Wunsch nach etwas Schönem, Besonderen, was der Seele guttut, unmäßig? Und wer entscheidet das? Darf ich für mich selbst auf diese Weise sorgen? Oder nur für andere? Hören wir den ersten Teil unseres heutigen Predigtabschnitts:

Lesung, Mk 14,3 Öl auf sein Haupt
Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.

Eine Schilderung aus dem Leben Jesu. Auf den ersten Blick eine durchaus übliche Szene: Jesus ist Gast und sitzt zu Tisch. Es gibt weitere Gäste, Freunde. Es wird gegessen. Die Tischrunde wird allerdings unter sich sein: Freunde von Jesus, Freunde des Gastgebers. Denn Simon, der Hausherr, ist krank, aussätzig. Religiös Führende sind hier nicht zu erwarten. Dies Haus ist Tabu für fromme jüdische Menschen. Und so hätte uns kein Mensch davon erzählt, wenn nicht etwas ganz Besonderes geschehen wäre, etwas Unerhörtes und ganz Anderes.

Eine Frau betritt dieses Haus mit Männerrunde. Das geht sowas von gar nicht. In dieser Zeit an diesem Ort ist aber das, was jene ungenannte Frau tut, mehr als eine Tabuverletzung. Und doch ist das ja noch nichts dagegen, was anschließend passiert, was sie sich dann leistet. Buchstäblich leistet, nämlich kostbarstes Öl, teuer, wertvoll, wird hier nicht nur zum Salben eingesetzt, sondern ausgegossen, über den Kopf in reicher Menge, ja bis auf den letzten Tropfen, denn die Frau zerbricht das Gefäß.

Sie will keinen Rest wieder mitnehmen. Es geht ums Ganze. Das kostbare Gefäß ist ihr nichts wert, das teure Öl spielt keine Rolle. Denn sie hat nur ein Ziel: Sie will zu Jesus und genau dies tun, ihm etwas - ja Gutes tun, ihrer Zuneigung Ausdruck geben, ihre Verehrung und Liebe zeigen!

Unverfälscht ist das Öl. Also gab es auch anderes, günstigeres, gestrecktes, eben verfälscht, verlängert und längst nicht so kostbar – das will hier betont sein: So etwas Minderwertiges ist hier nicht im Spiel.  Das ist kein Sonderangebot, hier wird nicht gespart in dem Sinne von: Das teilen wir auf. Das teilen wir ein. Das können wir noch brauchen. Pass mal auf, das muss noch halten… Nichts davon: Zerbrachs und gabs, gab alles… ganz und gar.

Und die Reaktion? Was erwarten wir? Was erwarten wir von den Freunden Jesu, von den Gästen des Simons, die doch alle ein Tabu verletzen, indem sie mit dem Aussätzigen essen, bei ihm sind. Die sich auskennen mit ihrem Jesus und seinem weiten Herzen. Es sind Freunde, die sich bewusst entschieden haben, der guten Nachricht zu trauen, und manches dafür aufzugeben.

Lesen des 2. Teils, Mk 14,4-5 bis: „fuhren sie an“.
Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an.

Hätte, hätte... Was soll das jetzt noch, vergossene Milch kann ich nicht aufheben und vergossenes Öl noch weniger. Es ist weg. Lamentieren nützt gar nix. Und wenn sie noch so recht haben, diese Leute mit der klaren Meinung, 300 Silberlinge sind weg, ein Jahresverdienst, vergossen, für nichts??? Ich versuche mich einzufühlen in die beiden, die sich die Meckerei besonders anhören müssen. Nach dieser unglaublichen Handlung: Eine Frau dringt in eine Männerrunde und salbt einen Gast mit kostbarstem Öl, indem sie ein teures Gefäß zerbrochen hat und alles über ihn ausgießt, und da ist ein Mann, der von einer Frau mit kostbarem Öl übergossen wird. Alles ist in Duft gehüllt, benommen, überwältigt, noch nicht verstanden, was hier überhaupt los ist, und da wissen einige genau Bescheid und rufen: „Unmöglich! Verschwendung! Vergeudung! Was du gemacht hast, ist falsch! Was du gerade genossen hast, das war nicht richtig! Das bist du nicht wert. Sie hätte das nicht dürfen. Du darfst das nicht gut finden.“

Wie redet die Vernunft? Redet sie so? Muss der Verstand das Erleben bewerten und einordnen und in kleine Einheiten ummünzen: Mehr als 300 Silberlinge, was hätte man dafür alles kaufen können? Aber die Zuschauer und Kritiker, wollen ja nichts für sich, nein, sie schalten ihren Verstand gleich zweimal ein. „Wir hätten es doch verkaufen und den Erlös den Armen geben können.“ Wie edel! „Wir wollen ja nix für uns, aber das, was diese Frau hier macht, also: Vergießen, verschütten, verschwenderisch salben, das ist doch nicht in Ordnung, oder?“

Wie geht es Ihnen damit? Wohin neigen Sie euch? Wen verstehen sie besser? Ist das hier der Gegensatz von Verstand und Gefühl? Was geschieht hier? Warum macht sie das? Weil sie eine Frau ist? Weil sie verliebt ist? Ist das ein Abschiedsgeschenk? Vielleicht ahnt sie etwas vom nahen Tod, spürt mehr als die anderen?

Oder neigen wir zu der vernünftigen Seite, die ja auch plausibel ist: Warum so viel, so unmäßig, als Zeichen und für den Wohlgeruch reicht doch auch eine kleine Menge. Während ich das denke, spüre ich: Ja, ich finde das auch zu viel. Ich verstehe die Frau nicht. Mir gefällt zwar nicht die Meckerei der anderen. Aber ich muss mir auf die Zunge beißen, um nicht zu rufen: „Halt! Warum so viel? Sie hätte noch viele mit dieser Narde erfreuen oder salben können. Warum alles auf einmal? Es wäre auch mit wenig sehr gut gewesen und duftend und ein wertvolles Zeichen der Liebe. Und die teure Flasche aus Alabaster, einem Marmor. Sicher ist sie wiederverschließbar!“ Es geht mir nicht anders als den Kritikern. Ich verstehe nicht, nicht wirklich mit dem Herzen. Ich ahne vielleicht, dass mir etwas fehlt. Das schon. Dennoch bin ich nicht weit weg von denen, die ihre Vernunft einschalten und ihre Meinung heraus posaunen und mal wieder alles besser wissen, die das kostbare Geschenk verkleinern wollen, alles kaputt machen - machen könnten, das Geschenk, die Freude am Schenken, den Genuss, eben alles –  wenn nicht Jesus…

3. Teil, Mk 14,6-8 lesen bis: „Begräbnis“.
Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis

Ich mag seine Fürsorge: „Macht doch diese Frau nicht traurig! Tut ihr nicht weh!“ Wie er die Menge an Öl und Wohlgeruch empfunden hat, das erfahren wir nicht. Er fühlt sich in die Spenderin ein. Er erlebt die verschwenderische Fülle körperlich. Alles ist Duft, öffnet andere, neue Welten, spricht Sinne an, die vorher ruhten. „Bekümmert sie doch nicht! Macht doch nichts kaputt. Seht doch, was sie wollte. Sie hat es gut gemeint und gut gemacht. Sie hat das Beste getan, was sie konnte.“ Ja, sie hat etwas getan, was die anderen nicht konnten. (Sie hat Jesus aus der Welt des Materials, der Materie herausgelöst.)

Haben die anderen eine Deutung parat: „Puh, Verschwendung! Vergeudung!“, so wendet Jesus mit seiner Deutung alles zum Guten: „Die Armen laufen euch nicht weg. Diese Frau hat etwas neu gesehen und danach gehandelt.“ Schließlich, und da denke ich an so manche Trauerfeier, sehe vor mir, was alles investiert werden kann in Sarg und Ausstattung und Blumen, schließlich hat diese Frau seinen Leib im Voraus gesalbt, hat das getan, was viele erst nach dem Tod für ihre Angehörigen tun. Jesus wendet sich dem Leben und der liebenden Hand zu. Er weiß sich und seine Botschaft durch sie verstanden, spürt und erfährt die Zuneigung dieser Frau körperlich, bedeutsam. Beide stehen im Glanz und im Licht.

Schlusslesung, Mk 14,9
Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.

Eine Frau ohne Namen geht in die Geschichte ein. Sie bekommt mit ihrer Herzensangelegenheit Recht. Nein es ist nicht vernünftig. Aber wer hat denn behauptet, dass die Vernunft die richtige Entscheidung trifft?

Können wir lernen? Eher nicht, lernen kann der Verstand und der hat hier heute keinen Zutritt. Auf das eigene Herz zu hören. Sich von der Liebe den Weg zeigen lassen –  Vielleicht das? Vielleicht auch: Sich mit der eigenen Meinung zurückzuhalten. Sie nicht gleich hinauszuposaunen. Erst denken, dann fühlen, dann überlegen ob überhaupt etwas gesagt werden muss. Dann kann ich meine Sehnsucht wahrnehmen, nach solcher Hinwendung: so liebend sich verschenken, ohne irgendwelche Angst mir etwas zu vergeben, mich gar aufzugeben, Sehnsucht, mir solche Liebesgabe gefallen zu lassen, zu genießen, zu spüren, zu riechen: Der kostbare Duft der Narde ist noch in der Luft und entzieht sich allen Berechnungen. Mit allen Sinnen erfahren, dass ich es wert bin, wertvoll, einzigartig…

Amen.

Lied: EG 545 Wir gehen hinauf  nach Jerusalem

Fürbitte
Gott, Urgrund des Lebens!
Ein Gegenüber brauche ich unbedingt, damit ich nicht um mich kreise. Das merke ich besonders in diesen Tagen, in denen das Alleinsein, das Fürsichbleiben schon so lange dauert.
Sei du da, Kraft, Weisheit, Liebe, die größer ist als alle Vernunft.

Ich bitte dich für alle, die mir nah sind,
mit denen ich lebe und arbeite,
wohne und Zeit verbringe,
für die, die mir lieb sind und die,
denen ich lieber aus dem Weg ginge.
Öffne mir die Augen für ihre Schönheit und Eigenart!
Zeige mir ihre Empfindsamkeit und Trauer!

Ich bitte dich für diejenigen, die etwas zu sagen haben,
dass ich ihre Botschaft höre, dass ich Weisheit erkenne
und sie ihre Stimme erheben zum Heilwerden des Ganzen.
Dass sie sich nicht einschüchtern lassen, sondern mutig bleiben.

Gott, ich bitte dich für diejenigen, die Macht haben
durch Stellung und Geld, dass sie dies auch erkennen und dazu stehen,
dass sie ihre Möglichkeiten einsetzen für die Bewahrung der Menschen und unserer Erde.

Gott, für die Schwachen bitten wir, dass sie den Mut haben zu rufen.
Und dass wir sie hören und hinsehen und tun, was wir können.
Dass wir uns nicht für zu klein halten, dass wir unsere Kräfte
nutzen und einbringen zum Wohle der Vielen!

Gott, ich bitte dich für alle die in der Alten- und Krankenpflege arbeiten, für Ärztinnen und Arzte, Rettungsdienste und Einsatzkräfte,
schenke ihnen Geduld, Kraft und Durchhaltevermögen und Gesundheit.

Gott, ich bitte dich für unsere Verstorbenen, die wir in der vergangenen Woche bestattet haben. Komme du ihnen entgegen und nimm sie auf in deine ewige Liebe. Umhülle die Angehörigen, die unter so schwierigen Bedingungen Abschied nehmen mussten, mit dem Mantel deines Trostes.
Alles, was uns in unserem Herzen bewegt, bringen wir vor dich Gott, wenn wir beten:

Vater unser

Lied: 421 Verleih uns Frieden

Segen
Gott segne dich und behüte dich!
Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig!
Gott erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden.
Amen.

Musik zum Ausgang

Passionsandacht am 4.4.2020 von Pfarrerin Meike Naumann

zu Bildern von Sieger Köder „Schaulustig – Jesus wird ans Kreuz genagelt“

Musik zum Eingang
Begrüßung mit Votum

Lied: eg +11

Lesung Jes 53,2b-5

Gebet
Wir kommen heute zu dir,
du treuer und barmherziger Gott,
wir kommen, wie wir sind,
mit unseren Ecken und Kanten,
mit unseren Stärken und Schwächen,
mit unserer Freude und Trauer.,
mit all der Unsicherheit und Angst, die diese Tage mit sich bringen
Wir bitten dich, dass du uns  stärkst
an Leib und Seele.
Wir bitten dich, dass du uns annimmst,
trotz allem, was wir getan oder unterlassen haben.
Und wir bitten dich, dass du unser Gebet vernimmst
und unser Rufen erhörst.
Amen.

Lied: EG 85,1-2

Ansprache
Das Bild von Sieger Köder, das wir heute miteinander betrachten, trägt den Titel „Jesus wird ans Kreuz genagelt“. Doch Jesus ist darauf nicht zu sehen. Stattdessen zeigt uns der Maler, was Jesus sieht, am Boden und im wahrsten Sinne des Wortes aufs Kreuz gelegt. Wir schauen in die Gesichter der Zuschauer oder wie wir vielleicht sagen würden, der Gaffer und Schaulustigen, die bei der Kreuzigung Jesu zusehen. Ein dicht gedrängter Kreis von Menschen (und einem Tier) schaut herab auf den, der in ihrer Mitte liegt. Zwischen ihren Köpfen ist ein Ausschnitt des Himmels zu sehen mit einer schwarzen Sonne, wie bei einer Sonnenfinsternis.

Im Vordergrund hebt ein Soldat mit blauer Rüstung den Arm und holt zum nächsten Hammerschlag aus. Einer hebt den Daumen „Gut so! Geschieht ihm recht!“ Und alle schauen zu. Die einen interessiert oder hämisch, traurig und voller Entsetzen die anderen.

Gewaltsame und schreckliche Ereignisse üben eine eigentümliche Faszination auf Menschen aus. Das erfahren wir gerade ganz aktuell am eigenen Leib. Warum ist das so? Was macht schlimme Geschehnisse so anziehend, dass man hinschauen will, ja muss? Bei Verkehrsunfällen zum Beispiel sammeln sich einer Untersuchung zufolge durchschnittlich zwischen 16 und 26 Zuschauer. Dabei werden Bilder gemacht mit dem Smartphone und direkt ins Internet gestellt. Die Rettungsgasse wird blockiert, so dass die Helfer nicht zu den Opfern gelangen. Woher diese offenbar schier unwiderstehliche Schaulust? Ist der Mensch einfach von Grund auf böse, roh und sadistisch? Oder wird er mitleidlos und gleichgültig, so lange nicht er selbst oder ein Angehöriger betroffen ist?

Bereits den römischen Dichter und Philosophen Lukrez, der knapp 100 Jahre vor Christus geboren wurde, hat diese Frage beschäftigt. In einem seiner Lehrgedichte schreibt er:
Wonnevoll ist’s bei wogender See, wenn der Sturm die Gewässer aufwühlt, ruhig vom Lande zu sehn, wie ein andrer sich abmüht. Nicht als ob es uns freute, wenn jemand Leiden erduldet, sondern aus Wonnegfühl, dass man selber vom Leiden befreit ist.

Lukrez mein also, es gehe bei unserer Schaulust gar nicht in erster Linie darum, dass wir es schön finden, wenn andere leiden. Die Lust, die wir beim Zuschauen empfinden, rühre vielmehr daher, dass wir spüren und uns bewusst werden, wie sicher, gesund und unverletzt wir selbst sind. Eine Deutung, die übrigens auch heutige Forscher durchaus teilen.

Es gibt aber auch noch andere Gründe. Eine weitere Vermutung ist beispielsweise, dass der Drang zum Zusehen bei schlimmen Ereignissen dem Lernen dient. Die Beobachter sehen Gefahren und lernen sie zu vermeiden. Die vielen Sondersendungen auf allen TV-Kanälen haben sicher auch diese Funktion. Aufklärung, Information, damit die Bevölkerung sich jetzt, wo es darauf ankommt richtig verhält.
Zugleich wird aber beim Blick auf etwas Schreckliches, vor dem man sich zutiefst fürchtet, auch der Umgang mit der Katastrophe eingeübt.

Bei all dem ist die Gruppe wichtig. Das Gemeinschaftserlebnis, sagen einige Forscher, ist bei der Schaulust unerlässlich. In der Gruppe finde ich Schutz und gewinne ich Distanz zu dem eigentlich unerträglichen Geschehen und kann es deshalb anschauen.

Mit der Gruppe deute und kommentiere ich das Ereignis („Schrecklich, nicht wahr“) und ordne es ein.
Insofern kann, zugespitzt formuliert, das Betrachten der Leiden anderer hilfreich sein.
Vieles von dem Gesagten kann man bei den Menschen auf unserem Bild beobachten. Im sicheren Schutz der Gruppe verfolgen sie ein an und für sich absolut unerträgliches Geschehen. Sie schauen dabei zu, wie einem Menschen Nägel durch Hände und Füße getrieben werden. Und sie versuchen das, was sie da sehen, einzuordnen, indem sie es kommentieren und deuten. Eher hinter vorgehaltener Hand die einen. Andere wirken, als würden sie schreien. Dabei fallen vielleicht Sätze wie: „Er hat es verdient!“ „Das hat er jetzt davon, der Möchtegern-Messias!“ oder „Er ist unschuldig!“. „Das ist Unrecht!“

Alles ganz normal, glaubt man den Forschern und irgendwann ist es vorbei und alle gehen nach Hause.
Anders als normal ist aber die Betrachtung des Leidens Jesu mit seinem Tod nicht vorbei. Im Gegenteil. Schon früh gab es Darstellungen des Gekreuzigten. In Kirchen stoßen wir auf Bilder und Skulpturen des gegeißelten Heilands. Seit vielen Jahrhunderten gibt es die Kreuzwege, die mit ihren verschiedenen Stationen das Leiden Jesu detailliert darstellen. Und auch wir schauen uns ja in dieser Andachtsreihe Bilder vom Kreuzweg Jesu an.

Müssen wir Christen uns also den Vorwurf gefallen lassen, Gaffer und Schaulustige zu sein?

In dem Kirchenlied „O Welt ich muss dich lassen“, heißt es in einer Strophe vom Leiden Christi „Ich will’s mir vor Augen setzen, mich stets daran ergötzen, ich sei auch, wo ich sei…“ Für heutige Ohren klingt das zumindest befremdlich.

Die fromme „Schaulust“, die hier anklingt, speist sich jedoch noch aus einer anderen Quelle, als dem, was wir so alles an Forschungshypothesen gehört haben. Der Dreh- und Angelpunkt ist Ostern. Die Sonnenfinsternis, von der der Evangelist Matthäus erzählt, und die wir mitten auf unserem Bild sehen, sie ist vorbei. Die Ostersonne wirft ein völlig neues Licht auf das grausame Geschehen von Leiden und Tod. Jesu Auferstehung gibt uns, wenn wir gemeinsam das eigentlich Unerträgliche seines Kreuzestodes betrachten, ganz andere, völlig neue Deutungsmöglichkeiten: „Er hat es für uns getan.“
„Gott ist da, auch mitten im Leid.“ Er kennt unsere Angst und unsere Not.“ „Er wird auferweckt zum ewigen Leben.“ Und: im Betrachten des Leidens Jesu üben auch wir Christen uns ein in den Umgang mit der Katastrophe. In den Umgang mit dem Schrecken und der Bedrängnis des eigenen Todes, der jedem und jeder von uns bevorsteht. Aber es ist ein Einüben in Hoffnung. Im Betrachten und Singen üben wir uns ein in die Hoffnung, dass auch unser Sterben einmal nicht gottverlassen sein wird. Wir üben uns ein in die Hoffnung, dass der Gekreuzigte und Auferstandene uns dann nahe sein wird und uns mitnehmen wird in das neue Leben.

In seinem Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ dichtete Paul Gerhard:
Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür, wenn mir am allerbängsten, wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten, kraft deiner Angst und Pein.

Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod. Und lass mich sehn dein Bilde, in deiner Kreuzesnot. Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.
Amen.

Lied EG 85,9-10

Gebet
Unser Gott,
du hast uns dein Reich verheißen,
ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit.
Wir bitten dich, dass dein Reich komme,
auch zu uns.
Wir bitten dich darum,
dass du uns nicht nach dem beurteilst,
was wir an Falschem getan
und an Gutem unterlassen haben.
Wir bitten dich darum,
dass du uns annimmst, wie wir sind,
dass du uns vergibst, wo wir gefehlt haben,
Wir bitten dich darum,
dass auch wir vergeben können, wie du uns vergibst,
dass auch wir die Menschen nicht nur nach dem beurteilen,
was sie leisten, dass wir sie nicht einteilen
in Erfolgreiche und Erfolglose, in Gewinner und Verlierer.
Wir bitten dich darum,
dass wir andere sehen lernen mit deinen Augen,
mit den Augen der Liebe und des Verständnisses.
Wir bitten dich, dass wir uns öffnen und offen bleiben
für die Menschen, die zu uns kommen
und dass wir ihnen geben, was sie brauchen.
Wir bitten dich darum,
dass wir anderen in Liebe begegnen
und ihnen Anerkennung schenken.
Unser Gott,
du hast uns dein Reich verheißen,
ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit.
Wir bitten dich, dass dein Reich komme,
auch zu uns.
Amen.

Vaterunser

Segen

Musik zum Ausgang

Gottesdienst am 29.03.2020 mit Video von Vikar Ingmar Bartsch

Der hier abgedruckte Gottesdienst ist auch online zu finden: https://www.youtube.com/channel/UCavtdQ1pU2H4Sd7TBtGgl9A/featured

Da im Onlinegottesdienst keine Lieder gesungen werden, sind hier im Gottesdienstverlauf auch keine Lieder abgedruckt. Wenn Sie gerne Lieder singen möchten, können Sie aus dem Gesangbuch die Nummer 97 „Holz auf Jesu Schulter“ oder die Nummer 93 „Nun gehören unsre Herzen“ singen.

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Gemeinde: Amen

Schuldbekenntnis
Gott, zu oft denken wir in Kategorien. Wir stecken Menschen in Schubladen. Wir haben schnell eine feste Meinung. Wir sind schnell im Reden, aber langsam im Hören. Wir teilen unsere soziale Welt in drinnen und draußen.
Gott, wir gehen durch schwere Zeiten. Unsere Fundamente wanken. Wir sind verunsichert. Wir fühlen uns schwach und hilflos. Trotzdem fällt es uns schwer, die Mauern in unseren Köpfen abzureißen, uns auf die Nöte unserer Mitmenschen einzustellen. Wir bitten Dich in dieser Zeit, in der sich unser Leben und das Leben anderer radikal verändert: Herr, erbarme Dich!
Gemeinde: Herr, erbarme Dich.

Gnadenzusage
So spricht Gott, Dein Erbarmer: Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfällig werden. Ehre sei Gott in der Höhe!
Gemeinde: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

Lesung
Herbäer 13: 12 Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. 13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. 14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg. Amen.

Glaubensbekenntnis
Verbunden mit allen Christen weltweit bekennen wir unseren Glauben.
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Und an Jesus Christus,
seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn,
empfangen durch den Heiligen Geist,
geboren von der Jungfrau Maria,
gelitten unter Pontius Pilatus,
gekreuzigt, gestorben und begraben,
hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel,
er sitzt zur Rechten Gottes,
des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen,
zu richten die Lebenden und die Toten.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige christliche Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten
und das ewige Leben. Amen.

Predigt
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde

Ich habe einen Freund, den ich schon jahrzehntelang kenne und sehr schätze. Manchmal sitzen wir abends stundenlang zusammen und philosophieren. Dabei sind unsere Meinungen manchmal sehr unterschiedlich. So kann es passieren, dass mein Freund mitten im Gespräch einen Satz raushaut, bei dem ich erst mal schlucken muss. Das sind Sätze, die mir so richtig gegen den Strich gehen. Sie machen wütend. Oder hilflos. Oder angriffslustig. Vielleicht kennen das: So ein Satz wirkt wie ein massiver Pflock, der in die Erde gerammt wird. Das Zeichen ist klar: Hier stehe ich! Das ist meine Meinung!

Sicher geht es meinem Freund genau so. Auch ich ramme verbal den ein oder anderen Pflock in die Erde. Manchmal ohne es zu ahnen. Der Clou an unserer Freundschaft ist aber, dass wir uns immer herzlich zugeneigt sind. Ich weiß, dass diese Pflöcke nicht aus Bösartigkeit in den Boden gerammt werden. Und weil das so ist, kann ich mit diesen Pflöcken auch besser umgehen. Daraus entspinnen sich weitere spannende Gespräche. Weil die Beziehung zwischen uns geklärt ist. Das ist ein bereichernder Teil unserer Freundschaft.

Solche Pflöcke gibt es für mich auch in der Bibel. Der Hebräerbrief gehört dazu. Verfasser des Briefes ist vermutlich ein Paulusschüler. Und der haut ganz schön steile Sätze raus. Wir haben den Text eben in der Lesung gehört. Darin geht es um Einsamkeit. Um Leiden. Um Schmach. Um Ausgeschlossensein. Beim Lesen habe ich einen Klos im Hals, weil es sich sehr nach Anspruch anhört. Wir sollen die Schmach, die Beschimpfungen und die Vorwürfe von Jesus ertragen. Ein echter Pflock, der da im Raum steht.

Ich lese die Verse aus dem Hebräerbrief noch einmal: 12 Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. 13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. 14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Auffällig an diesem Text sind auch die Ortsangaben. Außerhalb des Stadttores. Draußen vor dem Lager. Es geht um die Stadt, die nicht bleibt und um die zukünftige Stadt. An diesen Orten bin ich hängen geblieben. Wir vollziehen in der Passionszeit einen Weg nach. Den Weg Jesu ans Kreuz. Und der Schreiber des Briefes wirft ein Schlaglicht auf den Ort, an dem Jesus gekreuzigt wurde. Die Kreuzigung fand nicht innerhalb Jerusalems statt. Jesus wurde draußen gekreuzigt. Bei den Verbrechern. So war es damals üblich. Und so war die Kreuzigung ein deutliches Zeichen: Jesus gehört wie die Verbrecher, mit denen er gekreuzigt wurde, nicht mehr zur Gemeinschaft. Ist es nicht paradox: Die zentrale Rettungstat Gottes für uns Menschen passiert dort, wo der Abschaum ist. Schon sein Leben lang war Jesus bei den Armen und Schwachen. Und nun werden wir aufgerufen, ihm dort hin zu folgen.

Für mich ist das erstmal ein Pflock. Ich will nicht dort sein, wo der Abschaum ist. Mir ist nicht nach Einsamkeit, nach Leid. Nach Beschimpfungen und Schmähung. Ich bin lieber drinnen. In der Stadt. In Sicherheit. Innerhalb der Gemeinschaft. Dieses drinnen und draußen ist aber meines Erachtens nur auf den ersten Blick streng getrennt in die sichere Stadt und das unsichere draußen. Auf den zweiten Blick kommt das nämlich ins Wanken. Wenn Jesus und damit Gott da draußen ist, dann ist dieses draußen nicht mehr ein einsamer, unwirtlicher Ort. Denn Jesus ist schon da. Jesus ist da, wo das Leid ist und hilft uns, es mitzutragen. Dieses draußen ist also der Ort der Jesunachfolge und damit ist die Grenze zwischen drinnen und draußen aufgelöst. Jesus löst feste Grenzen auf. Wenn wir ihm darin nachfolgen, dann ist das nicht immer bequem. Denn um Jesus nachzufolgen müssen wir manchmal Mauern einreißen. Zum Beispiel in unseren Köpfen. Aber dank Jesus können wir Grenzen überwinden. Er bricht das draußen und das drinnen auf. Und zwar auf eine Weise, die sich kein Mensch hätte ausdenken können.

Für uns gilt zurzeit auch ein striktes draußen und drinnen. In unserer aktuellen Situation schützen wir andere Menschen, indem wir soziale Kontakte minimieren. Aber wir können die Grenze zwischen draußen und drinnen auch überwinden, ohne auf die Straße zu gehen. Sie könnten zum Beispiel nach diesem Gottesdienst zum Hörer greifen und jemand anrufen, den Sie sonst beim Kirchencafé treffen würden. Ich bin übrigens sehr angetan von den vielen Ideen, die bereits umgesetzt werden. Der Zusammenhalt und unserer Gesellschaft und in unserer Gemeinde ist beeindruckend. Einige engagieren sich bei der Einkaufshilfe und der Besuchsdienst schreibt zum Geburtstag jetzt Briefe, da Besuche im Moment nicht möglich sind.

Kommen wir zurück zu meinem lieben Freund und den Pflöcken. Ich hatte gesagt, dass wir gut mit unseren Pflöcken umgehen können, weil wir uns herzlich zugeneigt sind. Ich halte das für eine wesentliche Grundlage. Viel zu schnell werden aus Pflöcken feste Zäune, hinter denen man sich verschanzt. Und dann wachsen Mauern. Deshalb rate ich natürlich eher zur Vorsicht mit Pflöcken, die man vor anderen in die Erde rammt. Da ist auch Sensibilität gefragt. Gerade in Zeiten, in denen wir dünnhäutiger sind, als sonst.

Auch der Bibel bin ich herzlich zugeneigt. Sie hat mein Leben schon oft bereichert. Deshalb finde ich es wichtig, dass ich mit den Pflöcken der Bibel konstruktiv umgehe. Und der Hebräerbrief wirkt nicht nur ungemütlich, er soll es wohl auch sein. Er sollte Menschen wachrütteln und sie auf Jesus hinweisen. Aber dank ihm hinterfrage ich, wie ich das mit dem drinnen und draußen handhabe. Grenze ich aus? Habe ich mein Drinnen zu sehr im Blick? Wie kann ich sensibler werden für andere? Welchen Anteil habe ich als Christ daran, dass das drinnen und das draußen in den Köpfen abgebaut wird?

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Fürbitten
Wir haben Abschied nehmen müssen von Rosemarie (xx), die am 15. März im Alter von xx Jahren verstorben ist und von Paul (xx), der am 24. März im Alter von xx Jahren aus diesem Leben abgerufen wurde.
Wir zünden für sie eine Kerze an und nehmen sie auf in unser Gebet.

Lassen Sie uns beten.

Herr, großer Gott, wenn der Weg eines geliebten Menschen hier auf der Erde zu Ende geht, hinterlässt das eine schmerzhafte Lücke. Wir fühlen uns hilflos und verlassen. Wir bitten Dich für die Verstorbenen. Nimm sie gnädig auf in Dein Reich und lass sie schauen, was sie geglaubt haben. Für ihre Familien und Freunde bitten wir Dich, dass Du sie in ihrer Trauer und ihrem Schmerz tröstest, stärkst und aufrichtest. Gib ihnen Menschen zur Seite, die sie mittragen in schwerer Zeit. Schenke ihnen die Gewissheit, dass Du den Tod überwunden hast und bei Dir ewiges Leben ist.

Gott, durch den Tod Deines Sohnes Jesus Christus ermöglichst Du Versöhnung. Versöhnung mit Dir. Versöhnung untereinander. Wir bitten Dich: mache uns zu Menschen, die einander vergeben können. Schenke uns die Kraft Deines Geistes, damit wir uns gegenseitig annehmen können und keine Mauern aufbauen zwischen uns und unseren Mitmenschen. Hilf uns, dass wir respektvoll miteinander umgehen und unterschiedliche Meinungen stehen lassen können.

Gott, wir bitten Dich für uns alle. Wir gehen sehr unterschiedlich mit den derzeitigen gesellschaftlichen Einschränkungen um. Manche von uns haben Angst. Andere stürzen sich in die Arbeit. Einige entspannen, andere wissen nicht, wie sie Kinderbetreuung und Homeoffice unter einen Hut bringen sollen. Manche würden den Kontakt zu anderen Menschen aus Sorge vor Ansteckung lieber einschränken, dürfen das aber nicht. Andere spüren schmerzlich die Einsamkeit. Wir bitten Dich, schenke uns, dass wir mit der aktuellen Situation weise umgehen. Stärke unsere Beziehungen auch ohne direkten Kontakt. Stehe uns bei in unseren Ängsten, Sorgen und Nöten, in der Langeweile und Überforderung, in Vereinsamung und Streit und schenke uns, dass wir gemeinsam gestärkt aus der Krise herausgehen.

Gott, wir bitten Dich für unsere Gemeinde. Wir können uns nicht treffen, obwohl Gemeinschaft unsere Basis ist. Lass uns Wege finden, miteinander in Kontakt zu bleiben. Schenke uns, dass wir anderen beistehen können, wenn sie Hilfe brauchen.

Gott, wir bitten Dich für die Menschen, die Verantwortung tragen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie müssen derzeit Beschlüsse treffen, deren Wirkung kaum abzuschätzen ist. Schenke ihnen Weisheit und lass ihre Entscheidungen am Wohl der Gemeinschaft orientiert sein. Schenke ihnen Menschen an die Seite, die ihnen gute Worte sagen, die sie stärken und begleiten.

In der Stille bringen wir vor Dich, was uns noch bewegt.

Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name.
Dein Reich komme. Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Segen
Gehen Sie unter dem Segen Gottes in die kommende Woche mit all ihren Herausforderungen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

Passionsandacht am 28.3.2020 von Pfarrerin Susanne Pieper

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Jesus sprach: „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was durch die Profeten von dem Menschensohn geschrieben ist.“ (Lukas 18,31)

Der Weg nach Jerusalem führt Jesus ins Leiden und ans Kreuz. Der Maler Sieger Köder hat von diesem Kreuzweg viele Bilder geschaffen. Eines davon betrachten wir gemeinsam in dieser Andacht.

Lied EG 97,1: Holz auf Jesu Schulter, von der Welt verflucht, ward zum Baum des Lebens und bringt gute Frucht. Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.

Ansprache

Nichts geht mehr. Mehr kann ein Mensch nicht verkraften. Erdrückt liegt der Patient auf der Intensivstation. Er ringt mit seinem Leben. Erdrückt läuft die Krankenschwester durch die Gänge der Klinik. Sie arbeitet nun schon in der dritten Schicht nacheinander. Ohne Pause.

„Ich bin hingeschüttet wie Wasser. Alle meine Knochen haben sich voneinander gelöst. Mein Herz ist in meinem Leib wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe und meine Zunge klebt mir am Gaumen. Du legst mich in den Staub des Todes.“ (Psalm 22,15f)

Erdrückt sind die Angehörigen. Sie dürfen nicht zu ihrer schwerkranken Verwandten, um ihr die Hand zu halten und ihr nahe zu sein. Erdrückt ist der spanische Arzt. Er steht vor der fruchtbaren Frage, wem er die Sauerstoffmaske gibt und wem nicht mehr.

„Ich bin hingeschüttet wie Wasser. Mein Herz ist in meinem Leib wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe und meine Zunge klebt mir am Gaumen.“

Menschen an der Grenze. Es ist schwer, davon zu hören, davon zu lesen. Die uralten Worte aus dem Psalm 22 bringen all diese menschlichen Erfahrungen auf den Punkt. Das Unerträgliche. Die Schwere der Lebenslast und des Schicksals erdrückt uns fast. Es ist zu viel. „Du legst mich in den Staub des Todes.“

Diesen Moment an der Grenze hat der Maler Sieger Köder festgehalten und bietet ihn uns zur Betrachtung in der Passionszeit an. Als eine Station auf dem Leidensweg Jesu hinauf nach Golgatha. Eine Station zwischen Himmel und Erde. Noch am Leben, aber doch dem Tod schon nahe. Auf dem Bild sehen wir Jesus. Im Staub des Todes. Zusammengebrochen, ohnmächtig, schwach. Niedergedrückt zur Erde unter dem schweren Balken. Die ganze Welt scheint auf ihm zu lasten. Einsam. Niemand ist da. Seht, welch ein Mensch!

Im Antlitz Jesu spiegeln sich die Gesichter vieler Menschen bis heute. So viele Schicksale, die im Grauen der Gewalt und Ohnmacht gestrandet sind. Am Ende. Sprachlos. Wie war das mit der Idee Gottes vom Menschen? Psalm 8 besingt sie mit den Worten:

„Wenn ich die Himmel sehe, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ (Psalm 8,4-6).

In diesem Psalm leuchtet die großartige Würde des Menschen auf; aufrecht geht er, gekrönt, Gottes Ebenbild und wenig niedriger als er.

Und dieses Bild? Es zeigt das Gegenteil. Der Mensch ist zu Boden geworfen. Der ganze Horizont besteht nur aus einem schweren Balken, der den Menschen zu Boden drückt. Dieses Geschehen füllt den ganzen unteren Bildraum. Darüber erhebt sich hoch ein graublauer Himmel mit einer fahl scheinenden Sonne. Weit weg ist diese Lichtquelle. Dies scheint das Gefühl der Einsamkeit noch zu verstärken.

Und doch, bei genauer Betrachtung, scheint es eine Verbindung von diesem fernen Licht hinunter zur Erde, zu diesem Geschehen zu geben. Durch alle grauen Himmel hindurch fällt Licht auf das dunkle Holz und breitet sich auf wundersame Weise auch auf dem Gesicht des Geschundenen aus.

Die Worte des Psalms gehen weiter: „Aber du, Herr, sei nicht fern; meine Stärke, eile mir zu helfen! Errette meine Seele. Hilf mir aus dem Rachen des Löwen! Du hast mich erhört!  Er hat nicht verachtet das Elend des Armen und sein Angesicht vor ihm nicht verborgen. Und als er zu ihm schrie, da hörte er es.“ (Psalm 22,20-25)

Ich bin überzeugt, dass die Psalmen auf ihre Weise Lebensretter sind. Sie kennen Freude und Dank, abgrundtiefe Lebensangst und Verzweiflung. Aber eines tun sie nicht: sie verstummen nicht. Sie sprechen das ganze Leben aus. Sie benennen, was ist und bringen es zur Sprache. Und sie bringen alles direkt vor Gott. Hartnäckig halten sie an diesem Lebensgespräch mit dem Schöpfer aller Dinge fest. Sie lassen nicht locker. Sie beschönigen nichts. Sie klagen und ringen.

So geben sie uns Worte gegen das Verstummen. Geben uns eine Sprache, wenn wir sprachlos geworden sind. Geben uns eine Fassung, wenn wir fassungslos sind. Sie bauen uns Wortbrücken gegen das Elend und gegen die Angst. Bis sie schließlich bezeugen:

Gott hört. Er hört mein tiefes Seufzen und meinen stummen Schrei.

Gott sieht. Er sieht meine Not und meine Verzweiflung.

Vielleicht deutet das der Lichtstrahl auf dem Bild an? Der Mensch am Boden ist im Blick Gottes. Seht: In Jesus unter dem Kreuz, da liegt Gott selbst am Boden. So nahe kommt er seinen geliebten Geschöpfen in ihrer Not. Er kennt, was Menschen durchleiden, wenn sie ganz unten sind. Auch im Sterben und Hinübergehen ist er da.

Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes gute Hände. Er fängt dich auf. Vertraue darauf: auch im Dunkel ist er da. Auch wenn du ihn nicht sehen oder spüren kannst. An dem Weg Jesu durch den Tod, aber umso mehr an seiner Auferweckung durch seinen Vater erkennen wir die Botschaft, die unsere Hoffnung und unser Innerstes rettet: Gottes Lebenskraft bleibt stärker als der Tod. Ein für alle Mal. Und Jesus Christus sagt: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“. An dieser Zusage können wir uns festhalten. Gerade in dieser bedrückenden Zeit. In diese Zusage können wir durch das ganze Leben hindurch unser Vertrauen setzen.

Amen.

Gebet

Gott, wir klagen. Die Not ist groß in unserer Welt. Auf allen Kontinenten. Wir verstehen das nicht. Wir können es nicht fassen. Aber wir halten daran fest, dass du siehst, wenn Menschen leiden. Dass du hörst, wenn jemand weint. Dass du weißt, wie groß Angst sein kann.

Dein Sohn Jesus hat selber gelitten. Er ist am Kreuz gestorben. Aber du hast ihn auferweckt.

Das ist unsere Hoffnung. Du bist größer als die Angst und stärker als der Tod. Hilf uns, diese Hoffnung zu bewahren und sie in unserem Herzen zu tragen. An jedem Tag. Sei du bei allen Menschen, die heute leiden. Gib allen die nötige Kraft, die sich für die Kranken und ihre Angehörigen einsetzen. Erbarme dich unser.

Amen.

Gottesdienst am 22.3.2020 vollständig von Pfarrerin Meike Naumann

Wochenspruch
Wenn das Weizenkorn, das in die Erde fällt, nicht stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, trägt es viel Frucht.
(Johannesevangelium 12,24 BIGS 2011)

Lied: EG 398  In dir ist Freude

Psalm 84

Freude am Hause Gottes
1 Ein Psalm der Korachiter, vorzusingen, auf der Gittit.
2 Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth!
3 Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
4 Der Vogel hat ein Haus gefunden
und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen – deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott.
5 Wohl denen, die in deinem Hause wohnen;
die loben dich immerdar. SELA.
6 Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten
und von Herzen dir nachwandeln!
7 Wenn sie durchs dürre Tal ziehen, / wird es ihnen zum Quellgrund,
und Frühregen hüllt es in Segen.
8 Sie gehen von einer Kraft zur andern
und schauen den wahren Gott in Zion.
9 Herr, Gott Zebaoth, höre mein Gebet;
vernimm es, Gott Jakobs! SELA.
10 Gott, unser Schild, schaue doch;
sieh an das Antlitz deines Gesalbten!
11 Denn ein Tag in deinen Vorhöfen
ist besser als sonst tausend. Ich will lieber die Tür hüten in meines Gottes Hause als wohnen in den Zelten der Frevler.
12 Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild; / der Herr gibt Gnade und Ehre.
Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.
13 Herr Zebaoth, wohl dem Menschen,
der sich auf dich verlässt!

Gebet
Gott, mitten in dieser schwierigen Zeit feiern wir Deine Gegenwart.
Mitten in der Passionszeit Deine Nähe.
Hier vor Dir können wir abladen, was uns bewegt –
was uns belastet und bedrückt.
Du hörst uns – mit und ohne Worte:
(Stille)
Gott, danke für Dein offenes Ohr.
Hab Dank für Dein liebendes Herz.
Wir haben allen Grund,
in Dir zu bleiben,
denn Du hältst und trägst uns
in Leid und Freude,
unser Leben lang.
Amen

Schriftlesung: Joh 6,47-51
47 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben.
48 Ich bin das Brot des Lebens.
49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben.
50 Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe.
51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist. Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch – für das Leben der Welt.

Glaubensbekenntnis

Lied: EG 98 Korn das in die Erde

Predigt zu Jesaja 66,10ff
10 Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.
11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust.
12 Denn so spricht der Herr: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen.
13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden.

Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet – so steht es beim Propheten Jesaja.

Eine Mutter tröstet – vielleicht mit einem Lied wie diesem: „Heile, heile Segen. Es wird schon wieder gut, gibt’s mal drei Tage regen, es wird schon wieder gut. Kommt auch wieder Sonnen schein, alles wird vergessen sein!“  Vielleicht hat auch Ihre Mutter und Oma sie ab und an mit diesem alten Kinderlied getröstet? Vielleicht haben Sie noch die beruhigende Stimme im Ohr.  Vielleicht haben Sie dieses Lied selbst Ihren Kindern vorgesungen. Behütet und getröstet werden – das tut gut. Da ist jemand, der mich auf den Arm nimmt, auf dem Schoß wiegt, mich tröstet.

Dem kleinen Kind, das wir einmal waren hat das geholfen. Jetzt tut das weh, aber das wird vorbeigehen. Die Zeit heilt Wunden. Das aufgeschürfte Knie war nach ein paar Tagen wieder heile. „Heile, heile Segen! Sieben Tage Regen, sieben Tage Sonnenschein, wird alles wieder heile sein.“

Nicht alles lässt sich so einfach trösten. Nicht alles heilt so schnell. Manches braucht mehr als zwei Mal sieben Tage, manches braucht sehr lange Zeit, um zu heilen. Niemand weiß, wie sich die Situation bei uns in den nächsten Tagen und Wochen zuspitzen wird. Wie viele Menschen erkranken werden. Wie groß die Belastung für das Pflegepersonal und die Ärzte, die Rettungsdienste werden wird. Manches braucht sehr lange Zeit um zu heilen. Und manches wird nie mehr heile. Jedenfalls nicht auf Erden.

Ist da überhaupt Trost möglich?

„Ich glaube, ich bin eine schlechte Trösterin“ – wer von uns hat das nicht schon gedacht? Was soll man auch sagen, wenn einer nie mehr gesund wird? Was soll man sagen, wenn eine aus dem Leben gerissen wird. Bleibt da nicht nur Schweigen?

Zuhören wie Hiobs Freunde, die mit ihm sieben Tage und sieben Nächte auf der Erde saßen und nichts mit ihm redeten.

„Denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war“

Doch – das ist schon Trost, dass man nicht allein gelassen wird, dass jemand da ist, der das aushält, der mir wortlos einen Raum gibt für die Klage, die Wut, das Seufzen, die Tränen.

Als christliche Gemeinde können wir einen solchen Raum bilden. Einen Raum, der schützt vor allem falschen Trost der Welt, die sich einfach so weiter dreht als ob nichts geschehen wäre. Einen Raum in dem wir gemeinsam aushalten, was kaum zu fassen ist. Einen Raum indem wir auf Gottes Trost hören. Denn Gott tröstet mich, auch wenn ich jetzt keine innere Festigkeit habe, wenn ich untröstlich bin.

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“, spricht Gott. Mitten in diese bedrückende Situation hinein.

Wenn ich meine Runde um die Waldteiche gehe, sehe ich Bäume, groß und alt. Sie strahlen für mich Ruhe und Trost aus und verweisen mit ihren hohen Kronen auf den Himmel. So werden sie für mich zu Symbolen der Ewigkeit und der Treue Gottes. Sie erinnern mich an die tröstende und treue Gegenwart Gottes. Trost und Treue – beide Worte haben sprachlich gesehen den gleichen Stamm. Trost und Treue – das gehört auch bei Gott zusammen. Gott ist treu, der sein Volk Israel nicht seinem Schicksal in der Fremde überlassen hat, sondern es tröstet und aus dem Exil wieder in die Heimat nach Jerusalem führt. Gott ist treu, der uns nicht unserer Angst überlässt, sondern uns tröstet und uns mit Christus aus dem Tod ins Leben ruft, zu einem neuen Tag.  Das feiern wir an diesem Sonntag Lätare, der auch das kleine Osterfest genannt wird. Ostern ist nun nicht mehr weit. Das Licht der Auferstehung leuchtet schon zu uns herüber.

Gott ist treu, dessen Wort die Kraft hat zu trösten und Neues zu schaffen.
„Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Lied: EG 632 Wenn das Brot, das wir teilen

Fürbitte
Gott, unsere Sehnsucht nach einem gelingenden Leben ist groß.
Gerade in dieser Zeit, in der wir an das Leiden Jesu denken
und in ihm das Leid vieler Menschen in dieser Welt entdecken,
da sehnen wir uns nach einem Leben, das sich zu leben lohnt.
Hilf, dass wir tun, was dem Leben dient.
Mach uns Mut, der Gewalt die Stirn zu bieten.

Gott, unsere Sehnsucht nach einem Leben in Frieden nicht nur bei uns,
sondern überall auf der Welt, ist groß.
Tagtäglich sehen und hören wir,
wie Unfrieden und Gewalt Leben vieler Menschen und Deiner Schöpfung zerstört.
Hilf, dass wir den Frieden halten, wo wir leben.
Mach uns Mut, der Zerstörung zu widerstehen.

Gott, unsere Sehnsucht nach Glück und Zufriedenheit ist groß.
Dennoch machen wir einander oft das Leben schwer.
Wir sehen vor allem das, was nicht gut ist bei uns und anderen.
Hilf, dass wir einander annehmen können, so wie wir sind.
Mach uns Mut, zu den eigenen Fehlern zu stehen
Und gnädig mit uns selbst umzugehen.

Gott, unsere Sehnsucht nach einem Leben ohne Krankheit,
ohne Leid und Sorgen ist groß.
Oft fragen wir, wo Du bist, wenn etwas schief läuft in unserem Leben
oder im Leben derer, die uns nahe sind.
Wir suchen und zweifeln und fragen: Warum?
Hilf, dass wir Deine Nähe auch im Schweren entdecken.
Mach uns Mut, zu Dir zu stehen, auch wenn Zweifel stärker scheinen.

Gott, unsere Sehnsucht nach einem Glauben ohne Wenn und Aber ist groß.
Oft erleben wir, dass andere uns belächeln.
Wir erleben, wie unser Glaube in Frage steht.
Spüren Gegenwind, auch unserer Kirche gegenüber.
Hilf uns, dass wir dennoch glauben.
Mach uns Mut, dem Brot des Lebens zu vertrauen,
dass es uns stärkt und satt macht und lebendig.

Lass uns leben, Gott, in Deiner Liebe und unter Deinen Segen.  
Vater unser…

Lied: 613 Freunde, dass der Mandelzweig

Segen
Buch Josua 1, 9:
Ja, ich sage es noch einmal:
Sei mutig und entschlossen!
Lass dich nicht einschüchtern und hab keine Angst!
Denn ich, der Herr, dein Gott, bin bei dir, wohin du auch gehst.

Passionsandacht am 21.3.2020 von Pfarrer Rainer Böhm

zum Bild von Sieger Köder: Jesus begegnet seiner Mutter

Gott ist Mensch gewesen. Er litt unser Leid; er starb unseren Tod. Und es gibt daran nichts zu beschönigen, weil er sich tatsächlich ganz darauf eingelassen hat.

Aus politischen Gründen, zur Abschreckung, haben die Römer aus der Kreuzigung ein öffentliches Schauspiel gemacht. Der zum Tod Verurteilte musste sein eigenes Kreuz tragen, auf sich nehmen. Eigentlich so wie jeder von uns. Er musste damit mitten durch die Stadt gehen, umringt von Schaulustigen, so wie wenn bei uns die Rettungskräfte kommen, an eine Unfallstelle, in ein Haus, um einen Kranken oder Verletzten abzuholen. Oder wenn ein alter Mensch lernen muss, mit dem Rollator für alle sichtbar einkaufen zu gehen. Es fehlte dann nur noch, dass andere ihre Handys zücken, um zu fotografieren, wie ein anderer sein ganz persönliches Unglück erleidet, eine Strafe wie Jesus, einen Unfall oder eine Krankheit wie bei uns, ein Gebrechen, für das wir uns schämen.

Das Leiden Jesu findet nicht im Verborgenen statt. Es wird öffentlich gemacht. Da gibt es keine Schamwand. Wir schauen dabei zu: andächtig, erschüttert, abgestoßen oder mitfühlend. Darf man das Leiden eines Menschen so zur Schau stellen? Werden hier nicht die Grenzen des Anstands überschritten?

Auf dem Bild von Sieger Köder, das wir heute betrachten, ist Jesus für einen kurzen Moment den Blicken entzogen. Das Bild trägt den Titel „Jesus begegnet seiner Mutter“.

Der alte Simeon hat es einst im Tempel, als er das Jesuskind in die Arme nehmen darf, der Mutter prophezeit: die Mutter, die ihren Sohn heranwachsen sieht, muss ihn loslassen und mitansehen, wie er leidet und stirbt.

Mitten durch das Bild geht der Balken des Kreuzes. Er trennt Mutter und Sohn und verbindet sie zugleich. Die Evangelien berichten immer wieder von schwierigen Begegnungen zwischen Maria und Jesus. Oft ist er schroff, ja zurückweisend zu seiner Mutter. „Was geht es dich an, was ich tue!“. „Ich habe eine neue Familie!“ .. Es scheint so, als habe dieser Kreuzesbalken schon lange zwischen den beiden gestanden. Rechts davon im grünen Gewand Maria, die ihren Sohn im Leben behalten möchte. Links davon in einem blutroten Gewand ein Sohn, der einen selbstbestimmten Weg gehen muss. Eine tragische Familiengeschichte.

Jesus hat den Balken fest im Griff. Aber da ist auch noch eine andere Hand, die sich sanft auf seine Rechte legt, die Hand seiner Mutter. Es wirkt so, als wäre der Leidensweg für einen Augenblick unterbrochen. Keine öffentliche Zurschaustellung, sondern Trost und Hoffnung. Die Farben der Gewänder sind natürlich bewusst gewählt: Rot ist nicht nur die Farbe des Blutes, sondern auch der Liebe, das satte irdische Grün ist die Farbe der Hoffnung.

Was gesagt wird, können wir nicht hören. Wir spüren den Schmerz dieser Mutter um ihr Kind, das sie gehen lassen muss.  Und wir sehen zwei Hände, die sich berühren. Mehr braucht es in diesem Augenblick auch nicht – als da zu sein für einen anderen und mit ihm auszuhalten, ihm nahe zu sein, ihn zu berühren in seinem Leid. Maria kann ihrem Sohn das Kreuz nicht abnehmen, aber sie kann Anteil nehmen an seinem Schmerz.

Gott teilt unser Leid. Und so geschieht es auch jetzt überall auf dieser Welt. Und so auch bei uns: Da wird Leiden geteilt, da setzen sich Menschen für andere ein, professionell als Ärzte, Pflegerinnen oder auch als Wissenschaftler, Apothekerinnen, die Frauen an der Kasse im Supermarkt. Ohne große Aufmerksamkeit, ohne großes Aufsehen, oft für einen geringen Lohn. Aber stetig und verbindlich. Wie sähe unsere Welt nur ohne sie aus, ohne die vielen Marias, die jetzt diesen Dienst tun – manchmal auch nur mit einer kleinen Geste und verborgen hinter dem Kreuz.

Amen

'Corona-' Gottesdienst am 15.3.2020 vollständig von Pfarrer Rainer Böhm

In der Liturgie, in den Gebeten folgen wir einem Gottesdienst, der zu uns aus Asien in englischer Sprache gekommen ist und den ich übersetzt habe.
Die Predigt folgt unserer Ordnung.

In dieser Zeit der Verwundbarkeit kommen wir zu dir Gott.
Wir stehen vor einem unvorhergesehenen Schrecken.
Es geht dabei nicht nur um unser Wohlergehen, sondern um unser Leben.
So beten wir in diesem Gottesdienst mit unseren Schwestern und Brüdern in Asien und mit ihren Worten und fühlen uns mit ihnen verbunden.
So stärke Gott unseren Glauben.
Wir beten mit Jakobus: „Das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten.“ (Jak 5,15)

Psalm 41: Gebet in Krankheit
1 Ein Psalm Davids, vorzusingen. 2 Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt! Den wird der HERR erretten zur bösen Zeit. 3 Der HERR wird ihn bewahren und beim Leben erhalten / und es ihm lassen wohlgehen auf Erden und ihn nicht preisgeben dem Willen seiner Feinde. 4 Der HERR wird ihn erquicken auf seinem Lager; du hilfst ihm auf von aller seiner Krankheit. 5 Ich sprach: HERR, sei mir gnädig!

Kyrie
Im Glauben kommen wir zu dir und bitten dich um Gnade und Vergebung für unsere Sünden gegen dich und deine Schöpfung.
In dieser Zeit der Angst bringen wir die Schrecken der Pandemie vor dich, die uns weltweit erfasst haben.
In der Zeit der Schwachheit, Furcht und des Todes rufen wir zu dir:
Heile die Kranken; festige die Schwankenden; beschütze diejenigen, die im Gesundheitssystem für uns sorgen.
Wir vertrauen auf deine Gnade, Gott.
Kyrie eleison …

Gott, höre auf den Schrei unserer Körper. In deiner Gnade heilst du, die an Körper, Geist und Seele krank sind. Wir bitten dich für alle, die vom Virus infiziert worden sind. Heile die Kranken und helfe auf denen, die gebrochenen Herzens sind und die um Verstorbene trauern.
Kyrie eleison …

Gott, wir sind schwach und verletzbar. Wenn du mit uns gehst, verbreitest du deine heilende Kraft und Zuversicht. In deine Hand legen wir die Menschen, die bereits erkrankt sind und die, die noch daran erkranken werden. Von den Feldern der Angst rufen wir zu dir: Stärke uns in Glaube, Hoffnung und Liebe.
Kyrie eleison

Gnadenwort
„Siehe, ich will sie heilen und gesundmachen und will ihnen dauernden Frieden gewähren.  Denn ich will das Geschick Judas und das Geschick Israels wenden und will sie bauen wie im Anfang.“ (Jeremia 33, 6+7)

Lesung Altes Testament/Hebräische Bibel

37 Wenn eine Hungersnot oder Pest oder Dürre oder Getreidebrand oder Heuschrecken oder Raupen im Lande sein werden oder sein Feind im Lande seine Städte belagert oder irgendeine Plage oder Krankheit da ist – 38 wer dann bittet und fleht, es sei jeder Mensch oder dein ganzes Volk Israel, die da ihre Plage spüren, jeder in seinem Herzen, und breiten ihre Hände aus zu diesem Hause, 39 so wollest du hören im Himmel, an dem Ort, wo du wohnst, und gnädig sein und schaffen, dass du jedem gibst, wie er gewandelt ist, wie du sein Herz erkennst – denn du allein kennst das Herz aller Menschenkinder. (1. Könige 8)

Lesung Neues Testament

29 Und alsbald gingen sie aus der Synagoge und kamen in das Haus des Simon und Andreas mit Jakobus und Johannes. 30 Die Schwiegermutter Simons aber lag darnieder und hatte das Fieber; und alsbald sagten sie ihm von ihr. 31 Und er trat zu ihr, ergriff sie bei der Hand und richtete sie auf; und das Fieber verließ sie, und sie diente ihnen. 32 Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen. 33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür. 34 Und er heilte viele, die an mancherlei Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus und ließ die Dämonen nicht reden; denn sie kannten ihn. ( Markus 1)

Glaubensbekenntnis

Predigt                        Okuli

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Er aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Lk 9,57-62

Liebe Gemeinde,
das sind jetzt aufregende Zeiten.
Das Coronavirus hat gezeigt, wie verwundbar wir sind. Wir gehen einer neuen Zeit entgegen. Die meisten Menschen, die eine schwere Krankheit durchgemacht haben, sind nun dankbarer für das Leben als vor ihrer Krankheit. Wenn das Coronavirus einmal verschwunden ist, wird die ganze Bevölkerung hoffentlich den ganz gewöhnlichen Alltag mehr schätzen als vorher. Und vielleicht werden wir auch mehr Mitgefühl mit unseren Kranken und Alten empfinden. Sie sind zurzeit am meisten durch das Virus bedroht. Wir fürchten, dass wir sie verlieren können. Und diese Furcht ist ja ein gutes Gefühl. Sie sagt etwas über unsere Liebe. Wenn wir jemanden mögen, dann haben wir Sorge um ihn oder sie.

Es sind aufregende Zeiten, und es ist für mich ist das heute auch ein aufwühlender Text:
Nur ganz wenige Abschnitte in den Evangelien geben die Stimme Jesu, seine eigenen Worte, wieder. Hier haben wir sozusagen den ganz seltenen O-Ton des Jesus von Nazareth. Wann und in welchem Zusammenhang Jesus die jeweilige Aussage gemacht hat, ist uns nicht überliefert. Der Evangelist Lukas hat sie wie Puzzlesteine genommen und ihnen in seinem Evangelium einen Platz gegeben. Ich denke, dass er sehr bewusst diese doch höchst verschiedenen Szenen zusammen komponiert hat. Er bewahrt uns damit vor Irrwegen und Abwegen beim Verstehen.

Was also haben diese Bilder gemeinsam?
Immer geht es um einen Neuanfang. Immer geht es um den ersten Schritt hinein in ein Leben, das vom Reich Gottes durchdrungen und getragen ist. Schauen wir uns die einzelnen Szenen an:
Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
Anders als viele andere, verspricht Jesus denen, die ihm nachfolgen wollen, nicht den Himmel auf Erden. Anders als viele andere, verspricht er nicht ein Leben, in dem es nur noch Friede, Freude, Erfolg, Glück und Wohlstand gibt. Der Glaube an Gott, ein Leben in der Nachfolge Jesu ist kein Wellnessurlaub. Schwere Zeiten, Not, Traurigkeit, ja sogar Katastrophen sind nicht ausgeschlossen. Ein Leben in der Nachfolge Jesu verläuft zuerst einmal nicht anders als jedes andere Leben auch.

Nachdem das geklärt ist, geht es weiter: Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Er aber sprach zu ihm; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!
Hart klingt das.  Weil ich erkrankt war, konnte ich vor drei Monaten nicht zur Trauerfeier für meinen Vater fahren. Zum Glück hatte ich ihn vor meiner OP noch einmal besucht. Aber dieses Lass die Toten ihre Toten begraben, das klingt bitter und hart. Jetzt überlegen wir, wie Beerdigungen und Trauerfeiern funktionieren in Zeiten von Corona.
Ich denke, es geht um die Zeit danach.
So geht es für mich in so einer schweren Zeit darum, meine geliebten Verstorbenen Gott täglich neu anzuvertrauen. Und mich und mein neues Leben ohne sie auch. Jede und jede hier, die nach so einer Zeit wieder ins Leben zurückgekehrt ist, verkündigt das Reich Gottes ganz ohne Worte. Denn andere, die grad mitten drin stecken in so einer schweren Zeit, können sehen: Gott begleitet durch diese Zeit und gibt die Kraft, die ich brauche.

Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.
Wer Jesus tatsächlich und ernsthaft nachfolgen möchte, ändert sein Leben grundlegend. Er trifft eine existentielle Entscheidung. ER sagt „Ja“. Und wenn sich einer aufmacht und sein Leben so dramatisch ändert, dann ist mit ziemlicher Sicherheit seine Welt nicht mehr dieselbe. Denn die Freunde, von denen er sich verabschieden möchte, die bleiben ja zu Hause. Sie haben nun kaum mehr etwas gemeinsam.
Jesus nachfolgen kann auch dazu führen, dass alte Verbindungen, lieb gewordene Gewohnheiten, eingefahrene Muster nicht mehr passen. Es kann dazu führen, dass ich tatsächlich meine Ansichten und Einsichten ändere. Was mir früher gefallen hat, interessiert mich nicht mehr. Was ich abgelehnt habe, tue ich jetzt selbst.

Reich Gottes, was ist das nun eigentlich? Und was hat das mit unserer Situation heute zu tun?
Ich verstehe das nicht als einen Ort wie Deutschland, wo man hinein gehen und herausgehen kann. Das Reich Gottes ist für mich eher ein Lebensgefühl. Eine Erfahrung: So wie man Auferstehung auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus erfahren kann, nach der Genesung oder an einem schönen Frühlingstag im April. Oder wie Nachfolge eine existentielle Entscheidung ist. Ein Ereignis. wo ich bemerke: So ist es gut. So ist es recht. Was hier geschieht, ist total stimmig.
Ich habe das letztes Jahr bei einer Aussegnung auf der Palliativstation im Krankenhaus erlebt, an einem strahlenden Sommertag. Die Kinder der Verstobenen, die Geschwister, die Mutter waren ums Bett waren ums Bett versammelt. Auf dem Bett laen Blumen, ganz nahe bei ihr. Ihre Hände waren gefaltet, ihr Gesicht ganz entspannt. Eine schöne halbe Stunde. Ich trau mich zu sagen: für uns alle.

Meine älteste Tochter lebt in Wien. Wenn ich ab und zu dort sein kann, fühle ich mich in den öffentlichen Verkehrsmitteln immer wieder an das Reich Gottes erinnert. Jedes Mal bisher war ich aufs Neue überrascht und erfreut über die engelsgleich, sanfte Stimme, die man dort hören kann und die sagt: „Bitte seien Sie achtsam. Andere brauchen den Sitzplatz vielleicht notwendiger!“ Und dann nimmt jemand aus der bequemen Sitzposition wahr, hier ist ein Mensch, der sich schwer tut beim Stehen. Und steht auf mit einem Nicken und einer Handbewegung und überlässt den Sitzplatz. Und die andere Person dankt und lässt sich erleichtert nieder. Als mir einmal eine junge Studentin ihren Platz anbot merkte ich: ich bin nun in einem gewissen Alter.
Aber Achtung: Wir Menschen machen das Reich Gottes nicht, indem wir anderen unseren Sitzplatz überlassen. Wir erfahren in solchen Momenten, wie Gott diese Welt gemeint hat. Als ein Ort, wo man auf einander schaut und achtsam ist. Wir spüren bei solchen Gelegenheiten, wie unser Schöpfer uns von Anfang an begabt hat mit der Fähigkeit, dieser Welt ein freundliches Gesicht zu geben. Unsere Verantwortung und Nächstenliebe ist jetzt ganz praktisch gefragt.

Das Coronavirus zeigt, dass es schön ist, wenn nichts passiert. Still und ruhig verläuft der Gottesdienst von Anfang bis Ende. Viele meinen, es müsste etwas mehr los sein. Wieso eigentlich? Wir tun im Großen und Ganzen jeden Tag dasselbe. Diagnoselose Zeiten sind gute Zeiten. Gar nicht so schlecht, wenn das spannendste Ereignis war, dass vier statt drei Krähen auf unserem Rasen landeten. Was ist das für eine phantastische Zeit, wenn wir uns damit begnügen können, die Zeitung aufzuschlagen und zu lesen, was im Fernsehen los war und dass die Bundeskanzlerin eine Rede gehalten hat.
Zurzeit haben wir das Coronavirus – medizinisch geschieht gerade allzu viel in der Welt. Wenn doch nichts passieren würde! Nichts passiert mehr, nichts geht mehr in unseren Schulen, Kindergärten, Theatern – und auch in unserer Kirchengemeinde. Wir treffen uns jetzt gewissermaßen hier, im Internet, wenigstens dies ist möglich.
Seitens der Kirche folgen wir dem Rat der Gesundheitsbehörden. Nächstenliebe bedeutet für uns jetzt, Verantwortung zu übernehmen und Ansteckung in unserem Bereich möglichst zu verhindern. Achtsamkeit zu leben. Aber wir sollen auch Gott darum bitten, dass die Epidemie gestoppt werden kann. Als Christen wissen wir: Es liegt nicht nur in unserer Hand: es liegt bei Gott. Amen


Fürbitten

Liebender und fürsorgender Gott,
Du begleitest die Kranken und bist bei denen, die verwundet sind,. Du teilst das Leiden. So bitten wir dich für alle, die am Coronavirus leiden. Befreie sie von ihrem Gebrechen und Leid.

Du bist der einzige der uns beschenkt und bereichert mit deinem tiefen Ozean von Mitleid und Trost.
Wir flehen dich an dein Volk zu befreien von der Last und dieser Krankheit.
Gnädiger Gott, wir glauben daran, dass du die Quelle des Lebens bist und der Heilung.

Zeige uns die heiligen Ströme deiner Gnade und heile alle, die beklagenswert krank geworden sind. Höre auf unser Flehen und befreie uns von allen unseren Bedrängnissen.
Wir glauben daran, dass der einzige sichere Amker bist den wir haben und unser einziger Schutz.
Wir kommen zu dir mit unsrem tiefempfundenen Glauben und bitten dich um Gnade und Erbarmen.

Gnädiger Gott, Herr der Herrscharen, du bist der Arzt, der Erlöser, der Helfer aller in Schmerz und Krankheit. Deine Diener suchen jetzt dein unbeschreibliches großes Erbarmen.
So bitten wir dich leidenschaftlich und tief.

Gott, wir stehen an der Seite unserer Geschwister, die leiden. Und wir wissen, dass sie durch deine Wunden geheilt sind von Schwäche und Krankheit.
Wir bitten darum, dass wir gemeinsam als deine Kinder auf der ganzen Erde diese schweren Zeitengemeinsam bestehen.
Wir bitten um Schutz für diejenigen, die ganz vorne stehen im Kampf gegen das Coronavirus, als Pflger, als Ärzte, als Forscher.
Wir bitten um Ruhe, um Trost und um Vernunft in bedrängender Panik und wachsender Angst.
Wir bitten um Verbundenheit und Solidarität in unserer weltweiten Menschenfamilie indieser schwierigen Situation.
Lass deinen Frieden sich ausbreiten in uns.
Das bitten wir in Jesu Namen. Amen.

Segen

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. (Jesaja 9,1)

Gottes heilende Hand ruhe auf dir.
Gottes lebenspendende Kraft fließe in dich und in jede Zelle deines Körpers und in die Tiefen deiner Seele.
Sie soll dich reinigen und erfüllen und aufbauen zu Ganzheit und Stärke im Frieden Gottes.
Amen

 

Passionsandacht am 14.3.2020 von Pfarrerin Meike Naumann

Nehmt auf euch mein Joch – mit Bildern von Sieger Köder

Musik zum Eingang

Begrüßung mit Votum

Herzlich willkommen zu unserer ersten Andacht in dieser Passionszeit. Wir feiern diese Andacht unter Bedingungen wie wir sie alle sicher nie erwartet hätten. Die durch den Corona-Virus ausgelöste Pandemie stellt uns alle vor eine große Herausforderung. Es gilt, Rücksicht zu nehmen.

Jesus nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.

Jesu Weg ins Leid, Jesu Weg ans Kreuz. Darauf richten wir in der diesen Tagen unseren Blick. Betend, singend, nachdenkend gehen wir sozusagen Jesu Leidensweg mit.

In diesem Jahr schauen wir dabei auf die Bilder, die der Pfarrer und Künstler Siger Köder gemalt hat.

Heute ist es das Bild „Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen.

Was in einer fernen Zeit geschah, holen wir uns so vor Augen und in unsere Gegenwart.

Und so sind wir hier zusammen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Lied: EG 545

Gebet

Wir wenden uns zu Gott und bitten ihn um sein Erbarmen.
Menschen leiden.
Überall.
Wohin wir sehen.
Weit weg.
Unter Hunger und Elend.
Unter Gewalt und Terror,
unter Kriegen und Katastrophen

Vor unserer Haustür.
Unter Armut und Not.
Unter Missachtung und Diskriminierung.
Unter Neid und Hass.
In unseren Familien.
Unter Krankheit und Trauer,
unter Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung,
unter Ängsten und Zweifeln.

Menschen leiden.
Und Gott leidet mit.
Unsere Schmerzen sind seine Schmerzen.
Unsere Nöte sind seine Nöte.
Unser Leid ist sein Leid.
Deswegen können wir zu ihm gehen
Mit allem, was uns das Leben schwer macht.
Er wird uns helfen.

Lied: 369,1-3 Wer nur den lieben Gott lässt walten.

Lesung: Mk 15,20b-22
Und sie führten ihn hinaus, dass sie ihn kreuzigten.
21 Und zwangen einen, der vorüberging, Simon von Cyrene, der vom Feld kam, den Vater des Alexander und des Rufus, dass er ihm das Kreuz trage.
22 Und sie brachten ihn zu der Stätte Golgatha, das heißt übersetzt: Schädelstätte.

Predigt

„Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen“ – so heißt dieses Bild. Zwei Männer stehe oder gehen eng umschlungen. Ihre Gesichter und Körper berühren sich. Sie ähneln einander. Allein die Farben ihrer Kleidung und ihrer Haut unterscheiden sich. Man muss schon genauer hinschauen, um zu erkennen, wer Simon ist und wer Jesus:

Im Gesicht des Rechten sieht man ein paar Blutstropfen, Kratzer von der Dornenkrone, die die Soldaten Jesus auf den Kopf gesetzt hatten. Todesbleich ist sein Gesicht und das rote Gewand erinnert an Blut. Symbol für den gewalttätigen Tod.

Vier Hände sind auf allen vier Ecken des Bildes verteilt. Man braucht ein wenig, um sie den beiden zuzuordnen: Je eine Hand umfasst den Balken, die andere umfasst den Gefährten an der Hüfte. Die Arme überkreuzen sich hinter ihren Rücken. Die beiden halten sich aneinander. Einer trägt die Last für den anderen mit. Ihr Blick geht in die gleiche Richtung, auf den Weg vor ihnen, auf das, was jetzt kommt.

Anders als es die Bibel erzählt, trägt Simon das Kreuz nicht allein. Der Künstler stellt die beiden Männer ganz eng zueinander. Sie tragen das Kreuz zusammen. Dabei war es kein Mitleid, keine Nächstenliebe, kein demonstrativer Protest von Simon. Er ist dazu gezwungen worden.

„Ich kam doch nur zufällig vorbei. Ich war auf dem Heimweg von der Arbeit, vom Feld, als sie mir entgegenkamen: Die Soldaten, die Jesus antrieben und die vielen Menschen die ihnen folgten. Stau vor dem Stadttor. So blieb ich stehen. Es war einfach Zufall, dass sie ausgerechnet mich gepackt haben. „He, du, komm her!“ Dann haben sie mich gezwungen, das Kreuz zu tragen. Ich kannte ihn eigentlich nicht. Mein Sohn Rufus schon, der war einer von den Anhängern Jesu. Aber das konnten die Soldaten doch nicht wissen. Ich glaube, es war einfach Zufall, mein Schicksal eben.“

Zufall oder Schicksal ist es, das Menschen in solche Situationen bringt:

Da wird der Partner krank oder dement oder braucht Pflege. Für die Frau   oder den Mann bedeutet das dann, diesen Weg mitzugehen, zu stützen, mitzutragen. Nähe und Wärme zu schenken – und auf vieles zu verzichten: Zeit für sich und die eigenen Wünsche. Das Schicksal fragt nicht: „Willst du das?“. Es zwingt einen, so wie Simon gezwungen wurde, das Kreuz mit zu tragen.

Simon von Cyrenes Sohn, Rufus, wird in der Bibel an anderer Stelle erwähnt. Er zählt zum größeren Jüngerkreis. Was er über das Schicksal seines Vaters sagen würde?

„Ja, so könnte es gewesen sein. Mein Vater hat nicht viel Worte gemacht. Er war eher ein Mann der Tat, kräftig und stark von der Arbeit auf dem Feld. Vielleicht haben sie ihn deshalb ausgesucht. Er war halt zufällig der Kräftigste von allen, die gerade da waren. Manche meinen aber auch, es war Fügung. Er war der Richtige für diese Aufgabe. Ein so warmherziger Mensch. Hat manchmal einfach seine Arm um dich gelegt und dann wusstest du: du bist nicht allein.“

Es ist die Nähe eines Menschen, die uns ohne Worte sagen kann: du bist nicht allein auf diesem letzten Weg. Dabei wirkt Simon auf diesem Bild nicht stärker als Jesus. Beide tragen eine gleich schwere Last. Aber durch die Last rücken sie enger aneinander. Manchmal erzählen Menschen davon, dass sie durch das Leiden, das gemeinsame Bewältigen schwieriger Zeiten, enger aneinandergerückt sind. Eheleute oder Kinder und Eltern. Freunde. Manchmal erzählen sie auch davon, dass sie nicht gedacht hätten, dass sie das können. Es aushalten können. Aber dann seien ihnen doch Kräfte zugewachsen.

Der Künstler hat die Hände besonders groß gemalt. Sie wirken wie ein Rahmen für das abgebildete Geschehen. Hände können anpacken, tragen, aber auch stützen und trösten und einfach halten. Und dass es nicht einfach ist, zu sehen, wem welche Hand gehört, das passt. So ist das manchmal, wenn ein Leid, ein schwerer Weg Menschen zusammenspannt. Es ist nicht immer klar, wer dann wen trägt und hält.

„Es waren ihre Hände, die ich in den letzten Sekunden gehalten habe. Manchmal hat sie mit einem leichten Druck reagiert. Dann habe ich sie ganz sanft gestreichelt. Als sie dann ihre letzten Atemzüge getan hatte, habe ich ihre Hände noch ein wenig gehalten und dann über ihrer Decke zusammengelegt. So als würde sie beten. Jetzt hält sie ein anderer, habe ich gedacht, als wir aus dem Zimmer gegangen sind. Es war gut, dass ich bei ihr war.“

Nicht nur Hände hat Simon auf diesem Bild. Er hat auch ein großes Ohr.
„Dass ich höre, wie ein Jünger hört“. Heißt es an anderer Stelle in der Bibel. Jünger haben große Ohren. Sie hören auf Gottes Wort. Doch was hört dieser Jünger wider Willen?

Mir fällt das Wort Jesu ein:
Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

Ein Joch – das ist ein Querholz, mit dem man früher Ochsen als Zugtiere zusammen vor einen Wagen spannte.

Wie unter einem solchen Joch sind Jesus und Simon hier zusammengespannt. Das Kreuz, der Kreuzbalken bringt die beiden zusammen, hält sie beieinander, lässt sie in die gleiche Richtung blicken. Das Leid schweißt manchmal Menschen zusammen, lässt sie einen schweren Weg gemeinsam gehen.
Simon geht den Weg Jesu mit. Für uns, die wir das Geschehen von außen betrachten – sieht daran nichts leicht aus. Das Joch wirkt hart und die Last schwer. Und doch schwebt die Verheißung Jesu über diesem Bild: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

Manchmal erzählen Menschen davon: dass das, was für Außenstehende so hart und schwer zu tragen aussah, dann doch leicht war, leichter als gedacht oder befürchtet.

Wenn Menschen zusammengespannt werden unter ein Schicksal, wenn sie die Last des anderen mittragen, dann höre ich immer auch die Verheißung mit, die darübersteht.

So wie bei der schweren Aufgabe, zuzuhören, wenn andere von erlittener Gewalt und Ängsten erzählen. „Du kannst mir anvertrauen, was auf dir lastet“, das ist die Einladung zu einem Gespräch zwischen einer jungen und alten Frauen. Das Gespräch findet statt auf einer Bank. Einer sogenannten Freundschaftsbank in Simbabwe. Wir haben davon auch beim Weltgebetstag gehört. Ältere Frauen, Großmütter werden als Laientherapeutinnen ausgebildet. In einem armen Land, in dem Psychische Krankheiten ein Tabu sind und es kaum Therapieplätze gibt, da sind die Freundschaftsbänke erfunden worden. Großmütter haben Zeit und hören zu. Sie hören Geschichten von Armut und Angst und Einsamkeit. Von Gewalt und Verzweiflung. Die Last, die hier ausgesprochen wird, geht durch Zuhören allein nicht weg und wird auch nicht sofort leichter. Aber was ausgesprochen wir, wird behandelbar. Es ist sicher schwer für die Großmütter, für diese weisen Frauen, all diese Geschichten und Schicksale zu hören und die Traurigkeit auszuhalten. Aber sie haben das als ihre Aufgabe angenommen, weil es sonst niemanden gibt, der das tut.

Simon von Cyrene hat die Last eines anderen mitgetragen. Die Aufgabe ist ihm zugewiesen worden. Er konnte sich nicht dagegen wehren.

Man weiß nicht, ob er ein Jünger Jesu war oder später zur ersten christlichen Gemeinde gehörte. Es ist nur ein Vers in der Bibel, der von ihm erzählt. Es bleibt offen, ob es Zufall war oder Fügung, dass er derjenige war, der Jesus nahe war auf seinem letzten Weg.

Zufall, Schicksal? Simon könnte klagen, sich wütend beschweren oder Antwort verlangen auf die Frage: „Warum ich?“ Er könnte mit seinem Schicksal hadern. Davon erfahren wir nichts. So wie die Dinge standen, hätte das auch nichts geändert.

Es gibt Situationen im Leben, in denen nichts mehr anders wird. Erlittenes Unrecht kann trotz aller Rechtssprechung nicht mehr ungeschehen gemacht werden. Die Toten holt niemand mehr zurück. Manche Krankheit kann nur gelindert werden.

Aber ich glaube, dass über allen Lasten die wir zu tragen haben, die wir mittragen oder miteinander tragen müssen, diese Verheißung steht:

Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
29 Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.
30 Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.
AMEN.

Lied: EG 361,1-2

Fürbitten
Jesus Christus,
Simon von Cyrene ist ein Stück deines Weges mit dir gegangen.
Auch wir stehen in deiner Nachfolge.
Nimm du uns mit auf deinen Weg,
dass wir Liebe lernen und Frieden finden.
Nimm uns mit auf deine Weg,
dass wir lernen, zugewandt und einfühlsam zu sein,
und einander zu achten mit all unseren Unterschiedlichkeiten.
Nimm uns mit auf deinen Weg,
dass wir unserer Arbeit verantwortungsvoll nachgehen,
dass wir mit unserer Kraft dem Frieden dienen
und für Gerechtigkeit eintreten.
Nimm uns mit auf deinen Weg,
dass wir uns nicht blenden lassen
durch äußere Macht, durch Geld und Besitz.
Nimm uns mit auf deinen Weg,
den du für uns gegangen bist,
durch den Tod hin durch ins Leben.
Amen

Vater unser

Lied: Verleih uns Frieden EG +142

Segen
Musik zum Ausgang

 

am 1.3.2020 von Oberkirchenrätin Dr. Melanie Beiner, Darmstadt

Der Predigttext für den Sonntag heute ist eine der bekanntesten Erzählungen der Bibel. Adam und Eva. Die Erzählung vom Sündenfall. Eigentlich kennen wir sie noch irgendwie, jedenfalls in den groben Zügen. Sie ist lang und ich habe bei der Vorbereitung überlegt, ob es gut ist, sie ganz zu lesen. Und habe gedacht: sie ist zwar bekannt, aber literarisch ist sie so kunstvoll und dann hat man sie vielleicht doch in allen Teilen nicht mehr so präsent, dass ich mich entschlossen habe: ich lese sie ganz vor, auch wenn sie so lang ist.

Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?
Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!
Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß.
Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.

Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des Herrn zwischen den Bäumen im Garten.
Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?
Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.
Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?
Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß.
Da sprach Gott der Herr zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß.

Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang.
Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.
Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.
Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang.
Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen.
Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.

Und Adam nannte seine Frau Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben.
Und Gott der Herr machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an.
Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und nehme auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich!
Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war.
Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.

„Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde.“ – Erster Satz. Ein Satz – und man weiß Bescheid. Einen besseren Beginn für das, was folgt, gibt es nicht. „Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde.“ Literarisch ist der Satz fast nicht zu toppen. Denn mit dem ersten Satz ahnt man, weiß man eigentlich – diese Geschichte kann nicht wirklich gut ausgehen.
„Und sprach zu der Frau…“ – so geht es direkt weiter. Alles in einem Atemzug.
„Sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“

Ein kurzer Dialog. Die Frau wird verführt, überzeugt, überredet – in der Geschichte hat man vieles geschrieben. „Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.“ – Das ist das Verlockende.

Wissen, was gut und böse ist, das heißt ja eigentlich moralisch handeln können. Ein ethisches Subjekt werden. Das ist das Verlockende.

„Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und verlockend, weil er klug machte.“
Es hat lange gedauert, bis ich diesen Satz in Gänze wahrgenommen habe. Verlockend zu essen – soweit ist es im kulturellen Gedächtnis verankert. Und passt zu uralten Klischees über Frauen: emotional, leiblich, verführbar.
Verlockend, weil er klug macht – das hat die Tradition nicht so differenziert ausgebreitet.
Es ist die Frau, die gerne klug sein möchte.
Es ist die Frau, die es erstrebenswert findet, eine ethisch handelnde Person zu sein und Urteilskraft zu gewinnen. Zwischen gut und böse zu unterscheiden.

Ich kann mich nicht erinnern, dass es in meinem Studium eine Auslegung gegeben hat, die das einmal als Unterscheidungskriterium für Mann und Frau angeführt hat. Die Frau ist die, die klug werden will.

Was hat man auf Frauen alles projiziert und diese Erzählung jahrhundertelang für Rechtfertigung der Unterordnung der Frau herangeholt. Hat irgendjemand mal gesehen, dass es die Frau ist, die – im Unterschied zum Mann – hier an Erkenntnis interessiert ist. Ich wäre – wie Eva – interessiert das zu wissen.

„Und sie nahm von seiner Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürze.“

Wir sind jetzt bei Vers 7. Die ganze Erzählung hat 24 Verse. Nach noch nicht mal einem Drittel der Erzählung ist es passiert.
„Und die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde.“ Jetzt schon zeitigt ihr Handeln Folgen. Sie wurden gewahr, dass sie nackt waren. Sie werden sich in ihrer Blöße gewahr. Wieso ist das eigentlich eine Folge, wenn man gut und böse erkennt?

Weil man sich dazu selbst reflektieren und damit selbst ansehen können muss. Erkenntnis gibt es nicht ohne Selbsterkenntnis. Nicht ohne, dass man sich selbst in ein Verhältnis setzen kann zu dem, was man tut oder nicht tut, tun soll oder nicht tun soll. Die Alternative ist der Instinkt. Da tut man auch was, aber ohne sich quasi selbst auch von außen ansehen zu können.
Und sobald man das kann – sobald man sich von außen ansieht – kann man auch sehen, dass man nackt ist, wenn man nackt ist.
„Und flochten Feigenblätter und machten sich Schürze.“

Dann kommt, was immer kommt, wenn man etwas angestellt hat. Ein langer Weg der Auseinandersetzung und schließlich die Konsequenzen.
Literarisch wird neu eingesetzt. „Und sie hörten Gott den Herrn, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war.“ Gott geht spazieren. Adam versteckt sich und Gott ruft:
„Adam, wo bist du?“
Auch das, muss ich zugestehen, habe ich so noch nicht bewusst gelesen. Vielleicht ist das meine Genderbrille. Adam wird ja gerufen. Nicht Eva.

„Adam, wo bist du?“ Die nächste erzählerische Genialität. Nicht: Adam, was hast du gemacht? Sondern: Wo bist du? Gott ist noch ahnungslos oder tut so. Adam nicht.
Ich finde, dass diese Frage die Erinnerung an genau die Situationen wachruft, in denen man wusste, dass man in Kürze der Instanz gegenüber stehen würde, der man irgendwie rechenschaftspflichtig war, seien es Eltern, Geschwister, Vorgesetzte oder wer auch immer.
Und dann verrät sich Adam. Er beichtet ja nicht, sondern verrät sich durch seine Scham sich nackt zu zeigen.

Und dann kommen die Schuldzuweisungen an andere, eigentlich eine ziemlich freche, die Adam hier nennt: „Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß.“
Mit anderen Worten: Du bist selbst schuld, Gott.
Und Gott fragt dann wie ein – ja, wie wer? Ein Vater, der sich erstmal alles erzählen lässt, bevor er dann ganz sicher ist, dass die Konsequenzen auch wirklich berechtigt sind?

Und dann kommen 6 Verse Konsequenzen. Die kennen wir, die leben wir ja heute noch. Die Schlange im Staub, die Frau liegt in Geburtswehen, der Mann arbeitet im Schweiße seines Angesichts.
Und schließlich: Adam nannte seine Frau Eva, denn sie wurde zur Mutter alles Lebendigen. Und Gott bekleidet die beiden und dann marschieren sie raus aus dem Paradies und es bleibt der Cherub mit dem Feuerschwert vor dem Eingang. – Willkommen im Diesseits.

Literarisch ist die Erzählung einer ganz bestimmten Gattung zuzuordnen. Ätiologie nennt man sie. Das sind Erzählungen, die märchen- oder mythenhaft erklären, warum etwas geworden ist, wie es ist. Oft sind es auch Legenden, die sich um besonders auffällige oder ungewöhnliche Naturformationen ranken. Vielleicht reicht die Erzählung vom Weihnachtswunder in Bad Nauheim, bei dem auf einmal die Sole aus dem Boden schäumte, auch daran heran.

Die Erzählung vom Sündenfall ist jedenfalls so eine Ätiologie. Sie will erklären, warum Frauen Geburtswehen haben und Männer arbeiten und Schlangen im Sand kriechen. Also warum das so ist, obwohl die Menschen einst von Gott geschaffen wurden und warum dann, obwohl Gott es gut meint, das Leben so mühsam ist.
Eine Antwort wird eben in Form dieser Geschichte gegeben.

Aber die Erzählung betrachten wir als Christinnen und Christen ja nicht nur literarisch. Wir fragen ja auch nach dem, was sie für unseren Glauben bereithält.

Die gängige Auslegung ist: Wir sollen nicht so sein wie Gott. Aber wir wollen es sein. Wir maßen uns zuviel an. Das ist Sünde. Das wird dann sehr moralisch verstanden. Und wir lesen die Geschichte immer als Geschichte vom Sündenfall – das Wort Sünde kommt aber gar nicht vor. Das gab es damals gar nicht.

Worum geht es dann? Für mich erzählt die Geschichte von einer heilsamen Begrenzung.

Wir leben im hier und jetzt. Wir können erkennen, aber eben nur eine bestimmte Zeit in einem bestimmten Raum, aus einer bestimmten Sicht.
Für uns erscheint das wie eine Begrenzung, die wir gerne aufheben möchten. Aber würden wir immer, überall und ewig leben, dann gäbe es keine Orientierung, wir wären keine Ichs, denn die entsteht durch Begrenzungen und Unterscheidung – gegenüber anderen und gegenüber Gott.

Adam, wo bist du? Das ist ja nicht nur eine mahnende Frage. Das ist auch eine Anrede. Der Mensch wird Gott zu einem Gegenüber, das angeredet werden kann und angeredet wird.
Erst wenn wir bestimmte Menschen zu bestimmten Zeiten mit bestimmten Namen, Erinnerungen, Erfahrungen, Einstellung sind, dann werden wir ein Gegenüber, ein Gesicht, einen den oder eine, der man verbunden ist, den man rufen kann und ein Ich, das sich angesprochen fühlt.

Interessanterweise gibt ja auch Adam Eva erst nachdem sie von dem Baum gegessen haben, einen Namen. Auch Adam und Eva erkennen sich in ihrem Unterschied erst, nachdem sie ethisch Handelnde geworden sind, erst da können sie sich ansprechen, sich begegnen, sich als Gegenüber wahrnehmen.

Ich verstehe es so: Gott lässt sich auf den Menschen ein, der nach der Erkenntnis strebt. Wir haben das jetzt nicht gehört, aber im Kapitel vorher sagt Gott noch: wenn du vom Baum der Erkenntnis isst, dann musst du des Todes sterben.

Davon ist hier keine Rede mehr. Gott lässt sich in gewisser Weise auch von dem Erkenntnisinteresse des Menschen überzeugen, davon, dass er ein moralisches Subjekt sein möchte. Und dass es gut ist, dass er gut und böse erkennt. „Wie unsereiner geworden.“
Und reagiert darauf, indem er ihn, indem er uns verantwortlich macht.

Ich rufe dich. Mensch, du bist gefragt. Da muss man sich nicht nur ertappt fühlen. Da kann man sich auch ernst genommen fühlen.

Das zweite, was für mich in diese Richtung deutet: Als sich selbst erkennender Mensch, kann man nicht mehr im Paradies bleiben. Weil wir automatisch hineingestellt sind in die Ambivalenzen, in das Für und Wider der Welt. Es gibt in kaum einer Situation einfach nur eine Seite, nur eine Sicht, schon gar nicht, wenn es um ethische Entscheidungen geht. Und deshalb kann es für uns, die wir handelnde Menschen sind, das Paradies, den Ort des Einverständnisses mit allem und allen nicht dauerhaft geben. Daraus wachsen Fragen, Herausforderungen, oft genug Konflikte, daraus wachsen aber auch Verständigung, sich wahrnehmen, begegnen, hören, daraus begegnet Vielfalt und Unterschiedliches. Das Diesseits ist das Gegenteil von Eintönigkeit.

Allerdings gilt auch da: Gott lässt den Menschen im Diesseits nicht bloß. Er kleidet ihn, bevor er in die Welt zieht. Legt ein Fell wie eine Schutzhaut um ihn. Will, dass er lebt.

Und schließlich:
Adam nannte die Frau Eva, denn sie wurde die Mutter alles Lebendigen.
Das finde ich eigentlich den schönsten Satz. Aus Eva geht alles hervor, was lebt. Das Lebendige ist eingebunden in Zeit und Raum, hat Grenzen, hat einen Anfang und ein Ende, Geburt und Tod, aber es bleibt lebendig, in Bewegung, lachend, weinen, wachsend, reifend, blühend und sich wieder zur Erde neigend.

Fruchtbar und sinnlich, leiblich und kräftig, und dann älter werdend, kleiner, stiller, langsamer. Irgendwann verlassen wir unser Ich dann wieder, das Sich-selbst-Erkennen verlassen wir und werden Teil dieser Erde. „Von Erde bist du genommen zur Erde wirst du werden.“

Für mich zeigt die Erzählung in seiner ganzen literarischen Schönheit und inhaltlichen Empfindsamkeit, dass es eben nicht nur schwarz und weiß gibt, nicht nur Gebote halten oder Gebote übertreten, nicht nur eindeutig gut und eindeutig böse, erwählt oder verworfen.
Was Gott hier tut, das zeigt gerade: Wir leben weiter und immer aus der Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen, aus dem, der Leben geschaffen hat und Leben will.
Und wenn wir uns von Gott entfernen, dann sucht er den Weg, uns lebendig und in seiner Nähe zu halten; es bleibt sein Sinn, den er in uns legt, seine Güte, die wir weitergeben; mit Anfang und Ende, mit Schmerzen und Schweiß und Staub, aber auch da unter seiner Obhut, in seiner Fürsorge, als sein Geschöpf.

Keine noch so listige Schlange kann das verhindern.
Wir sind längst nicht mehr im Paradies, aber immer mit Gott unterwegs. Mitten drin im Diesseits, mittendrin im Abenteuer, das wir Leben nennen. Und genau genommen ist Gott ja mit ausgezogen aus dem Paradies, hat sich uns beigesellt, ist Mensch geworden und ist unseren Weg einfach mitgegangen, auch den, auf dem es so schwierig wird und wir leiden.
Zusammen mit Gott auf einer spannenden Reise durch das Leben – so gesehen kann das Paradies auch noch ein Weilchen warten. Wir werden früh genug dahin zurückkommen.
Bis dahin dürfen wir weiter klug werden und leben unter seinem Schutz.

Amen

am 23.02.2020 von Vikar Ingmar Bartsch

Mit einer Schale Wein in der Hand sitzen Johannes und Thomas an diesem Abend zusammen. Wie so oft diskutieren sie über die Ereignisse des Tages. So langsam wird es kühl hier im Hof der kleinen Herberge in der Nähe von Jericho. Wie an jedem Abend hat sich die Menschenmenge aufgelöst, die sie seit Wochen begleitet. Morgen früh werden die Leute garantiert wieder auftauchen, die Zöllner, Sünder, die Pharisäer, die Sympathisanten und Kritiker, die Aussätzigen und die reichen Typen, die freundlichen und die griesgrämigen, die Frauen, Männer und Kinder. Einige von ihnen haben ein Dach über dem Kopf für die Nacht gefunden, andere schlafen draußen. Um die Ecke gab es noch vorhin eine Auseinandersetzung um das letzte freie Zimmer. Jetzt ist alles friedlich. Jesus schläft schon seit einer halben Stunde in einer Ecke des großen Raumes der Herberge. Er ist Frühaufsteher und betet oft vor Sonnenaufgang. Unmöglich für Johannes und Thomas. Sie verarbeiten die Ereignisse eines Tages am Abend und kommen morgens nur schwer in die Gänge.

„Ich bin total gerne mit Jesus unterwegs. Niemand erlebt so viel wie wir. Und doch komme ich mir manchmal so dumm vor.“ Nachdenklich lehnt sich Johannes an die Wand. Sie schweigen lange.

„Ich kapiere es auch nicht.“ Thomas schüttelt den Kopf. „Seit Wochen spricht er davon, dass wir nach Jerusalem gehen und dass da irgendetwas passieren wird. Und heute hatte er wieder solche Anwandlungen.“

„Wenigstens hat er sich nicht wieder über unsere Dummheit aufgeregt.“ gibt Johannes zu bedenken.

„Das stimmt.“ Ein kurzes Schmunzeln huscht über Thomas Gesicht. „Du weißt doch, wie er ist. Manchmal kapiert man einfach nicht, was er sagt. Und manchmal zweifle ich richtiggehend an ihm.“

Mit einem Ruck lehnt sich Johannes nach vorn. „Thomas, er hat gesagt, dass man ihn umbringt. Er wird höllische Schmerzen leiden. Er hat uns dafür extra zur Seite genommen. Das macht mir Angst.“

„Mir auch.“ Thomas überlegt einen Augenblick. „Aber denkst Du, er meint das ernst? Er redet doch ständig in Rätseln. Bestimmt ist das wieder so ein Gleichnis. Eins von denen, die er nicht extra erklärt.“

Johannes seufzt. „Ich hoffe, Du hast Recht. Wir werden wohl nie ganz verstehen, was er meint.“

 

Ich lese den ersten Teil des heutigen Predigttextes aus dem Lukasevangelium, Kapitel 18 ab Vers 31.

31 Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. 32 Denn er wird überantwortet werden den Heiden, und er wird verspottet und misshandelt und angespien werden, 33 und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tage wird er auferstehen. 34 Sie aber verstanden nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie begriffen nicht, was damit gesagt war.

Jesus ist mit vielen Menschen unterwegs. Sie bedrängen ihn. Er soll sie lehren, mit ihnen diskutieren, er soll einzelne wahrnehmen und heilen. Ich vermute, dass Jesu sehr gefordert war. Und doch ruft er mitten im Trubel des Tages seine 12 treuesten Gefährten zu einem kurzen Infoblock zusammen. Jesus erklärt ihnen, dass er misshandelt und getötet wird. Und dass er auferstehen wird. Das sagt er ihnen nicht zum ersten Mal, es ist schon die dritte Leidensankündigung im Lukasevangelium. Und trotzdem bleiben die Jünger ratlos. „Sie aber verstanden nichts davon, und der Sinn der Rede war ihnen verborgen, und sie begriffen nicht, was damit gesagt war.“ so überliefert der Evangelist Lukas die Reaktion der Jünger.

Wir lesen in den Evangelien häufiger, dass die Jünger die Worte und Taten Jesu einfach nicht verstehen konnten. Aber dieser Satz ist besonders, denn es handelt sich hier um drei Arten des Unverständnisses.

1. Sie aber verstanden nichts davon,

2. der Sinn der Rede war ihnen verborgen,

3. sie begriffen nicht, was damit gesagt war.

Bemerkenswert. Diese drei Teile zielen auf verschiedene Aspekte des Verstehens. Der erste Teil des Satzes beschreibt meines Erachtens ein schlichtes Kommunikationsproblem zwischen Jesus und seinen Jüngern. Eine Art alltägliches Missverständnis. Jesus sagt etwas und die Jünger verstehen nicht, was gemeint ist. Man könnte vermuten, dass sie sich in der konkreten Situation nicht getraut haben, nachzufragen. Deshalb heißt es: Sie aber verstanden nichts.

Aber damit nicht genug. Die Worte Jesu waren ihnen – zweitens – wohl auch schlicht und ergreifend zu hoch. Es war eine Botschaft, die ihre kognitiven Fähigkeiten überstieg. Etwas, wovon sie überfordert waren und dessen Sinn sich ihnen deshalb gar nicht erschließen konnte. Der Sinn der Rede war vor ihnen verborgen.

Drittens konnten diese Worte auch nicht in ihren Herzen ankommen. Dort keimte eigentlich die Hoffnung, dass der Messias die Römer aus dem Land vertreiben und eine neue Königsherrschaft installieren würde. Und deshalb war es für die Jünger vollkommen unmöglich, dass Jesus sterben sollte. Von der Vorstellung einer Auferstehung ganz zu schweigen. Sie begriffen einfach nicht, was damit gesagt war.

Man möchte meinen, dass wir heute im Vorteil sind. Wir können in der Bibel nachlesen, was an Ostern passiert ist. Aber mal ehrlich: Auch wir verstehen das nicht bis ins letzte. Selbst nach Jahren des Theologiestudiums muss ich zugeben: ich kann das nicht abschließend und schlüssig erklären, was da an Ostern warum passiert ist. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Worte Jesu einfach missverstehe. Und es übersteigt oft meinen Intellekt und meine Vorstellungskraft. Und auch wenn ich es versuche, mit dem Herz zu begreifen, so bleibt das Passions- und Ostergeschehen doch immer ein Geheimnis des Glaubens.

Und das ist gut so. Denn auf diese Weise können wir uns immer wieder wundern. Wir können stutzig werden. Wir können nachdenken über das Leiden, Sterben und die Auferstehung Jesu. Wir können diese Botschaft neu für uns entdecken, unseren Glauben stärken und Zweifel zulassen. Und das auch, weil diejenigen, die am nächsten dran waren, es ebenfalls nicht bis ins Letzte verstanden haben. Diejenigen, die eigentlich deutlich an der Quelle saßen, die mit Jesus unterwegs waren, die eigentlich die Sehenden sein sollten, die waren oft blind für seine Botschaft.

 

Und das führt zum zweiten Teil des heutigen Predigttextes. Ich lese aus Lukas 18,35 bis 43.

35 Es geschah aber, als er in die Nähe von Jericho kam, da saß ein Blinder am Wege und bettelte. 36 Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. 37 Da verkündeten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorüber. 38 Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! 39 Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! 40 Jesus aber blieb stehen und befahl, ihn zu sich zu führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: 41 Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann. 42 Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. 43 Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott.

Als ich den heutigen Predigttext vor einigen Tagen las, fragte ich mich, wie die Leidensankündigung und die Heilung des Blinden zusammenhängen könnten. Für mich lag das nicht gleich auf der Hand. Aber es gibt ein Motiv, das beide Teile verbindet: Das Sehen. Die Jünger sind – wie eben angedeutet – eigentlich Sehende, die nicht sehen. Sie sind jahrelang mit Jesus unterwegs, aber sie sehen oft nicht, wer er ist und welchen Plan Gott mit ihm hat. Und dann ist da ein Blinder, der durch Jesus sehend wird. Und der durch die Anrede „Sohn Davids“ schon von vornherein erkennt, dass es sich hier um den verheißenen Messias handeln muss.

An dieser Begebenheit bei Jericho finde ich bemerkenswert, dass sich der Blinde nicht mundtot machen lässt. Als er hört, dass da Jesus an ihm vorbeigeht, ruft er laut nach ihm. Er lässt sich auch nicht von denen abbringen, die ihn zum Schweigen bringen wollen. Ganz im Gegenteil. Auf die Verbote hin ruft er noch lauter. Und es verwundert mich, dass genau die Leute, die mit Jesus unterwegs sind, die seine Wunder gesehen und seine Worte gehört haben, einem Blinden verbieten, nach Jesus zu rufen.

Ich finde, dass auch wir uns nicht davon abbringen lassen sollten, nach Jesus zu rufen. Wenn uns etwas bewegt. Wenn uns etwas ängstigt. Wenn wir Zweifel haben. Wenn wir die Welt weder mit dem Kopf noch mit dem Herzen verstehen. Wenn wir uns über unsere Blindheit ärgern. Dann kann es helfen, dass wir uns an Jesus wenden und von ihm lernen. Denn – und das ist auch auffällig an dieser Blindenheilung: Jesus ist genau da, wo Zweifel sind. Ist Ihnen aufgefallen, dass an der Spitze der Menschenmenge offensichtlich nicht Jesus, sondern die Rechthaber laufen?

Die Menge um Jesus geht durch den Ort und der Blinde wird von den Leuten an der Spitze des Zuges zusammengestaucht. Jesus aber ist mittendrin in der Menge. Er ist bei denen, die ihn brauchen. Und er wendet sich dem Blinden direkt zu. Als der Blinde dann vor Jesus steht, gibt es nicht ein schnelles Heilungswunder. Er spricht mit dem Blinden. Das ist hier der dritte überraschende Punkt. Er fragt ihn, was er will. Ist das nicht klar? Ist Jesus auch begriffsstutzig? Denkt er, der Blinde wünscht sich Geld oder ein neues Auto? Was willst Du, dass ich für Dich tun soll? Jesus interessiert sich für den Menschen. Er will, dass er ausdrückt, was ihm fehlt. Es geht um die Beziehung. Und dann wird aus dem Blinden ein Sehender. Lukas überliefert es so: Und Jesus sprach: sei sehend! Dein Glaube hat Dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend.

Das ist eine frohe Botschaft, die durch den Blinden auch für uns klarer wird. Er schreit in seiner Blindheit nach Jesus. Er lässt sich nicht davon abbringen, dass er von Jesus sehend gemacht werden will. Und das gilt auch uns: Jesus kann sehend machen. Er kann uns dabei helfen, immer mehr zu verstehen, was es mit der Passionszeit, in die wir in der anbrechenden Woche starten, auf sich hat. Er kann uns dabei helfen, immer mehr zu verstehen, was sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung bedeuten. Und wir können uns als Gemeinde zusammen auf Entdeckungsreise begeben: In den Gottesdiensten, den Passionsandachten, der Fastengruppe und vielen anderen Gemeindekreisen. Vielleicht sind die kommenden Wochen eine Möglichkeit, Jesus neu zu begegnen und etwas mehr Sehkraft zu gewinnen.

am 16.02.2020 von Pfarrer Rainer Böhm

Die Sendung Ezechiels
Und er sprach zu mir: Du Mensch, stelle dich auf deine Füsse, und ich will zu dir sprechen!  2 Und sobald er zu mir sprach, kam Geist in mich und stellte mich auf meine Füsse, und ich hörte den, der zu mir sprach.
3 Und er sprach zu mir: Mensch, ich sende dich zu den Israeliten, zu Nationen, die sich auflehnen, die sich aufgelehnt haben gegen mich. Sie und ihre Vorfahren haben mit mir gebrochen, so ist es bis auf diesen heutigen Tag.  4 Und zu den Nachkommen mit verhärteten Gesichtern und hartem Herzen, zu ihnen sende ich dich, und du wirst ihnen sagen: So spricht Gott der HERR!  5 Und sie - mögen sie hören oder es lassen, denn sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit! -, sie sollen wissen, dass ein Prophet unter ihnen gewesen ist.
6 Und du, Mensch, fürchte dich nicht vor ihnen und vor ihren Worten. Fürchte dich nicht, auch wenn sie dir widersprechen und Dornen für dich sind und du auf Skorpionen sitzt. Vor ihren Worten fürchte dich nicht, und vor ihren Gesichtern hab keine Angst! Sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit!  7 Und du wirst ihnen meine Worte sagen, mögen sie hören oder es lassen! Sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit!
8 Du aber, Mensch, höre, was ich zu dir rede. Sei nicht widerspenstig wie das Haus der Widerspenstigkeit, öffne deinen Mund, und iss, was ich dir gebe.
9 Und ich sah, und sieh: Zu mir hin war eine Hand ausgestreckt, und sieh, in ihr war eine Schriftrolle.  10 Und er breitete sie vor mir aus, und sie war auf der Vorderseite und auf der Rückseite beschrieben, und auf ihr aufgeschrieben waren Klagen und Seufzer und Wehrufe.
31 Und er sprach zu mir: Du Mensch, iss, was du vorfindest, iss diese Schriftrolle, und geh, sprich zum Haus Israel!  2 Und ich öffnete meinen Mund, und er lies mich jene Rolle essen.
3 Und er sprach zu mir: Mensch, gib deinem Bauch zu essen und fülle dein Inneres mit dieser Schriftrolle, die ich dir gebe! Da aß ich sie, und in meinem Mund wurde sie wie Honig, süß.

Liebe Gemeinde,

Prophet wird man nicht von sich aus. Man wird von Gott auserwählt und berufen. Meist haben die Berufenen einen Einwand: Jeremia wendet ein, er sei doch dafür zu jung; Mose meint, er habe Sprachprobleme. Und Jona läuft schnell in die entgegengesetzte Richtung. Aber das hilft ihm auch nicht. Dem Wort und Auftrag Gottes kanner auch dort nicht entkommen.
Ich kann diese Einwände gut verstehen, denn eine solche Berufung verändert alles, sie stellt das alte Leben auf den Kopf. Nichts ist mehr, wie es vorher war, nachdem Gott in dein Leben eingegriffen hat. Nur Elia und Ezechiel haben keine Einwände gegen ihre Berufung.
Ezechiel war der Sohn eines Priesters  und gehörte zur ersten Gruppe der um 600 v Chr nach Babylon verschleppten Israeliten. Er war Zeitgenosse des Propheten Jeremia. Er erhielt seinen Wohnsitz in Mesopotamien am Fluss Kebar bei Babylon, wo er als Prophet auftrat. Dort begann er im Alter von 30 Jahren sein prophetisches Wirken.

Ezechiel wird in ein schweres Amt berufen. So schön auch die Vorstellung ist, dass Gott mitgeht ins fremde Land, und nicht im Tempel in Jerusalem wohnt, so ernüchternd sind seine Worte. Er kommt nicht als der liebende und tröstende Gott, sondern als derjenige, der ihnen die «Leviten liest». Als Sprachrohr Gottes soll Ezechiel ihnen aufzeigen, wo sie nicht nach Gottes Willen gelebt haben.
Ezechiel bekommt eine Schriftrolle, die beidseitig beschrieben ist. Eine Anklageschrift mit so vielen Punkten, mit so viel «Klage, Ach und Weh», dass kein unbeschriebener Fleck auf der Rolle übrig ist.
Ob Ezechiel den Auftrag lieber abgelehnt hätte, wissen wir nicht. Er wird nämlich einer besonderen Prozedur unterzogen.
«Du Menschenkind, nimm und iss, was du vor dir hast!», wird ihm gesagt, «Du musst diese Schriftrolle in dich hinein essen und deinen Leib damit füllen». Ezechiel isst die Rolle und verinnerlicht dadurch mit jeder Zelle seines Körpers Botschaft und Auftrag. Er kaut die Botschaft durch, bevor er sie verkündet. So kann Ezechiel nun Ankläger im Namen Gottes werden..

Öffne deinen Mund und iss! „Ich weiß, was gut für dich ist.“
Das klingt für mich nach Gewalt, nach Übergriff
Diese Worte lösen in mir bittere Erinnerungen aus.  Ich war ein Kind, das nicht essen wollte. Und ich hatte ziemlich junge Eltern, die damit nicht zurechtgekommen sind. Ich wusste nicht mehr, wie man schluckt. Ich wollte nicht alles schlucken. Schon gar nicht gefüllte Paprika. Bis heute esse ich das nicht. Und so saß ich vor diesem Teller, bis es dunkel wurde. Es war eine kindliche Gewalterfahrung, die in ihrem Zynismus darin gipfelte, dass ich ein paar Jahre später auch noch auf eine dieser sechswöchigen Kinderkuren geschickt worden bin. Es ist wirklich schwierig, ein Kind zu füttern, das nicht essen will. Ein Dilemma, aus dem sich meine Eltern damals nicht anders zu retten wussten.
Heute weiß man, dass es nicht Bosheit der Kinder ist, die es zu überwinden gilt. Das Standardwerk der Kindererziehung war damals „Die Mutter und ihr erstes Kind“, ein Buch voller autoritärer Nazi-Pädagogik. (Dr. Johanna Haarer) Es hieß in der Nazizeit „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ und wurde auch nach 1945, unter leicht verändertem Titel, hunderttausendfach verkauft.  Ein Kassenschlager autoritärer Erziehung.
Heute wissen wir: Schreiende Kinder sind keine Gefahr, renitent, müssen nicht in ihre Schranken verwiesen werden. Schreiende Kinder brauchen etwas. Und es ist noch kein kleines Kind freiwíllig verhungert. Das Buch des  Kinderarztes Dr. Benjamin Spock, USA „Säuglings- und Kinderpflege“ gilt als Meilenstein einer grundlegenden Revision der bis dahin praktizierten Pflege und Erziehung von Säuglingen und Kleinkindern. Spock lehrte, vom Ende des Zweiten Weltkrieges an, dass Eltern ihr Kind im Gegenteil mit Liebe und Wärme aufziehen und sich auf ihre Intuition verlassen sollten.

«Du Menschenkind, nimm und iss, was du vor dir hast!»
Im polytheistischen Babylon bekräftigte Ezechiel  den Monotheismus der JHWH-Religion und übt schärfste Kritik an den Götzen, denen die Israeliten dort verfallen waren. Er prägte die Vorstellung von der Heiligkeit des Gottesnamens und gilt als Vater der priesterlichen Theologie. Die Gebote der Mitmenschlichkeit sind bei Ezechiel: Schonung von Frauen, Elenden und Armen; dem Hungrigen Brot geben; die Nackten bekleiden; Verzicht auf Zins und Zuschlag; Fairness im Handel, d. h. Nutzung fairer und anerkannter Maßeinheit. Handlungen in seiner Vorstellung von Jahwe sind häufig von Gewaltphantasien und -handlungen geprägt.  Aber sonderbarer Weise schmeckt ja die Botschaft nicht bitter, sondern süss wie Honig.
 
Die Israeliten damals haben die Anklage Gottes nicht gern gehört. Auch uns heute, als Kinder der Reformation, ist es viel angenehmer zu hören: «Wir sind von Gott geliebt und angenommen». Kritik hört niemand gerne, schon gar nicht aus Gottes Mund. Dennoch war es für die Israeliten damals wichtig, und ebenso wichtig ist es für uns heute, zu erkennen, dass Gott nicht nur ein liebender, sondern auch ein fordernder Gott ist. Unser Glaube wäre ein billiger und harmloser Glaube, wenn Gott nur der Liebende wäre, der all unsere Wünsche zu erfüllen hätte. Es ist Bestandteil der Liebe, ja Ausdruck der Liebe, Distanz zu nehmen zu Dingen, die man nicht mag und Kritik zu üben. Liebe und Kritik sind wie zwei Seiten einer Münze. Der Wahre Gegensatz zur Liebe ist die Gleichgültigkeit.
Bei Gott werden durch Kritik und Gericht Beziehungen geheilt. Es geht Gott nicht um die Bestrafung für Einzeltaten. Es geht um Veränderung. Indem er den Israeliten die Wahrheit über ihr Leben und auch ihren Glauben aufzeigt, sollen sie verändert werden. Die Gerichtsrede des Ezechiel ist sozusagen ein therapeutischer Prozess. Gott hat sich nicht zu ihnen auf den Weg gemacht, um sie fertig zu machen, sondern um sie zu verändern und um die Beziehung zwischen ihm und seinem Volk zu heilen. «Ich will ihnen ein anderes Herz geben und einen neuen Geist in sie geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus ihrem Leibe und ihnen ein fleischernes Herz geben.» sagt Gott. Weil das Ziel die Heilung der Beziehung ist kann die Gerichtsrolle, die Ezechiel isst,  süß wie Honig schmecken.

Wir sind heute froh, dass es Antibiotika gibt, auch wenn sie nicht süß schmecken. Froh über das eine oder andere Medikament, auch wenn die großen Kapseln gelegentlichen Brechreiz auslösen. Wir hoffen mit den Menschen in China, dass es bald wirksame Therapien gegen das Virus geben wird. Auch wenn die jetzt ergriffenen Maßnahmen die Bewegungsfreiheit der Menschen drastisch einschränkt – das müssen die Betroffenen wohl schlucken, wenn sie überleben wollen. Und wir ja auch.
Als Kinder Gottes in dieser Welt haben wir eine Aufgabe. Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung – dafür haben wir uns  einzusetzen. Gott will durch uns in dieser Welt wirken. Er meint es gut mit der Welt und ihren Menschen, aber er will unsere Mitwirkung.

am 26.1.2020 von Oberkirchenrätin Dr. Melanie Beiner, Darmstadt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

erstmal muss ich Ihnen ein Geständnis machen. Ich bin heute das erste Mal in meinem Leben in Bad Nauheim. Ich war heute morgen allerdings schon früh da und habe ein paar Schritte im schönen Kurpark gemacht, auch wenn es ja heute morgen sehr trüb und nebelig ist. Eine Weile stand ich dann auch vor dem Holocaust-Mahnmal. Im Internet habe ich es schon gesehen, und da hat es mich schon beeindruckt. Und nochmal mehr, als ich eben davorstand und die Namen lesen konnte, die auf der Gedenktafel stehen. Das Denkmal bewegt mich sehr. Die Bank mit dem zurückgelassenen Mantel lässt bei mir den Eindruck entstehen: Hier haben Menschen gelebt, die jetzt fehlen – und es scheint so, als wären sie gerade eben noch hier gewesen. Die Bank mit dem Mantel erinnert, indem das Dasein und Fehlen vergegenwärtigt wird. Einige Namen und Familiengeschichten habe ich auf der Homepage lesen können. Ich bin froh, dass ich das sehen und lesen konnte. Es wird mein Gedenken heute und morgen, am 27. Januar, am Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus begleiten.

Auch das Evangelium heute aus dem Matthäusevangelium kann uns bei der Erinnerung und Vergegenwärtigung helfen; und bei der Frage nach einer grenzüberschreitenden Verbindung zwischen Menschen unterschiedlicher Religion.

Als er nach Kafarnaum kam, trat ein Hauptmann an ihn heran und bat ihn (Mt 8, 5-13):
6 Herr, mein Diener liegt gelähmt zu Hause und hat große Schmerzen.
7 Jesus sagte zu ihm: Ich will kommen und ihn heilen.
8 Und der Hauptmann antwortete: Herr, ich bin es nicht wert, dass du unter mein Dach einkehrst; aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund!
9 Denn auch ich muss Befehlen gehorchen und ich habe selbst Soldaten unter mir; sage ich nun zu einem: Geh!, so geht er, und zu einem andern: Komm!, so kommt er, und zu meinem Diener: Tu das!, so tut er es.
10 Jesus war erstaunt, als er das hörte, und sagte zu denen, die ihm nachfolgten: Amen, ich sage euch: Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemandem gefunden.
11 Ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen;
12 aber die Söhne des Reiches werden hinausgeworfen in die äußerste Finsternis; dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.
13 Und zum Hauptmann sagte Jesus: Geh! Es soll dir geschehen, wie du geglaubt hast. Und in derselben Stunde wurde sein Diener gesund.

Der Hauptmann von Kapernaum – eine Heilungsgeschichte. Allerdings, wie ich finde, eine besondere. Besonders ist zunächst, dass der Hauptmann, der, der um Hilfe bittet, viel von sich erzählt. Das kommt sonst nicht so häufig vor. Die ganze Szenerie gehört heute nicht mehr unmittelbar zu unserem Alltagerleben, damals aber schon. Ein Mann vom römischen Militär kommt zu Jesus. Das ist ungewöhnlich. Eigentlich waren die Römer die Besatzungsmacht. Sie haben zwar wohl die jüdische Bevölkerung und ihre Religion weitgehend in Ruhe gelassen, aber die Machtverhältnisse waren eindeutig und die Bedeutung politischer und militärischer Stärke war groß.

Der Hauptmann hat einen kranken Diener, für den er Jesus um Heilung bittet. Das ist das zweite Ungewöhnliche. Offenbar lassen sich übliche Zuschreibungen, die man von einem militärischen Befehlshaber aus dieser Zeit hatte, hier nicht anwenden. Er wird jedenfalls als ein Mensch gezeigt, der sich für seinen Untergebenen sehr einsetzt. Und dafür eigene Würden vernachlässigt. Jesus will zu ihm kommen, aber der Hauptmann weiß: eigentlich darf ein Jude kein nichtjüdisches Haus betreten. Also verlangt er es auch nicht von Jesus. Er respektiert die religiösen Vorschriften einer anderen Religion. Und dennoch aber bittet er Jesus um Heilung. Dennoch traut er ihm etwas zu.

Zur Erklärung zieht er seine eigene Lebenswelt heran. „Ich habe Macht und wenn ich ein Wort spreche, dann wird danach gehandelt.“ Eine solche Macht, allein durch ein Wort zu wirken, spricht er Jesus zu. Ganz unprätentiös, auch selbstbewusst. Es geht nicht um ein Gefälle. Das finde ich sehr wichtig. Es geht nicht um die bekannte Verteilung von Macht und Ohnmacht: hier der Hilfsbedürftige, da der Heiler. Man könnte auch sagen, der Hauptmann ist der, der hilft, und Jesus ist der, dem er Macht zuspricht und zuerkennt, aber den er dafür in gewisser Weise auch in Dienst nimmt.

Ich stelle mir das vor: Hier der dekorierte, uniformierte und anerkannte Berufssoldat; da der unkonventionelle, unstete Rabbi. Hier der, der in seinem sozialen Umfeld Ansehen genießt, da der, der immer wieder Unruhe reinbringt, weiterzieht, nur ein paar Leute mit sich nimmt und an jedem Ort von vorne anfängt.

Auf mich wirkt dieser Hauptmann souverän. Er macht einfach, was „dran“ ist. Einer im Haus ist krank – er kümmert sich um Hilfe. Der Helfende darf nicht in sein Haus – er bietet von sich aus an: „Sprich nur ein Wort…“.

Wie selbstverständlich geht er auf die Bedürfnisse anderer ein, obwohl sie nicht seine eigenen sind und obwohl es nach seinem sozialen und politischen Stand möglich wäre, sie gar nicht zu beachten.

Ich frage mich: Warum bekommen wir das nicht so hin? Warum tun wir uns so unglaublich schwer damit, wenn Menschen anders leben, anders denken, anders glauben?

Es ist erschreckend, wie sehr die Zugehörigkeit zu einer anderen Religion als das Christentum wieder zu Ausgrenzung und Diffamierung führt. Und das, obwohl wir ja als Gesellschaft immer weniger religiös werden. Seit vielen Jahren stand und steht der Islam im Fokus der Kritik. Jetzt erschrecken wir darüber, wie sehr der Antisemitismus sich wieder verbreitet. Und wie er es tut. Nicht nur allein in rechten Parolen, sondern als kleine Bildchen bei Twitter, im Alltag, einfach so, auf dem Schulhof, im Internet eben, und dann auch mit tödlichem Ausgang vor der Synagoge. Im Durchschnitt sind es fünf Attacken täglich, die als antisemitisch gelten, die in der Statistik des Bundeskriminalamtes vor zwei Jahren erfasst worden sind.

Die Politologin und Autorin Hannah Arendt hat Anfang der sechziger Jahre im Zuge der Berichterstattung über den Eichmann-Prozess von der „Banalität des Bösen“ gesprochen. Damals hat sie viel Kritik dafür bekommen. Bis heute ist umstritten, ob dieser Ausdruck das Böse nicht verharmlost.

Ich finde nachvollziehbar: Das Böse ist nicht banal; aber es kann im Gewand der Banalität, im Gewand der Normalität daherkommen. Vielleicht ist das gerade das Schlimme: es kann gewöhnlich und Gewohnheit werden. Wenn sich nur genug einig sind, dann funktionieren die Mechanismen von Stigmatisierung und Ausgrenzung aufgrund von Religion oder Herkunft. Je öfter es geteilt wird, desto normaler erscheint es. Und es scheint so, als könne es jederzeit wiederkommen.

Vielen erschien es bis vor einiger Zeit undenkbar, dass sich eine solche Ausgrenzung wieder vollzieht. Wir pflegen seit Jahrzehnten eine Gedenkkultur, wir erinnern uns, wir unterrichten, Austauschprogramme sollen das Verständnis untereinander ermöglichen.

Gleichzeitig müssen wir auch immer wieder selbstkritisch darauf schauen, dass auch das Christentum sich abgegrenzt hat und seine eigene Identität versucht hat zu bestimmen, indem es sich vom Judentum distanzierte und es nicht selten diffamierte.

Unsere eigenen Glaubensgrundlagen waren und sind nicht davor gefeit, dass man sie ausgrenzend und menschenfeindlich interpretiert. Auch das Matthäusevangelium war ein Text, der dazu missbraucht wurde, die Abgrenzung Jesu von den Juden zu behaupten.

Ich vermute, nur wenn wir ehrlich eingestehen, dass niemand per se vor Ausgrenzung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gefeit ist, nur dann bleiben wir wach und offen genug, um beidem im richtigen Moment entgegenzutreten.

Was gehört noch dazu?

Der Hauptmann von Kapernaum erkennt seine eigenen Grenzen an. Er ist zwar selber einer der Mächtigen, eigentlich eine Führungskraft; aber was die Heilung seines Knechtes angeht, da spricht er Jesus Macht zu. „Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“

Für mich bedeutet das: Ich muss meine eigenen Grenzen erkennen, und das heißt auch, ich muss möglicherweise auch an meine eigenen Grenzen stoßen. Merken, wo es bei mir nicht weiter geht; merken, wo ich an den Rand komme. Erkennen, dass auch ich meistens nur eine Perspektive auf etwas habe, und ein anderer eine andere. Nur bestimmte Dinge kann und andere nicht. Immer nur Teile sehe, nie das Ganze. Das ist meistens unangenehm. Das ist vielleicht auch kränkend oder schwer zu ertragen; aber nur, wenn ich an meine Grenzen stoße, dann merke ich auch, wie und wo ich anders werden kann und soll. Eigentlich ist jeder Bildungsprozess eine Grenzüberschreitung – ich entwickle mich. Ich lerne etwas, das mir einen neuen Horizont eröffnet; aber ich muss gleichzeitig eingestehen, dass ich es vorher eben nicht gesehen, nicht gewusst, nicht verstanden habe.

Was ich bemerkenswert finde: Auch Jesus lernt in der Erzählung etwas vom Hauptmann von Kapernaum. „Als Jesus das hörte, war er erstaunt.“ Interessant ist, dass es ein paar wenige Erzählungen gibt, in denen Jesus lernt, sein Vorhaben ändert, sich auf etwas anderes einlässt als er vorhatte.  Das Interessante daran ist: es sind vor allem Erzählungen, in denen Andersgläubige ihn um Hilfe bitten.

Das Fremde, der Andere – er kann mich immer infrage stellen; mir zeigen, dass man auch ganz anders leben und ganz anders glauben kann. Möglicherweise ist das der Kern dessen, was Angst macht; denn dadurch wird mein eigenes Leben vielleicht relativiert. Ich merke, ich bin nur ein kleiner Teil einer großen Welt. Wenn mir jemand begegnet, der anders ist als ich, dann ist das immer auch eine Selbstbegegnung, weil sie mich in einem anderen Licht erscheinen lässt, mir widerspiegelt, wie ich in den Augen eines anderen erscheine.

Der Hauptmann scheint davor keine Angst zu haben; obwohl er viel Macht hat und seine Autorität bewahren muss. Er überschreitet seine eigenen Grenzen, indem er Jesus um Hilfe bittet.

„Ich bin nicht wert, dass du in mein Haus kommst, aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Knecht gesund.“ Und dabei geht er nicht nur auf Jesus zu. Dieser Satz ist ja Ausdruck eines großen Vertrauens: „Sprich nur ein Wort….du kannst das“ – die eigenen Grenzen erkennen und dem anderen zutrauen, dass er schafft, was ich nicht kann.

Und Jesus? Sagt: „Dir geschehe, wie du geglaubt hast.“ Und heilt. Jesus heilt und lässt sich von dem Hauptmann verändern. Das scheint mir das Zweite zu sein. Wenn ich anderen begegne, die mir fremd sind, dann kann es sein, dass sie mich verändern, dass mein Leben sich verändert. Dass es nicht bleibt wie es war. Es kann tatsächlich sein, dass ich eine andere werde durch eine Begegnung, durch etwas, das mich bewegt, berührt. Auf einmal wird mir etwas wichtig; auf einmal werde ich verändert und muss mein Leben neu ausrichten.

Einer, der seine Grenze sieht und einer, der sich verändern lässt – das ist der Stoff, aus dem hier der Frieden gemacht wird. Zwei, die sich begegnen, ihre Grenzen erkennen können, und dem anderen vertrauen, dass er heilsam damit umgeht. Der Knecht wurde gesund – daraus also entsteht Leben.
Mir erscheint das verheißungsvoll. Und es passt in eine Zeit, in der wir als Gesellschaft ja global offen werden können und sollen. Das gilt auch für die Religion und unseren christlichen Glauben. Wir können ihn nicht durch Abgrenzung und Abschottung bewahren, sondern indem wir ihn mutig und  vertrauensvoll leben. Wir können nicht verhindern, dass Religion missbraucht wird; aber wir können einen anderen Umgang mit unserem Glauben dagegensetzen, nämlich indem wir ihn durchlässig machen und befragen lassen können von denen, die anders glauben und leben. Wir können ihn bekennen, ohne andere auszugrenzen und uns in dem Vertrauen getragen wissen, wohin auch immer sich unser Leben ausrichtet, Gott lässt Leben daraus entstehen.

So durchlässig für andere zu sein und gleichzeitig so vertrauensvoll an Gott zu glauben – das mag nicht einfach sein. Aber es gibt die, die das schaffen, auch oder obwohl das eigene Leben bedroht ist. Frauen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück haben ein Gebet und eine Friedensbitte aufgeschrieben. Es ist für mich Ausdruck eines unglaublichen Gottvertrauens und eines selbstbewussten und friedlichen Umgangs mit anderen – auch in der größten Not.

Ich spreche das Gebet für uns erinnernd und vergegenwärtigend und als Vorbild im Glauben:

Friede den Menschen, die bösen Willens sind,
und ein Ende aller Rache
und allen Reden über Strafe und Züchtigung.
Die Grausamkeiten spotten allem je Dagewesenen,
sie überschreiten die Grenzen menschlichen Begreifens,
und zahlreich sind die Märtyrer.
Daher, o Gott,
wäge nicht ihre Leiden auf den Schalen
Deiner Gerechtigkeit,
fordre nicht grausame Abrechnung,
sondern schlage sie anders zu Buche:
Laß sie zugute kommen allen Henkern,
Verrätern und Spionen
Und allen schlechten Menschen,
und vergib ihnen
um des Mutes und der Seelenkraft der andern willen.
All das Gute sollte zählen, nicht das Böse.
Und in der Erinnerung unserer Feinde
sollten wir nicht als ihre Opfer weiterleben,
nicht als ihr Alptraum und grässliche Gespenster,
vielmehr ihnen zu Hilfe kommen,
damit sie abstehen mögen von ihrem Wahn.
Nur dies allein wird ihnen abgefordert,
und daß wir, wenn alles vorbei sein wird,
leben dürfen als Menschen unter Menschen,
und daß wieder Friede sein möge auf dieser armen Erde
den Menschen, die guten Willens sind,
und daß dieser Friede auch zu den andern komme.

Amen.

 

zur Verabschiedung von Pfarrerin Barbara Wilhelmi am 29.12.2019

Liebe Gemeinde,

„viele werden verstehen, wenn auf diesen Gottesdienst meine Gedanken schon lange gerichtet waren“ - mit diesen Worten fing mein Vater 1972 seine Predigt an, mit der er sich von seinen letzten Gemeinden verabschiedete. Ich las dort auch den handschriftlichen Zusatz, dass seine fast 42 Amtsjahre in eine wechselvolle, leidevolle Geschichte für Kirche und Welt gefallen waren. Dagegen waren meine fast 40 Jahre seit dem 1. Examen vergleichsweise ruhig – trotz Tschernobyl und Wiedervereinigung. In seiner Predigt damals legte mein Vater seiner letzten Gemeinde ans Herz, dem Wirken des Heiligen Geistes zu vertrauen und ermunterte sie, in sich die Tür aufzumachen und selbst anderen christliche Werte – vor allem den Kindern - vorzuleben – sich von der Geist-Kraft Gottes leiten zu lassen.

An diesem Punkt begegnen sich meine Predigt für diesen Tag mit der meines Vaters, denn von der Geisteskraft Gottes erzählte das Lukasevangelium in der Geschichte von Simeon, der auf etwas wartete und im Alter seinen Lebenshöhepunkt erlebt. Es ist eine Geschichte von einem alten Menschen, aber er hoffte darauf, dass da noch etwas Entscheidendes kommen wird. Simeon erwartete etwas von Gott – und so ist diese Altersgeschichte mitnichten eine Erzählung vom körperlichen Leistungsabfall! Simeon hat zwar körperliche Einbußen zu machen, er sieht nicht mehr gut ABER er definiert sein Leben nicht dadurch. Er muss nicht fit sein, um das Entscheidende noch zu erleben. Er wartet auf den Trost Israels (so übersetzt es Luther), andere schreiben, er wartet auf Zuspruch + Hoffnung. Und bevor er dem Tod begegnen wird, so der göttliche Geist, wird er diesen Trost und Zuspruch erfahren... Seine Gottesvorstellung war nicht geprägt davon, dass Gott etwas von ihm erwartet – etwa die Gebote halten - Nein, er erwartet etwas von Gott... und daraus wird eine lichtvolle Begegnung mit dem kleinen Christuskind, das sein Leben krönt.... und das ewige Leben für ihn schon jetzt angstfrei spürbar macht durch das Kind (den H e i l a n d). Ihn nimmt Simeon in seine Hände und segnet ihn.

Danach geht die Geschichte folgendermaßen weiter: L e s u n g Lk 2,36 – 38:
Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser. Sie war hochbetagt... Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt und war nun eine Witwe von vierundachtzig Jahren; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht. Sie trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und predigte/redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. Als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz Gottes, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth. Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade lag auf ihm.

Diese Geschichte ist in einem Fresko in der Abtei von Pomposa in Italien – zwischen Venedig und Ravenna an der Adria – aufgenommen.

In der Mitte sehen Sie die Hände Simeons, die sich von rechts dem Jesuskind entgegenstrecken, das noch auf dem Arm von Maria sitzt, Maria in einem tiefblauen Gewand. Rechts neben Simeon sehen wir die Prophetin Hanna im grünen Gewand. Das ganze Bild zeigt vier Personen sehr paritätisch angeordnet: Josef hinter Maria – in der Mitte Christus – und rechts Simeon und Hanna. Josef hält 2 Tauben in den Händen, Simeon will das Kind anfassen und Hanna hält die Schriftrolle in ihrer linken Hand, die sie anscheinend liest und vorliest, denn im Hebräischen wird von rechts nach links gelesen und genauso hält sie diese Rolle auch. Auf diesem Bild soll erkannt werden: Diese Hanna hat wirklich gelesen, sie war weise und als Prophetin hat sie geweissagt.

Die Darstellung zeigt keine Rollenstereotypen: Aber diese Deutung des Freskos aus der Kirche von Pomposa ist nicht ungewöhnlich, denn es stammt aus der frühmittelalterlichen Zeit, in der Frauen noch mehr Raum gewährt wurde - in Kirchen und an Höfen. Wir erinnern uns dabei auch an Hildegard von Bingen in unserer Nähe aus der Zeit 1098-1179 und an die frühmittelalterlichen Schriftstellerinnen, die wesentlich zur heutigen deutschen Sprache beigetragen haben. Leider wurde ihr Wirken ab dem 13. Jahrhundert verboten und jäh beendet. Fortan hatten es Frauen innerhalb und außerhalb der Kirche schwerer und es brauchte viele Jahrhunderte, um daran etwas zu ändern. Deshalb hatte ich mich gefreut, als ich nachschaute, welche Texte für den heutigen Tag zur Lesung vorgeschlagen waren, als ich dort Hannah entdeckte, die im Lukasevangelium mit Namen und Herkunft aus dem Stamme Asser, was Glück und Segen bedeuten kann, und vor allem mit ihrem Beruf ganz genau benannt ist.

Bei meiner Ordinationspredigt über 1. Mose 12, 1 – 3 – auch hier in der Dankeskirche vor 30 Jahren – war das nicht so. In jener Passage ist ja nur von Abraham die Rede, der von Gott weggeschickt wurde in ein anderes Land... Von Sarah steht dort nichts, obwohl sie natürlich auch dabei war. Sie sollte sich anscheinend mitgemeint fühlen – wie das vor 30 Jahren noch oft von uns Frauen verlangt wurde. Damals hatte ich deshalb ganz bewusst lange über Sarah gepredigt, mehr als von Abraham. Ich wollte den künftigen Gemeindegliedern zeigen, worauf ich ein Augenmerk legen will: Etwas zur Sprache zu bringen in der Seelsorge und Leben sichtbar zu machen – von Frauen und Männern.

Mittlerweile hat sich einiges geändert: Das Kapitel 8 im Lukasevangelium wurde zwar schon 1984 überschrieben mit: Die Jüngerinnen Jesu – aber diesen Begriff konnte ich 1988 nicht so ohne weiteres in der Gemeinde voraussetzen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde daran weiter gearbeitet und nicht zuletzt versucht seit dem letzten Jahr die neuen Perikopenordnung für die gottesdienstlichen Texte einen neuen Akzent zu setzen, sodass die ganze Breite der biblischen Frauen und Männer aus der Bibel im Gottesdienst vorkommt.

Andere Felder in meinem Berufsleben waren nicht nur positiv – natürlich habe ich auch Enttäuschungen erlebt, Erfahrungen von verschlossenen Türen, Missverständnisse. Ich zähle das jetzt nicht einzeln auf, sondern lasse Sie lieber teilhaben, wie ich oft gerade deshalb auf einen besseren Weg geführt wurde, als ich selbst es vorher beabsichtigt hatte – und ich sage dazu auch, vom Geist Gottes geführt. Wegen der Verhinderung ursprünglicher Pläne, habe ich neue Arbeitsfelder entdeckte. Z.B. gab es da die Veränderung durch die Gesundheitsreform – das Wegfallen von Räumen – es brachte mich zur Konzentration auf die PatientInnen in den Kliniken und meiner expliziten Fragestellung: Was kann ich bewirken, wenn Menschen es erleben, zwischen Leben und Tod zu sein? Was ist Seelsorge? Der Begriff: Seele – der in meiner Ausbildung keine große Rolle spielte - rückte nun mehr und mehr in den Mittelpunkt. Die zentrale Frage meiner Berufstätigkeit war: Wie kann Seelsorge praktiziert werden – wenn ich den Heilungsauftrag Jesu ernst nehme, der ja nicht nur unmittelbar den damaligen Jüngerinnen und Jünger galt – sondern auch für mich. Ich suchte nach Methoden – ich blickte in andere Kulturen auf Traditionen und altes Wissen bei Menschen, die möglicherweise das Bibelwissen für Heilung noch bewahren konnten....

Die mögliche Kraft der Heilung benennt auch Simeon in unserem Text: „Nun haben meine Augen deine Heilungskraft gesehen, Gott, deinen Heiland“ (Luther) anstatt „deinen Retter“ (Sotärion sou). Etwas sehen – erkennen wollen - sagt Simeon und er ist nah an den Patientenerfahrungen: Zunächst können viele der kranken Menschen gar nicht nicht aussprechen, was mit ihnen in oder nach einer traumatischen Erfahrung ist... wer sie jetzt sind... Sie wissen auch nicht, ob da noch Rettung ist, haben kaum Hoffnung. In einer Seelsorge, die sich auf das Gespräch beschränkt, kommt man oft an diesem Punkt nicht weiter – wenn noch keine Worte da sind. In unserer Geschichte wird gezeigt, dass Simon Jesus anfasst und so begreift... Deshalb setzte ich auch unterschiedlichen Methoden in der Seelsorge ein: Malen – Musik – Bibliodrama: Da ging es auch um das Erleben, fühlen, sehen, malen, singen, meditieren – und erst so konnten sich danach die eigenen persönlichen – richtigen Worte formiere, Erkenntnisse reifen.

Viele Menschen haben mich bei dieser Arbeit unterstützt und ihnen möchte ich heute danken – allen, die praktisch mitgeholfen und organisiert haben – mitgedacht haben: Den Ärztinnen und Ärzten, Mitarbeitenden in den Kliniken, den KollegInnen in der Gemeinde und in der Klinikseelsorge im Dekanat von 1988 bis heute... Ich danke aber auch allen hier aus der Kirchengemeinde und meiner Familie, den Freundinnen und Freunden, allen, die mir ein Gegenüber waren, mir Mut gemacht – teilgenommen haben in den Veranstaltungen der Kurseelsorge früher – z.B. im Bibliodrama und ab 1994 der Frauenkreis, der mir so viel bedeutet hat über all die Jahre...

Meine Hoffnung ist, dass ich wie Simeon nach vorne schaue und lebe – die Hände ausstrecke nach dem Trost – dem Heilenden... und dass ich wie Hannah im Tempel Gottes bleibe – was nicht wortwörtlich zu verstehen ist, denn die Schlüssel von den Kirchen und Gemeindeamt muss ich ja leider abgeben! - aber innerlich kann ich doch bleiben - mehr und mehr spirituell wachsen – vielleicht auch hier und da etwas weissagen....
 
Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie auch von Gott in Ihrem Leben etwas erwarten - und die Hände danach ausstrecken – nach dem Heilenden...

Möge die göttliche Geistes Kraft uns führen und das Licht Gottes uns alle erhellen.
AMEN

zur Christvesper am Heiligen Abend 2019 von Vikar Ingmar Bartsch

Liebe Gemeinde,

Gnade sei mit Euch und Frieden von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Wir erleben gerade die längste Friedensperiode unserer Geschichte. Ein Blick über Europa hinaus zeigt aber deutlich: Frieden kann niemand garantieren. Frieden ist fragil und oft genug ist er mit Kompromissen verbunden. Bei Jesaja haben wir heute gelesen, dass Gott Frieden für sein Volk ankündigt. Und wir haben von den Engeln gehört, die den Frieden Gottes auf Erden verkünden.

Die Sehnsucht nach Frieden ist so alt, wie die Menschheit selbst. In zahllosen Liedern wird er besungen. „Lass mich in Frieden!“ sagen manche Menschen, die ihre Ruhe haben wollen. „Der ungerechteste Frieden ist besser, als der gerechteste Krieg,“ sagte einst Cicero und man stutzt bei diesen Worten ein wenig. Humorvoller hat es ein unbekannter Künstler ausgedrückt: „Der einzige Ort, an dem man stets Frieden, Gesundheit, Reichtum und Glück findet, ist das Lexikon.“ Es gibt übrigens den so genannten Weihnachtsfrieden. In dieser Zeit um Weihnachten verschicken Ämter keine Knöllchen oder andere Bescheide, die den Empfänger belasten. Manche von Ihnen kennen den Begriff Weihnachtsfrieden auch aus einem anderen Zusammenhang. Im ersten Weltkrieg schwiegen zu Weihnachten 1914 die Waffen und britische und deutsche Soldaten feierten gemeinsam.

Eine weitere Spielart des Friedens ist der Burgfrieden. Vielleicht haben Sie schon einmal etwas davon gehört. Der Burgfrieden ist eine mittelalterliche Erfindung. Er war notwendig, wenn die Besitzer einer Burg untereinander zerstritten waren. Diese stellten ihre Konflikte zurück, und gingen vereint gegen Feinde vor. Gelöst waren die internen Konflikte davon natürlich nicht. Aber Cicero wäre sicher zufrieden gewesen. Zumal der Burgfriede ja ein echter Friede ist. Und manchmal ist er in den eigenen vier Wänden auch heute noch nützlich. Denn Frieden ist so ein wertvolles und zerbrechliches Gut.

Ob die Hirten bei Bethlehem auch eine Art Burgfrieden hatten? Lukas verrät uns wenig über die Hirten. Ich würde da ehrlich gesagt mehr erfahren wollen: Wie lebten sie? Waren sie Außenseiter oder übten sie einen normalen Beruf aus? War es normal, dass sie mitten in der Nacht draußen waren? Wir können nur vermuten. Lukas belässt es bei dem lapidaren „Und es waren Hirten in der selben Nacht auf dem Felde, die hüteten des Nachts ihre Herde.“ Vor welchen Bedrohungen sie ihre Schafe wohl beschützt haben? Vor wilden Tieren? Vor dreisten Viehdieben? Vielleicht waren die Hirten untereinander fürchterlich zerstritten. Aber um ihre Arbeit tun zu können, haben sie das in den Hintergrund gestellt. Vielleicht fiel es ihnen schwer, einander auszuhalten. Vielleicht gingen sie sich schon lange gegenseitig auf den Keks. So wie manchem die entfernte Tante, die jedes Jahr bei der Familienfeier dabei ist. Für das höhere Ziel, die Herde, haben sie ihre eigene Unzulänglichkeit und ihre gegenseitige Abneigung ignoriert. Sich etwas besser benommen. Etwas geduldiger auf andere reagiert.

Was wir definitiv von Lukas erfahren: Die Hirten hörten als erste die weihnachtliche Friedensbotschaft. An diesem Abend, dem ersten Weihnachtsfest, waren die Hirten draußen. Und plötzlich wurden sie aus ihrem Alltag gerissen. Das kam so unvermittelt und es muss so beeindruckend gewesen sein, dass sie große Angst hatten. Schon dieser eine Engel, der zuerst erschien, muss die Hirten völlig aus der Bahn geworfen haben. Und Engel tauchen immer da auf, wo Gott etwas Wichtiges zu verkünden hat.

Das erste Weihnachten war ein überwältigender Einbruch von Gottes Herrlichkeit in den Alltag der Menschen. Auch wenn es etwas simpel klingt: Ich persönlich kann das nachvollziehen. Es ist fast schon amüsant, aber mit präziser Regelmäßigkeit kommt Weihnachten plötzlich und unerwartet. Man wacht morgens auf und der Heilige Abend ist da. Ich habe Adventskalender. Ich weiß also, dass das Datum über Nacht vom 23. auf den 24. wechselt. Aber es kommt immer unvermittelt. Es gäbe noch genügend zu tun. So vieles ist noch nicht vorbereitet. Dieses wunderbare Fest kommt immer plötzlich und unerwartet mitten in meinen Alltag. Mitten in meine unfertige Weihnachtswelt. Vielleicht geht Ihnen das auch so. Eben noch die letzten Handgriffe an den Weihnachtsvorbereitungen getan und schon sitzen Sie hier in der Christvesper.

Für die Hirten war dieser Einbruch in den Alltag natürlich drastischer: Ihnen wurde eine unglaubliche Botschaft verkündet. Der, auf den alle Welt gewartet hat, der Friedensbringer, der göttliche Hoffnungsträger, er ist da. Geboren in einem Stall in Bethlehem. Gott selbst ist auf die Erde gekommen. Es wird nicht berichtet, dass die Hirten lange diskutiert haben. Sie zögern keinen Augenblick und laufen sofort los. „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem!“ Und dort finden sie das, was die Engel ihnen angekündigt haben. Sie sehen das Kind.

Mit dem Entschluss, nach Bethlehem zu gehen, verlassen die Hirten den Alltag und tauchen ein in das Weihnachtsgeschehen. So ist unser Erleben heute mit den Erfahrungen der Hirten verwoben. Sie gehen los, lassen sich auf diese Botschaft ein, sehen das Wunder der Menschwerdung Gottes. Erleben Gottes ganze Zuwendung. Erfahren einen besonderen Frieden. Die Begegnung mit dem Kind muss so beeindruckend gewesen sein, dass sie jedem davon erzählten. Und egal, ob die Hirten ganz normale Menschen waren – wie Du und ich – oder Säufer und Raufbolde, sie haben erlebt: Gott hat sie nicht vergessen. Auch wenn ihr Alltag manchmal anders ausgesehen hat. Sie haben Frieden gefunden.

Und diesen Frieden konnten sie offensichtlich nicht selbst machen. Sie haben sich sicher angestrengt. Sie haben einander ertragen. Und das hat vermutlich ganz gut funktioniert. Sie konnten den äußeren Frieden wahren. Aber den inneren Frieden, den hat ihnen Jesus gebracht. Hier hat eine Veränderung stattgefunden. Das erfahren wir vor allem dadurch, dass sie nach dieser Begegnung Gott loben und ehren. Und dann kehrten sie in ihren Alltag zurück. Weihnachten ist auch heute noch das Eintauchen in das Besondere. Davon werden wir auch heute noch verändert. Wie die Hirten. Und wir können ebenfalls verändert in den Alltag zurückkehren.

Wie kann das geschehen? Vielleicht können wir auch im Alltag ab und zu weihnachtliche Begegnungen mit der Friedensbotschaft Gottes schaffen. In der Stille. Im Gebet. Im Lesen der Bibel. In der Begegnung mit Menschen. Vielleicht werden wir gnädiger zu anderen, weicher. Denn Gott kam ja als Neugeborenes. Vielleicht werden wir gnädiger zu uns selbst. Wir dürfen Schwächen haben. Wir dürfen Fehler machen. Wir müssen nicht vollkommen sein. Wenn selbst Gott ein Kind wird, dann müssen wir keine Helden sein.

Vielleicht gerät dann einiges durcheinander: Das Misstrauen, in dem man sich eingerichtet hat. Die Urteile und Vorurteile, mit denen man lebt. Die Stumpfheit, die einen vor Verletzungen schützt, aber auch das Glück und die Freude domestiziert. Und die Rücksichtslosigkeit den Ärmeren und der ganzen bedrohten Schöpfung gegenüber. Da gehen einem die Ohren auf und die Augen und das Herz. „Friede auf Erden“, heißt es jetzt. „Und den Menschen ein Wohlgefallen!“

Mag sein, dass das alles ein bisschen dauert und nicht von heute auf morgen geschieht. Die Hirten sind ziemlich schnell angekommen. Die Weisen aus dem Morgenland haben bis zum 6. Januar gebraucht. Und es ist keine Schande, länger unterwegs zu sein. Weihnachten ist ja nur ein Anfang, damit der Friede Gottes, der alle menschliche Vernunft bei Weitem übersteigt, unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus bewahrt.

am 8.12.2019 von Vikar Ingmar Bartsch

Liebe Gemeinde,

ich stecke den Schlüssel ins Zündschloss drehe ihn herum. Kurz hört man den Anlasser und schon springt der Motor an. Manche von Ihnen drücken einfach nur einen Knopf und hauchen dem Wagen damit Leben ein. Das ist der Normalfall, fast eine Art Gesetzmäßigkeit. Natürlich gibt es Tage, an denen das Fahrzeug nicht anspringt. Aber das ist eher selten. Mir ist das in 20 Jahren nur zwei Mal passiert. In der Regel starten wir das Auto und können losfahren.

Es gibt viele Wenn-Dann-Gesetzmäßigkeiten in unserem Leben. Wenn eine bestimmte Melodie in der ARD ertönt, dann beginnt der Tatort. Wenn die Klingel erschallt, dann beginnt die Pause. Wenn ich ein paar Minuten Film bei Youtube anschaue, dann kommt die Werbung. Wenn ich den Wasserhahn aufmache, dann kommt Wasser raus. Zumindest meistens. Und wenn die Glocken läuten, dann beginnt der Gottesdienst.

Im Lukasevangelium gebraucht Jesus eine solche Konstruktion. Er sagt im 21. Kapitel: „Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, dann wisst ihr selber, dass der Sommer schon nahe ist.“ Das kennen wir auch. Wenn bei uns die Bäume anfangen zu blühen, dann wissen wir, es ist nicht mehr lange bis zum Sommer. Das ist so, Jahr für Jahr. Ich mag es sehr, dass Jesus oft bekannte Bilder wählt. Bilder aus dem Alltag, die wir gut nachvollziehen können. Wenn die Bäume blühen, ist der Sommer nicht mehr weit. Was aber will Jesus mit dieser Aussage bezwecken?

Und da wird es spannend. Er bezieht Dieses Wenn-Dann auf das Kommen der Herrschaft Gottes. Und seine Worte klingen endzeitlich. Sie klingen nach Apokalypse und nach dem Ende der Welt, wie wir sie kennen. Ich lese Lukas 21, die Verse 25 bis 33:

25 Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, 26 und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. 27 Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. 28 Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Vom Feigenbaum

29 Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: 30 wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass der Sommer schon nahe ist. 31 So auch ihr: Wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. 32 Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. 33 Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

Es sind dunkle Bilder, die Jesus hier gebraucht. Die Kräfte des Himmels werden ins Wanken geraten. Menschen werden Angst haben und vergehen vor Furcht. Sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres. So wird es – sagt Jesus – sein, wenn Gottes neues Reich anbricht und er wiederkommen wird. So wird es sein, wenn die Welt, die wir kennen, zu Ende sein wird. Und das kann einem schon Angst machen. Wie schrecklich muss es sein, wenn die Welt in sich zusammenbricht.

Ich habe das Gefühl, dass uns solche Beschreibungen gar nicht so unbekannt sind. Denn es muss ja nicht das Ende der Erde sein, das uns aus der Bahn wirft. Es gibt im Leben einschneidende Ereignisse. Ereignisse, nach denen wir das Gefühl haben, dass es nicht weitergeht. In denen wir nicht mehr aus noch ein wissen, der Boden unter unseren Füßen wankt und wir nicht wissen, wo wir Halt und Hilfe finden sollen. Es sind Ereignisse, die unsere Welt eigene zusammenbrechen lassen.

In den letzten Jahren erleben wir verstärkt, dass die Natur aus den Fugen gerät. Weil wir gedacht haben, dass wir sie ohne Rücksicht ausbeuten können. Dass sie sich von allein regeneriert. Wir haben die Schöpfung nur halbherzig bewahrt und nun merken wir, dass die Natur bedroht ist. Und diese Bedrohung wirkt auf viele Menschen ebenfalls wie ein Weltuntergang. Das macht diesen Text übrigens wieder hochaktuell. Jahrelang haben wir gedacht, dass wir alles im Griff haben.

Und heute müssen wir sehen, dass unsere Handlungen gegenüber der Natur Konsequenzen haben. Und natürlich haben Handlungen Konsequenzen. Plötzlich wird also die Gefahr eines Weltuntergangs für viele Menschen wieder real. Es wird denkbar, dass sich das Meer erhebt und die Kräfte der Natur ins Wanken kommen.

Die Bilder aus diesem endzeitlichen Text sind uns also nicht fremd. Wir kennen es, wenn uns bange wird vor der Zukunft. Wir kennen es, wenn wir uns fürchten. Um unsere Gesundheit, um unsere Existenz, um liebe Menschen. Um den Frieden und unsere Gesellschaft. Um unsere Welt. Doch Jesus geht es hier nicht darum, Angst zu machen. Im Gegenteil.

Denn in all dem Chaos, von dem hier die Rede ist, ist Jesus der Bezugspunkt. Denn, so sagt er: „Der Menschensohn wird kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.“ Und: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Wenn alles zusammenbricht, wenn die Welt und der Himmel aus den Fugen geraten, dann kommt der Menschensohn von dort, wo das Chaos am größten ist. Nämlich auf einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und wenn nichts mehr Bestand hat, dann werden seine Worte nicht vergehen. Wir haben in ihm also einen Bezugspunkt. Und deshalb sind wir nicht orientierungslos.

Jesus will mit seinen Worten unseren Fokus neu ausrichten. Sie kennen das Sprichwort vom Kaninchen vor der Schlange. Ängstlich erstarrt das Kaninchen, weil es keinen Fluchtweg mehr findet. Wir nutzen dieses Sprichwort, wenn jemand auf die Probleme fixiert ist und nicht nach einer Lösung sucht. Und das will Jesus verhindern, indem er uns einen Blickwechsel anbietet. Vor dem Chaos, unseren Ängsten, Nöten, Sorgen und Problemen müssen wir nicht kapitulieren. Wir können mit dem Blick auf Jesus hindurchgehen.

Deshalb spricht er zu uns: Wenn all dies geschieht, dann seht auf und erhebt Eure Häupter. Und zwar in die Richtung, aus der Eure Erlösung kommt. Dann seht zu mir, bringt Eure Sorgen und Eure Ängste zu mir und vertraut mir. Vielleicht ist es unerwartet, aber manchmal kommt mitten aus der Unruhe, aus der Katastrophe die Hilfe. Diese Hilfe kann durch Gottvertrauen kommen. Sie kann durch ein Gebet kommen. Oder durch Menschen, die für uns zum Christus werden, die Jesu Liebe und Erlösung in unserem Leben erlebbar machen.

Durch die Nachbarn, die uns in schwerer Krankheit etwas zu Essen kochen und uns unterstützen. Durch Menschen aus der Gemeinde, die uns zusagen, für uns zu beten. Manchmal kommt die Hilfe, indem wir beim Lesen in der Bibel neue Hoffnung schöpfen. So lenkt Jesus unseren Blick weg von den Zeichen des Untergangs hin zu Gott.

Jesus sagt übrigens nicht, dass alles gut wird. Er sagt nicht, dass wir keine Angst mehr haben werden, wenn wir auf ihn sehen. Und er sagt auch nicht, dass es keine Katastrophen geben wird. Oder dass wir nur fest genug glauben müssen, damit uns nichts passiert und alles gelingt.

Aber er sagt, dass wir darauf vertrauen dürfen, dass wir nicht allein sind. Er sagt, dass wir zu ihm sehen dürfen, wenn alles aus den Fugen gerät. Dann seht auf und erhebt Eure Häupter, weil sich Eure Erlösung naht. Dann erinnert Euch daran, dass Himmel und Erde vergehen, meine Worte aber bestehen bleiben. Das heißt: Erlösung wird kommen. Das sagt der Text deutlich. Die Katastrophe ist nicht das Ende. Denn am Ende steht die Befreiung von der Katastrophe.

Wir befinden uns gerade mitten im Advent. Früher war das eine Fastenzeit. Damit hat man das Warten auf Weihnachten deutlich gemacht. Wir warten auch heute auf Weihnachten. Alles läuft auf diese zweieinhalb Tage vom 24. bis 26.12. zu. Und da passt die Aussage des heutigen Textes sehr gut. Denn die gesamte Adventszeit ist auf die Ankunft des Jesuskindes ausgerichtet. Und an den Adventssonntagen werden wir daran erinnert, dass Jesus kommt. Als Kind in der Krippe. Als Erlöser zu jedem von uns.

Was ist nun mit der Wenn-Dann-Gesetzmäßigkeit vom Anfang? Der Blick nach oben verändert – wie eben gesagt – nicht sofort unser Leben. Probleme sind nicht sofort verschwunden. Die Wenn-Dann Gesetzmäßigkeit ist also nicht: Wenn die Welt aus den Fugen gerät, macht Gott sofort alles besser. Der Blick nach oben verändert aber unsere Perspektive. Und das kann uns helfen, wenn wir ratlos sind oder gar nicht mehr weiterwissen. Und diesen Blickwechsel dürfen wir für uns gerne zu einem Wenn-Dann-Gesetz werden lassen. Wenn die Welt aus den Fugen gerät, dann seht nicht auf die Probleme. Seht nach oben, zu Gott, zu Jesus.

Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

zum Ewigkeitssonntag am 24.11.2019 von Pfarrerin Susanne Pieper

Gottes Liebe, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!

Liebe Gemeinde,

es war auf dem Gleis 7 auf dem Hamburger Hauptbahnhof. Vor mir ging eine kleine Gruppe von Reisenden auf zwei Bahnbeamte zu und fragte hektisch: „Wo fährt der Regionalzug nach Kiel ab?“ „Immer den roten Lichtern nach“, antwortete einer der beiden – so, als hätte er diese Antwort schon oft gegeben. Und schon eilte die Gruppe weiter, und ich hinterher; mit der inneren Unruhe, die mich auf Bahnhöfen immer erfasst, und der Frage, ob ich den Zug wohl noch bekomme, ob ich nicht zu spät dran bin. Doch da stand er ja noch, und alles war in Ordnung.

Die Angst, zu spät zu kommen. Vielleicht kennt jeder Mensch sie. Die Angst, zu spät zu kommen, hat auch die ersten Christinnen und Christen beschäftigt. Sie warteten darauf, dass der auferstandene Christus wiederkommt. Sie lebten in dieser Hoffnung, auch wenn sie nicht wussten, wie und wann das geschehen würde.

Folgendes Gleichnis aus dem Matthäusevangelium spiegelt etwas davon wider: „Dann wird das Himmelreich mit der Geschichte über zehn Mädchen verglichen werden. Sie nahmen ihre Fackeln und gingen hinaus, um dem Bräutigam zu begegnen. Fünf von ihnen waren naiv und fünf schlau. Denn die Naiven nahmen ihre Fackeln, aber sie nahmen kein Öl mit sich. Die schlauen jedoch nahmen Öl in den Gefäßen zusammen mit ihren Fackeln mit. Als der Bräutigam auf sich warten ließ, wurden sie alle müde und schliefen ein.

Mitten in der Nacht aber ertönte ein lautes Rufen: ‚Der Bräutigam ist da! Geht hinaus, ihm entgegen.‘ Da wachten die jungen Frauen alle auf und machten ihre Fackeln zurecht. Die Naiven aber sagten zu den Schlauen. ‚Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Fackeln verlöschen.‘ Die Schlauen antworteten jedoch: ‚Dann wird es bestimmt nicht für uns und für euch reichen. Geht lieber zu den Händlern und kauft euch welches.‘ Während sie weggingen, um einzukaufen, kam der Bräutigam. Und die, die fertig vorbereitet waren, gingen mit ihm zur Hochzeitsfeier, und die Tür wurde geschlossen. Später kamen die übrigen jungen Frauen und sagten: ‚Herr, öffne uns!‘ Er aber sagte: ‚Ich kenne euch nicht.‘ So seid wach, denn ihr kennt weder Tag noch Stunde!“

Ich gebe zu, liebe Gemeinde: ich habe mich über eine lange Zeit mit dieser Geschichte von den zehn jungen Frauen schwer getan. Denn ich habe sie moralisch verstanden: du darfst nicht naiv sein; du musst dich immer klug verhalten. Du musst auch im religiösen Sinne alles richtig machen, um bestehen zu können, um zuletzt dazu zu gehören. Doch darum geht es nicht in dieser Geschichte von der Ankunft des Bräutigams. Es geht in der Bibel nicht um Leistungen, die wir Menschen erbringen müssen, um vor Gott bestehen zu können. Und dann war da noch die Frage: Warum geben die Klugen den Naiven nichts ab? Warum teilen sie nicht? Dann hätten doch alle etwas davon. Aber offensichtlich geht es darum nicht.

Ich möchte diese Geschichte darum heute vielmehr auf die Symbole hin befragen, die in ihr verborgen sind. Und was sie uns heute, an diesem besonderen Tag des Gedenkens sagen können.

„Seid wach, denn ihr kennt weder Tag noch Stunde“ - diese Worte Jesu sind und bleiben im Ohr. Es geht um das wachsame Warten, und das tun ja anfangs alle zehn jungen Frauen in dieser Geschichte.

Warten – vielleicht erinnern auch Sie sich konkret an Zeiten oder an Momente, in denen Sie warten mussten. Auf einen Termin, auf einen Anruf, auf „bessere Zeiten“, auf Genesung und Besserung – oder schließlich auch darauf, dass ein Mensch nach langer Krankheit, in der es keine Aussicht mehr gab, doch auch gehen konnte, loslassen konnte, sterben konnte. Die Zeit des Wartens ist eine anstrengende Zeit. Weil sich in ihr alle unsere Kräfte konzentrieren, unsere Sehnsüchte, unsere Ängste und unsere Aufmerksamkeit. Und wie oft ist diese Zeit eine Zeit des stillen Gebetes und des Flehens zu Gott!

„Gebt uns von eurem Öl!“ sagt die eine Gruppe der jungen Frauen zu der anderen Gruppe. Doch die antwortet: „Dann wird es bestimmt nicht für uns und euch reichen. Geht lieber zu den Händlern und kauft euch euer eigenes.“ Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg gehen. Jede und jeder muss auch sein oder ihr eigenes Leben leben. Und weiterleben. Wir können uns da nichts von jemand Anderem leihen. Es ist der ureigenste Weg; der ganz eigene, der meine Antworten auf die neue Situation erfordert. Wenn ich in Trauer bin oder wenn ich es gewesen bin, so weiß ich, dass niemand mir diese Trauer abnehmen kann. Ich muss selbst meine eigenen Schritte hindurchgehen. Diese Suche nach neuen Wegen kann anstrengend sein, und das Warten auf andere Zeiten kann sehr schmerzen. Aber vielleicht bitten mich später andere Menschen selbst um Öl für ihre Lampen. Vielleicht fragen sie: „Wie hast du das geschafft? Wie bist du da hindurch gekommen? Sagst du mir, wie das geht?“

Die Logotherapeutin Elisabeth Lukas hat einen wichtigen Satz gesagt. Der heißt: „In der Trauer lebt die Liebe weiter.“ Ja, wir tragen die Liebe für den geliebten Menschen weiter in uns. Sie bleibt uns. Die Liebe begleitet uns. Und durch die Erinnerung wird sie noch teurer, noch kostbarer und noch wertvoller. Und es ist schön, wenn wir stolz und dankbar dafür werden, dass wir sie im Leben erleben und erfahren durften!

In der Geschichte von den jungen Frauen geht es um das Öl. Öl ist das Symbol für eine Energiequelle. „Habe ich genug Öl in meiner Lampe, in meinem Gefäß?“ Ich verstehe das so: achte ich in dieser Zeit auch auf mich selbst? Dass ich noch Ressourcen habe? Gehe ich gut mit mir selbst um? Tue ich mir selbst Gutes, gerade auch in der anstrengenden Trauerzeit? Gehe ich spazieren, gönne ich mir eine wohltuende Massage, suche ich den Kontakt zu Menschen, die mir gut tun? Im Hier und Jetzt meines Lebens?

Klug ist es, sagt unsere Geschichte, auch gelassen zu sein und getrost schlafen zu können, Gott alles in die Hände zu legen. Schlafen und ausruhen und nichts tun. Auch das darf dazugehören. Auch die zehn jungen Frauen haben sich ihre Schlafzeit genommen. Die Trauerzeit ist eine kräftezehrende Zeit. Da brauchen wir besonders viele Ruhezeiten, unser Körper und unsere Seele braucht sie, damit wir zu neuen Energien finden.

Das Öl in der Geschichte steht für eine Energiequelle. Eine Kollegin schrieb: „Es steht für Glaube, Liebe und Hoffnung.“ Ich finde, das ist ein schöner Gedanke! Wir brauchen genug „Öl“, um durch den dunklen Weg der Trauer hindurch zu kommen. Mein „Öl“, meine Kraftquelle, das kann der Glaube sein, das Vertrauen, dass ich trotzdem getragen bin. Dass da jemand ist, der mich bei der Hand hält und der auch dann einen Weg für mich weiß, wenn ich ihn noch nicht sehen kann.

Mein „Öl“, meine Energiequelle, das kann die Liebe sein, die Erinnerung an all die Liebeszeichen, die ich von dem Menschen bekommen habe, der von mir gegangen ist. Sie werden immer bei mir bleiben, und sie werden sich in Dank verwandeln. Und mein „Öl“, das kann meine Liebe sein, mit der ich den geliebten Menschen den guten Händen Gottes und seiner umfassenden Güte anvertraut habe. Jesus sagt: „Bleibt in meiner Liebe!“ und „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid - ich will euch erquicken, ich will euch aufatmen lassen.“ Zu ihm sind wir eingeladen. Mit seiner Auferstehung hat er uns die großartige, die umstürzende Hoffnung auf ein neues Leben bei Gott gebracht.

Ja, das Gleichnis von den zehn jungen Frauen schenkt eine große Aussicht. Es sagt: Dein „Öl“, deine Energiequelle, kann die Hoffnung sein. Es ist klug, damit zu rechnen, dass der Bräutigam wirklich kommt; dass es ein Fest geben wird und dass wir wirklich dazu eingeladen sind. Es ist klug, damit zu rechnen, dass Gottes Versprechen wahr werden: dass er die Tränen abwischen wird von unseren Augen und der Tod einmal nicht mehr sein wird. Es ist klug, weiter zu blicken als unsere Augen eigentlich sehen können. Gott wird verbinden, was hier getrennt ist. Da werden das Warten und die Sehnsucht zu Ende sein. Da wird Wärme und Liebe sein. Freude und Wiedersehensfreude. So wie es Ernesto Cardenal, der Priester aus Nicaragua gedichtet hat:

Wir sind noch nicht im Festsaal angelangt,

aber wir sind eingeladen.

Wir sehen schon die Lichter

Und hören schon die Musik.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

am 1.9.2019 von Pfarrer Rainer Böhm

Hiob 23, 1-17
Hiob antwortete und sprach:
2 Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss. 3 Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seiner Stätte kommen könnte! 4 So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen 5 und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde. 6 Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde achthaben auf mich. 7 Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich entrinnen meinem Richter!
8 Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht. 9 Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht. 10 Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold. 11 Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab 12 und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir.
13 Doch er hat's beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht's, wie er will. 14 Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn. 15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm. 16 Gott ist's, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat; 17 denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt.


„Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder lieber weniger lieben und weniger leiden? Das glaube ich ist am Ende die einzig wahre Frage.“
Mit dieser Frage beginnt der neue Roman des britischen Schriftsteller Julian Barnes, „Die einzige Geschichte“.

„Würdest du lieber mehr glauben und dafür mehr leiden oder lieber weniger glauben und weniger leiden?“ – Was Hiob da wohl antworten würde, wenn einer seiner Freunde ihm eine solche Frage stellen würde … Gerade sitzen sie zusammen. Aber sie reden nicht einfach über Gott und die Welt. Sie führen kein zwangloses und vielleicht gerade deshalb tiefsinniges Kneipengespräch.

Hiobs Freunde haben beste Absichten. Sie möchten helfen, trösten, selbst verstehen, den Sinn suchen. Nach Erklärungen, nach dem Sinn seines Leidens, nach Antworten sucht ja auch Hiob. Die große Frage nach dem Warum steht im Raum. Hiob geht sie gewissermaßen in einer absoluten Haltung an: Er versteht nicht nur die Welt nicht mehr, sondern auch Gott. Immer hat er ihm vertraut, immer hat er seine Weisungen beachtet. Er war „fromm, rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse“, so heißt es über ihn in der Bibel.

Man braucht nicht nach dem Sinn zu fragen, wenn es einem gut geht. Nach Katastrophen sind die Kirchen voll: Hiob ging es lange Zeit richtig gut. Er war reich, erfreute sich bester Gesundheit. Bei allen, die ihn kannten, war er beliebt. ER hatte was aus seinem Leben gemacht. Neben dem beruflichen Erfolg fand er Rückhalt und Ausgleich in seiner großen Familie. Und überheblich oder eingebildet war er auch nicht, sondern sozial und solidarisch und dankte Gott für sein Glück.
Aber dann trifft ihn ein Schicksalsschlag nach dem anderen. Er verliert fast seinen ganzen Besitz. Seine Kindersterben. Er wird krank. Manche seiner Freunde wenden sich von ihm ab. Aber diese drei halten weiter zu ihm.

Sie versuchen, das Leiden irgendwie zu erklären und einzuordnen – so wie wir es vielleicht auch tun würden. Was wir einordnen können, damit können wir besser umgehen, es leichter akzeptieren. Verantwortung und Schuld spielen eine Rolle in jedem Leben, auch in unserem.

Menschen lieben zu viel oder zu wenig. Machen sich schuldig auch gerade an denen, die ihnen besonders nahe sind. Es ist schwer, alles richtig zu machen und allen gerecht zu werden. Schuld gehört zu unserem Leben.

Aber lässt sich mit Schuld alles erklären?  Kommt das Leiden aus unserer Schuld? Es fällt schwer, im Leiden überhaupt einen Sinn zu sehen. Höchstens wenn es überstanden ist und man es im Nachhinein als eine Prüfung verstehen kann. Es sich von anderen mitten im Leid sagen zu lassen, das erscheint gnadenlos. „Alles wird gut hört sich dann ebenso erlogen an wie „Du bist selber schuld“ die höchste Form von Teilnahmslosigkeit darstellt.

Wer am Bett eines Kranken selbst ohnmächtig dem Leiden begegnet, im Wohnzimmer einer Familie, die jemanden verloren hat, der weiß, dass es keine einfachen Antworten gibt. Dass Erklärungen überhaupt nicht helfen, sondern alles noch schlimmer machen können. Der kennt diese Gemengelage an Gefühlen aus Hilflosigkeit, Zweifeln und Wut.

So geht es auch Hiob. Er hat so viele Fragen im Kopf. Diese eine Frage: nach dem Warum? Lässt ihn nicht mehr los. Warum trifft mich dieses Unglück, warum jetzt, warum keinen anderen? Hiob war ein leidenschaftlicher Anhänger Gottes. Jetzt wird er zum leidenschaftlichen Zweifler.

Hiob wird kein Atheist oder Agnostiker. Er tritt gewissermaßen nicht aus der Kirche aus. Aber er kann nicht mehr an Gottes Güte und Freundlichkeit glauben. Er erlebt keine Freundlichkeit mehr. Wir erleben das Unglück immer als Einzelne in unserem Leben. Plötzlich ragt es hinein, auch wenn es ein allgemeines Unglück ist oder war: Da sterben die nächsten Angehörigen, da verliert man seine Heimat, da wird man selbst in den Strudel gezogen: So wie Millionen Menschen in Mittel und Osteuropa, zwischen Stalin und Hitler im vergangenen Jahrhundert, in KZs, in Hungerkatastrophen, auf Schlachtfeldern und Todesmärschen, in Lagern … in endloser, den Menschen angetaner Gewalt. Die Brutalität des Krieges, von Menschen gemacht, erweist sich im Leben der Einzelnen. Und da ist weit und breit kein Gott. Oder?

Im frühen 18. Jhd gab es ein verheerendes Erdbeben in Lissabon. Bis die Nachricht damals Mitteleuropa erreichte – dauerte es Tage oder gar Wochen, die Menschen waren entsetzt – so wie wir vor einigen Jahren nach dem verheerenden Tsunami vor Indonesien und Thailand zu Weihnachten.  Es war auch eine große Verunsicherung des europäischen Gottesbildes. Ist denn Gott nicht allmächtig?  Oder ist er etwa zynisch? Wie kommt das Böse in die Welt?

Der Philosoph Leibniz hat sich mit allen möglichen verschiedenen Übeln auseinandergesetzt. Geduldig sucht er Antworten auf die Existenz des Übels. In unerschütterlichem vertrauen auf die Liebe Gottes kommt er immer wieder zu dem logischen Schluss, dass Gott die beste aller möglichen Welten geschaffen hat. Und selbst aus dem Bösesten wird Gott Gutes entstehen lassen.

Eine andere Lösung, die mir sehr einleuchtet, das ist der Glaube an den mitleidenden Gott.  Das ist der Gott, der uns in Jesus Christus begegnet. Gott hat sich gar nicht abgewendet: er begleitet uns durch das Dunkel hindurch, er ist bei uns in unserer Not und weicht uns nicht von der Seite. Das sagt uns das Kreuz Christi.

„Würdest du lieber mehr glauben und dafür mehr leiden oder lieber weniger glauben und weniger leiden?“ – Hiob zieht Gott zur Rechenschaft, klagt ihn an, schreit ihn an, ringt und schimpft mit ihm. ER brüllt und lässt seinen Gefühlen freien Lauf. Der Gott soll es ruhig wissen, was er da anstellt. Hiob rennt nicht weg und schmeißt nicht hin. ER kommt von Gott nicht los, von der Frage nach Gott auch nicht.

Sein Unglück findet Worte und wird zur Klage. Vielleicht liegt darin ein erster Schritt zur Besserung. Denn es ist gut, wenn wir Worte für unsere Klage finden, wenn wir den Schmerz fühlen und zulassen und ausdrücken können.

Erst ganz am Ende antwortet Gott diesem zornigen und aufgewühlten und verzweifelten Beter. Nicht so, wie Hiob es gerne hätte. Das Leid kann nicht weggewischt werden; das Warum bleibt im Raum. Aber Gott wendet sich nicht ab. ER bleibt auch nicht stumm. ER hört Hiobs Klagen und Hiob kann ihn wieder hören. Über Ihn schreibt die Bibel am Ende seines Buches: „Und Hiob starb alt und lebenssatt.“
Amen

am 11.8.2019 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen

Liebe Gemeinde,

ich möchte Sie heute morgen dazu einladen, mit mir ein wenig zu träumen. Zu träumen von einer Welt, in der jeder Mensch genug von allem hat. Zu träumen von einer Welt, in der es keinen Krieg gibt und keine Gewalt. Und in der Menschen, die aus ganz verschiedenen Nationen kommen, sich friedlich und auf Augenhöhe begegnen. Solche Träume von einer anderen, einer besseren Welt haben ihre Wurzeln in alten Verheißungen. Verheißungen, die manche Menschen schon lange vor uns in sich getragen haben. Eine von ihnen ist die Friedensverheißung des Jesaja. Ich lese sie aus dem 2. Kapitel seines Buches; es ist der Predigttext dieses Tages.

„In einer Vision empfing Jesaja, der Sohn des Amoz, diese Botschaft für Juda und Jerusalem: Am Ende der Zeit wird der Berg, auf dem der Tempel Gottes steht, alle anderen Berge und Hügel weit überragen. Menschen aus allen Nationen strömen dann herbei. Viele Völker ziehen los und rufen einander zu: ‚Kommt, lasst uns auf den Berg des Herrn steigen, zum Tempel des Gottes Israels! Dort wird er uns seinen Weg zeigen, und wir werden lernen, so zu leben, wie er es will.‘ Denn vom Berg Zion aus wird Gott seine Weisungen ausgeben, und sein Wort von Jerusalem aus verkünden.

Und Gott selbst wird den Streit zwischen den Völkern schlichten und das Recht zwischen den Nationen sprechen. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Kein Volk wird mehr das andere angreifen; und sie werden nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Kommt nun, ihr Nachkommen von Jakob, lasst uns schon jetzt im Lichte Gottes leben!“

Jesaja, der Profet, zeichnet hier ein großartiges Bild der Hoffnung, die sog. Zionswallfahrt der Völker: viele Nationen kommen aus freien Stücken nach Jerusalem, um gute Weisung für ihr Zusammenleben zu erhalten. Sie kommen zu Gott, weil sie von ihm ein gerechtes Urteil erwarten. Und mit seinem Urteil fühlen sich die Streitparteien offenbar so tief verstanden, dass nicht einer als Sieger und der andere als Verlierer da steht, sondern dass sie echten Frieden schließen! So wird Gott zum Vermittler zwischen Völkern. Alle kommen zu ihrem Recht, sie müssen nicht mehr gegeneinander kämpfen. Friede wird möglich, ja sie verlernen sogar das Kriegshandwerk. Tötungsinstrumente werden zu landwirtschaftlichen Geräten umgebaut. Statt Aufrüstung also Abrüstung. Statt Zerstören der Erde Bebauen der Erde. Angriffsszenarien und Verteidigungspläne sind nicht mehr nötig. Der Friede ist für immer da.

Welch ein Gegenbild zu unserer Welt! Täglich erreichen uns Nachrichten von Kriegen und Konflikten. Zwar wurden in den 90er Jahren internationale Abkommen zur Rüstungskontrolle geschlossen. Trotzdem aber tobt zur Zeit in Syrien einer der schrecklichsten Kriege. Im Stellvertreterkrieg im Jemen, in Afghanistan oder im Sudan leiden unzählige Menschen unter Krieg, Gewalt, Hunger und Seuchen. Ich denke aber auch an die eskalierte Situation am Golf, an den Handels- und Währungskrieg zwischen den USA und China, an die drohende atomare Aufrüstung, nachdem der INF-Vertrag 2018 von den USA aufgekündigt wurde.

Angesichts all dessen klingt die Vision eines Friedensreiches, so wie der Profet Jesaja sie schaut, doch sehr weltfern. Sehr utopisch. Ist es die Beschreibung eines St. Nimmerleintages? Oder ist es die Vision vom Ende aller Tage?

Sicher ist: es ist keine Beschreibung der Welt, so wie sie jetzt ist. Vielmehr betrachtet der Profet seine Wirklichkeit von der Zukunft her – von jener Zukunft Gottes, die ihm schon jetzt vor Augen steht.

Jesajas Zeit damals war ganz sicher genauso wenig friedlich wie unsere heutige Zeit. Das kleine Land Juda war umgeben von konkurrierenden Mächten. Der judäische König hatte sich schon der Großmacht Assyrien unterworfen, versuchte aber trotzdem noch zusammen mit anderen Kleinstaaten den Aufstand. So wurden Juda und Jerusalem durch das assyrische Heer bedrängt. Und schließlich auch besiegt und mit hohen Tributzahlungen belegt. Doch schon bevor es soweit gekommen war, mitten hinein in diese unruhige Zeit, rief Jesaja dazu auf, nach Gottes Weisung zu fragen und sich nicht allein auf zerbrechliche politische Bündnisse zu verlassen.

Er zeichnet ein Gegenbild zur üblichen Machtpolitik. Entwirft das Bild eines Friedensreiches, wie Gott es verheißt. Es ist ein fulminantes Friedenswort, das mitten hineinspricht in eine zutiefst unfriedliche Welt:

„Und Gott wird Recht sprechen zwischen den Nationen. Dann wird kein Volk mehr das andere angreifen, und niemand wird mehr lernen, Krieg zu führen.“ Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Und doch: wie verlockend ist dieser Gedanke! Wenn ich mit Menschen spreche, die fast 90 Jahre alt sind, dann höre ich diesen großen Wunsch. Dann erzählen sie von Krieg und Vertreibung. Und ich spüre fast am eigenen Leib, wie nahe für sie dieses Thema noch immer ist. „Wir wissen, wie das war“, sagen sie. „Wir haben das alles gesehen. Kriege bringen Kinder um ihre Kindheit. Kriege zerstören die Liebe. Sie zerstören Familien. Kriege bringen nur Leid. Ich will, dass Menschen das nie wieder erleben müssen.“ Gerade aus den Erfahrungen des letzten Krieges erwächst die unendlich große Sehnsucht danach, den Frieden zu halten und ihn zu bewahren.

Jesaja schaut aus der Zukunft Gottes auf seine Gegenwart. Damit tröstet er sein Volk. Sagt damit: „Es werden andere Zeiten kommen. Gott wird größer sein. Auch Assyrien wird gerichtet werden und seine Macht abgeben müssen.“ So hilft er seinem Volk, nicht zu verzweifeln. Militärische Macht wird ihre Kraft verlieren. Schwerter zu Pflugscharen.

Schwerter zu Pflugscharen!? Das war doch das Motto der kirchlichen Friedensbewegung vor über 30 Jahren. Gruppen in Ost- und Westdeutschland haben damals gegen die atomare Aufrüstung demonstriert. Auch ich war damals dabei, als blutjunge Studentin gegen die Mittelstreckenraketen in Mutlangen. Viele Jugendliche trugen Aufnäher mit diesem Satz auf ihren Parkas, obwohl sie das in der DDR ihre berufliche Zukunft kosten konnte. Sie wollten sich von der Staatsmacht einfach nicht mehr einschüchtern lassen. Viele Einzelaktionen trugen damals dazu bei, dass Menschen ihre Angst verloren und massive Veränderungen forderten. Wir hier im Westen haben das damals z.T. atemlos beobachtet. Friedrich Schorlemmer feierte 1983 mit 600 Menschen eine „Schmiedeliturgie“ im Innenhof des Lutherhauses in Wittenberg. So wurde das Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ zum Aufruf der friedlichen Revolution in der DDR.

Was war da passiert? Eine biblische Vision pflanzte sich ein in die Köpfe und Herzen der Menschen. Sie machte sie mutig und half ihnen, auch bei den Montagsdemonstrationen und -gebeten friedlich zu bleiben, nicht zu provozieren, und so dazu beizutragen, dass die Mauer fiel. „Mit allem haben wir gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebeten“, sagten die Machthaber später.

Schwerter zu Pflugscharen. Ein Bild kann Macht entfalten. Das lernen wir aus der jüngeren Geschichte Deutschlands. Ein Bild kann Hoffnung geben. Es bestärkt uns, nicht immer nur den Bedenken Raum zu geben, sondern auch der Hoffnung. Es könnte doch vielleicht möglich sein. Es könnte doch sein, dass Friedenskräfte wieder stärker werden. Hoffen ist Einüben in etwas, was noch nicht da ist. Das ist Jesajas Botschaft auch für uns: „Hofft auf Frieden und gebt nicht auf!“

Er schaut aus der Zukunft Gottes auf seine Gegenwart, und dabei geht es um einen Perspektivwechsel: wenn alle Beteiligten einfach so weitermachen wie bisher, dann wird sich die Spirale von Gewalt, Unterwerfung und Gegengewalt immer weiter drehen, bis in Ewigkeit. Aus Gottes Zukunft her betrachtet, zeigt sich aber: Frieden ist möglich! Nur Gottes Geist bringt Menschen auf diese Idee.

Für mich, liebe Gemeinde, ist das ein atemberaubender Gedanke. Ich möchte ihn glauben, allen meinen Zweifeln zum Trotz. Und manchen Ohnmachtsgefühlen zum Trotz, die mich manchmal beschleichen wollen. Und ich merke, wie sehr ich diese Vision vom Frieden brauche.

„Die Herren dieser Welt gehen. Aber unser Herr kommt!“ Dieser Satz von Gustav Heinemann gilt auch heute noch. Gott behält das letzte Wort. Ich will mit Jesaja an diesen Gott glauben, der den Frieden liebt und nicht den Krieg. Wo Kinder nicht mehr lernen müssen, andere zu hassen. Wo sie Kinder sein dürfen, spielen und lernen dürfen. Wo Erwachsene pfleglich mit der Erde umgehen, anstatt sie zu zerstören. Und ich bin froh, dass er ein Gott ist, der zwischen den Völkern schlichtet, das Recht zwischen den Nationen spricht. Weil dies bedeutet, dass Gott alle Nationen dieser Erde im Blick hat. Nicht nur die wenigen Großen, Reichen, Machtbesessenen, die meinen, an der ersten Stelle zu stehen. Er will auch für die Kleinen Gerechtigkeit. Alle kommen zu Wort. Es geht ihm also um den Ausgleich der verschiedenen Interessen, d.h. auch um das Wahrnehmen der Schwachen. Das ist auch für uns jetzt schon ein wichtiger Kompass, um die Konflikte in unserer Welt zu beurteilen.

An diesen Gott will ich glauben. Mit diesem Gott will ich durch meine Lebenszeit gehen.

Hochinteressant ist, wie die Friedensvision des Jesaja aufhört: „Kommt nun“, sagt er, „lasst uns schon jetzt im Lichte Gottes leben!“ Schon jetzt also ist es dran, nach Gottes Weisungen zu leben. Auch wenn sich die umfassende Friedensperspektive erst am Ende der Zeit durchsetzen wird. Schon jetzt im Lichte Gottes leben: Schritte zur Abrüstung suchen anstatt zur Aufrüstung, gerade auch der atomaren Aufrüstung. Streit schlichten, Brücken bauen, immer wieder das Gespräch zwischen den Nationen suchen. Nur so gehen wir in den Spuren Jesu, unseres Meisters. Auch die anderen, die auf der gegnerischen Seite, sind Mitmenschen, sind Gottes Geschöpfe; auch sie lieben ihre Kinder. Gottes Liebe kann die Spirale von Gewalt und Gegengewalt durchbrechen.

„Kommt, lasst uns schon jetzt im Lichte Gottes leben.“ Gottes Licht scheint schon jetzt in unsere Gegenwart hinein. Das dürfen wir hoffen. Und damit können wir leben.

Und Gottes Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

am 21.7.2019 von Pfarrer Rainer Böhm

Mt 9, 35 – 10,10

35 Und Jesus zog umher in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen.

36 Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren geängstet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.

37 Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.

1 Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.

2 Die Namen aber der zwölf Apostel sind diese: zuerst Simon, genannt Petrus, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder; 3 Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus; 4 Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verriet.

5 Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht nicht in eine Stadt der Samariter,

6 sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.

7 Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. 8 Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus. Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es auch. 9 Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, 10 auch keine Tasche für den Weg, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert.

 

Liebe Gemeinde,

schon vor den Ferien haben wir Urlaub auf Kreta gemacht, wandern und schwimmen. Eigentlich braucht man dafür nicht viel Gepäck. Bade- und Wanderzeug. Sie glauben nicht, was ich alles zu viel dabei hatte! Schuhe, viel zu viele Hemden, Hosen, Wanderstöcke. Die Hälfte hätte genügt. Nun gut, es war ja auch kein Pilgerweg. Dort ist wenig Gepäck angezeigt, das habe ich neulich in einem Gespräch gelernt. Da kommt es auf jedes Kilo an.

Der ‚Geist der ersten Zeugen‘.

Aber hätte Jesus nicht fähigere Leute für seine Sache finden können als diese zwölf? Simon Petrus, impulsiv, vorlaut, schwankend in seinem Mut. Er hätte es wohl kaum bei uns ins Vikariat geschafft. Jakobus und Johannes, die „Donnersöhne“, sind ehrgeizig, mit der Neigung zum Jähzorn. Matthäus, der Zöllner mit dem schlechten Leumund. Thomas, der notorische Skeptiker. Simon Kananäus, der Zelot, ein Aktivist gegen die Römer. Und schließlich ja auch noch Judas Iskariot, der Kassenwart, der für eine Handvoll Silbergroschen zum Verräter wird. Was für eine Gurkentruppe. Wo war da der Personalberater? Hätte Jesus nicht geeignetere Leute finden können?

Vielleicht. Aber er hat sich genau diese zwölf ausgesucht. Oder genommen, die da waren und bereit. Wie seltsam, und  – wie tröstlich! Wenn Jesus solche Leute brauchen konnte, dann kann er wohl auch uns brauchen, dich und mich. Für Jesus ist niemand zu schwach und zu unvollkommen, als dass er nicht gebraucht würde für das Reich Gottes  – von der Mitarbeit im Kirchenvorstand über das Tellerspülen nach dem Osterfrühstück bis zum Austragen des Gemeindebriefes.

Jesus entsendet seine Jünger. In verstörender Weise werden die Jünger ermahnt, wie ihr Herr zu handeln: ‚Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus…‘ Wir werden auf einmal auf den Leib gewiesen, auf seine Krankheiten, seine Entstellung, seine Erschöpfung, sein Ausgeliefertsein an böse Mächte. Auch das ginge uns etwas an? Ein fremdes, ein faszinierendes Bild von Kirche. Heilung, uns ja nicht fremd in der Kurstadt.

Als sei das noch nicht genug, legt Jesus noch eins nach. Muss man für diesen Auftrag nicht gründlich vorbereitet und ausgerüstet sein? Reiserücktritt, Auslandskrankenversicherung? Nichts! ‚Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben; auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert‘.

Arm und mittellos, nicht einmal einen Kupferpfennig in der Tasche, ohne belastendes Gepäck, sogar ohne einen Stock, mit dem er sich gegen Räuber und wilde Tiere verteidigen kann, soll der ‚Wanderer‘ im Namen Christi unterwegs sein. Kirche mit den und für die Armen. Nur der Wehrlose, der Angewiesene lebt wirklich mit dem anderen und ist glaubwürdiger Zeuge und Täter des kommenden Gottesreiches.

‚Wanderradikalismus‘ (G. Theißen) hat man diese Bewegung im Urchristentum genannt und bestaunt. Männer und Frauen, die von Ort zu Ort zogen, predigten, heilten und so zur Wurzel, zum Anfang der Kirche wurden. Wie die iroschottischen Mönche bei uns 700 Jahre später. Ging dieser Anfang verloren?

Meine Dienstwohnungen sind im Laufe von 35 Dienstjahren immer größer geworden. Papst Franziskus versuchte den Traum einer ‚Kirche für die Armen‘ zu erneuern. Einer Kirche ‚die zwar verbeult ist wie ein kleiner alter Fiat, doch auf die Straße geht. Er, der statt im Papstpalast im vatikanischen Pilgerhotel wohnt, sprang gleichsam zurück zu den ‚Wanderern‘ des Anfangs und machte sich mit ihnen gleichzeitig.

Dieses ‚Kurzschließen‘ der Zeiten hat viele Christen angesprochen, aber was bedeutet es konkret? Was ändert sich, wenn wir ihm folgen? Muss diese Kirche arm werden, mit den Betroffenen leben, statt von oben herab‘ zu betreuen oder zu versorgen? Das haben wir uns zb auch gefragt, bevor unser KV die große Spendenaktion für unsere Orgel gestartet hat. Es ist die größte Geldsammlung unserer Gemeinde seit über 100 Jahren, als die Dankeskirche vor allem aus Spenden gebaut worden ist.

Wir haben uns gesagt: das gehört zu unserer Mission hier, weil die Orgel und die Kirchenmusik in unserer Kurstadt eine große Rolle spielen. Sie wie die Musik tiefere Schichten unserer Seele erreicht, trösten und erbauen kann, uns einen Sinn für die Tiefendimension des Lebens zu geben vermag. Also halten wir daran fest: und wollen aber auch nicht vergessen, dass es vielen Menschen in unserem Land, geflüchteten zumal, Brüdern und Schwestern auf der ganzen Welt viel schlechter geht als uns. Und dass sie nicht nur unseres Gebets, sondern unserer materielle Hilfe bedürfen.

Je mehr man fragt, umso verlegener werden wir in der sog. ‚Mittelstands-Kirche‘, die nicht so richtig weiß, wo es hingeht, und dabei sorgenvoll über ihrem Geld und ihren Fortbestand grübelt. Mit Grund: Schließlich leben viele Menschen davon, dass sie in ihr arbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen. Erzieherinnen, Pflegedienste inklusive. Unsere Gemeinde sammelt für die Diakonie und für ‚Brot für die Welt‘, wir haben Kindergärten. Und wir haben auch eine Partnerschaft mit der Kirche von Nordindien. Wir haben Experten und Werke, die professionell und abrechnungsfähig ihren Klienten, den Kranken, den Obdachlosen, den Isolierten und Verarmten beistehen. Das ist Realität. Aber ist es das, was in Jesu Rede an die Jünger gemeint war? Etwas hakt.

Schauen wir wie Jesus noch einmal genau hin: Wir sind nicht Herr der Ernte, aber Erntehelfer will ich nach wie vor gerne sein. Wenn ich die Erntehelfer hier auf den Feldern in der Wetterau sehe, dann ahne ich, wie erledigt die am Abend sind. Das ist richtig anstrengende Arbeit. Und da stehen vermutlich keine Leute um sie herum, die ihnen auf die Schultern klopfen und sagen: “Das machst du aber toll!“

Zu meinem Glauben zu stehen, ihn zu leben: Das kann richtig anstrengend sein. Aber Erntehelfer sind wir als Christen nicht, weil wir immer Lust dazu haben oder damit andere sehen, wie toll wir sind und deshalb in der Kirche bleiben. Wir sind Erntehelfer, weil Gott uns dazu beauftragt. Weil wir daran glauben.

Und dabei haben wir nicht diesen Auftrag der ersten Zeugen, der zwölf von damals. Sie wurden ausschließlich zu ihrem jüdischen Volk gesandt. Wir haben den Auftrag des auferstandenen Jesus, am Ende des Mt.-Evangeliums, der bei jeder Taufe vorgelesen wird: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt 28).

Christ bin ich nicht nur für mich. Eine Gemeinde ist nicht nur für sich selbst da. Kirche ist Kirche für andere. Wenn wir uns nur um uns selbst drehen, dann läuft etwas ziemlich schief. Geht hin: das schreibt er uns ins Stammbuch. Fangt vor eurer Haustüre an, glaubwürdig und wertschätzend miteinander zu leben. Übt es, Menschen barmherzig anzuschauen. Lernt Menschen liebevoll anzusehen als Menschen vor Gott, wie Du einer bist. Lasst Gnade vor Recht walten. So nehmt ihr euren Auftrag als Erntehelfer ernst:

Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Amen

zur Konfirmation am 2.6.2019 von Pfarrer Rainer Böhm

Liebe Gemeinde, liebe Eltern und Familien, liebe Patinnen und Paten, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

ich habe ein paar Steine mitgebracht.

Ich glaube das kennt jeder: Steine sammeln. Bei einer Freizeit mit Jugendlichen in der Toskana, an einem ziemlich steinigen Strand: da hab ich diesen Stein gefunden und war wie vom Donner gerührt. Das Kreuz in einem Stein. Seit wann ist es christliches Symbol? Und wie lange schon ist es in diesem Stein? Und warum? Bin ich gemeint? Ist das so etwas wie ein natürlicher Gottesbeweis? Das kann doch kein Zufall sein!

Ich habe dann angefangen, solche Steine zu sammeln, in Italien aber auch woanders. Heute habe ich ein ganzes Fensterbrett voll davon in meinem Gesprächszimmer im Pfarrhaus. Keiner war so schön wie der erste, aber es gibt sie immer wieder und natürlich sind sie nur ein Spiel der Natur, Gottes Natur allerdings.

Kurios, wie die sogenannten Hühnergötter, die man an der Ostsee findet, aber auch in Kalifornien oder sonst wo. Früher wurden sie als Amulette getragen und sollten zB die Hühner vor bösen Geistern (oder bösen Füchsen) bewahren. Dazu band man sie um die Hühnerhälse. 1960 fand sich der Begriff übrigens zum erstem mal im Duden der DDR; nach der Wiedervereinigung wurde er 1990 wieder gestrichen. Auch eine seltsame Geschichte.

Jedenfalls habe ich nicht mehr aufhören können, Steine zu sammeln. Manchmal hatte ich Angst, ich hätte beim Rückflug zu viel Gewicht im Koffer. Und zu Hause verlieren sie doch relativ schnell ihre Attraktivität – oder ich verliere den Überblick.

Einer meiner Freunde ist als Jugendlicher mit seinem Vater oft in die Eifel gefahren. Sie haben fachmännisch Steine gesammelt und geklopft, Fossilien gefunden, geologische Gesteinsschichten bestimmt. Im Keller in Lübeck gab es einen Raum mit Glasschränken, wie ein Museumsarchiv. Zu solcher Ordnung habe ich es nie gebracht. Und dieses Steine-Archiv gibt es auch nicht mehr.

Einmal hab ich mit meinem Sohn etwas Ähnliches gemacht: Wir sind vor ein paar Jahren zusammen nach Schottland gefahren und haben eine Rundreise unternommen. Ich habe die Route festgelegt, er hat zB für die musikalische Untermalung im Auto gesorgt. Zuletzt kamen wir dorthin, wohin ich vor allem wollte: Auf die alte Klosterinsel Iona. Eine winzige Insel der Inner Hebrides, noch vor der Isle of Mull, man braucht also zwei Fähren, sie liegt ganz außen zum Atlantik hin.

Mit dem römischen Reich hatte sich das Christentum in ganz Europas ausgebreitet. Aber es war nur in den Städten vertreten. Regensburg, Worms, Trier, Köln. Mit dem Untergang des römischen Reiches wurde es in Westeuropa quasi ausgerottet – aber es hat an seinen äußersten Rändern überlebt: Auf Inseln vor Irland und Schottland. Im Jahre 563 kam Columban mit zwölf Männern von Irland auf diese kleine Insel und gründete dort das Kloster Iona Abbey. Von Iona verbreitete sich das Christentum in Schottland und Nordengland und weiter: zurück nach Europa. Meist zogen sie zu 12. los, total mutig ins Unbekannte, gründeten Klöster, kultivierten das Land, unterrichteten die Kinder der Adligen, brachten Bücher mit, denn die alten Schriften hatten dort am Rand der Welt überlebt. Die Spuren dieser Mönche und Nonnen finden sich auch in unserer Gegend. ZB in den Namen Schotten oder Lioba.

Die Wikinger haben schließlich dieses Kloster zerstört – aber 1000 Jahre später wurde es wieder aufgebaut von einer ökumenischen Gemeinschaft, der es um Mission und soziale Arbeit geht. Ziel ihrer Arbeit ist es, „neue Wege zu finden, die Herzen aller zu erreichen“. Sie tun dies vor allem durch Jugendarbeit, neue Lieder, Gottesdienste sowie Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden. „Peace of the Earth“, eines Eurer Lieblingslieder, kommt von dort…

Und von dort habe ich diesen Stein. Zu Hause war ich überrascht: Iona ist aus den ältesten Gesteinen der Erdoberfläche aufgebaut. Man findet dort bis zu 3 Mrd alte Gesteinsformationen aus Granitgneis und Granulit, mehrfach geformten Iona-Marmor.

Aber weshalb um Himmels Willen erzähle ich Euch das alles?! Wegen eines Liedes, das wir nicht einmal singen? Damit ihr Steine sammelt? Oder besser gar nicht erst damit anfangt?

Zum einen will ich Euch sagen, dass man überall und jederzeit anfangen kann zu graben und zu fragen: wie bei den Steinen. Warum ist das so? Es lohnt sich genau hin zu schauen. Wer nicht fragt bleibt dumm. Die Welt steckt voller Wunder. Ein Leben reicht dafür nicht.

Zweitens: so viele Steine es auch auf der Welt gibt – alle sind anders. Jeder hat seine Geschichte, seine Eigenarten, jeder kann ein Lieblingsstein sein oder es werden für andere. So viele Menschen es auf der Welt auch gibt – jeder ist ein Original. Es gibt keine einzige Kopie. Noch nicht, jedenfalls. Und genauso haben wir Euch in diesem Jahr erlebt: als ganz eigene Menschen, als ganz besondere, jede und jeder unverwechselbar.

Auch in der Kirche spielen Steine eine Rolle, Taufsteine zB. Hier haben wir sogar zwei davon: der eine hier vorne (aus weißem Carrara-Marmor) erzählt eine Geschichte aus der Bibel: das man sich nämlich die Kinder zum Vorbild nehmen soll. Und das Kind, das in jedem von uns steckt, das wir mal waren und immer noch sind, am besten nie vergisst. Denn es möchte auch zu seinem recht kommen. Sonst geht es uns selbst nämlich schlecht. Der andere Taufstein dort drüben ist mindestens 1000 Jahre als und aus einem Stück gearbeitet worden, aus dem Basalt des Vogelsberges. Er stand einmal oben in der Kirche auf dem Johannesberg, der ersten christlichen Kirche in der ganzen Gegend hier.

Schon bei der Taufe hat Gott Euch zugesagt: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du gehörst zu mir.“ Er kennt jede und jeden. Und er findet Euch gut, genau so wie ihr seid – und kein bisschen anders.

Bei der Taufe haben Dich vielleicht die Eltern oder die Paten getragen. Heute nimmst du den Glauben in deine eigenen Hände. Konfirmare heißt: bestärken, Darin will Gott Euch also bestärken: ein eigenes Leben zu führen, eigene Glaubenserfahrungen zu machen – so verschieden, wie wir Euch kennen gelernt haben.

Und schließlich gibt es auch in der Bibel Steine. Das Bild der Kirche, deren Grundstein Jesus ist – und wir alle bilden ein Haus aus lauter verschiedenen lebendigen Steinen. Oder der Stein, der nicht mehr vor und auf dem Grab gelegen hat – weil Jesus gar nicht mehr tot drin liegt, sondern lebt.

Deshalb also heute diese Steinrede zu Eurer Konfirmation. Und weil wir Euch gleich noch einen Stein mitgeben möchten. Eine Art Denkmal. Ein Denkmal zum mitnehmen. Ein Denkmal für unterwegs.

Auf dem Stein steht in Goldschrift der Anfang von Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte.“ Vor Euch liegt das gelobte Land Eures Lebens. So wie Ihr es auf unserer Konfifahrt gemalt habt, Euer Leben in 20 Jahren oder so. Erinnert Ihr Euch? Wer losgeht, kann sich verlaufen, wer anpackt, kann auch mal daneben greifen, und wieder neu anfangen. Aber wer nicht losgeht, der kommt auch nie ans Ziel.

Gott ist mit denen, die sich auf den Weg machen ins Land der Zukunft. Dazu konfirmieren wir Euch gleich, dafür gibt er Euch seinen Segen. So wie er es bei den Menschen der Bibel tat, die sich auf den Weg gemacht haben. Und dafür geben wir Euch Kieselsteine mit, als Stärkung und Erinnerung für den Weg: Gott wird mit dir gehen, dein ganzes Leben lang.

Amen

zur Konfirmation am 26.5.2019 von Pfarrerin Susanne Pieper

Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde,

heute, an diesem Festtag, da steht ihr so richtig im Mittelpunkt. Und ihr seht einfach alle super aus! Viele Menschen sind heute einfach nur froh, mit euch zusammen zu sein. Und bestimmt sind sie stolz darauf, zu sehen, was aus euch schon alles geworden ist!

Ihr geht jetzt mehr und mehr eure eigenen Wege. Ihr trefft mehr und mehr eure eigenen Entscheidungen. Das gehört ja dazu, wenn man und frau erwachsen wird: Entscheidungen für das eigenen Leben zu treffen, und dann auch für die Konsequenzen gerade zu stehen. Jede und jeder für sich - auf dem eigenen Weg.

Ein Stück dieses Weges haben wir zusammen zurückgelegt. Ein Konfijahr liegt hinter uns. Und da haben wir so Vieles miteinander erlebt. Die Zeit war ja vergleichsweise kurz, aber zugleich auch so intensiv!

Da waren die Projekte: ihr habt syrisch gekocht und seid geklettert. Seid im Rollstuhl durch unsere Straßen gefahren und habt Kindern beim Basteln geholfen. Ihr habt mit euren Anspielen in Gottesdiensten euer schauspielerisches Talent unter Beweis gestellt. Und wie viele Kerzen habt ihr hier am Altar angezündet!

Da war die Konfifreizeit: wir haben gelacht und gespielt, gesungen und gemalt, gedichtet und Worte in viele verschiedene Formen gegossen. Und dann euer Vorstellungsgottesdienst: ihr habt uns, das Team, und eure Familien überrascht. Ihr habt uns nämlich so Vieles von euren Gaben gezeigt, die in euch versteckt liegen, und habt uns teilhaben lassen an der Fülle eurer Gedanken!

Ihr wart zusammen auf dem Weg – auch ganz wörtlich: in kleinen Gruppen habt ihr Spenden gesammelt für kranke und bedürftige Menschen, die in unserer Stadt leben. Und damit seid ihr direkt in den Spuren von Jesus gelaufen. In seiner Nachfolge. Denn er hat so oft seinen Blick gerade auf die Menschen gerichtet, die im Schatten der Gesellschaft leben und nicht im strahlenden Scheinwerferlicht. Ihr habt als gesamter Konfijahrgang 1.450 Euro und 49 Cent gesammelt - eine grandiose Summe! Und im Namen des Diakonischen Werkes Wetterau danke ich euch heute ganz herzlich dafür!

Und dann waren im letzten Jahr da die Konfistunden: wir haben gelesen und diskutiert. Manchmal haben wir uns auch gegenseitig genervt. Aber es lag ja auch schon ein langer Schultag hinter euch, und wir wollten von euch eine ganze Menge. Wollten euch mit eurer ganzen Person ansprechen, auch mit euren Ecken und Kanten, Fragen, Zweifeln und Überzeugungen. Und mit eurer Power! Pfarrerin Naumann hat mir erzählt, wie schön sie es einfach fand, auf welche ihrer Ideen ihr euch eingelassen habt und wie kreativ ihr z. B. in den gemeinsamen Rollenspielen wart. Und ich war glücklich, wenn ich erlebt habe, welche Fragen ihr gestellt habt und auch, welche Einwendungen ihr hattet. Ihr wolltet es wissen, was es mit dem Glauben auf sich hat. Und ihr wart wach und vital dabei! Dass dann im letzten Jahr ab und zu auch der eine oder andere Konfipass Beine bekommen hat, sich für immer auf wundersame Weise aufgemacht hat in unsere große weite Welt oder sich zeitweise im Süßigkeitenfach versteckt hat - okay, das haben wir in Kauf genommenJ

Nun beginnt ein neuer Lebensabschnitt für euch. Ihr werdet etwas Neues ausprobieren und neue Interessen entwickeln. Einige von euch werden dies auch in unserer Kirchengemeinde tun und sich z.B. im tollen Kreis der Mitarbeitenden engagieren. Darüber freuen wir uns sehr! Wohin auch immer aber euer Weg euch führt: wir haben euch heute als Symbol für euren Neubeginn diesen Rucksack mitgebracht.

Ein Rucksack steht ja dafür, dass jemand unterwegs ist. Dass jemand Lust auf Abenteuer hat. Wer seinen Rucksack packt, will aufbrechen.

Wir wollen euch etwas mitgeben für euren weiteren Lebensweg. Und darum haben wir in diesen Rucksack Einiges für euren Weg gepackt, für den Weg, den wir ja alle noch gar nicht kennen.

Zuerst das HERZ: das große Symbol für die Liebe. Es sagt dir: Du bist geliebt. Einfach so. Weil Du da bist. Gott sagt sein großes JA zu Dir. Du bist geliebt. Vergiss das niemals in Deinem Leben. An keinem einzigen Tag. Das bedeutet: Niemals wird

Dein Wert durch die Noten bestimmt, die Du nachhause bringst. Niemals durch das, was Du leistest, was Du lieferst oder wie deine Figur gerade ist. Du bist geliebt. Vorneweg schon. Ohne jegliche Vorbedingungen. Von Deiner Familie und von Gott. Darum atme auf. Atme durch. Und geh Deinen Weg immer aufrecht. Du trägst ein leichtes Gepäck.

Und dann ist da ein ZOLLSTOCK in unserem Rucksack: In nicht allzu ferner Zukunft werdet ihr ihn brauchen, wenn ihr euer erstes Zimmer z.B. in einer WG beziehen werdet - irgendwo, vielleicht in 5 oder 6 Jahren. Aber bis dahin ist ja noch Zeit. Nehmt daher den Zollstock erstmal als Symbol. Als Maßstab, an dem man sich orientieren kann. Als Symbol für die 10 Gebote, die Gott uns Menschen gegeben hat. Sie helfen uns, zu unterscheiden zwischen Mein und Dein. Zwischen dem Bewahren und dem Zerstören von Natur und Leben. Zwischen Lüge und Wahrheit. Diese Gebote helfen euch, unsere Wirklichkeit, unsere Welt, zu beurteilen. Unrecht zu erkennen und zu benennen. Sich von Niemandem aufs Glatteis führen zu lassen. Z.B. Du sollst nicht lügen. Die Gebote helfen euch dabei, wachsam zu sein. Fake news von Wahrheit zu unterscheiden oder zu erkennen, wo Menschen in der Gefahr stehen, sich selbst zu einem Gott zu machen. Als Christinnen und als Christen sind wir immer zugleich Bürgerinnen und Bürger mitten in unserer Gesellschaft. Im kleinen wie im großen Bereich tragen wir Verantwortung. Darum bitte ich auch Sie, liebe Festfamilien, gleichwohl heute von Ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und zur Europawahl zu gehen. Vielleicht gibt es dazu beim Spaziergang zwischen dem Mittagessen und dem Kaffeetrinken den besten Slot. Oder zwischen 17.00 und 18.00 Uhr J Die 10 Gebote führen uns flugs und geradewegs mitten hinein in unsere Gesellschaft.

Wir möchten euch auch ein Kreuz mitgeben: weil es an Jesus erinnert, an den Sohn Gottes, der als Mensch auf dieser Welt gelebt und auch gelitten hat. Er hat das Dunkel und die Täler des Lebens geteilt. Und Gott hat ihm darin Recht gegeben. Er hat ihn nicht im Tod gelassen, sondern hat ihn auferweckt zu einem neuen und wunderbaren Leben. Darum nehmt das Kreuz mit auf euren Weg. Es ist Gottes großes Pluszeichen, Sein großes Hoffnungszeichen, mit dem wir alle von ihm gesegnet sind.

Zu guter Letzt nehmt auch noch einen Schirm mit in euren Lebensrucksack: als Zeichen dafür, dass Gott wie ein Schirm für euch ist. Damit nicht alles an euch herankommt. Mit Gott an eurer Seite müsst ihr nicht alles an euch heranlassen. Ihr habt nämlich ein Recht auf euer Glück. Auf eure Gegenwart und auf eure überschäumende Lebensfreude! Manches darf deshalb getrost an diesem Schirm abprallen. So wie es ein Psalmwort sagt: „Gott ist eure Zuflucht, er ist Schutz und Schirm“. Wir aber, die Erwachsenen, haben die Aufgabe, für euch und dann auch mit euch an einer weiterhin lebenswerten Zukunft zu bauen.

Jesus Christus sagt zu euch und zu uns allen: „Fürchtet euch nicht! Seht, ich bin bei euch an jedem Tag und bis an das Ende der Welt“. Was immer ihr tut, wo immer ihr seid. Das ist ein großartiges Versprechen. Dieses Versprechen liegt in dem Segen verborgen, den ihr heute bekommt. Gottes Segen geht über euch auf und bleibt bei euch. Amen.

an Ostersonntag 2019 von Pfarrer Rainer Böhm

Maria Magdalena     (Joh 20, 11 – 18)

Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte.  Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. 

Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? - Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. 

Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! 

Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. 

Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe.

Liebe Ostergemeinde,

„Maria!“ – „Rabbuni!“ – Die Seligkeit liegt in diesem Zwei-Wort-Gespräch. Im Zwischenraum, im Zueinander des Dialogs. Kürzer geht es nicht, und inniger auch kaum. Wir werden zu Zeugen eines der ganz großen, stillen Momente. Zum Berührendsten, was ein Mensch mit Gott erleben darf. Dass er dich findet, und du dich in ihm.

„Maria!“ – „Rabbuni!“ – Maria aus Magdala – das ist nicht die Mutter Jesu. Es ist eine – oder die? – Freundin Jesu, wenn man das so sagen möchte. Ursprünglich war diese Maria eine Prostituierte. Ausgerechnet sie ist nun die erste Botschafterin der Auferstehung. Was Johannes uns wohl damit sagen will: Einer bigotten, von schein-heiliger Moral geprägten, von Männern dominierten Welt… „Maria!“ – „Rabbuni!“

Aus dem Ersten Testament weht der Hauch des Hoheliedes herüber. Die erotische Stimmung, der Garten, die Verwirrung und Verzweiflung, das Suchen und Finden. Am Sabbat des Passahfestes lesen sie das Lied der Lieder in den Synagogen. Sie verstehen es als Liebeslied zwischen Gott und seinem Volk. Da kann es nicht verwundern, dass Verse aus dem Hohenlied wie ein Hintergrund erscheinen zu Marias Suche am Ostermorgen: „Des Nachts auf meinem Lager suchte ich, den meine Seele liebt. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. Ich will aufstehen und in der Stadt umhergehen auf den Gassen und Straßen und suchen, den meine Seele liebt. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umhergehen: »Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebt?«  Als ich ein wenig an ihnen vorüber war, da fand ich, den meine Seele liebt. Ich hielt ihn und ließ ihn nicht los, bis ich ihn brachte in meiner Mutter Haus, in die Kammer derer, die mich geboren hat“ (3, 1 – 4).

„Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.“ Die Männer, Petrus und Johannes, sind verwundert wieder heimgegangen. Nach ihrem Wettlauf zum Grab haben sie statt des Leichnams nur die Leintücher im Grab liegen sehen. Sie verstehen das noch nicht.

Maria von Magdala aber bleibt. Die Liebe hält sie hier. Sie braucht noch etwas. Sie sucht, den ihre Seele liebt. Vielleicht dachte sie,  sie könnte Jesu Tod akzeptieren, wenn sie von dem Toten noch einmal Abschied nehmen könnte, ihn noch einmal berühren. Und als sie ihn nicht findet denkt sie: „Sie haben ihn mir weggenommen!“

Weggenommen …  Das fühlt sich scheußlich an. Das wissen alle, denen etwas weggenommen wurde. Die Heimat, das Haus, das Erbe, die Gesundheit, die Würde. Weggenommen. Und du stehst da und kannst es nicht fassen.

„Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.“ Durch die Tränen sieht sie zwei Engel im Grab.  Die fragen behutsam: „Frau, was weinst du?“ Gewiss sind es auch Engel, die dich nach deinem Kummer fragen; dir ihr Mitgefühl zeigen; deine Verzweiflung mit aushalten und du kannst reden. Wie Maria sagen durfte: „Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.“

Nun beginnt die Wandlung. Maria dreht sich um. Kurz darauf nochmals. Oder wird sie umgedreht? Ich habe versucht, nachzuvollziehen, wie sich Johannes diese Wendungen vorstellt. Es ist mir nicht gelungen.

Die erste Wendung geht noch klar: Vom Hineinschauen ins Grab wendet sie sich zur Gestalt Jesu, die offenbar vor dem Grab steht, nicht weit von ihr. Aber weshalb sollte sie sich dann noch einmal umwenden?

Heute glaube ich: Diese Wendungen markieren ihre innere, seelische Wendung, einen Wandlungsprozess. Maria wird um- und umgedreht. Suchbewegung einer liebenden und trauernden Seele.  Sie wendet  ihren Blick vom offenen Grab zu Jesus vor dem Grab. Aber sie erkennt ihn nicht. Sie ist noch gefangen in der Angst des „Weggenommen“. Gebannt vom Alten. Sie verwechselt ihn: „Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen.“ Sie ist so fixiert auf den Toten, dass sie den Lebendigen nicht erkennt. Erst als er sie beim Namen ruft. „Maria!“ .. „Da ist die Stimme meines Freundes!“ heißt es im Hohenlied. Da ist seine Stimme,  die ihr zu Herzen geht, die ihr Innerstes erreicht. Er ruft sie beim Namen. Er hat sie gefunden.

„Da wandte sie sich um und spricht zu ihm: Rabbuni!, das heißt: mein Meister!“ Mit dieser Antwort kommt ihre suchende Seele zur Ruhe. „Mein Freund ist mein und ich bin sein,“ heißt es im Hohenlied. Und die Liebe ist stärker als der Tod. „Maria!“ – „Rabbuni.“ .. Jetzt ist es Ostern geworden.

Und so wird es auch Ostern für Uns: Wenn wir spüren: Er ist uns nahe – und wir sind ihm nahe. Wo wir spüren, er meint mich selbst. Und ich meine ihn. „Wer in der Liebe bleibt der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1. Joh)

„Ich hielt ihn und ließ ihn nicht los,“ so das Hohelied der Liebe. Maria wollte Jesus umarmen. Oder wenigstens seine Füße umfassen, wie die Frauen bei Matthäus. „Rühre mich nicht an!“, sagt er aber zu Ihr. Oder freundlicher: „Halte mich nicht fest!“

Maria muss also lernen: es ist nun anders als vorher. Es ist dieselbe Liebe, aber sie soll anders gelebt werden.

Auferstehung bedeutet nicht, dass Jesus so wieder da ist wie vor seinem Tod. Er hat ihn jetzt hinter sich, Maria hat den Tod noch vor sich. Aber „stark wie der Tod ist die Liebe“. Maria muss loslassen, um neu zu empfangen. Die Auferstehung will sie befreien vom krampfhaften Klammern. Und sie erlebt: die seelische Berührung steht der körperlichen kaum nach. Sie spielt sich in ihrem Herzen ab: Maria! – Rabbuni.

Von Martin Schongauer, dem spät-ma Maler, gibt es eine Darstellung dieser Szene Man kann sie  im schönen Unterlinden-Museum in Colmar sehen: Schongauer hat genau diesen Moment festgehalten – das „Halte mich nicht fest!“ oder Noli me tangere. Ganz zart. In einem umzäunten Garten, mit Rosen, Vögeln, Granatäpfeln. Da streckt Maria in großer Sehnsucht und Anmut ihre Hände nach Jesu Hand aus. – Und er zieht sie nicht etwa abweisend zurück. Er blickt ihr in die Augen und lässt ihr seine Hand – fast! Da ist noch ein Hauch von einem Zwischenraum. Es ist beinah eine Berührung, beinahe. Eine zärtliche Distanz. Man glaubt, die Spannung zu spüren zwischen den beiden Händen. Die Energie. Ein schöpferischer, liebevoller Zwischenraum. Ein Raum der Sehnsucht und der Hoffnung.

Spielraum, Raum des Glaubens – der Bereich, in dem das Leben neu wird.  … Ostern.

an Karfreitag 2019 von Pfarrer Rainer Böhm

Jesu Kreuzigung und Tod              Johannes 19, 16 – 30

Da überantwortete er ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber, und er trug selber das Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. 

Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. 

Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König. 

Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.

Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: Der Juden König, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der Juden König. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. 

Die Soldaten aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch den Rock. Der aber war ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. Da sprachen sie untereinander: Lasst uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wem er gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.« Das taten die Soldaten. 

Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria Magdalena. Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. 

Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und hielten ihm den an den Mund. 

Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht. Und neigte das Haupt und verschied.

Liebe Gemeinde,

was zu tun war, ist getan; was zu sagen war, ist gesagt. Jetzt ist alles vollbracht. Das erkennt Jesus. Dann kann er sterben: es ist vollbracht. Vorher ist mir diese Abfolge nie aufgefallen. So viele Karfreitage in ihrer eigenartigen Ruhe. Und nie ist mir dieser Zwischenraum aufgefallen. Jesus sieht, bevor er stirbt, dass alles vollbracht ist. Das schildert Johannes in seinem Evangelium. Erst mit einem kleinen Abstand kommt dann der Tod. Ein Zwischenraum tut sich auf.

Bisher war dieses Wort Jesu, im Fenster dargestellt, für mich der Stempel unter seinen Tod. Aber so schildert es der Evangelist ja gar nicht: Wir stehen mit Johannes beim Kreuz und hören schon vor Jesu Tod: Alles ist getan. Jesus hat alles zu Ende gebracht bevor er stirbt. Dadurch entsteht eine kleine Zwischenzeit, ein Zeitfenster. Diese Lücke ist Teil der frohen Botschaft am Karfreitag.

Wir ziehen normalerweise die Summe der Passionsgesichte aus allen vier Evangelien. Deshalb sprechen wir zum Beispiel von den sieben letzten Worten Jesu am Kreuz. Von Johannes hören wir aber nur drei. Jeder Evangelist setzt seine eigenen Akzente. Die Bachkenner unter uns wissen: Die Matthäuspassion klingt ganz anders als die Johannespassion. Wenn wir mit Johannes am Kreuz stehen, erleben wir manches mit ganz eigenem Charakter. Jesu Sterben ist friedvoller, stiller.

Keine dramatischen Naturgewalten, die das Geschehen kommentieren. Wo der Himmel sich verfinstert, wo der Vorhang im Tempel zerreißt, wo das Gebet eines Gottverlassenen unser Herz anrührt. Und die Tafel „König der Juden“ ist keine Gemeinheit gegenüber Jesus, sondern eine Art Respekt von Pilatus. Und wenn Jesus Essig zu trinken bekommt, ist das keine Bösartigkeit der Folterer, um ihn noch mehr zu quälen, sondern sie reichen ihm ihr Soldatengetränk, das den Durst nachhaltig stillt. - Es ist die andere Geschichte vom Kreuz.

Es ist vollbracht. Ein bedeutungsschwerer Karfreitagssatz. Da schwingen mit die alten Choräle, von denen uns einige eher fremd anmuten. Die Erklärungen, die wir gelernt haben. Die Deutungen, die wir uns selbst zurecht legen. Das eine ist uns heute näher, das andere irritiert uns eher: Jesus leidet mit allen Leidenden. Er steht an ihrer Seite. ER stirbt den Opfertod, um uns mit Gott zu versöhnen. Gott selbst stirbt am Kreuz. – Wer vor dem Kreuz steht, bringt Fragen mit oder Erklärungen; steht da stirnrunzelnd, kopfschüttelnd, mit Mitleid oder mit Unverständnis. Und kann nicht gut zuhören.

Ich selbst habe „vollbracht“ immer mit dem Tod Jesu zusammengebracht. Aber so weit sind wir noch  nicht. Wir stehen noch beim Kreuz, in seiner Gegenwart, und hören von ihm: es ist alles vollbracht. Nun kommt bald der Tod. Könnte dieser Zwischenraum unser Standort sein, der offene Spalt?

Der erste Karfreitag war kein Feiertag, wie hier in Deutschland. Und Jesus hat nicht in gehobenem Deutsch am Kreuz gesprochen, sondern in seiner aramäischen Muttersprache. Was also Johannes in Griechisch wiedergibt, bedeutet in unserer Umgangssprache einfach: es ist erledigt. Ich erschrecke fast ein wenig, wenn ich das aufschreibe: Darf man dieses Wort, das über die Jahre Patina angesetzt hat, so alltäglich ausdrücken: Es ist erledigt? So jedenfalls ist es gemeint: Die Sache ist abgeschlossen. Es ist alles zu Ende gebracht. Die ToDoListe ist abgearbeitet. Jesus sagt nicht: ICH habe es vollbracht, schaut auf MICH. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf seine Lebensaufgabe, sein Werk.

Hospizleute, die viele Sterbende begleiten, verwenden den Begriff des „unfinished business“. Dinge in der Familie, die man bei Lebzeiten nicht geregelt hat, belasten den Abschied. Worte, die unausgesprochen bleiben, machen das Sterben zusätzlich schwer. Wenn aber am Sterbebett zwei Parteien wieder zueinander finden oder wenn endlich ausgesprochen wird, worauf man jahrelang gewartet hat – dann wird zuletzt etwas vollbracht, was das Sterben erleichtert.

Es ist alles gesagt: auch das letzte: „Ich habe Durst“. Es ist alles getan: auch das letzte: Für die Nahestehenden, die Nächsten, ist gesorgt. Also kein unfinished business. Im Gegenteil: Bevor Jesus stirbt ist alles gesagt und getan. Und das stellt er fest. Und dann kann er loslassen.

Was zu tun war, hat er vor seinem Tod erledigt. ER hat gelebt. Wir blicken zurück, wie wir es auch bei Angehörigen tun, wenn wir Abschied nehmen. Es geht beim Tod um das Leben…

Jesus erledigt die Aufgabe, die Gott ihm auf seinen Weg in die Welt mitgibt. Er führt den Arbeitsauftrag Gottes aus, mit allem, was er sagt und tut. Davon zehrt Jesus, das gibt ihm Kraft bis in seine letzten Minuten. Das ist seine Wegzehrung bis zuletzt. Sein Sinn. Er lebt und stirbt, um die Schrift zu erfüllen, Jesu Bibel, unser Altes Testament. Die Bibel ist Jesu Auftragsbuch, das Buch mit den Arbeitsanweisungen Gottes für ihn.

Sein Leben ist ein Zeichen für Gottes Liebe. Gott zeigt der Welt seine Liebe, indem er seinen Sohn für sie hergibt. So betont es Johannes in seinem Evangelium. Jesus setzt mit seinem Leben Zeichen dafür. Seine Worte und Wunder sind Zeichen dafür, dass Gott in unserer Welt ist. – Da wird aus Wasser Wein bei einer Hochzeitsgesellschaft. Da werden aus Toten wieder Lebendige, wie das Lazarus erfährt. Sein Licht scheint in der Finsternis. ER ist das Lamm, das hinweg nimmt die Sünden der Welt. ER beseitigt, was uns von Gott trennt.

Wenn Schuld tötet: schauen wir auf Zeichen und Wunder. Der Tote lebt. Beziehungen, die tot waren, leben wieder auf. Lazarus kehrt zurück zu seiner Familie. – Wenn Schuld das Leben bedrückt und verdunkelt: schauen wir auf Zeichen und Wunder. Eine Hochzeitsgesellschaft feiert. Wir können das Leben genießen. „Bei mir bekommt ihr Leben in Fülle“, sagt Jesus.

Der Weg neigt sich dem Ende zu. Die Zeichen sind gesetzt. Es ist alles vollbracht. Aber noch lebt Jesus. Und wir leben als Christen in diesem Zwischenraum, in dieser Spannung. In dieser Lücke spielt sich alles ab. Es ist alles vollbracht. Jesus am Kreuz sagt es, und das nehme ich mit auf meinem Weg in den Alltag. Ich vertraue darauf, dass alles getan ist, damit Gott diese Welt wirklich liebt.

Aber wo sehe und spüre ich es? Immerhin VERSTEHE ich jetzt, was mir die ganze Sache mit Gott und dem Glauben so beschwerlich macht: denn was hat sich nach dem Tod Jesu am Kreuz wirklich verändert? Ich sehe auch nicht eine Winzigkeit, die sich in der Weltgeschichte verändert hat. Weiterhin steht das Kreuz, und die Welt dreht sich unverändert weiter.  Sünde, Leid, Tod wohin wir schauen. Sollten wir nicht dauerhaft die schwarze Kirchenfarbe verwenden und ohne Orgel feiern? Hat der Karfreitag keine Spuren hinterlassen, außer in der Musik, in der Kunst, in Frömmigkeit und Theologie?

Diese Zwischenzeit gehört also dazu, zum Leben, zur Welt. Sie ist nicht etwas Fremdes, so wie der Karfreitag bleibend dazu gehört. Wir machen weiter, dankbar, vertrauend darauf, dass alles geschafft ist. Alles war zu vollbringen und ist durchgeführt und auch vollendet. So weit, so gut. Aber nun stirbt Jesus noch, und so wird es uns auch gehen.

Ich lebe mit diesem letzten Wort. Und ich vertraue darauf, dass wir in unserer Welt Gottes Liebe sehen und begreifen. Auf Zeichen und Wunder warte ich. Dass die Toten leben werden. Dass Schuld ausgelöscht wird. Dass wir in Fülle leben werden, mit Freude und Wein, mit Lust und Saft, mit Glück und Genuss. Noch diese Zwischenzeit lang warte ich. Jesus hat alles vollbracht, und doch steht sein Tod noch bevor. Der Tod muss noch gestorben werden. Das ist unsere Gegenwart, bei Jesus am Kreuz. Diese Zwischenzeit, der offene Spalt. Es ist vollbracht. Der Tod steht noch bevor. Da muss noch etwas kommen. Noch ganz viel, gnädiger Gott.

Amen

am 7.4.2019 von Pfarrer Rainer Böhm

Joh 18, 28 – 19,5

Jesu Verhör vor Pilatus

28 Da führten sie Jesus von Kaiphas vor das Prätorium; es war aber früh am Morgen. Und sie gingen nicht hinein in das Prätorium, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passamahl essen könnten. 

29 Da kam Pilatus zu ihnen heraus und sprach: Was für eine Klage bringt ihr vor gegen diesen Menschen? 30 Sie antworteten und sprachen zu ihm: Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten dir ihn nicht überantwortet. 31 Da sprach Pilatus zu ihnen: So nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz. Da sprachen die Juden zu ihm: Es ist uns nicht erlaubt, jemanden zu töten. 32 So sollte das Wort Jesu erfüllt werden, das er gesagt hatte, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde. 

33 Da ging Pilatus wieder hinein ins Prätorium und rief Jesus und sprach zu ihm: Bist du der Juden König? 34 Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus, oder haben dir's andere über mich gesagt? 35 Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan? 36 Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von hier. 37 Da sprach Pilatus zu ihm: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es: Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.  38 Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? Und als er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm. 

39 Ihr habt aber die Gewohnheit, dass ich euch einen zum Passafest losgebe; wollt ihr nun, dass ich euch den König der Juden losgebe?  40 Da schrien sie wiederum: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Räuber.

1Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. 2 Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an  3 und traten zu ihm und sprachen: Sei gegrüßt, König der Juden!, und schlugen ihm ins Gesicht. 4 Und Pilatus ging wieder hinaus und sprach zu ihnen: Seht, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. 

5 Da kam Jesus heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Sehet, welch ein Mensch!

 

Liebe Gemeinde!

„Schaffe mir Recht, Gott!“ So fleht der Psalmsänger. Seine Worte geben dem heutigen Passionssonntag den Namen: Judika.

Schaffe mir Recht, so rufen Menschen auf der ganzen Welt, weil ihnen Unrecht geschieht, weil Mächtige und Verhältnisse das Recht mit Füßen treten. Schaffe mir Recht, so rufen die zu Unrecht verfolgten und die zu Unrecht Abgelehnten. Schaffe mir Recht rufen Menschen, denen andere mit ihrer übertriebenen Gesetzlichkeit das Leben schwermachen.

Um Recht und Unrecht geht es auch bei dem Prozess Jesu. Im Johannesevangelium findet der Prozess am Tag vor dem Passahfest statt. Es ist der Tag, an dem die Lämmer für das Fest geschlachtet werden. Voraus gingen Jesu Gefangennahme und das Verhör vor der religiösen Obrigkeit in Jerusalem, dem Hohen Rat.

Der Prozess wird einem Menschen gemacht, für den die Liebe das höchste Prinzip ist, der Geist, nicht der Buchstabe. Jesus kannte das mosaische Gesetz. Er lebte und prüfte es. Seine Auslegung unterschied sich von der herrschenden Meinung: sie sollte Recht schaffen, Unrecht verhindern und der Liebe Raum geben. Dabei überschritt er Grenzen, erregte Anstoß, zeigte, wie der Geist der Liebe zu leben sei: unabhängig von den Grenzen der Kultur, der Religion, der öffentlichen Meinung.

Am Jakobsbrunnen in der heidnischen Stadt Samaria trifft Jesus eine Frau und lässt sich von ihr in ein Gespräch verwickeln. Damit erweist er ihr Ehre, verstößt aber zugleich mehrfach gegen das Gesetz Mose, denn 1. Ist sie eine Frau. 2. Gehört sie zu einer anderen Religion. 3. Lebt sie in einer nichtehelichen Partnerschaft. Mit diesem Gespräch legt Jesus ein deutliches Statement für die Vernunft ab und gegen den Hass.

So auch, als ihn ein römischer Beamter für seinen kranken Sohn um Hilfe bittet. Jesus heilt das Kind und bringt den Vater zum Glauben an den Gott Israels.

Und schließlich die sog. Ehebrecherin: So hat die religiöse Führung sie zu ihm gebracht. Sie war wohl ihrem Mann untreu geworden und hatte also das Gesetz übertreten. Darauf stand die Steinigung. Die Ankläger benutzen sie, um Jesus eine Falle zu stellen.  Ihm aber geht es nicht um diese Männer, sondern um die Not der Frau. Er sieht sie und sieht: sie ist ein Mensch. Die Ankläger fordern die Einhaltung jedes Buchstabens des Gesetzes – und übersehen, dass auch sie selbst nur fehlbare und natürlich ebenfalls Menschen mit Trieben sind.

Drei Geschichten, in denen Jesus zum Gesetzesbrecher wird. Drei Geschichten, in denen er die Liebe höher bewertet als das Gesetz. Hat er also wirklich das Gesetz gebrochen oder es so ausgelegt, wie Gott es eigentlich gedacht hatte. Soll das Gesetz zu einem korrekten Leben führen, einer Art von unveränderlicher Vorschriftsdiktatur? Oder ist es eine Richtschnur und Orientierungshilfe auf dem Weg zu Menschlichkeit und Würde?

Zwei Auslegungen stehen sich hier unversöhnlich gegenüber. Zum einen sind da die religiösen Führer des Landes, die auf die Achtung der Tradition pochen und den Buchstaben des Gesetzes und gewissermaßen keine festen Bänke durch variable Stühle ersetzen wollen: Wo kommen wir denn hin, wenn wir nicht mehr die Deutungshoheit über unsere Tradition haben. Und zum anderen ist da dieser Galiläer, der wohin er auch kommt und was er auch tut immer wieder den Menschen, ob Mann oder Frau, Jung oder Alt, Einheimisch oder Fremd zum Maßstab des Gesetzes und seines Handelns macht.

Eines ist also klar: das Urteil steht fest! Es geht nur noch um seine eleganteste Vollstreckung. Und darum, es so zu begründen, dass es der römischen Besatzungsmacht plausibel erscheint. Denn seit Judäa dem römischen Kaiser unterstellt und römische Provinz geworden ist, dürfen jüdische Richter kein Todesurteil mehr fällen. Das ist das Recht der Besatzungsmacht. Also kann die Begründung für ein Urteil gegen Jesus nicht religiös sein, es muss politisch begründet werden, sonst wäre kein Todesurteil möglich.

Also wird Jesus zum Palast des römischen Statthalters gebracht. Es geht darum, Pilatus so von der Schuld zu überzeugen, dass er das Todesurteil fällt.

Dessen Haus betreten die Ankläger indes nicht: Sie warten, bis Pilatus zu ihnen heraus kommt. Denn nach dem Gesetz verunreinigt sich der gläubige Jude für sieben Tage, wenn er das Haus eines Heiden betritt. Aber jetzt steht ja das Passahfest vor der Tür. Und weil an dem Mahl nur teilnehmen darf, wer sich vorher nicht verunreinigt, also kultisch rein ist, wollen die frommen Ankläger den Palast des Pilatus nicht betreten.

Der muss sich als oberster Richter dieser Sache annehmen und stellt gleich eine politisch motivierte Frage: „Bist du der Juden König?“ Dann wäre die Sache einfach, aber so einfach liegt dieser Fall nicht, denn Jesu Reich ist nicht von dieser Welt. Er gehört nicht zu den Kämpfern gegen die Besatzungsmacht, die mit erhöhten Steuern das Land auspresst. Seine Freunde kämpfen nicht mit Waffen gegen die Staatsmacht. Und dennoch ist seine Wahrheit brisant und kann destabilisierend wirken.

Was ist Wahrheit? Sie ist eine Frage der Perspektive. Natürlich steht das Recht geschrieben. Aber ist es deshalb im Sinne der Menschen? Es gibt einen Unterschied zwischen legal und legitim, zwischen dem was streng gesetzlich ist und  dem ungeschriebenen sittlichen und moralischen Recht. Jede Religion vertritt ihre eigene Wahrheit – und besitzt doch für sich nur einen Teil davon: Denn die Wahrheit liegt alleine bei Gott. Gottes Willen gegenüber den Interessen der Welt zu sagen, seinen Willen in tätiger Nächstenliebe zu bezeugen – das bedeutet, in seiner Wahrheit zu leben.

Nach römischen Recht findet Pilatus keine Schuld an Jesus. Aber indirekt fällt er dennoch ein Todesurteil, indem er die vor der Tür stehenden an das Recht der Passah-Amnestie erinnert. Damit stellt er Jesus in den Raum des Todesurteils, den er nun nicht mehr verlassen kann. Denn die anderen erbitten die Freilassung eines politischen Widerstandskämpfers. Also kommt Pilatus gewissermaßen nicht mehr aus dieser Nummer heraus. Und selbst die Geißelung erwirkt bei den Anklägern kein Mitleid.

Es ist am Ende weder die religiöse Führung noch der römische Statthalter, die Verantwortung für die Kreuzigung tragen. Es sind die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die verschiedenen Interessen und Strukturen, es ist die unbarmherzige und gottlose Welt, es sind die Menschen, von denen keiner aufsteht und sich etwas traut, das Wort ergreift. Es ist die Lust am Schauspiel und an der Not der anderen. Dabei hat niemand gegen das Gesetz verstoßen. Es war woanders, es geschah vor vielen Jahrhunderten -  aber wir heute sind gemeint!

Jesus zeigt, dass jedes Recht hinterfragt werden und nicht einfach durchgesetzt werden darf. Gott schafft Recht. Er schafft es auf dem Weg der Liebe, auch dann, wenn zunächst das Unrecht siegt. Gott schafft das Recht zu seiner Zeit. Zum Beispiel am Ostermorgen.

am 10.3.2019 (Thomas Messe) von Pfarrer Ernst Rohleder

Ein Gedicht von Mascha Kaléko
(aus: Mascha Kaléko: Die paar leuchtenden Jahre.2003 Deutscher Taschenbuch Verlag, München)

Die Zeit steht still.
Wir sind es, die vergehen.
Und doch, wenn wir im Zug vorüberwehen,
scheint Haus und Feld und Herden, die da grasen,
wie ein Phantom an uns vorbeizurasen.
Da winkt uns wer und schwindet wie im Traum,
mit Haus und Feld, Laternenpfahl und Baum.

So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens
an uns vorbei zu einem andern Stern
und ist im Nahekommen uns schon fern.
Sie anzuhalten suchen wir vergebens
und wissen wohl, dies alles ist nur Trug.

Die Landschaft bleibt, indessen unser Zug
zurücklegt die ihm zugemessnen Meilen.

Die Zeit steht still.
Wir sind es, die enteilen.

Liebe Gemeinde,

Die Zeit steht still.
Wir sind es, die enteilen.
So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens an uns vorbei.
Sie anzuhalten suchen wir vergebens.

Endlichkeit – das Thema zu dem ich etwas sagen soll und werde, natürlich habe ich täglich als Pfarrer für Altenseelsorge und Seelsorger in mehreren Seniorenheimen mit einer Vielzahl von älteren, alten und hochbetagten und langlebigen Frauen und Männern zu tun.

Und ja!, die allermeisten, nehmen bewusst war, dass die Lebenszeit, die sie haben begrenzt und endlich ist.

Und ja!, die Art und Weise wie jede und jeder auf seine und ihre Weise damit umgeht, davor habe ich hohen Respekt und große Achtung.

Und ja! Es gibt auch die, die mich fragen, wann darf ich endlich sterben, nach einem langen, langen Leben.

Aber so gut wie niemand denkt dabei unablässig an den Tod und das Sterben. „Ich bin ‚das immerzu ans Sterben denken“ so beschreibt eine andere Dichterin in einem ihrer Gedichte die Depression, das ist eine Krankheit zum Tode.

Und krank zu sein, ist etwas ganz anderes als endlich zu sein.

Endlich sein, das macht nicht krank! Jedenfalls nicht an sich.

Und das Anspiel, das wir eben gesehen und gehört haben, zeigt ja auch, beim Sterben und dem Tod geht es nicht nur um die schon alt gewordenen, es kann auch den Nachbarn in der Mitte des Lebens treffen. Und mich natürlich auch. Und wenn ich durch die Wetterau fahre, dann kenne ich einige Kreuze am Rande der Straße, die von Angehörigen und Freunden aufgestellt wurden, und erinnere mich an die, für die diese Kreuze stehen und die ich in meiner Zeit als Gemeindepfarrer nach einem Verkehrsunfall beerdigt habe. Hat das was mit Endlichkeit zu tun?

Oder hat das nicht auch etwas was mit Geschwindigkeit zu tun, mit einer fatalen Sekunde der Ablenkung oder manchmal einfach nur mit einem Scheiß Zufall? Mitten wir im Leben, sind vom Tod umgeben.

Ich möchte mich hier weigern mich, das Thema Endlichkeit auf das Thema: „wir alle müssen sterben“ zu reduzieren. Ja, das müssen wir, Sie und Ich.

Wir müssen aber alle auch das andere: wir müssen leben! Auch Sie und ich!

Jemand hat einmal gesagt: Die Endlichkeit mahnt uns endlich zu leben.

Leben, endlich leben!

Die Zeit steht still, wir sind es, die enteilen!

Und so vieles ist endlich und das ist gut so!

Das Anspiel eben endete mit dem bekannten Satz aus dem Prediger Salomo: Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.

Denn ein Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes. Aber das ist ja nur der Schluss von einem Stück großer Weltliteratur:

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:

geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;

töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;

weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;

suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;

Der Text beschreibt die Endlichkeit von allem. VON ALLEM! Würde ich nicht gerne immer lachen, fröhlich sein? Don’t worry, be happy! Und gibt es nicht Zeiten, da gefriert mir das Lachen zur Maske? Da ist mir die Fröhlichkeit zuwider, weil das Leben eben nicht so ist. Das Leben ist auch voller Angst und Traurigkeit, Abschiednehmen müssen und, ja auch Sterben. Wie kann ich da eine lustige Mine aufsetzen: ist ja alles nicht so schlimm. Nein, verdammt, es ist schlimm. Und deshalb hat das Lachen seine Zeit! Weg mit Dir, ich muss auch trauern dürfen!

Aber, und jetzt kommt’s ja: auch das Weinen hat seine Zeit: Auch das Weinen ist endlich! Du musst kein schlechtes Gewissen haben, weil du in der Trauer auch mal lachst, wenn du ein neues Leben für dich suchst und vielleicht sogar findest! Es ist Gottes Wort, das dir sagt: Weinen hat seine Zeit.

Suchen hat seine Zeit – wie bin ich doch mein ganzes Leben auf der Suche nach mir selbst! Aber ich finde mich ja auch, manchmal, vor allem, - so würde ich sagen - weil Gott mich findet. Was für Zeiten sind das dann!

Aber ich verliere mich auch wieder – ich kann nicht ewig auf dem Gipfel der Erleuchtung bleiben. Es gibt auch noch die Welt und den Alltag und den Ärger und die Anderen.

Es ist gut, dass alles endlich ist und seine Zeit hat.

Es fordert heraus klug zu leben, wie der Psalmvers sagt, oder endlich zu leben, wie der Aphoristiker Glasl sagt.

Ich kann und brauche nicht alles so wichtig nehmen, als sei es in Stein gemeißelt. Aber dieser Stein wird bröckeln. Ich kann und darf gelassen sein, und vor allem mich selbst nicht so wichtig nehmen. Oder zu meinen, unentbehrlich zu sein.

So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens an uns vorbei. Sie anzuhalten suchen wir vergebens.

Die Endlichkeit gibt mir Raum liebevoll mit mir und dann auch mit anderen umzugehen, achtsam sagt man ja heutzutage gern.

Endlichkeit           macht         Sinn.

Und die Endlichkeit geht ja noch weiter. Mein Wissen ist endlich, Stückwerk sagte einmal Paulus. Meine Fähigkeiten sind endlich. Manchmal ist meine Geduld am Ende. Endlich ist auch die Gewalt der Gewaltigen, die Herrschaft der herrschsüchtigen. Ja auch dieser Kosmos, wie wir ihn kennen, wird einmal endlich sein, vielleicht in sich zusammenfallen, nachdem er sich unendlich ausgedehnt hat und selbst die Unendlichkeit einmal am Ende ist, in einem neuen BIGBANG und Urknall vielleicht von neuem beginnen und von Anfang an wieder endlich sein wird.

Leider wird auch scheinbar immer wieder vergessen, worin eigentlich Endlichkeit eingebettet ist. Denn so spricht der Prediger Salomo weiter:

Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.

Für mich ist Ewigkeit nicht die einfach in das Unendliche verlängerte Zeit, Ewigkeit ist die Qualität - nicht die Quantität, die der Endlichkeit entgegensteht. Ewigkeit qualifiziert die Endlichkeit, die ich erlebe. Ja, ich kann sogar in der Endlichkeit, Ewigkeit erleben,

Momente des Glücks, der Liebe, der Meditation, in denen ich spüre, hinter – oder mitten drin – in diesem Leben der Endlichkeit ist Ewigkeit.

Die Zeit steht still – so benennt es das Gedicht.

Die Ewigkeit.
In ihr Herz gelegt.
In das Herz des Menschen.

Wir spüren die Endlichkeit!
Spüren wir auch die Ewigkeit,
die in unser Herz gelegt ist!

Wir tragen die Ahnung, das Wissen, den Glauben, das Geheimnis der Ewigkeit in uns. ‚In ihr Herz gelegt‘, das Herz der Menschen. In ein Organ, aus Muskel und Blut, mit Rhythmus und Kraft und auch Versagen und schließlich Stillstand.

Aber es ist mein Herz –
Es ist meine Zeit,
meine Ewigkeit
und meine Endlichkeit.
Es ist Ihr Herz.
Ihre Zeit, Ihre Ewigkeit, und Ihre Endlichkeit.

Machen wir was draus, Endlichkeit: endlich leben!

Denn: Die Landschaft bleibt,
wir sind es, die enteilen!

am 17.2.2019 von Pfarrer Rainer Böhm

Die Liebe unseres Herrn Jesus Christus, die Gnade Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Liebe Gemeinde,

„Halte Ordnung, liebe sie, Ordnung spart dir Zeit und Müh.“ Meine Mutter kannte viele dieser Lebensweisheiten. Trotzdem bin ich ein Papierstapler geworden. Um mich herum auf meinen beiden Schreibtischen, im Pfarrhaus und im Gemeindebüro sind sie: Rechts und links von der Arbeitsfläche wachsen immer wieder, ich weiß auch nicht wie das passiert, zwei, also vier Stapel. Vermutlich liegts an meinem mangelhaften Ablagesystem.

Ich wäre so gerne anders. Ratgeber wissen, wie es geht. Sie erzielen irrsinnige Umsätze, die Buchhandlungen sind voll davon. Ratgeber für alles: Gesundheit, gute Ehefrauen und Ehemänner, Ratgeber zum Glück, zur Ordnung, für mein inneres Ich oder mein inneres Kind. Ratgeber zur Erziehung, für die gute Geldanlage.

Auch ich habe einen solchen Ratgeber geschenkt bekommen, von meinen Kindern: Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin (K.Passig/S. Lobo). Es ist ein Lehrbuch darüber, dass es auch anders geht, gehen kann, gehen darf.

Was steckt aber hinter dieser unbändigen Suche nach Ratgebern? Hinter all den klugen Ratschlägen und unnötigen Informationen von Leuten, die eine Menge Geld mit der Not der anderen verdienen?

Wir ergreifen jeden Zipfel, um noch etwas in der Hand zu behalten, bevor es uns entgleitet. Wir sind unsicher geworden, ich bin unsicher geworden in einer Welt, in der nichts sicher ist – außer dem Tod. Wie vorsorgen? Wie mein Leben gestalten? Wie einen Partner finden? Wie eine bezahlbare Wohnung?

Die neue Perikopenordnung beschert uns neue Predigttexte, auch solche, die bisher eher ein Schattendasein geführt haben. Bislang war das Buch des Predigers Salomo, Kohelet, nur einmal in sechs Jahren vertreten, mit dem berühmten Gesang über die Zeit. „Alles hat seine Zeit“. Das Buch Kohelet wird dem Sohn Davids zugeschrieben, Salomo, König in Jerusalem. Wahrscheinlich ist es an seinem Hof entstanden, aber wie die Psalmen nicht vom König selbst. Es gehört zur atl Weisheitsliteratur. Auch wenn uns also unsere Zeit als die Unsicherste erscheint – Menschen aller Zeiten suchten nach Sicherheit. Es gab schon immer Ratgeber, besonders am Hof eines Königs. Ich lese den Predigttext aus Pred. 7, 15 – 18:

Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens: Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit. Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest. Sei nicht allzu gottlos und sei kein Tor, damit du nicht stirbst vor deiner Zeit. Es ist gut, wenn du dich an das eine hältst und auch jenes nicht aus der Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen. 

Der Prediger des Salomo war ein Berater am Hof des Königs. Vor fast 3000 Jahren beobachtete er den Lauf der Dinge. Nicht wie ein Professor, der so etwas über dem Erdboden schwebt. In der hebräischen Bibel ist die Weisheit die Antwort des Menschen auf Erfahrungen, die er in der Welt macht – in einer Welt, in der uns überall auch das Handeln Gottes begegnet. Die Weisheit des Predigers ist seine Art des Glaubens.

Die lässt sich aus einem Dilemma heraus verstehen: Es gibt Gerechte, die gehen in (und vielleicht auch an) ihrer Gerechtigkeit zugrunde. Und es gibt Gottlose, die leben mit all ihrer Bosheit auf Kosten der anderen (und sie leben damit auch noch gut). Gutes Handeln bleibt oft folgenlos. Aus diesem Dilemma ergibt sich für den Prediger der Mittelweg: „Sei nicht zu gerecht und nicht zu gottlos.“ Der Mittelweg ist nicht unbedingt der Königsweg. Aber er ist immerhin lebenspraktisch, Der Prediger ist sparsam mit großen Worten.

Und die Erfahrung lehrt uns ja: Frechheit siegt. Je offensichtlicher sich jemand korrupt und gewalttätig gebärdet, desto weniger passiert ihm. Ganze Länder und Landstriche werden von einzelnen ausgebeutet, Minderheiten ermordet. Ehrlichkeit währt nicht immer am längsten, und auch die Strafe folgt nicht immer auf dem Fuß. Nein, stellt der Prediger fest, ein frommes Leben wird von Gott nicht belohnt, und ein gottloses Leben nicht bestraft. Ist Gott also ungerecht?

„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ – so hat es der Frankfurter Sozialphilosoph Theodor W. Adorno formuliert. Verstünde man den Satz wörtlich, dann wäre er zynisch gemeint und ein Freibrief dazu, sein Leben auf Kosten der anderen zu gestalten. Nach mir die Sintflut. Aber so ist der Satz Adornos nicht gemeint. Er geht aus von der Einsicht, dass unser Leben immer beschädigtes Leben ist. Wir arbeiten uns ab an unseren eigenen Widersprüchen und Unzulänglichkeiten. An den Kränkungen unseres Lebens. Verdrängen ist keine Lösung, es gilt die Widersprüche anzunehmen. Die strikte Prinzipienfestigkeit ist keine Lösung, und die zerstörerische Gleichgültigkeit auch nicht.

Der Prediger benennt genau diese Widersprüchlichkeit, die sich auch durch menschliche Weisheit nicht auflösen lässt. „Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.“ Das muss gesehen, benannt und ausgesprochen werden. Denn nur dann geht die eigene Mitte nicht verloren. Leben ohne Widersprüche, ohne Fremdbestimmung und Verblendung, ohne Unzulänglichkeiten – ein im Ganzen richtiges Leben: das ist unmöglich, nicht zu bekommen, gibt es nicht.

Adorno hat das als Jude in Deutschland am eigenen Leib erfahren. „Dies alles hab ich gesehen in den Tagen meines eitlen Lebens.“ Deshalb überlegt er in immer neuen Ansätzen wie man sich in schwieriger Lage am besten verhält. Er untersucht die gesellschaftlichen Bedingungen von Entfremdung und Ungerechtigkeit und weist auf die zerstörerischen Tendenzen der Moderne hin. Leben ist beschädigtes Leben. Trotz allem hält Adorno fest am Traum des gelingenden Lebens, nur vom Unmöglichen her können wir unsere Möglichkeiten sehen. Er sieht diese Möglichkeiten gelingenden Lebens in der Kontemplation, in der unverfälschten Begegnung, im Miteinander und auch in der Begegnung mit der Kunst.

„Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.“ Der Prediger vertritt weder faule Kompromisse noch abgestumpfte Gleichgültigkeit. Unser Leben bleibt uns undurchschaubar, eine bleibende Statt haben wir hier nicht, letzte Sicherheit gibt es auch nicht. Kluger Pragmatismus ist vonnöten. Es ist wie es ist, sagen die Kölner. Aus mir wird kein Vorbild an Ordnung mehr, und ehrlich gesagt komme ich auch so ganz gut zurecht. Aber gerade in unseren eigenen begrenzten Möglichkeiten dürfen wir mit dem Unmöglichen rechnen, in unserer Endlichkeit mit der Unendlichkeit, mit dem in Gott gegründeten Mehrwert des menschlichen Lebens.

„Wer Gott fürchtet, der entgeht dem allen“, sagt der Prediger am Ende. Ich verstehe Furcht im Sinne von Ehrfurcht oder Respekt. Mit Blick auf Gott sollen wir Christen unsere ethischen Zwickmühlen abwägen, unsere Vernunft bemühen, der eigenen Endlichkeit bewusst sein und dankbar und fröhlich leben. Denn es gibt nichts unter der Sonne, was außerhalb von Gottes Herrschaftsbereich geschieht.

Die Weisheit des Predigers ist seine Art zu glauben. Sie ist getragen von dem Glauben, dass die Schöpfung gut ist; dass jeder auf der Welt seinen Platz finden kann – und dorthin möchte er uns führen.

Du bist, so wie du bist, von Gott gewollt: in all deiner Unzulänglichkeit, mit den Schäden, die das Leben dir zugefügt hat. Du bist geschaffen, bist gewollt, ein Mensch mit Verstand und Gefühl gesegnet. Geschöpf Gottes. Du kannst wissen und fühlen, was er von dir will. Du sollst wissen, dass deine einzige Sicherheit Gott selbst ist. Unser Leben liegt in seiner Hand. Und er ist ein liebender Gott. „Die Furcht, der Respekt des Herrn ist der Anfang der Weisheit.“

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

am 3.2.2019 von Pfarrer Rainer Böhm

Die Liebe unseres Herrn Jesus Christus, die Gnade Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

Predigttext nach neuer Ordnung (1.Kor 1, 4-9)

Dank für reiche Gaben in Korinth

Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus, dass ihr durch ihn in allen Stücken reich gemacht seid, in allem Wort und in aller Erkenntnis. Denn die Predigt von Christus ist unter euch kräftig geworden, sodass ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus. Der wird euch auch fest machen bis ans Ende, dass ihr untadelig seid am Tag unseres Herrn Jesus Christus. Denn Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.

Liebe Gemeinde,

die Gemeinde, an die Paulus Brief gerichtet ist, scheint bestens ausgestattet. Es fehlt ihr an nichts von dem, was zum Profil einer christlichen Gemeinde gehört. Sie hat sogar alles im Überfluss. Nicht unbedingt, was ihre Finanzen anbelangt. Auch nicht ihre Mitgliederzahlen. Beides ist nicht sonderlich hoch, nach allem, was wir wissen. Trotzdem zählt diese Gemeinde zu den Referenzgemeinden der Christenheit. Paulus stellt ihr ein Zertifikat aus. Kein Wunder, diese Gemeinde hat er schließlich selbst aufgebaut. Er hat anderthalb Jahre in Korinth gelebt, in dieser quirligen Hafenstadt zwischen Orient und Okzident. Er verdiente sein Geld als Handwerker, Zeltmacher war er.

Vergangenes Wochenende war unser Kirchenvorstand bei einer Klausurtagung. Zu den vielen Projekten unserer Gemeinde gehört die wachsende Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden in Bad Nauheim und im Usatal. Vieles läuft ganz gut bei uns. Aber überall ist auch noch Luft nach oben: Wenn es um die Spiritualität in unserer Gemeinde geht, den Gottesdienst-Besuch, die Neugestaltung unserer Kirche, das Orgelprojekt. Die Förderung der Ehrenamtlichen. Von einem Zertifikat sind wir wohl weit entfernt.

Paulus zeigt uns mit seinem Briefbeginn ein Stück antiker Lobkultur. Es gehörte zum guten Ton, einen Brief mit einem Kompliment zu beginnen. So wie eine Rede mit einem Witz oder einem persönlichen Erlebnis – so hat man die Zuhörer gleich auf seiner Seite. Das heißt nicht unbedingt, dass es wahrhaftig, ehrlich gemeint ist. Was ihr für eine tolle Gemeinde seid!! Dann nimmt man später auch die Kritik leichter an. Aber Paulus redet keinen Schmus. Er meint es wirklich so. In anderen Briefen kann er nämlich auch anders. Er ist dankbar für das, was er aus Korinth hört und deshalb blickt er getrost in die Zukunft.

In der modernen Gemeindearbeit nennt man das Lobkultur. Zunächst einmal zu beachten, was man an dem oder der anderen gut findet. Und vor allem: es auch sagen. Das schafft eine angenehme Atmosphäre, man fühlt sich geachtet und angenommen. Es muss natürlich auch passen. Meist sind wir mit dem Tadel schneller und freigiebiger als mit einem Lob, nicht nur in einer Kirchengemeinde, sondern auch in unseren anderen Beziehungen, in der Familie oder am Arbeitsplatz. Tadel macht klein. Lob ist kein schlechter Ausgangspunkt in einer Beziehung.

Paulus weiß, dass es in Korinth stürmisch zugeht. Die Gemeinde ist zerrissen. Das zeigt schon der nächste Vers nach unserem Predigttext. Es gibt Spaltungen. Die einen bleiben auf der Linie der früheren Leiterin. Der Diakon möchte neue Akzente setzen Die Kirchenmusik sieht sich nicht genug gewürdigt. Andere sagen: immer die! Manche beschweren sich über die schlechte Akustik. Dann pocht der Kirchenvorstand darauf, dass er schließlich die Gemeinde leitet und ihr Kopf ist. Andere sagen, was wären wir hier ohne den Küster? Wie würde dann unser Gottesdienst funktionieren, wie würden die Gebäude aussehen ohne die Menschen, die sich darum kümmern. Und überhaupt, was wären wir ohne die Kindergärten?

In Korinth war es vor allem der Streit zwischen den sog. Starken und den Schwachen. Die einen fühlten sich schon im Himmel. Sie sahen alles nicht so eng und wussten, es kommt weniger auf Regeln als auf den Glauben an. Die anderen überlegten ständig, was darf ich als Christ tun und was nicht. Was sagt das Gesetz? Paulus schreibt ihnen: Ihr habt alle unterschiedliche Gaben. Es kommt auf jeden an. Niemand ist weniger wichtig als ein anderer. Durch die Taufe seid ihr alle eins. Ein Oben und Unten gibt es bei uns nicht.

Bei uns gilt üblicherweise die Regel: Only bad news are good news. Skandale verkaufen sich besser. Über das zu berichten, was misslungen ist, erzeugt größere Aufmerksamkeit. Unfälle, Verbrechen, Katastrophen sind die wahren Aufregerthemen. Auch in der Kirche haben wir uns daran gewöhnt, im Krisenmodus zu reden. Schwindende Finanzen, kleiner werdenden Gemeinden, Kirchenaustritte und fehlender Nachwuchs. Und was sonst noch alles daneben geht oder liegen bleibt - eine Menge Negativthemen.

Paulus lässt sie ja auch nicht an der Seite liegen. Aber zuerst steht das Lob. Am Anfang nicht das halb leere, sondern das gefüllte Glas.

Wir können dankbar sein für das, was alles in unserer Gemeinde geschieht. Stolz sein auf ehrenamtliche Mitarbeit in der Gemeinde, auf überregional wirksame Kirchenmusik, auf die Arbeit der Erzieherinnen in den Kindergärten, auf Ideen und Kreativität in unseren Kinder- und Jugendgruppen, auf den großen Stamm, den die Pfadfinder bei uns bilden, auf unsere schöne Kirche, auf die Arbeit unserer hauptamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.

Sicher, da ist immer noch Luft nach oben. Und all das unterscheidet uns noch nicht von Vereinen oder Vereinigungen. Auch sie haben gemeinsame Interessen. Auch sie fördern eine gute Sache. Auch sie verstehen sich gut oder haben mal Ärger miteinander. Wie wir... Manche Vereine laufen besser als eine Kirchengemeinde. Banken und Betriebe sind sicherlich besser organisiert. Deshalb lobt Paulus auch nicht die Kommunikation und Stringenz in der Gemeindeleitung. Das Engagement in der Nächstenliebe, den Ausschlag an Spiritualität. Das sind einzelne Faktoren.

Gemeinde macht nicht das aus, was wir alles veranstalten. Das hat sicher seinen Wert für die Menschen und ihre Begegnung mit Gott und der Kirche – Paulus denkt an die Gemeinde und lobt Gott, weil eines fest steht: Gott macht etwas aus uns. Gott hält uns. Gott macht die Gemeinde aus. Das Wort von seiner Liebe in Jesus Christus. Das macht den Unterschied. Darauf kommt es an.

Es gibt viele Gaben, aber es ist ein Geist, schreibt Paulus. Wer ist da Gebender und wer ist Nehmender. Es kommt auf jeden einzelnen an. Die Mitarbeiterinnen im Besuchsdienst erzählen manchmal davon, wie schwer es sein kann, schwerkranke oder alleine lebende Senioren zu besuchen. Sie tun es trotzdem und oft fragen sie sich danach: Wer hat nun eigentlich wen beschenkt? Sie wollten geben und kommen beschenkt zurück.

Luft nach oben ist immer. Aber Gott will unsere Zuversicht stärken und unseren Glauben festigen. Eine Gemeinde ist nie fertig, das Ziel wird sie kaum erreichen. Das geht bis zum Ende so weiter. Gott gibt uns Durchhaltevermögen. Er ist zuverlässig. Er ist treu und hält an uns fest.

Die Liebe Gottes, die höher ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

am 9.12.2018 von Vikarin Anne Kampf zum Abschied

Der Predigttext für den zweiten Advent steht in Jesaja 35, die Verse 3-10.

Überschrift: Die Rückkehr der Geretteten.

3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt (…) und wird euch helfen. «
5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.
7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
9 (…) sondern die Erlösten werden dort gehen.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Liebe Gemeinde,

ich möchte Sie mitnehmen auf eine Reise. Eine Reise durch trockene, braune  Wüste und durch grüne Täler mit Brunnquellen. Eine Fahrt mit dem Fahrrad von Siegen nach Santiago de Compostela, die ich als Theologie-Studentin unternahm.

Ich hatte Fragen und suchte Antworten, wollte meinen Weg für die nächsten Jahre finden. Mit Fahrtwind um den Kopf wollte ich nachdenken, im Takt der Pedale beten. Ich suchte Wegweisung von Gott.  Zelt und Schlafsack auf dem Gepäckträger, ein Stempel meiner Kirchengemeinde auf dem Pilger-Ausweis, so fahre ich in Siegen los. Der Ausweis soll sich füllen mit Stempeln von deutschen, französischen und spanischen Kirchengemeinden, zuletzt mit dem Abzeichen der Pilger-Kathedrale von Santiago. Da will ich hin. Oder? Ist Santiago de Compostela das Ziel meiner Reise?

Die erste Etappe führt durch das Bergische Land, immer bergauf bis auch die höchsten Gipfel, warum führt die Pilgerroute eigentlich nicht bequem unten an der Sieg entlang?, da geht’s doch auch nach Köln, frage ich mich und trete weiter in die Pedale. Weiter bergauf. Am nächsten Morgen habe ich  Kopfschmerzen, Schwielen an den Fingern und Beine aus Gummi…  

3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt (…) und wird euch helfen. «

Den Ausruf des Propheten hörten einst Menschen im Exil –kurz vor ihrer Rückkehr nach Jerusalem. Die Freiheit stand ihnen vor Augen – und trotzdem waren sie offenbar ganz mutlos. Weil sie das Ziel nicht sehen konnten oder nicht daran glauben konnten? Was sie sahen, war Wüste, zerstörtes Land. Was sie fühlten, waren Erschöpfung und Unsicherheit, wankende Knie und verzagte Herzen. „Wohin gehen wir eigentlich? Gibt es überhaupt das Ziel, auf das wir hoffen: Zion, den Gottesberg, unsere Heimat? Wird Er dort sein und uns erwarten?“

Je weiter ich mich auf meiner Pilgertour von meiner Heimatstadt entferne, desto unsicherer werde ich. Ich erinnere mich an die schwierige Suche nach einem fahrradtauglichen Ausweg aus der Stadt Köln heraus, mit Autolärm in meinen Ohren… an eine  Irrfahrt  durch den finsteren Wald der Eifel auf der Suche nach einer Unterkunft… an den Nachmittag, an dem das Hinterrad über eine Reißzwecke fährt… an den heißen Tag, an dem mein Trinkwasser schon mittags zur Neige geht… Was für eine bescheuerte Idee, diese Pilgertour!, denke ich.

5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.

Eines Tages dann: ein großes Frühstück im Hotel mit Brötchen zum Einpacken, ein wunderbarerer Sonnenaufgang hinter den Bergen, ein Radweg durch ein grünes Tal am Bach entlang, ein Freibad direkt neben dem Campingplatz…

7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.

Es läuft. Ich fahre. Finde heraus, wo ich am besten meine Wasserflaschen füllen kann, genieße ein Dreigangmenü zu Mittag im ersten Restaurant hinter der deutsch-französischen Grenze. In Frankreich gibt es Campingplätze wie Sand am Meer und die Dörfer blühen miteinander um die Wette, villages fleuris, grün und rosa und gelb… . Ich treffe Mitpilger, unter ihnen ein Holländer mit mobiler Kaffeemaschine: „Hast du Tasse, kannst du Koffie haben“, sagt er und natürlich habe ich meine Blechtasse griffbereit hinten links. Was für eine schöne Pilgerfahrt!, denke ich.

In der Kathedrale von Vézelay in Frankreich entdecke ich eine Inschrift an der Wand: „Nous sommes tous pèlerins, en route vers la maison du Père.“  – „Wir alle sind Pilger, unterwegs zum Haus des Vaters.“  Schön klingt das. Ich mache ein Foto von der Inschrift.

Dann: Spanien. Hier hinter den Pyrenäen brennt die Sonne erbarmungslos vom Himmel. Kein Schatten weit und breit, bei 36 Grad strample ich durch die Wüste, und es kommt, wie es kommen musste: Ich verliere den Überblick, verirre mich, fahre zwischen braunverbrannten Getreidefeldern im Kreis. Irgendwas stimmt nicht mit meiner Karte… Der Reiseführer warnt uns Fahrradpilger: Hier gibt es nur die Nationalstraße, und die ist gefährlich, rasende Autos, rücksichtslose Lastwagen. Auch das noch! Ich finde die Zufahrt zur Nationalstraße – und bin überrascht: Alle fünf Minuten überholt mich gemütlich ein kleines Auto. Nach ein paar Kilometern sehe ich einen Wegweiser zur Autobahn. Autobahn? Ich schlage nochmal den Reiseführer auf: Keine Rede von einer Autobahn, auch auf der Karte nicht. Sie muss ganz neu sein. Prima: Die alte Nationalstraße gehört jetzt ganz den Fahrradpilgern.

8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
9, sondern die Erlösten werden dort gehen.

Der Prophet spricht von einem Weg, der extra angelegt wurde für die Heimkehrenden, ja von einer richtigen Straße, aufgeschüttet im unwegsamen Gelände. Eine Straße für die Orientierungslosen mit den wankenden Knien und dem verzagten Herzen. Ein heiliger Weg oder auch: ein Weg zum Heiligtum, eine Straße, die mit Sicherheit zum Ziel führt, nach Jerusalem, zum Zionsberg. Ein Weg, den Gott selbst den Heimkehrenden bereitet hat.

Auf der langen Abfahrt nach Santiago de Compostela erfasst mich ein Hochgefühl. Wie im Traum schiebe ich mein Fahrrad durch die Altstadt zum Pilgerbüro, hole den letzten Stempel und meine Urkunde ab, gehe weiter zur Kathedrale. Dort scheint ununterbrochen Gottesdienst zu sein, es ist voll, es riecht nach Weihrauch, Gesang und Worte hallen durch den Raum. Pilger in Wanderschuhen oder Fahrradhosen kommen und gehen, manche bleiben für Stunden, singen und beten …

Bin ich angekommen?

Beim Spaziergang durch Santiago zwischen Souvenirläden und Imbissbuden wird mir klar: Hier ist nicht das Ziel. Ich bin fast 3000 Kilometer gefahren und nicht angekommen. Nun will ich‘s wissen, kaufe eine Busfahrkarte zum Kap Finisterre, zum Ende der Erde, setze mich dort auf einen Felsen und blicke aufs Meer. Da hinten am Horizont ist es hellblau. Keine Grenze auszumachen zwischen Wasser und Himmel. 

Ich hab mich getäuscht. Weder in Santiago de Compostela noch am Ende der Erde ist das Ziel. 

Im letzten Restaurant unter dem Leuchtturm am Kap Finisterre klicke ich meine Fotos durch. Da ist er, der Spruch aus der Kathedrale von Vézelay: „Nous sommes tous pèlerins, en route vers la maison du Père.“ – „Wir alle sind Pilger, unterwegs zum Haus des Vaters.“

Das ist es: en route. Unterwegs. Wir sind unterwegs – immer weiter unterwegs. Und auf unserem Weg ist Er uns längst entgegen gekommen. Er war schon da, als wir mit wankenden Knien und verzagtem Herzen aufbrachen. Er ist die ganze Zeit da, zwischen den braunverbrannten Feldern, unter der sengenden Sonne der Wüste. Unterwegs kommt er bei uns an, wir spüren seine Gegenwart in den grünen Tälern, am Ufer des Baches, im frischen Wasser.

Und wir reisen mit Ihm weiter, auf der breiten Straße, die im unwegsamen Gelände entspringt – extra für uns. Eine Straße, die kein Ziel auf Erden kennt. Die über das Ende der Welt hinausführt, zum Haus des Vaters, nach Hause.

10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

am Ewigkeitssonntag 2018 von Vikarin Anne Kampf

Liebe Gemeinde,

heute bekommen wir Einblick in das Seelenleben des Apostels Paulus. Er sitzt in Ephesus im Gefängnis. Er hat Zeit zum Nachdenken – viel Zeit, aber gleichzeitig keine Ruhe. Wir sehen, wie Paulus sich quält. Er quält sich nicht nur mit der Ungewissheit, ob er wohl verurteilt oder freigesprochen wird. Er quält sich zusätzlich mit einer Gewissensentscheidung. In beiden Fragen geht es um Leben und Tod. Aus dem Gefängnis und aus seiner Unruhe heraus schreibt Paulus einen Brief an seine Gemeinde in Philippi. Er lässt seine Freundinnen und Freunde teilhaben an seiner gewichtigen und sehr persönlichen Frage. Ich lese aus dem ersten Kapitel des Philipperbriefes.

21 Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.

22 Wenn ich aber weiterleben soll im Fleisch, so dient mir das dazu, mehr Frucht zu schaffen; und so weiß ich nicht, was ich wählen soll.

23 Denn es setzt mir beides hart zu: Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre;

24 aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben um euretwillen.

25 Und in solcher Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben,

26 damit euer Rühmen in Christus Jesus größer werde durch mich, wenn ich wieder zu euch komme.

Paulus‘ Brief wird in der Gemeinde vorgelesen. Als der Vorleser endet, ist es still. Noch nie hat der Apostel, der Gründer dieser Gemeinde, den sie alle kennen, so etwas Persönliches geschrieben. Nach dem Gottesdienst diskutieren die Gemeindemitglieder über Paulus‘ Frage. Was ist besser: Sterben oder leben?

Nachdenklich gehen sie nach Hause. Die Gedanken tragen sie mit sich. Manche werden traurig, andere froh, einige dagegen spüren Wut – je nachdem, was sie selbst erlebt haben. Stellen wir uns vor, vier Gemeindemitglieder aus Philippi – oder vielleicht können wir uns den einen oder anderen sogar mit einem Absender aus Bad Nauheim vorstellen – vier Leute hätten sich am Nachmittag hingesetzt und Antwortbriefe geschrieben. An Paulus in Gefängnis in Ephesus.

Paulus,

ich muss dir antworten, und zwar sofort, sonst platze ich. Seit dein Brief heute Morgen in der Gemeindeversammlung vorgelesen wurde, rege ich mich nur noch auf. Wir haben heftig diskutiert nach dem Gottesdienst, vor allem über deine Formulierung am Anfang. Wie kannst du nur so etwas schreiben: „Sterben ist mein Gewinn“??? Was denkst du dir dabei? Weißt du denn nicht, wie das ist, wenn jemand stirbt??? Wie das wehtut und einschneidet, wie es das ganze Leben zerschneidet?

Erst drei  Monate ist es her, dass mein Mann starb. Seitdem vergeht kein Tag, an dem ich ihn nicht vermisse. Nachts ist es besonders schlimm, wenn niemand neben mir im Bett liegt, wenn der Platz einfach leer bleibt. Wo ist er? Wo ist er hingegangen? Ich weiß  es nicht.
Ist er im Grab? Ist er im Himmel? Ich suche ihn überall. Aber er ist nicht mehr da und er wird nicht zurückkommen. Diesen Gedanken kann ich nur langsam begreifen. Ich bin wie gelähmt. Warum trifft es mich so hart und so plötzlich? Wie soll ich weiterleben? Das sind meine Fragen, Paulus.

Und dann schreibst du, der kluge und gebildete Prediger, so einen Satz: „Sterben ist mein Gewinn“. Du hast ja keine Familie, deswegen hast du leicht reden. Du denkst nur an Dich. Ja, du denkst egoistisch, Paulus! Weil du gerne tot wärest, meinst du, einfach sagen zu können, das Sterben sei etwas Gutes.

Aber es ist nichts gut an diesem verdammten Tod, nichts. Er schlägt einfach nur erbarmungslos zu. Er ist einfach ungerecht! Er macht alles kaputt!

Wo ist denn dein Christus? Ich sehe ihn nicht. Ich spüre ihn nicht. Wie kann er mich retten jetzt und hier in meiner Trauer und in meiner Wut?

Viele Grüße, deine Lydia

Lieber Paulus,

heute Morgen wurde dein Brief aus dem Gefängnis vorgelesen. Ich danke dir für deine offenen Worte. Sie taten mir gut. Eine Formulierung hat mich besonders berührt: „Lust, aus der Welt zu scheiden“. Weißt du was, Paulus – also, das vertraue ich sonst niemandem an, nur Dir, denn ich glaube, du verstehst mich: Auch ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden. „Lust“ ist ein richtig gutes Wort dafür; ich sage sonst immer: „Sehnsucht“. Ja, ich habe auch eine solche Sehnsucht, die Welt zu verlassen, und ich bin so froh, dass ich es auf deinen Brief hin einmal zugeben und niederschreiben kann. 

Weißt du, Paulus, ich bin so müde. Alles strengt mich über die Maßen an, schon die kleinsten Tätigkeiten des Alltags. Ich versuche einfach nur durchzuhalten, aber alles ist so schwer. Ich fühle mich überfordert und alleingelassen mit dem Leben, mit diesem Leben. Außerdem weiß ich einfach nicht, wofür es sich lohnen soll, wozu ich überhaupt auf der Welt bin …

Ich möchte endlich loslassen dürfen. Das Leben loslassen. An einem Ort sein, wo alles schön ist, wo ich getragen werde, wo ich mich leicht fühle. Du nennst es „bei Christus sein“ … darüber denke ich nach. Ja, ich glaube, ich teile deine Hoffnung, Paulus. Ich glaube, dass auf der anderen Seite Christus auf uns wartet. Wenn wir bei ihm sind, werden wir alles verstehen und es wird sich gut anfühlen. Ich möchte daran glauben und ich möchte endlich dort sein.

Liebe Grüße, dein Theo

Hallo Paulus,

ich melde mich auf deinen Brief hin, der in der Gemeinde vorgelesen wurde. Du weißt ja, ich bin ein nachdenklicher Mensch und ich nehme nicht alles einfach so hin. Ich muss es erst gründlich überdenken. So auch deine Formulierung „bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre“.

Warum bist du dir eigentlich so sicher, dass du bei Christus sein wirst? Und dass es „besser wäre“?

Vielleicht weißt du, dass vor ein paar Wochen meine Mutter gestorben ist. Seitdem denke ich wirklich oft darüber nach – über das Sterben und was dann eigentlich mit dem Menschen passiert. Wie kannst du wissen, wo die Verstorbenen hingehen? Liegen sie nicht einfach nur auf dem Friedhof? Ich frage mich das, wenn ich am Grab meiner Mutter stehe. Liegt sie da unten, friedlich und in Ruhe? Oder ist sie längst ganz woanders? Wie stellst du dir das praktisch vor, Paulus? Ist meine Mutter quasi durchgegangen von Sterben direkt zu einem anderen Leben hin? Hat sie eine Stimme gehört, die sie hinüberrief? Vielleicht ein Licht gesehen oder eine Hand gespürt? Wie kannst du so sicher sein, Paulus, dass ein verstorbener Mensch direkt zu Christus geht?

Ich kann es mir ehrlichgesagt nur schwer vorstellen, ich habe da meine Fragen und Zweifel. Trotzdem finde ich es gut, dass du so freimütig bekennst, was du glaubst. Du scheinst dich richtig darauf zu freuen, eines Tages bei Christus zu sein… Ja, es hilft mir schon, solche Gewissheit und Freude herauszuhören aus deinem Brief. Ach, könnte ich doch auch so sicher sein. Könnte ich doch auch einfach vertrauen und mich freuen! Ich versuche es.

Deine Johanna

Lieber Bruder Paulus,

ich danke dir sehr für deinen wunderbaren Brief. Noch nie warst du so offen zu uns. Noch nie habe ich so persönliche Worte von dir gehört.  Viele in der Gemeinde waren sehr berührt heute Morgen in der Versammlung. Es war ganz still, nachdem man deinen Brief vorgelesen hatte.

Ob du den Tod oder das Leben vorziehen sollst – das ist wahrlich keine einfache Frage! Und sie geht ja uns alle an! Sterben oder Leben… Lass mich ganz offen sein, lieber Bruder: Ich bin froh und erleichtert über deine Entscheidung. Auch wenn du dich danach sehnst, bei Christus zu sein – was ich verstehe – , so wählst du ja letztendlich die andere Möglichkeit, das „Leben im Fleisch“, wie du es nennst.

Was mich besonders freut, ist: Du entscheidest dich so, um bei uns sein zu können. Oh, wie schön wäre das, dich wieder hier begrüßen zu können! Ich hoffe und bete, dass sie dich aus dem Gefängnis entlassen, denn wir brauchen dich. Unsere Gemeinde ist noch so jung und so unsicher. Wir müssen noch wachsen in unserem Glauben. Ich freue mich und spüre deine Wertschätzung, ja, deine Liebe zu uns, wenn du schreibst, dass du wiederkommen möchtest. Ich höre auch deine Freude zwischen den Zeilen, eine Freude darüber, weiterhin wirken zu können mit deinen Gaben. Wir werden deine Predigten hören und mit dir diskutieren, wir werden das Mahl halten und gemeinsam feiern…

Bitte, Paulus, bleib noch eine Weile am Leben!

Ganz herzliche Grüße, dein Thomas

am 4.11.2018 von Pfarrerin Susanne Pieper

Gottes Liebe, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

in freien Wahlen haben wir vor einer Woche einen neuen hessischen Landtag gewählt. Das ist ein großes Glück, dass wir heute in politischer Freiheit leben dürfen. Es ist ein unendlich kostbares Gut, dass wir eine Verfassung haben, die demokratisch ist. Ein Gut, das niemals verspielt werden darf. Dies gilt umso mehr im Angesicht dessen, dass wir in fünf Tagen das 80. Gedenken der Reichspogromnacht begehen werden.

Wir können heute in einer Demokratie leben. Volker Bouffier hat dazu kürzlich gesagt: „Der größte Feind der Demokratie ist die Gleichgültigkeit.“ Zur Demokratie gehört die Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative. Die Freiheiten unseres Grundgesetzes sind hart erkämpft worden: die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und die Religionsfreiheit - all diese Freiheiten erst geben uns die Luft zum Atmen.

Auf diesem Hintergrund hören wir nun den Predigttext dieses Sonntages. Er steht im Brief des Paulus an die Römer geschrieben, im 13. Kapitel. Ich lese ihn nach der Übersetzung von Martin Luther:

„Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es gibt keine Obrigkeit außer von Gott; wo es aber Obrigkeit gibt, da ist sie von Gott angeordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widersetzt sich der Anordnung Gottes. Denn vor denen, die Gewalt haben, muss man sich nicht wegen guter Werke fürchten, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes. So wirst du Lob von ihr erhalten. Denn sie ist Gottes Dienerin. Tust du aber Böses, so fürchte dich. Denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen. So gebt nun auch jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.“

Liebe Gemeinde, „jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.“ Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht - aber ich mache innerlich erst einmal einen Schritt zurück. Ich muss tief durchatmen. Diese gewaltigen Worte des Paulus drohen mich zu erschlagen. Es erschreckt mich, wie kompromisslos Paulus ist: „Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widersetzt sich der Anordnung Gottes:“ - „Wo Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet.“ Stimmt denn das?

Ich bin zutiefst befremdet. Lohnt es sich überhaupt, sich mit solchen Aussagen auseinanderzusetzen? Schauen wir doch in die Geschichte: diese Worte haben eine sehr unrühmliche Wirkung gehabt! Selten wurde ein Text so hemmungslos von Herrschern in Anspruch genommen wie Römer 13.

Könige haben ihr Gottesgnadentum darauf gegründet. Wer von Geburt an herrschte, tat das „von Gottes Gnaden“, gehörte zur gottgewollten Obrigkeit. Wehe denen, die dagegen aufbegehrten. Staatliche Ordnung wurde mit diesen Worten religiös verbrämt. Und überhöht. Dieser Text wurde auch als ein religiöses Feigenblatt benutzt für einen unmenschlichen Machtmissbrauch. Damit hieß es, es sei eine Christenpflicht, sich unterzuordnen und gehorsam zu sein; damit wurde das Recht zum Widerstand bestritten, ja selbst die Todesstrafe gerechtfertigt. Von oben wurde der Text benutzt. Und von unten musste das geglaubt werden. (Ob es nun im Feudalismus war, zur Zeit des Totalitarismus oder in den demokratiefeindlichen Regimen Lateinamerikas.) Es ist gruselig, wenn man darauf zurückblickt. Viele mutige Christinnen und Christen aber, die sich für Minderheiten eingesetzt haben, z.B. für verfolgte Juden, oder die zum Widerstand gegen Diktaturen aufgerufen haben, wie z.B. Elisabeth Käsemann, die haben sich an diesen Worten des Paulus abgearbeitet.

Da steht viel auf dem Spiel. So schlicht, wie es hier steht, kann die Wirklichkeit nicht sein. Paulusworte sind kein ewiges Gesetz des Glaubens. Auch Paulus ist ein Mensch seiner Zeit; auch er argumentiert in den Gedankenmustern seiner Zeit. Die Frage aber ist: was treibt ihn zu diesen steilen Aussagen? In der Theologie gibt es viele verschiedene Erklärungen. Mich hat diese eine überzeugt:

Paulus und die Gemeinde von Rom kennen sich nicht persönlich. Der Apostel aber hat vor, nach Rom zu reisen und von dort aus aufzubrechen und das Evangelium weiter bis nach Spanien zu tragen. Damit nun die Gemeinde Vertrauen gewinnt, schreibt er diesen Brief; und er schreibt seine theologischen Grundpositionen in den ersten 12 Kapiteln nieder. Die letzten drei Kapitel dagegen haben einen anderen Charakter. Sie sind Ermahnungen an die Gemeindeglieder, damit sie ihren Lebensalltag christlich gestalten. So entfaltet Paulus also in Römer 13 keine eigene Theorie des Staates. Vielmehr reagiert er konkret auf die Gemeindesituation, von der er gehört hat. Forscher gehen davon aus, dass es eine Gruppe von Schwärmern in Rom gab; Christinnen und Christen, gerade Frauen und Sklaven, die begeistert waren und berauscht von der neuen christlichen Freiheit. Sie hofften inständig auf das Reich Gottes. Sie erwarteten in nächster Zeit das Ende dieser Welt und die Wiederkunft Jesu. Sie wollten den römischen Staat darum nicht mehr akzeptieren und behandelten die Staatsvertreter abschätzig. Paulus befürchtete, dass diese Haltung in der Gemeinde zu anarchischen Zuständen führen könnte, dass die Gemeinde in Verruf gebracht werden könnte, in Gefahr geraten könnte.

Aus diesem Grund betont Paulus, dass Gott auch durch die weltliche Ordnung regiert und Christen aufgefordert sind, diese Ordnung zu akzeptieren. Auch die Glieder der römischen Gemeinde bleiben Bürger des römischen Reiches mit allen Rechten und Pflichten. Sie sollen ihre Abgaben zahlen, Zoll und Steuern, und mit den Staatsbediensteten freundlich und zuvorkommend umgehen. Sie sollen sich einordnen in die Strukturen. Drunterbleiben. Soweit also zu Paulus und seinen Briefpartnern in Rom.

Was aber heißt das alles nun für uns? Wir leben ja – Gott sei Dank – in einer Demokratie, einer Staatsform, die Paulus so überhaupt nicht kannte. Was bedeuten also die Ausführungen aus Römer 13 noch für unsere Zeit?

Unser Verhältnis zum Staat und zur Obrigkeit hat sich sehr verändert. Wir leben nicht mehr unter römischer Kaiserherrschaft, wir leben nach der Reformation, nach der Aufklärung. Wir konnten uns endlich – nach der Barbarei der NS-Zeit im 20. Jahrhundert – abkehren von hierarchischen Regierungsformen, nun hin zur Individualität, zur Selbstbestimmung, zur persönlichen Freiheit, zu freien Wahlen. Welch ein Glück ist das! Welch eine enorme Errungenschaft! Und unsere parlamentarische Demokratie muss nicht göttlich legitimiert werden. Sie lebt sogar vom Ausgleich zwischen verschiedenen Meinungen, von Regierung und Opposition. Unser Grundgesetz verbürgt uns in Artikel 20 sogar das „Recht auf Widerstand“, wenn die demokratische Staatsordnung angegriffen wird.

Zwei Gedanken aber bleiben wichtig aus dem alten Paulustext:

Auch als Christinnen und Christen bleiben wir Bürger unseres Staates. Wir haben Rechte und Pflichten: Steuer, wem Steuer gebührt; Respekt, wem Respekt gebührt; Ehre, wem Ehre gebührt. Dazu gehört, den Nächsten zu sehen, sich für ihn einzusetzen. Schon damals war es ein Thema mit der Abgabe der Steuern. Für uns heute heißt das z.B.: ich kann nicht die Steuererklärung frisieren, ich kann nicht den Handwerker ohne Rechnung beschäftigen und mich dann über die reichen Steuersünder empören. Wir haben Rechte und Pflichten.

Respekt, wem Respekt gebührt. Wie respektvoll gehe ich um mit Menschen, die anders glauben als ich, anders beten als ich, eine andere Meinung haben als ich?

Ehre, wem Ehre gebührt. Wie rede ich über Menschen, die ein politisches Amt wahrnehmen? Kann ich es wertschätzen, dass sie sich einsetzen für das Wohl der Allgemeinheit, der Bürger in unserer Stadt und in unserem Land? Erkenne ich es an, wie viel sie arbeiten? Wie viel Wertschätzung und Anerkennung gibt es überhaupt noch im – auch politischen – Alltag unserer Gesellschaft? Gott will keine Welt, in der die einen den anderen Ehre und Respekt verweigern. Gott will eine Welt, in der die Unterschiede von Meinungen und Einstellungen ohne Gewalt ausgetragen werden und Menschen sich mit Achtung begegnen.

Ein letzter Gedanke des Paulus bleibt für mich heute wichtig: eine Regierung, eine Obrigkeit ist selbst eine Dienerin Gottes. Das bedeutet: nicht sie ist anzubeten, nur Gott allein. Jede Regierung hat sich an diesen Maßstab zu halten und muss sich daraufhin prüfen lassen, ob ihre Gesetze dem Grundgedanken der Zehn Gebote entsprechen, ob sie die Menschenwürde unangetastet lässt und die persönliche Freiheit des Menschen genügend schützt.

Gottes Autorität, Gottes Macht, Gottes Souveränität steht höher als die jeder Regierung. Darum heißt es im Konfliktfall: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Oder in Psalm 24: „Die Erde gehört Gott und was darinnen ist, der Erdkreis und die, die darauf wohnen.“ Jede Regierung ist und bleibt Dienerin Gottes. Das hält jeden Gedanken der eigenen Vergöttlichung von ihr fern, das bewahrt sie auch vor einer unmenschlichen Maßlosigkeit. Sie darf einfach menschlich bleiben, Fehler machen und begrenzt bleiben. Die Väter der Barmer Erklärung aus dem Jahr 1934 haben dies wunderbar und treffend in ihrer 5. These auf den Punkt gebracht, wenn sie schreiben: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat die Aufgabe hat, für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser Anordnung an. Die Kirche erinnert dabei an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“

Staat und Regierung sind und bleiben immer nur das Vorletzte. Inmitten von ihnen haben wir uns als Christinnen und Christen zu bewegen und zu bewähren, zuzustimmen und zu widersprechen. Unser Ziel kann dabei nur sein, Gottes Liebe weiterzutragen und sie wachsen zu lassen. So wie Paulus es in Römer 13 zusammenfasst: „Seid niemandem etwas schuldig. Nur dieses: dass ihr einander liebt, denn wer immer andere liebt, hat schon das Gesetz erfüllt.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

zum Diakoniesonntag am 2.9.2018 von Pfarrer Dr. Ulrich Becke

Liebe Gemeinde

(Im Hintergrund Lärm hektischer Betriebsamkeit: Geschirr klirrt, halblaute Zurufe. Eine Frau tritt nach vorne, wischt sich den Schweiß mit einer etwas übertriebenen Geste von der Stirn und beginnt dann leicht kurzatmig.)

Was Sie über mich nachlesen werden, stimmt mit den Tatsachen so nicht ganz überein.

Ich stehe heute vor Ihnen, um mich endlich mal verteidigen zu können, um zu erzählen, wie es wirklich war damals, wie sich die Geschichte wahrhaftig abgespielt hat.

Manche Dinge fangen schon in unserer frühesten Kindheit an und begleiten uns dann ein ganzes Leben als Leitmotiv, auch als Erblast, je nachdem.

Wer von Ihnen Geschwister hat, kennt das ja: lass die Finger davon, das kannst Du nicht. Setz Dich lieber hin und hör zu, was die anderen sagen. Konzentration ist ja Deine große Stärke. Du bist so ein nettes ruhiges Kind. Alle mögen Dich, Du wirst es einmal leichter haben im Leben. Sei froh, dass Du so bist, wie Du bist, Mariechen.

Was ich dagegen zu hören kriegte: los. Pack an. Du bist zur Arbeit geschaffen, das ist Dein Ding. Dazu bist Du zu gebrauchen (unausgesprochen, nur gedacht im Hintergrund, aber von mir immer wieder ganz deutlich fast mit Ohren gehört: sonst bist Du ja zu nichts zu gebrauchen, Du fleißiges Ding. Letzteres weniger als Kompliment gedacht als mit milder Herablassung gesagt von oben nach unten).

Dagegen mein liebes Schwesterchen! Später hieß es denn: die hat den Verstand eines Mannes. Die könnte mitreden im Gespräch der Männer. Was die alles so versteht, was für Gedanken die sich macht. Schade, dass sie nur eine Frau ist.

Ihre Schwester hat so gar nichts gemeinsam mit ihr. Ist halt so eine Schafferin, Ist auch was wert, okay, vor allem wenn große Aufgaben anstehen. Besuch im Haus, Familienfeiern.

Sollte ich es mal wagen zu sagen: Schwesterchen, würdest Du bitte mal die große Freundlichkeit besitzen, hier beim Brotbacken zu helfen, wir kriegen Besuch. Brotbacken, Sie können hier auch einsetzen: Aufräumen, Tisch decken, Stühle herbeiholen, am Feuer stehen und umrühren, damit nichts anbrennt.

Sollte ich es also mal wagen, eine solche Zumutung an sie zu richten, dann kommt mit spitzem Unterton jeweils die immer gleiche Antwort: das ist Dein Ding. Jeder und jede, was er oder sie kann, was ihm oder ihr liegt.

Und jetzt also: ganz großer Besuch. Der Wanderprediger kommt. Gelernt hat er zwar Schreiner, aber was schaffen tut er eigentlich nicht. Nur schöne Worte findet er, und was er dringend braucht, sind Zuhörer. Und natürlich Zuhörerinnen. Die vielleicht sogar noch mehr.

Na, das ist genau was für meine Schwester. Sich gepflegt schon in die erste Reihe setzen, bevor der Besuch überhaupt ins Haus kommt. Ein aufmerksames Gesicht zurechtlegen, noch bevor das erste Wort gesprochen worden ist. Immer wieder nachhaltig nicken beim Zuhören.

Okay. Wenn das der Wahrheitsfindung dient. Soll sie doch. Aber wer stellt die Weinbecher auf den Tisch? Wer brät den Fisch, wer backt das Brot? Wer hat vorher die Stube gründlich ausgekehrt? Na, Sie wissen schon, Ihnen braucht man das nicht zu erklären.

Und wer kriegt im Hintergrund, quasi im Bereitschaftsdienst nichts mit von den schönen Worten des hohen Gastes aus Nazareth? Sie wissen schon: ich, Martha. Wie immer.

Und dann kriegen Sie die Geschichte so überliefert:

Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!

Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.

Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

Wäre das so gewesen, ich schwöre, mir wäre die Hutschnur geplatzt vor all den Leuten. Dem Wanderprediger hätte ich ins Gesicht gesagt: so, und geschmeckt hat Dir das Essen trotzdem? Und die nette Atmosphäre hier im Haus, die Ordnung und Sauberkeit, wie ich den Raum hier geschmückt habe? Das war nichts, gar nichts? Gerackert und geschwitzt hab ich – für Dich, den hohen Gast.

Und dann solche Töne von Dir:

Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

Soll ich Ihnen heute Morgen mal sagen, wie es wirklich war? Wollen Sie das mal hören?

Glauben Sie den Männern nicht, die später die Augenzeugenberichte von allem im stillen Kämmerlein gesammelt, umgearbeitet und aufgeschrieben haben. Für die waren Frauen, die sanft und still herumsitzen und einfach nur zuhören, natürlich das beste Vorbild für alle Frauen schlechthin. Hingegen Frauen, die anpacken, was leisten, was bewirken, die kommen so nicht ins Evangelium. Wäre ja noch schöner, sagten sich die Evangelisten.

Also: wie war die Szene wirklich?

Als Maria nach der etwas zu langen Predigt des ehemaligen Zimmermanns begann frenetisch zu applaudieren, sich dann mit einer Geste der Peinlichkeit die Hände vor den Mund schlug und wieder ganz, ganz demütig guckte, blickte Jesus mit kritischem Blick zu ihr hin.

Gut zugehört hast Du ja, wie war dein Name noch mal? Ach ja, Maria. Schöner Name übrigens. Meine Mutter heißt genauso.

Aber wer hat eigentlich die ganze Arbeit im Hintergrund hier gemacht? Muss ja eine ganze Zeit gedauert haben. Und hinterher wieder klar Schiff machen, auch das hat seine Zeit, wie die Bibel schon richtig sagt.

Und Du hast keinen Handstreich gerührt dabei? Und er wiegte mit kritischem Blick den Kopf.

Weißt Du, Maria, Du hast Dir Mühe gegeben, gut zuzuhören, Dir meine Worte zu merken. Aber Martha hat das gute Teil erwählt. Sie hat zugepackt und was getan aus Liebe zu ihrer Aufgabe, aus Liebe zu den Menschen, aus Liebe zum Gast.

Wo Gemeinden sich nach meinem Namen nennen werden, christliche Gemeinden, da wird man ihrer gedenken. Da wird man sagen: so sieht diakonisches Handeln aus. Dasein, wo man gebraucht wird. Zupacken, den Menschen dienen, meiner Sache dienen. Ich predige hier ja nicht einfach so rum zur Volksbelustigung.

Handeln sollt Ihr in meinem Namen – so wie Martha.

Und wenn Ihr heute auch hier in Bad Nauheim in der Dankeskirche - so heißt Eure Kirche doch, oder? -  wenn Ihr hier den Sonntag der Diakonie feiert und begeht, dann seid auch dankbar. Dankbar, dass es da schon ganz früh in dieser Gemeinde starke Frauen gab, die zupackten und handelten, anstatt nur stumm herumzusitzen.

Ein Hoch auf Frauen wie Martha, schloss der Wanderprediger seine Rede. Ich war dabei. Maria, meiner Schwester, gefällt natürlich viel, viel besser, was die sogenannten Evangelisten später aus dieser Szene gemacht haben. Aber ich Martha, war dabei und bezeuge: so war es wirklich!

Und nun geht hin und tut desgleichen.

AMEN

am 5.8.2018 von Pfarrerin Barbara Wilhelmi

Liebe Gemeinde,

traditionell wird am 10. Sonntag nach Trinitatis das Verhältnis von Christen +Juden, das Verhältnis vom christlichem zum jüdischem Glauben reflektiert. Da gibt es verschiedene Themen: Die leidvolle jüdische Vergangenheit, aber auch die Gemeinsamkeit des Alten Testamentes als Hebräische Bibel. Jedoch gibt es unterschiedliche Meinungen, wie der erste Teil der Bibel zu verstehen sei: Erfüllt sich das AT im NT? Lesen wir es im Lichte Christi? Oder wäre das nicht doch ein Vorstufendenken, welches das 1.Testament abwertet? So als ob wir mit dem Zweiten besser sähen - als ob wir es besser wüssten und die anderen belehren könnten? Ein Abschnitt aus dem Buch Jeremias nimmt diese Fragestellung auf - gibt uns eine Antwort, wie wir uns nicht gegenseitig belehren müssen oder sich die eine Fraktion über die andere setzt. Deshalb nehme ich heute noch einmal diese Frage auf, auch, weil uns die Worte aus dem Buch Jeremia uns persönlich etwas an die Hand geben , was wir in unserem Leben umsetzen können.

TEXTLESUNG:  Jeremia 31,31-35

31 Siehe, es kommen Tage – spricht Gott – da werde ich mit dem Hause Israel und dem Hause Juda einen neuen Bund schließen. 32 Nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe, damals, als ich sie bei der Hand nahm und aus dem Lande Ägyptens heraufführte. Diesen Bund – meinen Bund – sie haben ihn gebrochen, obwohl ich ihr Herr war, spricht Gott. 33 Sondern das ist der Bund, den ich mit dem Hause Israel nach jenen Tagen schließen werde, spricht Gott. Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und ihnen in ihr Herz hinein schreiben, und ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. 34 Dann brauchen sie sich nicht mehr gegenseitig zu belehren und einer zum anderen sagen: „Erkennet so Gott!“ Sondern sie alle werden mich erkennen, klein und groß, spricht Gott. Denn ich vergebe ihre Schuld und denke nicht mehr an ihr Fehlverhalten. 35 So spricht Gott, der die Sonne zur Leuchte für den Tag gemacht und den Mond und die Sterne als Leuchten der Nacht eingesetzt hat, der das Meer aufwühlt, so dass seine Wogen brauchen. Gott (Jahwe) Zebaoth ist sein Name.

Im Buch Jeremia erinnert Gott an den Bund mit den Menschen Israels. An der Hand habe er die Menschen an der Hand aus Ägypten geführt. Auf dem Berg wurden an die Menschen die Tafeln mit den Gesetzen übergeben. Das Gesetz in vielen Geboten und Verboten.. Vorschriften bis ins Detail - später aufgefächert – über 600, eine Fülle... Dagegen hatten sie verstoßen und wahrscheinlich war es dem Propheten Jeremia klar, dass man gegen so viele Verordnungen verstoßen muss...

Diese Art von Bund, der das richtige Verhalten der Menschen in Vorschriften zu regeln versucht, ging schief. Was erst so einfach erschien, es entweder so  machen müssen oder andererseits nicht so machen zu dürfen, entpuppte sich als nicht machbar. Im Endeffekt sind es alles Menschen und die konnten und können das nicht einhalten. Das kann man nur verfehlen und als Ergebnis steht dann der Verstoß, die Strafe, das Versagen – und eine Vorstellung von Gott als eine strenge Strafinstanz, die sie bis in die siebte Generation hinein noch strafen könnte.

Jeremia scheint das nicht zu gefallen. Er weiß, dass Gott nicht so bleibt, sondern sich barmherzig zeigt.. Jer.31,34: Denn ich vergebe ihre Schuld und denke nicht mehr an ihr Fehlverhalten..

Gott lässt Menschen nicht in ihrem Fehlverhalten sitzen: Ein neuer Bund zwischen Gott und Mensch wird kommen auf einer anderen, neuen Grundlage: Das Gesetz nicht mehr auf steinerne Tafeln eingeritzt, auf unbeweglicher Materie. Das Gesetz wird nun ins Innere eines jeden Menschen eingepflanzt - ins Herz geschrieben. Eine neue Religionsgemeinschaft (mit Gott), in der keiner den anderen belehrt: „(Nur) so ist es richtig“.. „So musst Du Gott erkennen... sondern es geht um die ethische Grundhaltung in sich selbst. Die Überzeugung, ins Herz und ins Innere geschrieben, kommt anders aus den einzelnen Menschen heraus, als durch Lehrsätzen und Verordnungen: Das Gesetz - gefühlt, wird zum Mitgefühl, es weiß um die eigenen Ängste, um die Gefahr des Versagens –  und wird so zur Menschlichkeit. Das Ziel des Gesetzes: Friede und Gerechtigkeit unter den Menschen – bekommt durch jeden einzelnen einen ganz persönlichen Anstrich.

Es ist eine Utopie, von der Jeremia schreibt. Das gab es damals noch nicht. Mehr noch:

Es ist eine Verheißung in die Zukunft und sie geht auch weiter als bis zu Jesus Christus.

Sie bleibt messianisch, denn Jesus sprach ja auch vom zukünftigen Reich Gottes, von dem die ersten Christen glaubten, dass es in der Zukunft auf sie zukommt, in einer umgedrehten Zeit bei der Wiederkunft Christi. „Keiner wird den anderen lehren“ – wir erinnern uns an unsere Ausgangsfrage nach dem Alten und Neuen Testament...

Eingepflanzt ins Herz – ins Innnere (Luther übersetzt: „in den Sinn“), was  Gottes Wille ist.

Die meisten ethischen Grundregeln spüren wir ja auch schon in unserem Inneren.. Sie müssen nicht gelehrt werden. Aber, obwohl  schon auf dem richtigen Weg, sind wir noch nicht da angekommen, dass die Werte Gottes in der Welt so richtig spürbar sind: Der Shalom im Frieden, in der Gerechtigkeit. Wir nehmen es eher umgedreht aktuell wahr.

Gottes Schöpfungskraft – ist in uns eingepflanzt, sodass wir selbst Verantwortung tragen und schöpferische Wege finden. Da ist uns also kein Vorschriftenwerk mehr die Sicherheit und die Gebotebrecher stehen als nicht als Hauptpersonen in der Aufmerksamkeit.

„Denn ich vergebe ihre Schuld und denke nicht mehr an ihr Fehlverhalten“ , lässt Jeremia Gott sagen: Ich gebe es dir in deinen Verantwortungsbereich, das Leben der Menschen miteinander, das Leben mit den Pflanzen und Tieren... Ihr werdet aus dem Gesetz in eurem Herzen aus eurem Inneren handeln.

Wenn wir nachdenken, sind wir eigentlich schon nahe dran, denn wir spüren in unserem Gewissen oft, was richtig und falsch ist. Aber wir halten uns gerne gerade an die Gesetze oder fehlende Verordnungen, die so vieles noch erlauben, weil sie in unserer Gesellschaft auf andere Ziele  ausgerichtet sind: z.B. auf ständiges Wachstum oder auf die renditegewährende Ausbeutung der Schwachen. Im Persönlichen sieht das dann so aus: Wir kaufen das billige Fleisch und wissen im Inneren, dass es aus Massentierhaltung kommt... Es ist ja nicht verboten!  Oder wir kaufen die Marken, von denen wir in unserem Inneren wissen, dass die Waren auf Kosten von Menschen in Bangladesh produziert werden....  Aber bei diesen Beispielen wäre die Veränderung noch verhältnismäßig leicht, die in unserem Inneren gespürte Eigenverantwortung umzusetzen.

Aber es gäbe da ja noch mehr... Wie ist das umzusetzen, was mein Inneres – mein Herz weiß? Wie kann mein Herz mich lenken? Auf jeden Fall ist es nicht so leicht, wie es der kleine Prinz aus dem Buch von Antoine d´Excupery ausspricht: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Nein, so einfach ist es nicht. Die meisten Patienten aus der Rehaklinik für Herzkrankheiten berichten erst einmal von einem Schrecken, den sie bekommen haben, wenn sich das Herz meldet.

Sie erschrecken nach einem Herzinfarkt und nach einer Herz-OP über die Plötzlichkeit, mit der das Leben aus sein kann – und sie erschrecken auch über die jähe Erkenntnis ihrer falschen Prioritäten, die sie vorher im Leben gesetzt hatten, über die fehlende Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Inneren, gegenüber der Sprache des Herzens... Sie erschrecken über die Hetze in ihrem Leben, über das besinnungslose Einerlei des Alltags.

Was will denn mein Herz? Das ist gar nicht so leicht hervorzubringen.  Kann ich eigentlich mein Leben so verantworten, wenn es jetzt plötzlich aus gewesen wäre? Was ist die Mitte des Lebens?  - das sind die neuen Fragen plötzlich.  Auf jeden Fall sieht man die Dinge anders, wenn das Herz im Mittelpunkt stehen darf. Und das Innere gespürt wird und entscheiden darf: Sollten wir das wagen – mit Gottes Hilfe? 

Lassen wir noch einmal die Patienten der Reha-Klinik zu Wort kommen, die sich nicht haben entmutigen lassen vom Schrecken, was Ihr Inneres nun sagt: Da fragt sich dann ein 60 Jähriger:

Was will ich nun mit meinem Leben anders machen? Ab heute sage ich „Nein“, meint eine andere.

Sie schaut schon auf die Zeit nach der Reha und beschließt: Meine Zeit ist die Zukunft, denn Dreiviertel meines Lebens gehört ja schon der Vergangenheit.   

Man möchte dieser Frau zurufen: Ja, es geht um die Zukunft, denn so fingen die Worte Jeremias auch an: „Siehe, es kommen Tage – spricht Gott“,

dann, wenn das Innere zu Wort kommen darf in jedem Menschen, kann etwas Neues geschehen..

Diese Verheißung möge uns alle bewegen.

„Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und ihnen in ihr Herz hinein schreiben, und ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein... Denn ich vergebe und denke nicht mehr an ihr Fehlverhalten,... 35 So spricht Gott, der die Sonne zur Leuchte für den Tag gemacht und den Mond und die Sterne als Leuchten der Nacht eingesetzt hat, der das Meer aufwühlt, so dass seine Wogen brauchen. Gott, Jahwe Zebaoth, ist sein Name. 

AMEN

am 22.7.2018 von Pfarrer Rainer Böhm

Liebe Gemeinde,

vor einigen Jahren war ich mit meinen Kindern über ein langes Wochenende in München. Im englischen Garten, sonntags sahen wir dort zum ersten Mal vollverschleierte muslimische Frauen. Es war eine kleine Gruppe, die an uns vorbei ging, während wir im Biergarten saßen. Sie trugen alle eine Burka, wie ich später lernte. Sie wirkten auf mich wie Außerirdische. Sehr befremdlich damals. Nicht weit entfernt lagen völlig nackte Menschen auf einer Wiese in der Sonne.

Der Journalist Yahya Al-Aous ist ein Flüchtling aus Syrien. Er schreibt jetzt für deutsche Zeitungen. Zum Beispiel die Süddeutsche und das Handelsblatt. Er berichtet über alltägliche Begegnungen wie diese:

Al-Aous, seine Frau und die neunjährige Tochter stehen an einer Bushaltestelle in Berlin. Da sehen sie gegenüber ein junges Liebespaar. Die beiden sind eng umschlungen und tauschen heiße Küsse aus – als seien sie allein auf der weiten Welt. Zum ersten Mal sehen die Eltern und ihr Kind so etwas in der Öffentlichkeit. Die anderen Menschen an der Bushaltestelle scheinen sich nicht im Mindesten daran zu stören. Keiner schaut hin. Nur die kleine Tochter. Automatisch legt sich die Hand des Vaters über ihre Augen. Es ist schwer für die Eltern, dem Kind derartige Situationen zu erklären. In Syrien sind sie einfach nicht vorstellbar. In Berlin wird die Tochter des Journalisten auf dem Schulweg noch andere küssende Paare beobachten; Frauen in kurzen Röcken; Verliebte Männer, Hand in Hand.

So ähnlich ist es Paulus gegangen. In der antiken Hafenstadt Korinth, an der Meerenge zum Peloponnes, war alles etwas anders als in seinen anderen Gemeinden. Ein Schmelztiegel verschiedenster Kulturen und Ideen, von Menschen aus aller Welt. Möglicherweise gab´s in der Hafenstadt Prostitution. Das war dort moralisch unproblematisch – so wie in Hamburg auf der Reeperbahn. Allerdings auch nur für die Männer. Wenn Paulus also von Moral schreibt, dann beschreibt er dabei Männer, die andere körperlich ausnutzen oder abhängig machen oder sich selbst in solche Abhängigkeiten begeben.

Auch in diesem Korinth finden sich Menschen zu einer Gemeinde zusammen. Es ist ja auch eine große Neuigkeit, die mit dem Christentum kommt: Gleichheit zwischen Herr und Sklave, Kind und Frau, weil alle Menschen sind und Kinder Gottes.- Aber diese Botschaft fällt in Korinth auf einen schlechteren Boden als in den anderen Gemeinden, die Paulus gegründet hat. Hier leben Menschen, Männer genauer gesagt, die davon ausgehen, dass Freiheit überhaupt keine Grenzen hat. Ihnen schreibt er:

„9 Wisst ihr nicht, dass die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder

10 noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben.

11 Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.

12 Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.

19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört?

20 Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leibe.“

Freiheit hängt also nicht nur mit dem Kopf und dem Geist, sondern auch mit der Seele und dem Körper zusammen, sie ist nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch.

Maßstab einer Partnerschaft ist vor Gott nicht das Geschlecht, sondern die Liebe zueinander. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir in der Kirche das verstanden haben. Aber heute fragen wir uns, warum uneheliche Kinder jemals ein Problem waren und warum Frauen in kurzen Röcken in Deutschland bespuckt worden sind. Wir fragen uns, wie es geschehen konnte, dass Frauen in unserer Kirche so lange keine Leitungsämter haben durften. Und wie konnte es geschehen, dass unsere Kirche keinen Segen hatte für gleichgeschlechtlich liebende Paare? Wir haben viel gelernt.

In unsrer Geschichte haben etliche Freiheit gepredigt und eine Bauchlandung erlitten. Luther zum Beispiel. Durch die wachsende Bevölkerungszahl und gleich hohe Abgaben wurden die Bauern damals immer ärmer. Ihnen kam Luther mit der Freiheit eines Christenmenschen gerade Recht. Die Bauern ziehen los, begehren auf, berufen sich dabei auf Luther.

Eigentlich haben sie ja Recht, denkt Luther – aber so hat er es doch auch nicht gemeint. Er sieht die Missstände – aber die Bauern sollen sich unterordnen. Er hat Freiheit gepredigt, aber nicht Gewalt. Dass Ungerechtigkeit und Unterdrückung strukturelle Gewalt bedeuten – das kann Luther nicht sehen. Er hilft, die alte Ordnung wiederherzustellen.

Paulus und Luther, zwei Denker der Freiheit. Aber was, wenn die Menschen ihre Freiheit nutzen, um anderen und sich selbst zu schaden? So wie Kinder, die ständig das Weite suchen, auf der Flucht sind, sobald sie nur krabbeln können. So dass man alles vor ihnen sichern und abschließen muss. Wie erziehe ich mein Kind zwischen Freiheit und Grenzen? Soll ich ihm die Hand vor dir Augen schieben, wenn es ungebührliches sehen könnte? So wie es der syrische Journalist gemacht hat?

Das ist die neue Realität: eine Zwickmühle. Auf der einen Seite Freiheit, auf der anderen Ordnung, Grenzen und Verantwortung. Der syrische Journalist entscheidet sich für die westliche Lebensform. Das ist ein langer Lernprozess für diese Familie. Und er schließt uns als Einheimische mit ein, wie ich es im Englischen Garten gemerkt habe, konfrontiert mit den Burka tragenden Frauen und später mit den Unbekleideten dort in München.

Yahya Al-Aous möchte seine Tochter frei aufwachsen sehen und zugleich als Vater beschützen. Beides passt nicht immer zusammen – diese Spannung müssen Eltern aushalten. Er würde seine Frau niemals an einer Bushaltestelle öffentlich küssen. Er wird sich auch nicht die Haut tätowieren oder sich Ringe ins Gesicht nieten lassen. Aber andere tun es und sollen es tun dürfen. Das gehört zur Universalität der Menschenrechte.

Wer den neuen Film über Papst Franziskus gesehen hat (Ein Mann seines Wortes, Regie Wim Wenders) der findet darin eine wunderschöne Erläuterung: Wie schon Martin Luther geht auch Papst Franziskus der Frage nach: „wie kann ich gleichzeitig frei sein und Gottes Willen tun? Seine Antwort ist die Liebe:

„Ehrliche Liebe kann ich nur geben, wenn ich mich dazu frei entscheide.“ sagt er. „Das allerdings beinhaltet auch, dass Fehler passieren. Dass auch Böses geschieht. Weil Menschen sich in ihrer Freiheit eben auch falsch und egoistisch verhalten.“

Alles ist mir erlaubt. Ich kann mich entscheiden, wenn das Maß, mit dem ich mich meine Entscheidung treffe, die Liebe ist. Also der Blick auf den Anderen. Denn mit diesem Maßstab wird klar: Es ist nicht alles gut, auch wenn es erlaubt ist.

Wie hätten die Korinther entschieden mit diesem Maßstab? Die Korinther, die am Hafen ihr Geld durchbrachten und ihre Familie daheim sitzen ließen? Die Korinther, die die anderen angeschwärzt haben?

Paulus hat entschieden mit dem Maßstab der Liebe:

„Ihr seid alle Gottes Kinder, von ihm geliebt und befreit. Und deshalb seid Ihr mir alle lieb und wert. Mit allem, was zu Euch gehört. Als ganze Menschen. Ihr seid teuer erkauft, darum preist Gott mit Eurem ganzen Leben, auch mit Eurem Leib. Lasst Gottes guten Geist in Euch wohnen und Euch von ihm in Bewegung bringen. Und wer gesündigt hat, der findet bei Gott immer wieder einen neuen Anfang. So wie auch ich.“ Amen.

Fürbitte

Gott, du hast Tag und Nacht gemacht, die Ordnung der Zeit, damit wir uns zurechtfinden. Wir bitten dich für die, die nur das Licht sehen und sich vor der Nacht fürchten. Und für die, die im Dunkeln zu leben glauben und sich vor dem Licht der Realität fürchten. Du bist die Liebe, dir wenden wir uns zu.

Gott, die Welt hat viele Wörter – und auch dein Wort. Dein Wort im Menschenwort, deine Liebe in der menschlichen Liebe. Wir bitten dich für die, die sich aus der Welt zurückziehen mit frommen Gedanken, die Realität nicht sehen wollen. Und für die, die nur noch auf Menschenwort hören und taub sind für dich. Du bist die Liebe, dir wenden wir uns zu.

Gott, du befreist Kleine wie Große. Es liegt Macht in unseren Händen über andere, mehr oder weniger. Wir bitten dich für die, die ihre Macht auszunutzen und menschliche Grenzen nicht achten. Und für di Ängstlichen, die sich nur in ihren eigenen engen Grenzen frei fühlen können. Du bist die Liebe, dir wenden wir uns zu.

Gott, viele von uns haben Verantwortung, als Eltern und Paten, im Beruf, im Ehrenamt. Wir bitten dich für die, die Für und Wider abwägen, Maßstab gegen Maßstab, aber die Liebe nicht sehen. Und für die, die blind sind für jedes Aber. Du bist die Liebe, dir wenden wir uns zu.

Gott, du hast Tag und Nacht gemacht, die Ordnung der Zeit, damit wir uns zurechtfinden. Dennoch sind viele entwurzelt, suchen Schutz und eine neue Heimat. Wir bitten dich für die, die bei uns heimisch werden und unser Leben verstehen wollen. Und für die, die Hilfe erwarten. Du bist die Liebe, dich beten wir an.

zum Examensgottesdienst am 24.6.2018 von Vikarin Anne Kampf

Liebe Gemeinde,

haben Sie schonmal versucht, das Licht zu fotografieren? Das geht schlecht. Ich habe es gemerkt, als ich hier in die Johanneskirche kam, um ein Foto von dem großen Fenster zu machen. Das geht deswegen schlecht, weil an einer Stelle ganz viel Licht durchleuchtet – jedenfalls, wenn die Sonne scheint. Das meiste Licht leuchtet durch die Mitte, wo Jesus abgebildet ist, halb untergetaucht, weil er gerade im Jordan getauft wird. Auf dem Foto scheint Jesus so hell, dass das Licht überläuft. Ich vermute, das hat der Künstler, Bruno Müller-Linow, extra gemacht: Jesus leuchtet hell: Da muss noch was in ihm oder hinter ihm sein. Etwas mit viel Energie. Etwas Rätselhaftes, das man nicht greifen kann. Dem kommen wir heute auf die Spur, wenn wir über die Taufe nachdenken.

Im Predigttext ist von zwei verschiedenen Taufen die Rede. Ich lese aus der Apostelgeschichte Kapitel 19, die Verse 1-7.

Es geschah aber, als Apollos in Korinth war, dass Paulus durch das Hochland zog und nach Ephesus kam und einige Jünger fand.
Zu denen sprach er: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, als ihr gläubig wurdet? Sie sprachen zu ihm: Wir haben noch nie gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt.
Und er fragte sie: Worauf seid ihr denn getauft? Sie antworteten: Auf die Taufe des Johannes.
Paulus aber sprach: Johannes hat getauft mit der Taufe der Buße und dem Volk gesagt, sie sollten an den glauben, der nach ihm kommen werde, nämlich an Jesus.
Als sie das hörten, ließen sie sich taufen auf den Namen des Herrn Jesus.
Und als Paulus ihnen die Hände auflegte, kam der Heilige Geist auf sie und sie redeten in Zungen und weissagten.

Eine interessante Begegnung in Ephesus. Ich sage kurz was zum Ort des Geschehens, damit die Szene verständlicher wird. Ephesus war Hafenstadt und Handelsmetropole der antiken Welt. Viele verschiedene Menschen lebten dort, auch verschiedene Religionen. Der Apostel Paulus hat hier auf seiner zweiten Missionsreise eine christliche Gemeinde gegründet. Jetzt kommt er auf seiner dritten Reise nochmal vorbei.

Paulus trifft einige Männer, die Christen sein könnten. Aber er ist nicht sicher und fragt deshalb sehr direkt und unvermittelt: „Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, als ihr gläubig wurdet?“ Damit ist klar: Das hier ist kein Small Talk. Hier geht es um existentielle Dinge. In der Frage steckt eine Aussage: Echte Christen sind die, die am Anfang ihres Glaubensweges den Heiligen Geist empfangen haben.

Tja – was nun? Hat irgendjemand von Ihnen den Heiligen Geist empfangen? „Wer ist denn überhaupt der Heilige Geist?!?“, fragte mich eine Verwandte, als ich ihr von dem Predigttext erzählte. „Gibt es den überhaupt?“ Sie fragte so ähnlich wie die Jünger in unserem Predigttext: „Wir haben noch nie gehört, dass es einen Heiligen Geist gibt.“

Paulus erklärt ihnen nicht, wer der Heilige Geist ist. Sondern er fragt weiter: „Worauf seid ihr denn getauft?“ Die Männer müssen sich vorkommen wie in einem Kreuzverhör, so wie Paulus hier seine Fragen abfeuert. „Auf die Taufe des Johannes“, antworten sie.

Aha, denkt sich wohl Paulus, die Leute hier sind offenbar nicht ganz up to date. Haben wohl nicht mitbekommen, dass es mittlerweile eine neue Taufe gibt. Ob der Prediger Apollos dahinter steckt? Der könnte sie hier in Ephesus getauft haben, und der ist auch nicht immer auf dem neuesten Stand. Diese Leute brauchen wohl ein paar Informationen. Paulus informiert die Jünger so: „Johannes hat getauft mit der Taufe der Buße und dem Volk gesagt, sie sollten an den glauben, der nach ihm kommen werde, nämlich an Jesus.“

Ziemlich knapp, die Infos von Paulus. Ich erlaube mir, zu ergänzen: Johannes der Täufer, dessen Tag wir heute feiern, war ein besonderer Mensch. Nicht nur, weil er in der Wüste lebte, einen groben Fellmantel trug und Heuschrecken aß. Ich stelle ihn mir mutig und zielstrebig vor. Ein Prophet, der genau wusste, was sein Auftrag war. Johannes predigte laut dem Lukasevangelium mit harten Worten: „Ihr Otterngezücht, wer hat gesagt, dass ihr dem Gericht Gottes entgehen werdet?“ (Lk 3,7b) – und hatte Erfolg mit seiner Predigt. „Was sollen wir tun?“ (Lk 3,10), fragten ihn die Leute, und Johannes ermahnte sie: „Teilt eure Kleidung und euer Essen mit den anderen und tut niemandem Gewalt an!“ (Lk 3,11.14). Die sich ändern wollten, die tauchte er im Jordan unter – als Zeichen. Einige Leute fragten ihn: „Bist du der Messias, auf den wir warten?“ – „Bin ich nicht“, antwortete Johannes. „Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber der, der stärker ist als ich; (…) der wird euch mit dem Heiligen Geist (…) taufen.“ (Lk 3,16)

„Wer ist denn überhaupt der Heilige Geist?!?“ Und wie kann man mit ihm taufen? Man kann ihn ja nicht in eine Flasche füllen und dann über einen Menschen ausgießen wie Wasser. Man kann ihn auch nicht im Bild festhalten oder erklären. (…) „Du kannst ihm vielleicht begegnen, wenn du dich auf ihn einlässt“, habe ich meiner Verwandten vorgeschlagen. „Wenn du einfach mal so tust, als wäre er da.“

So ähnlich machen es die Jünger in unserer Szene: Als sie das hörten, ließen sie sich taufen auf den Namen des Herrn Jesus. Und als Paulus ihnen die Hände auflegte, kam der Heilige Geist auf sie und sie redeten in Zungen und weissagten.

Ach, wie ist das schön und praktisch! Man könnte fast neidisch werden: Kaum sind sie getauft, ergießt sich der Geist über diese Männer. Jetzt wissen sie alles, was sie vorher nicht wussten, jetzt haben sie was zu erzählen. Die Worte sprudeln nur so aus ihnen heraus. Man hört und sieht, dass da was passiert ist.

War das bei Ihrer Taufe auch so? Die meisten sind vermutlich als Baby getauft worden. Wenn Sie dabei prophetisch geweissagt hätten, dann würde man das in Ihrer Familie sicher bis heute erzählen…

Als ich getauft wurde, war ich 14 und das Taufwasser tropfte auf meine Brille. Sonst ist da nichts passiert. Es ergoss sich kein Geist über mir, ich redete nicht in Zungen und fühlte mich nicht besonders erleuchtet. Alles, was ich hörte, waren die Worte des Pfarrers, alles, was ich sah, waren Wassertropfen, und alles, was ich empfand, war peinlich. Als ich wie ein begossener Pudel wieder in der Kirchenbank saß, hörte ich von rechts neben mir ein Flüstern: „Ich bin froh, dass ich jetzt getauft bin.“ Eva war das, eine Klassenkameradin und Mitkonfirmandin. In dem Moment fand ich es ganz komisch, was sie da sagte. Erst später habe ich verstanden: Ihr bedeutete dieser Moment wirklich etwas. Sie hat etwas gespürt bei ihrer Taufe – mehr als Wasser am Kopf.

Später, irgendwann in einer Gruppenstunde im CVJM, ging auch mir ein Licht auf und ich merkte, dass etwas anders geworden war in meinem Leben. Ich trage seitdem ein Kreuz um den Hals und bin irgendwie … stolz darauf. Ich bin so fest Teil der Gemeinschaft, dass ich nicht einfach wieder gehen könnte. Mein Einsatz wird gebraucht und wertgeschätzt. Ich spüre, dass eine besondere Kraft uns Getaufte zusammenhält.

Jedes Mal, wenn ich mit Wasser den Staub von meiner Brille abspüle, werde ich daran erinnert: Getauft zu sein auf den Namen des Herrn Jesus – das macht einen Unterschied!

Was genau ist der Unterschied? Der Apostel Paulus versucht es zu erklären und verwendet dafür drei Bilder. Das erste im Römerbrief klingt ziemlich krass: Wir sind „in seinen Tod getauft“, „mit ihm begraben“ (Römer 6,4-3). Bei der Taufe wird ein Mensch im Wasser untergetaucht, als ob er stürbe. Dann taucht er wieder auf – so, wie Christus auferstanden ist. Der Täufling geht den Weg Jesu symbolisch nach – bis in den Himmel.

Doch schon das irdische Leben wird neu und anders: „Ihr alle, die die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen“ (Gal 3,27) ist das zweite Bild von Paulus, aus dem Galaterbrief. „Angezogen“ wie ein neues schickes Hemd. Das macht selbstbewusst und zeigt nach außen hin: „Ich gehöre dazu! Ich bin ein Kind Gottes!“ Niemand kann übrigens einem getauften Menschen sein neues Hemd wegnehmen.

Da sind viele Leute mit neuen Hemden: Als Getaufte sind wir nicht allein! „Wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft“ (1Kor 12,13), so schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. Ein Leib – nicht nur eine lockere Gemeinschaft, bei der man kommen und gehen kann, wann man will. Nein: ein Leib, bei dem Arme und Beine und Augen und Ohren zusammenhängen, bei dem jedes Teil gebraucht wird. Durch die Taufe sind wir Körperteile am Leib Christi geworden. Es ist der Heilige Geist, der diesen Christusleib erschaffen hat und zusammenhält.

Begonnen hat das alles  hier – mit dieser einen, besonderen Taufe, mit diesem einen besonderen Täufling, Jesus von Nazaret. Dieses eine Mal tauft Johannes nicht nur mit Wasser. Diese besondere Taufe ist der Moment, in dem der Heilige Geist kommt und sich an Jesus bindet. Seit diesem Moment hat die Taufe ihre neue Kraft.

Unser Johannesfenster leuchtet übrigens in zwei Richtungen: Tagsüber von außen hinein in die Kirche, quasi als eine Tauferinnerung: „Das ist mein lieber Sohn“ (Mt 3,17), sagt Gottes Stimme in dieser Szene. Wer auf den Namen Jesu getauft ist, dem gilt das ebenso: „Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind.“ (Röm 8,16)

Und am Abend, wenn es drinnen hell ist und draußen dunkel, dann leuchtet das Licht heraus aus unserer Kirche. Die Menschen sehen es und mögen sich fragen, was da wohl so leuchtet. So wie Johannes der Täufer geben wir Zeugnis von Jesus Christus: als Untergetauchte und Wiederauferstandene. Als Menschen, die „Christus angezogen“ haben. Als Gemeinde, die wir „durch einen Geist alle zu einem Leib getauft“ (1Kor 12,13) sind.

am 17.6.2018 von Pfarrer Rainer Böhm

Liebe Gemeinde,

der 1. Johannesbrief bietet uns Bilder an für Gott. Menschliche Vorschläge, Metaphern, die uns das Gottesverständnis dieser urchristlichen Gruppe und dieser Zeit näher bringen und die mir sehr gefallen.

Die Bibel steckt voller solcher Bildangebote an uns. Natürlich sind sie nicht verboten. „Du sollst dir kein Bildnis machen“ – das bedeutet, wir sollen uns keine Ersatzgötter basteln und sie anbeten wie die Israeliten das Goldene Kalb. Das wäre ein animistisches Gottesverständnis, das mit der jüdisch-christlichen Gottesvorstellung überwunden ist. Aber bildliche Vorstellungen braucht der Mensch.

„Gott ist die Liebe“, bietet der 1. Johannesbrief uns woanders als Deutung an. Und in unserem heutigen Predigttext: „Gott ist Licht“. Aber in diesem Briefabschnitt geht es auch um Wahrhaftigkeit, um Finsternis und Lügen und Sünde. Der biblische Text ist etwas düster, ich lese ihn vom Beginn des 1. Johannesbriefes:

Und das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis.

6 Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln doch in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. 7 Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde.

8 Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. 9 Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. 10 Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.

Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. 2 Und er selbst ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt. 3 Und daran merken wir, dass wir ihn erkannt haben, wenn wir seine Gebote halten. 4 Wer sagt: Ich habe ihn erkannt, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht. 5 Wer aber sein Wort hält, in dem ist wahrlich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, dass wir in ihm sind. 6 Wer sagt, dass er in ihm bleibt, der soll so leben, wie er gelebt hat.

Das war ziemlich viel und oft „Sünde. Was ist Sünde überhaupt? Bei uns kommt dieses Wort nur noch umgangssprachlich vor. Wir sprechen von Fehlern, die wir gemacht haben oder es ist einfach etwas schief gegangen.

Wir sündigen nicht bei einem Stück Torte zu viel, das ist in der Tat ein Fehler. Wir sündigen deshalb auch nicht bei einem guten Glas Wein oder der Freude am Feiern – das ist Ausdruck von Lebendigkeit. Selbst die Heilige Teresa von Avila sagte schon: Tue deinem Körper Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ Also was bleibt da noch als Sünde?

Das Wort Sünde kommt wahrscheinlich vom germanischen Wort Sund. Sund ist die Trennung zweier Landmassen durch eine Meerenge. Sünde ist also eine Trennungserfahrung. Sündigen bedeutet, sich zu trennen, in Trennung zu leben von der Gemeinschaft, zu der ich gehöre, von meinen Nächsten, von mir selbst und auch von Gott. Sünde ist Entfernung von Gott.

Gnade ist dagegen, wenn es passt: Ich passe zu mir selbst, zu meinen Nächsten und auch zu Gott. Es ist Gnade, wenn etwas übereinstimmt. Solche Harmonien, Übereinstimmungen, Balancen sind schön auch im ästhetischen Sinn. Deshalb gefällt mir das italienische Wort dafür so gut: Gracie, was nicht nur Gnade bedeutet, sondern auch Anmut und Dank.

„Licht ist dein Kleid das du an hast“. So haben wir eben im Psalm gebetet. Das ist für mich einer der schönsten Bibelverse. Die Bibel ist voller Lichtgeschichten und Bilder: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.“ Die Weisen aus dem Morgenland folgen einem Stern. Jesus sagt: Ihr seid das Licht der Welt. Und von sich selbst sagt Jesus ja auch: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsternis.“

So schön das Bild vom Licht ist: ist Gott nur so? Oder legen wir ihn damit fest? Machen wir ihn damit kleiner, als er in Wahrheit ist? Und ist in ihm nicht vielleicht beides: Licht und Finsternis? Ich denke an Menschen, die Gott auch als fern und unverständlich erleben, zB in einer Erkrankung oder nach dem Verlust eines Menschen. Sie weigern sich, alles Böse nur dem Menschen zuzuschreiben und Gott nur als strahlend zu begreifen.

Der Gott, den wir als Licht sehen, kann uns trösten und gibt uns Orientierung auf unserem Weg. Der Gott, in dem wir Licht und Finsternis erkennen bildet zugleich auch die schweren Seiten unseres Lebens ab und vereinigt sie in sich. Er entlastet uns Menschen auch ein stückweit davon, für alles auf der Welt verantwortlich zu sein. Gott ist anders. Der Gott, für den wir Bilder suchen, aber der sich in kein menschliches Bild einfügen lässt, nötigt uns dazu, Ungewissheiten auszuhalten und die Frage nach Gott offen zu halten. Wir sind nicht einfach fertig mit ihm, das Bild ist wohl etwas komplizierter, als es uns der Brief vor Augen stellt.

Ein König auf den Philippinen hatte zwei Söhne. Um zu entscheiden, wer sein Nachfolger werden sollte, stellte er ihnen eine Aufgabe: „Wer es schafft, die Halle bis zum Abend zu füllen, soll mein Nachfolger werden.“ Und er gab jedem eine Goldmünze. Da ging der erste los, sah die Bauern in der Maisernte, und kaufte ihnen das Stroh ab und ließ die Halle damit füllen bis zur Decke.

Der Vater betrachtete sich das Ergebnis, lobte den Sohn und lies alles wieder hinaus schaffen für sein zweites Kind. Das kam in die Halle und überreichte dem Vater das Goldstück. „Das habe ich nicht gebraucht.“ Dann stellte der Sohn in die Mitte der Halle eine kleine Kerze, und ihr Licht erfüllte den ganzen Raum – und natürlich wurde er der nächste König.

Das Licht der Welt – ich denke  eigentlich eher an ein kleines Licht, nicht gleich an die Sonne. Gottes Licht bescheint uns nicht gnadenlos. Gott lässt uns gleichsam im besten Licht erscheinen. In diesem milden Licht bekomme ich einen humorvollen, ironischen Abstand zu mir selbst. Als würde ich selbst zu mir sagen: „Das sieht dir mal wieder ähnlich.“ Da ist friedlicher und entspannter, als laufend gegen die eigenen Fehler und Sünden kämpfen zu wollen, gegen das Böse in uns selbst.

Bei der Sünde geht es um Wahrhaftigkeit. Um ehrliche Selbstreflexion: zu sehen, dass zwischen dem, wie Gott uns gemeint hat und dem, wie wir leben, ein Bruch ist. So erkennen wir, dass wir als freie Menschen uns immer wieder verstricken: in Situationen und Konflikte, uns verheddern im Miteinander, in unseren alltäglichen Beziehungen und Erwartungen.

Jedes Vater Unser bietet uns die Möglichkeit und enthält den Anspruch, das eigene Handeln zu überprüfen: wo liegt meine Schuld, wo habe ich zu vergeben; was sind meine wirklichen Versuchungen; wo liegt mein Anteil am Bösen in der Welt.

Manches haben wir mehr zu verantworten, manches weniger, aber immer leiden wir und die anderen darunter. Wenn wir uns das vor Augen führen und eingestehen, dann geht es weiter.  Dann gehen wir wieder in die Beziehung zu Gott, dann passt es wieder.

Das Licht der Welt: Ich brauche nicht hell zu scheinen, ein kleines Licht genügt. Ich bin auch nicht für jede Dunkelheit verantwortlich. Ich brauche mich nicht zu verstecken, und ich muss mich auch nicht überfordern. This little light of mine – ich lasse das kleine Licht scheinen aus mir. Und die Welt wird etwas heller, man sieht es.

zu den Jubelkonfirmationen 2018 von Pfarrer Rainer Böhm

Liebe Jubelkonfirmanden, liebe Gemeinde,

Gott hat eine Wohnung. Das ist eine uralte, menschliche Vorstellung! Gott hat ein Haus. Das ist sein Heiligtum. Dort begegnen wir ihm, dort finden wir seine Nähe und können zu ihm beten, eine Kerze anzünden, innere Ruhe finden. Hier in unserer Dankeskirche, die es all die Jahre gibt, die sich ein wenig geändert hat, umgestaltet, mit der Zeit gegangen wie wir selbst ja auch.

Das Lied, das wir eben gesungen haben, benutzt diese alten Bilder. Es gehört im Gesangbuch zu meinen Lieblingsliedern. Man singt davon, wie schön und sicher, heil und gut das Leben ist, wenn es nah bei Gott geschieht. Bei ihm zu wohnen, in seinem Haus zu sein, das ist einfach schön!

Diese Entdeckung, dass Gott versprochen hat, uns zu begleiten, ist der Anlass für das dankbare Zurückblicken auf eine Konfirmation. Damals, vor 60, 65, 70 und 80 Jahren Jahren wurden Sie hier und einige woanders konfirmiert. Nach dem Krieg waren die Geschenke noch nicht üppig: es gab Taschentücher, Geschirrtücher. Es gab noch kaum Kühlschränke, deshalb wurden die Kuchen im Keller gelagert. Sie waren froh, ordentliche Kleider und Schuhe zu haben - manches war auch ausgeliehen. Es war eine Zeit, als man sich über ein Carepaket aus den USA freute, als so mancher Vater oder ältere Bruder im Krieg geblieben war.

Sie haben damals „ja“ gesagt zu Ihrer Taufe und damit zu Gott. Im Vertrauen, dass Gott alle Wege begleitet, wo immer sie auch hinführen. Lange Wege mitunter, in entfernte Ecken unseres Landes, unseres Kontinentes, unserer Welt.

Der Zeitraum, den wir überblicken, ist in seiner Art unglaublich vielfältig gewesen.

Die Älteste unter Ihnen wurde noch vor dem Krieg konfirmiert. Zehn Jahre später standen Sie 1948 unter dem Eindruck des Krieges. Überstanden war er, mit furchtbaren Folgen. Zerbombte Städte, kaputte Kirchen, aber das Fest der Konfirmation wurde gefeiert. Welche Ängste, welche Not war damals in Ihnen? Gab es das Gefühl des Aufbruchs? Es gab wieder Ziele, es gab wieder die Möglichkeit, eine Zukunft zu haben. Bei den Diamantenen Konfirmanden 1958 hat das deutsche Wirtschaftswunder schon so langsam begonnen.

Wie haben Sie die Türen, die Pforten geöffnet, als Sie einzogen in Ihr Gotteshaus damals? Nach einer Prozession damals noch durch die Stadt, an der WiKi haben sich alle getroffen und sind hierher marschiert. Heute erinnern Sie sich daran. Vielleicht spüren Sie, dass Gott weite Wege mit Ihnen zurückgelegt hat. Sie haben viele Pforten, viele Türen aufgetan. Türen des Lebens waren es. Dazwischen sind es sicher hin und wieder die Pforten einer Kirche gewesen, durch die Sie gegangen sind.

Türen des Lebens.

EG 166,3.4

Leben ist Zeit. Leben, das sind Bilder, die ich erinnere. Momente, die ich bewahre, Räume, die ich betrete.

Menschen gehen von Raum zu Raum. Lebensraum, der erobert und dann wieder verlassen wird. Dazwischen sind Türen, die wir mehr oder weniger energisch auftun. Schon mit der Geburt.

Wenn der Mensch Glück hat, dann findet er draußen eine gute Stube vor. Ein kleines Zimmer, das allmählich zur Welt wird. Der Mensch erobert mit allen Sinnen diese Kinderzimmer-Welt. Riechen, schmecken, hören. Sehen, anfassen und begreifen. Ach, die Welt ist aufregend!

Bald entdeckt er, dass diese Welt Türen hat. Die Eltern versuchen, sie geschlossen zu halten, vor Gefahren zu schützen. Aber Neugierde ist menschliche Natur schlechthin. Die ersten Versuche, die Tür zu öffnen, scheitern. Der Mensch plumpst auf den Hintern, den gut gepolsterten.

Dann kommt der große Tag, an dem der Mensch die erste Tür selbstständig öffnen kann. Eine neue Welt liegt vor ihm. Es ist immer die Frage, ob wir es wagen können, diese neuen Welten zu erobern. Wagen wir den Schritt über die Schwelle? Noch gibt es Eltern, die aufpassen. Noch leben wir behütet.

Welche Türen gibt es noch in Ihrer Erinnerung?

Die Speisekammertür? Verboten, weil der Inhalt unglaublich kostbar war? Die Weihnachtszimmertür, hinter der geheimnisvolles Geschehen zu hören war. Gab es bei Ihnen auch eine Weihnachtsglocke, die ins Zimmer rief … das Christkind war da?

Das große Portal, das den Beginn der Schulzeit kennzeichnet, kann man nicht allein öffnen. Dazu muss die Zeit reif sein. Einschulung oben in der Stadtschule an der Wilhelmskirche, die heute so schön renoviert da steht und nur noch Grundschule ist. Neugierde? Angst? Räume, in denen das Wissen wohnt. Lange Gänge gibt es, merkwürdige Gerüche kennzeichnen die Schulen. Menschen, die unterrichten. Manche werden verehrt, manche werden gefürchtet. Schuljahre, in denen dieses Portal dann bald selbstverständlicher Durchgang geworden war.

Irgendwann verlässt man die Schule, und das Portal schließt sich. In dieser Zeit liegt auch der Gang zur Kirche, um den Konfirmationsunterricht zu besuchen. Neue Welten liegen vor den Menschen, unterschiedliche Wege. Es gab den strengen und den lieben Pfarrer.

Manch einer klopft an die Tür eines Meisters, um die Lehre zu beginnen. Oder das Lernen geht auf der Schulbank weiter, nur, dass es jetzt Studium heißt. Aber auch hier gibt es Türen, die aufgemacht werden müssen. Die Angst vor der Prüfung am Ende dieser Zeit, das wird wahrscheinlich in allen Jahren dasselbe geblieben sein.

Andere Türen sind wichtig geworden. Türen, hinter denen das Glück wohnt. Klopfende Herzen beim Klingeln. O je, der Vater öffnet! Ob ich die Tochter sprechen kann? Stotternde Worte machen deutlich, wie wichtig diese Begegnung ist. Hände berühren sich. Eine neue Tür wird aufgestoßen.

Wieder ist es wohl die Kirche gewesen, in die man eingezogen ist, die Dankeskirche vielleicht wieder, Jahre nach der Konfirmation hier. Feierlich, aufgeregt und geschmückt. Mann und Frau feiern ihr Glück. Manch eine wird über die Schwelle getragen, hinein in einen neuen Lebensraum. An die Tür, die nun gemeinsame, wird ein neues Namensschild geschraubt. Und das Leben geht weiter.

Neue Menschen werden geboren, getauft, Familien wachsen. Türen öffnen sich und schließen sich. Es gibt inzwischen Kinder, Enkel und bei vielen auch Urenkelkinder.

Es kommt die Zeit, in der ich darüber nachdenken kann, durch wie viele ich gegangen bin. Mit knapper Not durch manche noch schnell gerutscht. Bei anderen bin ich froh, wenn ich nicht daran erinnert werde! Sie bedeuten Abschied, Trennung und Schmerz. Andere konnte ich genießen!

Uns allen stehen noch so manche Türen bevor. Frohe und traurige Türen - aber durch alle, wirklich alle, können wir mutig und getröstet gehen, denn unser Gott geht mit. So, wie er uns getragen, geholfen und gestützt hat - ohne dass wir oft darüber nachgedacht haben.

Heute aber denken wir daran und wir sagen „danke“. Danke, Gott, für deine Hand, die uns hält und trägt, die uns stützt und tröstet.

„Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“

EG 166,5.6

zur Goldenen Konfirmation 2018 von Pfarrer Dr. Ulrich Becke

Liebe wenige Goldjubilare und natürlich -jubilarinnen,

schön, dass Sie heute hier sind, dass Ihr hier seid, und herzlichen Dank dafür!

Konformiert vor 50 Jahren im so symbolträchtigen Jahr 1968, das wir alle nun freilich nicht in Berlin, Frankfurt oder Paris oder anderen im wahrsten Sinne Brenn-Punkten erlebt haben.

Ich versuche mich zu erinnern, 1968 in Oberhessen auf dem Lande.

Einer meiner Klassenkameraden fällt mir ein: Realschüler, der jeden Tag ganz ohne Bücher und Gepäck in schlampiger Kleidung und mit langen Haaren verspätet zum Zug zog, der ihn in die Schulstadt brachte, nach Alsfeld.

Die an Sprachlosigkeit grenzende und täglich neu gepflegte Verblüffung meiner Mutter: ja, wie kann denn der so was? Dass da seine Eltern nichts sagen?

Meine Cousine, die aus dem im Vergleich zum Hessendorf fast weltstädtischen Kassel-Wilhelmshöhe zu Besuch kam und von den Studentenunruhen in Paris erzählte.

Ein Referendar in Alsfeld, der – so völlig gegen den Trend des Kollegiums – ebenfalls langhaarig eines Tages mit einem kleinen Transparent über den Schulhof zog, auf dem stand „Radfahren auf dem Schulhof verboten“, eine Art Humor der inneren Emigration auf dem Lande. Mit seinem antiautoritären Unterrichtsstil ist er krachend bei den Schülern gescheitert, die darauf so gänzlich unvorbereitet waren. Er soll später eine ruhigere Laufbahn an der Uni in Kassel gefunden haben.

Und wenige Jahre später dann die rote Kaderschmiede Philipps-Universität, weniger in der Theologie, als in der Politikwissenschaft, wo der Streit über Marx- und Lenin-Zitaten über die recht wahre und einzige Lehre tobte.

Die Streiter von damals sind längst Schulleiter im Ruhestand – oder Schulamtsdirektorinnen.

Der Predigttext zum heutigen Pfingstmontag im Sendschreiben an die frühe Christengemeinde in Ephesus in der heutigen Türkei:

Und auch die versprochenen Gaben hat Gott ausgeteilt: Er hat die einen zu Aposteln gemacht, andere zu Propheten, andere zu Evangelisten, wieder andere zu Hirten und Lehrern der Gemeinde. Deren Aufgabe ist es, die Glaubenden zum Dienst bereitzumachen, damit die Gemeinde, der Leib von Christus, aufgebaut wird.

So soll es dahin kommen, dass wir alle die einende Kraft des einen Glaubens und der einen Erkenntnis des Sohnes Gottes an uns zur Wirkung kommen lassen und darin eins werden – dass wir alle zusammen den vollkommenen Menschen bilden, der Christus ist, und hineinwachsen in die ganze Fülle, die Christus in sich umfasst.

Wir sind dann nicht mehr wie unmündige Kinder, die kein festes Urteil haben und auf dem Meer der Meinungen umhergetrieben werden wie ein Schiff von den Winden. Wir fallen nicht auf das falsche Spiel herein, mit dem betrügerische Menschen andere zum Irrtum verführen. Vielmehr stehen wir fest zu der Wahrheit, die Gott uns bekannt gemacht hat, und halten in Liebe zusammen. So wachsen wir in allem zu Christus empor, der unser Haupt ist.

Er hat die einen zu Aposteln gemacht, andere zu Propheten, andere zu Evangelisten.

Was, liebe Goldenen Konfirmanden ist aus uns geworden in den letzten 50 Jahren? Hätten wir uns das damals gedacht, es ahnen können? Aus mir ist nun allerdings weder Apostel noch Prophet geworden noch Evangelist, gerade mal Pfarrer in der Wetterau…

Vieles haben wir alle lernen und erfahren können, ja auch lernen und erfahren müssen in dieser Zeit. Das hat uns, auch wo es weh tat, gewiss klüger und erfahrener gemacht, so wie Paulus damals schreibt:

Wir sind nicht mehr wie unmündige Kinder, die kein festes Urteil haben und auf dem Meer der Meinungen umhergetrieben werden wie ein Schiff von den Winden. Wir fallen nicht auf das falsche Spiel herein, mit dem betrügerische Menschen andere zum Irrtum verführen. 

Das können wir heute unterschreiben, jeder und jede von uns allen.

Doch was ist mit den anderen ziemlich vollmundigen Worten?

So soll es dahin kommen, dass wir alle die einende Kraft des einen Glaubens und der einen Erkenntnis des Sohnes Gottes an uns zur Wirkung kommen lassen und darin eins werden - dass wir alle zusammen den vollkommenen Menschen bilden, der Christus ist, und hineinwachsen in die ganze Fülle, die Christus in sich umfasst.

Wo bitte sind wir eins auch nur dieser Gemeinde hier? Wo gar eins mit den anderen, die das nicht glauben können oder wollen, was Christen zu bekennen versichern immer wieder?

Verbindet uns wenigstens so eine Art Minimalverbindlichkeit: die Enkel werden getauft (oder eben auch nicht…): Weihnachten gehört irgendwie die Kirche auch dazu, unter Umständen engagiert sich sogar der eine oder die andere im Kirchenchor, in der Pfadfinderei, ja gar im Kirchenvorstand. Aber das sind dann schon eher die seltenen Exoten

– dass wir alle zusammen den vollkommenen Menschen bilden, der Christus ist, und hineinwachsen in die ganze Fülle, die Christus in sich umfasst.

Oh, oh, das sind nun aber ganz große Worte und weit weg von uns allen heute Morgen!

Nein, nicht hier und heute, nein auch nicht übermorgen und in Nieder-Mörlen. Ganz am Ende eines sehr langen Weges, dessen Ende wir nicht mehr erleben werden, mag das stehen, so Gott will. So wie ja selbst die frühen Christen keinesfalls so gelebt haben, wie es in der Bibel steht:

Sie hielten in gegenseitiger Liebe zusammen, sie feierten das Mahl des Herrn, und sie beteten gemeinsam. Gott ließ durch die Apostel viele Staunen erregende Wunder geschehen.

Alle, die zum Glauben gekommen waren, bildeten eine enge Gemeinschaft und taten ihren ganzen Besitz zusammen.

Tag für Tag versammelten sie sich einmütig im Tempel, und in ihren Häusern hielten sie das Mahl des Herrn und aßen gemeinsam, mit jubelnder Freude und reinem Herzen.

Zu schön, um wahr zu sein, viel zu schön…. Keine Realität, sondern eine Utopie, ein Noch-Nicht, ein Noch-Lange-Nicht, das aber die Richtung vorgibt. Und auf diesem Weg dahin sind wir im Blick zurück ein gutes Stück vorangekommen

Mein Freund und Mitstreiter bei Jazz & Texte, Hermann Römer, hat das in unserem vorigen Programm so formuliert:

Die 68er haben Deutschland verändert wie später nur noch die Wiedervereinigung. Es ist ihnen gelungen, der erstarrten Wirtschaftswundergesellschaft den Mief der 50er Jahre auszutreiben, die Gesellschaft offener für Veränderung zu machen. Dazu gehörte nicht zuletzt auch die sexuelle Revolution, die der Bürgerschaft ihre Verklemmtheit nahm. Das kulturelle Leben wurde um ein Vielfaches bunter, die Frauenbewegung bekam neuen Schwung, Reformen im gesamten Bildungswesen wurden angestoßen, und die Forderung nach antiautoritärer Erziehung der Kinder führte wenigstens dazu, dass die Prügelstrafe an den Schulen abgeschafft wurde. Und es gab Langzeiterfolge:

Die Deutschen wurden toleranter, die Beseitigung des totalen Abtreibungsverbots, die Bestrafung von Homosexualität und vieles andere mehr wäre ohne die 68er nicht denkbar gewesen, und die tolerantere Grundhaltung führte zu einer Stärkung des demokratischen Bewusstseins.  Das „Miteinander“ wurde gefördert und das war schön.

Und, liebe Gemeinde und liebe Jubilare: ist das nichts? Ich wiederhole: ist das nichts?

Bewahren wir uns den langen Atem der Hoffnung, die Lichtfunken des Glaubens, bewahren wir uns die Träume, die Flügel der Phantasie! Gott helfe uns allen dabei!

AMEN

zur Konfirmation am 13.5.2018 von Vikarin Anne Kampf

Die Predigt bezieht sich auf das Lied „Jesus in my house“ von Judy Bailey, © 2000 Dyba Music, Essen; Nr 124 im Gesangbuch „EGplus“.

 

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Festgemeinde.

„Jesus in my house“, das Lied wolltet ihr als Konfi-Gruppe unbedingt singen. Auf unserer Freizeit in Mücke und in eurem Vorstellungsgottesdienst. Es ist „euer Lied“ geworden. Deswegen möchte ich heute mit euch darüber nachdenken, was das eigentlich bedeutet: „Jesus in my house“.

Ihr habt doch gar kein Haus, kein eigenes. Aber vielleicht hättet ihr manchmal gerne eins? Ein kleines Häuschen, wo du allein wohnst und machen kannst, was du willst. Es wäre dekoriert mit Bildern oder Postern, die du schön findest. Du würdest Musik hören, die dir gefällt - leise oder laut. Selbstverständlich gäbe es WLAN in allen Zimmern, und zwar immer, ohne Ausfälle. Vielleicht würdest du öfter mal Pizza bestellen und Freundinnen und Freunde einladen. Ab und zu würdest du lieber die Vorhänge zuziehen und die Tür abschließen. Ganz allein sein in deinem Haus.

Denk dir mal dein Haus als dein Lebens-Haus. Dein Leben.
Darin kannst du tun, was du willst und reinlassen, wen du willst.

Stell dir vor, eines Tages klopft es an deiner Haustür.

„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ (Offenbarung 3,20)

Das sagt Jesus im Buch der Offenbarung.

 „Ich stehe vor der Tür und klopfe an.“ Quatsch, denkst du jetzt vielleicht, was soll das, Jesus ist doch längst drin in meinem Haus, der braucht nicht mehr von außen zu klopfen. Okay, prima, wenn das so ist, dann ist ja alles gut. Dann kann ich ja jetzt aufhören zu predigen. Aber ich glaube, ganz so einfach ist das nicht. Bei mir zum Beispiel war das so: Als ich zwölf Jahre alt war, hab ich das Klopfen an meiner Tür gehört. Richtig laut. Ich hab erstmal gezögert und nachgedacht – und schließlich die Tür geöffnet. Habe Jesus reingelassen in mein Haus. Aber irgendwie scheint er trotzdem manchmal nicht da zu sein. Ist er zwischendurch wieder gegangen? Und ich hab gar nicht gehört, wie die Tür zuschnappte? Dann hab ich ein schlechtes Gewissen. Ich hab mich wohl zu wenig um ihn gekümmert, war zu viel mit anderen Sachen beschäftigt. Geht euch das auch so? Nach meiner Erfahrung bleibt Jesus aber nicht weg. Er gibt immer wieder die „chance to start again“. Er kommt wieder und klopft wieder an. 

„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“

„… meine Stimme hören…“ In dem Bibelvers steht gar nicht, was Jesus sagt. Ob er ungeduldig ruft: „Sofort aufmachen! Sonst trete ich die Tür ein!“ oder leise und freundlich bittet: „Mach auf, ich möchte gern bei dir sein.“ Da steht nur: „Wenn jemand meine Stimme hören wird …“. Ich glaube, er sagt zu jedem Menschen was anderes. Nämlich das, was wir gerade am dringendsten brauchen. Ich glaube, Jesus weiß das: Ob du gerade schwerwiegende Fragen hast und einen brauchst, der mit dir diskutiert. Ob du gerade glücklich bist oder traurig und einen brauchst, der mit dir lacht oder weint. Ob du dich gerade ganz nutzlos fühlst und jemanden brauchst, der sagt: „Ich hab noch was mit dir vor!“ Ich glaube, wenn Jesus vor deiner Tür steht und anklopft, dann hörst du seine Stimme und verstehst auch, was er sagt.

„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“

„… die Tür auftun…“ Vielleicht willst du sie gar nicht aufmachen, deine Haustür. Weil du nämlich nicht aufgeräumt hast in deinem Haus. Überall liegt irgendwas herum. Lauter Sachen, die niemand sehen soll: Das schlechte Gewissen wegen des blöden Streits mit deiner Freundin, von dem du gar nicht weißt, wie er eigentlich angefangen hat. Das quälende Gefühl in deiner Klasse, in der du nicht so richtig weißt, wo da eigentlich dein Platz ist. Die Gedanken an Mathe und Deutsch und Französisch, wofür du dringend lernen musst, wozu du aber heute wirklich keine Lust hast. Diese ganzen unaufgeräumten Sachen würde Jesus ja sehen, wenn er jetzt reinkäme!

Angenommen, du würdest es trotzdem wagen und die Tür einen kleinen Spalt öffnen. Jesus würde den Kopf reinschieben und die Stirn runzeln und rufen: „Um Himmels Willen, wie sieht es denn bei dir aus! Das ist ja voll ungemütlich. Komm, lass uns aufräumen. Ich helfe dir.“ Und schon wäre er drin und würde eine To-Do-Liste machen: „Als erstes rufen wir deine Freundin an und klären diesen blöden Streit. Danach denken wir zusammen über deine Klasse nach, was da eigentlich läuft. Und dann hast du auch wieder den Kopf frei für Mathe und vielleicht dann morgen für Deutsch und Französisch. Das kriegen wir alles hin!“

„Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“

Wenn ihr fertig aufgeräumt habt, Jesus und du, dann bekommt ihr so langsam Hunger. Aber bevor du in die Küche gehst und nachschaust, ob noch was im Kühlschrank ist, hörst du Jesus sagen: „Schon gut, ich hab alles dabei. Wir brauchen ja nur Brot und Traubensaft.“ Denn er ist es, der dich einlädt! Und zwar nicht zu einem normalen Abendessen, von dem du nur im Bauch satt wirst. Sondern zu einem Abendmahl, von dem du in der Seele satt wirst. So satt, dass du dich innerlich ganz ruhig und geborgen und sicher fühlst. Satt einfach davon, dass Jesus bei dir ist. Dann wirst du dir vielleicht wünschen, dass er bleibt. Als Mitbewohner in deinem Haus. Jesus in your house: All of your life and always will be.“

zur Konfirmation am 6.5.2018 von Pfarrerin Meike Naumann

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
liebe Festgemeinde,

manchmal überfällt mich bei der Vorbereitung eines solchen Gottesdienstes die Wehmut und ich werde nachdenklich und frage mich dann, was von meiner Arbeit eigentlich zurück bleibt.

Klar, ich bin heute sehr glücklich, dass ihr alle konfirmiert werdet. Die vergangenen Monate mit euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, waren eine tolle Zeit. Wir haben uns kennengelernt und sind zu einer Gruppe zusammengewachsen. Wir hatten unsere Höhe und Tiefen und wir haben viel gelacht, aber auch ernsthaft gesprochen. Und ich denke schon, dass wir die wesentlichen Inhalte des christlichen Glaubens gemeinsam erarbeitet und sie auch mit dem Herzen und den Händen begriffen haben, nicht nur mit dem Kopf. Im Unterricht und in den Projekten, die ihr euch ausgewählt hattet. So dass ihr heute ganz bewusst euer „Ja“ zu diesem Glauben sprechen könnt.

Und dennoch frage ich mich: Was wird bleiben? Ist das nur mein frommer Wunsch als Pfarrerin, dass ihr heute sagt: „Ja, die Sache mit dem Glauben, die hat schon was, da will ich dran bleiben“ – und jetzt sage ich das mal etwas im Kirchendeutsch – „und mich auch weiterhin zur christlichen Gemeinde halten?“ oder sollte ich der harten Realität ins Auge sehen und mich mit der Hoffnung begnügen, dass wenigstens etwas von dem, was wir besprochen haben, bei euch, ja, in euch hängen geblieben ist.

Vielleicht ist diese Hoffnung auch völlig hinreichend, vielleicht braucht es auch nicht mehr als das. Diese Hoffnung, dass bei euch und in euch etwas hängen bleibt, etwas, das euch im Leben und im Sterben begleiten kann. Etwas, das euch mehr ist als Erinnerung an eine – hoffentlich- gute Zeit. Etwas, das euch Orientierung im Leben geben kann und das euch ein Hinweis auf etwas ist, das größer ist als alle Schrecken und Ängste des Lebens.

Und das mit dem Hängenbleiben, das meine ich ganz wörtlich, nicht nur im übertragenen Sinn. Es soll etwas an euch hängenbleiben – nämlich dieses Kreuz hier, mit dem eingravierten Fisch. Dieses Kreuz mit Fisch werdet ihr nachher bei eurer Segnung geschenkt bekommen.

Ein Kreuz mit Fisch? Warum ist da ein Fisch eingraviert? Hätte das Kreuz allein nicht gereicht? Ist denn nicht das Kreuz das eigentliche Erkennungszeichen von uns Christinnen und Christen? Ja, stimmt schon, das Kreuz steht im Zentrum unseres Glaubens. Aber das Kreuz als Symbol hat ein paar Jahre gebraucht, um sich in der Alten Kirche durchzusetzen. Es war ja ein Folter- und Tötungsinstrument des römischen Reiches. Vorher hatte man andere Symbole unter anderem eben auch den Fisch.

In einer Zeit, in der es lebensgefährlich sein konnte, sich zum christlichen Glauben öffentlich zu bekennen, konnte man einem anderen seine Glaubensüberzeugung mitteilen, indem man einen harmlosen Fisch in den Staub oder in den Sand malte. Für einen Nichtchristen blieb der Fisch ein Fisch und er mag sich allenfalls gewundert haben. Für eine Christin aber hatte der Fisch eine besondere Bedeutung und sie wusste, sobald die andere in positiver Weise darauf reagierte, dass sie eine Glaubensgenossin gefunden hatte.

Der in den Staub gemalte Fisch war eine versteckte Frage an den anderen: „Glaubst du, dass Jesus Christus, Gottes Sohn, unser Retter ist?“ Irgendein schlauer Christ aus dieser Zeit hat nämlich gemerkt, dass im Griechischen die Anfangsbuchstaben der Worte „Jesus“, Christus“, „Sohn“ und „Retter“ zusammengesetzt ein neues Wort ergeben, und zwar genau das griechische Wort für „Fisch“ – ICHTHYS

Wenn ihr also den Fisch tragt, ist das ein Glaubensbekenntnis in kürzester Form. Der christliche Glaube eingedampft und reduziert auf die fünf Worte: Jesus, Christus, Gottes Sohn, Retter. Klar, das wisst ihr jetzt, der christliche Glaube beinhaltet noch viel mehr als das. Aber solange ihr nur das wisst und in eurem Herzen behaltet, dann wisst ihr schon fast alles, was man überhaupt von christlichen Glauben wissen muss.

Wie ihr gemerkt habt, geht es in diesem kurzen Bekenntnis ausschließlich um die Person Jesu. Im Konfi-Unterricht haben wir uns auch immer wieder mit Jesus beschäftigt, mit dem, was er getan und dem, was er gesagt hat. Was Jesus gesagt hat, geht bis heute unter die Haut und ist meistens wohltuend und aufbauend. Manchmal aber auch richtig ärgerlich. Selbst diejenigen, die ihn nicht als Sohn Gottes verehren, können ihn wenigstens als „guten Menschen“ und als moralisches Vorbild anerkennen. Für uns Christinnen und Christen ist er aber vielmehr.

Sein Vorname, Jesus, den seine Eltern ihm ausgesucht haben, war ein ganz normaler Vorname in der damaligen Zeit. Wir alle haben unsere Namen von unseren Eltern. Meistens deshalb, weil der Name den Eltern gefallen hat, weil er schön klingt und gut zum Nachnamen passt. Manchmal werden Namen aber auch ganz bewusst gegeben, weil sie eine Bedeutung haben, zum Beispiel eine positive Charaktereigenschaft benennen, die dann die Trägerin des Namens hoffentlich auch annimmt. Dann ist der Name Programm – und das war auch bei Jesus der Fall. In seiner Namensnennung kommt das schon zum Ausdruck, was seine ihm von Gott zugedachte Lebensaufgabe sein sollte. Sein hebräischer Name lautet im Deutschen nämlich: Gott ist die Rettung.

Der Name „Jesus“ soll uns aber auch daran erinnern, dass wir es in unserem Glauben nicht mit irgendeiner frommen Idee oder eine Märchen zu tun haben, sondern mit einer Person, die vor 2000 Jahren tatsächlich gelebt hat. Wir bekennen uns damit zu einer Geschichte, die sich wirklich zugetragen hat.

„Jesus“ ist sein Vorname, sein Rufname. Das bedeutet aber nicht, dass „Christus“ sein Nachname, sein Familienname ist. Christus ist ein Titel, den andere ihm gegeben haben. „Christus“ ist die griechische Übersetzung des hebräischen „Messias“ und das bedeutet „der Gesalbte“. In diesem Titel sind alle Hoffnungen und Erwartungen des immer wieder verschleppten und gedemütigten und versklavten Volkes Israel konzentriert: Wann wird endlich der kommen, der uns erlöst, der uns aufhilft, der uns befreit? Wir Christen glauben, dass in Jesus dieser Christus gekommen ist.

Wir glauben aber nicht nur, dass Jesus ein bemerkenswerter Mensch war. Wir glauben an ihn als Gottes Sohn. So wichtig es für unseren Glauben ist, dass Jesus ein echter Mensch war, mit allen Sorgen, Ängsten und Schmerzen, mit aller Freude und Lebenslust – genau wie wir – so wichtig ist es für uns gleichzeitig, dass er nicht nur ein Mensch war, sondern , dass er Gottes Sohn ist. Das ist deshalb wichtig, weil es jemanden braucht, der von außerhalb kommt, der nicht vorgeprägt ist vom Denken unserer Welt. Denn nur so kann es zu einer echten Erneuerung kommen. Und weil er außerhalb von Raum und Zeit existiert, kann er uns auch heute noch nahe sein und uns helfen.

Das letzte Wort das in dem Begriff Ichthys / Fisch verschlüsselt ist, ist gewissermaßen Jesu Berufsbezeichnung: Retter! Das ist das, wozu er in die Welt gekommen ist. Seine Lebensaufgabe, sein Auftrag für diese Welt und für uns: Uns herauszuhelfen aus den schlimmen Verstrickungen unseres Lebens, uns zu befreien aus den selbstgemachten Gefängnissen, uns herauszuführen aus Bedrückung und Schuld in ein Leben in Freiheit vor Gott.

Wenn wir uns zu Christus halten und wir deshalb Christen genannt werden, dann soll auch für uns dieser Name Programm sein. Wer den Fisch trägt oder in diesem Fall das Kreuz mit dem eingravierten Fisch, der geht damit auch eine Verpflichtung ein. Der sagt: Ich will mein Leben nach den Maßstäben Jesu leben. Ich will mich jeden Tag dieser Herausforderung stellen. Mal wird es mir leicht fallen, an anderen Tagen schwerer.

Wer sich ehrlich bemüht, so zu leben, der lebt nicht einfach nach dem, was man so denkt, redet oder tut. Wer sich ehrlich bemüht so zu leben, der folgt der Stimme seines Gewissens und seines Herzens.

Wer sich ehrlich bemüht so zu leben, der führt ein ehrliches Leben, auch wenn es viele andere um euch herum mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Wenn Fake News zum normalen Tagesgeschäft gehören.

Wer sich ehrlich bemüht so zu leben, der verbreitet Hoffnung und gibt die Welt und unsere Gesellschaft nicht verloren, auch wenn viele andere Pessimismus verbreiten.

Wer sich ehrlich bemüht, so zu leben, der prüft Entscheidungen und fragt danach, was in den Augen Gottes in der einen oder anderen Situation das Richtige ist.

Wer sich ehrlich bemüht, so zu leben, der weiß sich zu Dank verpflichtet, der hat auch etwas zum Danken, weil er weiß, dass alles, was er ist und hat, ein Geschenk Gottes ist.

„Ich hatte Konfirmation“ – und alles, was ich bekommen habe war dieses Kreuz mit dem eingravierten Fisch.“ Soll das etwa alles gewesen sein, was euch von eurer Konfirmation bleibt? Nein, denn das wichtigste kommt erst noch: der Segen Gottes. Wir haben das vorher besprochen und auch mal ausprobiert, damit nichts schief geht, wenn ihr gleich hier vor dem Altar gesegnet werdet. Ich werde euch die Hände auflegen und euch segnen mit den Worten:

Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist schenke dir seine Gnade:

Schutz und Schirm vor allem Bösen,

Stärke und Hilfe zu allem Guten,

dass du bewahrt wirst im Glauben.

In diesen Segen mündet der Weg, der mit eurer Taufe begonnen hat und dann seid ihr vollberechtigte Mitglieder eurer Kirche, mit allen Rechten und Pflichten, die ein Christenmensch in dieser Welt hat. Wenn ihr dann aufsteht, dann seid ihr Gesegnete Gottes. Mit diesem Segen werdet ihr sozusagen in euer neues Leben hinein entlassen, werdet wie Fische ins Wasser geworfen. Und nun ist es an euch, zu schwimmen.

Das müsst ihr aber nicht allein. Gott hat versprochen, euch auf eurem Lebensweg zu begleiten. Daran soll euch euer Kreuz mit dem Fisch erinnern. Jesus, der Christus, der Sohn Gottes, ist euer Retter. Mit eurem JA, das ihr heute sprecht, vertraut ihr euch diesem Retter an – heute und alle Tage eures Lebens. Amen.

zu Karfreitag am 30.3.2018 von Vikarin Anne Kampf

Predigt zu Lukas 23,32-49

Liebe Gemeinde,

da stehen sie. Da stehen sie direkt unter dem Kreuz. Oder etwas weiter weg. Der Evangelist Lukas baut eine Szene auf wie in einem Schauspiel. Das Bühnenbild zeigt einen Hügel außerhalb der Stadt. Es ist Freitagmittag, einen Tag vor dem großen Fest. Das zentrale Motiv sind drei Kreuze. In der Mitte Jesus. Rechts und links von ihm zwei Verbrecher. Unter den drei Kreuzen stehen Ratsherren, römische Soldaten und ein Hauptmann. Drumherum das Volk. Etwas weiter weg seine Freunde und – extra erwähnt – die Frauen, die ihn begleitet hatten. Da stehen sie alle in diesem Szenenbild.

Ich lade Sie ein, sich in Gedanken dazuzustellen, Ihren Standpunkt zu suchen. Schauen Sie zur Mitte, zu dem Kreuz, an dem Jesus hängt. Warum?, mögen Sie zurückfragen, was hat die Szene denn mit mir zu tun? Ich weiß, der Anblick ist schrecklich. Der Tod steht uns vor Augen, ein langsames, grausames Sterben. Da schauen wir jetzt hin. Und nicht weg. Denn es hat etwas mit uns zu tun.

Wo ist unser Standpunkt? Zu wem wollen wir uns stellen?

Stellen wir uns zu dem Volk, das zur Schädelstätte gekommen ist, um mitzukriegen, was hier passiert? In einer Stimmung zwischen Neugier und Entsetzen…  Wirklich die Höchststrafe für ihn? Einige aus dem Volk hatten das so gefordert, hatten mitgerufen „Kreuzige ihn“. Das war die Szene vorher. In unserer Szene geht es nicht mehr darum, wer seinen Tod eigentlich gefordert hatte. Das Volk jedenfalls ist jetzt still, steht da und sieht zu, was passiert. Tut so, als ginge sie das alles nichts an. Aber so unbeteiligt werden wir nicht bleiben, wenn wir uns zum Volk stellen.

Oder gehören wir zu denen, die spotten: „Er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes, der Juden König.“ Nein, so spotten würden wir nicht. Aber hinter dem Spott stehen ja Fragen. Und die Fragen an sich sind doch berechtigt: Was ist das für ein seltsamer „Auserwählter Gottes“, der über Leben und Tod offenbar keine Macht hat? Der die grausamste Strafe erleidet, ohne das überhaupt zu kommentieren? Was ist das für ein Gott, der seinen Sohn sterben lässt? Warum sollen wir glauben, dass er der Christus ist? Ist er es wirklich? Wer ist dieser Mann?

Der zweite Verbrecher, der da neben ihm hängt, der hat schon eine Antwort gefunden, nein zwei Antworten, jedenfalls in der Szene von Lukas. Erste Antwort: „Ich hänge hier zu Recht - du aber zu Unrecht.“ Sind wir bei dem Verbrecher, der weiß, dass er schuldig geworden ist? Dem deutlich vor Augen steht, was er getan oder auch versäumt hat zu tun? Dem klar geworden ist, dass er sein Leben vermasselt hat? Er würde gern nochmal neu anfangen, aber dafür ist es jetzt zu spät. Ihm bleibt nur, seine eigene Gottverlassenheit zu benennen und auszuhalten. Sind Sie bei ihm?

Dann haben Sie allen anderen in dieser Szene was Entscheidendes voraus. Nicht nur die Erkenntnis über die eigene Schuld. Sondern auch die Erkenntnis über den, der da in der Mitte hängt: „Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen“, steht beim Propheten Jesaja über den leidenden Gerechten geschrieben. „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. (…) Durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jes 53,4-5). Dass dieser Gerechte so stirbt, hat etwas mit mir, mit uns allen zu tun. Das weiß der Verbrecher in Lukas‘ Schauspiel schon. Und er weiß auch schon, was kommen wird: ein ewiges Friedensreich mit Jesus als König. Stellen Sie sich zu dem, der sich nach Vergebung und Annahme sehnt?

Dann ist da der Hauptmann, ein Centurio der römischen Besatzungsmacht, die die jüdische Religion tolerierte, aber natürlich nicht ihren Glauben teilte. Was der römische Hauptmann hier sieht und hört, das überwältigt ihn: In dem Moment, in dem Jesus sagt: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“, da erkennt der Hauptmann: Dieser Mann ist nicht der Verlierer in diesem grausamen Schauspiel. Er stirbt nicht, weil wir Römer das wollten. Sondern er hat die Größe, dem Tod entgegenzutreten und nicht auszuweichen, und das kann er, weil er ein Gerechter ist. Weil er in einer anderen, tieferen Beziehung zu Gott steht als wir alle. Der Hauptmann erkennt: Hier in diesem Moment geschieht etwas Großes. Hier ist Gott selbst am Werk. Stehen Sie bei dem Hauptmann, der von der Erkenntnis so überwältigt wird, dass er Gott preist? Den Gott, an den er bisher gar nicht geglaubt hat!

Lukas nimmt noch einmal das Volk in den Blick. Das Volk, das eben noch eine demonstrativ unbeteiligte Haltung eingenommen hatte. Das ändert sich jetzt. Nachdem Jesus gestorben ist, schlagen sie sich an die Brust - ein Zeichen der Reue und Buße. „Sie kehren um“ – das heißt wohl mehr als „sie gehen nach Hause“. Sie ändern ihre Haltung. Sie begreifen, dass es doch mit ihnen zu tun hat, was hier geschieht. Ob sie mitgerufen haben „Kreuzige ihn“ oder nicht - es hat mit ihnen zu tun. Stellen wir uns wieder zum Volk in dieser Szene? Dieser Mann am Kreuz hat etwas mit uns zu tun. Was genau, bleibt noch verschwommen. Ob wir es wirklich verstehen können oder nicht: Jedenfalls können wir hier nicht unbeteiligt stehen und nur zuschauen - unser Gewissen meldet sich.

Oder stehen Sie bei seinen Freundinnen und Freunden? Bei denen, die ihn seit Jahren kennen und viel mit ihm erlebt haben. Die all ihre Hoffnung in ihn gesetzt hatten. Sie stehen hier etwas entfernt und schauen zu als Zeugen. Sie schauen genau hin. Sie halten alles fest wie in einem Film. Sie versuchen zu verstehen.  

Verstehen. Jesu Sterben verstehen. Das ist schwer. Da sind so viele Fragen. Musste er für uns sterben? Warum ist dadurch unsere Schuld weg? Ging Versöhnung nicht auch anders, weniger grausam? Hat Gott das so gewollt? Seit 2000 Jahren zerbrechen sich die Menschen den Kopf darüber und versuchen – je nach den Denkmustern ihrer Zeit – Antworten zu finden auf diese Fragen. Ich habe in der vergangenen Woche mehrere Texte mit möglichen Deutungen gelesen. Nach der Lektüre schwirren mir lauter Begriffe durch den Kopf: Opfer, Sündenbock, Sühne. Hingabe, Stellvertretung, Versöhnung. Leben und Liebe. 

Wo stehen wir zwischen all den Begriffen und Fragen und möglichen Antworten? Wo stehen wir, wenn wir auf das Kreuz schauen? Jede Christin und jeder Christ muss für sich selber versuchen, einen Standpunkt vor dem Kreuz zu finden. Muss selber Fragen stellen und Antworten suchen.

Ich kann – mit aller Vorsicht und Ehrfurcht – sagen, wo ich gerade ungefähr stehe. Mein Standpunkt ist zwischen den Fragenden und dem Volk, zwischen dem römischen Hauptmann und dem Verbrecher. Ich stehe mittendrin und zugleich ganz weit weg – 2000 Jahre weit weg. Wie der Evangelist Lukas blicke ich von Ostern her auf die Szene.

Dass Jesus am Kreuz stirbt, ist Ausdruck seiner Liebe und Konsequenz seines Lebens. Natürlich hätte er ausweichen können, schon lange bevor es so weit kam. Aber er zieht das durch! Im Johannesevangelium heißt es: Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen Sohn gab. „Gab“ heißt nicht: In den Tod gab. Sondern: Der Welt, also uns, gab. Und Gott zieht seine Liebe nicht zurück, auch nicht in dem Moment, wo Menschen schreien „kreuzige ihn“. Gott zieht seine Liebe zu uns durch – mit aller Konsequenz. Und zwar obwohl wir alles vermasselt haben und ständig vor Gott weglaufen. Das verstehe ich unter Sünde: unser selbst verschuldetes Zerstören der Beziehung zu Gott. Eine Folge davon ist, dass wir ständig sinnlos um uns selbst kreisen. Jesus ist der einzige, der nicht um sich selbst kreist, sondern ganz für andere lebt, bis in den Tod. Tod bedeutet das Ende von Beziehung. Durch diese absolute Finsternis geht Jesus an unserer Stelle durch und stellt so unsere Beziehung zu Gott wieder her. Er ist nicht im Tod geblieben, sondern hat ihn überwunden. Er ist vorausgegangen und holt uns ab – von der anderen Seite her, wo es hell ist.

am 11.3.2018 von Pfarrerin Susanne Pieper

Musikalischer Gottesdienst mit der Aufführung der Kantate von Johann Sebastian Bach „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir“

Psalm 130 - in neuer Fassung (angelehnt an die hebräische Urfassung und an die Bibel in gerechter Sprache)

 Aus meinen Tiefen rufe ich dich, Ewiger,
Du, mächtig über uns, hör auf meine Stimme!
Offen seien deine Ohren für die Stimme meines Flehens!
 Wenn Du, ja Du beharrst auf den Sünden –
mächtig über uns: wer wird dann bestehen?
 Denn bei Dir gibt es Vergebung,
damit Dir mit Ehrfurcht begegnet werde.
 Ich hoffe so sehr auf den Ewigen,
mit Herz und Seele hoffe ich,
nach Seinem Wort strecke ich mich aus.
 Mit meiner Seele sehne ich mich nach Gott,
mehr noch als die Wächter nach dem Morgen,
die Wächter nach dem Morgen.
 Strecke dich aus, Israel, nach dem Ewigen!
Denn bei Ihm ist die Gnade und Vergebung in Fülle ist bei Ihm.
 Und Er, ja Er wird Israel lösen aus allen seinen Sünden.

Theologische Betrachtung I:

Liebe Gemeinde,

das ist nicht leicht, über das Thema „Sünde“ nachzudenken und zu sprechen. Es ist gemeinhin kein angenehmes Thema. Man tritt schnell in ein Fettnäpfchen, wenn man sich dazu äußert. Was ist eine Sünde? Wir bewerten sie unterschiedlich. Ist es wirklich eine „kleine Sünde“, in die wir tappen, wenn wir zur Schachtel mit den vier Pralinen greifen, die im Regal liegt? Für die einen ja, für die anderen nicht. Ist das gute Stück Sahnetorte, das so lecker schmeckt, aber natürlich auch ungesund ist, eine Sünde? Für die einen ja, für die anderen noch längst nicht. Wir gehen unterschiedlich mit diesem Begriff um.

Manchmal benutzen wir ihn aber auch, um andere Menschen zu klassifizieren, um sie zu beurteilen, zu verurteilen. Die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner zeigt, wie schnell es gehen kann, dass jemand ganz genau die Sünden des anderen Menschen benennt, sich selbst damit aber zugleich in ein gutes Licht stellen will. „Ich danke dir, dass ich nicht so bin wie dieser Zöllner…“ In unserer Kirchengeschichte wurde diese Erzählung Jesu dann in demselben Muster weitergesponnen: „ich danke dir, dass ich nicht so bin wie dieser selbstgerechte Pharisäer…“. Und so kann die Kette unendlich weitergehen.

Von Jesus aber lernen wir: nur wer zu seiner eigenen Verfehlung steht, der ist vor Gott gerechtfertigt. Darum geht es. Und der 130. Psalm leitet uns genau dazu an. In klarer Sprache. Und zugleich in so liebevoller Weise. Dabei darf es getrost im Verborgenen bleiben, worin die eigenen Verfehlungen bestehen. Es ist genug, wenn Gott es weiß.

Wenn Sünde bedeutet, dass meine Beziehung zu Gott blockiert ist, dann können diese Blockaden sehr verschieden sein. Wir erleben individuelle Sünde, aber wir sind auch verstrickt in strukturelle Sünde, in soziale Sünde. Dort, wo wir selbst Teil von ungerechten Gegebenheiten und Strukturen sind. Entscheidend aber ist, dass Gottes Nein zur Sünde immer ein Ja zum Sünder ist. Gottes Liebe will es, dass der Mensch umkehrt. Dass er lebt.

Es ist gut und es ist wichtig, danach zu fragen, welches Verständnis von Gott in diesem Psalm verborgen liegt:

Gott ist ein Gegenüber des Menschen. Gott ist nicht einfach harmlos. Er ist kein Eiapopeia – Gott. Er ist nicht gleichgültig gegenüber den Taten des Menschen. Er ist auch nicht das große, schicksalhafte „Egal“, wie der Schriftsteller Axel Hacke es in seinem großartigen Buch „Die Tage, die ich mit Gott verbrachte“ vorgestellt hat. Gott ist anders. Er ist die Instanz, der der Mensch Rechenschaft zu geben hat. Mit seinen Gedanken, mit seinen Worten und mit seinen Werken hat er sich vor Gott zu verantworten. Vor Gottes Angesicht lebt der Mensch sein Leben. Darum gilt: wo Schuld ist, da wird sie auch Schuld genannt. Dies ist wichtig, damit auch die Opfer nicht vergessen werden. Damit auch sie geschützt und ins Recht gesetzt werden können. Wo Schuld ist, da wird sie auch Schuld genannt. Ich halte es für entscheidend, daran zu erinnern – in einer Zeit, in der Lügen in Wahrheit umgedreht werden, selbst von Regierungschefs mächtiger Staaten. In einer Zeit, in der getrickst und getäuscht wird. In der Menschenrechte mit Füßen getreten werden, und Unschuldige verhaftet und verfolgt werden. Gott fordert Rechenschaft. Er ist nicht harmlos. „So du willst, Mächtiger, Sünde zurechnen - wer wird dann bestehen?“

Doch zu IHM gehört auch die andere Seite. Sein Großmut. Seine Bereitschaft zur Vergebung. Er vergibt die Schuld, wo er um Vergebung gebeten wird. Gott will die Befreiung von der Last, von der Schuld. Er möchte, dass wir Menschen zur Umkehr finden. Zum großen Aufatmen. Zum neuen Anfangen.

Und genau diese Bereitschaft Gottes, zu vergeben, sie nötigt uns Menschen die Ehrfurcht ab. „Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.“ Ich bin sicher: die Furcht vor Gott, sie meint die Ehrfurcht vor Gott. Und diese Ehrfurcht, dieser Respekt vor Gott, er entsteht gerade aus der überaus zärtlichen Seite Gottes. Es ist gerade nicht der Zorn Gottes, der die Menschen das Fürchten lehren soll. Der Respekt entsteht vielmehr, wo wir Gottes liebevolles Entgegenkommen erleben. Seine Vergebung in Fülle, wie es im hebräischen Urtext heißt. Seine Gnade uns gegenüber, seine Ermutigung zum Neubeginn.

Der barmherzige, der liebevolle, der gnädige Gott, er ist der Gott des Alten und des Neuen Testaments. Es ist eben nicht so, wie es oft gesagt wurde: dass der Gott des Alten Testaments der Zornige sei und nur der Gott des Neuen Testamens der Liebevolle. Nein. Der Psalm 130 belehrt uns eines Besseren. Der liebende, gütige Gott offenbart sich genauso im Ersten Testament wie im zweiten Testament.

Und wir, als die Hinzugekommenen zum Bund Gottes mit seinem Volk Israel, wir aus den Heidenvölkern, wir Christinnen und Christen beziehen uns auf das Leiden Jesu Christi, seines Sohnes, das für uns geschehen ist. Sein Kreuz bedeutet die Vergebung unserer Schuld. Nun können auch wir frei und aufrecht vor Gottes Angesicht leben.

Wenn aber nun die Umkehr das Ziel ist - wie ist es dann bestellt mit der Kultur der Vergebung und der Umkehr in unserer Gesellschaft? Gestehen wir Menschen zu, dass sie ihre Fehler bereuen, dass sie wirklich umkehren und neu beginnen wollen? Oder werden sie bei dem behaftet, womit sie sich schuldig gemacht haben?

Das aber ist die Zusage der Gnade Gottes an diesem Tag; sie steht in den Klageliedern 3,22 geschrieben: „Die Güte Gottes aber ist es, dass wir noch nicht aus sind. Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende; sie ist an jedem Morgen neu, und Seine Treue ist groß.“

Chor: Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort.

Theologische Betrachtung II:

„Musik ist der kürzeste, direkteste Weg zu Gott“ - so sagt es Pir - o – Murshid, ein indischer Musiktheoretiker. Auch die Psalmen sind Musik. Sind ja Lieder, die gesungen wurden. Und sie sind wie eine Schutzhütte, in der die Menschen und ihre Seelen Raum finden, sich bergen können.

Nelly Sachs, die große, unvergessene jüdische Dichterin des 20. Jahrhunderts, beschreibt es so: „David baut in seinen Liedern Nachtherbergen für die Wegwunden. Und er misst in seinen Psalmen in Verzweiflung die Entfernung zu Gott aus.“

Die Entfernung zu Gott ausmessen - das geschieht in diesem Psalm 130: „Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort.“

Harren. Wie Vieles liegt in diesem Wort! Ich warte auf Gott. Ich hoffe. Ich bin voller Spannung. Ich strecke mich aus nach ihm. Das ist mehr als auf das erlösende Wort der Vergebung warten. Darin steckt eine unbändige Sehnsucht. Eine Sehnsucht, so sehr, dass es weh tut. So wie die Sehnsucht nach dem Geliebten weh tut, wenn er nicht da ist, so wie die Sehnsucht nach der Geliebten schmerzt.

Ich sehne mich nach Gott. Ich strecke mich nach ihm aus, mit allen Fasern meines Daseins. Ich sehne mich mehr nach ihm als die Wächter auf den Mauern Jerusalems sich nach dem anbrechenden Licht des neuen Morgens sehnen.

Es ist eine Beziehung der tiefen Liebe zu Gott, die sich hier ausspricht. Ja, es ist fast eine mystische Beziehung. Noch lebt der Beter des Psalms in der Spannung. Noch ist er auf dem Weg. Aber er geht dem ersehnten Raum entgegen: dem Raum Gottes, wo er und seine Seele den Frieden finden wird. Wo er erkennt, was ihm alles geschenkt ist. Dort wird er von Freude erfüllt sein. Dort wird er endlich Antworten finden auf seine vielen Fragen. Dort wird er Trost finden und einverstanden sein mit Gott. Mit ihm im Einklang sein. Amen.

am 14.1.2018 von Pfarrer Rainer Böhm

Liebe Gemeinde,

was ist in den Krügen, wenn die Diener sie voll Wasser gefüllt haben? Ist es noch Wasser, oder ist es schon Wein? Kann es überhaupt Wein sein, da es doch eindeutig Wasser war, was man in die Krüge gefüllt hat? Könnte es sein, dass jemand davon kostet und sagt: Das ist Wasser und nichts anderes? Schmeckt es vielleicht nur für diejenigen nach Wein, die zuvor schon soviel Wein getrunken haben, dass sie jetzt alles für Wein halten, was man ihnen kredenzt?

Was ist mit Paulus, als er vor ein paar Leuten in Korinth zu reden beginnt? Der kann ja nicht einmal zusammenhängende Sätze bilden, sagen die einen. Seine Argumente sind schwach, er redet doch Unsinn. Andere glauben ihm, ohne ihn wirklich zu verstehen. Seine Unruhe, seine Sprunghaftigkeit hat etwas Begeisterndes. Da muss etwas dahinter stecken, sagen sie. Er hat mich angerührt, ich kann es nicht ändern. Eine Frau hat sich einen Satz gemerkt, der sich ihr wie ein Muster einprägt. Sie sagt ihn sich wieder und wieder vor, um ihn nicht zu verlieren. „Die Torheit Gottes ist weiser, als es die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen es sind.“

An diese ersten Begegnungen erinnert sich Paulus, als er ihnen später schreibt. Die, die dabei geblieben sind und seither immer wieder zusammenkommen, die wissen noch genau, wie es am Anfang war. Nämlich so, wie er es  in seinem Brief beschreibt:

1  Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen.   2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5 auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

6 Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist,die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9 Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.«  10 Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.

1.Kor  2, 1 – 10

Sie lesen sich den Brief gegenseitig vor. Wie erstaunlich das klingt. „Uns aber“, schreibt Paulus. Dieses „aber“ weist auf einen Gegensatz. Nämlich zu der Weisheit dieser Welt. „Wir“ sind zwar nicht weise, aber es gibt etwas, das wissen wir besser als die, die weise sind. Und noch etwas: „Wir“ – das sind „die Vollkommenen“. Was für eine wunderbare verkehrte Welt. „Wir“ haben unser Ohr direkt am Mund Gottes und hören, das er die Gewaltigen vom Thron stößt und erhebt die Niedrigen. Und „wir“ erleben, dass es jetzt und hier geschieht. „Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen beschäme.“

Die Welt ist nicht so wie sie scheint. Sie ist doppelbödig. Die Welt hat eine sichtbare Seite und eine unsichtbare, die aber genauso wirklich ist. Das ist komisch. Und genau diesem Komischen hat der Soziologe Peter L. Berge eine Untersuchung gewidmet. „Das Komische beschwört eine eigene Welt heraus, die eignen Regeln folgt“, schreibt Berger. In der Welt des Komischen sind unsere Regeln aufgehoben. In diesem Komischen steckt das Versprechen von Erlösung. Glaube ist die Überzeugung, dass das Versprechen gehalten wird.“

Paulus, der Narr um Christi willen, wie er sich selbst bezeichnet, wird dem Soziologen zum Verbündeten. Das Komische gibt sich ihm zu erkennen als eine Form der Weisheit Gottes, die die Weisheit unserer Welt aufhebt, relativiert, widerlegt. Alles könnte auch ganz anders sein, als es ist, nicht Mann oder Frau, nicht Freier oder Sklave, nicht arm oder reich, und auch kein Tod mehr. Das, worauf wir hoffen, hat einen Anspruch auf Realität. Ein Gedankenspiel vielleicht nur, aber es kann praktische Bedeutung bekommen. Denn das Komische ist auch das Mittel, sich der Realität zu entziehen. Und für die, die nichts zu lachen haben, ist „das Gelächter der Hoffnung letzte Waffe“ wie es Berger formuliert.

Vielleicht kennen Sie auch den Film: „Ein schöner Tag“. Um seinen Sohn zu beschützen und ihn vor der  Realität zu bewahren, erzählt ihm Guido, der Aufenthalt im KZ sei ein kompliziertes Spiel, dessen Regeln sie genau einhalten müssten, um am Ende als Sieger einen echten Panzer zu gewinnen. Der Vater versucht alles Mögliche, um die Fassade der Täuschung aufrechtzuerhalten.

Als bei Kriegsende das Lager in Aufruhr gerät, verkleidet sich Guido als Frau, um so unerkannt in die Frauenabteilung zu gelangen und dort seine Frau Dora zu suchen. Doch er wird entdeckt und erschossen, während sich Giosuè, immer noch nichtsahnend und den Instruktionen des Vaters folgend, versteckt hält. Am nächsten Tag wird das Kind im verlassenen Lager von einem amerikanischen Panzerfahrer aufgelesen und mitgenommen, Es wähnt sich im Glauben, das Spiel tatsächlich gewonnen zu haben. Bald darauf findet Giosuè seine Mutter wieder. Der Film endet mit seinen Worten „Dies ist meine Geschichte, dies ist das Opfer, welches mein Vater erbracht hat, dies war sein Geschenk an mich. Wir haben das Spiel gewonnen.“

In der Epiphaniaszeit feiern wir das Erscheinen Gottes in der Welt. Sein Licht gibt unserer Welt einen neuen Schein – einen Vorschein auf das, was aussteht. Dieses Licht hat es schwer gegen die Weisheit der Welt: gegen zynische US-Präsidenten, die Rationalisierung von Produktionsabläufen, die Logik der Gewinnmaximierung. Für Narren und mystische Verwandlungen, für etwas, was nicht der allgemeinen Logik folgt, ist dies eine schlechte Zeit. Wir leben gewissermaßen von Wasser, das die Mühlen der Wirtschaft antreibt. Keiner darf an die Krüge, um das Wasser der Arbeit in den Wein des Lebens zu verwandeln.

Paulus sagt uns, dass etwas im Verborgenen geschieht. So wie auf dem Bild, das Sie am Eingang bekommen haben. Da wird Korn in eine Mühle geschüttet. Und unten wird das Mehl in einen Sack abgefüllt. Es ist ein 1000 Jahre altes Kapitell aus der Kirche in Vezelay in Burgund. Das Korn, das Mose in die Mühle füllt, verwandelt sich durch Christus in das Brot des Lebens – die mystische Mühle wird dieses schönste der 90 Kapitelle genannt.

Erfolg ist kein Name Gottes. Sein Geist erweist sich jedenfalls nicht allein in wirtschaftlicher Tüchtigkeit. Die Weisheit Gottes ist nicht in Gefahr, wo sich Schwachheit zeigt und Furcht – sondern dort, wo man sie zu verbergen versucht. Denn Gott ist gerade in den Schwachen mächtig. Er hält den Raum geöffnet für alle, die nicht erfolgreich sind, nicht angepasst an wachsende Anforderungen, von Ängsten bestimmt und im Schatten, wie die Dalits in Amritsar in Indien.

In Zeiten, in denen es so sehr um Erfolg geht, um Steigerungsraten, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Wirklichkeit mehr ist als das, was wir sehen, zählen und beweisen können: Die Wirklichkeit, die Gott meint und schafft im Verborgenen. Ausgerechnet Bert Brecht hat immer wieder notiert, dass in dem, was wir sehen und hören, sich eine andere Wahrheit versteckt:

Traue nicht deinen Augen

Traue deinen Ohren nicht

Du siehst das Dunkel

Vielleicht ist es Licht.                                    Amen

zum Ewigkeitssonntag am 26.11.2017 von Vikarin Anne Kampf

Predigt zu Lukas 12, 40-48 (Psalm 126, Matthäus 25,1-13)

Liebe Gemeinde,

ich möchte Ihnen erzählen von einer klugen und treuen Verwalterin des Lebens. Sie heißt Alma.

Ein Schlüsselmoment in ihrem Leben ist dieser: Alma sitzt oben auf einem dicken, knorrigen Olivenbaum. Sie schmiegt sich an einen großen, starken Ast. Der uralte Baum steht in der schicken Eingangshalle einer Firma in Düsseldorf. Unten um den riesigen Blumentopf herum warten Reporter, Sicherheits-Leute und Almas Onkel gespannt, was passiert. Die Jugendliche sitzt da oben auf dem Olivenbaum, um ihn zu verteidigen. Um ihn zurückzuholen. Ihre Familie hatte alten Baum verkauft - an die Firma, die ihre Eingangshalle damit verzieren wollte. Alma will, dass er nach Hause zurückkehrt, der Baum. Nach Spanien, zu ihrem Großvater. Alma liebt ihren Großvater, und der liebt seine Olivenbäume. Seit der eine Baum abtransportiert wurde, ist der Großvater verstummt. Er trauert um seinen Baum. So erzählt der Film „El Olivo“ von Almas dramatischem und verrücktem Versuch, den Baum zu retten, um ihren Opa aus seiner Trauer zu erlösen.

Als Alma da oben in der Düsseldorfer Firmen-Eingangshalle auf dem Olivenbaum sitzt, sieht sie ihren Onkel. Er nimmt gerade das Handy vom Ohr weg, schaut Alma erschrocken an und bewegt den Mund. Alma begreift sofort: Der Großvater ist gestorben. Genau in dem Moment, in dem seine Enkelin den Baum zurückerobert hat. Die Kamera schaltet auf Zeitlupe, der Film geht ohne Ton weiter, man sieht Alma weinen. 

Das ist der Moment. Das ist der Tag und die Stunde.

An einen solchen Moment erinnern sich die meisten von uns sicher auch. An den Tag und die Stunde, als das Telefon klingelte. Als die Nachricht vom Tod unsere Familien überfiel. Wir wissen noch, wo wir da gerade waren, was wir gerade machten, in dem Moment, als eine Stimme sagte: Er ist tot. Oder: Sie ist gestorben. Nie werden wir den Tag und die Stunde vergessen. Und die Gedanken, die uns dann durch den Kopf gingen: Was waren seine letzten Worte? Was habe ich zuletzt von ihr wahrgenommen? Und was hätten wir alles noch füreinander tun und miteinander besprechen sollen … Jetzt ist es zu spät.

„Wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.“ (Mt 25,13) Eine deutliche Mahnung am Ende des Gleichnisses von den Jungfrauen mit ihren Öllampen. Und dann erzählt Jesus noch ein Gleichnis.

40 Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.

41 Petrus aber sprach: Herr, sagst du dies Gleichnis zu uns oder auch zu allen?

42 Und der Herr sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht?

43 Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, solches tun sieht.

44 Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.

45 Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen,

46 dann wird der Herr dieses Knechts kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.

47 Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt und hat nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden.

48 Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. (Lk 12,40-48)

„Viele Schläge erleiden“, „in Stücke hauen“. Wie brutal das klingt. Straft Gott unsere Versäumnisse und Fehltritte wirklich in dieser Weise? Solches Hauen und Schlagen passt nicht zu meinem Bild von einem liebenden und gnädigen Gott. Aber womöglich genügt es als Strafe, wenn wir selber Bilanz ziehen und auf das zurückschauen, was war. Wie wir gelebt haben. Was wir getan und was wir versäumt haben. Wen wir verletzt haben. Ich glaube, wenn wir das erkennen, wird das an sich schon ein harter Schlag sein. Und der Gedanke an unser egoistisches Handeln wird uns zerreißen. 

Versuchen wir deshalb, die Ermahnung zu erfassen, die in diesem Gleichnis steckt. Eine Ermahnung an uns, die wir wissen, wie schnell der Tod kommen kann – die wir aber noch leben und unseren Tag und unsere Stunde noch vor uns haben. Wir haben noch die Chance, unsere Sache so gut zu machen wie der treue und kluge Verwalter, der weiß, worauf es ankommt. Ihm sind Güter und Menschen anvertraut. Was ist uns, die wir leben, anvertraut? Was sollen wir treu und klug verwalten?

Das, was uns von Gott gegeben wurde.

Da ist als erstes unser Glaube. Das Vertrauen in Gott, dass er es gut mit uns meint, uns hilft und uns tröstet. Unser Glaube braucht guten Boden, Sonne und Wasser wie ein Olivenbaum, Brennstoff wie eine Lampe. Dafür sind wir verantwortlich: Unseren Glauben zu nähren durch Gottes Wort und anzufeuern durch die Gemeinschaft mit anderen Christen. Vielleicht spüren wir gerade heute in diesem Gottesdienst, wie tröstlich es ist, wenn viele Menschen gemeinsam hier in der Kirche Lichter brennen lassen.

Unsere Gefühle sind uns gegeben. Sie brauchen ihren Raum. Sie müssen rauskommen. Momentan ist bei vielen von uns wohl die Trauer das vorherrschende Gefühl. Die Traurigkeit über den Verlust, die Sehnsucht nach dem geliebten Menschen. Als Trauernde hören wir so aufmunternde Sprüche wie: „Das wird schon wieder“ oder „Du musst ihn, sie loslassen“. Aber loslassen wollen wir ja gerade nicht. Noch nicht. Und das ist gut so. Wer um einen Menschen trauert, ist treu. 

Andere Menschen sind uns anvertraut. Die Beziehungen, in denen wir leben. In der Familie, bei der Arbeit, in der Kirche, in den Vereinen. In dem Gleichnis nennt Jesus als gute Tat des treuen und klugen Verwalters, dass er den anderen ihr Essen austeilt. Ein Beispiel für umsichtige und gerechte Fürsorge. Wer an andere denkt und für sie sorgt, handelt klug. „Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, solches tun sieht.“

Für den treuen und klugen Umgang mit dem, was Gott uns im Leben anvertraut hat, müssen wir uns verantworten. „Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.“

Alma aus dem Film „El Olivo“ trägt viel Verantwortung, weil ihr viel gegeben ist: die Liebe zu ihrem Großvater. Die Olivenbäume ihrer Familie. Mut und ein starker Wille. Alma ist eine treue und kluge Verwalterin, und eine wachsame noch dazu. Der Tag und die Stunde, als sie da oben in der Düsseldorfer Firmenzentrale auf dem starken Ast des Olivenbaumes sitzt und weint, das ist auch der Tag und die Stunde, in der sie besonnen handelt: Sie schneidet einen Zweig ab und nimmt ihn mit. Der Baum bleibt in Düsseldorf, aber Alma kehrt zurück nach Hause mit dem Zweig. Mit einer Handvoll neuen Lebens.

Es kommt der Tag und die Stunde, in der das Leben zu uns Trauernden zurückkehrt. Der Tröster, er kommt „zu einer Stunde, da ihr's nicht meint.“ Plötzlich und unerwartet spüren wir, dass es in uns wieder leicht und lebendig wird. Plötzlich ist die Welt um uns wieder farbig, die Luft klar, die Gesichter der Menschen freundlich. Er kommt, der Tag und die Stunde, in der „unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens“ sein wird. Der Tag, an dem wir uns einfach nur freuen über alles, was Gott uns gegeben hat: dass wir glauben und vertrauen können, lieben und sorgen, in die Zukunft blicken und hoffen.   

So ein Olivenbaum wird fast eine Ewigkeit alt. Alma weiß das. Alma, die treue und kluge Verwalterin des Lebens, setzt einen neuen Anfang mit ihrem Zweig. Im Kreis ihrer Familie feiert sie ein Fest auf der sonnigen Olivenbaumplantage ihres Großvaters. Sie nimmt den Zweig des alten Baumes und pfropft ihn auf eine Wurzel. Sie begießt den Steckling, so dass er heranwachsen kann zu einem neuen, dicken Olivenbaum mit starken Ästen und guten Früchten.

Das ist der Tag und die Stunde, in der das Leben neu beginnt.

Amen.   

im ökumenischen Versöhnungsgottesdienst am Reformationstag 2017 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes,
die Gnade Jesu Christi
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,

heute ist überall Reformation. An diesem so besonderen Tag, dem 500. Jahrestag der Thesenveröffentlichung durch Martin Luther, wird überall gefeiert: In Kinos und Kirchen, an Tafeln und in Theatern, mit Ausstellungen und Sternenmärschen. Um 15.17 Uhr heute Nachmittag (1517J) werden Posaunenchöre in ganz Deutschland zeitgleich Luthers „Ein feste Burg“ anstimmen.

500 Jahre Reformation - die evangelischen Kirchen haben dieses Jubiläum zehn Jahre lang als Reformationsdekade vorbereitet. Reformation als Bildungsbewegung, als Seelsorgebewegung gegen die Angst, Reformation als Musikbewegung für die Kirche, als Frömmigkeitsbewegung, als Emanzipationsbewegung ... es ist unmöglich, den Ertrag all dieses Engagements auf einen Nenner zu bringen. Eine der besonderen Seiten dieses Jahres aber ist die ökumenische Annäherung:

In Worms leuchtet in diesen Tagen eine Lichtbrücke zwischen dem katholischen Dom und der evangelischen Lutherkirche, als Zeichen ökumenischer Verbundenheit. Parallel zu unserem Gottesdienst hier findet ein großer ökumenischer Festgottesdienst in der Frankfurter Katharinenkirche statt. Und es gibt auch einen humoristischen Beitrag: am 22. September ließ der katholische Theologe, Psychiater und Kabarettist Manfred Lütz 9 + 5 katholische Thesen an die Wittenberger Stadtpfarrkirche anbringen. Darin forderte er die flächendeckende Einführung von Karneval in allen evangelischen Regionen, das Zwangszölibat für alle humorlosen evangelischen Pfarrer und die Einführung von protestantischen Wallfahrten. Dazu sollte eine prachtvolle protestantische Barockkirche mit angeschlossener Brauerei und guter Gastwirtschaft gesucht werden.

Dass es so kommen würde, war lange Zeit keineswegs vorauszusehen. „Können wir die Reformation überhaupt mitfeiern?“ so fragte die katholische Seite. Erst als der Name des „Christusfestes“ in die Diskussion eingebracht wurde, öffneten sich die Türen. Und eine neue, viel weitere Perspektive wurde aufgetan. Nun, am Ende dieses Reformationsjahres, hat eine Umfrage ergeben, dass Protestanten und Katholiken mit deutlicher Mehrheit mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zwischen beiden Konfessionen wahrnehmen. 78% der Protestanten sehen das so und immerhin 58 % der Katholiken. Und heute können wir, hier in Bad Nauheim, diesen Tag gemeinsam begehen. Gemeinsam feiern.

Das ist neu. Das ist aufregend. Wir betreten ein unbekanntes Terrain. Und Manche mögen fragen: „Dürfen wir Evangelischen das überhaupt? Ist dieser Tag nicht ein durch und durch protestantischer Feiertag? Geht es nicht gerade heute um die konfessionelle Selbstvergewisserung? Werden hier nicht Unterschiede verwischt?“ Und manche mögen fragen: „Dürfen wir Katholiken das überhaupt? Geben wir damit nicht auf, was uns so heilig ist?“

Nein, darum geht es nicht. Es geht darum, tiefer zu schauen. Zu erkennen: Wir können unsere eigene Identität nicht vor allem dadurch finden, dass wir uns von den Anderen abgrenzen. Denn dadurch verzerren wir schnell die andere Konfession. Dadurch stellen wir sie viel zu schnell falsch dar oder ungenügend. Und wir nehmen dann auch nicht wahr, was in den letzten Jahren doch an Annäherungen zwischen den Konfessionen geschehen ist. So zum Beispiel die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ aus dem Jahr 1999. In ihr wird gemeinsam festgehalten, dass wir Menschen uns die Rechtfertigung nur durch Christi Versöhnung schenken lassen können, dass wir sie uns niemals selbst durch gute Werke verdienen können. Und diese Überzeugung entspricht inhaltlich genau der berühmten These 62 von Martin Luther, in der es heißt: „Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“

Wir wollen zu größerer Gemeinsamkeit im ökumenischen Leben finden. Dafür aber ist es wichtig, sich die Verletzungen zu vergegenwärtigen, die in der 500jährigen Geschichte geschehen sind. Christen haben aneinander viel Leid zugefügt. Im Namen Gottes geschahen Menschenrechtsverletzungen. Die Verfolgung Andersgläubiger. Die Ermordung der sog. Wiedertäufer. Die Unterdrückung und Vertreibung der Juden. Der Kampf gegen die Bauern. Die unerträgliche Tötung so vieler Frauen als sog. Hexen, die unerträgliche Tötung von Männern als sog. Hexenmeistern. Der lange, so unsägliche 30jährige Krieg. Es ist schmerzvoll, sich dieser Geschichte zu stellen. Es tut weh, diese Gewalt anzuschauen. Aber es ist heilsam, gemeinsam darüber zu sprechen, es zu beklagen, es zu betrauern. Und dann zu sagen: „All das sollte nach Gottes Willen nicht sein. Unsere Vorfahren sind damit in die Irre gegangen. Sie haben gegen Gott und gegen die Menschen gehandelt. Im Wissen um alle Verletzungen und alle Schuld wollen wir von diesem Weg der Gewalt umkehren.“

Wir wollen zu größerer Gemeinsamkeit im ökumenischen Leben finden. Deshalb blicken wir heute auch kritisch auf das Verhalten, das in unserer Region noch vor einigen Jahrzehnten Praxis war. Ich meine diese kleinen Boykottaktionen des Alltags gegeneinander. Als man nicht beim katholischen Metzger kaufte, weil man evangelisch war. Oder nicht zum evangelischen Bäcker ging, weil man katholisch war. Und heute können wir erleichtert sein, hoffentlich, dass die Zeit vorbei ist, wo ein Schwiegersohn oder eine Schwiegertochter nicht akzeptiert war, weil er oder sie der anderen Kirche angehörte. All diese Spitzen, die so ins Mark trafen. All dieses Herzeleid. All diese Verwundungen.

Wir wollen es heute, in unserem kleinen Leben, in der kurzen Zeitspanne, die uns zur Verfügung steht, besser machen. Wir wollen aufeinander zugehen und die Chance ergreifen, damit auch die Kirchengeschichte neu zu schreiben.

Versöhnung ist nicht selbstverständlich. Sie ist und sie bleibt ein großes Geschenk. Aber wir können uns gemeinsam auf den Weg machen und Gott um dieses Geschenk bitten. „Gott hat uns durch Christus mit sich versöhnt und rechnet uns unsere Verfehlungen nicht an“, sagt Paulus. Unsere Verletzungen werden am Kreuz durch Christus aufgehoben und geheilt.

Wenn Schuld vergeben ist, können Wunden heilen. Auf Jesus Christus sind wir bezogen. Er ist unsere Mitte. Er ist unser Zentrum. Solus Christus. „Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist.“

Wir sind als Kirchen verschieden. Ja. Unser Verständnis von den Ämtern ist verschieden. Die Entscheidung, ob die Frauen ganz selbstverständlich die Sakramente verwalten können und ordiniert werden, ist verschieden. Die Frage, ob Geistliche heiraten dürfen oder nicht, wird verschieden beantwortet. Und das Verständnis des Abendmahls ist zwischen uns schmerzlich unterschiedlich.

Aber uns ist auch so Vieles gemeinsam: der Glaube an den dreieinigen Gott. Die Schrift mit ihren beiden Teilen. Das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser. Das gemeinsame Gebet. Und wir haben uns die Taufe gegenseitig anerkannt. Wir sind verschieden. Aber lasst uns in versöhnter Verschiedenheit leben! Lasst uns nach dem fragen, was wir gemeinsam tun können. Wir sind ja schon längst auf dem Weg miteinander, hier in unserer Stadt. Ob in den ökumenischen Gottesdiensten, beim Weltgebetstag oder im Bibelgespräch, im ökumenischen Seniorenkreis oder im gemeinsamen Einsatz für mehr Gerechtigkeit in unserer Welt. Lasst uns gemeinsam Gottes Liebe feiern! Und sie weitergeben, von der wir alle ja leben: in Katechese und Unterricht, in den Schulen. In der Seelsorge, in den Seniorenheimen. Lasst uns auch gemeinsam eintreten für eine kritische Erinnerungskultur im Blick auf die deutsche Geschichte, in Zeiten, in denen Mahnmale als „Denkmäler der Schande“ bezeichnet werden. Lasst uns investieren in die Anziehungskraft unserer Gottesdienste. Lasst uns gemeinsam singen, beten und für diese Stadt und ihre Menschen da sein.

Christus ist größer. Machen wir unser Herz weit.

Sein Geist weht immer auch in der Konfession unserer Schwester und unseres Bruders. Sein Geist weht, wo er will.

Amen.

am 22.10.2017 von Vikarin Anne Kampf

„Hauptsache heil“

Predigt zu Markus 1, 32-39

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

„Hauptsache gesund!“ – Hat das schonmal jemand zu Ihnen gesagt?

Den Taufeltern vielleicht, zur Geburt Ihres Kindes?

Der Spruch ist sicher gut gemeint, aber ich finde: Gesund sein ist nicht die Hauptsache.

Machen wir eine kleine Umfrage:

Wer von Ihnen und euch allen heute Morgen hier ist denn vollkommen gesund? (Ganz wenige Leute melden sich) Das sind nicht viele. Die meisten von uns sind also nicht vollkommen gesund.

Vielleicht geht es Ihnen wie einer Bekannten von mir – nennen wir sie Jutta. Fast jeden Tag wacht sie mit Kopfschmerzen auf. Die Wirbel knirschen, der Nacken knackt… Doch den Orthopäden braucht sie nicht mehr zu fragen, der findet nichts. Jutta arbeitet Vollzeit – jedenfalls wenn sie es morgens schafft, sich hinzuschleppen. Oft ist ihr nämlich auch schlecht. Bringen Kolleginnen Kuchen mit, muss sie leider sagen: Nein, danke. Der Bauch rebelliert gegen süßes Zeug. Auch beim Mittagessen passt sie genau auf, was im Essen drin ist. Ihre Kraft ist schnell aufgebraucht, dann legt sie sich nach Feierabend aufs Sofa, völlig ermattet. Abends weggehen? Unmöglich!

In dem Predigttext für heute begegnen uns viele Menschen, denen es schlecht geht. Sie suchen Heilung bei Jesus. Ich lese Markus 1, 32-39

32 Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen.

33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.

34 Und er heilte viele, die an mancherlei Krankheiten litten, und trieb viele Dämonen aus und ließ die Dämonen nicht reden; denn sie kannten ihn.

35 Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.

36 Und Simon und die bei ihm waren, eilten ihm nach.

37 Und da sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich.

38 Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Orte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.

39 Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.


Was bedeutet „krank sein“? Und wer sind diese Dämonen?

Meine Frage am Anfang war eigentlich zu simpel. Denn dadurch haben wir uns in zwei Gruppen aufgeteilt: Die Kranken und die Gesunden. Ich glaube aber nicht, dass das so einfach ist. So viele Menschen müssen mit Schmerzen oder chronischen Krankheiten oder Einschränkungen oder Erschöpfung leben und trotzdem funktionieren, arbeiten. Sind irgendwo zwischen „krank“ und „gesund“. 

„Von Dämonen besessen“ würden wir heute nicht mehr so sagen. Aber ich glaube, das Phänomen gibt es trotzdem auch heute: Da ist etwas, das dich „besetzt“, das „Besitz von dir ergreift“. Das sich in deinem Denken und Fühlen eingenistet hat und dich nachts in Alpträumen quält. Stimmen, die dir einreden, an deiner Krankheit seist du selber schuld. Gedanken, die dir den Schlaf und den Mut und das Selbstvertrauen rauben. Die dich aus der Gemeinschaft entfernen, indem sie dir einreden: Du bist anders als die anderen. 

Na klar bist du anders. Oder anders gesagt: Jeder Mensch ist anders. Jeder Mensch kennt das, jedenfalls manchmal: Schmerzen zu haben, sich nicht gesund zu fühlen, von schlechten Gedanken „besetzt“ zu sein, nicht „normal“, nicht fit, nicht „funktionsfähig“ für diese Welt.

Nicht gesund sein – das ist der Normalzustand.

Wenn das auch damals so war, dann muss das Wartezimmer von Doktor Jesus, der spontan im Haus von Simon praktizierte an diesem Abend, gerappelt voll gewesen sein.

„Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen. Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.“

 

Es gibt ein Problem mit diesem Arzt Jesus. Nicht nur, dass das Wartezimmer zu klein ist – nein: Es kommen nicht alle dran! „Sie brachten zu ihm alle“ – „und er heilte viele“ – also nicht alle. Manche bleiben krank oder besessen. Sie müssen damit weiterleben. Ihre Hoffnung, gesund zu werden, wird enttäuscht.

Was ist das für ein Typ, dieser Arzt, der viele heilt, aber nicht alle? Der dann auch noch wegläuft zum Beten und anschließend weiterzieht und die Patienten sitzenlässt? Was soll das? Warum entzieht sich Jesus?

Weil er nicht missverstanden werden will. Denn eigentlich ist er gar kein Arzt, sondern Prediger. Seine Botschaft muss erst noch verbreitet werden und die Menschen sollen erst verstehen, wer er ist. So erklärt sich auch dieser rätselhafte Satz: „Er ließ die Dämonen nicht reden; denn sie kannten ihn.“ Niemand soll irgendwelche Schlagworte und Begriffe von ihm in die Welt herausposaunen, bevor er sich nicht selbst den Menschen bekannt gemacht hat. Jesus sucht überzeugte Nachfolger, nicht leere Bekenntnisse. Er entzieht sich dieser Begeisterung, diesem Heilungs-Hype am Beginn seines Weges: „Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Orte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.“

Wie hilft das nun aber den Kranken und Besessenen – damals wie heute?

Ich glaube, dass es Wichtigeres gibt als topfit und gesund zu sein. Natürlich sind Sie als Eltern der beiden Täuflinge dankbar dafür, dass Ihre Kinder gesund sind – aber dieser Spruch „Hauptsache gesund“ – ich finde den unfair. Hätte denn ein Kind, das nicht gesund wäre, die Hauptsache verfehlt?

Was ist die Hauptsache?

Die kurze Geschichte von der Arztpraxis im Haus von Simon steht am Anfang des Markusevangeliums. Jesus hat gerade damit angefangen, eine neue Welt zu verkünden. Eine Welt, in der es keine Rolle spielt, ob jemand krank ist oder gesund, schwach oder kräftig, anders oder normal. Es kommt auf etwas anderes an in dieser neuen Welt. Nämlich darauf, dass Gott sich den Menschen zuwendet und den jedem Menschen eine unverlierbare Würde zuspricht. Einen Wert an sich, ohne dass irgendwas an dir funktionieren muss, ganz ohne Vorbedingung. Die Taufe ist ein Zeichen dafür: Du gehörst zu Gott, Gott sieht dich an und geht mit dir, von allen Seiten umgibt er dich, und niemals fällst du aus seiner Hand heraus, völlig egal, in welchem Zustand du bist. 

Gerade in Phasen der Krankheit fangen Menschen an, auf die Suche zu gehen – nach einem Glauben, der sie trägt. Fangen an, sich selbst ernst zu nehmen und zu verstehen.

So wie Jutta. Sie sagte neulich zu mir: „Ich habe alles versucht, außer Geduld mit mir zu haben.“ Genau das versucht sie jetzt. Akzeptiert die Schmerzen am Morgen und den empfindlichen Bauch am Mittag. Macht Gymnastik gegen das Knirschen und Knacken, geht früh ins Bett. Sie hat gelernt, dass sie Pausen braucht, fehlt manchmal auf der Arbeit. Sie hat akzeptiert, dass sie nicht mehr alles schafft – vor allem nicht allein.

Jutta ist so eine, die zwar nicht gesund, aber heil ist. In Übereinstimmung mit sich selbst und mit Gott, ihrem Schöpfer, der sie „gebildet hat im Mutterleibe“, wie der Psalmbeter es ausdrückt, gebildet zu seinem Bilde, und das heißt: Nicht allein. Sondern in Beziehung. Als allererstes in Beziehung zu Gott. Täglich redet sie mit ihm, klagt und schimpft manchmal, doch viel öfter dankt sie ihm.

„Hauptsache heil“ – das ist viel mehr als „Hauptsache gesund“.

In der „Zeit“ war ein Interview mit Nikolaus und Anne Schneider. Anne Schneider hatte Brustkrebs – und ist wieder gesund. Auf die Frage, ob Gott Menschen wunderhaft heilt und ob das Ziel des Gebetes sei, antwortet sie:

„Nein, das ist eine Wunschvorstellung. Die Nähe zu Gott bewirkt nicht unbedingt körperliche Gesundheit (…). Wer so denkt, wird nie Gottvertrauen entwickeln. Das Heil und die Heilung, die ich mir von Gott wünsche, bezieht sich auf meine Fähigkeit zu hoffen, zu glauben und zu lieben.“  

Amen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
der bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Erntedank am 1.10.2017 von Kirchenpräsident Dr. Volker Jung

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt. Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne«. Jesaja 58,7-12

Liebe Gemeinde,

am vergangenen Sonntag wurde ein neuer Bundestag gewählt. In dieser Woche wurde viel über das Ergebnis diskutiert. Erstmals sind sechs Fraktionen im Deutschen Bundestag. Die Regierungsbildung ist nicht einfach. Erschreckt hat viele, dass eine Partei am rechten Rand so viele Stimmen bekommen hat. Immer wieder hieß es: Diese Partei haben viele Protestwähler gewählt - Menschen, die unzufrieden sind. Oft wird die Flüchtlingspolitik genannt. Aber auch manches andere: wirtschaftliche Entwicklungen, die Angst vor terroristischen Anschlägen, ein großes Gefühl der Unsicherheit, was die Zukunft bringen wird. Es gibt sicher auch etliche, die unzufrieden sind mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Situation. Wir wissen es – aus der Geschichte, aber auch aus anderen Ländern, dass in solchen Situationen verstärkt die gewählt werden, die am lautesten über die Unzufriedenheit und die Ängste reden. Und die oftmals einfache Lösungen versprechen. Auch wenn klar ist, dass es für viele Fragen keine einfachen Lösungen gibt.

Vielleicht denken Sie jetzt: Oh ha, das ist aber gleich ganz schön politisch. Muss das wirklich sein? Am Erntedanktag? Geht es da nicht erst einmal darum, dass wir dankbar sind. Dankbar für die guten Gaben Gottes. Ja, genau darum geht es. Aber das ist zugleich auch sehr politisch. Weil damit die Frage verbunden ist, wie wir mit diesen guten Gaben Gottes umgehen. Wie wir sie selbst nutzen. Wie wir sie verteilen. Aber auch: wie wir sie produzieren und wie wir wirtschaften.

Diese Fragen haben sich zu allen Zeiten gestellt. Und sie werden sich immer wieder stellen. Die alten Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja, die der Predigttext für den heutigen Erntedanktag sind, führen uns jedenfalls direkt hinein.

Worum ging es damals? Viele Menschen waren unzufrieden. Sie hatten sich mehr erhofft. Die Israeliten waren aus der Gefangenschaft zurück. Sie konnten Jerusalem wieder aufbauen. Eine Zeit, der sie sich entgegengesehnt hatten. Aber vieles lief nicht so, wie es erträumt war. Für viele reichte das Geld, das sie erwirtschafteten, nicht zum täglichen Leben. Manche erdrückten die Schulden. Sie gerieten in Schuldsklaverei. Äcker, Häuser, Weinberge mussten verpfändet werden. Kinder wurden verkauft – in Sklaverei und sogar Prostitution. Es gab große soziale Unruhen. Und offensichtlich waren es die Bessergestellten, die fragten: Warum gibt es diese Unruhen? Und sie richteten die Fragen auch an Gott: Warum? Wir fasten doch regelmäßig. Wir halten uns an die religiösen Vorschriften. Zugespitzt fragten sie: Warum Gott sorgst du nicht dafür, dass es uns besser geht?

Auf diese Fragen antwortet der Prophet mit den eindrücklichen Worten: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut. … Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.“

Die Antwort bedeutet. Das Fasten als fromme Übung nützt nichts, wenn ihr in eurem Alltag nicht gerecht miteinander lebt. Und gerecht miteinander leben, das heißt natürlich: sich um die Hungrigen und die Obdachlosen zu kümmern. Das ist mehr als Almosen zu geben und Not zu lindern. Auch das wird mit diesen Worten gesagt. Es geht darum, Menschen nicht zu unterjochen. Oder zu erniedrigen – das heißt mit den Fingern von oben herab verächtlich auf Menschen zeigen und sagen: Die sind selbst dran schuld. Was wollen die überhaupt. Die Worte mahnen an, sich um eine Gesellschaft zu mühen, in der Menschen als Menschen behandelt werden und nicht als Ware. Sie mahnen an, sich darum zu mühen, dass es gerecht zugeht. Dann ja, dann wird das Licht aufgehen in der Finsternis! Das sind große und eindrückliche Worte.

Was bedeutet dies für uns – heute an diesem Erntedanktag?

Wir haben vor uns einen wunderbaren Erntedankaltar. Der Erntedankaltar führt uns vor Augen, dass wir von Gott beschenkte Menschen sind. Frühere Generationen, die - viel mehr als die allermeisten von uns heute - in der Landwirtschaft arbeiteten, hatten ein gutes Gespür dafür: „Wir pflügen und wir streuen den Samen in das Land, doch Wachstum und Gedeihen liegt in des Himmels Hand.“ Es war klar: Wir setzen uns ein und arbeiten. Wir tun, was wir können. Aber das Entscheidende können wir nicht machen. Das Entscheidende ist: Dass wir leben und Gott uns am Leben erhält – durch alles hindurch, was wir tun. Dafür sind wir von Herzen dankbar. Am Erntedanktag machen wir uns besonders bewusst: Wir leben als Menschen nicht aus uns selbst – allein aus eigener Kraft. Das kann niemand von uns. Wir sind in diesem tiefsten Sinn von Gott beschenkte Menschen.

Wir feiern diesen Erntedankgottesdienst hier in Bad Nauheim in der Dankeskirche! Sie hat ihren Namen, weil die Menschen dankbar waren für die besonderen Quellen. Das zeigt ein großes Gespür dafür, dass es gut ist mit dem Dank auf alles zu schauen, was uns gegeben und damit auch anvertraut ist. Die Wärme der Sonne, die Luft, die uns umgibt, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, die Böden, die wir bearbeiten und bepflanzen und vieles, vieles mehr. Ja, und ganz besonders die Menschen, von deren Arbeit wir leben. Und die Menschen, die uns mit Liebe begleiten.

All das ist uns anvertraut. Ja und in all dem erfahren wir und erleben wir Gottes Nähe und seine Fürsorge. Und es ist uns aufgegeben, dies miteinander zu teilen, so dass alle Menschen leben können.

In diesem besonderen Jubiläumsjahr der Reformation soll auch in dieser Erntedankpredigt ein Hinweis auf Luther nicht fehlen. Nicht der Form halber, sondern weil er manchmal die Dinge so wunderbar auf den Punkt gebracht hat. In seinem berühmten Buch von der Freiheit eines Christenmenschen hat er folgendes geschrieben.

„Ei, so will ich solchem Vater, der mich mit seinen überschwänglichen Gütern so überschüttet hat, umgekehrt frei, fröhlich und umsonst tun, was ihm wohlgefällt, und gegen meinen Nächsten auch ein Christ werden, wie Christus es mir geworden ist, und nichts mehr tun, als was ich nur sehe, dass es ihm not, nützlich und selig sei, dieweil ich doch durch meinen Glauben alle Dinge in Christus genug habe. Siehe, so fließet aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies williges, fröhliches Leben, dem Nächsten umsonst zu dienen. Denn gleichwie unser Nächster Not leidet und dessen, was wir übrig haben, bedarf, so haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnade bedurft. Darum, wie uns Gott durch Christus umsonst geholfen hat, so sollen wir durch den Leib und seine Werke nichts anderes tun, als dem Nächsten zu helfen.“

Wir sind von Gott beschenkte Menschen. Und Glauben bedeutet: Das zu sehen und darauf auch all sein Vertrauen zu setzen. Gott, der dich mit deinem Leben beschenkt hat und es dir erhalten hat und erhält, ist für dich da – in diesem Leben und darüber hinaus. Und für Luther war klar: Wenn ich das glaube, dann verändert das meinen Blick auf andere Menschen. Dann sehe ich, dass diese wie ich von Gott beschenkte Menschen sind. Dann sorge ich mich auch um die anderen. Dann will ich, dass sie leben können, so wie ich auch lebe.

Und dann ist es unser aller Aufgabe, so zusammen zu leben, dass niemand in unserer Mitte unterdrückt wird. Dann ist es unsere Aufgabe, so miteinander zu wirtschaften, dass es einigermaßen gerecht zugeht. Gerade am Erntedanktag fragen viele Landwirte zu Recht: Werden wir gesehen? Wird unsere Arbeit gewürdigt? Und vor allem wird sie auch gut und gerecht bezahlt? Am Erntedanktag ist es richtig zu fragen: Können wir denn einfach gute Böden, die über Jahrhunderte so wertvoll geworden sind, hergeben? Am Erntedanktag ist es aber auch richtig zu fragen: Tuen wir genug dafür, dass wir nicht durch unsere Art zu leben, Menschen an anderen Orten dieser Welt das wegnehmen, was sie zum Leben brauchen. Mehr und mehr haben wir ja auch gelernt, dass die Fragen des guten Wirtschaftens und es gerechten Wirtschaftens globale Fragen sind. Es ist verhängnisvoll, wenn Menschen meinen, es sei der richtige Weg zu sagen: Wir zuerst. Unser Land, unsere Nation zuerst.

Zur Zeit des Propheten Jesaja waren Menschen unzufrieden, weil sie gefastet haben und es doch soziale Unruhen gibt. Ich habe den Eindruck: Heute sind manche Menschen aus anderen Gründen unzufrieden. Wir wirtschaften und konsumieren und manchmal sogar sehr erfolgreich. Und trotzdem fehlt etwas.

Ich finde, die Antworten unserer Bibelworte haben nichts von ihrer wegweisenden Kraft verloren:

„Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken. Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“

Und so bewahre der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

Diakoniesonntag am 3.9.2017 von Anny Rahn-Walaschewski, stellvertr. Leiterin Diakonisches Werk Wetterau

Was willst du, dass ich dir tue?

Liebe Gemeinde,

nein, das geht nun wirklich nicht, dass man auf dem Weg zum Schafott einfach so von der Seite angesprochen und um Hilfe gebeten, ja geradezu genötigt wird! Da ist man doch mit sich selbst beschäftigt! Da hat man kein Auge mehr für andere! Da hört man nach innen, nicht nach außen!

Nein, das geht zu weit! Wir haben Verständnis für das Umfeld Jesu, das den Schreihals zur Ruhe bringen will! Wenn er wenigstens den Mund halten würde! Dann könnten wir ihn schlicht ignorieren, so tun, als ob wir ihn nicht sähen. Aber nun zetert er da rum, wie unangenehm! Nun muss ich mich verhalten!

Was nun?

Sie merken, ich habe die Szene auf dem Weg von Jericho nach Jerusalem klammheimlich in unseren Alltag transferiert. Ich habe sie zu einer Szene gemacht, wie wir sie beinahe täglich erleben: Da sitzt jemand mit einem Gebrechen in der Fußgängerzone und hält uns einen Becher hin, er schüttelt ihn, damit wir die paar armseligen Cents klingeln hören und an unser vergleichsweise Gut-betucht-Sein erinnert werden. Vielleicht meldet sich ja bei uns eine innere Stimme, vielleicht laut, während die des Bedürftigen stumm bleibt.

Spinnen wir die Geschichte noch ein wenig weiter.

Was geht uns nicht alles durch den Kopf, um dem unformulierten aber sichtbaren Anspruch nicht genügen zu müssen: Hier gehen so viele vorbei, die bestimmt mehr verdienen als ich, da z.B., die Frau mit dem sündhaft teuren Kostüm und dem Familienreichtum um den Hals; die könnte doch nun wirklich was geben, das fällt bei ihrem Wohlstand doch gar nicht ins Gewicht.

Oder da, der junge Mann im Armani-Anzug, den kenn ich, der arbeitet bei einem Großunternehmen, der verdient sich dumm und dämlich!

Oder anders: Man kennt das ja. Das sind doch gut organisierte Banden, die tagsüber betteln und abends dann von ihrem Bandenboss eingesammelt werden samt den paar Cents, die sie erbettelt haben.

Oder: so schlimm kann’s ja nicht sein mit dem, der da hockt und unverschämt zu mir aufblickt. Der raucht ja und hat zwei Hunde. Und … und … und …

Im Erfinden von Ausreden, die unser sich meldendes Gewissen beruhigen sollen, sind wir durchaus kreativ. Nur, den Ausreden fehlt die Kraft, die Stimme in uns zum Schweigen zu bringen. Weil wir ihnen ja selbst nicht glauben können. Weil sie ja nicht mal uns überzeugen, die doch so gerne so leicht überzeugt würden.

Nein, auch ein stummer Anruf ist ein Anruf, auch ein nicht explizit geäußerter Anspruch ist eine Aufforderung, dem Anspruch nachzukommen. Das wissen wir oder wir spüren es jedenfalls, sonst würden wir ja nicht mit gesenktem Blick an dem Bedürftigen vorbei gehen und angelegentlich die Auslagen im Schaufenster in den Fokus nehmen.

Kehren wir noch einmal zurück an die Straße von Jericho nach Jerusalem. Der Mann schreit noch immer! Was will der Mann? Warum schreit der so? Lapidar gesagt: Weil er ein Anliegen hat. Und weil er ahnt, da ist einer, der kann sich meines Anliegens annehmen und mir helfen. Die ganze Gegend weiß ja davon, dass er Unmögliches möglich machen kann. Das ist mein Mann! Der darf mir nicht entwischen! Also schreit er weiter!

Und es geschieht etwas Unerhörtes: Er wird beachtet, er wird erhört! Der Angerufene bleibt stehen. Wird er dem Unverschämten jetzt Gehör schenken? Wird er sich die Störung mit dem Hinweis, auf das, was ihn erwartet, verbitten? Wird er ihm ein paar nette mitfühlende Worte sagen und dann weiter seiner Wege gehen? Wird er ihm sagen, dass es nicht um Einzelschicksale gehen kann, wenn es um das Schicksal aller geht?

Nein, er lässt ihn tatsächlich zu sich rufen und stellt sich ihm. Was ist das nun wieder? Sieht er denn nicht, dass der Mann blind ist? Merkt er denn nicht, dass der Rufer sich nicht traut, sich nichts zutraut?

Nun, wir dürfen wohl annehmen, dass er das sieht. Wir dürfen davon ausgehen, dass er weiß, was er tut. Er vertraut. Er vertraut darauf, dass der andere ihm vertraut.

Ich muss gestehen, die nun folgende Szene amüsiert mich ein bisschen. Jesus fordert seine Begleiter auf, den Rufenden zu sich zu führen - so jedenfalls erzählt es Lukas. Und die, die vorher nichts Dringenderes zu tun hatten, als den Mann zum Schweigen bringen zu wollen, beeilen sich jetzt, ihn zu Wort kommen zu lassen vor Jesus.

Ich sehe sie förmlich zu dem Gebrechlichen hinwieseln, ihn zu holen. „Mensch, hast du ein Glück, er ruft dich. Nun aber mal ein bisschen fix. Brauchst keine Angst zu haben, komm, komm, steh auf! Wir bringen dich hin!“ So viel Beflissenheit nach früherer Abwehrhaltung lässt mich schmunzeln.

Nun steht er da, der Quälgeist, vor Jesus. Was wird jetzt geschehen? Wird er ihn zurechtstauchen? Wird er ihm ungefragt ein paar Lebensweisheiten um die Ohren hauen? Wird er ihm ein paar Cent in die Hand drücken, um Ruhe vor ihm zu haben und seinen Weg weitergehen zu können? Alles das könnten wir verstehen, weil es uns nicht fremd ist.

Aber Jesus tut das alles gerade nicht. Er entledigt sich nicht mit ein paar Floskeln und mehr oder weniger geheuchelter Teilnahme einer unangenehmen Aufgabe. Er vermutet nicht, was der andere will. Das ist ja eher unser Ding, dass wir immer besser wissen, was der andere nötig oder nicht nötig hat und ihm gut tut oder ihm schadet. Jesus entledigt sich nicht quasi im Vorübergehen einer eher lästigen oder belästigenden Aufgabe. Er fragt. Und diese Frage hat es in sich.

„Was willst du, dass ich dir tun soll?“ Nicht wahr, das kommt uns merkwürdig bekannt vor und gleichzeitig sperrig unbekannt. Wir kennen die Frage sozusagen in der alten Fielmann-Fassung: „Was kann ich für Sie tun, Lady?“

In unserer Welt, in unserer Zeit kommt diese in großer Häufung vor. Man kann ihr kaum entkommen.

Der Bäcker fragt so und der Tankwart. Die Friseuse wie die Empfangsdame. Die Sprechstundenhilfe wie der Physiotherapeut. Und da beschleicht mich manchmal der Verdacht, dass der, der fragt, was er tun kann, in Wirklichkeit darauf aus ist, etwas lassen zu können, das Zuhören beispielsweise oder das Reden mit dem Gegenüber.

In jedem Fall erheischt die so achtlos hingeworfene Frage eine schnelle Antwort nach dem Motto: „Komm zur Sache!“ Die sich so sozial gebende Frage ist oft eine bloße Floskel und zumeist höchst unsozial gemeint.

Wie anders war das in früheren Zeiten, bevor diese Frage zum sinnentleerten Ritual verkümmerte.

Vor dieser Zerfall durfte die Frage - wie in unserer Lukasgeschichte - anstandslos als Zeichen besonderer Zuvorkommenheit verstanden werden. Wer so fragte, verriet Wärme, Wohlwollen, ja Fürsorge für den Adressaten.

Können Sie sich diesen Inhalt in der Frage: „Was kann ich für sie tun, Lady?“ vorstellen. Ich kann es nicht. Und wie wenig diese Frage auf ein zukünftiges Bemühen gerichtet ist, belegt der spätere Schlusssatz des Werbespots: „Vergessen Sie’s!“

Deshalb liebe ich die lutherische Formulierung: „Was willst du, das ich dir tun soll?“ Sie hat so etwas Sperriges, gleichsam etwas widerhakenversehenes, dass sie als Floskel gar nicht zu gebrauchen ist.

Ich stelle mir gerade die Irritation vor, die die so formulierte Frage bei der Lady aus dem Zitat auslösen würde. Und umgekehrt die Antwort: „Vergessen Sie’s!“ bei dem blinden Bartimäus.

Was ist so anders an der Frage des Rabbuni: Sie zwingt zum Nachhören, zum Nachdenken und verbietet geradezu ein „schnelles Geschäft“.

Weil sie ein echtes Interesse signalisiert am Befinden des anderen. Weil sie den so Fragenden in den Dienst des anderen stellt. Das ist für mich der eigentliche Höhepunkt der Erzählung.

Mag man auch mit und für Bartimäus die Wiedererlangung der Sehkraft als ein Wunder ansehen und das heißt ja, für etwas Außerordentliches, etwas, das die Ordnung der Welt überschreitet oder durchbricht, mir ist die radikale Zuwendung zum anderen das eigentliche Wunder, das Außerordentliche, das die Ordnung unserer Selbstbezogenheit und der höchstens flüchtigen Kenntnisnahme der Ansprüche anderer, durchbricht.

Dass Bartimäus sehend wird ist ein Wunder, aber es ist nicht in erster Linie ein medizinisches Wunder, sondern eines des Vertrauens. Denn auch das gehört für mich zum bemerkens- und bedenkenswerten an der Zusage Jesu: Er spricht nicht davon, dass er - Jesus - dem Bartimäus geholfen habe. Könnte er ja machen. Oder zumindest mit innerem Stolz über seine Wohltat bedeutungs- und hoheitsvoll voll schweigen und die Propaganda anderen überlassen. Nein, nicht er hat geholfen, sondern der Glaube des Bartimäus.

Widerspricht das nicht der Fragestellung „Was willst du, dass ich dir tun soll?“

Ganz und gar nicht. Jesus hat etwas für Bartimäus getan, er hat ihm den Glauben vermittelt oder - wenn Ihnen das eher angemessen erscheint - geschenkt, dass Unmögliches möglich ist. Und Bartimäus geht darauf ein. Er lässt sich in diesen Glauben hineinziehen, die Augen öffnen, und er folgt Jesus nach.

Sprache kann verräterisch sein: „Was willst du, das ich dir tun soll?“ oder „Was kann ich für Sie tun?“ Beides scheint dasselbe zu meinen und offenbart doch eine je ganz andere Geisteshaltung und Einstellung zum Adressaten.

Wenn Sie nur das mitnehmen aus der Geschichte von Bartimäus, dass die Zuwendung zum anderen nicht oberflächlich, nicht flüchtig (im wahrsten Sinne des Wortes) sein darf, sondern radikal sein muss, wenn Sie das verstehen, dass Diakonie die Antwort auf einen Anruf ist, dann haben Sie - so meine ich - das Wesen der Diakonie erfasst.

AMEN.

Fürbittengebet

Wir beten:

Für alle, die Gott tastend suchen, dass sie ihn finden mögen.
Für die, die meinen, Gott zu besitzen, dass sie beginnen mögen, ihn zu suchen.
Für alle, die sich vor der Zukunft fürchten, dass sie Vertrauen wagen.
Für alle, die gescheitert sind, dass sie immer wieder eine neue Chance bekommen.
Für alle, die zweifeln, dass sie nicht verzweifeln.
Für alle, die sich verloren fühlen, dass sie ein neues Zuhause finden.
Für die Einsamen, dass sie einem Menschen begegnen.
Für alle, die –wo nach auch immer- hungern, dass sie gesättigt werden.
Für alle, die satt sind, dass sie erkennen mögen, was hungern heißt.
Für alle, die es gut haben, dass sie nicht hartherzig werden.
Für die Mächtigen, dass sie die Verletzlichkeit allen Lebens begreifen.
Für alle, die in dieser Welt leben, zwischen Hoffnung und Furcht.

Und für uns selber beten wir zu Gott mit den Worten, die uns sein Sohn gelehrt hat:

Vater unser im Himmel. Geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld. Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Unterstützung im Haus Wetterau in Bad Nauheim

Das Angebot des Wohnheims richtet sich an volljährige Menschen, die einen rechtlichen Anspruch auf Eingliederungshilfe haben und die aufgrund langer bzw. wiederkehrender psychischer Erkrankung für längere Zeit nicht zur selbstständigen Lebens-führung fähig sind. Das Wohnheim bietet Platz für 24 Menschen, die in Einzelzimmern wohnen und verteilt in 5 Wohngruppen ihren Alltag miteinander gestalten.

Die BewohnerInnen werden in folgenden Bereichen begleitet und praktisch unterstützt:

  • Einüben in lebenspraktischen Fertigkeiten (u.a. Haushaltsführung, Umgang mit Geld),
  • Umgang mit der Erkrankung und psychische Stabilisierung (u.a. Begleitung zu Arzt-besuchen, Umgang mit Medikamenten und Begleitung in Krisen),
  • Therapeutische und pädagogische Angebote (u.a. Gesprächsgruppen, Training sozialer Kompetenzen),
  • Förderung im handwerklichen, kreativen und arbeitstherapeutischen Bereich (u.a. lernen, verschiedene Aufgaben zu planen und konzentriert sowie ausdauernd umzusetzen),
  • Vorbereitung der beruflichen Wiedereingliederung (u.a. lernen, pünktlich zu sein, Absprachen zu treffen und Arbeitsprozesse zu strukturieren).

Für die Maßnahme wird ein individueller Hilfeplan gemeinsam erstellt. Eine fachärztliche Bescheinigung ist Voraussetzung für die Hilfegewährung. Die Kosten werden, sofern Einkommens- und Vermögensgrenzen nicht überschritten werden, in der Regel vom zuständigen Träger der Sozialhilfe übernommen.

Einführung des neuen Konfirmanden-Jahrgangs am 27.8.2017 von Vikarin Anne Kampf

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
liebe Eltern, liebe Gemeinde.

Aufräumen macht ja manchmal richtig Spaß.
Und es befreit.
Altes Zeug wegschmeißen, alles rauswerfen,
Platz schaffen für Neues.
Alte Apps vom Smartphone löschen und neue installieren.
Was Neues ausprobieren, gucken wie das läuft, ob das besser ist als der Kinderkram von vorher.

Gott tut das offenbar auch gerne: Aufräumen.
Neu machen.
Das sehen wir an der Schöpfung, am Kreislauf von Nacht und Tag, Winter und Sommer, Sterben und Leben.
Immer wieder erneuert sich alles.

Ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden merkt an euch selbst, wie ihr neu werdet. Die Jugend ist ja eine ziemlich verrückte und spannende Zeit. Nicht nur der Körper verändert sich – auch im Gehirn ist eine Großbaustelle. Nervenbahnen ordnen sich neu. Alles wird umgebaut, neu sortiert. Man könnte sagen: Der Schöpfer installiert ein neues Programm. Und manchmal purzeln dabei Gedanken und Gefühle durcheinander.

Genau in diese spannende Lebensphase fällt die Konfi-Zeit. Man könnte fragen – und Eltern fragen auch gelegentlich so – : Muss das denn sein? Ihr seid gerade mit so vielem beschäftigt und manchmal ganz verwirrt – und ausgerechnet jetzt sollt ihr euch auch noch mit dem Glauben, mit der Kirche, mit Gott auseinandersetzen?

Das ist anstrengend, ja. Jeden Dienstag sollt ihr anderthalb Stunden Zeit investieren. Zeit, die für andere Dinge fehlt. Ab und zu sollt ihr sonntags zum Gottesdienst gehen, obwohl euch vielleicht gar nicht danach zumute ist.
Muss das sein?

Wenn ich an meine eigene Konfi-Zeit zurückdenke, fällt mir auf: Das war genau die richtige Zeit. Mein Kopf, in dem sich alles neu zu ordnen begann, wollte nämlich mit 13 Jahren alles wissen. Wollte es nochmal neu, besser und genauer wissen als ich es als Kind geglaubt hatte: Wer ist dieser Gott? Gibt es den überhaupt? Wo hält der sich denn auf? Und falls er irgendwo sein sollte: Was hat der eigentlich mit mir zu tun? Will der mich nerven oder meint der es gut mit mir? Will ich diesem rätselhaften Gott den Zugriff erlauben auf meine Gedanken und Gefühle?

Das Bild von der neuen App auf dem Smartphone passt ziemlich gut zur Jahreslosung für dieses Jahr: Ein Vers aus dem Buch des Propheten Hesekiel. Eine Botschaft von Gott an sein Volk. Gott sagt:

„Ich schenke euch ein neues Herz.“ 

Ein neues Herz. Was bedeutet das? Medizinisch gesehen ist das Herz ein Muskel, der Blut durch den Körper pumpt. Absolut lebenswichtig – ohne die Pumpe läuft nichts. In unserer Sprache reden wir außerdem vom Herzen, wenn wir Gefühle meinen: Wer sich verliebt, verliert sein Herz – und wenn nichts draus wird, hat man großen Herzschmerz…

In der Bibel allerdings steht das Herz nicht nur für die Gefühle, sondern auch für die Funktionen, die wir dem Gehirn zuordnen würden: Mit dem Herzen kann der Mensch verstehen. Er kann Fragen stellen, abwägen und beurteilen. Nach der Bibel fühlt und denkt der Mensch mit dem Herzen. Das Herz ist das Zentrum, die Mitte des Menschen.

Und da will Gott aufräumen. Genau in der Mitte.
Altes Zeug rauswerfen, neues installieren.

Wenn wir mal annehmen, dass dieser Zuspruch euch gilt, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden:

Gott schenkt euch ein neues Herz.

Wie fühlt sich der Gedanke für euch an? Die Vorstellung, dass Gott mitten in euch hineingreift und ein neues Herz einbauen will?

Ich finde, das kann auch Angst machen. Denn man denkt ja automatisch an eine Herztransplantation. Eine gefährliche Operation. Aber auch bildlich gesprochen: Wer weiß, ob dabei nichts kaputt oder verloren geht? Wer weiß, ob das neue Herz funktioniert? Ob es wirklich gut denken und verstehen kann? Ob das Leben damit einfacher wird? Ob sich Dinge ordnen, die bisher kompliziert waren?

Was will Gott eigentlich erreichen mit dem neuen Herzen, das er euch schenken will?

Der Bibelvers geht noch weiter:

„Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch.“

Ein Herz aus Stein – ich stelle mir vor, dass sich das ziemlich unangenehm anfühlt. Es tut weh  im Brustkorb. Es ist hart, es drückt, es zieht einen runter. Gott will es rausholen – das, was hart ist und weh tut. Die Verletzungen, die sich verhakt haben und dir das Leben schwer machen. Wie es in deinem Herzen wirklich aussieht, das weiß nur Gott. Er kennt dich genau und weiß, was bei dir läuft. Ob da irgendwelche Störprogramme aktiv sind oder lästiges Zeug, das sich wie Stein anfühlt.

Gott kann das löschen. Er kann ein Reinigungs-Tool laufen lassen und was Neues installieren. Eine neue Herz-App. Als Geschenk – ohne dass wir uns mit der Installation beschäftigen müssten. Gott kümmert sich darum. Gott schenkt das neue Herz. Natürlich gilt das nicht nur den Jugendlichen – auch als Erwachsene bekommen Sie so ein neues Herz, wenn Sie wollen. Auch mehrmals im Leben.

König Salomo fällt mir ein, der weise König, der sich etwas wünschen durfte. Er bat Gott: „Gib mir ein hörendes Herz!“ Ein Herz mit Ohren sozusagen. Ein Herz, das auf Empfang eingestellt ist. Gott fand das total gut und sagte zu Salomo: „Ich gebe dir ein weises und verständiges Herz.“ Ein Herz, das versteht. Besser und tiefer und mehr, als der Kopf verstehen kann.

Im Konfi-Unterricht lernen wir zwar auch mit dem Kopf, aber das ist nicht das Wichtigste. Wichtiger ist das Lernen mit dem Herzen.

Aus Fleisch soll es sein, das neue Herz, also weich und lebendig. Sensibel. Dadurch kann Gott selbst leichter zu Dir kommen und seine Liebe installieren. Darum geht es nämlich bei all dem, was wir in der Konfi-Zeit und überhaupt in der Kirche reden und tun: Um Dich und Gott. Um die Beziehung zwischen Dir und Gott. 

Und natürlich um die Beziehungen untereinander. Da sind noch viele andere Leute mit neuen Herzen, die alle mit Gott verbunden sind. Und weil sie das wissen, schlagen sie auch füreinander. Sind einander nicht egal. Es ist wichtig und schön, zusammen zu sein, gemeinsam zu feiern, zu lernen und Gott zu loben.

 „Ich schenke euch ein neues Herz“, sagt Gott.

In der Volxbibel wird es so ausgedrückt: „Ich werde euch neu machen, ein neues Programm wird in euren Gedanken aufgespielt werden.“ 

Nein, sie ist nicht gefährlich, diese Neuinstallation. Sie tut auch nicht weh. Sie ist nur zu deinem Vorteil und tut dir gut. 

Aber sie erfordert dein Einverständnis. Wenn du auf „OK“ klickst, kann es losgehen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

zu den 'Jubelkonfirmationen' am 11.6.2017 von Pfarrer Rainer Böhm

Liebe Jubilarinnen, liebe Jubilare, liebe Gemeinde,

ich will Ihnen zuerst erzählen, was mir vor dem Predigtschreiben durch den Kopf gegangen ist:

  1. Ich selbst bin ja gar nicht konfirmiert worden. Ich ging als katholisches Kind vor über 50 Jahren zur Kommunion. Aber darf man nur über das reden, was man selbst erfahren hat? Ich finde nicht. Immerhin hatte ich inzwischen ein paar Hundert Konfirmanden.
  2. Ich musste an meinen Vater denken, der inzwischen 85 geworden ist. ER hatte eine riesige Diasammlung von allen seinen Reisen, privat und geschäftlich. Unzählige Stunden hat er uns mit ihnen erfreut und gequält. Es müssen tausende gewesen sein. Im vergangenen Jahr hat er sie alle aussortiert, mit meiner Mutter zusammen. Ein paar hundert sind übrig geblieben.
  3. Und drittens: Predigen Sie kurz und herzhaft hieß es bei unserem Vorbereitungstreffen.

In den vergangenen Tagen habe ich mir noch einmal die alten Konfirmationsbücher angeschaut. Und gesehen, wer Ihre Konfirmatoren damals waren: 1942, 1947, 1952 und 1957.

Pfarrer Knodt und Dekan Schäfer, Pfarrer Müller, Schnabel, Propst Trautwein. Manche davon habe ich noch selbst gekannt. Und ich sah die ganze Breite Ihrer Jahrgänge, Ihrer Mitkonfirmanden und Mitkonfirmandinnen und mich erinnert an so manche, so manchen, von denen wir haben Abschied nehmen müssen, die ich auch noch gut gekannt habe.

Sie haben mir erzählt von den Schuhen, die es auf Bescheinigung gab oder die Sie ausgeliehen hatten in der schlechten Zeit. Von der Kleiderordnung die es damals gab – dass nämlich jeder in Schwarz gekleidet sein sollte. Von der großen Fahrradtour nach der Konfirmation 1957 an die Ostsee haben Sie mir erzählt mit den Pfadfindern.

Psalm 23  haben Sie alle damals auswendig gelernt, so wie es die Konfirmanden heute auch noch lernen müssen. Ich denke, dieser Satz »Der Herr ist mein Hirte«, das kann man schon sagen, wenn man diesen Tag noch erleben kann, nach so langen Jahren. Ja, wenn man dann einen Tag wie diesen heute erleben kann, dann ist da sicher viel Dank, Dank für so viel an geschenkten Tagen, an geschenktem Leben.

Und wenn wir uns noch einmal auf diese Jahre besinnen, diese 75, 70, 65, 60 Jahre seit der Konfirmation: Es waren ja, wenn wir das Bild des Lebens im Ganzen sehen, gute, erfüllte, reiche Jahre. Wer hätte das gedacht, damals, 1942, noch im Krieg, mancher der Väter, der Brüder war ja noch im Krieg. Und dann: drei Jahre noch, und dann eine für damalige Zeit unvorstellbar lange Friedenszeit. Für frühere Generationen war der Krieg, alle paar Jahrzehnte, der Normalfall. Für uns heute nicht mehr denkbar.

Jahre, in denen es, ich denke, uns allen im Ganzen gut gegangen ist: Sie haben Ihre Berufe lernen können und ausüben. Ihre Familien gegründet. Ihre Häuser gebaut. Und irgendwie stimmt da ja gerade dieser Satz aus dem Psalm: »Mir wird nichts mangeln.« Ja, eigentlich ist immer alles dagewesen, was man gebraucht hat. Und das ist ja auch nicht selbstverständlich. Die Älteren erinnern sich sicher noch gut daran, wie arm viele Menschen auch im reichen Bad Nauheim  in früheren Zeiten waren: Zeiten, in denen der Mangel der Normalfall war, so, wie es in manchen Regionen der Welt noch heute ist. Dass wir haben, was wir brauchen, und immer gehabt haben: sicher ein Grund, dankbar zu sein und sich dankbar an so vieles, das in diesen Jahren war, zu erinnern.

Dankbar sich zu erinnern, auch an die Menschen, die das Leben in diesen Jahren begleitet haben: Ihre Eltern, damals noch, stolz auf die Tochter, den Sohn, nun schon so groß. An manche Ihrer Eltern kann ich mich auch noch erinnern.

Und all die andern: Ehepartner, die Familie, Freunde und Nachbarn, Bekannte und Kollegen: So viele, die das Leben begleitet haben und mit dazu beigetragen haben, dass das Leben immer wieder gelang.

Dank: Ja, da ist heute auch der Dank an Sie für das, was Sie für andere waren in dieser Zeit: an unserem Ort und anderswo, in manchen Vereinen, Freundschaften, und auch in manchen Kirchengemeinden: Dankbar sind wir dafür, dass wir Sie in diesen Jahren in unserer Mitte hatten und noch haben.

Und in und durch diesen Dank: Der Dank an Gott, den Herrn, dessen Wort vom Segen damals, hier, an dieser Stelle ausgesprochen, durch all diese Jahre mit ihrem Auf und Ab getragen hat.

Ja, sicher, da ist auch noch der andere Teil des 23. Psalms: nicht nur frisches Wasser, nicht nur grüne Auen, auch das tiefe Tal: Kein Leben ist so einfach, so glatt, so unangefochten, dass es nicht auch davon wüsste: ein tiefes Tal, und manchmal sind es Abgründe, an denen der Lebensweg vorüberführt.

Auch daran erinnern wir uns heute: Und sagen uns doch: Auch und gerade da hat sich erfahren lassen, was Bewahrung und was Segen bedeutet: neue Hoffnungen, Neuanfänge, neue Wege, die immer wieder da waren. So haben wir alle es erlebt

Und so glauben und vertrauen wir uns heute aufs Neue seinem Segen an. Wir bauen darauf, dass er bleibt und trägt, in allen Wechselfällen des Lebens, was da noch geschehen mag: »Ich werde bleiben im Hause des Herrn. Immerdar.« Bleiben? Wie lange? Wie lange noch? Die Antwort ist: Immerdar; denn du gehst nicht und niemals verloren. Immerdar – für mich eines der schönsten biblischen Worte.

Amen

am 21.5.2017 von Vikarin Anne Kampf

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Liebe Gemeinde,

haben Sie gelernt, zu beten?

Meine beiden Schwestern und ich haben eine erste Einweisung durch unsere Oma gekommen. Sie ging zwar nicht in die Kirche, aber gebetet hat sie mit uns. Abends vor dem Einschlafen. „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“

Meine kleine Nichte hat zu ihrer Taufe einen Gebetswürfel geschenkt bekommen. Das ist ein faustgroßer Würfel aus Holz, auf dem sechs Gebete draufstehen. Zum Beispiel: „Wo ich gehe, wo ich stehe, bist du, guter Gott, bei mir.

Wenn ich dich auch niemals sehe, weiß ich sicher, du bist hier.“

Muss man denn das Beten lernen? Ich glaube schon. Am besten als Kind, damit man auch später noch beten kann wie ein Kind. Mit ganz einfachen Worten.

Die Jünger Jesu mussten das Beten als Erwachsene lernen. Oder: wollten es neu lernen. So wie Jesus wollten sie beten können, so vertraut mit Gott reden wie er. Einmal beobachteten sie Jesus beim Gebet und als er geendet hatte, baten sie ihn: „Herr, lehre uns beten!“ Jesus sagte ihnen daraufhin die Worte, die wir als das Vaterunser kennen.

Dann erzählte er ein Gleichnis.

Es steht im Lukasevangelium im 11. Kapitel.

5 Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote;

6 denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann,

7 und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.

8 Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.

Interessiert sich Gott überhaupt für unser Gebet? So haben Sie sich vielleicht auch schonmal gefragt. Hört er überhaupt zu? Macht er die Tür auf, wenn wir mitten in der Nacht anklopfen? „Stellt ihn euch vor wie einen Freund“, sagt Jesus in diesem Gleichnis. Na klar macht der Freund die Tür auf! Reicht drei Brote raus oder - so stelle ich es mir vor - lässt gleich alle Leute rein und kocht ein richtiges Essen. Wir gehen Gott nie auf die Nerven mit einem Bittgebet, und sei es noch so simpel und alltäglich wie die Bitte um drei Brote.

Müssen wir denn überhaupt Gott um das bitten, was wir sowieso bekommen? So etwas wie Brot? Gegenfrage: Ist es denn so selbstverständlich, dass wir das haben? Ist es nicht. Mit dem Wohlstand kann es ganz schnell vorbei sein. Die Geflüchteten unter uns wissen das, die Älteren auch. Wir sind auf Versorgung angewiesen und manchmal auch auf Hilfe. Niemand kann ganz autonom leben.

Sich das einzugestehen, fällt manchen schwer - weil sie lieber stark als schwach sein wollen, lieber alles alleine schaffen anstatt sich helfen zu lassen.

Die Bitte an Gott um Alltägliches ist deswegen auch ein Bekenntnis: Ich glaube, dass ich mein Leben Gott verdanke und es nicht selber erhalten kann.

Außerdem: Wenn wir genau hinschauen, sehen wir, dass die Bitte in dem Gleichnis eine Fürbitte ist. Der, der anklopft, braucht ja das Brot, um einen anderen zu bewirten, der auf der Durchreise ist und Hunger hat.

Wenn wir für andere beten, stehen wir damit für sie ein, stellen uns mit ihnen in eine Reihe. Wir zeigen, dass ihre Not uns nicht egal ist. Genauso gut könnten wir in ihrer Lage sein! Wir erklären uns solidarisch mit Menschen, die bedürftig sind und Hilfe brauchen.

Nach dem Gleichnis geht die Rede Jesu weiter mit einer Ermahnung zum Gebet.

9 Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.

10 Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

11 Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange?

12 Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion?

13 Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Das Bild vom Freund wird hier verstärkt durch das Bild vom fürsorglichen Vater. Der würde seinen Kindern nur Gutes und nie etwas Gefährliches geben. Noch mehr als ein Freund auf den andern angewiesen ist, ist ein Kind von den Eltern abhängig. Unerträglich der Gedanke, Eltern würden ihr Kind nicht mit dem Lebensnotwendigen versorgen!

Aber vermutlich widersprechen einige von Ihnen im Stillen und fragen: Ja, aber wie ist das denn mit den Gebeten, die wir an Gott gerichtet haben, und die er nicht erhört hat? Wir haben um Heilung gebeten und der Kranke wurde nicht gesund.

Wir haben darum gebeten, dass zwei Menschen sich vertragen, doch die Beziehung brach auseinander.

Wir haben darum gebeten, dass eine Jugendliche ihre Prüfung schafft, aber sie ist durchgefallen.

Wie sollen wir denn Vertrauen in Gott haben, wenn er unsere Gebete nicht erhört?

Eine einfache Antwort auf diese berechtigte und schwierige Frage kann ich Ihnen nicht anbieten. Aber es gibt in der Rede Jesu etwas zu entdecken, das die Frage vielleicht in eine andere Perspektive rückt.

Lassen Sie uns zwischen den Zeilen lesen und sehen, was da nicht steht:

Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.

Fällt Ihnen etwas auf? Diese Sätze sind unvollständig! Da fehlt jeweils das grammatische Objekt. Wen oder was gibt uns denn Gott, wenn wir bitten? Wen oder was finden wir denn, wenn wir suchen? Und an welche Tür klopfen wir überhaupt an, die uns aufgetan wird?

Das Objekt fehlt, weil es beim Beten nicht in erster Linie um unsere Wunsch-Objekte geht und weil Gott kein Wunsch-Erfüllungs-Automat ist. Weil es beim Beten um mehr geht als um drei Brote, ein Ei oder einen Fisch. Und um etwas anderes als Gesundwerden, Versöhnung oder eine Prüfung.

Die Rede Jesu endet mit:

… wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Da haben wir ganz am Schluss ein grammatisches Objekt: Den Heiligen Geist - den wird Gott geben. Obwohl in den Beispielen, die Jesus nennt, niemand um ihn gebeten hat. Bittet, so wird euch Heiliger Geist gegeben - die Kraft von Gott, die euch tröstet, ermahnt, inspiriert, kräftigt, verändert. Suchet, so werdet ihr Heiligen Geist finden - der euch mit Gott verbindet. Klopft an, und ihr kommt hinein in Gottes Haus, in die Gemeinschaft der Christen untereinander und in die Gemeinschaft mit ihm.     

Durch Gebet werden zwar nicht alle Wünsche erfüllt. Aber es passiert etwas zwischen dem betenden Menschen und Gott. Eine Beziehung entsteht, die von Nähe und Verlässlichkeit geprägt ist. Wie zwischen einem kleinen Kind und seinen Eltern. Oder wie zwischen zwei Freundinnen.

Deswegen lohnt es sich, wie Jesu Jünger das Beten neu zu lernen: Weil eine Beziehung gepflegt werden muss, wenn sie Bestand haben soll. Was wir mit Gott reden, ist gar nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass wir beten. Und zwar nicht nur ab und zu und nicht nur in der Kirche, sondern in unserem alltäglichen Leben - zu Hause, bei der Arbeit, in der Schule, und warum nicht auch in der Turnhalle, im Freibad, im Café oder im Park?

Die spanische Mystikerin Teresa von Avila hat einmal gesagt:

„Das Gebet ist meiner Ansicht nach nichts anderes als ein Gespräch mit einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil er uns liebt.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.

Amen.

am 14.5.2017 (Thomasmesse) von Vikarin Anne Kampf

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Sie steht am Ufer des Jordan.

Hinter ihr das Land Moab. Die Felder ihrer Familie, die Häuser ihrer Geschwister, vertraute Heimat.

Vor ihr, auf der anderen Seite: Juda. Die Heimat ihres verstorbenen Mannes.

Hier steht sie am Jordan, an der Grenze zum Gelobten Land. Rut kennt dieses Land nicht.

Sie steht hier mit Orpa, ihrer Schwägerin, die in derselben Lage ist: Witwe und keine Kinder. Und mit Naomi, ihrer Schwiegermutter, die aus Bethlehem in Juda stammt und vor Jahren nach Moab ausgewandert war.

Jetzt will Naomi zurück. Und zwar allein. Sie schickt Orpa und Rut nach Hause: „Geht hin und kehrt um, eine jede ins Haus ihrer Mutter! (…) Der HERR gebe euch, dass ihr Ruhe findet, eine jede in ihres Mannes Hause!“ Das Beste für die beiden wäre, in Moab neu zu heiraten, findet Naomi. 

Orpa weint, umarmt und küsst Naomi, dreht sich um – und geht zurück.

Rut bleibt sehen. Es ist noch nichts entschieden… 

Wie fühlt sich das an, wenn du am Ufer stehst und dich fragst: Soll ich rübergehen? Ganz neu anfangen? Eine neue Arbeitsstelle, eine andere Stadt, lauter neue Gesichter… Traust du dich das wirklich? So eine Entscheidung ist schwer! Ob du das alles schaffst? Ob du dich zurechtfinden wirst? Ob du Leute kennenlernst, die es gut mit dir meinen… ?

Rut blickt auf das fließende Wasser und versucht, ihre Gedanken zu ordnen. Noch könnte sie Orpa einholen. Doch dann trifft Rut ihre Entscheidung.  Sie will rübergehen. Mit Naomi, ihrer Schwiegermutter. Zu ihr sagt Rut die folgenden Worte:   

Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte.

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch.

Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.

Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden.

Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden.

Was für ein Versprechen!

Klingt wie bei einer kirchlichen Trauung – daher kennen Sie vielleicht diese beiden Verse aus dem Buch Rut. Doch der Schwur ist stärker als ein Eheversprechen – so stark wie Gottes Bund mit seinem Volk: „Ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein“, heißt es beim Propheten Jeremia. Worte der göttlichen Bundesformel aus dem Munde einer Frau an ihre Schwiegermutter gerichtet… Das ist ungewöhnlich. Sehr mutig, fast schon überheblich….

Wie fühlt sich das an, wenn du die entscheidenden Worte aussprichst? In diesem Moment blendest du alles andere aus… Du weißt: Jetzt ist der Moment. Jetzt sag ich den anderen, dass ich gehe. Jetzt gebe ich die Kündigung ab. Jetzt unterschreibe ich den Vertrag. In diesem Moment wächst du über dich hinaus, hebst vielleicht ein bisschen ab. Der Mut verleiht dir Flügel.   

In diesem Moment schaut Rut nach vorne, nicht zurück. Vielleicht wird ihr bei der Ankunft drüben in Juda klar werden, dass sie mit dem Schritt über den Jordan alles Vertraute verlassen hat: Ihre Heimat, ihre Familie, ihr Volk, sogar ihre Religion. Alles.

Wie fühlt sich das an, ein ganzes Leben hinter dir zu lassen? 

Die vertrauten Straßen deines Heimatortes wirst du nicht mehr betreten. Die Kollegen werden sich nicht mehr melden. Die Gruppen und Kreise, zu denen du gehört hast, treffen sich ohne dich.

Beim Übergang verlierst du einen Moment lang den Boden unter den Füßen. Weißt nicht, was am andern Ufer passieren wird, kannst aber auch nicht zurück. Du schwimmst irgendwo zwischen den Welten.

Der Anfang ist schwer für die Ausländerin Rut in Bethlehem. Niemand redet mit ihr. Wie soll sie Anschluss finden? Doch Naomi kennt Leute und besitzt ein Stück Land. Geschickt sorgt sie dafür, dass Rut einen Mann kennenlernt, der das Recht hat, mit ihr – anstelle von Naomi  – die Schwagerehe einzugehen: Er heißt Boas und er hat Respekt vor dem Mut seiner zukünftigen Ehefrau:

„Man hat mir alles angesagt, was du getan hast an deiner Schwiegermutter nach deines Mannes Tod; dass du verlassen hast deinen Vater und deine Mutter und dein Vaterland und zu einem Volk gezogen bist, das du vorher nicht kanntest. Der HERR vergelte dir deine Tat, und dein Lohn möge vollkommen sein bei dem HERRN, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, dass du unter seinen Flügeln Zuflucht hättest.“

Zuflucht. Ein neues Zuhause. Boas und Rut bekommen einen Sohn – Obed – und sie leben mit Naomi in einer Art Patchworkfamilie zusammen. Ein ungewöhnliches Modell, das aber von den Leuten in Bethlehem akzeptiert wird.

Rut hat alles auf eine Karte gesetzt – und gewonnen. Dieser Gott, an den Naomi glaubt… seine Wege sind manchmal ein bisschen verrückt… Aber es ist gut, ihm zu vertrauen.

Wie fühlt sich das wohl an, wenn du ein Jahr nach deiner Jordan-Überquerung Bilanz ziehen wirst? Vielleicht hast du dann schon  Leute kennengelernt, die dir helfen. Vielleicht hast du dann schon ein bisschen gespürt, dass du dazugehörst. Und dass deine neue Aufgabe sinnvoll ist. Vielleicht wirst du dann sagen können: Es ist besser als früher. 

Wir springen nochmal zurück an den Punkt, wo die Entscheidung fällt.

Ans Ufer des Jordan. Wenn du da noch stehst: Hab Mut, rüberzugehen!

Trau dich, was Neues zu machen!

Gott traut dir das zu.

Er segnet die, die Mut haben und zum Aufbruch bereit sind.       

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. 

Amen.

zur Konfirmation am 14.5.2017 von Pfarrerin Meike Naumann

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

liebe Festgemeinde,

ich habe hier ein Körbchen mit Glückskeksen, die habe ich für euch gebacken. Pfarrerin Pieper wird gleich jedem und jeder von euch einen Glückskeks geben. Ihr kennt die sicherlich alle vom Chinesen. Da stehen dann zukunftsweisende Sprüche drin wie… „Der Fluss des Lebens wir dich dorthin tragen, wo der Sinn deines Lebens dich braucht.“

Ich  öffne den Glückskekes noch beim Essen. Er schmeckt nicht wirklich, aber den Spruch will ich wissen – auch wenn ich ihn zu Hause meist schon wieder vergessen habe. Und spannend bzw lustig ist das Vergleichen mit den Sprüchen der anderen. Und zu gucken, ob der Spruch vielleicht doch irgendwie zu der Person passt. Das ist ein bisschen so wie Horoskope lesen.

Die meisten hier in der Kirche heute werden zwar beteuern, dass sie Horoskope nur beim Frisör oder beim Zahnarzt lesen, aber lustig ist es doch wenn da steht:

Steinbock, männlich: „Venus und Saturn bringen diesen Monat Ruhe in Dein Leben. Du kannst dich auf deine Freundin voll verlassen und ihre Nähe genießen.“

Auch wenn wir im Grunde alle wissen, dass das Quatsch ist – warum haben dann trotzdem Glückskekse und Horoskope so eine magische Anziehungskraft auf uns Menschen, egal wie alt wir sind?

Eine Vermutung: Die offene Zukunft macht uns etwas bange. Wir wollen uns gern auf das einstellen, was auf uns zu kommt.

Erinnern wir uns an die Konfifreizeit. Etliches stand da schon vorher fest und man konnte sich darauf einstellen. Für euch Konfis, aber auch für uns Hauptamtliche und die Teamer war das wichtig.

Klar war: Wann fahren wir los? Wann kommen wieder? Darf ich morgens ausschlafen? Nein! – Kann ich mir aussuchen mit wem ich in einem Zimmer bin? Im Prinzip JA! – Gibt es w-Lan? 

Das und noch etliches anderes ließ sich klären. Aber wie es wirklich wird, wie es dir geht weg von allem, was dir gewohnt ist, ob du eine Freundin haben wirst oder einen verlässlichen Kumpel, ob dich die anderen akzeptieren – das konnte dir vorher keiner sagen.

In der Schule gibt es das auch: auf eine angesetzte Klassenarbeit kann ich mich vorbereiten – theoretisch zumindest. Aber, ob ich morgen die Mathehausaufgaben an der Tafel vorrechnen muss, dass weiß ich nicht. Auf diese Frage bekomme ich keine Antwort. Ich würde mich ja schon gern darauf einstellen, sprich wissen, ob es sich lohnt die Hausaufgaben zu machen.

Wenn wir Menschen so gar nicht wissen, was kommt, macht uns das unsicher, weil wir uns eben auf nichts einstellen können. Wir versuchen, Wahrscheinlichkeiten zu errechnen, Prognosen einzuholen, irgendwie die Zukunft in den Griff zu bekommen.

Firmen lassen sich Prognosen errechnen. Ebenso die Politik. Aber wen Zukunftsberechnungen nicht befriedigen oder beruhigen können, der greift eben gern mal zum Horoskop. Um überweltliche Sicherheit zu bekommen.

Paul zum Beispiel kann sein Problem gar nicht berechnen. Er fragt sich nämlich: „Klappt das endlich mit dem Mädel, das ich jetzt schon seit drei Wochen beharrlich in jeder Pause anlächle?“

Dieses Mädel aber hat ganz andere Sorgen: „Schaffe ich die Schule gut? Komme ich zuhause klar? Werde ich Menschen finden, mit denen ich durch dick und dünn gehen kann, egal was kommt? Freunde, auf die ich mich verlassen kann? Damit ich eben nicht einsam und klein in der großen weiten Welt meinen Weg finden muss, sondern gemeinsam, verlässlich und deswegen gestärkt, mutig, neugierig in Angriff nehmen kann, was kommt.“

Genau deshalb sind es doch die Themen Freundschaft, Liebe und Beziehung, die in Horoskopen und Glückskeksen am meisten vorkommen, weil es da mit dem Berechnen so gar nicht klappt.

So! -  Aber was steht jetzt in euren Glückskeksen? Schaut doch jetzt einmal nach!

Was steht bei dir? Und bei dir?

„Jesus Christus spricht: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“

Den Spruch haben wir eben bei der Lesung gehört und bei jedem Taufgottesdienst – nichts Neues also. Und dann auch noch für jeden derselbe – Ein bisschen enttäuscht?

Bei euren Konfisprüchen habt ihr euch euren ganz eigenen, persönlichen Vers ausgesucht, habt gewählt, was euch von Gott und für Gott besonders gut gefällt. Das ist wichtig. Das zeigt, dass ihr euch Gedanken gemacht habt, was Gott und Glauben für euch bedeuten. Und das ist bei jeder und jedem ein bisschen anders.

In unserem Glückskeks hier habt ihr alle denselben Spruch, weil genau dieses Versprechen für die Zukunft für euch und uns alle gleich gilt!

Jesus Christus spricht: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Gott macht keine Unterschiede: ob hochbegabt, gewinnend, sympathisch, musikalisch oder  pubertär oder raunzig – Gott verlässt keinen, egal, was im Horoskop steht und was die Zukunft bringt. Darauf kannst du dich verlassen. 100%. Das ist eine gute Prognose für die Zukunft.

Dieses Glückszettelchen sagt dir nicht, was im Einzelnen sein wird – Schuljahr geschafft, Lottogewinn, Traummann gefunden und wieder verloren, Auto geschrottet, Ausbildungsplatz bekommen.

Dieses Zettelchen sagt dir, was schon längst vor dir galt, was genau für dich gilt und auch nach dir für andere  gelten wird.

Es sagt, dass du keinen Schritt tust, egal in welches Fettnäpfchen oder in welches unbekannte Seelenland, keinen Schritt, der nicht von Gott begleitet ist. Denn das gilt nicht nur für dein Leben mit allen Höhenflügen und Abgründen, sondern  „Bis an der Welt Ende!“

Bei deiner Taufe hat er das versprochen, jedem von uns gleich. Denn der Taufbefehl, aus dem der Spruch ja ist, wird ja bei jeder Taufe verlesen. Deswegen sind alle Glückskekse gleich.

Und nun: Glaubst du da dran? Treue, Verlässlichkeit, Sicherheit bedeuten dir doch viel. Aber es ist bloß ein Wort, auswendig gelernt, umhüllt von gerade mal 200 Kalorien – davon kann man doch nicht leben. Dann drehe den Spieß einfach mal um.

Sag nicht: Das möchte ich gerne glauben, aber es spricht so viel dagegen, und so richtig spüren tu ich es auch nicht.

Mache es andersrum: Gehe einfach mal davon aus: Gott glaubt an dich. Du bist ihm wertvoll, dir will er treu sein und verlässlich.

Beweisen kann man das nicht. Aber es zeigt sich etwas davon: Wenn wir als kleine Kinder getauft werden, werden wir Gott anvertraut. Von diesem Zeitpunkt an macht Gott beziehungsmäßig ernst.

Da kamen bei einigen dann Kinderkirche, Kinderfreizeit, Lutherfest, Adventsbasteln, Reli-Unterricht.

Ihr habt euch zu Konfiunterricht angemeldet und seid dabei geblieben, habt euch auf die Projekte eingelassen, habt etwas gehört und erlebt, was ihr nicht  gekannt habt. Manches war blöd und ist morgen abgehakt. Anderes wächst weiter.

Und jetzt sitzt ihr in eurer eigenen Konfirmation und wollt gleich „ja“ sagen. Da ist doch eine Geschichte zwischen Gott und dir. Kein Beweis, klar, aber eine Geschichte, eine Beziehungskiste: schon jetzt nicht die kürzeste. Er lässt dich wissen: Ich bin bei dir alle Tage, egal was kommt. Und er glaubt an dich über deinen Tod hinaus – und über die Vorboten des Todes hinaus auch, über Krankheit, Verlust, Kummer, alle Not. Er trägt dich rüber.

Und deswegen sag nachher einfach „ja“. Ja, ich will mit diesem Gott leben. Ich lebe ja schon längst mit ihm. Ja, mein Glaube verändert sich, weil ich mich verändere. Aber es bleibt Glaube, weil eben Gott verlässlich ist. Ja, ich will in seiner Gemeinde bleiben. Ich gehöre zu denen, denen Gott treu ist.

Amen.

zur Konfirmation am 7.5.2017 von Pfarrerin Susanne Pieper

Gottes Liebe, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Konfirmandinnen und liebe Konfirmanden, liebe Familien und liebe Gemeinde!

Nein, ich werde heute, an eurem großen Tag, nicht auf all das eingehen, was wir im vergangenen Jahr gelernt haben. Etwas anderes ist mir wichtig. Und das hat zu tun mit dem Rückblick auf unsere gemeinsame Zeit. „Was hat dir an der Konfirmandenzeit gefallen?“ so lautete eine der Fragen in der vorletzten Konfistunde. „Dass wir alle zusammen lachen konnten“, hat jemand von euch dazu geantwortet.

Ja, wir haben zusammen gelacht! Und das sollte niemand geringschätzen.

Da war Lachen und Freude in der Konfizeit: bei den gemeinsamen Spielen zu Beginn des Jahres; in den vielen Projekten; bei unserem sog. „Casino – Abend“ auf der Freizeit, allein schon bei den Montagsmalern… Beim Singen mit Herrn Scheffler und genauso auch beim Gestalten eurer Taufkerzen.

Ja, bei Kirchens darf gelacht werden! Und ihr habt, wie alle, ein Recht aufs Unbeschwertsein. Auf Glück und auf Leichtigkeit. Gerade in unserer Zeit. Nachher, im Wechselgespräch zwischen euch und dieser Gemeinde, werden wir es zusammen sagen: „Das Leben ist schön. Wir freuen uns, dass wir leben. / Lasst euch die Freude durch nichts und niemanden nehmen.“ Ja - und das meinen wir Erwachsenen nun wieder ziemlich ernst J. Ihr habt ein Recht darauf, glücklich zu sein.

Worüber werdet ihr euch wohl heute freuen? Ganz sicher darüber, dass heute eure Familie euretwegen zusammen gekommen ist und euch alles Gute wünscht. Sicher auch über die Geschenke, die ihr bekommen werdet. Über den Segen Gottes, den er euch schenkt, und darüber, dass ihr nun von den Erwachsenen anders angesehen und anerkannt werdet. Einige freuen sich darüber, dass die Konfizeit nun zu Ende ist - andere wieder bedauern das.

Vielleicht ist es für euch auch interessant zu erfahren, worüber ich mich heute freue: zuerst einmal freue ich mich, dass ihr alle hier heute in der Kirchenbank versammelt seid und konfirmiert werdet. Das war zwischenzeitlich nicht immer selbstverständlich. Manchesmal war ich wie eine Hirtin, die ihre Herde gut zusammenhalten musste. Aber nun seid ihr alle da, und ich bin froh!

Ich bin gern mit euch auf dem Weg gewesen – auch wenn es manchmal ziemlich laut war. Ich habe mich gefreut über eure wachen Fragen und Gedanken; z.B. auch über die eigenen Psalmen, die ihr auf der Konfifreizeit formuliert habt. Und die davon erzählen, wie viel ihr von Gott schon verstanden habt. Das zu lesen, das hat mich richtig glücklich gemacht. Wir haben zusammen nachgedacht, welche Bedeutung Jesus für uns hat, und wie wir zusammen leben können.

Manche Fragen haben wir auch nicht beantworten können miteinander. Z.B. diese: „Was hat Gott eigentlich gemacht, bevor er die Welt erschaffen hat?“ (Auf solch eine Frage muss ja auch erst mal kommen!) oder diese Frage: „Warum redet Gott heute nicht mehr so wie zur Zeit der Bibel?“ Ich bin sicher, er redet noch! Aber vielleicht müssen wir viel genauer hinhören, um seine Stimme zu verstehen. Jemand, Elie Wiesel, hat einmal gesagt: „Die Frage ist die Königin der Antwort!“ Also wichtiger. Wie langweilig wäre es, wenn wir schon alle Antworten wüssten! Aber wenn wir weiterhin Fragen haben, dann bleiben wir innerlich neugierig und lebendig, und das Leben bleibt spannend. Wer weiß, vielleicht finden wir die Antworten ja später.

Doch nun noch einmal zur Lebensfreude zurück: ihr bekommt heute von uns einen Martin Luther geschenkt. Einen Playmobil - Luther. Vielleicht stutzt ihr jetzt, lacht darüber und denkt: „Was soll das denn?“

Der kleine Luther soll euch an die Freude erinnern. Wir feiern ja in diesem Jahr das 500. Gedenken an die Reformation, die er ins Rollen gebracht hat. Luther hat vieles Neue erkannt und hat die Kirche umgekrempelt. Und ich behaupte: er hat den Menschen seiner Zeit die Freude zurückgebracht. „Ihr habt einen gnädigen Gott. Darum soll und muss ein Christ ein fröhlicher Mensch sein.“ Das sind seine Worte. Oder: „Liebe ist Freude. Freude ist Liebe. Und Freude ist Leben.“

Ja, Luther wusste, dass es ohne Freude kein Leben gibt, dass ohne Freude das Leben nicht lebenswert ist. Lachen und Freude sind ein Lebenselixier. Lachen ist heilsam für Körper und Seele. Es macht das Leben leichter. Darum sagte Luther: „Gott möchte uns fröhlich sehen. Wenn Gott wollte, dass wir traurig wären, würde er uns nicht Sonne, Mond und die Früchte der Erde schenken.“

Freude ist Leben. Freude macht unser Leben lebenswert. „Gott ist ein Geist der Freude,“ sagte Martin Luther. Das bedeutet: wir müssen keine Angst mehr haben. Luther hat den Menschen die Angst vor Gott genommen und hat ihnen die Freude an ihm wiedergegeben. So hat er lachende Gesichter in die Kirchen gezaubert. Und er hat die Bibel übersetzt. Nun gilt nicht mehr der unreflektierte Gehorsam gegenüber einem einzelnen Priester, sondern es gilt die Freiheit des eigenen Lesens und Denkens. Nun müssen wir nicht mehr in der Lebensangst oder gar in der Todesangst verharren, sondern können Gott ganz vertrauen.

Nun sind wir nicht mehr unmündig, sondern dürfen mündige, aufrechte Christinnen und Christen sein.

Luther hat für uns den Weg zur Freude wieder frei gemacht, auch den Weg zur Freude über Gott. Daran soll die kleine Lutherfigur euch erinnern. Nun können wir in guten wie in schwierigen Tagen sagen, so wie es in euren eigenen Psalmen steht: „Gott ist mein Fels in der Brandung. Er ist die Mauer, auf die ich mich stützen kann. Das Haus, das mir Zuflucht gibt. Ihm vertraue ich.“

Und ich, ich wünsche euch, dass ihr alle Gottes Nähe in eurem Leben weiter erfahrt und es erlebt, dass er bei euch ist. Ich wünsche euch, dass Gottes Licht mit euch ist. An vielen Tagen ist sein Licht wie die helle Sonne; an manchen Tagen ist es auch wie das Licht der Sterne am dunklen Nachthimmel, aber es ist immer da.

„Und euer Herz soll sich daran freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.“

Amen.

am 26.3.2017 von Vikarin Anne Kampf

Liebe Gemeinde,

Worte sind oft schwer verdaulich. Auf manchen Worten, die wir zu hören bekommen,  müssen wir erstmal ordentlich herumkauen, bevor wir sie runterschlucken können. Mit dem Lesen ist es oft genauso. Dem englischen Philosophen Sir Francis Bacon wird ein Zitat zugeschrieben, das ich hier in Bad Nauheim vor der Stadtbücherei entdeckt habe: „Manche Bücher darf man nur kosten, andere muss man verschlingen und nur wenige kauen und verdauen.“ Welche Bücher sind wohl für Bacon die besseren? Diejenigen, die er nur kosten darf? Die, die er verschlingt? Oder die, die er kauen und verdauen muss?

Der Predigttext für den heutigen Sonntag gehört zur letzten Kategorie: schwer verdauliche Kost aus dem Johannesevangelium. Hören Sie doch mal hin, ob Ihnen diese Worte schmecken oder nicht.

Johannes 6, die Verse 55 bis 65:

Mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank.
Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.
Wie mich gesandt hat der lebendige Vater und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen.
Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte.
Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören?
Da Jesus aber bei sich selbst merkte, dass seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Nehmt ihr daran Anstoß?
Der Geist ist's, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben.
Aber es sind etliche unter euch, die glauben nicht.
Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben.

Kein Wunder, dass die Jünger sich ärgern. Ich stelle mir vor, dass sie richtig mit Jesus schimpfen. „Was sollen wir?!? Dein Fleisch essen und dein Blut trinken?!? Das ist ja eklig, was wir uns hier anhören müssen – und dann auch noch in der Synagoge!“ – Bei der Vorstellung von rohem Fleisch auf dem Teller und Blut im Becher kann es einem ja nur schlecht werden! Menschenfleisch essen – die frommen Juden, die Jesus in dieser Szene zuhören, kennen diese Vorstellung aus einem griechischen Kult, aber für sie selbst und ihre Religion ist das ein absolutes Tabu.

Es ist völlig klar: Die Rede Jesu kann nicht wörtlich gemeint sein. So schwer verdauliche Worte sind eine unerhörte Provokation. Eine krasse Überspitzung. Ein inszeniertes Missverständnis. Der Kontext hilft, das zu erkennen: Vor unserem Predigttext berichtet Johannes von der Speisung der 5000 und Jesus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens“, was ja viel appetitlicher klingt. Direkt nach unserem Predigttext geht es darum, wer von den Jüngern bei Jesus bleibt und wer sich abwendet. Für die Leser heißt das: Nur wer das Bild vom Fleisch und Blut richtig versteht und sich hier nicht auf die falsche Fährte schicken lässt, bleibt in der Gemeinschaft.

Ich will versuchen, diese seltsame Rede zu erklären. Und dabei auch mit Ihnen darüber nachdenken, was das Ganze für uns heute als Christinnen und Christen bedeuten könnte.

Es geht ums Essen und Trinken, um die tägliche Nahrung, die uns am Leben erhält. Aber nicht um die Pausenbrote in der Schule oder das Festessen, auf das sich die Tauffamilie jetzt schon freut – nein, der Text spricht von der geistlichen Nahrung. Jesus löst es ja in Vers 63 selbst auf: „Der Geist ist's, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben.“

Dieses Motiv ist den Adressaten des Johannesevangeliums durchaus bekannt, jedenfalls wenn sie bibelfest sind. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht“, heißt es im 5. Buch Mose. „Dein Wort ward meine Speise, sooft ich's empfing“, sagt der Prophet Jeremia, und sein Kollege Hesekiel muss eine Schriftrolle runterschlucken, die in seinem Munde „so süß wie Honig“ schmeckt. Gottes Wort als Speise.

Nun warten vielleicht einige von Ihnen vermutlich darauf, dass ich auf das Abendmahl zu sprechen komme. Darum geht es doch wohl scheinbar in diesem Text: um das Ritual, bei dem wir symbolisch Leib und Blut Christi verspeisen. Das wäre ja solche geistliche Nahrung: Wir stehen um den Altar, wir essen eine Hostie und trinken einen Schluck Saft, weil durch das Sakrament unser Glaube und unsere Gemeinschaft gestärkt werden.

Der Theologe Jan Heilmann hat vor ein paar Jahren Aufsehen erregt mit seiner Doktorarbeit über das Johannesevangelium. Heilmann sagt: Die Brotrede Jesu inklusive dieser Stelle mit dem Fleisch und Blut hat nichts, aber auch gar nichts mit dem Abendmahl zu tun. Sondern das ist eine Metapher. Heilmann sagt: Essen und Trinken stehen dafür, dass man Worte in sich aufnimmt. Fleisch von Menschen essen, das konnte in der Antike heißen, dass man ihre Bücher las. So ähnlich, wie wir heute auch sagen, dass wir „ein Buch verschlingen“. 

Mich überzeugt Heilmanns These. Sie passt zum Johannesevangelium: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“, so beginnt es, und dann: „das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Der Begriff „Fleisch“, der steht in unserem Predigttext nicht, um uns anzuekeln, sondern weil der Evangelist Johannes damit etwas deutlich machen will: Nämlich dass es um den ganzen Jesus geht, sozusagen mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele. Denn seine Worte und seine Person, sein Reden und Wirken sind nicht voneinander zu trennen. Wer zu ihm gehören und ihm nachfolgen will, kann nicht nur hier und da ein Stück abbeißen, sondern muss ihn sich – um im Bild zu bleiben – komplett einverleiben.

Was kann das das nun für uns bedeuten? Die wir als Christinnen und Christen in Bad Nauheim wohnen oder zur Reha hier sind, die wir unsere Kinder taufen lassen? Und was kann es speziell am Sonntag Laetare bedeuten, an dem schon die Vorfreude auf Ostern durchschimmert, obwohl noch Passionszeit ist?

„Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der bleibt in mir und ich in ihm.“ Interessant ist das Verb, das hier im Griechischen steht. Es heißt nicht einfach nur „essen“, sondern: nagen und zerkauen, beißen und dabei richtig mit den Zähnen Krach machen, auf etwas herumkauen.

Ich tue das oft. Auf Texten der Bibel oder auch Glaubenssätzen unserer Kirche herumkauen. Weil sie kaum zu verstehen sind. Noch schwieriger finde ich manches, was Jesus von seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern erwartet. Daran beiße ich mir die Zähne aus. Vermutlich geht es Ihnen ähnlich.

Gerade die Sache mit dem Leiden und Sterben Jesu… Wie sollen wir das verstehen: „Für uns gestorben?“ Jemand hat mich vor kurzem gefragt: Glaubst du wirklich alles, was im Glaubensbekenntnis steht? „Hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden…“ – so, wie wir es jeden Sonntag hier in der Kirche bekennen. Die Antwort fiel mir schwer.

Aber heute, nach der Beschäftigung mit dieser Fleisch-und-Blut-Rede, kann ich sagen: Wenn „glauben“ bedeutet, darauf herumzukauen, zu fragen und zu zweifeln, mich aufzuregen wie die Jünger – dann ist meine Antwort: Ja. Ich kann glauben, weil mir klar geworden ist: Mein Glaube ist nicht fertig und wird niemals fertig werden im Sinne von: „Jetzt hab ich’s kapiert!“ – Sondern Jesus ist nun mal schwer verdaulich, ich muss auf ihm herumkauen! Das ist okay so! Gründliches Kauen hilft ja, die Nahrung besser zu verdauen.

Das Schöne an der ganzen Sache ist: Wir sind nicht allein mit unserem Fragen und Zweifeln und Kauen. Da sind andere – wie jetzt hier in der Dankeskirche oder im Hauskreis oder im theologischen Seminar … – da sind einige, die sich gemeinsam an ihm die Zähne ausbeißen. Und manchmal erleben wir, wie beim Herumkauen auf den Worten etwas durchschimmert. Etwas, das wir nicht produzieren können, sondern was sich von selbst einstellt: Eine Gewissheit, eine Ruhe, ja ein geistliches Sattwerden. Manchmal stellt sich beim gemeinsamen Nagen an seinen Worten wie von selbst eine tiefe Freude ein. Freude darüber, dass wir „in ihm bleiben und er in uns“. 

zur Christvesper 2016 von Pfarrer Rainer Böhm

Liebe Gemeinde an Weihnachten,

drei verschiedene Geschichten gingen in den letzten Tagen mit mir um, und das Gefühl, sie gehören zusammen.

Nach dem Adventssingen am 1. Advent kam eine Frau wieder zurück in die Dankeskirche. Sie fragte den Küster: „Ist das Ihr Christbaum, der da hinten im Park in einem Abfalleimer steht?“ Es war tatsächlich unser Baum, den wie jedes Jahr der städtische Bauhof hier an der Kirche abgelegt hatte. Hinein nehmen können wir ihn nicht, sonst nadelt er zu schnell. Zu dritt haben sie ihn dann zurück gebracht und wieder draußen abgelegt. Manches Risiko muss man einfach eingehen. Wer klaut der Kirche schon den Weihnachtsbaum? Verfall christlicher Werte oder ein Streich dummer Jungs? Seine Spitze war nicht mehr so ganz in Ordnung. Aber das fällt niemandem auf, meinte Herr Horstmann, unser Küster.

Was verbinden die Deutschen mit Weihnachten? Platz drei hält die Zeit mit der Familie. Auf Platz zwei landen die Geschenke. Und auf Platz eins der Christbaum – was ich gut nachvollziehen kann. Oh Tannenbaum, sage ich nur. Er ist wohl Teil unserer Leitkultur. Und ich stelle mir die vielen Flüchtlinge vor, die zum ersten Mal Adventskränze und Weihnachtsbäume gesehen haben. Seltsam der Gedanke, dass in den meisten Ländern Weihnachten auch ganz ohne ihn funktioniert. Welche Bedeutung er bei uns hat, kann man ablesen an den häuslichen Diskussionen: Schlicht oder bunt; Lametta oder Strohsterne; rote, goldene oder sonst welche Kugeln; Nordmann oder Fichte; echte Kerzen oder elektrische.

Den Schmuck an diesem Baum hat unser Küster selbst gemacht. Der Baum nicht ganz so hoch, damit er sich in der Kirche leichter schmücken lässt. Aber was bitte hat er mit Weihnachten zu tun?

Soweit war ich mit meiner Predigt gekommen, als der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin geschah. Ein Bild der Idylle gegen das Grauen dort. Ein niederträchtiges Attentat auf völlig unschuldige Menschen. Wie lässt sich da noch vom Weihnachtsbaum und über Lametta sprechen? Ich schrieb sofort eine Nachricht an meine jüngere Tochter, die in Berlin studiert. Am Tag vorher hatten wir noch über die Adventsmärkte dort gesprochen. Ich machte mir Sorgen. Sie hat überraschenderweise innerhalb einer Minute geantwortet und ich war beruhigt. Unzählige Menschen haben in den Stunden nach dem Anschlag nach Freunden und Verwandten in Berlin gefragt, wie ich am nächsten Tag im Radio hörte. Aus Sorge, Verbundenheit, Verantwortung. Viele kleine Zeichen einer solidarischen Gemeinschaft im Alltag.

Ein offener Staat lässt sich so leicht ausspielen, wie sich unser Christbaum entwenden lässt. Wir wollen den Baum nicht anketten. Wir wollen weiter schöne Weihnachtsmärkte haben.

Und schließlich die Weihnachtsgeschichte: Gott wird Mensch, erzählt sie uns. Und in vielen Farben malt sie die Lächerlichkeit Gottes aus, der nicht an seiner Macht und Überlegenheit festhält. Er geht in die Knie, er lebt unser Leben, er spricht die Sprache unseres Stammelns.

Er geht in die Knie wie ein Vater sich klein macht unter dem Baum, wo die Geschenke liegen. Er macht sich klein, um bei dem Kind zu sein, etwas aufzubauen. Das geht nicht von ganz dort oben.

Der Sohn Gottes, der kleine König, hat keinen Ort, wo er mit Anstand geboren werden kann. Ein zugiger Stall ist gut genug für ihn. Es huldigen ihm ein paar zerlumpte Hirten. Der kleine König wird versteckt und heimlich außer Landes gebracht, denn die Macht trachtet nach seinem Leben. Er ist nicht der erste Flüchtling und wird nicht der letzte sein.

Unsere Welt wird nicht gerettet durch die Macht der Mächtigen, sondern durch die Teilnahme Gottes an unserer Ohnmacht und unserem Leid. Gott geht in die Knie in Jesus, wie wir in die Knie gehen, wenn das Leben uns schlägt. Er hat gelernt, was Hunger und Durst sind, Einsamkeit, Angst und Gewalt. Ob Menschen Brot haben oder nicht, ob sie geschlagen werden oder in Ruhe leben können, ob sie bombardiert werden oder nicht – das alles ist eine spirituelle Angelegenheit geworden, seit Gott unsere Wunden trägt.

Seit Gott unsere Gestalt angenommen hat, ist alles wichtig geworden: Brot und Wasser, Glück und Wunden, Zerstörung des Lebens und seine ganze Fülle,

Die Bibel erzählt uns, dass der kleine König gesiegt hat – er ist auferstanden, die Mächte des Todes haben verloren. Die Geschichte von der machtlosen Liebe, die das Leben gewinnt, ist schwer zu glauben. Was wir immer wieder erfahren, spricht gegen sie. Aber wie könnten wir leben ohne sie. Sie ist der versprochene Segen, wenn uns das Leben in die Knie zwingt. Sie ist Ausgangspunkt und Ziel zugleich.

Der Weihnachtsbaum, die Gewalt in Berlin oder Syrien, die Weihnachtsgeschichte. Sie passt in unsere heutige Welt. Schon zu Zeiten von Jesus war Frieden ein wahres Wunder, etwas Verletzliches und Bedrohtes – wie heute. Kurz nach seiner Geburt geschah der bethlehemitische Kindermord. Grausam wie die Kriege heute. Deshalb wird der kleine König so demütig angebetet: ‚Friede auf Erden‘ – das ist ein himmlisches Geschenk. Wir müssen lernen, ihn zu bauen und seinen Wert zu ermessen. Er entsteht nicht durch Ausgrenzung und nicht durch Rechthaberei.

Es ist der Triumph der Milde über die Macht, der Klugheit über die Bosheit, des Kindes über den Krieg. Ein pragmatisches Miteinander der Religionen, wie es bei der Trauerfeier in Berlin sichtbar geworden ist.

Und der Baum? Er ist Symbol für den Paradiesbaum. Das Paradies ist nicht mehr verschlossen, der Engel steht nicht mehr davor, die Tür ist geöffnet. Deshalb hängen wir Paradiesfrüchte an diesen Baum, Äpfel oder rote Kugeln. Hier in unserem Baum sind übrigens immer noch zwei Vogelnester versteckt. Er hat also zwei Vogelfamilien im Vogelsberg, wo er gewachsen ist, eine Heimat geboten.

Und wenn wir dann vom Weihnachtsbaum aus auf die andere Seite gehen zu unserer Weihnachtskrippe, dann haben wir dort die Liebe Gottes vor Augen mit dem Kind in der Krippe. Mehr braucht es nicht, damit es Weihnachten werden kann.

Mehr braucht es nicht, damit so manche Unstimmigkeit oder Einsamkeit in unserem Leben heil wird. Denn Gott betrachtet unser unvollkommenes und gewöhnliches Leben mit liebevollen Augen und mit Wertschätzung, wohlwollend. Beim ihm gilt Gnade vor Recht – für jeden von uns. Das ist seine Art, unsere heillose Welt heil zu machen: Mit Menschlichkeit und Liebe. Das wollen wir heute feiern, heute am Heiligen Abend! Amen.

Adventsandacht am 17.12.2016 von Pfarrer Rainer Böhm

Fürchte dich nicht

I. Vom Unmöglichen getroffen

Manchmal passiert einem etwas Unerwartetes.

Manchmal wird man vom Unmöglichen getroffen.

Was bedeutet es wohl: schwanger zu werden?  Plötzlich ist alles anders, plötzlich verändert sich der ganze Körper, das ganze Leben. Alles muss umgestellt werden: die Ernährung, die Lebensweise. Und man merkt, wie da etwas Neues heranwächst.

Vielleicht können wir der Erfahrung nachspüren, die Maria gemacht hat, nämlich Christus in uns Raum zu geben, zu erfahren wie das ist, wenn das Wort Fleisch wird.

Doch beginnen wir noch einmal von vorne.

Da steht ein Engel im Raum und äußert einen ungewöhnliches Gruß:
„Sei gegrüßt, du Begnadete des Herrn, der Herr ist mit Dir!“

„Sie erschrak über das Wort und sann darüber nach.“

Der Schrecken ist eine der häufigsten Reaktionen, von denen die Bibel berichtet, wenn jemand eine Gottesbegegnung hatte. Weniger die Angst vor einem strengen Richter oder einem unendlichen Wesen, sondern vielmehr der Adrenalinschub, der einen durchfährt, wenn man im Dunkeln etwas neben sich spürt, wenn man merkt: diese Silhouette dort, dieser Schatten dort – da steht jemand. Die Gedankenfetzen, die einem kommen, wenn man sich alleine wähnte und doch ist dort jemand.

Umso erstaunlicher, dass berichtet wird, wie Maria weniger über das Engelswesen erschrak, als über diesen rätselhaften Gruß. Sie ließ sich verwirren, führte nicht das Unbekannte in das eigene Weltbild zurück, sie ließ sich ein auf das Gesagte. Auf das schier Unmögliche.

„Fürchte dich nicht, denn Du hast Gnade gefunden bei Gott!“

Es gibt viel Furchteinflößendes: in der Welt, im eigenen Leben und auch in dieser Begegnung. Es geht hier vielleicht auch um die Furcht, die einem befällt, wenn etwas Neues entsteht, etwas, dass noch keine festen Konturen hat.

Fürchte dich nicht, denn hier ist Gnade, fürchte dich nicht, denn du bist angenommen, fürchte dich nicht, denn hier entsteht etwas Neues, etwas Heilsames!

Und dann lesen wir die Beschreibungen dieser mysteriösen Empfängnis: „der Heilige Geist wird über dich kommen, die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“. So wie der Heilige Geist aus dem Chaos der Urflut, das Leben schaffte, so soll hier in einer chaotischen Welt etwas völlig Neues entstehen. Gott will hier zur Welt kommen.

II. Raum geben

Wenn man Unglaubliches erlebt, ist man gezwungen Antworten zu finden. Man muss sich dazu verhalten. Maria fand eine Antwort indem sie sagte: „Mir geschehe nach deinem Wort!“.

Raum geben heißt, dass da etwas in uns wachsen darf, dass zugleich innig mit uns verbunden ist und doch fremdartig, doch etwas Neues, ist. Etwas, das wir uns nicht so recht ausmalen können. Etwas, worüber wir nicht verfügen können.

Raum geben bedeutet, dass etwas in uns Resonanz finden kann und unsere ständig um uns kreisenden Gedanken unterbricht.

Raum geben heißt vor allem, dass wir bereit sind, der Ort zu sein, an dem etwas Neues in die Welt treten kann.

Es bedeutet, dass wir Gott zutrauen, dass er mitten in der Unaufgeräumtheit unserer Leben, Gestalt gewinnen will.

Und Raum machen für Gott  ist nicht zu trennen davon, dass man Raum macht für den anderen.

Das kann schon damit beginnen, einander richtig zuzuhören, der Stimme des Anderen Raum zu geben. Oder es kann heißen, dass wir einen Raum schaffen, an dem der Andere aufatmen kann, an dem er sich zeigen darf. An dem er nicht fürchten muss, meinen Vorstellungen unterworfen zu werden, an dem er mein Urteil nicht fürchten muss.

Raum geben heißt eben auch: Zeit geben, Aufmerksamkeit geben, gute und hilfreiche Worte geben, manchmal auch kritische Worte.

III. Der Aufruhr

Etwas weiter im Evangelium des Lukas steht das Magnifikat, das Gebet der schwangeren Maria. Und das ist ein äußerst aufrührerisches Gebet:
„Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“

Die Metapher des Raum Gebens wird schief, wenn man nicht betont, dass sich dadurch auch etwas ändert. Dort, wo Gott Gestalt gewinnen darf, da können auch Welten ins Wanken geraten. Da bekommen plötzlich Menschen Raum, die sonst gar nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen: Die, die sich im Zentrum der Aufmerksamkeit wähnen, die die sich selbst für wichtig halten, müssen auch mal zurücktreten und die, die am Rand standen kommen plötzlich ins Rampenlicht. Die Privilegierten gehen plötzlich leer aus und die Hungernden werden gesättigt. Man entfernt den kritischen Stachel aus der Adventszeit, wenn man aus ihr nur eine besinnliche Zeit macht..

Advent ist eine gefährliche Zeit, in der Fragen aufgeworfen werden, in der wir in Frage gestellt werden. Denn wo einem Gott zustößt, da werden Leben geöffnet und da kommen Welten ins Wanken.

Und manchmal passiert einem etwas Unerwartetes.

Manchmal wird man vom Unmöglichen getroffen.

Fürchte dich nicht.

zum Buß- und Bettag 16.11.16 von Pfarrer Dr. Ulrich Becke

Buße und Gnade – kein größerer Gegensatz ist denkbar.

Das fängt schon beim Klang an: Buße: dumpf, trüb niederdrückend wie das Tuba mirum im Requiem, der Ruf zum Gericht Gottes. Althochdeutsch büezen bedeutet „bessern, wiedergutmachen, vergüten“. Im NT steht hier metanoia, „Sinnesänderung, Umkehr“, also der Blick nicht auf die Aktion des Wiedergutmachens gerichtet, sondern nach innen. Gnade: das klingt dagegen hell und klar, gleichsam ein wie ein Trompetenruf. Althochdeutsch genade bedeutet „Rast, Behagen, Gunst, Erbarmen“. Vielleicht hören wir dabei zu Recht Händels Arie Ombra mai fu aus der Oper Serse oder Xerxes, wo jemand überraschend und erquickend Schatten und Frieden unter einem Baum findet. Im NT steht charis, das hat also mit Charisma zu tun, der hellen Ausstrahlung, die jemand verschenkt – wie eine große unverdiente Gnade eben für den, der das Charisma hat und den, den er damit beschenkt.

Wo reden wir heute von Buße, von Gnade – außerhalb der Kirche?

Buße: ein Bußgeldbescheid kommt ins Haus – jemand verbüßt eine Haftstrafe– ein anderer erlebt eine Einbuße am Lohn – das wirst du mir büßen! droht uns jemand

Gnade: der eine erhält das Gnadenbrot, der andere den Gnadentod – eine andere wird begnadigt – es gab den Richter Gnadenlos in Hamburg - ob die Gnadenhochzeit (70 Jahre) wirklich Gnade ist, sei dahingestellt – gnädige Frau stirbt als Anrede in der Hallo- und Tschüss-Zeit aus.

Ein großer Schritt nun zurück – zu dem, mit dem alles anfing: Martin Luther.

Was ihm Buße und Gnade bedeutete, was er darüber am eigenen Leib, an der eigenen Seele erlernt und weitergegeben hat, das ist Fundament des Protestantismus – und Protestanten sind wir ja schließlich alle - aus gutem Grund, oder?

Wie kriege ich einen gnädigen Gott? Mit dieser Frage quält sich Luther ein halbes Leben lang herum. Sein Grundgedanke: Gott ist absolut gerecht – wir Menschen absolut unvollkommen. Also heißt Gerechtigkeit Gottes: am Ende aller Zeiten macht uns Gott gründlich fertig für alle unsere Sünden und Unvollkommenheiten.

Im Bild, das damals in vielen Kirchen zu sehen war, Luther war es von Kindheit an unheimlich vertraut: Gott hat ein Schwert, das aus seinem Mund dringt, um die Bösen – und damit eigentlich uns alle – kräftig zu strafen.

So sieht ihn der junge Martin von klein an in vielen Kirchen abgebildet als einen terroristischen Gott, der nur Furcht auslöst, ein Gott wirklich und wahrhaftig  zum Abgewöhnen. Das aber will Martin gerade nicht, er will diesen Gott lieben und kann es doch nicht. So beginnt er ihn zu hassen eben wie ein völlig unerreichbares und auch völlig unwürdiges Liebesobjekt, weil er sich nicht traut, vor sich selber einzugestehen: ich hasse Gott,  sagt er – als Projektion und Umkehrung - : Gott hasst mich.

Sein therapeutischer Novizenmeister Johann von Staupitz (ohne ihn: keine Reformation!) hält ihm entgegen: nicht Gott hasst Dich, er ist die Liebe, nein: du hasst Gott! Und jetzt sucht Martin verzweifelt nach Gründen, Gott lieben zu können in einer langen und spannenden Suche.

Auf der Klosterkloake, dem einsamen Mönchsabort erhält er schließlich die Erkenntnis geschenkt: Gott straft nicht in seiner absoluten Gerechtigkeit, nein, er schenkt sie uns aus freien Stücken, um uns frei zu sprechen von allem.

Das ist die reformatorische Grunderkenntnis – ABER: da ist eben noch etwas: da ist das freie Geschenk der Gnade Gottes, ohne Ablasszettel, ohne Wallfahrten, ohne Rackern und Mühen mit guten Werken und Klosteraskese.

Aber da ist doch auch eine grundlegende Vor-Bedingung bei uns Menschen nötig: eben die BUSSE!

Eigentlich ist der Gedanke kinderleicht: nur einem Kind, das sagt, ich hab was falsch gemacht, können wir sagen: halb so schlimm oder gar nicht schlimm, beim nächsten Mal machst Du es besser!

Ohne Reue keine Verhaltensänderung, ohne Buße keine Gnade

Wer nur Buße! Buße! denkt und fordert und die Gnade vergisst, wird zur verkrüppelten Seele oder zum Masochisten

Wer aber nur Gnade! Gnade! betont, der (oder die) verliert alle Maßstäbe für das richtige eigene Handeln, verliert jede Kritikfähigkeit gegenüber sich selbst.

Das wird brisant im Politischen, je und je in unserer Gegenwart und Gesellschaft: Was ist mit einem uralten Mann, der Naziverbrechen mitverübt hat und jetzt noch vor Gericht und in den Knast soll? Wo Gnade zu billig und unter jedem Preis verschenkt wird, verliert sie ihren kostbaren Wert. Wo wir gnädig umgehen mit einem, der bereut und Buße zeigt, können wir das nur, weil Gott selbst uns seine kostbare Gnade schenkt, wo wir Buße getan haben.

Martin Luther sagt in den 95 Thesen:

 Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: "Tut Buße" usw. (Matth. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll

Also sollen, nein: dürfen wir nachdenken über uns und unsere Kriterien und unser Handeln Tag um Tag, konzentriert und offen für Kritik und Selbstkritik.

Buße, griechisch metanoia, neues Bewusstsein, das lässt uns umdenken, so wie einst die Perestroika in Russland, umdenken und umgestalten. Das verleiht uns Freiheit der Selbstreflexion.

Das öffnet uns und anderen Wege in ein neues Sein der Freiheit, in eine neue und bessere, für alle bessere Welt!

Das ist der Weg hin zum Horizont, an dem alle von uns gesetzten engen Grenzen schwinden, wo die Freiheit eines Christenmenschen, ja die Freiheit aller Menschen, die guten Willens sind, recht eigentlich beginnt.

AMEN

zum Reformationstag 2016 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,

„Not lehrt beten“. So behauptet der Volksmund. Das meint: wenn uns der Schuh drückt, wenn uns etwas auf den Nägeln brennt, wenn es uns schlecht geht, dann wenden wir uns an Gott. Kürzlich erzählte mir ein alter Herr, den ich zu seinem Geburtstag besuchte, dazu eine Geschichte. Er war in seinem aktiven Berufsleben ein Seemann. War zuhause auf den vielen Meeren dieser Erde. Und er sagte zu mir: „Wissen Sie, die Leute an Land meinen, Seeleute seien rauhe Kerle. Das sind sie auch. Aber sie sind gottgläubig. Wenn man auf See in Bedrängnis kommt, dann faltet man die Hände und betet. Auf dem Meer ist man Gott näher als an Land.“

Not lehrt beten. Was für den alten Mann noch selbstverständlich ist, ist es für viele Jüngere längst nicht mehr. Das Beten ist heute bei vielen Menschen aus der Mode gekommen. Man kann den Eindruck bekommen, dass wir eher „Not mit dem Beten“ haben. Das sagen mir jedenfalls manche Konfirmandinnen und Konfirmanden, wenn wir im Unterricht über das Beten sprechen: „Früher haben die Eltern mit mir vor dem Einschlafen gebetet. Aber das ist ja lange her.“ Oder sie sagen: „Wenn wir bei den Großeltern zu Besuch sind, dann beten wir vor dem Essen. Zuhause kommt das eher selten vor.“

Es ist nicht leicht mit dem Beten. Oft nehmen wir uns keine Zeit dafür: am Morgen nicht, weil alles schnell, schnell gehen muss. Bei Tisch nicht, weil die Mittagspause eh nur so kurz ausfällt. Und am Abend sind wir zu erschöpft dazu.

Es ist nicht leicht mit dem Beten. Wie können wir es machen? Wie ist es stimmig für uns? Was geht? Was nicht?

Den Jüngern Jesu ist es ähnlich ergangen. Eines Tages bitten sie Jesus: „Lehre uns beten!“ Und Jesus gibt ihnen das Vaterunser an die Hand. So wird es zum Gebet schlechthin. Kurz. Konzentriert. Das Wesentliche zusammengefasst. „Damit ihr nicht plappert wie die Heiden“, wie Jesus es an anderer Stelle betont. Es geht nicht darum, viele Worte zu machen. Es geht nicht darum, andere mit der eigenen Beredsamkeit zu beeindrucken.

Wer betet, geht zunächst nicht nach außen. Das Beten – das ist nicht etwas, was sich hören lassen will. Was sich sehen lassen will. Es ist etwas sehr Privates. Ja Intimes. Deshalb fordert Jesus die Jünger auf, sich zum Beten zurückzuziehen, ins stille Kämmerlein zu gehen.

Beim Beten bin ich nur für mich. Niemand hört mich sonst. Niemand sieht mich. Ich gehe hinein in die Besinnung. Ich brauche wirklich nur zu sagen, was mir auf dem Herzen liegt. Und Gott, der ins Verborgene sieht, wird es hören und wahrnehmen. Für das, was wir sagen sollen, dafür hat Jesus uns das Vaterunser ans Herz gegeben und ans Herz gelegt.

Auch die Menschen zur Zeit Martin Luthers hatten es nicht leicht mit dem Beten. Luther kannte ihre Schwierigkeiten. Einerseits trauten sie sich nicht, Gott mit ihren Anliegen zu bedrängen. Andererseits meinten sie, Gott wisse sowieso schon alles. Er sei schon im Bilde, wisse, was der Einzelne nötig habe und was ihm fehle. Daher sei es gleichgültig, ob man sich an ihn wende oder nicht. Es mache keinen Unterschied.

Doch Luther widerspricht. Er erinnert die Menschen an die biblische Verheißung aus Psalm 50, 15 (an die „Telefonnummer Gottes“), wo es heißt: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“ Luther kann sagen: „Du musst Gott mit seiner Verheißung die Ohren reiben, bis sie heiß sind.“ Martin Luther macht Mut, zu beten, das Beten zu wagen, Tag für Tag. Am Morgen, am Mittag und am Abend. Dabei bedeutet Beten nicht nur die fromme Ergebung in Gottes Willen. Es kann auch die Frage und Klage sein: „Wo bist du jetzt, Gott? Warum mutest du mir das zu?“

Im Sinne Luthers können wir Gott anvertrauen, was uns gerade beschäftigt, was uns bewegt, was uns Druck macht, und was uns nicht zur Ruhe kommen lässt. Von Luther selbst stammt der Spruch: „Heute habe ich viel Arbeit. Deshalb muss ich viel beten!“

So zu beten, das ist wie ein unsichtbares Band, das uns mit Gott verbindet. Das da ist, auf das wir uns jederzeit zurückbesinnen können. Es kann sein, dass wir nur in Gedanken und ganz still und leise mit Gott im Gespräch sind. Es kann auch sein, dass wir halblaut dabei vor uns hin murmeln. Und es kann sein, das wir uns einfach am Geländer des Vaterunsers festhalten, weil wir sonst gerade keine eigenen Worte finden. Entscheidend ist es, im Kontakt zu sein.

„Dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe.“ Die wichtigsten Dinge zuerst: so ist der Anfang jeden ernsthaften Gebetes, sagt Jesus: Gott die Ehre geben. Es geht um ihn. Mir bewusst machen, wem ich mein Leben verdanke, wer der Grund meines Lebens ist, wer mich hält, wer mich trägt, noch bevor ich den Mund aufmache. Sein Name steht über allen anderen Namen. Nichts ist wichtiger als er. Er soll größer werden; bekannt und geachtet werden. Dein Name werde geheiligt.

In seinem kleinen Katechismus, den Martin Luther verfasste, um den Menschen seiner Zeit einen Leitfaden an die Hand zu geben für ihr evangelisches Denken und Leben, schrieb er: „Gottes Name ist zwar an sich heilig, aber wir bitten, dass er auch bei uns heilig werde.“

Das bedeutet: Die Heiligung des Namens Gottes, die Wertschätzung und Ehre seines Namens ist nicht begrenzt auf heilige Orte, auf Kirchen oder Andachtsstätten. Und sie ist nicht begrenzt auf heilige Zeiten, auf Sonntage oder auf Feiertage. Die Heiligung des Namens Gottes geschieht im Alltag der Welt: dass wir auch am Montag oder Mittwoch oder Freitag die Welt und unsere Umgebung sehen und fragen: „Wie will Gott sie haben? Was ist sein Wille für diese, unsere Welt? Wie möchte er, dass wir miteinander leben? Als Familie, als Nachbarn, als Arbeitskollegen und -kolleginnen? Als Menschen verschiedener Herkunftsländer? Was will er von uns als Kirche?“

Die Heiligung des Namens Gottes bewährt sich im Alltag unserer Welt. Darin, dass wir die Versöhnung suchen nach einem Streit, darin, dass wir einander das Leben leichter machen, nicht schwerer. Darin, dass wir liebevoll und heilsam miteinander umgehen.

Das 500. Jubiläum der Reformation wird mit dem heutigen 31. Oktober eingeläutet. Vor uns liegt ein großes Jahr mit vielen Erinnerungen an die Reformationszeit, aber auch mit vielen Ereignissen, Angeboten und besonderen Gottesdiensten. Und mit der Frage, was „Reformation heute“ denn bedeuten könne. Für mich gehört auch dazu, für ein besseres Miteinander der Konfessionen einzutreten und dazu beizutragen, alte, verletzende Gräben und Spannungen zu überwinden und in der Gegenwart neue Wege miteinander zu beschreiten.

Darum ist es z.B. gut, dass Papst Franziskus sich am heutigen Tag in der schwedischen Stadt Lund aufhält und dort zusammen mit dem Präsidenten des Lutherischen Weltbundes einen ökumenischen Gottesdienst feiert zum Thema „Vom Konflikt zur Gemeinschaft.“ Diese ökumenische Geste ist ein großes Hoffnungszeichen in unserer Gegenwart.

Darum ist es z.B. gut, dass im März nächsten Jahres ein ökumenischer Gottesdienst, gemeinsam von der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz, gefeiert wird, mit dem Thema „Healing of Memories“ – lasst uns anstreben, dass Erinnerungen heilen können; dass Wunden heilen können, die unsere Konfessionen sich in der Vergangenheit zugefügt haben.

Gemeinsam Gott die Ehre geben, gemeinsam den Namen Gottes heilig halten, das macht unser Herz weit und lässt uns einander die Hände reichen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Die Psalmen: Psalm 126 (20.11.2016 von Pfarrer Rainer Böhm)

Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten

Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein wie die Träumenden.

Dann wird unser Mund voll Lachens
und unsre Zunge voll Rühmens sein.

Dann wird man sagen unter den Heiden:
Der Herr hat Großes an ihnen getan!

Der Herr hat Großes an uns getan;
des sind wir fröhlich.

Herr, bringe zurück unsre Gefangenen,
wie du die Bäche wiederbringst im Südland.

Die mit Tränen säen,
werden mit Freuden ernten.

Sie gehen hin und weinen
und streuen ihren Samen

und kommen mit Freuden
und bringen ihre Garben.

Mit Tränen gesät.

Der Tag der Beerdigung.
In den Arm genommen werden.
Andere in den Arm nehmen.

Mit Tränen gesät.
Briefe bekommen.
Dankbriefe schreiben.
Versicherungsunterlagen sortieren.
Mit Tränen gesät.

Die Bilder der Verstorbenen ansehen.
Durch die leere Wohnung gehen.
Das Grab besuchen.

Mit Tränen gesät.
Wohnung auflösen.
Altkleider wegbringen.
Überlegen, was bleiben soll.

Mit Tränen gesät.
Dasitzen und traurig sein.
An früher denken.
Ein kleines Lachen wagen.

Mit Tränen gesät.
Verstehen, dass Trauer Zeit braucht.
An die Toten denken.
Spüren, dass die Schmerzen weniger werden.
Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
Verstehen, dass auch die Freude Zeit braucht.
Ein größeres Lachen wagen.

Von der Zukunft träumen.
Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

Gebet

Gott, hier sind wir.
Warten auf die Ernte.
Weinen, lachen – je nachdem.
Heute eher weinen.
Weil wir an unsere Toten denken.
Weil es immer noch wehtut.
Aber sie sind bei dir.
Du hast sie erlöst.
Manchmal vergessen wir das.
Ob du mit unseren Toten lachst?
Das würde trösten.
Schenk uns das Lachen wieder.
Schenk uns das Lachen.

Psalm 126 am Ewigkeitssonntag

Ein großzügiger, grüner Landstrich, viele sanfte Hügel, eine Küste vielleicht, ein Strand, und keine Grenzen für einen Blick, der in die Weite gehen will; ein bunter Garten, voller Düfte und Blüten, in allen Farben – und Pfirsichbäume darin. Pfirsichbäume müssen sein und Erdbeerfelder.

Ein helles Haus, mit großen Fenstern, hohen Decken, mit Balkonen und Terrassen; die Haustüre hat kein Schloss und Jalousien braucht es keine. Ein Tal, zum Meer hin offen – und Abend- und Morgenrot strahlt von den Hängen. Und immer, immer ist Zeit für Begegnungen und Gespräche, morgens am Tisch und abends am Kamin, Gespräche mit meinem Vater, der vor zwölf Jahren gegangen ist, meiner Großmutter, die sich auf mich freut, mit Freunden, die ich lange schon vermisse.

So stelle ich mir das vor. So erträume ich mir das, was etwas verlegen »die Ewigkeit« heißt, das Leben im Jenseits, die Zeit nach dieser Zeit.

Ob es so sein wird – ich weiß es nicht. Keiner weiß es und keiner – heißt es ganz richtig in einer alten Weisheit – ist je zurückgekehrt, um davon zu erzählen. Aber ich nehme mir die Freiheit zu träumen. Der 126. Psalm, den wir eben gehört haben, der gibt mir die Erlaubnis dazu. »Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.« Zu träumen ist also gestattet, wir dürfen uns unsere Bilder machen, dürfen uns diese Ewigkeit ausmalen mit den Pinselstrichen und Farben, die uns zur Verfügung stehen, mit all unserer Phantasie und Kreativität. Zu träumen ist erlaubt.

Ich bin sehr froh, erleichtert geradezu, dass da kein Gott steht, mit erhobenem Zeigefinger und strenger Mine, der uns mahnt: »Mach dir bloß keine Illusionen, es kommt ja doch anders als du denkst; du wirst doch nicht glauben, dass du Menschlein, mit deinem begrenzten Verstand, deinem beschränkten Gemüt, deinem überschaubaren Gefühl, dass du je erahnen wirst, wie es zugeht nach deiner Zeit. Wart’s ab, halt still, bleib bescheiden!« Im Grunde wär das ja vernünftig, denn wir wissen eben nichts.

Und so fühlt sich das auch an, wenn wir vor Särgen und Urnen, wenn wir an Gräbern stehen: Wir wissen nichts und sind ratlos. In uns breitet sich eine tiefe Trauer aus wie ein Schatten, der sich langsam und kalt auf die Seele legt; und wir haben keine Antworten mehr. Viele von Ihnen haben an Sterbebetten ausgeharrt, haben einen Menschen, mit dem Sie verbunden waren, gepflegt und begleitet, bis es nicht mehr ging. Bis die Kraft zu Ende war und der Tod den Schlusspunkt setzte. Ihnen sind unsere menschlichen Grenzen schmerzhaft bewusst; auf die braucht niemand Sie zu verweisen. Auch Gott nicht.

Aber der tut es auch nicht, nein, er lässt unsre Träume gelten. Und mit unseren Träumen doch auch: unsere Hoffnungen.

Wenn ich Menschen an Sterbebetten besuche, wenn ich mit Trauernden spreche, wenn wir Abschiede vorbereiten müssen und des Menschen gedenken, der nun gegangen ist, wenn große und kleine Geschichten erzählt werden von dem, mit dem Sie verbunden waren, dem Vater, der Mutter, Tochter und Sohn, dann spüre ich jedes Mal sehr: Das, was die Mühe durchhalten lässt, das was die Kraft gibt, Pflege und Abschied durchzustehen, das ist eine Liebe, die sich wünscht, auch über den Tod hinaus zu gelten; das ist eine Hoffnung, die nicht bereit ist zu glauben, dass mit dem Tod eines Menschen alles gesagt und getan sei. Liebe und Hoffnung, die träumen sich ein Jenseits jenseits der Schwelle, die ersehnen sich ein Leben nach dem Schmerz, nach Tod und Abschied.

Und sie tun es zurecht. Gott sagt uns das zu.

Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, macht Gott den Horizont ganz weit, und lässt er uns durch Johannes sagen: »Und Gott wird bei ihnen wohnen – und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein!« (Offb 21,3 f.)

Gott sagt uns das zu. Und wenn er das tut, wenn er uns sein Wort gibt, dann ist das nicht bloß eine vage Hoffnung, nicht nur leichthin gesagtes, nach dem Motto »Schau’n wir mal! Kommt Zeit, kommt Rat! Abwarten!«

Nein, Gott lässt unsere Träume jetzt schon gelten, und er gibt unserer Sehnsucht und unserer Hoffnung jetzt schon Recht. Im 126. Psalm höre ich alte, vertraute Bilder vom Säen und Ernten, von Aussaat, Frucht und Erntedank: »Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.« Es klingt, als sei das ganz selbstverständlich so, ganz folgerichtig und fraglos: Wer sät, wird ernten, wer weint, wird lachen, wer Schmerz erträgt, wird erfüllt sein von Glück. So ist das: Gott sagt es, Gott sorgt dafür. Ganz einfach.

So einfach fühlt sich das freilich nicht an. Weine ich, dann bin ich aufgelöst in Tränen; muss ich Abschied nehmen, reißt der Verlust mir eine schmerzliche Wunde ins Herz, steh ich vor einem Grab, schau ich ins Dunkle und weiß ich mir keinen Rat, ich schaue über das Kreuz mit dem wohl vertrauten Namen nicht hinaus. Das ist nicht einfach – das tut weh.

Doch in allem  atmet auch eine leise Hoffnung, durch alle Ratlosigkeit zieht sich eine zaghafte Sehnsucht, in aller Trauer regt sich ein vorsichtiger Traum. Dieser Traum, dass wir einander wiedersehen, dass wir uns an Leib und Seele gesund wieder in die Arme schließen. Ein Traum vom Lachen und von glücklichen Augen, in denen nicht mehr Leid und Schmerz stehen, sondern Liebe und Dankbarkeit; ein Traum vom Erkennen und Wieder-beieinander-Sein, als geheilte Menschen, die viel zu erzählen haben, die Zeit haben füreinander – eine ganze Ewigkeit lang.

Ein Traum – und Gott gibt unseren Träumen Recht.

Träumen wir also, träumen wir mutig. Denn wenn wir träumen und unserer Sehnsucht vertrauen, dann ist es, als öffne sich die Tür einen Spalt weit und als falle schon etwas Licht herein von diesem Leben nach dem Tod, vom Licht der Ewigkeit, die unsre Heimat ist. Es ist, als hebe sich der Nebel ein wenig, als strahle durch die Finsternis ein erstes Morgenlicht, und wir sähen schon ein wenig über den Horizont, hinüber ins neue, ins Gelobte Land; als dämmere der herrliche Tag schon heran, in dessen Licht wir glücklich sein werden.

Das alles, liebe Gemeinde, sind nur Bilder, Traumbilder – aber Gott ermutigt uns dazu, gibt uns das Recht, zu träumen.

Denn genau so, mit diesen Träumen, mit dieser Sehnsucht in den Seelen, mit dieser Hoffnung im Herzen lässt es sich leben hier und jetzt, da wir nur träumen können und noch nicht schauen. Mit diesen Träumen können wir getrost sein.

Der 126. Psalm hat eine Überschrift; die zeigt an, wofür er gedichtet wurde, bei welchen Gelegenheiten er gesungen wurde. »Ein Wallfahrtslied« steht über dem Psalm, er ist ein Lied für Wege. Jeder Schritt, den wir gehen, ob wir weit ausgreifen und mutig schreiten oder ob wir fast kraftlos einen Fuß vor den anderen setzen, wie wir es getan haben, traurig auf den Friedhöfen bis zum Grab – welchen Weg auch immer wir zu gehen haben, dieses Lied und sein Versprechen begleitet uns. Gott gibt uns sein Wort: Wir werden lachen und ernten, wir werden allen Schmerz vergessen und die Liebe feiern.

Und träum ich jetzt von Pfirsichbäumen und Erdbeeren, von Freunden und Gesprächen im Abendlicht, dann weiß ich, Gott spottet dieser Träume nicht, nein, mit mehr, mit viel mehr als meinen Träumen wird er mich überraschen.

Wir werden sein wie die Träumenden. Bitte, träumen Sie!

AMEN

Die Psalmen: Psalm 139 (6.11.2016 von Pfarrer Dr. Ulrich Becke)

5 Von allen Seiten umgibst du mich
und hältst deine Hand über mir.
6
 Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch,
ich kann sie nicht begreifen.
7
 Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,
und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
8
 Führe ich gen Himmel, so bist du da;
bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
9
 Nähme ich Flügel der Morgenröte
und bliebe am äußersten Meer,
10
 so würde auch dort deine Hand mich führen
und deine Rechte mich halten.
11
 Spräche ich: Finsternis möge mich decken
und Nacht statt Licht um mich sein –,
12
 so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,
und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.
16
 Deine Augen sahen mich,
als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.
17
 Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken!
Wie ist ihre Summe so groß!
18
 Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand:
Am Ende bin ich noch immer bei dir.
23
 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz;
prüfe mich und erkenne, wie ich's meine.
24
 Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin,
und leite mich auf ewigem Wege.

Wie finden sie amerikanische Fernsehprediger? Ich finde sie nicht so gut. Sie sind für mich ähnlich einer nicht so geglückten deutschen Fernsehshow etwas älteren Formats: pathetisch, im Tone eines Stadionsprechers, inhaltlich wenig reflektiert, doch gewiss massenwirksam, vielleicht gerade wegen der kitschigen Musik.

Dennoch war da ein Moment in meinem Leben, wo mich ein amerikanischer Fernsehprediger zutiefst angerührt hat, und das war morgens am Sonntag weit draußen auf hoher See, im südchinesischen Meer.

Wieder einmal war ich als Bordseelsorger an Bord der MS EUROPA mit dabei. Der Gottesdienst auf dem Schiff mit Abendmahlsfeier war gehalten, ich zurück in der Kabine, oder wie auf MS EUROPA üblich, der „Suite“. Meine Reiselektüre war ausgelesen, zufällig wurde im Moment keine weitere Mahlzeit auf dem Programm angesagt: also tat ich etwas, was ich zuhause nie mache: mich auf dem Fernseher durch die Programme zappen. Und da war er, der predigende Mitbewerber aus den Staaten, vor einigen tausend Menschen in einer Art Sporthalle, und da war der eingeblendete Text zu seiner etwas pathetischen Lesung:

If I take the wings of the morning, and dwell in the uttermost parts of the sea; Even there shall thy hand lead me, and thy right hand shall hold me.

Genau das war meine Lage: auf Flügeln der Morgenröte (oder eher: mit einem Jumbojet) ans andere Ende der Welt gereist, jetzt am äußersten Meer unterwegs, und den Satz von Herzen spürend, ihm in Gedanken nachsinnend so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten - ein Moment, dessen Dichte ich nach Jahren noch in der Erinnerung spüre.

Bei diesem Psalm ist etwas eigentümlich: es ist ein Text mit Fans und Kritikern – anders als der 23. Psalm.

Und da geht ein Riss durch manche Familien. Die einen sagen. Das ist doch wohl ein bedrängendes Gottesbild, das uns körperlich-seelisch zu nahe rückt, ja, eine Art Stasi-Gott: Von allen Seiten umgibst du mich.

Auf der anderen Seite heißt es: das gibt mir ein Gefühl totaler Geborgenheit, ur-kindlichen Vertrauens.

Gewiss: so gewaltig und übermächtig ist Gott in diesem Psalm, dass der Beter glaubt, vor ihm fliehen zu müssen: Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?

Aber in Höhen und Tiefen eines Lebens bleibt Gott der erfahrbar Nahe, das persönliche Gegenüber, zu dem wir DU sagen dürfen.

Himmel und Totenreich – das sind gewiss Glaubensaussagen, aber auch Bilder für Höhen und Tiefen menschlichen Lebens: oben wie unten ist und bleibt Gott erfahrbar.

Ob diese Bilder auch für ein Leben nach dem Tod stehen, das erscheint mir im Alten Testament fraglich! Denn es ist höchst vorsichtig in seiner Rede über das, was nach dem Tode kommt – oder nicht kommt…

Dass aber über allem und allen – schon lange vor und noch lange nach uns -  ein ewig gültiger Plan Gottes waltet, ist im AT unbestritten. Der Psalmbeter fragt hier nicht nach Ungerechtigkeiten oder Widersprüche zum freien Willen des Menschen – diese Debatte der Reformationszeit ist ihm völlig fremd: alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.

Vielleicht hat er hier weniger die individuelle Biographie des einzelnen Menschen im Blick als das gesicherte unendliche Kontinuum der Zeit, schlechthin, also: die Ewigkeit, ganz im Sinne der Kernaussagen des 90. Psalms.

Und jetzt kommt ein Aufschrei des Beters, der bis dahin schwankte zwischen Bestürzung und Geborgenheit angesichts der Größe und Unendlichkeit Gottes:

Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken!
Wie ist ihre Summe so groß!
Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand

Wie kann ich diesem gewaltigen unfasslichen verborgenen Gott gegenübertraten, gar mit ihm rechten wie einst Hiob? Wie das? Luther hat das getan, dessen Thesenanschlag wir im nächsten Jahr 2017 weltweit gedenken.

Im tiefsten Hader mit einem allmächtigen und allwissenden gerechten Gott, der im Gericht am Ende aller Zeiten die Menschen prüfen und strafen wird, beginnt der junge Luther Gott zu hassen mit ganzem Herzen.

Bis ein Mensch ihm begegnet, der ihn rettet und herausreißt aus Schwermut und Depression im Kloster: sein Novizenmeister und lebenslanger Freund Johann von Staupitz, der seinem Schüler allerdings nicht folgen wird in die Reformation…

Man muss den Mann anschauen, der da heißt Christus, sagt Staupitz zu Luther. Nur der sich in Christus aus freien Stücken selbst geoffenbarte Gott ist wichtig, der deus revelatus, nicht der deus absconditus, der dennoch bleibt unserer Vernunft verborgen bleibt.

Was dich erschreckt und ängstigt, kann nie und nimmer Gott sein, denn Christus tröstet uns und erschreckt uns nicht – so redet Staupitz mit Luther und rettet so dessen Glauben und dessen Seele.

Und jetzt zurück zum 139. Psalm:

Am Ende bin ich noch immer bei dir.

Es scheint mir, als ob hier das AT behutsam und aus der Ferne vom Geheimnis der Auferstehung rede: Am Ende bin ich noch immer bei dir. Am Anfang und am Ende unserer kleinen Endlichkeit steht und bleibt Gott, dessen Geheimnisse wir nicht entschlüsseln können und dürfen.

Was schreibt Luther am Ende eines langen Wirkens?

Die Hirtengedichte Vergils kann niemand verstehen, er sei denn fünf Jahre Hirte gewesen. Die Vergilschen Dichtungen über die Landwirtschaft kann niemand verstehen, er sei denn fünf Jahre Ackermann gewesen. Die Briefe Ciceros kann niemand verstehen, er habe denn 25 Jahre in einem großen Gemeinwesen sich bewegt. Die Heilige Schrift meine niemand genügsam geschmeckt zu haben, er habe denn hundert Jahre lang mit Propheten wie Elias und Elisa, Johannes dem Täufer, Christus und den Aposteln die Gemeinden regiert. Versuche nicht diese göttliche Aeneis, sondern neige dich tief anbetend vor ihren Spuren! Wir sind Bettler, das ist wahr.

Gott selbst bleibt Richtschnur und Prüfstein unseres Handels, an ihn wendet sich noch einmal das Gebet des Psalmisten am Ende des 139. Psalms:

Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz;
prüfe mich und erkenne, wie ich's meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin,
und leite mich auf ewigem Wege.

AMEN

Die Psalmen: Psalm 148 (30.10.2016 von Pfarrerin Meike Naumann)

Liebe Gemeinde,

Sie haben es sicher gemerkt, nicht nur die Würmer sollen Gott loben und die Planeten – und wir Menschen stehen daneben und drehen Däumchen. Nein, nicht nur die Vögel und die Regentropfen sollen Gott loben mit ihren Klängen, sondern auch wir, die Menschen! Wir sollen einstimmen in den großen Chor aller Geschöpfe. Darauf zielt der Psalm ab. Die ganze Schöpfung lobt ihren Schöpfer, zum Teil mit Stimmen, die wir Menschen hören können, wie zum Beispiel die Nachtigallen ganz am Anfang heute oder das Meeresrauschen. Und zum Teil mit Tönen, die wir nicht hören können. Schon die Ultraschallfrequenzen von Fledermäusen liegen ja knapp außerhalb des Bereichs, den das menschliche Ohr wahrnehmen kann – erst recht der Gesang von Sternen und Milchstraßen. Oder eben das Halleluja der Regenwürmer. Oder das kaum hörbare Geräusch von Schneeflocken. Ich finde es eine erstaunliche Vorstellung, die uns der Psalm da vor Augen stellt – oder eher vor die Ohren stellt: dieses gewaltige vielstimmige Loblied von allen Geschöpfen in allen Tonlagen von laut bis leise, von kaum Wahrnehmbarem bis zum Donnergetöse!

Mir persönlich fällt es am leichtesten, im vielstimmigen Gesang der Vögel ein Loblied für Gott zu erkennen. Wenn ich in freier Natur Vogelstimmen höre und ganz bewusst darauf achte, auf Distelfink, Rotkehlchen, Zaunkönig oder Blaumeise, das ist für mich eine Lobpreisband der Extraklasse. Da brauche ich keine Orgel und kein Symphonieorchester, wenn ich ein Nachtigallenkonzert live miterleben kann. (Liebe Musiker, nicht beleidigt sein. Es gibt auch Psalmen, da wird ausdrücklich dazu aufgefordert, mit allen Arten von Instrumenten Gott zu loben!) Oder wenn ich auf das Rascheln der Blätter im Wind horche, zum Beispiel auf den Lindenbaum vor unserm Haus oder auf das Rauschen eines Tannenwalds, auch da fällt es mir noch einigermaßen leicht, ein Loblied für Gott drin zu erahnen. »Lobt den Herrn, fruchttragende Bäume und alle Zedern. Laubbäume und Nadelbäume, lobt euren Schöpfer!«

Aber wie loben die Berge? Im Fernsehen habe ich letzthin eine Sendung über die Alpen gesehen und da wurde auch über die Gletscher berichtet und das leise Rauschen, dass in den Gletschern durch das Schmelzen des Eises zu hören ist. Ich habe es leider noch nie live gehört. Aber vielleicht ist das das Lob der Berge.

Wie gesagt, es gibt auch Loblieder jenseits von meiner Vorstellungskraft. »Lobt ihn, Sonne und Mond! (?) Lobt ihn, Engel (?) oder Nebel (?)!« Aber auch wenn wir die Stimmen mancher Geschöpfe nicht hören können, sind wir trotzdem eingeladen, unsre eigene Stimme hören zu lassen. »Lobt den Herrn, ihr Könige und alle Völker, Jünglinge und Jungfrauen, Alte mit den Jungen!« Irgendwo in dieser Aufzählung komme auch ich vor, in meinem Fall irgendwo zwischen den Alten und den Jungen. Da ist auch mein Einsatz dabei im vielstimmigen Chor von Welt und Weltall! Lobt ihn, ihr Menschen, auch du, ja du!

Halleluja, lobt den Herrn! Preist seinen Namen! Warum ist es in der Bibel eigentlich immer so wichtig, dass wir Gott loben? »Halleluja« dürfte eines der häufigsten Wörter in der Bibel überhaupt sein. »Lobt den Herrn!« Warum spielt das so eine große Rolle? Die Antwort kann man in einem kurzen Satz zusammenfassen: Loben zieht nach oben. Loben tut gut. Und zwar dem, der lobt, und dem, der gelobt wird. Loben zieht nach oben.

Können Sie sich erinnern an ein Lob, das sie bekommen haben? Als Erwachsene oder als Kinder? Vielleicht hat Sie Ihr Papa gelobt, wenn Sie im Garten mitgeholfen haben, Blumen gegossen, Laub zusammengerecht oder Nüsse geerntet haben. Vielleicht hat Sie eine Lehrerin gelobt, wenn sie gemerkt hat, wie sehr sie sich angestrengt haben. Vielleicht hat Sie ein Trainer gelobt, wenn Sie gedacht haben: Ich gebe es auf, ich  bin nicht gut genug. Vielleicht hat Sie Ihr Enkel gelobt für ein Essen, das Sie gekocht haben. Vielleicht hat Sie ihr Mann gelobt und Ihnen gesagt, wie gut Sie heute aussehen. Ich hoffe, es fallen Ihnen Beispiele ein für manches Lob, das Sie bekommen haben.

Allerdings gibt es umgekehrt auch Erinnerungen an Situationen, wo ein Lob wichtig gewesen wäre – und nie gekommen ist. Mein Querflötenlehrer hat mich zum Beispiel nie gelobt. Wenn er zufrieden war mit dem Ergebnis meiner Bemühungen – ich vermute zumindest rückblickend, dass er dann zufrieden war – dann sagte er: »So, jetzt können wir weitermachen.« Und dann gab es ein neues Stück zum Üben. Es gibt Menschen, denen fällt es sehr schwer, andere zu loben. Vielleicht weil sie selber zu wenig gelobt worden sind. Mir fällt dazu eine Großmutter ein, die nach einem Krippenspiel, das von Kindern und ehrenamtlichen Mitarbeitern wochenlang eingeübt worden war, aufstand mit den Worten: »Jetzt müsste man anfangen, mit ihnen zu proben.« Und ich frage mich: Wenn jemand nicht in der Lage ist, andere zu loben, wenn jemand nicht bereit ist, das Gute wahrzunehmen an Gottes Schöpfung und an seinen Geschöpfen – und dazu gehört ja auch der Mensch und der Mitmensch –, wenn jemand das nicht sehen und nicht sagen will, kann er dann wirklich von Herzen Gott, den Schöpfer loben? Ich habe da meine Zweifel. Mir scheint, es gibt durchaus einen Zusammenhang zwischen dem Lob für die lieben Mitmenschen und dem Lob für den lieben Gott. Wer den Schöpfer loben will, darf seine Geschöpfe nicht verachten.

Und für Christen gilt ganz bestimmt nicht der schwäbische Spruch: »Net gemeckert isch gnug globt!« Auf hochdeutsch: »Nicht gemeckert ist schon genug gelobt.« Die Schwaben sind zwar ein frommes Völkchen, aber das ist nicht biblisch. Bei Gott gilt die Devise: »Halleluja! Lobt!« Deshalb spart nicht mit Lob. Lobt eure Mitmenschen, denn es zieht sie nach oben. Es spornt sie an. Es ermutigt sie. Entdeckt das Lobenswerte in eurer Nachbarschaft, in eurer Familie, bei euren Kollegen, in eurem Verein, in eurer Gemeinde! Lernt das Gute sehen – und redet auch darüber. Denkt es nicht nur, sondern sagt es auch. Lobt eure Mitmenschen, wenn es Gelegenheit dazu gibt. Lobt sie nicht dann erst, wenn ihnen das Bundesverdienstkreuz verliehen wird … ganz nebenbei wird es auch Ihnen selber besser gehen, wenn Sie lernen, das Gute um Sie herum bewusst wahrzunehmen.

Und lobt Gott, denn das zieht nach oben. Das muntert  auf. Richtet den Blick auf die Schönheit in Gottes Schöpfung. Überseht auch die kleinen Dinge nicht, die  gut tun. Lernt das Staunen neu über die großen und kleinen Wunder diese Erde. Wenn schon die Würmer im Dreck Gott loben, dann erst recht du, Menschenkind, Mann oder Frau! Die ganze Schöpfung lobt den Herrn mit lauter oder mit leiser Stimme, mit Klang, mit Gesang oder mit Gekrächze. Darum mach mit und lobe auch du deinen Schöpfer!

AMEN

Die Psalmen: Psalm 8 (23.10.2016 von Pfarrerin Barbara Wilhelmi)

Von der Würde der Menschen, vom Selbstwert und vom Großen des Kleinen.

Liebe Gemeinde!

Ein Psalm ist ein Lied – immer verbunden mit einem künstlerischen Ausdruck im Gesang, mit Musik, mit Beteiligung des Körpers... oft beim Gehen, auf jeden Fall wurde er immer gesungen. Über unserem Psalm 8, den wir heute gemeinsam erfahren wollen, steht der Hinweis für den Chormeister: Es soll auf der Gittit nach der Melodie des „Kelterliedes“ angestimmt werden. Da wir ein Lied eigentlich nur sinnlich erfassen können und um einen Eindruck davon zu erhalten, hören wir in das Spiel eines orientalischen Saiteninstrumentes hinein:

CD Al – Tarab Die Musik Ägyptens, 2000 Heidelberg: Palmyra-verlag, Nr.2, Taqsin (2 Minuten).

Bitte schlagen Sie nun die Nummer 705 im Gesangbuch auf, dort finden Sie den Psalm, den wir gemeinsam nun so lesen, dass er dem Singen sehr ähnlich kommt.

In den Klöstern werden ja die Psalmen immer gesungen oder auf einem Ton zumindest gesprochen. Also wollen wir diesen Psalm nicht „kernig“ lesen, sondern so melodiös, wie wir können.

Gemeinsame L E S U N G von Psalm 8 

(1 Für den Chormeister: Nach dem Kelterlied (zu singen), ein Psalm Davids auf der Gittit):
2  Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen
Erde, über dem Himmel breitest du deine Hoheit aus.
3  Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge, hast du eine Macht

zugerichtet, deinen Gegnern zum Trotz,
deine Feinde und Widersacher müssen verstummen.
4  Seh` ich den Himmel, das Werk deiner Finger, den Mond

und die Sterne, die Du bereitet hast:
5  Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst und des Menschen 

Kind, dass du dich seiner annimmst?
6  Du hast die Menschen nur wenig geringer gemacht als Gott, hast

sie mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt.
7  Du hast sie als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner

Hände, hast ihnen alles zu Füßen gelegt:
8  All die Schafe, die Ziegen und Rinder und auch die wilden Tiere,

9  die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, alles, was auf den
Pfaden der Meere hindurchzieht.
10 Gott, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!

Der achte Psalm beginnt mit dem Lobpreis Gottes.

Luther übersetzte sehr massiv: Herr, unser Herrscher wie herrlich... in einer alten poetischen Reimform. Ursprünglich ist im Hebräischen die Anrede wesentlich einfacher: Gott, Adonai, wie groß ist dein Name auf der ganzen Erde... und Deine Hoheit am Himmel!  Und im Gegenüber dieses großartigen Gottes stehen nun die Menschen, die hier in ihrer Kleinheit benannt werden: Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge hast Du eine Macht....

Wir Menschen kommen auf die Welt als sehr Abhängige - von der Pflege und Sorge der Erwachsenen – ein Säugling, die alten Griechen sagten „Ein Milchtrinker“, denn der Mensch ist kein Nestflüchter, sondern er bleibt jahrelang im Nest und bedarf lange der Fürsorge und erlebt eine lange Zeit der Hilfsbedürftigkeit.

Und doch oder vielleicht gerade deshalb wird ausgerechnet dieses Lebewesen von Gott ausgesucht, der Zeit seines Lebens die Erinnerung des eigenen Klein-Seins und der eigenen Abhängigkeit bewahren kann.

Der Psalm 8 verbindet immer wieder den Himmel mit der Erde und lässt uns den Blick in den Himmel richten... zu Gott.. und wieder hinunter auf die Erde... Wir spüren das Verbindende... aus der Entfernung zwischen der „Hoheit im Himmel Gottes“ und den „kleinen Menschen“ entsteht eine Nähe. Wieder wendet der Psalm den Blick hoch in die Weite: Wenn ich sehe die Himmel, Deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne....

Ausgerechnet dabei denkt Gott an die Menschen und macht sie zu Partnern über Deiner Finger Werk – in anderen Worten: Gott macht die Menschen zu Partnerinnen und Partnern für die Gestaltung der Welt.

Was ist der Mensch, dass Du, Gott, seiner gedenkst?

Und des Menschen Kind, dass Du sich seiner annimmst..

Du hast die Menschen wenig niedriger gemacht als Gott selbst und hast diese Menschen sogar selbst als Herrscher eingesetzt über die Natur und über andere Lebewesen – die Schafe, Ziegen, Rinder allzumal“.

Das bedeutet: Die Menschen sind auch Schöpfer und Schöpferinnen. Wir müssen uns klarmachen, dass diese Sätze vor dreitausend Jahren auch daran denken, dass Menschen ja die Ackerbaukultur und die Weidewirtschaft erfunden hatten, zu der es notwendig war, dass die Tiere Gottes zu Haustieren gezüchtet wurden. In diesem Psalm werden sie aufgezählt: Die Schafe, Ziegen, Rinder allzumal und auch die wilden Tiere, die ja dazu herhalten mussten, die Haustiere zu züchten. Die Menschen als SchöpferInnen... da könnte man glauben, dass das ja wirklich Fähige und Mächtige sein müssten.

Aber ich gehe noch einmal zurück zum ersten Teil des Psalms, in dem die Menschen gerade nicht als Mächtige benannt werden. In dem Satz: Was ist der Mensch, dass Du, Gott, seiner gedenkst – steht im Hebräischen ein Wort, was eher den „Sterblichen“ bezeichnet - also den anfälligen Menschen „Enosch“ und des Menschen Kind „Ben-Adam“ - der Sohn/der aus Erde gemachte Mensch. Ich formuliere diesen Satz deshalb einmal so:  

Was ist mit dieses Sterblichen, das Du ausgerechnet seiner gedenkst?

Das bedeutet: Wir sind Geschöpfe mit unseren Grenzen – angewiesen auf die Fürsorge der anderen und das kann nur heißen, dass wir diese Phase unseres Lebens – das Klein-Sein und Sich-Klein-Fühlen, einfließen lassen sollen in das spätere Tätigsein – in das „Herrschen über die Welt“!

Es geht hier um das Wissen um die Schwachen, die von uns Abhängigen, die Kleinen, die uns anvertraut sind. Die Erinnerung an unserer eigene frühe Geschichte bereit zu halten in den späteren Situationen, in denen wir Entscheidungen fällen, z.B. bei der Arbeit, bei der Gestaltung der Natur, im Umgang mit Tieren und auch im Umgang miteinander.

Der Psalm mahnt gleichermaßen wie er auch die Menschen selbstbewusst machen will:

Denn sie (die Menschen) sind wenig niedriger als Gott selbst, sie sind also auch Mächtige.

Das bedeutet, die eigene „Stärke“ als Menschen einzugestehen, die „Macht“ als Auftrag zur Gestaltung zu spüren und auch wahrzunehmen, wie wir Verantwortung tragen und sich dabei zu erinnern, wie es war „von anderen abhängig zu sein – wie ein Säugling“.

Wir merken, dass sich mit dieser Erinnerung ein anderes Verhalten ergeben müsste – gegenüber den Nutz-Tieren und gegenüber allen Lebewesen in der Natur... im Umgang mit den Pflanzen und auch gegenüber den Energiequellen auf der Erde.  

Der Psalm befragt uns Menschen:

Wie leben wir Menschen denn unser Auserwählt-Sein von Gott als Schöpferinnen und Schöpfer? ..in unseren kreativen Möglichkeiten, die immer auch eine Gefahr bedeuten, Macht auszuüben.

Was geschieht, wenn die Zeit des eigenen Angewiesenseins ausgeblenden oder überspielen? Wenn wir diese Phasen negativ sehen, in denen wir „nichts leisten“ und eher angewiesen sind auf andere, könnten wir dazu kommen, nur einen Wert zu haben, wenn ich funktioniere und produktiv bin....

Und das kann Folgen haben, auch für die Gesundheit.

Als Seelsorgerin begegnen mir viele Menschen, die durch Krisen und Krankheiten sich gerade nicht stark fühlen. Sie können nicht mehr, was sie früher konnten und werden gepeinigt von Erinnerungen, was früher einmal war, noch ging oder auch was schief ging. Sehr oft verbinden sie den jetzigen Zustand der Schwäche und des Angewiesenseins auf Hilfe mit dem Gefühl

„Nicht-mehr-viel-wert“ zu sein. .. und verlieren an Selbstbewusstsein.....

Da könnte dieser Psalm Licht bringen. In einer Übersetzung dieses Psalm 8 fand ich die Überschrift: Die Herrlichkeit des Schöpfers und die Würde der Menschen: Die Aufgabe von Gott, die wir Menschen bekommen haben, liegt nicht nur im „Machen“ - viel mehr im „Sein“.

Diese Verse beschreiben die Menschen als Kinder, als Säuglinge, aus deren Mund Gott gelobt werden will. Damit wird einerseits gesagt, dass es um diese sehr jungen Menschen geht, die einfach da sind und noch nichts arbeiten können und sich gerade nicht „nützlich“ machen – aber die so gerade zum Lobe Gottes da sind... Und sie können genau so für die Menschen schon etwas Machtvolles haben und das Miteinander menschlich machen.. Kinder können Menschen positiv verändern: Sie bereiten Freude , können Herzen öffnen, lächeln oder die wichtigen Fragen stellen... die Welt verändern. Erich Kästner hat einmal sinngemäß gesagt, doch vom Kindsein etwas zu behalten „Erwachsen wird man nur als Kind“ - z.B. das Staunen zu behalten, die Unmittelbarkeit, das Begeistertsein-Können... Den anderen zu brauchen und gleichzeitig sehr frei zu sein..

Wünschen wir uns das für unser Leben, das aus dem diesem Psalm aufzunehmen:

Beides geht zusammen - Gleichermaßen unser Wert-Sein zu spüren, das Gemeintsein von Gott, ob wir nun klein sind in frühen Jahren oder auch klein sind in späteren Jahren, in einer Lebenskrise – oder aber in der Lebensblüte, in der wir die frühere Zeit nicht vergessen:

Immer den eigenen Selbstwert zu spüren und dabei in Gott zu sein...

AMEN

Die Psalmen: Psalm 121 (16.10.2016 von Pfarrerin Susanne Pieper)

Ein Lied für die Pilgerfahrt

Ich erhebe meine Augen zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt von Adonai her,
dem Schöpfer von Himmel und Erde.
Er lässt nicht zu, dass dein Fuß wankt,
dein Hüter schlummert nicht ein,
siehe, nicht schlummert ein und nicht schläft
der Hüter Israels.
Adonai ist dein Hüter,
Adonai ist dein Schatten über deiner rechten Hand.
Am Tag schlägt dich die Sonne nicht,
und nicht der Mond in der Nacht.
Adonai behüte dich vor allem Bösen,
er behüte deine Seele.
Adonai behüte dein Hinausgehen
und dein Hineinkommen - von nun an bis in Ewigkeit.

Gottes Liebe, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

ich bitte Sie, den ausgedruckten Psalm während der Predigt in Ihren Händen zu halten.

Sicher kennen Sie diesen Moment, kurz bevor man aufbricht in etwas ganz Neues, etwas Unbekanntes. Von Zuhause ausziehen. Umziehen in eine neue Stadt. Eine neue Arbeitsstelle antreten. Der Eintritt in den Ruhestand. Das sind große Aufbrüche. Oder es gibt auch kleine:

Jeder Weg morgens aus dem Haus ist schon ein Aufbruch, und manchmal auch ein Angang.

In solchen Situationen brauchen wir Stärkung! Sätze wie: Es wird gut werden. Ich werde es schaffen! Eine gute Vision gegen die Ängste und gegen die Zweifel. Die hilft uns, aufzubrechen und den Weg zu wagen.

Der Psalm 121 ist ein Gebet für solch einen Aufbruchsmoment. Generationen von Menschen haben sich diese Worte weitergesagt, haben sich damit für einen Neuanfang gestärkt. Dieses Gebet nun erzählt von einem besonderen Aufbruch: zurück nach Hause, nach dem Besuch des Tempels. Stellen Sie sich den alten Tempel in Jerusalem einen Moment lang vor: das hohe Gebäude steht imposant auf einem Berg. Sonne ist da. Wärme. Hohes Bergland drum herum. Ein Pilger steht am Tor dieses Gotteshauses. Hier war er angekommen, im Heiligtum Gottes. Dem Ziel seiner langen Pilgerreise. Doch nun geht der Weg zurück. Nach Hause. Über die Berge geht es. Sie sind monumental. Und sie flößen Respekt ein. „Werde ich hinüberkommen? Wird meine Kraft groß genug sein dafür? Schaffe ich es, mich den Gefahren zu stellen? Wilde Tiere, Räuber, unwegsames Gelände, abschüssige Pfade, Schluchten?“

Fragen, die ihm kommen. „Ich erhebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?“ Wenn man in den Bergen unterwegs ist, dann werden die Augen nach oben geleitet. Der Blick wird hoch gezogen: hoch zu den Bergzügen. Zur Silhouette des Gebirges, zur Grenze zwischen den Bergen und den Wolken. Himmel und Erde – da oben grenzen sie aneinander. Von den Bergen selbst kann keine Hilfe kommen, doch sie kommt von der Macht, die all diese großartigen, weiten Gebirgsformationen hervorgebracht und angestoßen hat: dem Erschaffer der Erde und des Kosmos. „Meine Hilfe kommt von Adonai, dem Herrn, dem Schöpfer von Himmel und Erde.“

In diesem Psalm ist es wichtig, dass Gottes Schöpferhandeln in der Form der Gegenwart beschrieben wird: Gott schafft fortwährend Himmel und Erde. Er ist ständig dabei, zu schaffen. (Hebr.: osseh) Würde er auch nur einen Augenblick ausfallen, so fiele unsere Erde in den Abgrund. Gott also erhält die Erde am Leben, er erneuert sie und er schützt sie. Seine Schöpfung ist nicht nur ein Ereignis der fernen Vergangenheit; sie geschieht genauso in der Gegenwart, permanent. Mit seiner Schöpfungskraft ist er noch immer dabei, das Chaos zu bekämpfen. Weil er die Welt erhält, darum kann er auch dem einzelnen Menschen in der Gegenwart eine Hilfe sein, wenn der mit den Bergen seines Lebens konfrontiert ist.

So ist Gott auch der Wächter und Hüter der Gegenwart: „Dein Hüter schlummert nicht ein, siehe, der Hüter Israels schläft nicht“, sagt der Priester am Tempeltor zum Pilger.

In der altorientalischen Götterwelt, in Mesopotamiens Vorstellung, da ist es anders: da haben die Götter das Recht auf einen ungestörten Schlaf. Da ist es göttlich, sich um nichts kümmern zu müssen, einfach schlafen zu können. Nachdem sie die Welt erschaffen haben, wenden sie sich von ihr ab, drehen sich zur anderen Seite und haben kein Interesse mehr an ihr. Doch Adonai, der Gott Israels, ist anders: er erhält Himmel und Erde. Auch nach dem ersten Schöpfungswerk kümmert er sich. Und lässt die Sonne an jedem Morgen neu aufgehen. Auf diesen „Hüter“ kann Israel sich verlassen, aber auch jeder Einzelne, jede Einzelne. Gott trägt Sorge dafür, dass Israels gefahrvoller Weg durch die Geschichte nicht scheitert. Er bleibt zugewandt.

Dies gilt für Tag und Nacht: immerzu. „Am Tag schlägt dich die Sonne nicht, und nicht der Mond in der Nacht.“ Du sollst geschützt sein am Tag: davor, dass die Sonne dich verbrennt, vor Kollaps und lebensgefährlicher Sonnenglut. Und du sollst geschützt sein des Nachts: vor den gefährlichen Kräften des Mondes. Dazu zählt die Mondsüchtigkeit, das Schlafwandeln im unbewussten Zustand. (Die zeitgenössischen Babylonier waren übrigens auch der Meinung, dass ein eigener Mondgott verantwortlich war für das Fieber und den Aussatz bei Menschen). Diese Worte meinen also: dass du bewahrt bleibst inmitten des Wechsels von Tag und Nacht; dass du Ruhe findest und Schlaf; dass du nicht herausfällst aus dem heilsamen Rhythmus von Schlafen und Wachen. Dass du in der Nacht die nötige Kraft findest für den nächsten Tag.

Liebe Gemeinde,

an einer Stelle dieses Psalms bin ich ins Stocken geraten: „Er lässt nicht zu, dass dein Fuß wankt“, heißt es da. Was aber, wenn es doch geschieht? Wenn ich stolpere, mich verletze, mir die Schulter breche oder den Fuß…? Das passiert ja einfach, solch ein Unglück. Aus vielen Gründen. Was dann? Dann komme ich ins Grübeln, Fragen: wie soll ich das verstehen? Wollte ich zu viel in zu kurzer Zeit? Brauchte ich eine Pause, um wieder zu mir selbst zu kommen? Will Gott mir gar etwas damit sagen? Habe ich einen Wink von ihm übersehen? Hat er nicht auf mich aufgepasst?

Diese Verse in Ps 121 haben eine überschießende Sprache. Ihre Aussagen sind nicht wörtlich, sondern metaphorisch zu verstehen. Sicher ist, dass der Psalm keine Grundversicherung gegen Krankheit ist. Und sicher ist auch, dass er von einem besonderen Gottesverständnis erfüllt und getragen ist: Gott ist der, der mir und dir Gutes will. In einem anderen Psalm heißt es: „Der Herr hält alle, die fallen. Und richtet alle auf, die niedergeschlagen sind.“ D.h.: er ist und bleibt mit seiner Kraft da, auch wenn ein Mißgeschick oder ein Unglück geschehen ist. Er wendet sich nicht ab und schläft nicht. Er hilft mir, mich wieder aufzuraffen, aufzustehen, neue Kräfte zu finden und meinen Weg weiter zu gehen. Und wenn ich ihn im Rücken habe, dann gehe ich anders: innerlich aufrecht. Bekomme Selbstvertrauen. Und mein Vertrauen wird gestärkt.

Stellen wir uns ihn nun zum Schluss noch einmal vor: den Pilger am Ausgang des Tempels. Da steht er. Er hat sein Bündel geschnürt und die Sandalen an den Füßen. Reisefertig steht er an der Pforte. Da tritt der Priester zu ihm und gibt ihm seinen Reisesegen: „Adonai behüte deine Seele. Adonai behüte dein Hinausgehen und Hineinkommen - von nun an bis in Ewigkeit.“

„Er behüte deine Seele“ - das hebr. Wort Nefesch für Seele meint auch Kehle - ganz leiblich, ganz irdisch. Die Kehle ist das Organ, durch das alle Nahrung geht und fließt. Das Organ, durch das wir atmen, sprechen und singen. „Er behüte deine Kehle“, d.h. dann: er behüte und fördere dich in allen deinen Lebensbezügen; was durch dich hindurchgeht, was du von dir gibst an Gedanken und Worten.

Und „er behüte deine Seele“ - deinen inneren Menschen. „Er behüte dich in deiner Ganzheit, mit allem, was dich ausmacht.“ „Er behüte den Weg, den du hinausgehst, und er behüte dein Ankommen an deinem Ziel, bis in Ewigkeit.“  Das ist ein Segen für den ganzen Menschen, ein Segen für den ganzen Weg, ein Segen für alle vorstellbare Zeit.

Der Psalm 121 enthält eine Fülle, die man in einer Predigt nicht ausloten kann. Er ist ein großartiges Gebet des Vertrauens; er kann Kraft geben und Gelassenheit inmitten aller Unsicherheiten oder Ängste, die zu unserem Leben gehören. Dieser Psalm kann das Bewusstsein unseres Glaubens vertiefen.

Und vielleicht machen wir es so wie Dorothee Sölle, und kauen im besten Sinne weiter auf ihm herum: nehmen eine Zeile mit in die neue Woche, meditieren sie immer wieder einmal zwischendurch und lassen uns davon überraschen, wie sie uns verändert.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

am 18.9.2016 im Gospel-Gottesdienst von Pfarrer Rainer Böhm

Erntedankzeit:

In diesem Sommer habe ich Kartoffeln geerntet, nur so viele, wie wir gerade brauchten. Sie wuchsen in dem Garten, in dem wir ein paar Tage Urlaub machten. Man muss mit der Hand in der Erde Graben, manche Knolle liegt noch ganz tief. Danach duftet man nach Erde, in der man gewühlt hat und hat ganz frische Kartoffeln im Topf.

Hier in Bad Nauheim haben wir einen Mirabellenbaum im Garten. Letztes Jahr hatte er nur so etwa zehn Mirabellen; dieses Jahr vielleicht 15 kg. Mirabellen gehören zu meinen Lieblingsfrüchten.. Ich habe Marmelade und Likör von den Früchten gemacht.

„Herr, wie sind deine Werke so groß und viel.“

Süßmost, Süßer heißt der ja hier eigentlich, ist Heimat für mich. Und nie vergesse ich die Abende in einem kleinen südfranzösischen Hotel, als nach dem Essen der Besitzer und Koch in der Küche immer noch eine halbe Stunde lang Nüsse knackte …

Ich weiß auch, dass man Erschreckendes sagen könnte darüber, dass ausgerechnet in dieser Erntezeit Bayer den amerikanischen Saatguthersteller Monsanto für eine große Geldsumme gekauft hat: Ernte ist heute Politik und natürlich Geschäft... Und der Bauer auf seinem Traktor mit den riesigen Reifen sitzt zwei Meter über der Erde, von der wir leben.

„Du hast alles weise geordnet und die Erde ist voll deiner Güter!“

Ich denke an ein älteres Lied aus der Friedensbewegung,  … „Es ist genug für alle da“ … Das ist unsere Hoffnung, unser Traum: es reicht für alle.

Ernte im eigenen Leben

Wir selbst sind ein lebendiger Teil der Natur: Wir wachsen Jahr für Jahr, bis zum Ende hin, werden reich an Erfahrungen und Eindrücken. Die Eindrücke, die wir behalten und die uns prägen: Innere Bilder von Menschen und Landschaften, von Räumen und Dingen, natürlichen und hergestellten. Der Geschmack des Weines und der Küsse, der Mittelmeerküche und der Pflaumenknödel; das Geräusch des Regens und des Windes, das ganze Universum der Musik.

Wir sind wunderbar gemacht. „Und Gottes Augen sahen uns, als wir noch nicht bereitet waren.“

Dieses positive Menschenbild drückt Hermann Hesse auch in seinem Gedicht Stufen aus:

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.  

Und weiter:

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Ich bin oft unzufrieden mit mir selbst. Damit, wie ich bin. Unzulänglich so oft in meinen Augen. Wie ich mich verhalte. Was ich nicht gebacken kriege. Was ich vergesse oder auch versäume. Mannomann - wieder die Liste nicht abgearbeitet, aufgeräumt. Was weggeschafft.

Und auch äußerlich. Diese Unzufriedenheit darüber wie ich aussehe. Wie unbeweglich und unsportlich ich bin, Fehler hier und Fehler da. Aber Gott  sagt ja zu mir. Ich darf gnädiger mit mir sein und mich mit seinen Augen sehen.

Erntedank in meinem eigenen Leben: Dank für die Gemeinschaft, die ich erleben darf; danke dafür, dass ich so sein darf wie ich bin; danke auch dafür, dass ich anders sein darf, danke für Nähe und Liebe, für Düfte und Geschmack – danke für mein Leben.

15 Jahre Gospelchor

Erntedankzeit – Das gilt nicht nur für die Natur und für uns Menschen.

Ich denke an die Anfänge des Gospelchores. Eine Kantorei gab es irgendwie ja schon immer. Da war aber noch dieser nette kleine Jugendchor, der zu einer Art Gospelchor wurde. Es gab den Punkt, an dem Frank, kurz nachdem er zu uns gekommen war, sagte: also entweder lohnt sich das jetzt und es kommen mehr Leute – oder ich stelle die Arbeit mit diesem Chor ein. Wenn da immer nur 10 oder 12 kommen, lohnt es sich nicht. Und dann hast Du bei einer Probe gesagt: „Wenn das nächste Mal keine 20 Leute da sind, hör ich auf. Dann gibt’s keinen festen Chor.“ –

Am Anfang war also das Wort. - Und beim nächsten Mal waren 27 Leute da. Ein klares Wort – eine eindeutige Reaktion. 15 Jahre ‚For Heaven’s Sake‘.

Wir denken an alle Mitglieder des Chores, voller Dank für ihre Freude und ihr Engagement. Voller Bewunderung hast Du mir vor ein paar Tagen gesagt: „Die besuchen sich gegenseitig, wenn sie krank sind!“ Wir denken an die, die jetzt dazu gehören und an die, die heute nicht hier sein können. Wir denken an alle die jemals dabei waren in diesen 15 Jahren und die weiter gezogen sind. Das ist eine große Schar begeisterter Menschen. Begeistert für das Singen, für das Lob Gottes. Für seine Anbetung im Gesang.

Wir denken an die begeisterten Zuhörer in Gottesdiensten und Konzerten, hier und woanders. Ihr wirkt weit über unsere Gemeindegrenzen hinaus für Überall legt Ihr Zeugnis ab für die Frohe Botschaft von Jesus Christus.

Wir denken an die Wochenenden. An gelebtes Miteinander, Reich Gottes im Kleinen. Lebendiges Miteinander in Jesus Christus – Freude an seinem Wort.

AMEN

am 18.9.2016 von Pfarrer Rainer Böhm

Brief an die Gemeinde in Rom

9 Wenn du aber mit deinem Mund öffentlich erklärst, dass es Jesus ist, dem wir gehören, und mit deinem Herzen vertraust, dass Gott ihn von den Toten geweckt hat, dann wirst du gerettet. 10 Vertrauen, das aus dem Herzen kommt, führt zur Gerechtigkeit. Sich mit dem Mund öffentlich zu erklären, führt zur Rettung. 11 Denn die Schrift spricht: Wer auf Gott vertraut, wird nicht scheitern.

12 Deshalb gibt es keinen Unterschied zwischen jüdischen und griechischen Menschen, denn die Lebendige ist Gott aller Menschen. Alle, die zu ihr rufen, haben Teil an ihrem Reichtum: 13 Denn alle, die den Namen der Lebendigen anrufen, werden gerettet. 14 Wie kann das geschehen? Sie können doch nur zu ihr rufen, wenn sie ihr vertrauen. Vertrauen entwickeln können sie aber nur dann, wenn sie von ihr gehört haben. Von ihr hören können sie aber nur dann, wenn es Menschen gibt, die die Botschaft über sie verkünden. 15 Verkündet werden kann sie aber nur, wenn es Menschen gibt, die dazu ausgesandt werden. So ist es geschrieben: Willkommen sind die Füße derer, die gute Nachrichten bringen. 16 Aber nicht alle haben die Freudenbotschaft angenommen. Schon Jesaja spricht: Lebendige, wer findet Vertrauen in das, was wir verkündet haben? 17 Folglich erwächst Vertrauen aus dem Hören auf die Verkündigung; das Wort des Messias begründet, dass Menschen auf die Verkündigung hören.

Liebe Gemeinde,

Hebt euch eure Grundsätze für die wenigen Augenblicke im Leben auf, in denen es auf Grundsätze ankommt. Für das meiste genügt ein wenig Barmherzigkeit.“ Der Satz, der Albert Camus zugeschrieben wird, ist ein freundlicher Satz. Ich stimme ihm gern zu – im Alltag. Für das allermeiste im Leben genügt ein bisschen Barmherzigkeit: Mir selbst gegenüber und anderen gegenüber.

Aber auch die Grundsätze sind wichtig – in manchen Momenten.

In seinem Brief an die Gemeinde in Rom legt Paulus einige seiner Grundsätze dar. Er erklärt der Gemeinde, die ihn nicht persönlich kennt, die ihm aber wichtig ist, was aus seiner Sicht zentral ist im Leben als Christ und als christliche Gemeinde. Die Rechtfertigungslehre, das „Gerechtwerden aus Gnade im Glauben“ hat Martin Luther in diesem Brief entdeckt. Und auch in den Versen, die uns heute als Epistel und Predigtwort gegeben sind, spielen Vertrauen und Glauben eine wichtige Rolle – und ebenso das Bekenntnis zu den Grundsätzen, die Bereitschaft, „sich öffentlich zu erklären“.

Wir hören das Predigtwort nach der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache (Röm 10, 9-17).

Glauben und Bekennen – das genügt. Das klingt einfach – und sehr fremd. Öffentlich erklären, dass und woran ich glaube – das gehört nicht zu meinem Alltag. Und trotzdem ist das Vertrauen in Gott Teil meines Lebens. Woher kommt der Glaube, das Vertrauen, dass wir zu Gott und zu Jesus, dem Christus, gehören? Wie kann dieser Glaube geweckt werden und wachsen?

Vorsichtig hält der junge Vater das Kind auf seinem Arm. Summt leise. Gerade hat seine Tochter getrunken. Aufgestoßen. Geschmatzt. Behutsam streichelt er den Rücken. Das kleine Wesen schläft jetzt und atmet ruhig. Mehr passiert nicht. Nach einiger Zeit blinzeln die kleinen Augen. Als sie sich öffnen, schauen sie in ein freundliches, zugewandtes Gesicht. Das Kind lächelt und er lächelt zurück. Leise, strahlend.

Diese Minuten, diese Sekunden, diese halben Stunden sind es, auf die unser Vertrauen ins Leben, in die Lebendige aufbaut. Jeder Mensch, jede Frau, jeder Mann lebt davon, dass er, dass sie so gehalten, so geliebt, so angesehen wurde als Säugling, als Kind, als Jugendliche – und auch heute noch.

Wie schön, wie wichtig ist es, wenn eine dem andern sagt: Du bist wunderschön für mich. Ich sehe dich mit Freude an... Wie schön, dass Du da bist...

Wie schön ist es, wenn es klingelt und ein unverhofftes Päckchen abgegeben wird: Jemand hat an mich gedacht, mir einen Gruß geschickt, ich packe einen Schal aus und die Liebe für mich, die damit verbunden ist…

Dieses Gesehenwerden, Umsorgtwerden, Geliebtwerden als Kind und auch als Erwachsene weckt das Vertrauen: Ja, ich bin gewollt. Ja, ich bin geliebt. Ja, ich darf sein, die ich bin und werden, die ich werden kann... Ich bin geliebt und Teil einer Gemeinschaft. Ich bin getragen und gehalten und lebe daraus …

Aus diesem Erleben wächst Glauben, Vertrauen in mich selbst, mein Sein und auch in die Menschen und die liebende Wirklichkeit, die mich hält und trägt, in Gott, in die Ewige.

Wer waren die Menschen, die Ihnen den Glauben verkündigt haben?

Am Anfang sind es allermeist Eltern, die „verkündigen“: Mit dem, was sie tun und wie sie es tun: Lieben, sorgen, nähren. Sie sind wichtig. Und natürlich kommen sie auch an ihre Grenzen: Ungeduld, Eigensinn, fehlende Kraft…

Denn: Nie ist es genug. – Auch das ist eine Erfahrung, die unser Menschsein begleitet.

Und nicht jede, nicht jeder erlebt diese Geborgenheit. Nicht in jedem Leben darf das Grundvertrauen von klein an wachsen.

In jedem Menschen lebt aber die Sehnsucht nach dem Vertrauen, das aus dem Geliebt- und Versorgtwerden wächst. Und für manche wird die Sehnsucht nach diesem Vertrauen zum Segel, in das der Wind des Lebens bläst. Mal mehr, mal weniger stark spüren wir die Sehnsucht nach Liebe und Bestätigung durchs Leben hindurch.

Es ist wichtig, das zu entdecken: Ein Mensch und auch mehrere Menschen sind nicht in der Lage, diese tiefe Sehnsucht letztlich zu stillen. Das überfordert jede und jeden. Und selbst wenn jemand reichlich Vertrauen „getankt“ hat. Die Sicherheit, die Menschen geben, auch die Selbstsicherheit kommt an ihre Grenzen.

Zwei Begegnungen kommen mir in Erinnerung:

Weinend steht er da – durch die Prüfung gefallen. Das gibt’s doch nicht. Er weiß, dass seine Eltern ihm daraus wahrscheinlich keinen Strick drehen werden – und trotzdem: Wie steht er da? Was denken seine Freunde? Wie blöd ist das nur…

Der Krankenhausgeruch steckt fest in der Nase. Die Diagnose gellt in den Ohren. Das kann doch nicht sein. Mit 45 Jahren? Wie soll das werden? Wie kann ich das den Kindern sagen?

Wenn das Vertrauen erschüttert wird, finden Zorn und Zweifel Raum. Das ist so, darf und muss auch so sein. Und zugleich ist auch in diesen Momenten das „Verkündigen“ wichtig, der Hinweis: Was kein Mensch kann – bei Gott ist es möglich – und in dem Menschen Jesus hat er das gezeigt. „Geweckt“ – auferweckt, den Tod überwunden.... Worte, die etwas ausdrücken wollen, was nicht zu fassen ist. Die Liebe Gottes ist stärker als der Tod. Der Glaube lebt aus diesem Vertrauen.

Wer hat das Vertrauen in den barmherzigen und sich zuwendenden Gott für Sie hörbar und spürbar gemacht?

Eine Pfarrerin? Ein Jungscharleiter? Eine Großmutter? Ein Freund aus der Jungen Gemeinde? Frauen und Männern, Jungen und Alten vertraut Gott seine gute Nachricht an: Du bist geliebt von Gott, mit allem, was zu Dir gehört und mehr als je ein Mensch es könnte. Wenn Du es zulässt, dann durchdringt und verwandelt Dich Gottes Geistkraft. Denn: Gott braucht Dich, auf Deine ganz eigene und besondere Weise. Als eine Frau, einen Mann, die die frohe Botschaft glauben und verkünden mit Herz und Mund, mit Hand und Fuß.

Könnte das auch Ihre Aufgabe sein: Öffentlich bekennen? Anderen davon zu erzählen, was Sie glauben, worauf Sie vertrauen?

Paulus formuliert:

Sich mit dem Mund öffentlich zu erklären, führt zur Rettung. 11 Denn die Schrift spricht: Wer auf Gott vertraut, wird nicht scheitern. (Röm 10, 9-10 BIGS)

Der junge Mann nach der missglückten Prüfung biegt auf dem Weg nach Hause in eine offene Kirche ab. Grade will er niemand sehen und hören. Er hockt sich ein Bank und die Tränen fließen noch einmal. Als er irgendwann den Kopf hebt und das Altarbild vor sich anschaut, kommt ihm, trotz allem, ein Lachen: „Du bist mein geliebter Sohn“, steht da auf dem Spruchband, das vom offenen Himmel herabwedelt…

Und wenn nichts mehr zu lachen gibt wie bei der Frau mit der schlimmen Diagnose (,wie bei der kanaanäischen Frau aus dem Evangelium)?

Wenn mir die Worte im Hals stecken bleiben und fehlen, dann weiß ich, dass trotzdem gebetet wird um Gott zu bewegen. Trotz allem.

Wenn wir gemeinsam das Vaterunser/ Glaubensbekenntnis sprechen, dann leuchtet in den alten Worten dieses trotzige Vertrauen auf. Sie beschreiben einen Raum des gemeinsamen Betens/ Glaubens durch Raum und Zeit. Nicht mit allem bin ich immer einverstanden. Nicht alles ist mir zu allen Zeiten gleich vertraut und sicher. Meine ganz eigenen Worte wären andere – und Ihre wahrscheinlich auch. Aber wir stellen uns mit dem gemeinsamen Gebet/ Bekenntnis unseres Glaubens zusammen und feiern Gottesdienst - im Vertrauen auf den Gott, den keine Worte fassen können und der sich doch sichtbar gemacht hat, in dem Menschen Jesus.

Amen.

am 28.8.2016 von Pfarrer Dr. Ulrich Becke

Im Wasser und mit dem Wasser geht es los: die NASA sucht Spuren von H2O auf fremden Planeten, ohne Wasser kein Leben.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Die Erde war noch leer und öde,
Dunkel bedeckte sie und wogendes Wasser,
und über den Fluten schwebte Gottes Geist.

So sagt die Bibel – und auch hier: ohne Wasser geht es nicht, am Anfang das Wasser.

Am Anfang das Wasser. Auch ein gutes Motto für Taufen, wie wir sie heute im Gottesdienst feiern. Die Kindertaufe ist bei uns das Übliche geworden, der alte Taufstein dort drüben zeigt uns, dass ganz früher auch noch Erwachsene getauft wurden.

Eine Sage erzählt vom Anfang im Wasser:

Gold ruht auf dem Grunde des Rheins von Anfang an, ein Teil der Schöpfung, funkelnd und schön, bewacht von drei Nixen, Mischwesen, Töchtern des Rheins, bewacht vor Neid und Habgier der Menschen. Im Licht der Sonne funkelt das Rheingold wunderschön in der Riefe des Flusses. Da kommt aus einer anderen Welt ein hässlicher Zwerg. Er beginnt mit den Nixen zu flirten, sie provozieren ihn, necken ihn, ohne ihn irgendwie ernst zu nehmen. Allerdings verplappern sie sich und erzählen dem Zwerg ein Geheimnis: wer das Gold im Fluss an sich reißt und dann ein Leben lang auf Liebe verzichtet, der kann sich daraus einen Ring schmieden, mit dem er die Welt beherrscht.

(Da klingelt es bei Kinobesuchern und Lesebegeisterten:

Ein Ring sie zu knechten,
sie alle zu finden,
ins Dunkel zu treiben
und ewig zu binden.)

Der abgewiesene Zwerg, frustriert wegen der Erfolglosigkeit seiner Anmache, sieht in diesem Moment das glitzernde Strahlen des Goldes in der Tiefe. Er verflucht die Liebe, rafft das Gold an sich und flieht.

Hier sollten wir innehalten: Gold oder Liebe – das scheint oft die Alternative im Leben zu sein.

Und: alles beginnt im Wasser – so auch 16 Stunden Operngeschichte, der „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner – gerade haben wir einen Teil von dessen Vorabend, dem „Rheingold“, in Kurzfassung gehört.

Gold oder Liebe: dass der blinde Wille zur Macht Menschen und andere Kreaturen bösartig macht, zeigt auch der schon erwähnte Roman von Tolkien, Der Herr der Ringe, im Kino nicht ganz 10 Stunden… Wagners Ring des Nibelungen, etwa 16 Stunden, vier davon, die letzten, die „Götterdämmerung“ habe ich vorletzte Woche in Bayreuth erlebt.

Liebe Taufeltern, auch die Entscheidung für ein oder mehrere Kinder folgt der Alternative: Gold oder Liebe.

Wer hat, will noch mehr haben, wer hat, neidet jedem anderen das, was der hat, ist nur  noch darauf aus, ihm das zu nehmen. Anschaulich wird das im Herrn der Ringe geschildert, aber auch schon in Richard Wagners Ring des Nibelungen. Dass der Wille zum Gold, zur Macht die Natur, die Schöpfung zerstört, auch das zeigt Wagners Ring des Nibelungen: der Gott Wotan beschädigt den Ur-Baum, die Weltesche, um sich einen Speer daraus zu machen: eine Waffe, die der friedlichen Urordnung entgegensteht.

Er schreibt seine eigenen Gesetze darauf in Runen, und nun gelten die Urgesetze der Schöpfung auf einmal nicht mehr. Wotan wird an seiner eigenen Gesetzgebung scheitern, die keinen Menschen besser gemacht hat, und abdanken. Am Ende der Handlung wird der Ring, wird das Gold dem Wasser, dem Ursprung zurückgegeben, die Schuld ist gesühnt, die Einheit der Schöpfung wiederhergestellt, ein Neuanfang ist möglich.

Im Wasser und mit dem Wasser geht es los – auch in unserer Stadt in Bad Nauheim. Quellendank feiern wir heute. Dank an Gott, der uns die Quellen unseres Lebens schenkt: H2O – eine gesunde Umwelt – Liebe und Fürsorge der Mitmenschen.

Die Zeichen seiner Liebe sind das Abendmahl und die Taufe.

Auf Gottes Geheiß aus der Tiefe geboren, der Lebenden Leiden zu lindern erkoren… Dank gebührt Otto Wissig für seinen Vers, dafür, dass er die Idee hatte, diese Kirche, unsere Dankeskirche vor über 100 Jahren zu erbauen.

Nicht nur ein Fenster in der Sakristei zeugt von ihm, durch das er patriarchalisch-entrüstet schaute, wenn es vor Beginn des Gottesdienstes in der Dankeskirche zu laut wurde – dann verstummten alle sofort, so wird es jedenfalls erzählt…

Auf die Quellen verweist dieser Tag. Was sind die Quellen unseres Lebens? Wer hat uns gesegnet? Wer hat uns geprägt? Wer begleitet uns in der Art, wie wir leben?

Tag der Taufe unserer Kinder: Anlass genug, darüber, jede und jeder für sich, nachzudenken:

Was sind die Wurzeln unserer einzelnen Existenz?

Aus welchen Quellen speist sich unser Leben?

Wo erfahren wir Bedrohung und Verschmutzung unserer Quellen?

Wie gehen wir dagegen an?

Tauftexte sind da Leuchtfeuer, die uns Wege aufzeigen und Fragen beantworten.                                                                                                         

Gott helfe uns dabei. Amen

am 10.7.2016 von Pfarrer Rainer Böhm

Apg 2, 41-47

41Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen; und an diesem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend Menschen.42Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. 43Es kam aber Furcht über alle Seelen und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. 44Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. 45Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. 46Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen 47und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

Liebe Gemeinde,

so war es also früher, am Anfang.  Lukas wollte davon erzählen. Damit man in den späteren Zeiten ermessen kann, was gewesen ist. Und ahnt, worauf alles hinaus läuft.

Die Erzählungen von früher neigen zur Übertreibung Einem Großvater gleich, der irgendwo anfängt zu erzählen und sich nicht damit genug tun kann, hinzuzufügen und auszuschmücken. Aber: Lukas ist kein Großvater, er will einfach sagen, wie es war. Der Reihe nach. Und auch nicht nach dem Motto: früher war alles besser. Nein, er erzählt einfach. Von dem, der die Menschen zusammen bringt. Und was sie darauf hin tun. Zum Beispiel in ihren Häusern das Brot brechen. So wie früher.

Von früher würde  ich auch gerne erzählen. Wie es in meinem Heimatort auf der Langestraße den Bäcker Roth gegeben hat, den wir in der ersten  Klasse besucht haben. Und wie der den Teig noch mit der Hand formte für die Brötchen und wie es da roch in der alten Bäckerei und wie die Krüstchen und Mohrenköpfe schmeckten.

Früher: in Chile – das sagt ein Flüchtlingsjunge in einem Gedicht von Dorothee Sölle. „Bei uns in Chile sind die Weihnachtsbäume viel größer … und alle kriegen was, verstehst du, keiner kriegt nix, verstehst du – gar keiner.“

In der Pfingstgeschichte können sich  Menschen öffnen, die zuvor verschlossen waren. Offene Türen, offene Worte, offene Ohren. „Und sie wurden alle erfüllt vom Heiligen Geist..“ Bei den ersten christlichen Gemeinden führt die Offenheit für Gottes Geist auch zu einer offenen Hand. Von der Urgemeinde des Petrus und des Bruders Jesu wird eine Offenheit berichtet, die sehr weit gegangen ist: sie teilten alles miteinander. In der Fachliteratur wird es ’Liebeskommunismus‘ genannt.

Das Wort Ich kommt in unserem Abschnitt nicht vor. Die Vorstellung, man müsste für sich selbst sorgen, fehlt. Stattdessen Sätze wie „Sie waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam“. Oder: „Sie teilten aus unter alle, je nach dem es einer nötig hatte“. Es war genug für alle da.

Eine solche Gemeinde ist eine Solidargemeinschaft. Sie ist Kirche für Andere und nicht für sich selbst. Sie öffnet ihre Türen, und es kommen Bedürftige an Leib und Seele: Hier in den Kirchenraum, aber auch in unsere Gruppen und Kreise. Menschen, die einen Riss in ihrem Leben erfahren haben, eine Beschädigung. Und wer gehörte nicht dazu? Kirche begleitet bei den Übergängen des Lebens. Sie fragt nicht nur nach den Nächsten, sondern auch nach den Übernächsten: in unseren Partnerkirchen in Frankreich und Indien, bei den Flüchtlingen in unserer Stadt, bei den Bedürftigen, die aus den sozialen Netzen heraus gefallen sind und am Bahnhof betreut werden.

Eine solche Gemeinde ist zweitens eine Lerngemeinschaft. Sie fragt sich, was Christsein heute bedeutet. Sie ist gleichsam im Gespräch mit der Bibel, nicht nur in unseren Gottesdiensten. Auch wenn wir nicht auf alle Fragen gleich eine Antwort finden – wir wollen miteinander nach Lösungen suchen, gemeinsam.

Drittens ist Kirche für uns Mahlgemeinschaft. Bei uns in der evangelischen Kirche in beiderlei Gestalt, seit der Reformation. Und im großen Kreis um den Altar, auch als Zeichen dafür, dass wir alle gleich weit von Gott entfernt sind. Bzw. gleich nah bei ihm, unabhängig von Amt und Geschlecht. .

Und schließlich ist christliche Kirche eine Gemeinschaft des Gebetes. Aus Indien und den USA kenne ich es, dass die Gemeinde in der Fürbitte auch eigene Anliegen nennt, bevorstehende Operationen, überstandene Krankheiten, Freude und Leid.. Und so werden auch Gäste vorgestellt oder Neuzugezogene, die zum ersten Mal dabei sind. Auch die Musik ist wie ein Gebet, die Lieder der Kantorei. Und jede Kerze hier vorne am Kerzenbaum ist ein Gebetswunsch an Gott.

Die christliche Gemeinschaft kann nicht Gemeinde sein, ohne auf Gottes Wort zu hören; sie kann nicht  das Abendmahl feiern, ohne auch im Alltag die Güter des Lebens zu teilen; sie kann nicht ihren Kirchturm reparieren, ohne über ihn hinaus zu schauen und für andere da zu sein; sie kann nicht christlich und diakonisch handeln, ohne sich im Gebet zu vergewissern.

Aus heutiger Sicht vielleicht eine Utopie. In einer schönen Kirche und einer reichen Stadt ist das nicht so leicht darzustellen. Gütergemeinschaft? Wo gibt es das denn – in deiner Wohngemeinschaft aus den 70er Jahren vielleicht. Oder in einem Orden, wo die Mitglieder keinen Privatbesitz haben. In einem Kibbuz in Israel oder einer Basisgemeinde in Südamerika. Kleine Inseln im Meer des Kapitalismus.

Die Theologin, die das für mich verkörpert, ist Dorothee Sölle. Für manche ein rotes Tuch, Feministin, Sozialistin, Christin – lauter Etiketten. Ich habe sie in Kalifornien kennen gelernt. Sie kam mit dem Bus aus Los Angeles. Als sie ausstieg war  ich überrascht, wie klein sie war. In Deutschland hat sie keine Professur bekommen. In New York hatte sie eine Gastprofessur. Viele protestantische Gemeinden nahmen in diesen Jahren illegale Flüchtlinge auf, um sie vor der Abschiebung zu schützen. Sie stellten sich also gegen ihren eigenen Staat, der in Mittelamerika einen ungerechten Krieg unterstützte. Sölle vertrat diese Option für die Armen, weil Jesus auf der Seite der Armen stand. Sie war oft in den Basisgemeinden Lateinamerikas.

Ich fuhr sie ein paar Tage mit dem kleinen Auto unserer Vermieterin durch die Gegend um San Francisco. In einer Gemeinde in Berkeley hielt sie einen Vortrag: zum Thema Aktion und Kontemplation, Beten und Handeln. Als wir zu der Kirche in Berkeley kamen, wo sie ihren Vortrag hielt, war ich überrascht, wie voll sie war und wie viele Menschen sie persönlich dort begrüßte. „und alle kriegen was, verstehst du, keiner kriegt nix, verstehst du – gar keiner.“

Die Gemeinde als Solidargemeinschaft. Die Spanne zwischen arm und reich wird immer größer. Wir erleben, dass die Mittelschicht  schrumpft -  an der Entwicklung der Immobilienpreise. Das untere Drittel der Gesellschaft gehört schon gar nicht mehr dazu. Bei der Integration der Geflüchteten sind wir als Gemeinde genau so gefordert wie die Urgemeinde in Jerusalem vor 2000 Jahren. Dabei erleben wir, wie Populisten Angst schüren und ganze Gruppen auszuschließen versuchen.

Das Leitbild aus dem Predigttext sagt etwas anderes: Wir werden das Leben miteinander teilen. Die Tür öffnen und den Wein, die Herzen und das Portemonnaie. Wir werden uns weiter einsetzen für diejenigen, die am Rand stehen. Werden weiterhin versuchen, Not zu lindern.

Und früher? Damals in Jerusalem hat sich ein Konflikt zwischen den jüdischen und den griechischen Mitgliedern aufgebaut. Es ging um die Sprache, die Lebensweise, die Ausdrucksformen, das Anderssein. Zur Geschichte der ganz frühen Christenheit gehören die Fremden, die Meinungsunterschiede, das unterschiedliche Einkommen und Vermögen. Aber auch die Bereitschaft, den Konflikt zu lösen. die Anstrengung, sich nicht zu verlieren. Es galt das Konsensprinzip: man hat so lange verhandelt und miteinander geredet, bis alle einer Lösung zustimmen konnten.

Früher, so wird man einmal erzählen, hat England zur europäischen Gemeinschaft gehört. Aber Einheit lässt sich nicht verordnen, lässt sich nicht von oben organisieren.

Sie will gelebt werden. Was verbindet uns, muss man fragen, mit einem Interesse, das nicht nachlässt, nach jener Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu fragen, die in dem Erzählen von früher anklingt wie Glocken, die den Sonntag einläuten: „Es war keiner unter ihnen, der Mangel hatte, sie brachten das Geld, legten es zu der Apostel Füße, und man gab einem jeglichen, je nachdem er in Not war“ (Act. 4,34f).

Amen.

zu den Jubelkonfirmationen am 22.5.2016 von Pfarrer Rainer Böhm

Liebe Jubelkonfirmandinnen, liebe Jubelkonfirmanden, liebe Gemeinde,

heute ist ein richtiger Weißt-du-noch-Tag. Ich bin sicher, viele von den Gesprächen, die Sie heute führen, werden mit diesem Satz beginnen: Weißt du noch? Du hast Zöpfe getragen. Weißt du noch – die vielen Lieder, die wir haben auswendig lernen müssen? Weißt du noch – unsere Freizeit auf der Burg Hohensolms. Und das Nachtgespenst. Und wie wir dort Kartoffeln geschält haben. Und Fußball gespielt mit Pfarrer Schnabel.

Weißt du noch – mit diesen Worten werden heute viele Erinnerungen wach. Erinnerungen an den Konfirmandenunterricht: Streng ging es zu. Lernen und nochmals Lernen wurde gefordert, der kleine Katechismus, Psalmen, Lieder in großer Zahl, und wer die Fragen nicht flüssig beantworten konnte, stand betröpfelt da. .

Jeden Sonntag musste man den Gottesdienst besuchen.. Mancher verlor da die Lust. Aber im Hintergrund waren auch die Eltern, die sehr darauf achteten, dass man sich ordentlich benahm und der Familie keine Schande machte. Und natürlich war da auch die Vorfreude auf die Geschenke, das neue Kleid, der erste Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Fliege.. Dann kam die Konfirmandenprüfung – aufregend war das, wusste doch keiner, was und wann er gefragt werden würde. Und manchmal ist es auch schief gegangen – aber durchgefallen ist trotzdem niemand …

Und als das geschafft war, kam er endlich: der Tag der Konfirmation. Die Prozession von der Wilhelmkirche zur Dankeskirche durch unsere Stadt. Zu Hause gab es viel vorzubereiten: Kuchen wurden gebacken, das Festmenü geplant. Es war immer etwas Besonderes, auch wenn die Zeiten schwerer waren. Und manche fehlten an der Festtafel, weil sie aus dem Krieg nicht heimgekehrt waren. Anfang und Mitte der sechziger Jahre haben Sie miterlebt, was man heute als Wirtschaftswunder bezeichnet, und haben vielleicht hier in Bad Nauheim Elvis Presley gesehen und später die Beatles gehört.

Die Geschenke blieben über die Jahre hinweg ähnlich: Die Mädchen bekamen Sammeltassen und etwas für die Aussteuer, die Jungs die erste eigene Uhr. Und Taschentücher. Und wie Sie da so saßen als Mädchen im Konfirmationskleid, als Junge im Anzug, da haben Sie bemerkt: Es ist ja wirklich anders. Die Erwachsenen betrachten mich jetzt mit anderen Augen.

Heute schauen wir zurück. Und Sie werden heute an viele Menschen, Orte, Erfahrungen denken, die Ihre Lebensjahrzehnte geprägt haben. In der Feier der Jubelkonfirmation ist die Dankbarkeit ein Leitmotiv. Dankbar können wir zurückblicken, weil wir erkennen, dass das, was uns bei der Konfirmation zugesagt wurde, die Begleitung Gottes, auf vielen Wegstrecken unseres Lebens erfahrbar geworden ist. Gott war da, in dieser ganzen Zeit. Dankbar kann man heute sein für viel Bewahrung, für Schutz, für Gutes, das geschenkt wurde.

Wir haben als Lesung eine Geschichte gehört, in der es auch um Dankbarkeit geht. Jesus heilt zehn Aussätzige; Menschen, die aufgrund ihrer Krankheit völlig am Rande stehen und von allen gemieden werden. Doch nach dieser Heilung kehrt nur einer zu Jesus zurück und dankt Jesus, und das ist auch noch ausgerechnet Samariter, einer, um den man in Israel einen Bogen macht. Ein Fremder.

Wir alle haben heute Grund, dankbar zu sein. Wir sind hier. Wir haben viel Gutes in unserem Leben erfahren. Aber manchmal ist es so wie in der Geschichte: Die Dankbarkeit macht nur einen Teil aus. Aber es gibt da noch einen anderen Teil; dieser Teil bleibt stumm und findet nicht zur Dankbarkeit. Ich bin sicher, manche von Ihnen werden das verstehen. Eigentlich müsste ich dankbar sein. Aber ich finde noch so viel anderes in mir: Klage oder Stummheit oder Bedauern oder auch Trauer.

Mitten im Glück der anderen kann man sich allein und verlassen fühlen.. Der Ehepartner schon lange tot. Die Gesundheit lässt Reisen nicht mehr zu. Und Bilder von Enkelkindern lassen sich vielleicht auch nicht vorweisen.

Vielleicht haben Sie auch schon so gedacht. Vielleicht haben Sie auch schon zu den neun gehört, die nicht dankbar sein konnten.

Vielleicht denken Sie: Ich habe Angst vor der Zukunft. Ich spüre, wie meine Gesundheit nachlässt, und das macht mir Angst.

Vielleicht denken Sie: Mit fehlen so viele Menschen, die mir im Laufe meines Lebens verlorengegangen sind oder ein ganz bestimmter Mensch, den ich heute so gern an meiner Seite hätte. Sie werden traurig, wenn Sie an Ihre Jugend denken, die so verflogen ist. Sie blicken zurück auf Ihr Leben und denken: Was ich manches ist mir nicht geglückt.

Es gibt viele Gründe dafür, dass einem der Dank nicht recht gelingen mag: Ich denke das betrifft uns auch alle.

Aber ich glaube, wir sind alle auch wie der zehnte: der heute aus vollem Herzen »danke« sagen kann, danke für das viele Gute und Schöne in meinem Leben, für das Geglückte, für mein Leben mit seinen Irrtümern und Umwegen, mit seiner Schwere und seiner Freude. Gott segne Sie in Ihrer Freude.

Jesus sagt nicht: Warum sind die neun so undankbar? Er sagt: Wo sind die anderen neun? Warum sind sie nicht hier, mit ihrer Klage und ihrer Einsamkeit, mit ihrer Angst und ihrer Trauer? Und das heißt: Zu Jesus können wir nicht nur kommen, wenn unser Herz voller Dankbarkeit und Lob ist. Zu Jesus können wir gerade dann kommen, wenn wir stumm, voller Klage oder voller Unsicherheit sind. Und gerade das wird ein Lob Gottes sein, wenn wir unser Herz öffnen und ihm zeigen: So sieht es in mir aus, mach etwas daraus, mach etwas aus mir.

Und darum ist es gut, dass wir uns heute vor Gottes Angesicht versammeln und kommen, so wie wir sind. Wenn wir uns so zeigen können: als Menschen voller Dankbarkeit und Glück, als Menschen, die ihre Schatten und Nöte mitbringen, als Menschen voller Hoffnung oder Menschen voller Angst, als Menschen mit einer geglückten Geschichte oder einem Leben voller Umwege.

Bei ihm sind wir willkommen, so wie wir sind. Wenn wir unser Herz und unser Leben Christus öffnen, dem Auferstandenen, so dass das heilende Osterlicht auch auf uns fällt, dann gilt uns auch das, was Jesus dem einen sagt, der danken konnte: Steh auf und geh in Frieden, dein Glaube hat dich gerettet.

Amen

zur Konfirmation am 8.5.2016 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes, die Gnade unsres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Konfirmandinnen und liebe Konfirmanden, liebe Gemeinde,

das war ein intensives Jahr, das hinter euch und hinter uns allen liegt - dieses Konfijahr: ihr habt neue Leute kennengelernt, in eurer Gruppe und in eurem großen Jahrgang. Ihr habt Vieles erlebt in diesen letzten 11 Monaten: seid am Felsen geklettert oder probeweise im Rollstuhl durch Bad Nauheim gefahren, ihr habt in Frankfurt die Welt der blinden Menschen entdeckt, habt weihnachtliche Tüten für geflohene Menschen gebastelt oder habt Himmelskisten auf der Freizeit gebaut. Und ihr alle seid im März durch die Straßen unserer Stadt gezogen und habt die Menschen an ihren Haustüren um eine Spende für die Diakonie gebeten.

Und weil es schon zum Ritual meiner Konfipredigten gehört, meinen Konfis die Gesamtsumme der Sammlung weiterzusagen, darum tue ich es auch heute: euer Jahrgang hat insgesamt 1.156,35 Euro zusammengebracht, und eure Gruppe hat dazu entscheidend beigetragen! Ich sage das nicht, weil das Geld mir so wichtig wäre, sondern weil ich euch heute für euren Einsatz danken möchte, besonders im Namen des Diakonischen Werkes. Mit diesem Geld kann es eine qualifizierte Arbeit mit psychisch kranken Menschen in Bad Nauheim leisten. Ihr habt damit praktische Nächstenliebe geübt; ihr habt da etwas Großartiges geleistet!

Auf meine Bitte hin habt ihr mir in der vorletzten Stunde ein Feedback dieses Konfijahres geschrieben. Die Einen ausführlicher. Die Anderen kürzer. Ich habe mich darüber gefreut, denn der Tenor war, dass euch dieses Jahr gut gefallen hat. Die Kritikpunkte, die ihr mir genannt habt, werde ich bedenken und Einiges im nächsten Jahr sicher verändern. Ein Punkt aber, der jemandem, von euch nicht behagt hat, der ist für mich wirklich bemerkenswert. Da stand tatsächlich geschrieben: „Was mir nicht gefallen hat, das war der Laufweg zur Kirche.“ Als ich das las, dachte ich: nun gut, eine so große Leidenszeit kann das letzte Jahr für euch nicht gewesen sein…

Eine jede von euch, ein jeder von euch erinnert sich an etwas Anderes aus dem letzten Jahr. Für jede und jeden bleibt etwas Anderes im Gedächtnis. Vielleicht ist es eine Begegnung oder ein Bild, das ihr vor Augen habt. Vielleicht ist es euer Konfispruch, den ihr euch selbst ausgewählt habt, oder ein Gedanke. Oder einer der Merksätze, die ihr notiert habt.(Das ist übrigens mein großer Wunsch an euch, dass ihr dieses Blatt in eurer Konfimappe ab und zu aufschlagt und es lest. Denn diese Sätze sind wie ein Konzentrat, wie eine Vitamintablette fürs Leben.) An einen dieser Gedanken will ich heute noch einmal anknüpfen. Zum Thema der Taufe heißt es da: „Gott hat mich gewollt. Ich bin sein geliebter Sohn. Ich bin seine geliebte Tochter.“

„Du bist geliebt.“ Das ist das Zentrum des Glaubens für mich, das Zentrum des Evangeliums, der guten Botschaft. „Du bist geliebt“ - egal, was du manchmal von dir selbst denkst, egal, wie du dich selbst einschätzt. „Du bist geliebt“ - egal, was Andere über dich sagen, oder was irgendwelche Leute auf facebook über dich schreiben. Und du bist ein Original: mit deinem besonderen Lachen, mit den vielen Fähigkeiten, die du hast, selbst mit der Art, wie du gehst und dich bewegst. Du bist ein Original. Keine Kopie. Dich gibt es nur ein einziges Mal auf dieser Welt. Darum steh zu dem, was du selbst denkst. Steh zu dem, was du glaubst und wovon du überzeugt bist.

Gott hat dich gewollt. Du bist sein Kind. Er schätzt dich wert. Dein Leben ist unendlich wertvoll.

Ihr werdet innerlich sehr stark sein, wenn ihr diese Liebe Gottes tief in euch hineinfallen lasst. Ihr werdet stark sein und aufrecht gehen und euch nicht kirre machen lassen, wenn euch dieser Gotteszuspruch berührt hat. Und eure innere Überzeugung wird groß sein , dass niemand das Recht hat, euch weh zu tun.

Gott hat euch gewollt. Ihr seid seine Kinder. Er schätzt euch wert.

Meine liebe Konfigruppe, ein Jahr lang waren wir auf dem Weg miteinander. Haben zusammen gelacht, gesungen, gespielt und nachgedacht. Haben zusammen die Bibel gelesen. Nun ist eure Konfirmation da. Ein Meilenstein auf eurem Weg. Jetzt bekommt ihr mehr Verantwortung. Ihr habt euch aus freien Stücken entschieden, das ihr euch zum christlichen Glauben und zur Kirche halten wollt, dass das gut ist für euch und richtig. Einige sind den Weg nicht weiter mit uns gegangen, aber ihr seid dabei geblieben. Ihr habt euch entschlossen, dass ihr euch an Jesus Christus ausrichten wollt, an dem, dessen Worte aus der Bergpredigt wir vorhin gehört haben. Der allen Menschen ohne Vorurteile begegnet ist, der ein großes und der ein so weites Herz hatte.

Jetzt bekommt ihr mehr Verantwortung. Mehr und mehr seid ihr nun herausgefordert und gefragt, verantwortungsvoll mit euch selbst umzugehen. Mit eurer Gesundheit auch, mit eurem Kopf und eurem Leben. Erwachsen werden, d.h. Verantwortung übernehmen. Selber denken. Und darüber nachdenken: was tut mir gut? Und was tut mir nicht gut? Erwachsen werden, heißt unterscheiden lernen zwischen dem, was mir gut tut und was mir nicht gut tut.

Am Beispiel des Smartphones kann man das gut sehen. Es ist praktisch. Völlig unkompliziert kann man mit anderen schreiben, reden oder Quizduell spielen. Und die vielen verfügbaren Apps machen das Leben leichter und schöner: Stadtpläne, Wettervorhersagen, Fahrpläne, Rezepte oder Musiktitel und noch Vieles mehr. Mir selbst macht das z.B. Spaß, mit meiner Familie durch die FamilienApp in Verbindung zu sein und sofort mit allen kommunizieren zu können, wo auch immer sie sind. Im Durchschnitt schauen Menschen heute dreimal pro Minute auf den Bildschirm, ob es etwas Neues gibt. Und 80 % aller Jugendlichen schlafen neben ihrem Smartphone. Kritisch aber wird es mit dem Smartphone im Straßenverkehr, ja lebensgefährlich, wenn man mit dem Kopf nicht mehr in der dreidimensionalen wirklichen Wirklichkeit ist, sondern nur noch in der zweidimensionalen Wirklichkeit des Bildschirms. Und Autofahrer, die meinen, multitasking zu sein und mit ihrem Handy am Steuer hantieren, sind zu einem der größten Unfallrisiken im Straßenverkehr geworden. Es geht schnell, es geht sehr schnell, dass wir über der digitalen Welt unsere reale Welt vergessen, in der wir uns bewegen. Und es kann fatale Folgen haben.

Deshalb ist es z.B. wichtig, über die Frage nachzudenken: wann tut mir das Smartphone gut und wann nicht?

Erwachsen werden, das heißt, unterscheiden lernen: was und wann tut mir etwas gut, was und wann auch nicht?

Ihr werdet Jahr für Jahr größere Freiheiten bekommen. Werdet sicher den Führerschein machen und abends länger unterwegs sein dürfen. Und wenn euch dann z.B. auf einer Party Dinge angeboten werden, die ihr nicht kennt - dann schaut genau hin, und fragt nach, was das ist und ob euch das wirklich gut tut. Und denkt daran, dass nicht der stark ist, der alles mitmacht, sondern der, der auch Nein sagen kann. Erwachsen werden heißt, Verantwortung für sich übernehmen und zu fragen: „Was tut mir gut? Und was definitiv nicht?“

Gott ist euer Schöpfer. Er hat euch beschützt und euch mit seiner Liebe begleitet bis zum heutigen Tag. Er hat euch euer Leben geschenkt. Und das ist einmalig. Darum geht gut und ganz, ganz liebevoll um mit diesem großen Schatz.

Der Glaube gibt euch dabei einen festen Grund unter die Füße. Auf ihm könnt ihr stehen, in guten wie genauso auch in schwierigen Tagen.

Und Gottes Liebe geht weiter mit euch. An jedem Tag. Sie macht euch stark für unsere Welt. Gottes Liebe und die Liebe seines Sohnes geht mit euch. Er hat es gesagt: „Seht, ich bin bei euch alle Tage und bis an das Ende der Welt.“ Nehmt das mit.

Es ist eure KonfiApp: „Seht, ich bin bei euch alle Tage und bis an das Ende der Welt.“

Amen.

an Christi Himmelfahrt 2016 von Pfarrer Rainer Böhm

Eine Umfrage bestätigt das: Dort verbinden zwar immerhin 39 % der Befragten den Himmelfahrtstag mit der Auffahrt Jesu in den Himmel, für 48 % aber – also für fast jeden zweiten Deutschen – ist Himmelfahrt der Vatertag. Und dann gibt es noch 5 %, die dabei an eine Luftfahrtschau denken. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Himmelfahrt ist kein einfaches Fest. Wahlen könnte man damit nicht gewinnen.

Doch auch innerkirchlich ist es kein unbefangenes Fest. Man könnte sagen: Himmelfahrt hat zwei Gesichter. Das eine Gesicht zeigen uns etwa unsere Lieder: Gen Himmel aufgefahren ist, halleluja, der Erdenkönig Jesu Christ, halleluja. Himmelfahrt als Freudenfest. Gotteslob und Halleluja. Denn Christus sitzt nun zur Rechten Gottes. Und uns steht der Himmel offen. So dichtet jedenfalls Philipp Friedrich Hiller über uns Christenleute: …ihnen steht der Himmel offen, welcher über alles Hoffen, über alles Wünschen ist.

Himmelfahrt als Freudenfest. Mit einem  Schlussakkord  lässt Lukas sein Evangelium ausklingen: Er aber führte sie hinaus nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, da schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude und waren allezeit im Tempel und priesen Gott. Freude schöner Götterfunken. Und so, das ist wohl die Absicht des Lukas, mögen wir es dann auch nehmen. Als Einladung, nun auch in diese Freude einzustimmen. Jeder in seiner Stimmlage, die Brummbären genauso wie die Amseln unter uns.

Es gibt noch ein anderes Gesicht von Himmelfahrt. Das ist gedrückter. Wieder ist es Lukas, der davon berichtet.  Aber auf einmal klingt anderes an. Da ist nicht mehr die große Freude bei denen, die zurückbleiben. Da ist nicht Enthusiasmus im Tempel und Lobpreis Gottes. Da ist Ratlosigkeit. Da stehen die Jünger wie gelähmt und starren Jesus hinterher. Starren hinauf zum Himmel, als könnte man das Rad der Geschichte noch einmal zurückdrehen. Und es müssen schon Engel auftreten, um dieses Erstarren zu unterbrechen und um die Blicke wieder auf die Erde zu richten. Dorthin, wo unser aller Leben spielt, wo wir gefordert sind und wo unser Platz ist. „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“

Himmelfahrt ist hier wie ein Schock, eine Überrumpelung. Eine Geschichte vom Verlassen werden: Einer geht und andere bleiben zurück. Und so stehen sie dann und spüren, wie ihnen aus der Hand gleitet, was sie nach Ostern wieder sicher bei sich glaubten. Eben dachten sie noch: Jetzt haben wir das Leben fest in der Hand – und plötzlich ist es entschwunden, so ähnlich wie ein Luftballon einem kleinen Kind aus der Hand gleitet und in die Wolken steigt. Und wie das Kind seinem Luftballon hinterher sieht mit einer Mischung aus Staunen und Traurigkeit, so sehen die Jünger in den Himmel. Auch wenn gar nichts mehr zu sehen ist. Aber der Blick bleibt haften. Er sucht nach einem Punkt, der Halt verspricht.

Zwei Gesichter von Himmelfahrt. Welches ist Ihnen heute näher?

Noch einmal zurück zur Umfrage. Die Koalition von Vatertag und Luftfahrtschau bringt 53% der Stimmen zusammen. Eine stabile Mehrheit also. Manche Parlamente träumen davon. Es spiegelt sich darin etwas davon wieder, was man moderne „Himmelsvergessenheit“ nennen könnte. Der Theologe Eberhard Jüngel sagt das so: „Als Kinder der Aufklärung haben wir inzwischen das Diesseits lieben gelernt. Die Moderne hat Abschied vom Himmel genommen und sich ganz der Erde verschrieben.“ Sie hat nämlich zugleich das Band zwischen Himmel und Erde zerrissen, das wir nötig haben, um getrost und froh zu leben auch in einer zerrissenen Welt. Ein Mensch kann nicht auf Erden leben, wenn er nicht im Herzen ein Stückchen Himmel hat.

Deshalb feiern wir Himmelfahrt. Um ein solches Stück Himmel für unsere Erde zurückzugewinnen. Es uns schenken lassen. Vieles ist zum Himmel schreiend. Wer mitfühlen kann, der kann sich dem nicht entziehen. Himmelschreiend ist das Flüchtlingselend und ebenso himmelschreiend unsere Hilflosigkeit und Ratlosigkeit manchmal auch Trägheit, der Not zu begegnen. Himmelschreiend ist, dass weltweit und auch bei uns die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht; himmelschreiend ist die Gewalt und der Terror, der uns aus Nachrichten entgegenschlägt; himmelschreiend ist oft auch das, was wir selbst anrichten  in dieser Welt; himmelschreiend ist der Raubbau mit unseren Ressourcen und manchmal auch mit unsrer eigenen Gesundheit.

Weil so vieles zum Himmel schreit, braucht es Menschen, die den Himmel wieder in den Blick nehmen. Die in der Nachfolge Christi und in seinem Namen zum Himmel schreien und beten, die den offenen Himmel suchen und die aus dem Himmel ihre Kraft ziehen.

Ich weiß nun nicht, welches der beiden Gesichter von Himmelfahrt Ihnen heute näher ist. Das heitere, leichte, oder das erdenschwere. Und wohin wir besser unseren Blick lenken sollten: Zum Himmel, um von dort her neue Hoffnung und Kraft zu finden. Oder zur Erde als dem Ort, wo wir uns gegen himmelschreiendes Unrecht einsetzen sollen.

Wir gehören nicht nur zur Welt. Himmelfahrt erinnert daran: Wir haben eine doppelte Bürgerschaft. Hier auf Erden und nun auch im Himmel. Die kann uns keiner nehmen. Und der Himmel ist dabei nicht so fern, wie wir glauben. Wir müssen ihn jedenfalls nicht jenseits der Wolken suchen als einen Ort somewhere over the rainbow. Gott sei Dank.

Amen

 

zur Konfirmation am 1.5.2016 von Pfarrerin Meike Naumann

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

es ist kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergeht. Irgendwie haben wir uns doch gerade erst beim Konfi-Begrüßungstag kennengelernt und jetzt werdet ihr schon konfirmiert.

Die Zeit ist – jedenfalls für mich – rasend schnell vergangen. Und so vieles an Inhalten hätten wir noch durchnehmen können oder vielleicht auch müssen??? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ein bisschen werde ich euch vermissen. Die Dienstagnachmittage mit euch waren alles andere als langweilig.

Ihr seid eine nette, unkomplizierte und immer gut gelaunte Gruppe gewesen. Vielleicht manchmal zu gut gelaunt, so dass es auch mir schwer gefallen ist, immer ernst zu bleiben und auf den Lernstoff zu achten. Ich werde euch vermissen  -  und ich bin auch ein bisschen froh…. So ein Dienstagnachmittag ohne Konfi-Unterricht ist ja auch nicht zu verachten.

Doch alles in allem war es mir ein Vergnügen, ein Stück eures Lebensweges mit euch gemeinsam gegangen zu sein. Die Konfirmation ist ein Passageritus. Etwas geht zu Ende und Neues beginnt. Aus Kindern werden Leute, zumindest äußerlich haben wir es heute mit jungen Damen und Herren zu tun.

Ums Gehen-Lassen geht es für die einen. Ums Gehen, immer mehr auf eigenen Füßen stehen und eigene Verantwortung zu übernehmen – geht es für euch. Keiner hat das Recht, euch reinzureden in die Sache mit Gott. Euer Ja heute ist eure Entscheidung, eure Verantwortung. Immer mehr auf eigenen Füßen stehen…

Ich möchte euch von Ronja erzählen. Vielleicht kennt ihr sie, erinnert euch noch an sie – dunkel, damals in grauer Vorzeit als ihr noch Kinder ward… Erinnert ihr euch an Astrid Lindgrens Ronja Räubertochter und ihren Freund Birk Borkason? Kinderkram, denkt ihr? Dann hört mal zu!

Die Familie samt Räuberbande von Ronja und die Borkasons leben auf einer Burg in den riesigen Wäldern Schwedens. Ronja soll zum ersten Mal allein in den dunklen Wald dürfen. Ronjas Vater Mattis macht sich große Sorgen um sein Kind.

„Hüte dich vor den Wilddruden und den Graugnomen und den Borkaräubern!“ sagt er. „Woher soll ich wissen, wer die Wilddruden und die Graugnome und die Borkaräuber sind??“, fragt Ronja. „Das merkst du schon“, antwortet Mattis. „Na dann“, sagt Ronja.

„Und dann hütest du dich davor, in den Fluss zu plumpsen“, sagt Mattis. „Und was tu ich, wenn ich in den Fluss plumpse?“, fragt Ronja. „Schwimmst“, sagt Mattis. „Na, dann“, sagt Ronja.

„Und dann hütest du dich davor, in den Höllenschlund zu fallen“, sagt Mattis. Er meinte den Abgrund, der die Mattisburg in zwei Hälften teilte. „Und was tu ich, wenn ich in den Höllenschlund falle?“, fragt Ronja. „Dann tust du gar nichts mehr“, antwortet Mattis und stößt ein Gebrüll aus, als säße der Schmerz der Welt in seiner Brust. So sehr sorgt er sich um seine Ronja. „Na, dann“, sagt Ronja, nachdem Mattis ausgebrüllt hat. „Dann falle ich eben nicht in den Höllenschlund. Sonst noch was?“

„O ja“, sagt Mattis. „Aber das merkst du schon selber so allmählich. Geh jetzt!“

Ronja macht sich also auf den Weg, zum ersten Mal allein auf sich gestellt. Selbst kann sie und muss sie nun ihre Entscheidung treffen. Geht es hier lang oder da? Oder ist das vielleicht ein Irrweg? Führt er womöglich sogar in einen Abgrund?

Schon klar, bei uns gibt es keine Wilddruden und Graugnome und keine Borkaräuber. Auch vor großen dunklen Wäldern, in denen man sich hoffnungslos verirren kann, müssen wir uns hier eher nicht fürchten.

Aber auch ohne Gnome und Höllenschlunde hält das Leben die eine oder andere Herausforderung bereit. Immer weitreichendere Entscheidungen werdet ihr treffen – jetzt fängt es an: Welche Ausbildung soll ich machen? Wo kann ich mich für ein Praktikum bewerben? Bleibe ich auf der Schule, die ich gerade besuche? Manch einer weiß schon etwas davon …

Ronja macht sich auf den Weg. Na dann – ich krieg das schon hin. Genau wie Birk. Die beiden werden Freunde.

Die Eltern Lovis und Mattis lassen Ronja gehen, ebenso Undis und Borka ihren Sohn Birk. Beide mit Sorge und Wehmut und mit dem Vertrauen: Du machst das schon. Ihr macht das schon. Wir können sie ja nicht festhalten und ewig beschützen. Wir können ihnen erzählen von den Gefahren da draußen, von den Wilddruden und Höllenschlunden, und dass das Leben kein Ponyhof ist – erfahren können sie es nur selbst. Gut, wenn sie wie Ronja und Birk wissen, sie können jederzeit nach Hause kommen.

Konfirmation ist ein wichtiges Ereignis auf eurem Lebensweg. Auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Auf dem Weg mit Gott. Ihr sagt heute Ja. Ja, ich will meinen Weg mit Gott gehen. Ich will an ihm festhalten und ihn an meiner Seite wissen auf meinem Weg ins Leben. Wenn ich Graugnomen begegne oder sonst etwas, das mich erschreckt, wenn ich nicht weiter weiß. Mich vielleicht verirrt habe, wenn mal ein Abgrund sich auftut, oder es so dunkel ist, dass ich nicht weiß, wie es weitergehen soll. Dann will ich mich erinnern: Gott ist an meiner Seite. Ja, mit Gottes Hilfe.

Und auch dann, wenn alles gut ist, wenn ich Spaß habe, das Leben gerade rund läuft … mal kurz innehalten, danke sagen. Glaubt mir, das macht froh, zu merken, was alles da ist an Gutem und Schönem, Liebe und Freundschaft. Immer wieder mal Danke sagen. Danke, Gott.

Ein Wort von Gott hat jede und jeder von euch sich ausgesucht. Leitsätze, Wegbegleiter wollen sie sein, eure Konfirmationssprüche.

Ich möchte euch heute noch ein Wort von Gott mitgeben – ein Wort aus dem 18. Psalm: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen!“ Mit meinem Gott zusammen bin ich stark. Mit ihm an meiner Seite kann ich Hindernisse überwinden und jede Hürde nehmen.

Ihr habt so viel Energie in euch. Sicher habt ihr auch andere, zB eure Eltern schon viel Energie gekostet. Vielleicht ist ja heute auch ein guter Tag, auch mal Danke zu sagen. Danke für die Liebe und die Kraft, für die Freude und auch für manchen ausgehaltenen Schmerz.

Mit Gott über Mauern springen.

Ich wünsche euch, dass ihr mit Gott an eurer Seite einen Weg findet, eine Richtung für die Energie, die in euch steckt.

Dass ihr gut überlegt, wofür ihr eure Energie einsetzt und wofür lieber nicht. Dass Starksein  viel mehr und vielleicht auch ganz etwas anderes  bedeutet als das, was unsere Gesellschaft euch vorlebt. Es bedeutet eben nicht: höher – schneller- weiter – mehr.

Ich wünsche euch, dass ihr eure Stärken herausfindet, dass ihr sie nutzt und sie nicht verkümmern lasst. Dass ihr sie nutzt, auch für die, die schwächer sind.

Mit Gott über Mauern springen.

Dass ihr nicht jedem Hindernis aus dem Weg geht. Euch auch mal auf unbequeme Wege traut. Dass ihr aufrecht durchs Leben gehen könnt. Dass ihr euren eigenen Weg findet, auch durch die dunklen Wälder und auch durch reißende Flüsse und – trotz der Wilddruden und Gaugnome, die gibt in dieser Welt und auch in uns selbst. Mit Gottes Hilfe.

Amen.

zur Konfirmation am 24.4.2016 von Pfarrer Rainer Böhm

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde,

»Alles Gute« – diesen Wunsch werdet ihr heute oft hören. Prima Zusammenfassung, damit ich nicht alles aufzählen muss. Ich wünsche dir Gesundheit, denkt vielleicht Oma oder Opa. Ich wünsche dir eine passende Ausbildung und einen guten Beruf, denken vielleicht deine Eltern. Ich wünsche dir etwas, was man teilen kann, denken vielleicht deine Geschwister. Dass du dich immer auf jemanden verlassen kannst, denken vielleicht deine Freundinnen und Freunde. Alles gut. Aber nicht genug. Das reicht noch nicht. Da fehlt noch etwas.

Als vor fast 500 Jahren die ersten Konfirmationen gefeiert wurden, gab es einen Mann, der sich sehr lange überlegt hat, was man euch wünschen und zusprechen soll.

Dieser Mann, Martin Bucer, hat weiter gedacht. Das ganze Leben liegt vor euch: Was braucht ihr dafür? Gesundheit, Freunde, Beruf, Humor, Geld, Freizeit, Hobbys – alles gut. Aber nicht genug.

Und er kam auf folgenden Satz: »Nimm hin den heiligen Geist, Schutz und Schirm vor allem Argen, Stärke und Hilfe zu allem Guten aus der gnädigen Hand Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«

Bevor es um das Gute geht, spricht er erst einmal davon, dass ihr Schutz und Schirm braucht vor allem Argen. Ein altes Wort, wir benutzen es nur ab und zu. Wenn jemand arg krank ist, ist er schlimm krank, lebensbedrohlich. Wenn uns jemand arglistig täuscht, dann lügt und betrügt er uns nach Strich und Faden. Ganz übel.

Dagegen braucht ihr Schutz und Schirm.

Niemand, der etwas von Computern versteht, geht ins Netz ohne Antivirenprogramm. Sonst fängst du dir Spione, Trojaner und andere Schädlinge ein. Wer von anderen schon einmal gemobbt wurde, in der Schule zum Beispiel, braucht Schutz von Familie und Freunden. Antivirensoftware für die Seele.

Bei Martin Bucer heißt das: Heiliger Geist. Geistesgegenwart. Gott selbst ist bei dir mit seinem heiligen Geist, um dich in Schutz zu nehmen. »Nimm hin den heiligen Geist, Schutz und Schirm vor allem Argen.«

Erst dann kommt bei Martin Bucer »alles Gute«. Stärke und Hilfe zu allem Guten. Es ist ja nicht immer leicht zu erkennen, was gut ist. Was in der einen Situation gut ist, ist es in einer anderen vielleicht nicht.

Im Lukasevangelium werden nacheinander zwei Szenen erzählt, in denen man meinen könnte, Jesus würde sich total widersprechen.

Szene 1: Jesus erzählt von einem Raubüberfall auf dem Weg zwischen Jericho und Jerusalem. Das Opfer liegt blutend am Boden. Zwei Leute gehen erst mal vorbei. Dann kommt einer und packt an. Dieser Samariter verbindet den Verletzten und schafft ihn in eine Herberge. Stärke und Hilfe zu allem Guten.

Szene 2: Gleich anschließend kehrt Jesus mit seinen Jüngern bei den beiden Schwestern Maria und Marta ein. Marta packt an und organisiert, Maria setzt sich zu Jesus und hört ihm zu. Da stoppt Jesus Marta in ihrer Aktivität. Stärke und Hilfe zu allem Guten: Setz dich zu uns und entspann dich.

Was ist jetzt das Gute?

Was wäre gewesen, wenn der Samariter sich zu dem Verletzten gesetzt hätte und gesagt hätte: Ich hab Zeit, ich hör dir zu? Erzähl doch mal ein bisschen. Der hätte das wohl kaum gut gefunden.

Und im zweiten Fall: Wäre das gut und gastfreundlich gewesen, immer nur herumzurennen und keine Zeit für die Gäste zu haben?

»Stärke und Hilfe zu allem Guten« – da muss ich zuallererst einmal sehen, was jetzt gut ist. Darum geht es hier nicht um eine allgemeine Regel, was gut ist. Sondern in der Konfirmation bekommt ihr gesagt: »Nimm hin den heiligen Geist« – der wird dir erkennen helfen, was gut ist. Was jeweils richtig ist und angemessen. Wie so eine Art innerer Berater.

Erkennen, was gut für euch ist. Und dann auch sehen, wo ihr für andere gut seid. Wenn andere euch brauchen mit eurer Zeit, mit eurer Hilfe, mit eurem Zuhören. Wenn andere beleidigt oder gemobbt werden. Da brauchen die Freunde Stärke, um aufzustehen und Partei zu ergreifen. Das ist nicht leicht. Vielleicht gerate ich ja dann selbst ins Kreuzfeuer. Für andere einzutreten, die angegriffen werden, das erfordert eigene Stärke. Ganz egal, ob es um körperliche oder seelische Attacken geht. Für andere einzutreten braucht Mut. Woher nehmen?

»Aus der gnädigen Hand Gottes, des Vaters«, sagt Martin Bucer.

Von diesem Vater also, der sein Kind in die Arme schließt, wenn es sich verlaufen hatte; der offen ist für ein Gespräch und sich nach dir erkundigt; der verständnisvoll ist, der auf die eigene Freiheit vorbereitet und sie dann auch  respektiert; der vergibt, noch bevor man sich ganz klein und krumm machen musste. So ist Gott, wie wir von Jesus wissen. Wir Eltern sind leider manchmal anders. Und wollen das gar nicht. Naja, Ihr wisst schon und spürt: wir geben uns jede Mühe. Aber gut, dass es diesen Vater im Himmel gibt, dieses Eltern-Ideal, das jeder sich wünscht und wir zugleich nicht immer entsprechen können.

Die Hand Gottes ist ein Symbol dafür, Gutes auszuteilen. Gottes Hand schöpft aus der Quelle und teilt aus. Gott vertrauen hilft dann dabei, auch sich selbst zu vertrauen, mutig zu sein.

Die gnädige Hand Gottes liegt auf eurem Kopf und nimmt euch in Schutz vor allem Argen. Ich stelle nachher meine Hände zur Verfügung und werde sie euch auf den Kopf legen. Aber eigentlich ist es die Hand Gottes. Meine Hände werden euch nur kurz berühren. Die Hand Gottes bleibt über euch, nimmt euch in Schutz und stärkt euch. Für immer.

Amen

am 13.3.2016 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

mit dem heutigen Sonntag Judika sind wir nun mitten in der Kirchenjahreszeit der Passion angekommen. Wenn ich ganz ehrlich bin, so tue ich mich manchmal mit der Passionszeit schwer. Ich sehe so viel Leid im Fernsehen, ich lese von so viel Leid in den Zeitungen. Da frage ich mich manchmal: soll meine Seele sich nun auch noch mit dem Leiden Jesu beschweren? Worin liegt der tiefere Sinn davon, dass wir so intensiv und sieben Wochen lang der Leidenszeit Jesu gedenken und uns mit ihr auseinandersetzen?

Es kann doch nicht der Grund sein, dass die Kirche etwa verliebt ist in das Leiden, in die Schwere der Welt. Es kann doch nicht der Grund sein, dass die Kirche ihren Mitgliedern eine wie auch immer geartete Theologie des Bedrücktseins verordnet.

Wenn ich aber weitergehe in meinen Überlegungen über diese besondere Zeit, erkenne ich: als Kirche, hier und heute, kommen wir her von der Passion Jesu und von Ostern. Niemals können wir das Leiden und das Sterben Jesu von seiner Auferweckung trennen. Hinter Ostern können wir gar nicht mehr zurück.

Und dann heißt die entscheidende Frage: welcher Hoffnungsimpuls liegt darin, dass wir die Passion und das Ostergeschehen bedenken? Inwiefern helfen uns das Leiden und das Auferstehen Jesu, unser Leben heute zu leben? Unseren Alltag zu bewältigen, hier, in unserer Welt?

Auf diesem Fragehintergrund hören wir noch einmal den Predigttext dieses Tages: (Hebr. 5,7-9 und 6,18.19)

„Jesus lebte als Mensch unter uns. In den Tagen seines irdischen Lebens hat er sein Bitten und Flehen unter Tränen zu Gott gebracht. Zu dem, der ihn allein vom Tod erretten konnte. Und sein Gebet ist auch erhört worden; denn Jesus hielt Gott in Ehren.

Auch Jesus, der doch Gottes Sohn war, musste in seinem Leiden Gehorsam lernen. Und als er zu Gott zurückkehrte, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, zur Quelle des ewigen Heils geworden. Nun haben wir einen starken Trost. Wir halten fest an der Hoffnung, die uns von Gott angeboten worden ist. Und wir haben diese Hoffnung als einen sicheren und festen Anker unserer Seele.“

Wir haben einen starken Trost. Denn Gott hat Einen zu uns geschickt, dem war nichts Menschliches fremd. Der war ganz Mensch, wie wir. Er kannte Angst, in allen Variationen, kannte gar Lebensbedrohung, kannte Tränen, Bitten und Flehen. Und ließ doch den Glauben an Gott nicht los. Gab doch Gott als Gegenüber nicht auf und blieb dran am Gespräch mit ihm. Er stellte sich dem Leiden, er hielt es durch, er hielt fest an Gott, trotz alledem. Und er wurde dafür belohnt. Gott hat ihn von seinem Tod errettet, wenn auch anders, als er es sich gewünscht hätte. Doch er hat ihm neues Leben geschenkt.

„Nun haben wir einen starken Trost.“ Denn nun wissen wir: Gott bleibt da. Auch wenn wir leiden, auch wenn wir einmal schwach sind, auch wenn es uns einmal nicht gut geht, fängt er uns mit seinen Händen auf und trägt uns.

Nun wissen wir: Mit dem Tod ist nicht alles zuende. Denn Gott bleibt stärker als der Tod, als alle Gewalt, als alle Zerstörung - sei es in Syrien, im Irak oder in Somalia. Als aller Vernichtungswille - sei es durch das Assadregime oder durch die Terroristen. Als alle Todesverliebtheit, die uns Tag für Tag in den Medien entgegenschlägt.

Gott allein ist unsere Zukunft. Und einmal wird alles gut sein.

Und nicht nur von Trost ist hier die Rede, sondern auch von der Hoffnung. „Wir haben die Hoffnung. Sie ist ein sicherer und fester Anker unserer Seele.“

Die Hoffnung als Anker: das ist ein großartiges Bild. Unwillkürlich denke ich dabei an die Dreigestalt von Kreuz, Herz und Anker, dass die Seemänner im Norden, an der Küste, als Kette um den Hals tragen oder sich auf ihren Oberarm tätowieren lassen. Als Symbol für Glaube, Liebe und Hoffnung.

Wir haben die Hoffnung als Anker: ich denke dabei genauso an meine Kindheit. Da nahm mein Vater, der sehr gern angelte, mich und meinen Bruder manchmal mit, wenn er in seinem kleinen Motorboot zum Fischen auf die Ostsee hinausfuhr. Und wenn wir eine Viertelstunde gefahren waren, dann warf er den Anker aus. Das war wichtig, damit wir nicht durch die Strömung des Meeres abgetrieben wurden. Und damit wir vor allem nicht in die Nähe der Fahrrinne kamen, dort, wo die großen Schiffe und die Fähren unterwegs waren, zwischen Kiel und Skandinavien und zurück. Denen hätten wir nicht ausweichen können. Wie gut, dass wir einen Anker hatten. Wie gut, dass wir uns mit ihm festmachen konnten am Meeresgrund!

„Wir haben die Hoffnung als einen sicheren und festen Anker unserer Seele.“ Manchmal ist unsere Seele selbst wie ein schaukelndes, kleines Boot auf dem Wasser, wie eine Nussschale auf dem Meer. Nach außen wirken wir vielleicht stark und souverän und selbstsicher. Als könnte uns nichts erschüttern. Doch unser Inneres ist manches Mal unsicher, schwankt hin und her, fühlt sich klein, zerzaust und voller Selbstzweifel. Wie wichtig ist es dann, dass unsere Seele Halt findet an einem festen Grund. Wie wichtig ist dann ein starker Anker, der uns Stabilität gibt und Sicherheit.

Die christliche Hoffnung ist solch ein Anker. Sie sagt uns: Gott ist da. Er ist deine Gegenwart. Er ist dein Gegenüber. Er versteht dich. Er versteht auch, wie du das meintest, was du in einer bestimmten Situation gesagt hast. Er begleitet dich. Und er ist deine Zukunft. Er führt dich in ein gutes Land. Darauf kannst du fest hoffen.

Diese Hoffnung haben wir als einen festen und sicheren Anker unserer Seele.

Und fragen wir, worin diese Hoffnung nun wiederum ihren Grund hat, so ist die Antwort: sie liegt in nichts weniger als in der Passion, im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi. An seinem Weg erkennen wir, dass Gott auch uns mitnehmen will in eine gute und helle Zukunft. An seinem Weg erkennen wir, dass Gott alles neu machen will. Das ist die Hoffnung unseres Glaubens.

Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „So gewiss der Mensch glaubt, so gewiss hofft er. Und es ist keine Schande, zu hoffen, grenzenlos zu hoffen.“

Und Jürgen Moltmann schrieb in seinem berühmten Buch „Theologie der Hoffnung“: „Hoffnung zu haben, ist keine Jugendtorheit. Wir sollten die Hoffnung nicht als Schwärmerei abtun. Sie ist ein Lebenselixier. Und die Hoffnung auf Gottes Zukunft für die ganze, bedrohte Welt ist heute die Lebenskraft der christlichen Existenz und der christlichen Gemeinde.“

Ja, ich glaube, wir können nur von der Hoffnung leben. Tag für Tag. Sie hilft uns, nach Lösungen zu fragen und nicht vor den Problemen zu kapitulieren. Sie gibt uns einen langen Atem. Die Hoffnung hilft uns, nach dem Licht Ausschau zu halten, nicht nach der Dunkelheit. Sie hilft uns, jeden neuen Tag zu sehen als Chance für einen neuen Anfang.

Und so möchte ich schließen mit einem Satz aus dem 15. Kapitel des Römerbriefes, der wie ein Segen ist. Er ist zugleich mein Konfirmationsspruch:

„Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, damit ihr immer reicher werdet an Hoffnung, durch die Kraft des heiligen Geistes.“

Amen.

am 17.1.2016 von Pfarrerin Susanne Pieper

Predigttext: 2. Korinther 4, 6-10

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,

ob Sie es gestern Vormittag auch gesehen haben? Mitten in diesem trüben Himmel riss plötzlich die Wolkendecke auf. Und die Sonne schien mir mit ihren hellen Strahlen gerade ins Gesicht. Einen Augenblick nur. Doch es war ein Moment, der unendlich schön war.

An diesen Augenblick muss ich zurückdenken, wenn ich die Worte des Paulus lese, die er im 2. Korintherbrief schreibt: „Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.“

Einen hellen Schein - in unser Gesicht. Einen hellen Schein – in unser Herz. An jedem Morgen geht mir das so: wenn ich die Fensterläden öffne, wenn ich die Vorhänge zurückziehe: dann genieße ich das Licht des neuen Tages. Dann genieße ich das Licht der Schöpfung Gottes neu für mich. Ein neuer Tag ist mir geschenkt. Eine neue Chance, mein Leben zu leben. Und es ist, als würde dieses Licht mitten in mein Herz treffen: „Gott hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.“

Paulus knüpft mit diesen Worten an die Schöpfungsgeschichte an. Als das Licht in die Welt kam, als Gott das Licht aus der Finsternis rief und alles begann.

Doch Paulus knüpft mit diesen Worten auch an ein anderes Ereignis an, an ein Ereignis seiner Biographie, das schlichtweg alles veränderte. Helligkeit erlebte er - nur für einen kurzen Augenblick. Doch so heftig, doch so mächtig, das es ihm den Boden unter den Füßen wegriss. Paulus war da auf dem Weg nach Damaskus, als ihn ein unfassbares Licht blendete. Und mit dem Licht war da eine Stimme, die sagte: „Saul, was verfolgst du mich?“ Paulus fragte: „Wer bist du?“ Und die Stimme antwortete: „Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf, geh nach Damaskus, dort wird man dir alles erzählen, was du tun sollst.“

In diesem wahrhaft umstürzenden Ereignis erlebt Paulus das helle Licht Jesu Christi. Es greift in sein Leben ein, es erreicht sein Herz. „Gott hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.“ Und es verändert ihn grundlegend. Doch zunächst einmal wird Paulus nach seinem Damaskuserlebnis blind. Angewiesen auf andere. Äußerlich schwach, alles andere als autonom. Das ändert sich wieder. Später. Doch es bleibt etwas Charakteristisches in seinem Leben, auch als Apostel der Völker, dass er hier beides ist: erleuchtet und blind, geblendet. Stark im Glauben und schwach von Gestalt. Er predigt von Jesus Christus wie kein Zweiter und wird dennoch ständig infrage gestellt: „Du willst Bote der frohen Botschaft sein? Sie wirkt doch viel überzeugender, wenn sie durch gesunde, wohlgestaltete Menschen verbreitet wird!“ So wird Paulus angegriffen. Denn die Gegner meinen, eine starke Botschaft verlange auch einen starken Apostel.

Doch Paulus ist kein Strahlemann. Licht und Dunkelheit begleiten ihn von Anfang an. In überschwänglichen Worten kann er predigen von der Herrlichkeit seines Verkündigungsamtes, und zugleich leidet er unter seinem Auftrag. Da gibt es ein Ineinander von Glanz und Zerbrechlichkeit, von Herrlichkeit und Verhüllung in ihm selbst. Sein Körper ist ihm oft hinderlich in seinen Aufgaben. Er ist schmächtig, gebrechlich. Wenig ansprechend. Wenig glamourös. Doch sein Geist ist beweglich wie ein Schmetterling, und sein Glaube ist stark und frei. Paulus weiß, dass es ein großer Schatz ist, den er in sich trägt. Gott hat ihm diesen Schatz ins Herz gelegt, in diesem einen, lichten Moment vor Damaskus: den Glauben an Jesus Christus. So wie Gott aus dem Nichts das Licht geschaffen hat, so hat er Licht gemacht im Herzen des Apostels.

Und Paulus hat erkannt: Jesus Christus ist der eine, der Grund, auf dem er stehen kann. Hier liegt der Schatz. „Gott hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.

Durch uns sollen nun die Menschen Gottes Herrlichkeit erkennen, die in Jesus Christus aufstrahlt. Doch diesen kostbaren Schatz haben wir nur in irdenen, zerbrechlichen Gefäßen.“

Liebe Gemeinde, wir kommen von Weihnachten her. Mit diesem Sonntag, dem letzten in der Epiphaniaszeit, endet der Weihnachtsfestkreis. Und auch die vertraute Geschichte von Bethlehem, die wir wieder gehört haben, auch sie erzählt vom Schatz in irdenen, tönernen, zerbrechlichen Gefäßen: das göttliche, glanzvolle Kind - in der Krippe für die Tiere. Kein Raum in der Herberge. Arme Hirten. Und weise Männer, die einen Säugling auf Stroh finden, aber keinen Herrscher mit Gold, Samt und Schatzkisten. Gott hat offenbar seine eigenen Wege, seinem Schatz in dieser Welt einen Ort zu geben. Und sein Glanz findet seinen Weg. Zu uns. „Wir haben diesen Schatz in irdenen, zerbrechlichen Gefäßen.“

Ein Schatz in einem irdenen Gefäß. Das ist für mich ein großartiges Bild. Da wandern meine Gedanken zum Wetterauer Museum in Friedberg. Und ich denke an den „Wetterauer Münzschatz“, jenen großen Krug aus Ton, der aus der Römerzeit stammt. Und der gefunden wurde im Kastell Ober – Florstadt. Es waren wohl römische Soldaten, die ihn im 3. Jahrhundert aus Angst vor den Germanen dort versteckten. Nun liegt der Krug da, hinter Glas, und in ihm und um ihn herum liegen viele Geldstücke: 1.136 Denare. Ein historisch unendlich wertvoller Schatz in einer töneren Umhüllung. „Wir haben diesen Schatz des Glaubens an Jesus Christus in irdenen, zerbrechlichen Gefäßen.“

Auch wir sind wie ein Gefäß aus Ton. Auch unser Leben kann einen Riss bekommen, so wie ein Tongefäß. Das kann eine Krankheit sein, mit der wir zurecht kommen müssen, oder es kann eine Schuld sein, die wir im Rückblick erkennen, und die nun zu unserem Leben gehört, und auch wenn sie vergeben ist, tragen wir sie weiter wie eine Narbe mit uns. Wir sind wie ein Gefäß aus Ton. Von einem Moment auf den anderen kann ein Riss in unserem Lebensgefäß entstehen, und ein Leid, das uns getroffen hat, raubt uns viele Kräfte. Oder ein Schicksalsschlag verlangt uns viel ab. Sodass wir achtgeben müssen, unsere Lebensenergien zusammen zu halten, nicht buchstäblich auseinander zu fallen. Sodass wir alle Kraft Gottes brauchen, damit der Riss heilen kann.

Wir sind Menschen. Wir sind nicht immer stark. Wir sind auch verletzlich. Und unsere seelischen und körperlichen Kräfte sind begrenzt.

„Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen“. Ja, unser Leben ist auch fragmentarisch. Wenn wir die to – do – Listen lesen, die wir uns gemacht haben, so sehen wir, wir schaffen oft nicht all das, was wir uns vorgenommen haben. Beruf und Familie und Ehe und Haushalt und Ehrenamt und soziale Beziehungen pflegen. Wir bleiben hinter unseren Zielen zurück. Wir können nicht all die Pläne verwirklichen, die wir uns gemacht haben. Wir bleiben auch Fragment.

Vielleicht haben dies die Erzähler des Alten Testaments schon im Kopf gehabt, als sie – lange vor Paulus – die Menschen mit Tongefäßen verglichen haben. So heißt es bei Jesaja (64,7): „Wir sind Ton, du bist unser Töpfer, und wir alle sind das Werk deiner Hände.“ Ja, mit allem, was wir sind und haben, sind wir das Werk seiner Hände. So wie wir sind. Mit unseren starken Seiten und mit unseren zerbrechlichen Seiten. Mit unseren schönen Seiten und mit unseren schlichten Seiten. Und als solche Menschen dürfen wir seinen Schatz in uns tragen. „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen.“

Es ist der Schatz des Glaubens, wie sein Sohn ihn uns gezeigt hat. Er, der durch das Dunkel gegangen ist und neues Licht gesehen hat. Dieser Glaubensschatz ist eine enorme Kraftquelle. Dieser Glaubensschatz ist eine Kraft, die uns davor schützt, zu zerbrechen. Wir können widerstehen, auch wenn Belastungen uns niederdrücken wollen. Unser innerer Mensch kann sich aufrichten, auch wenn andere uns kleinmachen wollen. „Wir werden bedrängt, aber nicht überwältigt. Wir sind oft ratlos, aber wir verzweifeln nicht,“ schreibt der Apostel.

Der Glaubensschatz ist eine enorme Kraft, die unser Leben tragen kann. Denn auch als Christinnen und als Christen kommen wir an unsere Grenzen. Wir können Gott um diese überschwängliche Kraft bitten, die uns tragen kann, auch durch Täler hindurch. Und er wird uns beschenken mit neuer Hoffnung und mit einem neuen Vertrauen. So haben wir einen Schatz bei uns in unseren irdenen Gefäßen.

Und täglich neu können wir mit Gottes Kraft auferstehen mitten in unserem Leben.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

zur Christvesper 2015 von Pfarrer Rainer Böhm

11Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen

12und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben

13und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilands Jesus Christus,

14der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und hätte ein Volk, das eifrig wäre zu guten Werken. (Titus 2,11-14)

 

Liebe Gemeinde am Heiligen Abend!

„Heilsam” - ein Wort, bei dem vieles anklingt und mitschwingt wie beim Klang einer Glocke zu Weihnachten: Erinnerungen an die Kindheit, wenn ein gutes Wort von vielen Wehwehchen heilte; wenn ein Pflaster den Schmerz vergessen ließ... Erinnerungen eher an kühlende Umschläge, lindernde Salben und selbstgekochte Säfte - an „Heilmittel” eher als an Medikamente oder Apparate. „Heilsam” so manches, das tiefer reicht als bis zum Körper, das die kleinen oder großen Verwundungen der Seele heilt - das zerstörtes Vertrauen wiederherstellt, Trennung überwindet, Schuld vergibt.. Viele haben solches Heil nötig.

Manche hängen noch dem Bild an, als sei der Körper so etwas wie eine Maschine, auf deren Reparatur wir ein Recht haben; oder wir meinen unbewusst vielleicht, Gesundheit sei ein Anspruch wie die Leistung der Krankenkassen.

Aber, Gesundheit ist Gabe, gesund werden ist Geschenk, Heilung ist Gnade.

Paulus - selber von schwerer Krankheiten geplagt - weiß das. Und darum nimmt er dieses Wort auf, wenn er davon spricht, was Gott für für uns Menschen getan hat – nämlich das, was erschienen ist in Bethlehem, im Stall, in der Krippe und was an jedem Weihnachtsfest neu erscheint: Die „heilsame Gnade Gottes”.

Das Geschehen der Heiligen Nacht heilt das, was verletzt ist - das Verhältnis zwischen Mensch und Gott:

Verletzt ist es - weil schon die ersten Menschen sich einreden ließen, sie könnten ohne Gott auskommen, weil sie selber Gott werden, Gott sein wollten, im Paradies und in Babylon.

Alle Generationen danach haben dies geerbt - und es hat schreckliche Folgen gehabt für das Miteinander der Menschen - wie die Geschichte der ersten menschlichen Brüder Kain und Abel schon zeigt - und wie wir es erleben in all dem, was Menschen einander antun bis heute.

Der Mensch macht sich zum Gott - bestimmt über gut und böse - bestimmt über das Leben seiner Mitmenschen und meint, alles im Griff zu haben.

Gottes Antwort darauf kehrt alles um: Auf den Versuch des Menschen, Gott zu werden, antwortet Gott mit seiner großen Möglichkeit: Er wird Mensch.

Er wird Mensch, genau so, wie auch wir Menschen wurden: Geboren als kleines Kind. Er wird Mensch, wie es viele Menschen werden: Im Notquartier in der Fremde: weil der römische Kaiser, der sich als Gott verehren läßt, die zählen lassen will, über die er herrscht! Wegen der Steuer... Er wird Mensch, wie es vielen Menschen geht: Kaum zur Kenntnis genommen. Irgendwo im Dreck, mit Verlaub.

Das ist - aus Gottes Sicht - eher etwas wie eine schwere, eine lebensgefährliche Operation: Gott wird Mensch - und Menschen verfolgen ihn mit ihrem Hass von Geburt an und bringen ihn ans Kreuz.

Mir geht nach, dass Quirinius Statthalter in Syrien war.

Ich denke daran, dass die syrische Familie, an die wir Anfang des Jahres eine Wohnung vermietet haben, ein paar Monate später ihr drittes Kind bekam, ein Mädchen. Geflohen sind sie aus dem völlig zerstörten Homs. Und dann von Ägypten mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer, 15 Tage ist es auf dem Meer getrieben, südlich von Kreta, bis die Insassen von einem Fischerboot gerettet wurden.

Aus dem gleichen Ägypten, in dem das Kind mit seinen Eltern Asyl gefunden hat vor einem mörderischen Diktator, vor 2000 Jahren.

Es ist das gleiche Meer, südlich von Kreta, in dem vor fast 2000 Jahren Paulus trieb und Schiffbruch erlitt und gerettet wurde, bei Malta, wie es die Bibel berichtet.

Und es ist tatsächlich auch das gleiche Kreta, wohin etwa 100 Jahre nach Christi Geburt unser Predigttext geschrieben wird.

Paulus schreibt an Titus, seinen Schüler: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes, dass sie uns zu einem besonnenen, gerechten und frommen Leben führe.“ Titus wird sich gefragt haben: Wem ist die heilsame Gnade Gottes erschienen? Lukas sagt: „den Hirten“.

Hirten verlassen ihre Herden, so ist darin zu lesen. Wie Kinder blindlings glauben, so glauben sie dem Engel und wie Kinder Gefahren nicht sehen, verlassen sie einfach ihre Schafe. Sie vertrauen, dass alles gut geht.

Dieser Gang „von den Hürden“ über die Felder nach Bethlem. Hier die Klarheit der Engel und die Aufforderung, alles stehen und liegen zu lassen, dort die Hirten, die sich in das Unbekannte hinein begeben. Die Hirten gehen - und dieses Gehen, dieses Hinüberschreiten klingt in vielen Weihnachtsliedern nach, diese Aufforderung: Herbei oh ihr Gläubigen; Kommt und lasst uns Christus ehren. ‚Kommt lasst uns von den Hürden weg gehen. Wir wollen das Stroh hier liegen lassen und dorthin gehen, wo wir gebraucht werden.“

Können wir, kann ich über diese Hürden springen? Was würde geschehen, wenn man zu Jesus geht?

Viele von uns sind in diesem Sommer einfach losgegangen. In München, in Passau, überall im Land, und auch in unserer Stadt. Vielen Fragen begegnen sie dabei: Nach Verständigung zunächst, nach Zeitaufwand und eigener Kraft, nach dem Sinn und danach, wie eigentlich Integration funktioniert. Auch nach dem schlimmen Schicksal der Christen im ganzen Nahen Osten. Von wo das Christentum einmal zu uns gekommen ist: aus dem Morgenland ins christlich geprägte Abendland. Sie sind Menschen begegnet, vor allem aus dem Land, in dem Quirinius einmal Statthalter war. Und in jedem Fremden begegnet uns Jesus selbst.

Man geht also los und kommt zu den Nächsten, das sind die, die uns am meisten brauchen. Gut ist es, wenn man dabei einen klaren Kopf behält: Besonnen, gerecht und fromm, wie es Paulus dem Titus empfohlen hat.

Die Weihnachtsgeschichte ist „heilsam” für uns. Sie will uns als Einzelne heilen, aber auch als Gemeinschaft aus vielen Verschiedenen und Fremden.

Darum wohl empfinden wir auch den Stall und die Krippe als Idyll, als „heile Welt”; darum wohl wünschen wir uns Weihnachten so feierlich und freundlich; darum versuchen wir einander Freude zu machen, Zuneigung zu zeigen, menschliche Nähe, Wärme, Helligkeit - eben weil wir es spüren, dass Gott uns heil machen will durch seine Gnade.

am Ewigkeitssonntag 2015 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Gemeinde,

ein Jahr geht seinem Ende zu. Diese Tage um den Ewigkeitssonntag herum, sie sind für uns Tage der besonderen Erinnerungen. Wir besuchen die Friedhöfe. Wir schmücken die Gräber mit Liebe und Achtsamkeit. Wir erinnern uns in diesen Tagen besonders intensiv der Verstorbenen, von denen wir Abschied nehmen mussten. Von den Angehörigen, von den Freundinnen und Freunden, die uns nahe waren, von Schwestern und Brüdern aus unserer Gemeinde.

Viele Menschen gehen gerade jetzt auch nach draußen: in den Park, in den Wald, in die Natur, um Kraft zu finden. Um freien Atem zu schöpfen, im Gehen oder im Wandern.

Von einem besonderen Erlebnis in freier Natur erzählt uns Jörg Zink, der bekannte Pfarrer und Autor. In einem seiner Bücher hat er ein Bild veröffentlicht, das mich sehr angerührt hat. Und das mich nicht mehr loslässt, seitdem ich es gesehen habe. Da ist ein Baumstamm zu sehen, der Stamm eines lebendigen Baumes. Und in seiner Mitte ein friedvolles Gesicht Jesu. Aus Holz geschnitzt. Jörg Zink schreibt dazu:
„Auf einer Wanderung stand ich einmal vor einem Baum: in ihm war eine Christusfigur eingewachsen.  Vor mehr als 100 Jahren muss jemand sie dort am Stamm befestigt haben. Nun wächst der Baum, und er schließt die Figur ein. Unmerklich und still wächst die Rinde um sie herum. Und auch die offene Stelle wird vielleicht eines Tages ganz zusammengewachsen sein, und der Baum wird wieder wie unversehrt stehen, wenn auch verändert. Und Christus ist in ihm.“

„Bei diesem Bild,“ schreibt Zink, „denke ich besonders an dich. Denn die Trauer, die du empfindest, sie ist wie die Rinde bei diesem Baum. Sie umschließt unsere Lieben, nachdem sie gegangen sind, und sie lässt sie in uns hineinwachsen.“

Liebe Gemeinde, die Trauer um unsere Verstorbenen hat viele Seiten. Sie ist wie Berg und Tal, gerade in der ersten Zeit. Trauer ist auch ein langer Weg, auf dem wir zu gehen haben. Und doch kann die Trauer auch eine heilsame Kraft in sich tragen, von der Jörg Zink in diesem Bild spricht.

Wie jener Baum die Christusgestalt in sich trägt, so tragen wir die Menschen, die uns so lieb waren und es sind, in uns: wir erinnern uns an sie. Wir tragen ihre Schönheit in uns. Ihre Zärtlichkeit. Ihre Weisheit. Wir tragen ihren Kampf um mehr Gerechtigkeit in dieser Welt in uns. Aber auch ihre Lebensfreude . Ihren Humor, der ihnen eigen war. Wir tragen ihre Worte in uns. Ihre tröstenden Worte und ihre Gesten. Ihren Glauben, vielleicht auch ihren kritischen Glauben. Und den Segen, den sie uns hier und da gegeben haben, alles, mit dem sie uns beschenkt haben.

So werden sie ein Teil von uns. Sie geben uns ihre Worte, sie geben uns ihre Liebe, sie geben uns ihre Kraft. Sie bleiben unsichtbar in uns bewahrt. Wir tragen sie in uns.

Der Sänger Herbert Grönemeyer hat in seinem leidenschaftlichen Lied „Der Weg“ die Trauer um seine Ehefrau zum Ausdruck gebracht. Und er formuliert es ganz ähnlich: „Ich gehe nicht weg. Hab meine Frist verlängert. Neue Zeitreise. Offene Welt. Habe dich sicher in meiner Seele. Ich trage dich bei mir, bis der Vorhang fällt.“

Ja. Wir sind in diesem Jahr mit der Lebensgrenze konfrontiert worden. Ja. Wir wissen, was Vergänglichkeit bedeutet. Aber die Bitterkeit soll nicht das letzte Wort haben. Denn all das Schöne, das wir gemeinsam erlebt haben, das kann uns niemand nehmen. Es bleibt bei uns. Es bleibt tief in uns verborgen. Wir behüten es und wir beschützen es. Unsere Seele wird größer daran. Trotz allem Schmerz. Unsere Seele und unser Herz wird reifer daran, und wir verstehen noch einmal ganz anders, worauf es im Leben wirklich ankommt: nämlich reicher an der Liebe zu werden.

Schließlich aber, und das ist nicht von ungefähr, stellt Jörg Zink uns eine Christusfigur vor Augen, die da von einem Baum umschlossen wird.

„Auf einer Wanderung stand ich vor einem Baum, in den eine Christusfigur eingewachsen war.“ Mit diesem Bild, mit diesem Eindruck bietet Jörg Zink uns eine Botschaft an: Jesus Christus ist es, der dieser Welt sagt: „Ich bin das A und das O, ich bin der Erste und der Letzte, ich bin der Anfang und das Ende.“ Von Christus ist uns gesagt, dass er den Tod überwunden hat in der Nacht von Ostern. An ihm hat Gott uns schon beispielhaft gezeigt, dass seine Schöpferkraft zuletzt stärker bleibt als der Tod es sein kann. Neues Leben ist uns verheißen. Ein neue, eine andere, eine unvergängliche Existenz in Gottes Licht und in Gottes Gegenwart. Der Himmel ist offen. Der Himmel ist weit.

„Ich bin der Erste und der Letzte.“ So wie die Christusfigur in den Baum hineingewachsen ist, so will die Lebenskraft Christi in uns wachsen. In uns Raum gewinnen. Möchte in unserem Inneren sein. Diese Lebenskraft Christi ist nicht sichtbar, aber sie kann uns von innen her stärken. Uns trösten. Uns aufrichten.

„Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an das Ende der Welt.“
Sein Friede in unserer Unruhe.
Seine Hoffnung in unserem Gebeugtsein.
Seine Kraft in unserer Schwäche.
Sein Licht in unseren Tränen.

„Nun wächst der Baum und schließt die Figur des Christus ein. Unmerklich wächst die Rinde um sie herum. So steht der Baum da. Und Christus ist in ihm.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

am 15.11.2015 von Vikarin Evelin Talmon

Gnade sei mit Euch und Friede, von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

„Ach wissen Sie“, sagte der Vater, der in einem Taufgespräch dem Pfarrer gegenübersaß, „mit dem ‚lieben Gott‘ kann ich nicht so viel anfangen.“

Der Pfarrer hatte wie dann und wann vorkommt wenig bedacht in einem Nebensatz vom „lieben Gott“ gesprochen.

„Warum nicht?“, fragt der Pfarrer nach, „glauben Sie, dass Gott nicht lieb ist?“

Darauf der Vater: „Wenn ich auf einer Geschäftsreise bin und ich finde etwas, das ich meiner kleinen Tochter mitbringen kann, dann freue ich mich darüber. Und meine Tochter freut sich auch, wenn sie das Geschenk von mir bekommt. Wenn meine Tochter aber kaputt macht, was ich ihr geschenkt habe, dann bin ich ärgerlich. Ich schimpfe dann auch schon mal. Und dann bin ich gar nicht nur der ‚liebe Vater‘.

Ich denke oft, dass Gott doch gar nicht nur der ‚liebe Gott‘ sein kann, wenn der sieht, was hier auf der Erde los ist. Er hat uns die Erde geschenkt. Und was machen wir daraus? Und wie gehen wir miteinander um?

Ich kann mir gut vorstellen, dass Gott auch der zornige, der wütende Gott sein kann. Die Rede vom ‚lieben Gott‘ erschreckt mich manchmal. Ich glaube, dass wir Gott nicht gerecht werden, wenn wir einfach weglassen, dass es nun wirklich genug Fakten und Anlässe gibt, über die Gott zornig sein könnte.“

So der Vater, der seine Tochter gerne beschenkt.

Der Predigttext des heutigen Sonntages greift die Frage nach dem auf, wie wir mit uns selbst und unseren Mitmenschen gut umgehen, was uns zum Segen gereicht – und zwar in einem Bild, in einem Bild, aus einem Gerichtsprozess:

Mt 25,31-46

Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.

Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!

Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.

Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?

Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet?

Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?

Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!

Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben.

Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht.

Dann werden sie ihm auch antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?

Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.

Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.

Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke und Gefangene besuchen!

Das sind Verhaltensweisen, an denen wir uns in der Nachfolge Jesu Christi zu orientieren haben – nicht nur als Einzelne, sondern auch als Kirche insgesamt.

Und in diesem Jahr hören wir an dieser Stelle besonders hin: „Fremde aufnehmen“ – bis Freitagnacht das seit Wochen brennende Thema, das in fast jeder Kommune Deutschlands aktuell ist und die nächsten Wochen und Monate dringend bleiben wird.

Doch der Horizont der Rede Jesu vom Weltgericht übersteigt weit das, was in den kommunalen oder größeren öffentlichen Diskussionen über Armut, Flucht, Asyl verhandelt wird. Die Rede Jesu wirft die ganz existentielle Frage auf: wer ist gesegnet – und dazu: wer ist verflucht?

Dabei stehen alle Menschen, alle Völker vor dem Richterstuhl Jesu Christi: Ein Bild, das in scharfem Kontrast zur Rede vom „lieben Gott“ steht, der alles durchgehen lässt: Gottes Gerechtigkeit unterscheidet ganz genau.

Der Gerichtsgedanke gehört unauflöslich zum christlichen Glauben: „Er wird kommen zu richten die Lebenden und die Toten!“

Über unser Leben richten wir nicht selbst. Was uns ausmacht, kommt uns von Gott entgegen. Am Ende und in der Tiefe erfährt unser Leben die rechte Ausrichtung von Gott her.

Das kann ein ganz tröstlicher Gedanke sein. Nicht mit dem eigenen eingefleischten, zeitbedingten und wie immer vorläufigen Urteilsvermögen sich selbst richten zu müssen, sondern Einsicht und Klarheit über das eigene Leben von Gott her zu bekommen. Er schaut uns und unser Leben an – vielleicht so ähnlich wie ein Vater seine Tochter.

So verbleibt das Gericht nicht in der Vorstellungswelt einer weltlichen Gerichtsbarkeit.

Was unser Leben ausmacht und wer wir sind, wird nicht abgeschlossen mit dem gelebten Leben. Erst in der Vollendung durch Gott als dem ganz Anderen werden sich der Sinn und unsere wahre Identität zeigen. Das Leben hier und jetzt steht unter dem Vorzeichen der Ewigkeit.

Hinter dem Gericht steht die Hoffnungsvision auf eine versöhnte Menschheit.

Doch wie verträgt sich der Gerichtsgedanke mit dem der Versöhnung? – Versöhnung ist nur möglich durch Aufdeckung, durch Offenbarwerden der Wahrheit. Im Kino ist dieser Tage der Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ angelaufen. Ein wichtiger Film, der neben der Hauptfigur die Schwierigkeiten aufdeckt, sich Schuld zu stellen und konsequent zu benennen.

„Wir werden alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi!“

Der Wochenspruch entstammt demselben Kapitel wie der Folgende:

„Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ (2 Kor 5,19)

Wer ist gesegnet? – Zu Beginn des Evangeliums nach Matthäus hält Jesus seine wohl berühmteste Rede, die Bergpredigt – einen Ausschnitt, die Seligpreisungen – haben wir vorhin zusammen gesprochen.

Selig, glückselig, sind diejenigen, die Leid tragen, sich um Frieden bemühen, die Hunger und Durst nach Gerechtigkeit haben, die selbst barmherzig sind.

»Was ihr den Geringsten unter den Geschwistern getan habt …« – Am Umgang mit den Geringsten entscheidet sich unser Leben. In ihnen begegnet uns Christus.

Man mag an Mutter Theresa oder Albert Schweitzer erinnern, an die vielen „Tafeln“ in unseren Städten und Gemeinden, an die Heilsarmee, an die Flüchtlingsheime, die Krankenhausseelsorge und Besuchsdienste, die Gefängnisseelsorge.

„Die leisen Kräfte sind es, die das Leben tragen.“ (Romano Guardini) Die Stillen im Lande, die da sind, wo es nötig ist, die zupacken, ohne viele Worte zu machen! Sie können von sich selbst absehen, nehmen sich nicht so wichtig, handeln selbstlos und uneigennützig, nehmen Abschied von dem Motto: „Sei dir selbst der Nächste!“

Gesegnet sind wir – so Jesus am Ende seines Wirkens in der Endzeitrede bei Matthäus, - gesegnet sind wir, wenn wir uns aus Mitgefühl leiten lassen. Wenn das unser Antrieb ist. Nicht aus Nützlichkeitserwägungen wie z.B. „Flüchtlinge sind langfristig gut für unsere Volkswirtschaft“. Gesegnet sind wir, wenn wir eben nicht berechnen: „was bringt mir, was bringt uns das“.

Was ihr einem der Geringsten getan habt …“ „… das habt ihr mir getan.“

Wir begegnen Christus. Das ist mehr als Pflichterfüllung. Es kommt nicht auf die Menge der Hilfeleistungen an. Wahre Menschlichkeit kommt aus der Herzensgüte, die fühlt, fremdes Leid nicht vom eigenen trennt.

Ich bin nicht der überlegene Helfer, nicht die alleskönnende und alleswissende Helferin, die anderen „armen und bedauernswerten“ Geschöpfen hilft. Vielmehr lasse ich mich berühren vom Mangel und der Bedürftigkeit – und begegne so dem eignen Menschsein in der Verwundbarkeit und Verletzbarkeit, im (leiblichen und seelischen) Hunger und Durst nach Leben, im eignen Fremdsein in der Welt und im eignen Gefangensein und Verstricksein.

Deswegen entspringt das eigene Tun nicht der Furcht vor Bestrafung – weder vor dem Jüngsten Gericht Gottes noch vor einem weltlichen.

Volkstrauertag.

Vor 100 Jahren tobte der erste Weltkrieg, ihm folgte der Zweite. Die massenhafte Tötung von Menschen mit hoher Kriegstechnik: Soldaten an der Front, in den Gefangenenlagern, Männer, Frauen, Kinder in den Bombenkeller, bei der Flucht und Vertreibung, in den Gaskammern, den Konzentrationslagern. Unbarmherziges, trostloses, sinnloses Sterben. Die Folgen sind mit den Kriegskindern und -enkeln noch mitten unter uns. Soll dies alles im Nichts enden, im toten Vergessen?

Nicht bei uns. Und vor allem nicht bei Gott.

Es wird ein Gericht geben. Es wird zur Rechenschaft gezogen – wie auch immer das aussehen wird.

Es wird ein Gericht geben.

Ein zurecht richten unseres Lebens durch Gott.

„… als wollte er belohnen, so richtet er die Welt.

Gott selbst richtet uns – auf.

Und der Friede Gottes welcher höher ist als alle menschliche Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

am 18.10.2015 von Pfarrer Rainer Böhm

Von der Ehescheidung 

„Und er bricht von dort auf und kommt in das Gebiet von Judäa jenseits des Jordan, und wieder strömen ihm die Leute zu. Und wie es seine Gewohnheit war, lehrte er sie wieder.

Und es kamen Pharisäer zu ihm und fragten, um ihn auf die Probe zu stellen, ob es einem Mann erlaubt sei, seine Frau zu entlassen. Er antwortete ihnen: Was hat Mose euch geboten? Sie sagten: Mose hat erlaubt, einen Scheidebrief zu schreiben und sie zu entlassen. Jesus aber sagte zu ihnen: Angesichts eurer Hartherzigkeit hat er für euch dieses Gebot aufgeschrieben. Doch vom Anfang der Schöpfung an hat er sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die beiden werden ein Fleisch sein. Also sind sie nicht mehr zwei, sondern sie sind ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

Im Haus fragten ihn die Jünger ihrerseits danach. Und er sagt zu ihnen: Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch an ihr. Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.“

Liebe Gemeinde, 

am liebsten hätte ich mich gedrückt und einen anderen Predigttext genommen. Ich bin ja selbst sozusagen Betroffener, geschieden und wieder verheiratet.

Und da sind Frauen und Männer, die zwar noch verheiratet sind, aber in ihrer Ehe Enttäuschung, Gewalt und Verletzung erfahren. Es gibt Frauen und Männer, die allein leben, ihr Gegenüber verloren oder gar nie gefunden haben. Und es gibt Frauen die mit Frauen, Männer die mit Männern zusammenleben in einer liebevollen Gemeinschaft. Was müssen sie alle empfinden, wenn sie die grossen, steilen Worte hören, die Jesus über die Ehe sagt: „Vom Anfang der Schöpfung an hat er sie als Mann und Frau geschaffen ... und die beiden werden ein Fleisch sein..“

Viele Gründe also, diesen unzeitgemässen Text beiseite zu legen. Aber dann könnte man, weil es unter uns Kranke, Behinderte, Gelähmte, Blinde und Gehörlose gibt, auch nicht gut über jene Geschichten predigen, die davon erzählen, wie Jesus Kranke und Behinderte geheilt, Blinden die Augen und Tauben das Gehör geöffnet hat. Müssten sie dann nicht ihre Krankheit oder Behinderung erst recht schmerzlich spüren? Wir kommen mit dem Evangelium ganz schön ins Gedränge, nicht nur im Blick auf Ehe und Ehescheidung. Denn es ist radikal, was Jesus uns zumutet.

*

Mit ihrer Frage, ob es einem Mann erlaubt sei, seine Frau zu entlassen, wollen die Pharisäer Jesus aufs Glatteis führen. Antwortet er: Ja, es ist erlaubt, dann rechtfertigt er die Ehescheidung und untergräbt die gesellschaftliche Bedeutung der Ehe. Antwortet er: Nein, es ist nicht erlaubt, dann setzt er sich in Widerspruch zu einem Gesetz, das im Deuteronomium (24,1) überliefert ist. Dieses Gesetz sieht vor, dass ein Mann seiner Frau einen Scheidebrief schreibt und sie verstösst, weil er etwas Anstössiges an ihr gefunden hat.

Zur Zeit Jesu gab es im Judentum verschiedene Auffassungen darüber, was unter diesem „Anstössigen“ zu verstehen sei. Jesus lässt sich auf diesen Auslegungsstreit nicht ein. Gewiss, es gibt in der Bibel ein Gesetz, das die Fälle regelt, in denen eine Ehe geschieden werden darf. Aber das ist ein Menschengesetz, das notdürftig versucht, der Tatsache gescheiterter Ehen Rechnung zu tragen. „Angesichts eurer Hartherzigkeit hat er für euch dieses Gebot aufgeschrieben.“ Aber der gute Wille Gottes ist das nicht. Vor Gott gibt es keinen einzigen Grund für die Scheidung einer Ehe. Schon für die frühen Christengemeinden war diese Haltung eine Zumutung. Matthäus hat in seinem Evangelium diesen Abschnitt von Markus übernommen. Aber er hat ihn abgeschwächt.

Jesus denkt völlig anders als wir über den Zusammenhang von Scheidung und Ehebruch. Bei uns gilt Ehebruch als Grund für die Scheidung einer Ehe. Jesus sieht das anders: „Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch. Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.“ Nicht schon der sexuelle Seitensprung, sondern erst die Ehescheidung und Wiederverheiratung ist für Jesus Ehebruch.

Die Liebe zwischen Mann und Frau mag erkalten, Frau und Mann ihre wechselseitigen Pflichten versäumen, Mann oder Frau lassen sich auf eine Beziehung mit einem Dritten ein, und was alles es sonst noch geben mag: Die Ehe ist wichtiger als das alles.

Für Jesus sind dies alles keine Gründe, um eine Ehe aufzulösen. In der Ehe „werden die beiden ein Fleisch sein. Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“.

Aber es kann doch sein, dass eine Ehe unerträglich wird: So viel tägliches Missverstehen, so viel Enttäuschung, Erniedrigung, Beleidigung, Gewalt und Verletzung. Dann ist eine Scheidung wirklich das kleinere Übel – eine Befreiung aus einem unerträglich gewordenen Joch. Auch für die Kinder im Übrigen. Und da ist es doch hilfreich, dass es gesetzliche Regelungen gibt, die eine Trennung unter halbwegs würdigen Umständen ermöglichen. Und schliesslich: Ist es nicht eine masslose Überschätzung zu behaupten, Gott habe in jedem Fall die Beiden zusammengefügt? 

*

Jesus fragt nach dem Willen Gottes. Und er findet ihn in der Schöpfung: Die Geschichte vom Anfang der Schöpfung ist eine Vision. In ihr scheint auf, wozu die Menschen erschaffen sind. In ihr leuchtet der gute Wille Gottes auf.

Gott will nicht, dass die Menschen allein sind. „Nicht gut ist, dass der Mensch allein sei, ich will ihm eine Hilfe machen, ein Gegenüber, das zu ihm passt. Gott hat uns Menschen als sein Ebenbild geschaffen: männlich und weiblich. Und so soll auch das Füreinander-Dasein von Mann und Frau in der Ehe zum Abbild und Gleichnis für Gott werden: für seine Treue. Deshalb darf und soll vor Gott eine Ehe nicht geschieden werden. Sie ist ein Gleichnis seiner Treue.

Es gäbe für Gott ja Gründe genug, die Menschen aufzugeben. Weil wir seinen Namen vergessen und missbrauchen; ihn enttäuschen und verletzen; in seiner guten Schöpfung herumfuhrwerken, dass sie fast zugrunde geht. Aber Gott liebt seine Schöpfung. Er hält seinen Bund aufrecht, er bleibt uns auf Gedeih und Verderb verbunden. Es gibt für ihn keine Rückzugsklausel, keine Scheidung. Er kann und will nur Gott sein im Gegenüber, in Partnerschaft mit uns Menschen.

Und dafür ist die Ehe ein Zeichen und ein Gleichnis. Damit wird die Ehe nicht idealisiert. Sie ist nicht das Reich Gottes. Männer und Frauen bleiben sich in der Ehe vieles schuldig. Sie werden aneinander schuldig. Sie enttäuschen einander. Sie verletzen sich. Sie haben Gründe, einander zu misstrauen. Sie haben sich gegenseitig vieles vorzuwerfen. Sie zweifeln, ob sie wirklich zueinander passen, für einander bestimmt sind. Sie meinen oft zu kurz zu kommen. Sie liebäugeln mit andern Möglichkeiten. Es gibt schliesslich noch andere Frauen als die eigene, andere Männer als den Angetrauten.

So ist die Realität, die Ehe-Realität unserer Welt. Was Jesus über die Ehe sagt, ist ein Wort aus einer andern Welt, ein Wort vom Anfang der Schöpfung her, ein Wort vom kommenden Reich Gottes her. Eine unzerstörbare Vision, was die Ehe sein könnte, sein dürfte, was sie nach dem Willen Gottes ist: ein Zeichen und Abbild von Gottes Treue, ein Ort der Verlässlichkeit und Freundschaft.

Aber das ist kein Urteil, und schon gar keine Verurteilung der Frauen und Männer, deren Ehe scheitert. Oder der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, die in liebevoller Gemeinschaft zusammen leben. Oder derjenigen, die alleine leben. Was Jesus über die Ehe sagt, hat nichts mit Moral zu tun. Es ist nicht gesagt, um allen Geschiedenen ein schlechtes Gewissen zu machen. Jesus mutet uns die Treue zu. Er gibt uns Mut zu ihr. Es ist wirklich eine Zu-Mutung.

*

Und noch etwas gilt es nachzutragen. Jesus ist weit davon entfernt, in der Ehe die einzige Lebensform zu sehen, die dem Willen Gottes entspricht. Er selber war ja nicht verheiratet, und seine Jünger waren es wahrscheinlich auch nicht, oder sie haben ihre Frauen und Familien verlassen. Es gibt andere Möglichkeiten eines erfüllten Lebens als die Ehe.

Und eine letzte Beobachtung: Für jüdische Ohren jener Zeit sagt Jesus etwas Unerhörtes. Nicht nur der Mann, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet, bricht die Ehe. „Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch.“ Nach damaligem jüdischen Recht konnte nur der Mann eine Scheidung vollziehen. Die Frau war gar kein Rechtssubjekt. Sie konnte nicht heiraten, sondern nur geheiratet werden. Jesus bricht diese patriarchale Ordnung der Ehe auf. Für ihn sind Männer und Frauen gleichwertige, in gleicher Verantwortung stehende Menschen. Für ihn bedeutet die Ehe keine Überordnung des Mannes über die Frau. Jesu Ethik ist radikal.

In dem, was Jesus über die Ehe sagt, scheint das Licht einer andern Welt auf, vom Anfang der Schöpfung und vom Reich Gottes. In diesem Licht erscheinen alle menschlichen Ordnungen als gegenstandslos. Das Leben und Zusammenleben der Menschen hängt nicht mehr davon ab, was Menschengesetze erlauben oder verbieten. In diesem Licht werden Menschen, Frauen und Männer, erlöst aus der Härte ihres Herzens; dazu befreit, für einander da zu sein, miteinander in Achtung und Freundschaft zu leben, in allen irdischen Realitäten und Unvollkommenheiten die Treue Gottes zu preisen, die jeden Morgen neu ist, und für die die Ehe ein Gleichnis sein kann.

am 11.10.2015 Gospelgottesdienst mit Pfarrerin Susanne Pieper (Audio)
Gospelgottesdienst Dankeskirche
am 4.10.2015 (Erntedank) mit Pfarrerin Meike Naumann (Audio)
Erntedankgottesdienst - Dankeskirche
am 23.8.2015 von Pfarrerin Barbara Wilhelmi

über Markus 7,32-37 Die Heilung eines taubstummen Menschen

Der Friede Gottes sei mit Euch -

Liebe Gemeinde,

manche von Ihnen mögen den Spielfilm kennen: The kings speech. Er handelt von Georg dem VI, Vater der jetzigen Königin von England, Elisabeth der Zweiten. Dieser König hatte eine Sprechhemmung, er stotterte. Der einfühlsame Film erzählt die wundersame Besserung durch einen australischen Therapeuten – der als Schauspieler eigentlich keine Ausbildung als Sprachlehrer hatte. Aber er hatte sich selbst etwas Heilsames ausgedacht. In seiner Methode bezog er die frühe Lebensgeschichte des späteren Königs ein – und schaute gemeinsam mit ihm die Traumata an – und das war zu jener Zeit des ersten Drittels des vergangenen Jahrhunderts nicht allgemein üblich.

Er wandte sich ihm zu – ließ ihn das, was ihn im Inneren peinigte er-innern und aussprechen. Das löste die Zunge, sodass die zukünftigen Reden des Königs nicht mehr so furchtbar klangen - wie sie es vorher getan hatten.

Der Film erzählt eine Geschichte des Sprechenlernes, die uns zu der Geschichte aus dem Markusvangelium führt, die heute ausgelegt werden soll. Darin geht es nicht nur um das Wieder-sprechen-können und sonder auch um das Hörenkönnen:

Markusevangelium 7,32-37 (Lutherübersetzung):

Und sie brachten zu Jesus einen, der taub und stumm war, und baten ihn, dass er die
Hand auf ihn lege. Und er nahm ihn aus der Menge beiseite und legte ihm die Finger in
die Ohren und berührte seine Zunge mit Speichel und sah auf zum Himmel und seufzte
und sprach zu ihm: Hefata! - das heißt: Tu dich auf! Sogleich taten sich seine Ohren auf
und die Fessel seiner Zunge löste sich, und er redete richtig. Er gebot ihnen,
sie sollten´s niemandem sagen. Je mehr sie er´s aber verbot, desto mehr breiteten sie
es aus. Sie wunderten sich übber die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht:
die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.

Über den kranken Menschen wird nichts erzählt – keine Hintergrundinformation gegeben – kein Rückbezug zur Lebensgeschichte wie bei jenem englischen König, Georg dem VI.

Dennoch kann ich mich – als selbst ziemlich Schwerhörige – gut in seine Leidensgeschichte hineinversetzen: Die Gefahren des Schlecht-Hörens sind vielfältig, z.B. die Gefahr vor ein Auto zu laufen oder in früheren Zeiten vor ein Pferdefuhrwerk, wenn man sich nur auf seine Ohren verlassen will... und da gibt es die Gefahr von Missverständnissen, die zu Konflikten mit den Mitmenschen führen, wovon noch die einfachste Version ist, dass jemand etwas zu Ihnen sagt, sie aber nicht reagieren, was als Absicht, vielleicht sogar als Arroganz ausgelegt wird.

Die größte Gefahr ist der Rückzug – sich zurück zu ziehen von Menschen und von der Teilhabe am äußeren Leben, um nicht immer mit dem eigenen Versagen konfrontiert zu werden und um sich nicht ständig anstrengen zu müssen, sich auf das Gesagte zu konzentrieren oder die Menschen zum besseren Sprechen aufzufordern, womit man sich oft unbeliebt macht...

Unsere biblische Geschichte setzt voraus, dass wir um diese Situation des Kranken wissen.. eines tauben Menschen, der möglicherweise stumm ist, weil er gar nie hat sprechen lernen können oder aber, der verstummt ist, weil er es aufgegeben hat zu sprechen aus dem einen oder anderen Grund – vielleicht wurde ihm ja in frühen Jahren verboten zu sprechen und er sollte etwas verschweigen..

Wie auch immer es gewesen sein mag, die Therapie beginnt hier, dass sich Jesus dem taubstummen Menschen zu wendet - nebenbeigesagt ist es für Hörgeschädigte immer so, dass sie wirklich wesentlich besser hören können, wenn sich das Gegenüber zuwendet beim Sprechen und den Kopf beim Sprechen nicht abdreht oder die Hand vor den Mund hält.

Jesus arbeitet mit dem Speichel – früher durchaus als heilsam bekannt und bei kleinen Kindern auch heute noch praktiziert, wenn nach einem Sturz nicht nur gepustet, sondern oft auch der Schmutz nach dem Hinfallen mit etwas Spucke weggeputzt wird. Jesus erbittet von Gott: Geist und Kraft und blickt dabei nach oben. Er seufzt, ein Ausdruck, der in Verbindung mit dem Atem steht und auch mit der Seele, denn das damalige Wort für Atem, war auch das Wort für Kehle und für Seele. Wir spüren, es war ein intensiver, tiefer Moment bis zum Kraftwort:
Hephata (Luther übersetzt Tu dich auf), das ja auch gehaucht beginnt.

Jesus verbietet anschließend, über die Heilung zu berichten. Damit ist wahrscheinlich gemeint, dass er nicht möchte, dass die Methode einfach so ausposaunt wird, damit sie vermarktet werden kann. Hier – wie auch in allen anderen Heilungsgeschichten – ist deutlich, dass jeder kranke Mensch ganz speziell behandelt wird von Jesus. Da gibt es keine 0815 Heilungsmethode, wie es die Jünger vielleicht vorher noch annehmen, denn sie gehen ja davon aus, dass Jesus die Hand auflegen könnte. Aber er macht anderes. Es kommt also darauf an, die Person ganz eigen, individuell wahrzunehmen, sich auf sie zu beziehen – hier: sich zuzuwenden und sie aus der Isolation zu holen...

Gerade das verstand Jesus aus Nazareth als praktizierten Glauben, und er hat es anscheinend von seinen Schülern und Schülerinnen erwartet, denn er fordert sie ja auf, auch selbst zu heilen und böse Geister auszutreiben, wenn er die Jünger aussendet, damit sie zu anderen Menschen gehen. Es ist Jesus wichtig, dass die ihm Nachfolgenden in der Gesellschaft heilsam wirken.

Eine Heilung wird immer das Wunder behalten – und unverfügbar sein – auch bei den ersten Jüngern, die noch direkt von Jesus die Methode haben lernen können und die leider später im Laufe der Geschichte oft als angebliche Hexerei den Christen und Christinnen ausgetrieben wurde. Aber sie bleibt dennoch Auftrag Jesu – auch an uns, die wir ja auch Jesus folgen wollen.

Schauen wir nun also noch einmal auf die Art und Weise, wie Jesus geheilt hat, ob wir etwas davon aufnehmen können:

Jesus soll geseufzt haben. Das könnte einerseits heißen, er fühlte mit dem tauben Menschen. Der Atem, das war in der früheren Vorstellung auch der Odem Gottes, der als Leben in die Menschen eingehaucht wurde und gleichzeitig auch die Seele eines Menschen war.

Jesus war also mit Leib und Seele dabei.

Das Seufzen ist aber auch ein tiefes Luft-holen, die Lungen füllen, um laut genug zu sein... im Sprechen. Wer sich in der Kraft Gottes weiß, sie erbeten hat für sich, darf selbstbewusst sein, muss sich nicht verstecken und etwa leise sprechen – so als ob es auf ihn oder sie und die eigenen Worte nicht ankäme... Und vor allem so, als ob es auf den Hörenden nicht ankäme, der sich nicht gemeint fühlen kann, nicht angesprochen..

Für mich ist das Wichtigste bei dieser Heilung das wirkmächtigen Wort Hephata - öffne Dich.

Das könnte einmal in den Himmel gerichtet, die Bitte um Kraft für die Heilung bedeuten. Es könnte – wie im Text angedeutet - auch die Öffnung der Ohren sein - nicht nur medizinisch die freie eustachische Verbindungsröhre oder auch der geöffnete Mund zum Sprechen bedeuten... Vor allem könnte Hephata heißen: Öffne Dich – für neue Situationen im Leben... Nimm wieder am Leben teil... Versuche etwas Neues... Nimm wieder Menschen wahr und mache dich selbst auch wahrnehmbar für andere... Zeige dein offenes Wesen – so wie wir es bei kleinen Kindern so lieben. Lass dich nicht vom Misstrauen leiten...

Wir verstehen ja OFFENHEIT – als das Gegenteil von Verschlossensein und Abgegrenztsein.

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In der protestantischen Kirche wurde das Hören und Sprechen zentral: Das Verkündigen des Wortes Gottes und das Hören der Botschaft wurde mehr als anderes im Gottesdienst gewertet, so verzichten bis heute die rein reformierten Gotteshäuser auf den Altar zugunsten des Lesepultes und der Kanzel.

Aber die Betonung des Hörens und Sprechens hatte nicht nur eine freie Tradition, und Offenheit gehörte Jahrhunderte lang – auch in der evangelischen Kirche - nicht zum Hören und Sprechen. Das Bibelwort „Wer Ohren hat zu hören, der höre“ wurde oft als eine Aufforderung zum Ge-horchen ausgelegt und das Sprechen war selten eine freie Kommunikation.

Auch darüber gibt es einen berührenden Film: Das weiße Band - den ich hier nur mit einem Satz erwähnen will: „Wer nicht hören will – muss fühlen“.

Und wer wie ich in den 50-iger Jahren in einem evangelischen Kindergarten war, kann möglicherweise auch mit mir die Erfahrung teilen, dass Kindern, wenn sie zuviel sprachen, an falscher Stelle oder Falsches sagten, der Mund mit einem mittelbraunen Leukoplaststreifen zugeklebt wurde. Es war nur ein kleiner Streifen, der aber höllisch wehtat, beim Abreißen... Genug der Beschreibung von sadistischen Erziehungsresten aus der Nazi- oder der Kaiserzeit, heute ist es zum Glück nicht mehr so.

Freuen wir uns mit den heutigen Kindern – auch mit den beiden vorhin Getauften – dass sie das nicht erleben werden...

Kommunikationsprozesse sind mehr als erwünscht in unserer Zeit, die Teilhabe aller weltweit vorausgesetzt, obwohl die Einschränkung auf eine bestimmte Zeichenanzahl bei Mitteilungen, auch die ständigen Bewertungen und Kommentare nicht wirkliche Inhalte von Gefühlen und Gedanken vermitteln können.
Es ist also auch in unserer Zeit ein Hephata – Tue dich auf – nötig.

Erbitten wir also ein wenig mehr Offenheit in unserem Sprechen und in unserer Zuwendung zu anderen im Hören und Reden...in unserer Wahrnehmung, ohne gleich zu Verurteilen, mit weniger Angst zu leben, mit mehr Vertrauen auf das, was mit Gottes Hilfe noch werden kann.

So können wir vielleicht uns selbst auch daran machen, den Auftrag Jesu zu erfüllen und heilsam wirken!! Erinnern wir uns wie das geht, Stumme sprechen zu lehren, wie König George, der VI, dem geholfen wurde, einmal das zu erzählen, was ihn kaputt gemacht hatte als kleiner Junge....

Wir können auch andere dazu ermutigen, das Ausgesprochene miteinander auszuhalten. Vielleicht erst einmal nur zu hören und zu schweigen, um dann das Wesentliche sagen zu können – was heilt.

Und alle diese Situationen würden damit anfangen, dass Sie sich – dass ich mich – der Person zuwende – so wie es auch hier am Anfang des Heilungsprozesses erzählt wird. Und das ist in vielen Situationen schon viel:

Den einzelnen Menschen wahrzunehmen, ohne ihn gleich einzuordnen und Menschen zu ermutigen, sich selbst wahrnehmbar zu machen für andere – das bedeutet ja „zu sprechen“.

Mitunter kann das Sich-Wahrnehmbar-Machen auch seltsame Wege gehen – unbeabsichtigt, wie von Gott geführt:

Ich erinnere mich an das Ende unserer diesjährigen Frauenkreisfahrt im Sommer, die uns zunächst nach Wittenberg und Quedlinburg geführt hatte, dann aber mit einem Stopp im Kloster Bursfelde endete. Das ist ein sehr altes Kloster, einsam an der Weser gelegen. Architektonisch soll es nach dem Michaelston gebaut worden sein, davon zeugen noch die Fresken an den Wänden und Säulen und deshalb wollte ich auch gerne, dass wir dort in dieser leeren Kirche – ohne Holzbänke und Einrichtung – singen. Eine Teilnehmerin schlug das Lied vor „Du meine Seele singe“, aber einige meinten, nicht singen zu können (auch eine Form von: Nicht sprechen zu können). Ich schlug vor, dass sich jede doch mindestens einen Ton suchen solle, ihn summend durch die Nase und dann mit geöffnetem Mund singen solle - immer hörend auf einander.. jede an der richtigen Stelle im Raum stehen. Der Gesang wurde feierlich, groß und klein in einem. Wir hatten uns wahrnehmbar – vor allem für die Pilger, die sich auf ihrer Wanderschaft an jenem Tag dem Kloster näherten. Sie fühlten sich gerufen und sprachen uns danach an. Sie sagten, wie schön das gewesen sei für sie das zu hören.

Wir hatten ihnen etwas geschenkt, dadurch, dass jede sich wenigstens an einen Ton gewagt hatte. Die Pilger wurden willkommengeheißen - fühlten sich gemeint, nur weil sich ein paar Bad Nauheimer Gemeindefrauen für eine kurze Zeit hörbar gemacht hatten, und den Mund geöffnet hatten..   AMEN

...Und der Friede Gottes, welcher höher ist als unser Denken, bewahre unsere Sinne von nun an bis in Ewigkeit.

Ansprache zur Einführung als Altenseelsorger von Pfarrer Ernst Rohleder

31. Mai 2015, Johanneskirche

Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein. (Psalm 92,15)

Liebe Gemeinde,

manchmal wollen Computer uns ja helfen.

Als ich zu Beginn meiner neuen Tätigkeit nachsehen wollte, ob diese Pfarrstelle auf der Homepage unseres Dekanats schon eingepflegt sei und ich die Suchfunktion startete, zeigte die Suchfunktion den Satz an: Nichts gefunden für Altenseelsorge. Meinten Sie Altenheimseelsorge? Nein, meinte ich nicht.

Und weil es den Menschen ja nicht anders geht als dem Computer ist der Erklärungsbedarf, wo immer ich hinkomme, groß, um was für eine Pfarrstelle es sich denn eigentlich handele, in die ich ja nun eingeführt bin, berufen, gesandt, gesegnet.

Nun, ich möchte ein paar Gedanken anreißen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, und ich freue mich, wenn wir miteinander in Zukunft über diese und andere Themen ins Gespräch kommen.

Ich habe eben als persönliches Segenswort zugesprochen bekommen: So spricht der Herr ‚Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten.‘ (Jesaja 46,4)

Ich bin dankbar dafür, denn es ist ein Zuspruch, den ich dringend brauche, auch für mein eigenes Altwerden. Dieses Wort wählten viele kirchliche Äußerungen der Vergangenheit, die sich mit dem Thema Älterwerden und Altsein beschäftigten.

Dennoch: dieses Wort spricht von den Defiziten, die das Alter mit sich bringt, mit sich bringen kann. Wer nicht mehr selbst laufen kann, muss getragen werden, oder heutzutage im Rollstuhl fahren. Wäre das eine angemessene Übersetzung in inkludierter Sprache heute: Auch bis in euer Alter bin ich, Gott, derselbe, ich will euch im Rollstuhl fahren, euch mit dem Lifter heben und euch erretten. In jedem Fall spricht das Wort aus dem Propheten Jesaja von Dingen, die Gott tut und die der alternde Mensch von ihm erfährt. Und wer wollte bezweifeln, dass das gut ist und eine wunderbare Verheißung. Aber das Wort birgt die Gefahr in sich, den altgeworden Menschen als Objekt der Handlungen zu verstehen, die an ihm oder ihr getan werden, getan werden müssen, wer will das verleugnen. Gehoben werden, getragen werden, gefahren werden, geduscht werden, gefüttert werden. Und Gott sei Dank, gibt es sehr viele, die das engagiert tun: tragen, fahren, duschen, füttern. Trotzdem:

Es bahnt sich ein Perspektivwechsel an mit dem Wort, das ich als Motto über diesen Gottesdienst habe schreiben lassen: Und wenn sie auch alt werden, werden sie dennoch blühen, fruchtbar und frisch sein. Merken Sie es: Grammatikalisch sind es in diesem Satz die Alten, die im Aktiv stehen: sie blühen, sie sind fruchtbar. Ich möchte dazu zweierlei sagen. Ich verstehe es erstens so, dass der alte Mensch hier zunächst die Würde zugesprochen bekommt, Subjekt seiner Handlungen zu sein und zu bleiben. Wirklich? Auch der dementiell Erkrankte, Veränderte? Ja, auch wenn das nicht immer einfach sein mag. Sie blühen, sie sind fruchtbar, bringen also etwas hervor, was geerntet werden kann. Lebenserfahrung, Altersweisheit, Früchte, die unsere Gesellschaft braucht. Früchte werden ja auch einmal reif, ich glaube das muss ja auch jeder älter gewordene leisten, und welch ein gewaltiger Prozess ist das: Reif werden zum Sterben, die letzte Frucht, die das Leben hervorbringt.

Ich sehe aber auch noch ein Zweites in dem Wort. Noch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam man, soziologisch gesehen, nach der Phase ein älterer Arbeitnehmer gewesen zu sein, nach der Verrentung schon sehr bald ins Greisenalter. Sprach man vor wenigen Jahrzehnten nach von vier Lebensaltern, Kindheit, junger Erwachsener, Erwachsener, Greis, sprechen wir heute in der Biografiearbeit eher von 7 Lebensabschnitten, die Jugend, der Ruhestand und die Hochaltrigkeit sind dazu gekommen. Dank medizinischer Fortschritte und einer langen Friedensphase in unserer Gesellschaft erfreuen sich viele Menschen im Ruhestand bis in die Hochaltrigkeit hinein ihrer Schaffenskraft, geistigem und spirituellem Interesse, sie blühen und bringen Frucht im wörtlichen Sinne. Sie stehen ganz anders als noch vor einem halben Jahrhundert vor der Aufgabe, diese zusätzlich geschenkten Jahrzehnte als geschenkte Zeit anzunehmen und zu gestalten. Deshalb gilt es für uns als Kirche, uns von überlieferten Altersbildern auch zu lösen, Potentiale und Talente wahrzunehmen und die Impulse aufzunehmen, die von den älter werdenden ausgehen.

Unsere Kirche hat ja in der Vergangenheit viele Phasen mitgemacht: Wir wollten kinderfreundlicher werden: Das war und ist dringend nötig, wir wollten familiengerechter werden, das brauchen wir auch weiterhin. Aber die Phase einer altersgerechten Kirche steht uns gerade ins Haus, damit meine ich nicht nur barrierefreie Zugänge zu Räumen und Veranstaltungen. Ich nenne ein Stichwort, das aus meiner Sicht die verschiedenen Aspekte zusammenfasst, nämlich intergenerationell. Ich glaube, es tut unserer Kirche gut, neben interkulturell, interreligiös, auch intergenerationell zu denken und zu planen. Das Praktikum oder der Tag der Konfis im Altenzentrum, das Erzählcafe der 90jährigen: „Meine wilden Jahre“, oder oder. Tatsächlich, sagte mir eine 90jährige vor einigen Tagen bei einem Besuch: Ich war ein echter Feger, ich hab es ihr sofort geglaubt!

Potentiale und Talente im 6. Lebensabschnitt, dem Ruhestand, wahrzunehmen, heißt nach dem ehrenamtlichen oder bürgerschaftlichen Engagement in dieser Lebensphase zu fragen.

Der Mediziner und Psychiater Prof. Dr. Klaus Dörner, übrigens langjähriges Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages, beginnt sein Buch: „ Leben und Sterben. Wo ich hingehöre.“ mit den Worten des bekannten Beatles Lied: „Will you still need me Will you still feed me When I’m sixty-four (das war 1966). Wirst du mich brauchen, wirst du mich füttern, wenn ich 64 bin. Wenn die Beatles diesen Song heute, also vierzig Jahre später, gesungen hätten, würden sie wohl sicher eighty-four als Alter gewählt haben, also das heutige durchschnittliche Heimaufnahmealter. Diese Erinnerung daran, wie rasant wir in den letzten Jahrzehnten gesellschaftlich gealtert sind, offenbart zugleich auch schon die Absicht seines Buches; denn die Beatles-Frage ist aktuell geblieben: Wird es für mich, wenn ich alt bin, einen anderen geben, der mich einerseits braucht und der mich andererseits füttert?“ Dörner schreibt, jeder Mensch braucht das Gefühl, Bedeutung für einen anderen, eine Bedeutung zu haben. Landläufig sagt man, jeder Mensch brauche eine Aufgabe. Aber eine Bedeutung im Leben eines anderen zu haben ist noch einmal etwas anderes: Will you still need me…

Dörner beschreibt in seinem Buch einen dritten Sozialraum als neues Hilfesystem. Dieser dritte Sozialraum ist das Feld zwischen dem privaten und öffentlichen Raum, die Nachbarschaft, der Wir Raum, in dem Menschen sich kennen und bereit werden, sich gegenseitig zu helfen. Die Kirchengemeinden sind – öder können es noch mehr werden – ein Wir Raum. Ein Raum jenseits der ökonomischen Bedingungen und Notwendigkeit, etwa eines Pflegesystems, dessen Finanzierbarkeit längst an seine Grenzen stößt.

Kirchen und Gemeinde spielen hier eine wichtige Rolle. Unsere Gemeinden können ein Gemeinschaft und Geborgenheit vermitteln.

Die EKD Denkschrift: „Im Alter neu werden“, formuliert das so:

„Wenn in Gemeinden die Verknüpfung von diakonischer Professionalität – ich denke hier an die stationären Einrichtungen und an die ambulanten Dienste – und diakonischen und gemeindlichem Ehrenamt gelingt, verändert sich das Bild der Kirche, auch das, was außen stehende von ihr halten. Dass es zum Wesen der Kirche gehört, nicht vorrangig für den eigenen Bestand da zu sein, sondern als Kirche für und mit anderen die Botschaft des Evangeliums überzeugend zu leben.

Dies ist die große und tragfähige Vision für Kirche und Diakonie: Eine Kirche, die Gemeinschaft und Solidarität ermöglicht und sich Menschen in ‚caring communities‘ gegenseitig Aufmerksamkeit und Anerkennung Hilfe und Zeit schenken.“

Besuchsdienste sind ein solcher Teil einer caring Community. Und ich denke, dadurch wird schon deutlich, es geht hier nicht um Ehrenamt, das weniger werdendes Hauptamt ersetzt, sondern um die schlichte und existentielle Frage, wie werden wir als Kirche und Gesellschaft miteinander und in Würde alt, denn diese Frage stellt uns die demografische Entwicklung. Familiäre Unterstützungssysteme brechen einfach weg. Arbeitsplätze von Kindern sind über die Bundesrepublik – und darüber hinaus – verstreut. Ich erlebe Hochbetagte, deren Kinder nicht mehr leben oder bereits selbst Hilfe bedürftig sind. Nicht umsonst sagt der Sterbende Jesus am Kreuz zu Maria und dem Jünger, den er liebhatte: Siehe das ist deine Mutter, das ist dein Sohn. Er stiftet eine Caring Community jenseits der familiären Bande.

Als Kirche sind wir nur ein Teil dieses Prozesses. Wir brauchen das Miteinander aller bürgerschaftlich Engagierter. Öffnung der Einrichtungen zu den Kirchengemeinden, Öffnung der Kirchengemeinden in die Gesellschaft hinein und umgekehrt.

Ein Beispiel: Unter der Überschrift: „Wenn der Manager zum Gärtner wird“ war in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachzulesen:

„Social Days“ haben sich in vielen Unternehmen etabliert. Der freiwillige Einsatz von Mitarbeitern soll nicht nur sanierungsbedürftigen Schulen oder Kindergärten dienen, sondern auch der Personalentwicklung.

Der freiwillige Einsatz für gemeinnützige Zwecke – in der Managementsprache „Corporate Volunteering“ – ist vielerorts Teil der Unternehmenskultur geworden. Die Betriebe geben ihren Mitarbeitern einen Tag frei, damit sie sich für den guten Zweck engagieren.

Ich glaube, mit diesen und ähnlichen Ideen lässt sich noch viel in unserer Region entwickeln.

Ich komme zuletzt auf die Geschichte von Marias Besuch bei Elisabeth und damit auf die Bedeutung der Besuchsdienste. Meistens kennen wir diesen Text aus der Adventszeit.

Maria macht sich auf, geht ins Gebirge um ihre Verwandte Elisabeth zu besuchen. Im Haus des Zacharias begrüßt sie Elisabeth.

Als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!

Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. Und selig bist du, die du geglaubt hast!

Lassen wir mal das, was wir von Advent wissen beiseite und wechseln auf eine andere Ebene des Textes, auf die andere Deutungen verweisen: (Hans-Peter Daub) Hier spricht der Text von dem Lebendigen, was in uns ist und das sich in uns bewegt, wie ein Kind im Bauch der Schwangeren. Indem wir uns begegnen, uns für einander öffnen, uns wahrnehmen und wertschätzen, dann wird in der Begegnung spürbar, was in uns wächst und was noch werden will und was Gott weiter in uns bewegt. Menschen kommen ins Gespräch miteinander über das, was in ihnen rumort und was noch erst an Licht kommen will. Ans Licht kommen will durchs Gespräch, weil sie achtsam füreinander sind und der Geist Gottes auf der Begegnung liegt:

Im Gespräch entdecken wir im Gegenüber dem Jungen wie dem Alten einen Menschen, der dazu beiträgt, dass Gottes Zukunft wird. Im Gespräch gehen wir schwanger mit Gottes Zukunft der Welt, auch in der Altenseelsorge, weil jedes Gespräch etwas entwickelt, was noch nicht war, das blühen will und Frucht bringen. Amen

zur Konfirmation am 31.5.2015 von Vikarin Evelin Talmon

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

jetzt ist es also soweit.

Ein Jahr lang habt Ihr, Euch auf diesen Tag vorbereitet.

Ein Jahr lang habt ihr Euch mit verschiedensten spannenden Projekten und Aktionen, mit Euch selbst und mit Gott auseinandergesetzt.

Ihr ward im Konfi-Unterricht – Dienstagnachmittags nachdem Ihr bereits einen anstrengenden Schulvormittag hinter Euch hattet – das ist stark.

Ihr habt während des Unterrichts alles, was wesentlich für den christlichen Glauben ist, kennengelernt. Ihr habt nachgefragt und diskutiert.

Ihr habt verschiedenste biblische Erzählung anhand des Markusevangeliums kennengelernt – manchmal war die doch fremd und z.T. altertümlich anmutende Sprache irritierend. Aber ihr habt Euch nicht abschrecken lassen. Ihr habt Euch dem jede Woche neu gestellt.

Ihr habt Gebete selbst formuliert und Euch für andere Menschen engagiert und habt z.B. bei der Sammlung für das Diakonische Werk interessante Begegnungen gehabt.

Auf der Konfi-Freizeit haben wir uns dann ganz intensiv mit dem Vater unser beschäftigt. Und wir, das Freizeit-Team, wir haben das sehr deutlich wahrgenommen, dass es Euch ernst ist. Da war auch viel Sport und Spaß, aber das Thema Beten, damit konntet Ihr auch persönlich etwas anfangen. Und danach Euer Vorstellungsgottesdienst zusammen mit den beiden anderen Konfi-Gruppen war ein echtes Gottesdienst-Highlight!

Aber nicht nur Ihr, sondern auch Sie, liebe Eltern, Patinnen und Paten, haben sich ebenfalls ein Jahr lang auf diesen Tag vorbereiten können. Manche von Ihnen haben das Angebot der Elternprojekte wahrgenommen. Aber ob Sie diese Angebote genutzt haben oder nicht: der heutige Tag bedeutet für sie Ihre Kinder, die nun als Jugendliche vor Ihnen stehen, wieder ein Stück mehr loszulassen. Das ist gut und wichtig, aber auch schmerzhaft.

Denn aus den einstigen Kindern sind Jugendliche geworden, die ihre eigenen Vorstellungen vom Leben entwickeln. – Und das ist nicht so ganz einfach auszuhalten. Da unterscheiden sich bisweilen die Ansichten und Bedürfnisse der Jugendlichen von denen ihrer Eltern erheblich.

Gehören Sie zu den Eltern, die ihre Kinder gerne schützen wollen vor den Gefahren und Enttäuschungen der harten Realität? Und wie erleben Sie Ihre Kinder mit ihrem Drang nach eigenen Erfahrungen, nach dem Ausleben ihrer Vorstellungen, in Freiheit, außerhalb der schützenden Wände ihres elterlichen Heimes?

Das Bild hier [Vorderseite des Gottesdienstheftes] veranschaulicht diese Situation:

Ein Jugendlicher steht in der weit geöffneten Tür. Das Zimmer, das er verlässt, ist ein Kinderzimmer. Schaukelpferd und Teddybär lugen um die Ecke.

Das Bild fängt genau diesen Moment auf der Schwelle ein. Die Schwelle, der Übergang von dem vertrauten Raum der Kindheit, einem Schutzraum, der vielleicht jetzt zu eng geworden ist?

Und nun:

Über die Schwelle mit leichtem Gepäck.

Der Weg ist angedeutet, eine Treppe, die irgendwohin führt, ist noch (?) nicht zu überschauen.

Wie mag es dem Jugendlichen gehen, wie fühlt er sich?

Mutig und stark – endlich das eigene Leben in die Hand nehmen – oder auch ein bisschen unsicher und ängstlich – was mag da wohl kommen, bin ich dem gewachsen? Welcher Raum steht mir zu, welchen traue ich mir zu, einzunehmen?

Unter dem Bild steht der Satz:

„Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“

Dieser Satz ist aus einem Psalmengebet. Es geht in dieser Gebetszeile um Raum, um das Bedürfnis nach Weite, die Freude darüber, aber gleichzeitig verbunden mit dem Wissen: es gibt Grenzen, ich bin gestellt, es hängt nicht nur von mir alleine ab, wie weit der Raum ist, der mich umgibt.

Bei Kindern ist das sehr offensichtlich. Kinder werden genommen, gepackt und irgendwo hingesetzt oder -gestellt.

Verdeckter taucht das später auf:

Mitschülerinnen und Mitschüler, Lehrerinnen und Lehrer, Kollegen, Chefs oder Eltern und Geschwister, die können einem manches eng machen und begrenzen – und man muss dennoch mit ihnen auskommen.

Dazu kommt als Begrenzung noch Trauer über Abschiede.

[Zu den Konfis]

„Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“

Gott schenkt euch die Weite: die Weite eurer Möglichkeiten, eure Fähigkeiten, mit denen ihr die Welt um euch gestalten sollt und sie steht euch offen.

Wenn ihr gleich gesegnet werdet, dann bestärkt Gott sein Versprechen aus der Taufe an euch:

„Mit euch, mit dir will ich sein, ich gehe mit, ich will dich begleiten, immer.“ – das ist Gottes Versprechen.

Das begründet eine Nähe die nicht einengt, die eben nicht den Atem nimmt. Eine Nähe die ermutigen will und euch den Rücken stärken.

Unser Wunsch ist es, dass ihr dieses Angebot annehmt, eure Füße auf weitem Raum stellen lasst. Dass ihr die Weite annehmt, um euch zu entfalten und Verantwortung zu übernehmen im Rahmen Eurer Möglichkeiten.

Dass ihr die Freiheit spürt, euch entwickeln zu können und damit auch anderen diese Entwicklung ermöglicht.

Vielleicht ist die Konfirmation wie diese abgebildete Tür, eine Tür zum Erwachsenenleben. Mit dem heutigen Tag geht nicht nur das Amt eurer Patinnen und Paten zuende, sondern ihr werdet im religiösen Sinne volljährig. Kirchliche Ämter - wie eben das Patenamt - stehen euch nun selber offen. Ihr habt Euch Gedanken dazu gemacht, wie Ihr dieses Amt ausfüllen würdet, was Euch für Euer Patenkind wichtig wäre und einiges dazu notiert. Und vielleicht habt Ihr in der letzten Konfi-Stunde auch ein bisschen gespürt, dass sich etwas verändert hat im Vergleich zum Vorjahr?!

Ihr steht auf der Schwelle - Die Tür ist weit geöffnet.

Und das drückt dieses Bild eben auch aus:

Euer Elternhaus ist euch nicht verschlossen, aber ihr steht an der Tür.

Manchmal stehen da eure Eltern noch mit an der Tür. Die Rückkehr ist möglich.

Vielleicht muss es dann auch mal wieder zwischendurch Schaukelpferd und Teddybär sein, um mutig die andere Seite zu erkunden.

Noch steht alles auf Anfang. Noch ist nicht der Tag, an dem ihr draußen bleibt und euch irgendwo euer eigenes Heim einrichtet.

Die offene Tür dient nicht nur dem Verlassen, sondern auch der Rückkehr.

Und ihr werdet noch andere, schützende Räume und tragfähige Beziehungen zu Menschen, denen ihr euch anvertrauen könnt, finden. Menschen, bei denen ihr Geborgenheit und Ansporn zur Weiterentwicklung findet, die euch helfen, auf eurem Weg zum Erwachsen werden.

„Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“

Gott begleitet und unterstützt euch, indem er euch Menschen schickt, die euch mit offenen Händen und Herzen Wege weisen, die euch darin stärken, auch eigene Wege zu wagen.

Und so werdet ihr ermutigt, euch selbst zu finden.

Weil Gott euch zutraut, dass ihr etwas könnt, braucht ihr euch durch mögliche Fehlschläge nicht entmutigen zu lassen. Fehlschläge gehören zum Leben dazu.

Ihr könnt darauf vertrauen, dass Gott euch liebt, dass ihr in seinen Augen für Gott wertvoll seid. Ihr könnt Gutes für andere tun – und habt es schon getan! Ihr könnt für andere zum Anstoß werden und zum Segen.

Die Konfirmation steht für ein Wagnis, vor die Tür, ins offene Leben hinaus zu treten. Im Vertrauen auf den Gott, der dieses Wagnis segnet und begleitet.

Sich konfirmieren lassen bedeutet: Einen Schritt in die Freiheit des Lebens tun und dies im Geist der Taufe, im Vertrauen auf die Segenszusage Gottes.

Du stellst meine Füße auf weiten Raum

dass wir alle – und insbesondere ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden – das erfahren,

dazu helfe und bewahre uns die Gnade Gottes,

die um so vieles höher ist, als unsere Vernunft es je sein kann,

durch Jesus Christus.

Amen.

zur Konfirmation am 24.5.2015 von Pfarrerin Meike Naumann

Psalm 119,105: DEIN WORT IST MEINES FUSSES LEUCHTE UND EIN LICHT AUF MEINEM WEG.

Motiv: gepackter Rucksack für den Lebensweg

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

liebe Eltern,

liebe Patinnen und Paten,

liebe Gemeinde,

ein Rucksack – nicht gerade klein steht hier. Da kommt bei einigen vielleicht Urlaubsstimmung auf. Oder Erinnerungen an die eigene Jugend, die Zeit des Interrail quer durch Europa. 

Ich möchte euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, und Sie alle mitnehmen auf eine kurze Phantasiereise, einen virtuellen Urlaub. Stellt euch vor, dieser Rucksack steht  in eurem Zimmer fertig zur Abreise. Wo es hingehen soll? Das ist noch unklar. Eigentlich hat euch keiner so genau gesagt, wo es lang gehen soll. Ihr dürft euch in euren Gedanken ruhig ein schönes Ziel ausmalen. Vielleicht einen warmen, weichen Sandstrand mit Palmen und blauem Meer, das leise ans Ufer plätschert.  Doch jetzt kommt die entscheidende Frage: Was packt ihr ein? Ihr wisst nicht genau was euch erwartet. Ihr braucht etwas zu essen, zu trinken, Kleidung. Da ist der Rucksack ganz schnell voll.

Leider werden wir heute nicht aufbrechen an einen sonnigen Strand auf einer einsamen Insel. Wir können also unsere Phantasiereise abbrechen. Aber die entscheidende Frage möchte ich trotzdem noch einmal stellen: Was würdest du auf eine Reise mit unbekanntem Ziel mitnehmen? Der Platz ist knapp, das zulässige Höchstgewicht darf nicht überschritten werden! Smartphone und ipod sind zum Glück so leicht, dass sie überall noch untergebracht werden können. Aber gehen wir einen Schritt weiter, gehen wir einmal weg von den Gegenständen, die dir wichtig sind. Weg von materiellen Dingen.

Was ist dir in deinem Leben so wichtig, dass du es immer dabei haben willst, dass du auf keinen Fall darauf verzichten möchtest? Was würdest du einpacken in einen Rucksack, der dich in deinem Leben begleiten soll. Was ist unentbehrlich? Es ist die Frage nach den „essentials“ in deinem Leben.

Und während ihr euch die Frage stellt, wird euch vielleicht etwas ganz Überraschendes klar: Der Rucksack, der da steht ist gar nicht leer. Er ist schon mit einigem gefüllt. Obwohl ihr noch nichts entscheiden habt, obwohl ihr noch keine Wahl getroffen habt.  Ohne euer Zutun ist ein großer Teil des Fassungsvermögens dieses Rucksacks schon ausgenutzt.  Kommt ihr darauf, was sich da alles findet?

Der Rucksack ist voll mit der Liebe eurer Eltern und eurer Familien. Mama und Papa, Oma und Opa – sie haben euch viel mitgegeben auf euren Lebensweg und sie hören nicht auf, für euch zu sorgen. Auch wenn es manchmal Streit gibt oder die Erwachsenen fürchterlich nerven – das ist überall so und das gehört auch dazu zum Familienleben mit Kinder, die erwachsen werden. In den ersten Jahren haben eure Eltern euch den Rucksack gepackt, wenn ihr in Urlaub gefahren seid – in den Familien Urlaub oder vielleicht auch schon allein auf eine Kinderfreizeit oder dann auf Klassenfahrt. Jetzt müsst ihr euren Koffer selbst packen. Und damit auch selbst bestimmen, was alles hinein soll  in den Rucksack und wohin es überhaupt geht. Natürlich habt ihr eure Eltern im Rücken, die euch gern beraten und mit euch zusammen überlegen, wie der Weg so aussehen könnte, den ihr gehen wollt.  Und irgendwann trennen sich dann auch örtlich eure Wege von denen eurer Eltern.  Aber auch dann ist die Liebe eurer Eltern und eurer Familien in eurem Lebensgepäck mit drin. Sie unverzichtbare Grundlage eures Lebens.

Und es gibt noch mehr zu entdecken in eurem Rucksack. Jetzt kommen neben den Eltern, Geschwistern und Großeltern auch die anderen Verwandten und Freunde dazu. Vielleicht auch eure Schulklasse oder eure Fußballmannschaft, die Pfadfindergruppe – die Gemeinschaft mit anderen Menschen. Die Zusammensetzung der Menschen wird immer mal wieder wechseln, ein Leben lang werden nicht alle mit euch unterwegs sein. Aber die Stärke, das Selbstvertrauen, die Zuversicht, die mir gute Freunde, eine Gemeinschaft geben, diese Zuversicht, die bleibt ein Leben lang.

Und noch jemand ist in eurem Rucksack: Gott. Er ist da, wenn ihr vor lauter Glück die ganze Welt umarmen könntet, er ist aber auch dann da, wenn sich dunkle Wolken vor die Sonne geschoben haben und tiefschwarze Schatten auf euren Lebensweg werfen. Gott ist da. Auf ihn könnt ihr vertrauen. Er ist und bleibt im Hintergrund für euch tätig.

Vielleicht werdet ihr Gottes Gegenwart in eurem Leben nicht immer unmittelbar spüren, es wird vielleicht Zeiten geben, wo er weit weg zu sein scheint. Manche von euch schauen schon jetzt auf ernste Erlebnisse zurück, wo man sich fragt: Wo ist Gott denn?

Das Erdbeben in Nepal oder der Krieg in Syrien, die Terroranschläge – es passiert so viel um uns herum auf dieser Welt, wo sich die Frage stellt: Ist Gott eigentlich mit uns auf unserem Lebensweg unterwegs? Oder sind wir nicht doch ziemlich allein?

„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinen Weg“ – Diesen  Vers aus Psalm 119 habt ihr im letzten Jahr öfters gehört – auch wenn ihr euch jetzt gerade vielleicht nichtdaran erinnern könnt.  Oft wird er im Gottesdienst am Ende der Schriftlesung gesprochen. 

Es gibt viele Wege: breite asphaltierte Straßen, holperige und krumme Wege, Einbahnstraßen und Sackgassen. Unser Lebensweg ist nie nur auf einen Typ Weg festgelegt. Es wird Zeiten geben, da ist mein Lebensweg genauso breit und super asphaltiert wie der Zieleinlauf bei einem Formel Eins Rennen, dann kann es aber Zeiten geben, in denen ich in einer Sackgasse feststecke oder mein Lebensweg ist eher holperig und krumm und es kostet unendlich viel Kraft einen Fuß den anderen zu setzen und diesen Weg zu gehen.  Was soll ich da in meinen Rucksack einpacken? Kann ich mich für alle Eventualitäten wirklich vorbereiten?

Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg!

Gott geht mit uns auf unserem Lebensweg. Auch wenn wir es nicht immer greifen können. Gott ist an unserer Seite. Aber er drängt sich nicht auf. Gott geht mit wie eine Freundin, wie ein Freund, die es ehrlich und gut mit uns meint. Der uns nicht vorschreibt, wie das Leben funktioniert.  Gott will uns stützen und stärken, uns aufrichten und weiter helfen.

Gottes Wort finden wir in der Bibel. Ihr habt euch im letzten Jahr mit ganz unterschiedlichen Geschichten aus der Bibel beschäftigt. Auf der Konfi-Freizeit zum Beispiel  mit dem Vater unser. Ihr habt euch Bibelverse für eure Einsegnung  ausgewählt, die eure Hoffnung und euer Vertrauen auf Gott ausdrücken und die zeigen, was ihr euch für euer Leben wünscht.  Allen diesen Sprüchen, die wir gleich bei der Einsegnung noch hören werden, ist gemeinsam, dass sie davon sprechen, dass Gott uns Menschen nicht allein läßt. „ist Gott für mich, wer kann gegen mich sein?“ Bei allem, was uns in dieser Welt begegnet, bei allem, was uns ängstigt und uns manchmal an uns selbst, an den Menschen und an Gott  zweifeln oder sogar verzweifeln lässt, zeigen die Bibelworte, die ihr ausgewählt habt, dass Gott auf unseren Wegen mit uns ist, dass er uns nicht in der Sackgasse zurück läßt und uns nicht aufgibt. Gott geht jeden Schritt auf unserem Lebensweg mit. Das ist tröstlich und kann Mut machen und es kann uns dazu motivieren, nicht alles immer als gegeben hin zu nehmen, nicht nur in der grauen Masse mit zu schwimmen, sondern Verantwortung zu übernehmen auf unserem Lebensweg für uns selbst, aber auch für  das, was uns auf unserem Lebensweg begegnet, in unsere, Freundeskreis, in unserer Stadt, in der Welt.  „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Röm 12,21“ Mit der Konfirmation seid ihr auch ein Stück mehr Erwachsen geworden und dazu gehört es Verantwortung zu übernehmen und verantwortlich zu leben. Ihr geht eigenständig euren Weg in die Zukunft. Gottes Wort als Licht auf eurem Weg kann euch dabei helfen euren Lebensweg zu sinnhaft zu gestalten für euch und für andere Menschen. Das ist ein Gewinn.

Wie ihr seht, ist in eurem Rucksack schon einiges an Überlebensgepäck drin. Es ist natürlich noch Platz für eure ganz speziellen Ziele und Wünsche. Ihr seid mit eurem Rucksack auch nicht allein unterwegs. Viele andere sind mit euch unterwegs. Andere, die Kraft und Rückhalt im Glauben erfahren, die die Liebe Gottes in die Tat umsetze wollen und nicht vor den ganzen negativen Schlagzeilen resignieren. Viele Christinnen und Christen sind gemeinsam unterwegs, denn Gemeinschaft stärkt und gibt Halt auf dem Lebensweg.  Ich wünsche euch, dass ihr den Kontakt zur Gemeinde haltet, denn bei allen Fehlern, die unsere Kirche, das  gebe ich gern, zu hat, gibt es doch genug Grund, gern und mit Freude evangelisch zu sein.

zur Konfirmation am 17.5.2015 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes,

die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

Liebe Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden und liebe Gemeinde,

das ist ein besonderer Festtag heute. Wir alle haben schon eine lange Zeit auf ihn zu gelebt. Dieser Tag steht am Ende eines Jahres, das für uns alle beides ist: ein kurzes und zugleich ein unglaublich erfülltes Jahr. Ist es vielleicht gerade deshalb so kurz gewesen, weil so Vieles geschehen ist? Im besten Sinne also ein kurz – weiliges Konfijahr? Das könnte sein….

Wie auch immer - wenn ich zurückdenke an unsere gemeinsame Zeit, so waren die Stunden mit euch immer lebendig. Sie waren nie langweilig. Und ihr hattet immer soo viel zu erzählen….

Und heute all das aufzuzählen, was wir gemeinsam erlebt haben oder was Ihr auch mit Frau Talmon erlebt habt, die mich so manches Mal vertreten und unterstützt hat, das geht gar nicht. Doch an Einiges möchte ich mich heute noch einmal mit Euch erinnern.

Ihr habt Gemeinschaftsspiele gespielt am Anfang. So habt Ihr Euch näher kennengelernt und seid zu einer Gruppe zusammengewachsen. Auf diese Weise hat sich auch erfüllt, was eine von Euch zu Beginn zum Ausdruck gebracht hat, als sie schrieb: „Ich wünsche mir von unserer Gruppe, dass wir Spass haben und eine Gemeinschaft sind.“

Ihr habt Euch Ich – Kisten gebaut; jede und jeder von euch. Dabei seid ihr Euch klarer darüber geworden, wer Ihr selbst als Person seid und was zu Euch gehört. Ich wünsche Euch, dass diese Kiste Euch weiter begleitet. Dass Ihr z.B. die Merksätze dort hineinlegt, die Ihr notiert habt, als Extrakt unserer Konfistunden und die Glückwunschkarten, die Ihr heute zu Eurer Konfirmation bekommen werdet, und den Konfipass. So kann Eure Ich – Kiste zur Erinnerungsbox werden an eine wichtige Zeit Eures Lebens.

In dem Feedback zur Konfizeit habt Ihr geschrieben, dass Euch die Projekte gut gefallen haben, die ihr Euch ausgesucht hattet: ob es der Besuch im Dialogmuseum war oder das Klettern an den Eschbacher Klippen. Ob Ihr Bad Nauheim auf seine Barrierefreiheit geprüft habt oder einen Konfigottesdienst mitgestaltet habt. Ob Ihr geholfen habt beim Gottesdienst mit der Kirchenmaus oder bei einem Familiengottesdienst. Es ist viel passiert in diesem einen Jahr. Es war eine intensive Zeit. 

Ihr habt wahrhaftig nicht nur im Unterricht gesessen und habt nachgedacht; Ihr habt auch ein großes Zeichen der tätigen Nächstenliebe gesetzt, habt Euch praktisch eingesetzt. Denn Ihr habt alle Euren Mut zusammengenommen, habt als Kleingruppen Eure Hemmungen überwunden und seid über Euch selbst hinausgewachsen, als Ihr Spenden gesammelt habt für die zutiefst bedürftigen Menschen in unserer Stadt. Alle drei Gruppen haben dabei eine Summe von 937 Euro zusammen bekommen. Das Diakonische Werk dankt Euch herzlich dafür: Ihr habt Mut und Durchhaltekraft bewiesen! Und es dankt allen, die ihre Spende für diese wichtige Arbeit gegeben haben!

Ich freue mich auch darüber, dass Sie, liebe Eltern, manche Angebote wahrgenommen haben, die wir in diesem Konfijahr für Sie geplant haben. Das waren besondere und intensive Begegnungen. So sind viele neue, schöne Kontakte entstanden.

Nun ist die Konfizeit zuende. Alle Konfipässe sind ausgefüllt. Was wird nun bleiben aus der gemeinsamen Zeit? Welche Werte nehmt Ihr mit in Euer Leben, das viele Abenteuer und Herausforderungen für Euch bereit hält?

Die Antwort auf diese Fragen hat mit alle dem zu tun, was heute hier auf der Kanzel steht. Eine blaue Hortensie. Ein grüner Efeu und rote Rosen. Blau, grün und rot. Diese prachtvollen Pflanzen haben es zu tun mit dem Predigttext von heute. Mit dem, was Paulus im 1. Korinther 13 schreibt:

„Die Liebe hört niemals auf. Die Erkenntnis wird schwinden und unser Wissen von Gott ist Stückwerk. Jetzt kennen wir Gott nur unvollkommen, dann aber werden wir ihn völlig erkennen, so wie er uns jetzt schon kennt. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Am größten jedoch ist die Liebe.“

Für den Glauben, für die Hoffnung und für die Liebe stehen diese Pflanzen und Blumen. Blau: das ist die Farbe des Himmels. Der Unendlichkeit. Die Farbe der Treue und des Glaubens. Das Blau steht für den Glauben. Das Blau lädt Euch heute ein: vertraut Euch Gott an – mit Eurem ganzen Dasein. Mit Eurem Glück wie auch mit Euren Fragen. „Für mich ist Gott wie die Sonne. Für mich ist er immer da.“ So habt Ihr Gott in Eurem Vorstellungsgottesdienst beschrieben. Darum: lasst diese Sonne weiter in Eurem Leben scheinen. Ihr werdet merken, dass sich Euer Glaube im Laufe des Lebens verwandelt. Er muss sich auch mit Widerständen auseinandersetzen: in Zeiten der Not oder wenn Zweifel kommen und Fragen, die sich nicht so einfach beantworten lassen. Aber auch durch solche Zeiten wächst der Glaube. Lasst ihm Zeit dafür.

Jürgen Klopp, der Noch – Trainer von Borussia Dortmund, sagt über den Glauben: „Für mich ist der Glaube an Gott wie ein Fixstern, der immer da ist. Gott ist ein treuer Begleiter, der dir oft genau dann Kraft schenkt, wenn du gar nicht mehr damit rechnest. Der Glaube ist aber auch ein starker Rückhalt, der mir die Lockerheit gibt, mit einem Lächeln und dem nötigen Vertrauen durchs Leben zu gehen.“ 

Grün: das ist die Farbe der Natur. Die Farbe der Hoffnung. Das Grün ist gut für die Seele. Es tut gut, es beruhigt, in der Natur zu sein. Im Grünen. Es macht den Kopf wieder frei. Grün steht für die Hoffnung. Die Hoffnung hilft uns leben. Wir brauchen sie in der Tat zum Leben wie die Luft zum Atmen. Lasst das Grün der Hoffnung weiter bei Euch wachsen: hofft weiterhin darauf, dass die Menschlichkeit in unserer Welt stärker bleibt als die Unmenschlichkeit. Lasst Euch nicht davon abbringen, dass es möglich ist, diese Welt zum Besseren zu verändern. Und ich hoffe, dass Ihr uns, die Erwachsenen, dabei so erlebt, dass wir mit Euch zusammen diese Welt verändern und von falschen Wegen umkehren. Lasst Euch von niemandem die Hoffnung nehmen, dass es lohnt, für eine gute Zukunft zu streiten.

Und nun vor allem das Rot. Das Rot der Rosen ist die Farbe der Liebe und des Festes. Ohne Liebe können wir nicht sein. Sie ist unser Lebenselixier. Auch wenn wir manchmal an ihr leiden - sie treibt unser Leben an. Das Rot der Liebe sagt Euch heute: ihr seid von Gott geliebt. An jedem Tag Eures Lebens. Vertraut auf diese Liebe Gottes. Sie macht Euch stark. Und Gottes Liebe will auch in Euch wachsen. Er traut Euch zu, dass Ihr seine Liebe hineintragt in unsere Welt. Er weiß, dass Ihr das könnt. Er benötigt Euch. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten dazu. So wie Ihr es im letzten Jahr gelernt habt. Und wie es Augustinus, der Kirchenvater, gesagt hat: „Liebe und dann tu, was du willst.“ Nehmt Gottes Liebe mit in Euer weiteres Leben.

Und sollte es Euch passieren, dass Euch einmal der Glaube abhanden kommen will oder die Hoffnung oder die Liebe - dann erinnert Euch daran, dass sie alle drei seine Gaben sind. Seine Geschenke für uns. Dann bittet Gott darum, dass er Euch seine Gaben von neuem schenkt.

ER wird es tun.

Und sein Friede, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

zu Ostersonntag 2015 von Pfarrer Rainer Böhm

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

“Sie flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.”

Das ist der Schluss des Markusevangeliums.

Die Verse danach haben spätere Leser dem Evangelium hinzugefügt. Sie sagten sich: So kann das Evangelium nicht enden. Es ist eine frohe Botschaft - und Markus sagt: Sie fürchteten sich.

Ganz anders Matthäus. Der Auferstandene erscheint den Jüngern und spricht zu Ihnen “siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Das ist tröstlich.

Oder Lukas: Der Auferstandene erscheint den Jüngern, er fährt in den Himmel. Die Jünger „waren allezeit im Tempel und priesen Gott„.

Österliche Gemeinde, wie sie sein soll. Ein gutes Vorbild.

Und Markus: „Sie fürchteten sich.“

Spätere Leser haben nach dem Muster von Matthäus und Lukas dem Markusevangelium einen tröstlichen Schluss angehängt. Damit haben sie durchaus im Sinne des Markus empfunden. Er wollte wohl das persönliche Osterbekenntnis herausfordern. Nur dass ein paar Leser sehr weit gegangen sind, indem sie sein Evangelium veränderten.

Furcht, Zittern und Entsetzen hatte die Frauen ergriffen. Es ergreift uns auch oft: Wenn wir es mit dem Tod zu tun haben: so wie in den letzten Wochen bei diesem Flugzeugabsturz. Oder wie zuletzt an einem Grab, als wir dort standen. Oder dann dieser Sturm der letzten Tage. Mit Entsetzen reagiert in der Bibel ein Mensch, wenn er Gott begegnet. An ihrem Entsetzen erkennen wir, dass die Frauen wirklich Gott begegnet sind. Beschrieben wird es nicht. Der Stein, der die Grabkammer verschlossen hat, ist einfach weg. Wir erfahren nicht, wie.

Ein Jüngling in weißem - himmlischem - Gewand, sitzt - thront - im Grab, auf der rechten Seite - der glückverheißenden, der Seite des Lebens.  Ist es ein Engel, ein Bote Gottes, der Auferstandene?

Sie entsetzen sich. Er sagt: Entsetzt euch nicht! Typischer Engelgruß. So spricht der Herr: Fürchte dich nicht; der Herr ist mit dir. Entsetzt euch nicht. Er ist auferstanden. Sie entsetzen sich.

Es ist kein Leichnam da. Wie das kommt, erfahren wir auch nicht. Er ist nicht hier, nicht im Grab. Seine Anhänger sollen nicht einen toten Helden verehren. Es ist nichts da, was man in einer Vitrine aufbewahren kann. Das geht nur mit Totem. Der Herr aber ist auferstanden, er lebt auf neue Art.

Sie verstehen nicht, fürchten sich. Diese Reaktion ist angemessen, weil etwas ganz Großes geschehen ist, das alles Begreifen übersteigt. Der Tod ist verschlungen vom Sieg. Das Leben triumphiert.

Sehr früh, die Sonne geht auf. Der Sabbat, die Ruhe im Grab ist vorüber. Es ist der 1. Tag der neuen Schöpfung. Ein neuer Anfang ist geschehen. Das Osterlicht ist schon aufgegangen über den Frauen. Sie sind aber noch in den Gedanken an den Tod gefangen - wie wir. Sie bringen zwei Dinge mit zum Grab wie wir.

Zum einen: Wohlriechende Öle.

Der Wohlgeruch soll den Tod überdecken, damit er irgendwie auszuhalten ist. Wir wollen etwas tun, mit dem Guten, Schönen und Wahren umgehen, sind bereit, etwas Wertvolles zu opfern. Eigentlich wird der Leichnam vor der Bestattung einbalsamiert. Dazu war am Freitag keine Zeit mehr. Aber auch Jesus ist für sein Begräbnis und als König gesalbt worden, schon in Betanien. Nun geht das nicht mehr.

Ostern bedeutet zuerst, den Tod wirklich wahrzunehmen. Er ist das Nichts. Es bleibt nichts mehr zu tun. Auch darüber entsetzen wir uns. Wir sind noch mit dem Vergangenen und Vergänglichen beschäftigt. Das ist umsonst. Wir können ihn nicht wie ein Museumsstück bewahren. Er ist der Herr, er lebt, er ist nicht tot.

Zum andern: Wir bringen unsere Sorgen mit.

Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Er ist sehr groß. Der Angststein liegt auf unserer Seele. Vom Grab ist er schon entfernt. Wir denken, das ist zu einfach. Es darf nicht so leicht sein. Wir wollen etwas leisten. Mit unseren Anstrengungen vergrößern wir die Sorge nur, immer unsicher, ob es wohl genügt.

Neue Lebensmöglichkeiten schenkt allein Gott. Wir entsetzen uns darüber, dass all unsere Sorge umsonst ist. Das ist aber eine heilsame Erkenntnis.

Nun bekommen die Frauen zwei Dinge aufgetragen und wir mit ihnen:

Geht und sagt.

Geht zu den andern. Tut euch zusammen, die ihr zu ihm gehört. Geht ins Leben, denn da ist er. Er wird euch vorangehen. Ausgrabungen in den Grabkammern von Sorgen und Schuld, Verehrung von Totem - das bringt nur Furcht und Zittern. Bleibt nicht beim Grab stehen. Geht nach Galiläa.  Galiläa ist die Alltagswelt im Evangelium. Jerusalem ist der Ort der Feste. Da kann man nicht immer bleiben. In Galiläa ist Jesus mit ihnen gewandert, hat Vergebung zugesprochen und geheilt.

In unserem jeweiligen Galiläa, in unserer Alltagswelt erwarten wir genau das von ihm. Er geht alltäglich mit uns, steht uns zur Seite in unserem unfeierlichen Dasein.

Der Angststein schließt unser Herz ab wie ein dunkles Grab. Für uns allein ist er viel zu schwer. Wegwälzen kann ihn nur ein anderer. Er geht euch voran in den neuen Morgen.

Geht und sagt es euch gegenseitig.

Einer sagt dir: Bleib nicht im Dunkeln zurück. Das Osterlicht scheint schon. Geh in deinen Alltag, er wird dir vorangehen und dir den Weg zeigen. Das Wort richtet dich auf, du kannst nicht sagen, wie. Aber dein Herz wird leicht. War es ein Engel, der zu dir sprach, ein Bote Gottes, der Auferstandene?

Jesus hatte bei Wundern Schweigen geboten. Keiner hatte sich daran gehalten, sie haben geredet.

Jetzt wird ihnen geboten zu reden und sie schweigen.

Schweigen ist allemal besser als verständnisloses Plappern. Das Auferstehungswunder entzieht sich allen Begriffen. Wir sind sprachlos.

Irgendwann werden wir genug geschwiegen haben. Das Entsetzen wird weichen. Dann werden wir reden können.

Es wird Morgen werden, wir werden einen Weg erkennen. Wir werden gehen und sagen.

Das Evangelium bekommt viele persönliche Schlüsse, deinen und meinen.

Deshalb lässt Markus das Ende offen. Er kann es nicht für uns schreiben. Keiner kann das für den anderen vorschreiben. Jeder hat seinen eigenen Ausgang aus dem Grab. Mit jedem findet Gott einen Weg ins Osterlicht.

Wir sollen das Evangelium nicht zuklappen und sagen: Unglaublich war das damals. Wir schreiben es fort. Es weist in unser jeweiliges, ganz normales Leben. Da findet das Evangelium seine Fortsetzung. Die drucken wir nicht in die Bibel, wie es vor langer Zeit einige mit dem Markusevangelium getan haben. Das Evangelium hat einen offenen Schluss. Offen für Gottes Weg mit jedem einzelnen. Der Herr ist auferstanden.

Amen.

zur Christvesper 2014 von Pfarrer Rainer Böhm

Wie Josef schon – Weihnachten zu Hause sein … 

 „Es begab sich aber zu der Zeit,.."                           Lk 2, 1 - 20 

Liebe Gemeinde am Heiligen Abend, 

1. Sie haben diese Worte unzählige Male gehört, selber vorgelesen, gespielt gesehen. Man sollte meinen, irgendwann reicht´s. Es ist alles gesagt, alles bedacht! Aber kaum beschleicht einen solche ketzerische Ehrlichkeit, geschieht etwas Merkwürdiges: Die Geschichte wird wach, unruhig, lebendig wie ein Kind, das ins Bett soll. Hast du dich eigentlich schon mal gefragt, fragt Sie die Weihnachtsgeschichte, warum dieser Josef zu dieser allerersten Weihnacht nach Hause fährt? ...da machte sich auf auch Josef aus Galiläa ... in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war ... Warum wollen Josef und seine junge Frau Weihnachten im Heimatort sein? Wegen der Volkszählung? Diese Begründung traf schon zu Lukas´ Zeiten nicht ganz ins Schwarze. Die Zählung wurde von vielen Juden boykottiert. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa. Vielleicht, überlegt die Weihnachtsgeschichte, vielleicht fährt auch Josef nach Hause, weil ihn dasselbe seltsame Heimweh befällt wie uns. Zugegeben, es ist ein Gedankenspiel. Aber lassen Sie uns doch mal davon ausgehen.

Kennen Sie auch diese eigenartige Gravitationskraft? Weihnachten wollen alle zuhause sein, unter Freunden, mit den Kindern, den Großeltern, Geschwistern. An einem der Feiertage braucht es die Wiedervereinigung. Wenn es ausfällt, dann fehlt was. All die amerikanischen Driving-home-for-Xmas-Sentimentals würden längst nicht mehr gespielt, wenn es anders wäre. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa ... in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem. Das Christkind kommt zuhause in Bethlehem zur Welt, wo Josef her ist und wo seine Familie lebt, das entschieden die ersten Christen. So war´s verheißen. Da gehört es hin. So hat Lukas es uns in die Weihnachtsgeschichte geschrieben. 

2. Dabei wissen wir: Das biblische Weihnachten lässt sich nicht in Wohnzimmern einsperren. Es ähnelt unseren Tagesschaunachrichten auf schauderhafte Weise. Kindermassaker, Söldner und Milizen, Flüchtlingsdramen - das ist die Kulisse der ersten Weihnacht. Und was uns nahe geht, das sind die Menschen: Maria und Josef, Hirten und Weise, denen sie später Namen gaben, und die an Heiligabend zur Familie gehören, auch wenn sie so ein komisches Deutsch sprechen: Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging vom Kaiser Augustus... - wissen Sie noch, wo Sie das zum ersten Mal gehört haben? Daheim, im Licht der Kerzen? Oder in der Kirche in Ihrem Ort? Wie alt waren Sie da? Roch es nach Tannengrün, Harz und Streichhölzern? Wurde gesungen? Was wurde gegessen? Was war das erste Weihnachtsgeschenk, an das Sie sich erinnern? Und wer war damals dabei, wer gehörte zu Weihnachten dazu?

Wenn wir im hohen Alter allmählich unser Gedächtnis verlieren, gehören Weihnachtserinnerungen zum letzten Wachbestand. Weder Erwachsenenklugheit noch Lebenserfahrung können das löschen oder lächerlich machen. Luthers Sprache und Weihnachtsmelodien lösen eine Bilderflut in der Seele aus. Weihnachten holt zusammen, was zusammen gehört. Und manchmal, in stillen Minuten des Festes, stellen sich sogar jene ein, die gar nicht mehr da sind, aber früher immer dazu gehörten. Es mag kitschig klingen, aber es ist so: Weihnachten ruft uns heim, und zu Weihnachten sollte man zuhause sein. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa...in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war...mit Maria. 

3. Und genau an diesem Punkt, wo es so richtig familiär und idyllisch wird, genau da schiebt die Weihnachtsgeschichte das nächste Stück Realität nach. Als Maria und Josef daselbst - d.h. zuhause, in Bethlehem - waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Josef und Maria kommen nach Hause und passen irgendwie nicht rein. Sie kommen heim, wollen ihre Plätze einnehmen, in ihre Weihnachtsrollen schlüpfen und stellen fest: Das passt nicht mehr wie angegossen. Ich platze aus den Nähten. Alle erwarten, man sei ganz der Alte, und man ist eben nicht mehr so wie früher. Josefs Eltern bleiben Eltern ihres Sohnes, aber es ändert sich etwas, wenn die Kinder selber Eltern werden. Maria hat ein eigenes Kind dabei, das Platz braucht, das Prioritäten verschiebt. Die Weihnachtsgeschichte erzählt, Maria und Josef kommen nach Hause, und dann ist kein Platz. Und was passiert: Die drei werden nach unten geschickt, zwischen die Schafe und Ziegen, dorthin, wo im Haus der Stall war. Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Auch wenn es bei uns nicht so ist: aber immerhin! Während wir hier zum Gottesdienst beisammen sind, gibt es auch die Unglücklichen. Menschen, die an Heiligabend heimatlos sind. Die Patienten in Krankenhäusern und Reha-Kliniken, in einer fremden Stadt über die Feiertage. Diejenigen, die sich in dem alten Fest nicht mehr zu Hause fühlen können. Die Trauernden, die nun alleine sind. Und denken Sie nur an die Leute, die als Flüchtlinge in unsere Stadt gekommen sind, und von denen nicht wenige bis vor kurzem Weihnachten als Familienfest gefeiert haben. Und jetzt gibt's kein Zuhause mehr, nur ein Zimmer mit fremden Möbeln, und eine Umgebung, die nicht weiß wohin mit ihnen. - Es gibt viele Menschen, die heute das Gefühl haben, nicht reinzupassen. Die spüren: es ist kein Raum in der Herberge

4. Menschen brauchen ein Zuhause. Zugleich sorgt das Leben dafür, dass wir keine bleibende Stadt haben. Das ist der Heiligabendspagat. Die Weihnachtsgeschichte erzählt, die Lösung liege nicht in unserer Hand. Zur Lösung brauche es Hilfe von außen, brauche es einen Löser. Einen Er-Löser, in Luthers Bibeldeutsch einen „Heiland". Und es braucht einen himmlischen Boten, einen „Engel des HERRN", der für Klarheit sorgt, der sagt, was gesagt werden muss: Ihr könnt das Problem nicht lösen. Ihr könnt euer Zuhause nicht konservieren. Ihr könnt die Zeit nicht anhalten und nicht zurück drehen, dass alles ist wie früher. Weihnachten heißt nicht, wir feiern uns und das, was einmal war. Euch ist heute der Heiland geboren, der Erlöser, der Lösungswege weist und bahnt. Weihnachten, sagt der Engel, ist etwas, was heute geschieht. Gott selbst mogelt sich in unser Leben, in dem nichts bleibt, wie es ist. Gott sucht sich einen Platz in der Welt, die keinen Platz für Gott hat. Der große Himmel macht sich winzig und kriecht in die kleinste Hütte, ins engste Zimmer, und ins einsamste 200-qm-PenthouseAppartment. Es braucht eigentlich weder Lametta noch Festtagsreden – in einem Stall schafft Gott sich Raum, und Sein Zuhause. Und sagt: ICH bin da. Mach dir keine Sorgen, du musst MICH nicht einquartieren. ICH bin da.

Und wenn Sie heute Abend und in diesen Festtagen die Häupter Ihrer Lieben zählen, und es fehlt jemand; jemand, den Sie wirklich vermissen, weil sie/er wichtig war und es ohne sie/ihn irgendwie nicht richtig Weihnachten werden will, dann lesen Sie die alte in- und auswendig bekannte Bibelgeschichte noch einmal nach, Wort für Wort. Und dann werden Sie merken, wie aus dem leeren Platz eine Chance wird.

Sagen Sie: Lieber Gott, mir fehlt jemand. Hier ist Raum in der Herberge. Und Gott wird sagen: Das trifft sich gut! ICH komme!

Amen

am 9.2.2014 von Pfarrerin Susanne Pieper

Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn und Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

Licht macht Laune. Das Licht beeinflusst die Stimmung. Je mehr und je länger die Sonne scheint, umso besser fühle ich mich. Wolkenverhangene Tage dagegen schlagen mir aufs Gemüt. Und je trüber ein Tag ist, umso mehr freue ich mich über jedes Licht.

Licht macht Laune. Daran erinnern mich an jedem Tag die kleinen Sonnenkollektoren in unserem Vorgarten, auf dem Weg vom Pfarrhaus zum Gemeindeamt. Wie Steine sehen sie aus. Ihre Solarzellen nehmen das Tageslicht auf und geben es umso heller in der Dämmerung und in der Dunkelheit ab. Manchmal richte ich dann beim Anblick dieser kleinen Sonnenfänger meinen Blick nach innen. Und frage mich: „Leuchtet eigentlich auch etwas in dir? Wie ist es eigentlich mit dem Licht in dir bestellt?“

Vom Licht, vom Glanz außerhalb und im Inneren des Menschen spricht auch der Predigttext dieses Tages. Er ist uns vorgeschlagen aus dem 2. Petrusbrief 1,16-19:

„Wir sind nicht ausgeklügelten Märchen gefolgt, als wir euch die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus bekannt gemacht haben. Sondern wir haben seine Herrlichkeit selbst gesehen.

Er empfing von Gott ,dem Vater, Ehre und Preis durch die Stimme, die zu ihm kam von Gottes Herrlichkeit: ‚Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.‘  Diese Stimme, die vom Himmel kam, haben wir gehört, als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren.

Umso fester haben wir in uns das profetische Wort, und ihr tut gut daran, darauf zu achten. Es ist wie ein Licht, das scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“

Ein geheimnisvoller, ein poetischer Text.

Der Verfasser dieses 2. Petrusbriefes wendet sich an die Christen des beginnenden 2. Jahrhunderts nach Christus. Sie sind schwer verunsichert. Denn die Wiederkunft Jesu, mit der sie längst gerechnet haben, ist immer noch nicht eingetroffen. Sie warten. Und sie sind dem Spott ausgesetzt - dem Spott ihrer Zeitgenossen, die sich über sie lustig machen und sich über sie überheben, und die das Naheliegende aussprechen: wenn die angekündigte Parusie, die angekündigte Wiederkunft eures Jesus nicht eintrifft, dann stimmt auch alles Andere nicht an eurem Glauben.

Dagegen nun wirft der Verfasser unseres Briefes mehrere Argumente in die Waagschale. Er erinnert daran, dass „tausend Jahre vor Gott sind wie ein Tag und ein Tag wie tausend Jahre“ (Psalmen), dass es ein Zeichen von göttlicher Barmherzigkeit ist, wenn er den Menschen bis zur Ankunft Christi noch mehr Zeit lässt, um zu Gott umzukehren. Und er verweist darauf, dass trotz aller zeitlichen Verzögerung der Glaube an Gottes kommendes Reich ungebrochen ist. So heißt es auch im selben Brief:“ Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt.“

Das Neue also wird kommen, so sicher, wie die Augenzeugen einst die Verwandlung Jesu auf dem Berg Tabor gesehen haben, so sicher, wie der Himmel und die Erde sich in diesem besonderen Moment nahegekommen sind, wie sie sich berührt haben.

In unserem Brief macht der Verfasser den verunsicherten Christen Mut. Er tut es in sehr poetischen Worten, wenn er sagt: „Achtet auf Gottes Wort wie auf ein Licht, das an einem dunklen Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen.“

Der Morgenstern - zur Zeit und besonders am 15. Februar sieht man ihn, die Venus, besonders hell am Sternenhimmel, bevor die Sonne aufgeht.

Ursprünglich waren der Tagesanbruch und das Aufgehen des Morgensterns biblische Symbole für ein künftiges, kosmisches Geschehen. Doch nun lesen wir: holt dieses kosmische Geschehen schon jetzt in eure Gegenwart, holt es in euer Herz. Das meint: haltet euch mental nicht auf in einer fernen Zukunft. Überlasst die Wiederkunft Jesu ruhig Gott. Haltet euch auch nicht nur in der Vergangenheit auf, sondern seid mit allen Sinnen in eurer Gegenwart. Holt das Licht des künftigen Geschehens schon heute in euer Herz. Hier und heute lebt ihr. Hier und heute ist es eure Aufgabe, euer Leben zu gestalten. Gottes Wort und Gottes Licht ist ja auch heute schon für euch da!

So fordert der 2. Petrusbrief auch uns heute auf, die Jetzt – Zeit wahrzunehmen und mit zu prägen. In unseren Berufen, in unseren Familien, in unserer Gemeinde, in unserer Gesellschaft. Dieser Brief macht uns Mut, heute bewusst zu leben und uns nicht an eine ferne Zukunft zu verlieren. Aktiv zu sein - so lange, bis Gott etwas Anderes geschehen lässt. „Und wenn morgen die Welt unterginge, so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“

In der Jetzt – Zeit erfüllt und lebendig leben, das möchten wir ja auch. Es ist eine große Sehnsucht in uns, erfüllt zu leben. Es ist eine große Sehnsucht in uns, mit Freude und Zufriedenheit zu leben, innerlich lebendig zu sein, das Licht in uns zu haben. Im Grunde ist eine große Sehnsucht in uns, Gottes Licht in unserem Leben zu finden.

Liebe Gemeinde, ich habe mich gefragt: wie können wir Gottes Licht in unserem Leben entdecken? Wie ist das möglich?

Drei Beispiele sind mir dazu eingefallen.

  • Wir finden Gottes Licht in unserem Leben, wenn wir wieder einmal Zeit haben. Wenn wir spüren: wir können einfach einmal da sein. Nur da sein, ohne Zweck. Ohne das Abhaken von unseren To –Do – Listen. Einfach so. Einatmen und ausatmen. Das muss ja nicht nur im Urlaub sein. Es kann ja auch zwischendurch geschehen. Da fällt Gottes Licht in unser Leben.
  • Wir können Gottes Licht in der Musik finden. Musik hören oder gemeinsam singen - da kann Gottes Licht in unser Leben fallen. Kürzlich traf ich einen älteren Herrn, der Mitglied in der Kantorei unserer Gemeinde gewesen ist. Voller Freude, mit strahlenden Augen erzählte er mir: “ Ich bin so froh, dass ich im letzten Jahr noch die Schöpfung von Haydn mitsingen konnte!
  • Göttliche Lichtmomente finden wir auch in guten Gesprächen, in Begegnungen, wo wir spüren: da wendet sich jemand mir ganz zu, ist ganz bei mir und nimmt mich ernst. Fröhliche Feste gehören auch dazu: vielleicht ein Tauffest, ein besonderer Geburtstag oder ein Ehejubiläum. Lichtvolle Momente, diamantene Zeiten sind das, und der Dank dafür macht unser Leben hell.

Vom 2. Petrusbrief her hören wir es: „Lasst das Lichtvolle, lasst das Glanzvolle in euer Herz und lasst es groß werden! Daraus gewinnt ihr die Kraft für euren Alltag. Und ihr müsst dabei nicht nur von eurer Erinnerung leben. Gott schenkt euch mehr! Gott schenkt euch heute sein Wort. Es ist das Wort von seinem Sohn, der den Himmel auf die Erde gebracht hat, der den Menschen mit Liebe begegnet ist und mit Verständnis, der sie gelehrt hat, was Versöhnung heißt und wie der Frieden möglich ist.  Dieses fleischgewordene Wort Gottes ist und bleibt das Licht eures Lebens. An ihm könnt ihr euch ausrichten.“

Licht schenkt uns Gott auch mit dem Wort der Bibel. Ich denke dabei an eine Frau aus unserer Gemeinde, die vor einigen Jahren aus Kasachstan nach Deutschland ausgewandert ist. Dort, damals, unter kommunistischer Herrschaft, hatte sie zusammen mit ihrem Mann eine kleine Hausgemeinde geleitet. Aus dieser Zeit hatte sie ein Notizbuch aufbewahrt - vollgeschrieben mit Auslegungen zu vielen Bibelstellen. Dieses Buch hatte sie mitgenommen nach Deutschland - eine von wenigen Habseligkeiten, mit denen sie gekommen war. Es war ein Buch voller Licht, für sie und nun für ihre Familie.

Licht schenkt uns Gott mit seinem Wort. Wir können uns mit diesem Wort beschäftigen. Können auf den Worten der Bibel herumkauen, wie D. Sölle es einmal sagte, können auch mit ihnen kämpfen. Und wenn wir wieder etwas mehr von ihnen verstanden haben, dann wird Gottes Wort in uns leuchten; es wird uns und den Menschen um uns herum Hoffnung schenken. Wir werden es erleben.

…Ach ja, und wenn ich wieder vorbeigehe an den Sonnenfängersteinen bei uns, vor dem Haus, und wenn ich unterwegs bin zum Gemeindeamt oder zur Post oder zum Hausbesuch, dann werde auch ich mich erinnern, welches Licht in mir leuchten kann: Gottes gutes Wort, das mich anspricht, das mir den Alltag hell macht. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

am 4.3.2012 von Pfarrer Dr. Ulrich Becke

Predigt an Reminiscere 4.3.12 Dankeskirche

Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.

Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.

Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.

Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg!

Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?

Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.

Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.

Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.                       (Jes 5, 1 – 7)

Liebe Gemeinde, 

die Stimmung ist feucht-fröhlich in Jerusalem: das alljährliche Weinfest wird gefeiert – genau wie bei uns in Bad Nauheim im Sprudelhof. Obwohl das eigentlich ein religiöses Fest ist wie unser Erntedankfest, ist es doch auch wie jedes Weinfest ein Ort der Ausgelassenheit. Kaum einer ist nüchtern, das Mittrinken scheint eine religiöse Pflicht zu sein wie in der jüdischen Tradition am Vorabend des Schabbat, an Pessach und beim Purimfest. Uns offiziell asketischen Protestanten, die wir oft lieber sieben Wochen ohne (oder gar 52 Wochen ohne…) leben, kommt das komisch und unverständlich vor.

Aber: harte Arbeit liegt hinter den Winzern. Wenn sie religiös sind (und das sind damals auch nicht alle), sehen sie den Weinstock als großes Gottesgeschenk – und für die anderen ist er eben eine hohe Kulturgabe. Trauben gehören im alten Israel zu den so genannten sieben Früchten des Landes. Das sind in der Bibel Weizen, Gerste, Feigen, Granatäpfel, Oliven, Datteln und eben Trauben – also die Ernte des gelobten Landes, in dem Milch und Honig fließt. Überschäumende Feststimmung herrscht also in der Stadt und auf dem Land  an diesem Tag. In Jerusalem tritt nun, zunächst unbemerkt, einer hinzu, der nicht unbedingt beliebt ist beim Volk (und auch nicht bei den Herrschenden: Jesaja, der Mahner und Kritiker im Auftrag Gottes.

Als sie ihn erkennen, stoßen die Leute sich verstohlen an: was will er hier, er, der Land und Leute kritisiert und mahnt? Die Leute niedermachen wegen ihrer Fröhlichkeit? Askese predigen, wo alle feiern? Will er wieder der Störenfried sein? Gesichter und Blicke werden hart. Dann kommt jedoch die große Überraschung: Jesaja greift zur Laute und beginnt zu singen. Es wird schnell still vor lauter Überraschung, der Coup scheint gelungen.

Aber: Was singt er denn da? Von seinem Freund und dessen Weinberg? Großes Gegröle, einander Anstoßen und allgemeine Erleichterung. Klar, das kennt doch jeder! Weinberg und Besitzer: das sind bekannte Bilder, Bilder für einen Mann und seine Geliebte. Für uns heute ist das schwierig zu übertragen, ich versuche es:

Es ist Weinfest in Bad Nauheim im Sprudelhof. Der Sänger singt: „Mein Freund hat einen Hasen, der hat ziemlich viel Holz vor der Hütte“. Der Sänger meint keinen Brennholzstapel vor dem Hasenkäfig… Jedem ist klar, was gemeint ist. Alle warten gespannt auf die Geschichte des Liedes. Genauso das war damals vor 2700 Jahren in Israel: Die Hörer grölen bei den Pointen, jeder weiß, wie das gemeint ist: umgraben und einen Turm bauen und so weiter…

Gleichzeitig bleibt Jesaja aber auch in der Ebene der Winzer: was sein Lied schildert, ist typische Weinbergsarbeit. Und jetzt kommt die negative Überraschung: die Missernte trotz aller Bemühungen des Winzers bzw. auf der erotischen Ebene die Untreue der Geliebten. Schadenfrohes Gelächter der angetrunkenen Hörer ist die Folge.

Aber jetzt kommt die dramatische Wende des scheinbar lustigen  Volkssängers: die Rache des Winzers oder eher des Liebenden, Zerstörung, Bestrafung, Gewalt – und noch ein dramatischer Schlag auf dem Gipfel der Spannung:

Ich will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. Endlich ist völlig klar, wer da spricht: das kann nur Gott sagen. Unbequemes Frösteln bei manchen Hörern: wir sind gemeint, unser Land, der Undank der Menschen gegenüber Gott, der uns Land und Fruchtbarkeit und Zukunft gab. Sein Bund ist gebrochen worden. Der Prophet Jesaja hat sehr ernst Gottes Strafgericht angedroht. Aber: das sind doch gewiss die anderen, die er meint! Wir sind doch immer in Ordnung gewesen, wir feiern heute ja auch aus Dankbarkeit gegenüber Gott! Und mit einem Male herrscht Unsicherheit und Katerstimmung auf dem bis dahin so fröhlichen Weinfest…

Liebe Gemeinde, wir können jetzt leicht  den Fehler der damaligen Hörergemeinde nachmachen: es geht nicht gegen uns, es geht gegen das undankbare Israel, das nicht mehr verdient, Gottes Volk zu heißen.

Der christliche Antisemitismus wuchert als giftiges Unkraut in alten und dunklen Ruinen unserer evangelischen Kirche und tarnt sich jetzt nur als Antizionismus. Nein, liebe Gemeinde, wie damals: wir sind gemeint – du und du und ich, wir alle!

Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Nicht Kirchgang und fromme Sprüche retten uns in einer Welt, in der Nord und Süd durch heftige Ungerechtigkeit getrennt sind, in der unser globaler Wohlstand im Norden auf der himmelschreienden Armut im Süden beruht und sie weiter bedingt. Auch bei uns sagen ja viele sehr  leicht angesichts aller Ungerechtigkeit bei uns und in der Welt: die sind doch selber schuld am eigenen Scheitern, jeder kann seines Glückes Schmied sein!

Bei seiner Amtseinführung hat der neue evangelischen Landesbischof in Bayern, Bedford-Strohm, im Oktober 2011 gesagt:

Aus der Sicht christlicher Ethik muss eine Gesellschaft, wenn sie sich auf die christlichen Grundwerte beruft, bereit sein, von dem vielen Reichtum, der in der Gesellschaft vorhanden ist, auch die Menschen zu unterstützen, die entweder weniger Glück im Leben gehabt haben oder auch viele Fehler gemacht haben. Diese Menschen dürfen nicht allein gelassen werden.

Was sagt Jesaja von Gott?

Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Das klingt uns in diesen Tagen sehr aktuell im Ohr: Rechtsbruch und Geschrei über Schlechtigkeit, wo die Debatte über den Ehrensold des zurückgetretenen Bundespräsidenten überall geführt wird – nur ein Beispiel aus unseren Tagen. Und gewiss wird jede und jeder eigene Beispiele finden – aber auch bei sich selbst suchen müssen, wie damals Jesajas Hörer in Jerusalem.

Ob wir eine Missernte einfahren oder ob wir Frucht tragen im Weinberg Gottes – das liegt an uns. Darüber nachzudenken und miteinander zu reden, dazu lädt uns der Prophet auch heute ein.

Gott schenke uns ernsthaftes und selbstkritisches Nachdenken darüber, das Früchte trägt in unserem Leben, in unserer Welt. 

Amen.

 

 

 

am Fassnachts-Sonntag 2012 von Pfarrerin Claudia Niegsch-Marwitz

An diesem Sonntag steht der Sinn

bei vielen auf die Fastnacht hin.

Drum, ihr Lieben, will ich’s heut wagen,

gereimt die Predigt vorzutragen.

So wie's in manchen Kirchen Brauch,

so halte ich's heut morgen auch.

 

Es geht um Amos, den Propheten,

doch hören wir ihn hier nicht beten.

Er spricht von dem Zorn des Herrn,

davon sollen wir jetzt hörn -

als Ausnahm hier in dem Gedicht,

denn was er sagt, reimt sich nicht.

 

Propheten konnten wohl gut dichten,

doch reimen taten sie mitnichten;

in hebräischer Poesie

findet sich das Reimen nie.

So hört, was Amos allen schwur

in ungereimter Prosa nur.

 

[Predigttext Amos 5, 21-24:]

Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie

und mag eure Versammlungen nicht riechen.

Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert,

so habe ich kein Gefallen daran

und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.

Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder;

denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!

Es ströme aber das Recht wie Wasser

und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

 

Ja, das hat man nun davon:

Da geht man in die Kirche schon

und wird sogleich dafür beschimpft

von Amos, der die Nase rümpft

(in seinem Buch, Kapitel Fünf).

 

Die Gottesdienste machen’s nicht,

auf Opfer ist Gott nicht erpicht,

nicht hören will er unser Singen

und wenn Instrumente klingen.

 

Ja, ihr Leut, es fragt sich nun,

solln wir das denn nicht mehr tun?

Die Pfarrer predigen doch vor:

„Geht in die Kirche! Kommt zum Chor!“

Was ist denn dabei verkehrt,

dass sich Amos so beschwert?

 

So lasst uns in Gedanken reisen

 

in Israels vergangne Zeiten

und schauen, wie es damals stand,

und was uns davon scheint bekannt.

Warum sprach Amos seinerzeit

von Recht und von Gerechtigkeit:

»Nur wenn die wie die Ströme fließen,

dürft Ihr das Leben auch genießen.«?

 

Gott hatte Israel gegründet,

und ein Grundgesetz verkündet

an Mose auf dem Sinai

als Überlebensstrategie.

»Die 10 Gebote und noch mehr -

sie sind Euch Hilfe. Bitte sehr:

 

Du sollst nicht töten und nicht stehlen,

dann wird an Gutem Dir nichts fehlen.

Du sollst die Ehe niemals brechen

und immer halten Dein Versprechen.

Du sollst nicht fremdes Gut begehren

und allen bösen Taten wehren.«

 

Doch wie das ist in dieser Welt:

Auch damals zählten Macht und Geld

viel mehr als religiöse Werte.

Mit Unrecht man sein Gut vermehrte.

Wer konnte, boxte sich nach oben

und hielt gewaltsam sich dort droben.

 

Die Reichen wurden immer reicher

sie bauten immer größre Speicher,

die andren aber – Gott erbarm

die wurden dabei bettelarm.

Denn war einmal die Ernte spärlich

so war's für jene gleich gefährlich.

 

So manches Mal in ihrer Not

wurd’ aus dem Saatgetreide Brot.

Kam dann das Frühjahr in das Land

kein Körnchen man zur Aussaat fand.

Und Mutter sprach zu ihrem Kinde:

 

„Geh zu des Großbauern Gesinde

und höflich frag den reichen Mann

ob er uns nicht was leihen kann.“

Der aber sprach mit einem Grinsen:

"Oh sicher, ja! - Doch - ich will Zinsen."

So ging das ganze Jahr um Jahr

bis alles dann sein Eigen war.

 

So pressten sie die Armen aus

und trieben sie oh weh, oh graus

am Ende aus dem Hause raus.

Der Reiche hat nun noch mehr Land

zusamm'gerafft in seiner Hand.

Der Arme aber hat den Hohn

und schuftet nun im Tagelohn.

 

Am Sonntag geh'n die Reichen beten

der Arme aber schaut betreten

wie sie die andren Menschen blenden

mit etwas Geld, das sie dort spenden.

Nein - gottlos warn die Großen nicht.

Die Priester machten Doppelschicht,

sprachen schnell Vergebung zu,

dann hat die liebe Seele Ruh.

Man hielt durchaus die Feiertage:

Erst kam die Kirch - dann das Gelage.

 

Doch, wie gesagt, gab es Kritik

an solch verfehlter Politik

der Priester, Reichen und der Großen,

die gegen Gottes Recht verstoßen.

Sie kam von Amos, dem Propheten,

der nach Visionen und Gebeten

bekämpfte ihre Heuchelei:

 

»Da ist kein Glaube mit dabei,

wenn gleichzeitig an Gott Ihr glaubt

und Euren Nächsten Rechte raubt.

Wenn Ihr Euch da mal bloß nicht irrt.

Es könnte sein, das Ganze führt

Euch alle noch in das Verderben,

und auch die Priester werden sterben,

wenn Gottes Zorn sich einst erhebt

und unter Euch die Erde bebt.«

 

So ist es später auch gekommen:

Das Nordreich wurde weggenommen.

Amos hatte Recht behalten.

Darum hat man von diesem alten

Propheten Worte aufgeschrieben.

 

Durch die Jahrhunderte sie blieben

ein Mahnwort an die Genrationen,

dass Unrecht könne sich nicht lohnen:

»Gott könnte die Geduld verlieren,

weil wir uns auch nicht gut aufführen

auf Kosten noch viel Schwächerer.«

Auch unsre Zeit gibt dafür her

Stoff zur Kritik auf viele Weise,

so enden wir unsre Zeitreise.

 

Und komm’n in Deutschland wieder an.

Würd’ Amos, der Gottesmann,

heut hier bei uns in Deutschland wohnen,

würd’ er dann unsre Großen schonen?

Man parkt im Ausland schwarzes Geld

und spielt den Saubermann von Welt.

Damit die Aktienkurse steigen

spielt jeder den Entlassungs-Reigen.

Familien werden arbeitslos

egal – der Aktienkurs wird groß!

Und will ein guter Freund sein Geld anlegen,

kommt dies manchem ganz gelegen,

Wo eine wäscht die andre Hand,

verlässt die Moral schnell unser Land.

 

Jeder hat sich schon beschwert,

was alles läuft bei uns verkehrt.

Aber bevor wir uns beschweren,

müssen wir bei uns auch kehren,

und nicht nur vor des Nächsten Tür.

Auch wir selbst könn’n was dafür.

Um dem Recht im Weg zu stehn,

um Gerechtigkeit zu übersehn,

muss man nicht reich sein, ohne Frage -

jeder ist dazu in der Lage.

 

Würd Amos heute bei uns sein,

was fiel ihm zu uns allen ein?

Es könnte sein, dass er uns drohte

mit dem Verweis auf die Gebote,

die Gott einst gab am Sinai.

Schon die Konfis kennen sie.

Er könnte sie uns jetzt vorhalten,

den Jungen, Mittleren und Alten.

 

Zum Beispiel könnte ich hier nennen,

was wir als drittes Gebot kennen.

Denn sein Sinn, den Sonntag achten,

ist überhaupt nicht zu verachten.

Wunderschön für uns gemacht:

Nehmt euch - so ist es gedacht -

Zeit für die Seele, Zeit für Gott.

 

Doch viele bleiben in dem Trott

des Alltags ganz gefangen.

Kaum wird in die Kirch gegangen.

Wär wenigstens mehr Zeit für Kinder

und für sich innerlich nicht minder

statt auch am Sonntag noch zu kaufen,

dauernd in die Stadt zu laufen.

 

Das siebt Gebot, »Du sollst nicht stehlen«,

schärft ein, es sollte nie was fehlen

von fremdem Gut und fremdem Geld.

Doch halten wir`s so in der Welt?

Man kann die Welt nicht nur benützen.

Man muss auch seine Umwelt schützen.

Auch damit bricht man die Gesetze,

vergeuden wir der Erde Schätze.

 

Vom Lügen sprach das acht Gebot.

Auch Rufmord macht den andern tot!

Man handelt nicht aus Nächstenliebe,

wenn man mitmobbt im Betriebe.

 

Und wenn wir in der Kirche sitzen,

dürfen wir das nicht benützen,

uns auszuruhn mit gutem Gewissen

wie auf `nem sanften Ruhekissen.

Der Gottesdienst, schärft Amos ein,

darf niemals ein Ersatz uns sein,

das Gute, das wir kennen nun,

dies Gute dann auch schnell zu tun.

Ein Gottesdienst, der hat nur Sinn,

wenn ich bedenke, wie ich bin,

und was ich tun kann für die Welt,

sei es mit, sei’s ohne Geld.

 

So könnte ich noch mehr euch sagen,

wo Menschen sich und andere plagen.

Doch eigentlich, so glaube ich,

wissen wir ja innerlich,

was uns gut tut und was nicht.

Aber ha’m wir uns danach gericht’?

Das rechte Tun ist manchmal schwer,

und unbequem, und manchmal sehr.

 

Doch Amos hat ein schönes Bild

von Gottes Recht und dass es gilt.

Die Erde ist für ihn ein Land

fast wie's im Paradies sich fand:

Sie ist durchwoben und durchzogen

von Gottes Recht wie Wasserwogen,

die sich durch eine Gegend ziehen

und alle Dürre muss da fliehen.

Jedoch der Mensch mit seinem Sinn

baut hier und da 'ne Sperre hin

und stoppt das Recht und hält es auf

und hemmt des Rechtes freien Lauf.

 

Drum lasst das Recht unter euch fließen,

freut euch des Guten, lasst es sprießen!

Schaut nicht nur auf den eignen Nutzen.

Und - seht ihr Unrecht – tut ihm trutzen.

Stellt ihr dem Unrecht euch entgegen,

dann – glaubt es mir – seid ihr ein Segen.

Gott will nicht, dass wir Trübsal blasen,

sondern, dass wir Unrecht hassen.

 

Das bloße Zeigen trüber Minen

tut weder Gott noch Armen dienen.

Also: lebt nicht als die Miesepeter!

Seid unserm Gotte frohe Beter!

Drum: Macht sich breit die Faschingszeit

lobt Gott mit eurer Fröhlichkeit;

tanzt, singt und springt, seid heiter

im Alltag drauf gebt Gutes weiter!

 

Lasst euch die Tage nicht verdrießen,

man kann das Leben schon genießen,

wenn man auch immer mitbedacht,

was unserm Nächsten Freude macht.

Das wär für’s Leben guter Samen -

ich schließe nun und sage: Amen.

 

Und Gottes Friede allezeit

segne euch in Freud und Leid,

bewahre euer Herz und Sinn

auf unsern Christus Jesus hin.

Ansprache zum Abschluss der Dachsanierung von Pfarrer Rainer Böhm

„Wenn du ein neues Haus baust, so mache ein Geländer ringsum auf deinem Dache, damit du nicht Blutschuld auf dein Haus lädst, wenn jemand herunter fällt.“ 5. Mose 22, 8

Das gilt natürlich auch für das Dach einer Kirche: die Baustelle muss gesichert sein, der Arbeitsschutz gewährleistet, und anstelle einer Blutschuld gäbe es heute andere juristische Konsequenzen.

Vor dem eigentlichen Baubeginn im vergangenen Jahr stand die umfangreiche Planung, Ausschreibungen und Auftragsvergaben, die Einrichtung der Baustelle mit der Planung des Gerüstes und des Bauzaunes und Gespräche mit der Stadt. Von Anfang an und bis jetzt hat unser Architekt Steffen Mörler die Bauarbeiten geleitet und begleitet und für jedes Problem eine Lösung gefunden. Er hatte die Bauleitung. Ihm gilt unser allererster Dank.

Vom Bau-Ausschuss des Kirchenvorstands hat Herr Stamm alle Aufgaben, die mit der Dankeskirche zu tun haben, übernommen. Die Stunden, die er hier im Gebäude und vor allem auf dem Dach zugebracht hat, sind ungezählt. Die Dachfläche beträgt 1.200 m². Die Treppenstufen, die Sie in dieser Zeit gestiegen sind, bleiben ungezählt, Herr Stamm. Und auch die Kästen Wasser, mit denen Sie die Arbeiter versorgt haben.

Sicherlich könnten Sie beide, Herr Mörler und Herr Stamm, eine Menge zum Fortgang der Bauarbeiten sagen. Ich möchte ein paar Einzelheiten eher willkürlich benennen:

Ursprünglich sollten die Arbeiten nach dem Stuhlmodell durchgeführt werden, d.h. ein Stützpfeiler nach dem anderen ersetzt werden, sodass immer drei andere die Last des Daches tragen könnten. Jeder dieser Pfeiler ist übrigens 11-12 m lang. Dann wurden, im vergangenen Jahr, aber jeweils zwei Bauabschnitte zusammengefasst, also an jeweils zwei Pfeilern gleichzeitig gearbeitet. Es hatte sich heraus gestellt, dass die Verschalung des Daches zu dünn war und ebenfalls ersetzt werden musste. Sie wurde abgenommen, die Last war dadurch leichter, aber zugleich war die Aufgabe hinzugekommen, 1.200 m² Verschalung zu erneuern.

Der vergangene Sommer war regenreich. Es konnten immer nur kleine Dachflächen geöffnet werden, die jeden Abend wieder fest mit einer Plane verschlossen wurden, sodass kein Wasser in das Gebäude eindringen konnte. Das hat Herr Kämmerer von der Fa. Lambrecht hervorragend gewährleistet. Unter dem Dach herrschten Temperaturen von beinahe 50°.

Durch die Baumaßnahme am Dach hat sich der Einbau des Orgelfernwerkes verschoben. Der Vorteil war, dass große Teile des Fernwerkes durch eine geöffnete Luke im Dach auf den Dachstuhl transportiert werden konnten. Das wäre ohne Bauarbeiten mühsamer gewesen. Außerdem wurde in diesem Zuge auch noch der kleine Raum, in dem das Fernwerk untergebracht ist, denkmalgerecht restauriert.

Schließlich ruhten die Arbeiten in diesem Jahr für einige Zeit, weil es einen Lieferengpass beim Schiefer gab. Viele Gemeindemitglieder waren verwundert und besorgt, uns sei vielleicht das Geld ausgegangen. Aber wir wollten Qualitätsschiefer aus Deutschland, und den haben wir schließlich auch bekommen, Moselschiefer, 40 t sind dort oben verlegt worden. Viele haben die Arbeiten der Dachdecker in den vergangenen Monaten bewundert.

Trotz aller Überraschungen, Wartezeiten und Umplanungen wird der Bau nicht teurer und außerdem fristgerecht beendet.

Einen Dank an alle beteiligten Firmen und Personen.

Gott wollen wir danken dafür, dass diese zum Teil ja atemberaubenden Arbeiten in der Höhe ohne Verletzungen und Unfälle abgelaufen sind. In der katholischen Tradition ist die Barbara, deren Tag ja heute gefeiert wird, die Schutzheilige u.a. der Zimmerleute, Dachdecker, Elektriker, Architekten.

Fundraising


Das Baukosten in Höhe von 800.000 € sind zu einem ganz wesentlichen Teil von unserer Landeskirche aus Kirchensteuermitteln finanziert worden, einen Betrag von 60.000 € steuerte der Denkmalschutz bei. Aber unsere Gemeinde muss sich mit etwa 150.000 € aus Eigenmitteln beteiligen.

Eigenmittel – das ist jedoch ein Fremdwort in einer Kirchengemeinde! Damit die Bauarbeiten starten konnten, haben wir daher zunächst einmal ein Darlehen aufgenommen. Wir haben uns viel vorgenommen, um diesen Betrag von 150.000 € zusammenzubekommen.

Unsere Spendenaufrufe im Gemeindebrief, der Wetterauer Zeitung und in knapp 500 persönlichen Briefen im vergangenen Jahr wurden erhört. Wir danken den bis Oktober über 400 Spendern, die mit fast 700 Spenden 89.000 € zusammengetragen haben. Es freut uns sehr, dass sich so viele Menschen mit der Dankeskirche verbunden fühlen. Es sind viele kleine Beträge dabei, und auch viele sehr große. Viele Spender haben sogar mehrfach zum Überweisungsformular gegriffen! Besonders danken möchte ich auch hier Herrn Stamm, der mit unermüdlichem Einsatz Spendenbescheinigungen ausstellt und die Buchführung unserer Spendenkasse übernimmt.

Den Bauzaun mussten wir zur Landesgartenschau im letzten Jahr aufbauen – das hat nicht jedem gefallen. Und deshalb haben Heidrun Kroeger-Koch und Regina Reitz ein Projekt gestartet, Bilder zum Thema Schöpfung malen zu lassen und sie als Planen am Bauzaun aufzuhängen. In vielen Gruppen und Kreisen unserer Gemeinde – vom Kindergarten bis zum Senioren-Bastelkreis – sind 21 Kunstwerke entstanden. Und weil wir dachten, das sei doch schade, wenn die Originale bald verschwinden müssen, haben wir daraus Kalender für 2012 und Grußkarten drucken lassen. Die können Sie alle heute kaufen und auch auf diesem Wege die Dachsanierung unterstützen. Für ihren Einsatz danken wir Frau Kroeger-Koch und Frau Reitz, aber auch allen kleinen und großen Künstlern, die sich an dieser Aktion beteiligt haben. Und Elke Schulze und Thomas Leichtweiß für die Gestaltung der Karten und Kalender.

Alle freien Kollekten und die Erlöse der letzten drei Gemeindefeste haben wir für die Dachsanierung verwendet. Seit dem Gemeindefest 2010 macht ein Button mit der kranken Dankeskirche in sympathischer Form auf unser Großprojekt aufmerksam. Für die Gestaltung dieses Logos danken wir Christiane Roth aus Ober-Mörlen sehr herzlich.

Und schließlich haben zahlreiche Konzerte dazu beigetragen, dass wir unserem Ziel näher gekommen sind. Die Prinzen haben im vergangenen Jahr zwei ausverkaufte Vorstellungen gegeben, unser Gospelchor hat mit mehreren Konzerten geholfen, und auch unser Kantor Frank Scheffler hat sich mit Orgelkonzerten besonders engagiert. Besonders danken wir dem Kammerchor Cantus Firmus unter Leitung von Werner Ciba, dem Chor der Ernst-Ludwig-Schule mit ihrem Leiter Alexander Ziegler und der katholischen Regionalkantorin Eva-Maria Sokoli. Sie haben unseren dringenden Bedarf gesehen und spontan ein Konzert zu Gunsten der Dachsanierung gegeben.

Nun sind die Baumaßnahmen fast abgeschlossen. Aber unser Spendenziel haben wir noch nicht ganz erreicht. Daher bitte ich Sie weiterhin um Ihre Unterstützung. Vorbereitete Überweisungen für Ihre Spende finden Sie am Aquarium mit dem beschädigten Dachbalken vor dem Haupteingang, unsere Spendenkonten stehen natürlich auch auf unserer Homepage und im Gemeindebrief. Und: Kalender und Grußkarten haben wir auch noch für Sie!

„Wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. Und einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe“ – schreibt Paulus im 2. Korintherbrief.

Theologische Gedanken


Gemeinsam stehen die Bauarbeiter auf dem Gerüst und in luftiger Höhe. Gemeinsam sind sie dem Himmel nahe. Jeder steht an seinem Platz, jeder dient dem gemeinsamen Ziel mit seiner Gabe, seiner Fähigkeit. Bei einem Bauprojekt sind Ziele natürlich leicht zu formulieren: es gilt, das Gebäude zu errichten. Wie sicher der Bauzaun, wie offen und gewagt das Gerüst, wie unfertig das Gebäude.

Der Bau war eine gemeinsame Anstrengung. Viele haben ihre Gabe eingebracht. Jeder hat mit seiner Gabe dem Ganzen gedient. Miteinander hat die Kirchengemeinde den Bau bewältigt.

Die Kirche wird von Menschen gebaut. Von ganz normalen Menschen. Von Menschen, die eine bestimmte Haltung mitbringen, Interessen, die sich geformt haben. Sie sind ihrer Zeit verpflichtet und verhaftet, ihrer Erziehung, ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihrer Theologie.

Mir gefällt ein kleines Detail: die Kirchengemeinde hat für Getränke gesorgt, für Wasser und genügend Kaffee. Das hatte natürlich praktische Gründe. Aber damals wie heute gilt auch: Zum Verwirklichen eines gemeinsamen Ziels gehört mehr als ein Auftrag oder eine Anweisung. In einer Gemeinschaft sorgt einer für die anderen; geht es um Fragen des Betriebsklimas und der Motivation. Darum, Gaben zu ermutigen, den Blick für das Ganze, den Dienst für die Sache Gottes im Auge zu behalten. Er ist der Herr der Kirche.

Die Kirche als Baustelle: Das gilt auch im übertragenen Sinn: das ist eine Metapher, ein Bild für die Kirche überhaupt:

Mit der Vollendung des Gebäudes ist die Aufgabe nicht beendet, weiter an der Kirche zu bauen. Das gilt für das Gebäude selbst: einiges blieb unvollendet. Manches wurde nachträglich ergänzt. Jede nachfolgende Generation hat weiter an der Kirche gebaut. Eine Gemeinde lebt in ihrer Kirche; die Kirche lebt mit ihrer Gemeinde. Bis heute sind die einmal geplanten hinteren Schmuckfenster nicht eingesetzt, weil dazu vor 100 Jahren die Sponsoren fehlten. Manches musste inzwischen erneuert werden, wie jetzt das Dach. Manches ist offen geblieben, manches wäre zu ergänzen. Auch eine Innenrenovierung wird in einigen Jahren erfolgen müssen. Immer wieder steht die Gemeinde vor der Frage, wie sie die Kirche den Erfordernissen anpasst, sie ins Licht rückt, Mittelpunktfunktion wahrnimmt als Kirche in der Stadt.

Die Kirche im Bau: das gilt auch für die Kirche Jesu Christi: Miteinander sind wir unterwegs: Tradition zu bewahren, aber auch kritisch zu überprüfen und neues zu wagen. Immer wieder zu einem Aufbruch bereit: wie die Jüngerinnen und Jünger Jesu. Und gerade so ihm folgend: Jede und jeder dient mit der eigenen Gabe am Gelingen des Ganzen. Gemeinsam als Kirche kommen wir dem Himmel nahe, nicht jeder alleine für sich.

Wir bauen miteinander. Wir brauchen dazu seinen guten Geist. Denn „Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.“ Ps 127,1 Amen.

am 27.11.2011 von Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin a.D.

anlässlich der Landeskirchlichen Eröffnung der 53. Aktion „Brot für die Welt“ in Bad Nauheim

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde,

Schrebergärten, Gartenzäune, Rosengärten und Blumenbeete: das „Grenzen abstecken“ ist uns allen nicht fremd. Es ist das uralte Bestreben des Menschen, sich selbst einen Raum für sich zu schaffen, den man besitzt und in dem man oder frau selber „das Sagen“ hat. Für unsere Vorfahren mögen das Höhlen gewesen sein, heutzutage versucht sich jeder seinen eigenen individuellen Raum zu bewahren. Gerade viele Städter kennen dieses drängende Verlangen, dem Trubel der Großstadt zu entfliehen, hinaus aufs Land, in den eigenen Garten.

Die Hälfte der Bevölkerung weltweit lebt auf dem Land, das sind – seit ein paar Wochen kann man dies offiziell so sagen – etwa 3,5 Milliarden Menschen. Für sie ist die Frage des ländlichen Grundbesitzes keine Frage der Entspannung am Wochenende. Für sie bedeuten die Erträge aus der Landwirtschaft, die auf ihrem Grund gesät und geerntet wurden, die Lebensgrundlage. Es sind Kleinbauern, die mit dem geernteten Gemüse und Getreide versuchen, ihr Leben zu gestalten, ihre Kinder zu ernähren und irgendwie „über die Runden“ zu kommen.

Während der Nahrungsmittelkrise sind die Preise für Grundnahrungsmittel weltweit zwischen 70 und 80 % gestiegen. Das hat vielschichtige Ursachen: natürlich die wachsende Weltbevölkerung, Naturkatastrophen und der vermehrte Anbau von Agrarenergieträgern. Rohstoffe und Agrarrohstoffe werden dabei zunehmend zu Spekulationsobjekten.

Allein im Jahr 2009 wurden rund 45 Millionen Hektar an Ackerland in Staaten Afrikas, Lateinamerikas, Osteuropas und Asiens an ausländische Investoren verkauft oder verpachtet. Weltweit wurden seit dem Jahr 2001 in Entwicklungsländern 227 Millionen Hektar Land verpachtet oder an Investoren verkauft. Das entspricht in etwa der Größe Westeuropas. Mehr als 70% der gesamten Nachfrage nach Ackerland bezieht sich auf afrikanische Staaten, in denen mehr als 300 Millionen Menschen hungern.

Die Zahl der Hungernden weltweit erreichte im Jahr 2009 – erstmals seit 1970 – den Stand von 1 Milliarde Menschen. Das entspricht einem Siebtel der Weltbevölkerung. 80 Prozent der Hungernden leben auf dem Land. Aber es ist wie so oft: das Ausmaß der Katastrophe kann noch so groß sein, es hindert nicht diejenigen am Geschäftemachen, die sich daran bereichern können.

Hierzu findet sich eine Stelle im Alten Testament, im Prophetenbuch Nehemia. Darin geht es um die Not der Kleinbauern und ihre Angst vor dem Verlust ihres Landbesitzes:

(Nehemia 5, 1-6 und 9-12) „Und es erhob sich ein großes Geschrei der Leute aus dem Volk und ihrer Frauen gegen ihre jüdischen Brüder. Die einen sprachen: Unsere Söhne und Töchter müssen wir verpfänden, um Getreide zu kaufen, damit wir essen und Leben können. Die anderen sprachen: Unsere Äcker, Weinberge und Häuser müssen wir versetzen, damit wir Getreide kaufen können in dieser Hungerzeit. Und wieder andere sprachen: Wir haben auf unsere Äcker und Weinberge Geld aufnehmen müssen, um dem König Steuern zahlen zu können. Nun sind wir doch wie unsere Brüder, von gleichem Fleisch und Blut, und unsere Kinder sind wie ihre Kinder; und siehe, wir müssen unsere Söhne und Töchter als Sklaven dienen lassen, und schon sind einige unserer Töchter erniedrigt worden und wir können nichts dagegen tun, und unsere Äcker und Weinberge gehören andern.

Und Nehemia sprach: Es ist nicht gut, was ihr tut. Solltet ihr nicht in der Furcht Gottes wandeln (um des Hohnes der Heiden willen, die ja unsere Feinde sind)? Ich und meine Brüder und meine Leute haben unseren Brüdern auch Geld geliehen und Getreide; wir wollen ihnen doch diese Schuld erlassen! Gebt ihnen noch heute ihre Äcker, Weinberge, Ölgärten und Häuser zurück und erlasst ihnen die Schuld an Geld, Getreide, Wein und Öl, die ihr von ihnen zu fordern habt. Da sprachen sie: Wir wollen es zurückgeben und wollen nichts von ihnen fordern und wollen tun, wie du gesagt hast. Und ich rief die Priester und nahm einen Eid von ihnen, dass sie so tun sollten.“

Die Botschaft dieses Textes ist deutlich: das Land soll den Menschen zurück gegeben werden und die Schulden sollen ihnen erlassen werden. Klar wird aber auch: der Landbesitz macht sie erst zu akzeptierten, gleichwertigen Mitgliedern der Gesellschaft, denn ohne Land fehlt ihnen jede Grundlage, sich selbst mit Nahrungsmitteln zu versorgen, zumal Frauen. In den Entwicklungsländern explodieren die Kosten für Nahrungsmittel. Durch landgrabbing wird den Menschen ihre Existenzgrundlage entzogen.

Nehemia ergreift in diesem Text die Initiative und ruft: „Es ist nicht gut, was ihr tut“. Mir fallen stellvertretend viele Gelegenheiten ein, bei denen ich ähnliches gesagt habe. Anders als Nehemia im Gespräch mit den Priestern konnte ich zwar niemandem einen Eid abringen, aber die Förderung ländlicher Entwicklung war mir während meiner Amtszeit als Ministerin sehr wichtig, und ich konnte die finanziellen Mittel im Bereich „Ländliche Entwicklung und Welternährung“ von 300 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro steigern. Auch durch die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit konnten wir unsere Partnerländer darin unterstützen, eine nachhaltigere, gerechtere, Armuts- und Konfliktmindernde Bodenpolitik zu entwickeln und umzusetzen. Vor allem haben wir den Zugang von Frauen zu Land und die Respektierung tradierter Landrechte gefördert.

Für uns heute spielt Landwirtschaft oft nur noch eine untergeordnete Rolle. Wo die Kartoffel, die Karotte herkommt, wissen wir in den wenigsten Fällen. Kein Wunder, dass uns der Bezug zum Land als Lebensgrundlage verloren gegangen ist.

„Brot für die Welt“ fordert, dass das ‚Menschenrecht auf Nahrung‘ (Artikel 11 des UN Sozialpakts) in allen Fällen der Landvergabe garantiert wird. Dem müssen sich nicht nur alle Regierungen weltweit verpflichten, es braucht auch eine kritische Zivilgesellschaft, die diese Prozesse kritisch begleitet. Und Zivilgesellschaft – das sind Sie, das sind wir alle – die Gemeinde. Darüber hinaus müssen wir auch die Unternehmen, die in Entwicklungsländern tätig sind, in die Pflicht nehmen.

Die Importe von Agrotreibstoffen und Futtermitteln brauchen soziale und ökologische Leitplanken, die das Menschenrecht auf Nahrung zur Grundlage haben. Und: Der Spekulation mit Nahrungsmitteln muss entschlossen gegengesteuert werden.

Sie werden sich fragen: Was bedeutet dies nun für uns Christen? Was kann ich selber tun?

Christinnen und Christen können und müssen dafür eintreten, dass Gott auf der Seite der Armen ist und für die Menschen ein Leben in Fülle wünscht. Und es gibt durchaus einfache Handlungsempfehlungen, die wir zwar schon oft genug gehört, aber wohl immer noch viel zu wenig beherzigen:

Die Art und Weise, wie wir leben und wie wir uns durch die Welt bewegen, wird entscheidend sein für nachfolgende Generationen und entscheidet schon heute deutlich mit über die Lebensumstände, die Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern zu ertragen haben. Was hindert uns zum Beispiel daran, unseren Nahrungsmittelkonsum kritisch zu hinterfragen? Woher kommen die Produkte, die wir hier genießen? Unter welchen Bedingungen sind sie wo entstanden? Entstammen sie aus fairem Handel?

Es geht nicht ums Miesmachen. Und ich gebe offen zu: das ist nicht immer leicht. Oft genug sind die Versuchungen eben doch zu groß. Aber: wir tun gut daran, uns mit diesen Themen zu beschäftigen und nicht teilnahmslos durchs Leben zu gehen. Unsere Lebensweise hier betrifft auch die Menschen anderswo und das sollten wir uns immer wieder bewusst machen.

Es gilt, das „Menschenrecht auf Nahrung“ zu gewährleisten – der Weg dahin ist jedoch noch weit und steinig.

Die 53. Aktion von Brot für die Welt „Land zum Leben – Grund zur Hoffnung“ gibt Hoffnung und Zuversicht, die wir nutzen sollten. In dem diesjährigen Aufruf steckt zurecht die Forderung, dass es nicht sein darf „dass Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aufgrund von Profitinteressen anderer ihr Land verlieren.“

Für uns Christinnen und Christen sollte am Ende die Erkenntnis stehen, dass auch wir in Bezug auf die ländliche Entwicklung in der internationalen Zusammenarbeit die Initiative ergreifen müssen, um wie der Prophet Nehemia zu sagen: „Es ist nicht gut, was ihr tut“ – dies auch, um denjenigen eine Stimme zu geben, die hier in unserer so gut funktionierenden technisierten Welt oft nicht gehört werden: den Kleinbauern, den im Feld arbeitenden Frauen, den Hungernden.

Für meine eigene christliche Überzeugung war immer die Haltung des früheren Generalsekretärs des Ökumenischen Rates der Kirchen, Willem Visser´t Hooft, wichtige Mahnung, der 1968 bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Uppsala in seiner Rede sagte: „Uns muss klar werden, dass die Kirchenglieder, die in der Praxis ihre Verantwortung für die Bedürftigen irgendwo in der Welt leugnen, ebenso der Häresie schuldig sind, wie die, welche die eine oder andere Glaubenswahrheit verwerfen.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

zum Reformationsfest 2010 von Dekan Jörg-Michael Schlösser

Verehrte Reformationsgemeinde,

liebe Musizierende, Schwestern und Brüder
in Christus!


In den letzten Jahren waren Sie es gewohnt von mir im Reformationsgottesdienst Erläuterungen zur Festkantate oder zur Musik dieses Festgottesdienstes zu hören. Ich habe mir heute die Freiheit genommen, mein weniges musiktheoretisches Wissen für mich zu behalten. Heute rede ich zum Thema dieses Tages, zur Reformation: Das Lied und die Kantate „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ dient eher als Folie oder Illustration für mein Denken und Reden.

Die heutige Predigt steht unter der Überschrift:„Die ökumenische Dimension der Reformation“

Im Jahr des 2. ökumenischen Kirchentags in München ist das für mich Thema. Dieser Kirchentag hat manche trennende Themen und Facetten unseres Christseins beleuchtet. Doch waren für mich die gemeinsamen Grundlagen unseres Glaubens, die gemeinsamen Feste, Feiern und Gottesdienste viel beeindruckender. Ich glaube, dass die an der Basis gelebte Ökumene sich von amtskirchlicher Trennung nicht beeindrucken lässt.

Begonnen hat Ökumene – nach meinem Verständnis - vor fast 500 Jahren mit dem Augsburger Bekenntnis, mit der der „confessio augustana“. Dieses Bekenntnis war nicht als Trennungserklärung gedacht. Niemand konnte sich damals mehrere säuberlich getrennte Kirchen vorstellen. Sondern die „confessio augustana“ entwickelte ein Bekenntnis des Glaubens aus der Bibel heraus. Sie will die Erneuerung der damaligen römischen Kirche aus der Kraft des Wortes. Ziel ist nicht die Trennung, sondern die Erneuerung der einen, apostolischen und weltumspannenden Kirche. Diese Kirche versteht sich als Wirkung des ersten Pfingstfestes. Sie ist Ausdruck der uns allen einenden Taufe. Dazu vier Thesen:

1. Reformation will die zerrissene Christenheit im Wort Gottes, in der Feier von Taufe und Abendmahl einigen.
Bis heute halten manche an Ökumene interessierte Christinnen und Christen das Reformationsfest für antikatholisch und für die ökumenische Begegnung hinderlich. Da höre ich dann: „Man soll alte Gräben nicht wieder aufreißen; „ein feste Burg“ kann nicht mehr gesungen werden; wir wollen doch das Gemeinsame suchen.“

Die ökumenischen Entwicklungen des 19., 20. und 21. Jahrhunderts bestätigen diese Auffassung. Darum dürfen wir, wenn wir am 31. Oktober feiern, nicht alleine des reformatorischen Durchbruchs gedenken, sondern müssen eine ökumenische Erneuerung suchen.
Es gibt aber auch andere ernsthafte Christinnen und Christen, die fordern ein schärferes protestantisches Profil. Sie meinen damit eine stärkere inhaltliche Abgrenzung von der römisch-katholischen Kirche.
Beide Einstellungen gehen davon aus, dass Reformation ein Synonym für Trennung ist.
Für die eine Seite ist die Wiedergewinnung der Einheit der Kirchen das Gebot der Stunde. Die anderen beharren trotzig auf reiner, protestantischer Gesinnung. Sie geben der Einheit keine Chance.
Beide Seiten gehen in ihrem Denken davon aus, dass die Vorreformationszeit eine Zeit der kirchlichen Einheit gewesen sei. Das aber ist falsch. Denn schon das Apostelkonzil wenige Jahre nach Jesu Tod dokumentiert, dass sich christlicher Glaube in einer Vielzahl von Kirchen organisiert. Die Reformation war ein ökumenischer Versuch, die im späten Mittelalter zersplitterte Christenheit unter dem Evangelium, durch Wort und Sakrament zu einen.
Unbestrittene historische Einsicht ist die Trennung zwischen den orientalischen und orthodoxen Kirchen des Ostens und der römischen Westkirche. Wo war da Einheit?
Dazu kommen Hussiten, Waldenser und anderen vorreformatorischen Bewegungen in fast allen Ländern Europas. Klerus und Laien lebten in verschiedenen Welten. Die Privilegien des Klerus wurden von vielen Menschen als unerträglich empfunden. Dazu kam die Spaltung zwischen Welt- und Ordenspriestern.
Der Begriff der Sekte wurde in der Reformationszeit von protestantischer Seite für die verschiedenen Orden gebraucht. Sie waren die Zeichen der Spaltung.

Zu Beginn der Reformation hofften viele Menschen, die Zerrissenheit der Christenheit könnte überwunden werden. Sie hofften, dass eine erneuerte Christenheit attraktiv-missionarisch auf die nichtchristlichen Völker wirken könnte.
Diese Erwartungen beschreibt das Augsburgsche Bekenntnis in Artikel 7: "Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige christliche Kirche sein und bleiben muss, welche ist die Versammlung aller Gläubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden."


Liebe Gemeinde,
manche Menschen betrachten diese Beschreibung der Kirche als ökumenisch wenig hilfreich. Sie sehen darin den Versuch, einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden. Doch die „confessio augustana“ sagt etwas anderes. Das Evangelium kann man nicht hoch genug schätzen. Allein daran hängt die Einheit der Kirche. Darum sind rechte Verkündigung und der "dem Einsetzungssinn entsprechende Umgang mit den Sakramenten" entscheidend.

Verehrte Festgemeinde,
das auch heute noch gängige Geschichtsbild von der einheitlichen Kirche, die durch die Reformation ihre Spaltung erfuhr, wurde von vielen Menschen zur Zeit der Reformation nicht geteilt. Sie erhofften sich von der Reformation die Überwindung der Spaltungen. Sie hofften, durch die Konzentration auf die Verkündigung des Evangeliums zu neuer Einheit zu finden. Die ökumenische Dimension der Reformation ist ein Pfund, mit dem wir nach wie vor wuchern können.
Abgrenzung verfehlt dieses Ziel der Reformation. Aber der Abgrenzung zu widerstehen ist schwer. Jeder Kommentar dazu in Richtung einer anderen Kirche wäre apodiktische Selbstüberschätzung. Darum können wir alles Trennende zunächst nur nüchtern zur Kenntnis nehmen. Danach aber werden wir ökumenisch aktiv und bedenken die gemeinsame Basis der reformatorischen, orthodoxen und römisch-katholischen Kirchen.

2. Unser gemeinsames Bekenntnis: Die eine heilige, allumfassende, apostolische Kirche   
Kirchengeschichte beginnt zwischen Karfreitag und Pfingsten mit den ersten christlichen Gemeinden. So haben wir eine gemeinsame Geschichte mit den orthodoxen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche. Unsere gemeinsame Basis ist das alte Glaubenbekenntnis, das so genannte Nizäno-Konstantinopolitanum. Es steht auch in unseren Gesangbüchern. Dort heißt es zur Kirche: "Wir glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche."
Obwohl dies unser gemeinsames Bekenntnis ist, sind bis heute die Worte "katholisch" und "apostolisch" hoch emotional besetzt. Ich spreche niemandem diese Apostolizität ab. Aber es gilt auch: wir Evangelische Christinnen und Christen aller Denominationen sind eine APOSTOLISCHE KIRCHE.
Unser Reformationstag ist ökumenisch, weil wir uns auf die gemeinsamen Bekenntnisse und die gemeinsame Grundlage der Bibel besinnen. Bei dieser Betonung des Gemeinsamen werden Abweichungen deutlich. Diese sind jedoch zweitrangig.

Die Kirchen der Reformation gehen von der Einheit der Kirche Christi aus. Es kann nur eine Kirche auf Erden geben. Diese eine Kirche ist allein die wahre, von Jesus Christus gestiftete Kirche. Kirchenspaltung bedeutet Kirchenabfall. Darum kann in der Reformation erfolgte Kirchenspaltung nur als ein Kampf um die rechte Einheit der Kirchen verstanden werden. Die Kirchen der Reformation sehen sich selbst darum als die EINE Kirche auf Erden. Sie verstehen sich nicht als Absplitterungen. Sondern es sind einzelne Christinnen und Christen, die von ihrem persönlichen Gewissen getrieben werden, die eine Kirche Jesu Christi auf Erden zu bewahren. Dietrich Bonhoeffer hat als erster darauf hingewiesen, dass die Kirchen der Reformation die Einheit nicht aufgegeben haben, sondern um diese Einheit kämpften.
Diese Einheit soll sichtbar werden. Das ist der Wunsch vieler Christinnen und Christen. Doch können wir nicht einfach alle Kirchen zu einer zusammenwerfen. Ich sehe die Problemlösung in einem anderen Verständnis:
Wir alle leben schon heute die EINE Kirche, weil wir Jesus als den Christus verkündigen. Er ist die  Einheit der Kirchen. Er gibt die EINE Kirche in seiner Person vor. Kirche ist ein Gedanke, der von Gottes Wort ausgeht. Diese Einheit lässt sich nicht mit weltlichen Kirchenorganisationen gleichsetzen. Die soziologischen Organisationen, die wir Kirche nennen, sind etwas ganz anderes, menschliches. Doch haben sie ihren Grund und ihre Daseinsberechtigung in Jesus dem Christus, der DIE Kirche ist.
Einheit wird nicht hergestellt, indem wir unsere Bekenntnisse addieren, sondern indem wir an Christus als den Grund von Kirche festhalten. Wo zwei Kirchen das tun, sind sie eins.

Verehrte Reformationsgemeinde,
diese Erkenntnis macht noch kein ökumenisches Klima. Es gibt dieses ökumenische Klima auch noch nicht lange. Ich erinnere mich noch gut an die Abgrenzungen innerhalb der reformatorischen Kirchen. Da gab es heftige Kämpfe und gewalttätige Auseinandersetzungen. Glücklicherweise sind die Gegensätze zwischen den reformatorischen Kirchen bei uns überwunden. Immerhin haben wir innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland volle Gemeinschaft, auch Abendmahlsgemeinschaft.

In unserer Region gibt es zwischen evangelischen und der römisch-katholischen Gemeinden eine so gute Atmosphäre, dass man sich die alten Kämpfe kaum noch vorstellen kann. Doch erschweren auch uns dogmatische Festlegungen Wege zu- und miteinander. Nur weil wir uns mit großer Achtung und hoher gegenseitiger Anerkennung begegnen, können wir problemlos den ökumenischen Alltag leben.
Protestanten verstehen das Ziel der sichtbaren Einheit der Kirche als Einheit in versöhnter Verschiedenheit.
Kirche war in ihrer Geschichte immer vielfältig. Das zeigen schon die Gemeinden, die hinter den einzelnen biblischen Büchern des zweiten oder neuen Testaments stehen. Weil wir uns auf diese Bücher berufen, müssen unser Glaube und unser Bekenntnis ebenso verschieden bleiben. Diese Vielfalt ist eine Chance der Christenheit. Sie ist eine "Perle" des Glaubens. Wir dürfen sie um des biblischen Zeugnisses willen nicht aufgeben.

Die Vielfalt der Konfessionen birgt aber auch Gefahren. Spaltungen, Verwerfungen und die Entstehung kleinster unabhängiger Kirchen finden bis heute in der ganzen Welt statt. Auch bei uns gibt es dieses Nebeneinander. Zum Glück gibt es in unserer Region kein aktives Gegeneinander mehr. Der Arbeitskreis Christlicher Kirchen wirkt hier zu unserer aller Segen.

Ein umfassendes Kirchenverständnis bleibt jedoch für die Zukunft unverzichtbar, sonst wird Kirche provinziell. In der Barmer Theologischen Erklärung lesen wir, "... Jesus Christus, wie er in der Heiligen Schrift bezeugt wird, (ist) das eine Wort Gottes ..." Es gibt keine Offenbarung ohne Jesus den Christus. Der Grundartikel unserer EKHN bezeugt zu Recht die bleibende Erwählung der Juden. Das Erste Testament können wir nicht als „Altes Testament“, als überholte jüdische Tradition abtun.

Umfassende, allgemeine, ökumenische Kirche zu sein, ist eine Herausforderung für uns Protestanten. Denn wir fühlen uns im Schatten unserer Kirchtürme, in der Provinz, sehr wohl. Von daher soll es sogar konfessionelle Gegensätze mitten durch unsere Gemeinden geben. Solcher Glaube ist dann aber nicht mehr „apostolisch“. Apostolisch ist der durch Paulus erweiterte Dienst im Auftrag Jesu Christi. Er ist nicht auf die Zwölf Apostel beschränkt. Alle Zeugen der Auferstehung sind aufgefordert zur Weitergabe der frohen Botschaft. Dieser Auftrag gilt für uns alle bis heute.

Ich will mich heute nicht ausführlich mit dem Begriff der apostolischen Sukzession auseinandersetzen. Nur ein Wort Martin Luthers dazu: "... Was Christum nicht leret, das ist nicht Apostolisch, wens gleich Petrus oder Paulus leret, Widerumb, was Christum predigt, das ist Apostolisch, wens gleiych Judas, Annas, Pilatus und Herodes thett" (WA DN 7, 384, 29-32). Das Prinzip, die Schrift nach dem zu beurteilen, was Christum treibt, wird bei Luther im Blick auf die Apostel durchgehalten und gilt auch für uns.
Apostolisch ist eine Kirche durch die ständige Weitergabe des Evangeliums an alle Menschen in Gottesdienst und Lehre. Eine Kirche ist dann apostolisch, wenn sie dem Glauben und der Sendung der Apostel treu bleibt. Hier besteht eine große Differenz zwischen katholischem und protestantischem Verständnis von Kirche.

3. Ökumene in Politik und Kultur
Die evangelische Konzentration auf Wort und Sakrament wirkt bis heute in unsere Gesellschaft hinein. Deshalb müssen wir auch im Europäischen Kontext immer wieder an die Reformation erinnern.
Die Reformation war für unsere deutsche Sprachentwicklung wichtig. Die Bedeutung von Luther für die Entwicklung und Sprache in Deutschland ist bekannt. In anderen europäischen Ländern sind durch die Reformation Katechismen und Bibelübersetzungen in ähnlicher Weise prägend gewesen. Dazu kommen der Aufbau und die Reform von Universitäten und Schulen. Luther mahnte die Verantwortung der Regierenden für die Bildung aller Menschen immer wieder an. Was für unsere Sprache gilt, gilt auch für Kultur, Musik und Malerei. Ich nenne stellvertretend für viele Künstler nur die Cranachs, Dürer und die Bachfamilie.
Auch politisch hat die Reformation weit gewirkt. Vom reformierten Genf gingen Ideen aus, die Gewissensfreiheit, Toleranz, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte erst möglich werden ließen. Der Protestantismus prägt bis heute weite Teile unseres Lebens. Es ist also eine ökumenische Dimension, wenn Glaube vor den Landesgrenzen nicht halt macht. Bei der Gestaltung Europas können wir auf diese Tradition aufbauen.

4. Unsere Zukunft kann nur ökumenisch sein   
Manches Hindernis wurde auf dem Weg zum 2. Ökumenischen Kirchentag in München sichtbar. Doch sehe ich den ökumenischen Gedanken in beiden Kirchen fest verankert. Uns verbindet mehr, als uns trennt. Im Gottesdienst und im Alltag machen wir gute, gemeinsame Erfahrungen. Die säkularisierte Gesellschaft ist für beide Kirchen - wie für alle anderen Glaubensgemeinschaften in unserm Land - eine Herausforderung. Darum nehmen wir viele theologische und ethische Aufgabenstellungen gemeinsam in Angriff. Die Kirchen werden oft als ein einheitliches Gegenüber gesehen: So tragen wir unsere Stärken und Schwächen gemeinsam, ob wir das wollen oder nicht.
Viele Menschen haben gespannt auf München geblickt. Viele haben erwartet, dass es, wie in Berlin, einen Eklat wegen gemeinsamer Abendmahlsgottesdienste geben würde. Unsere Antwort waren die aus der orthodoxen Tradition stammenden Brotfeiern. Sicher ein sehr niederschwelliger Ersatz. Aber es waren gemeinsame, ergreifende Gottesdienste.
Was brauchen wir mehr?

Natürlich werden wir Evangelischen unsere Einladung zum Abendmahl an alle Getauften aufrechterhalten. Das gehört zu unserem Abendmahlsverständnis. Aber wir können Tischgemeinschaft nicht erzwingen. Es gehört zum Respekt vor anderen, dass das, was man selber kann, vom anderen nicht erzwungen werden kann, wenn er oder sie es nicht nachvollziehen kann.

Wir können gemeinsam den Christus bezeugen. Wir können in vielen wichtigen Fragen unserer Zeit mit einer Stimme sprechen. Am wichtigsten ist aber dies: Wir müssen zusammen die Bibel lesen. Bibellesen ist gute, reformatorische Tradition. Aus dem Studium der Schrift wird richtiges Handeln folgen.

Schwestern und Brüder,
wir sind auf dem Weg. Es ist ein Weg, auf dem sich keine Kirche zu wichtig nehmen sollte. Denn Kirchen gibt es immer nur auf Zeit. Das Ziel aber ist Gottes Reich. Die Apostolizität unserer Kirchen öffnet den Horizont. So kann Hoffnung wachsen und Glaube blühen.
Eine schöne Blüte ist die Reformation als Zeichen der Ökumene und als ein Fest der Hoffnung.

Amen           

 

am 25.04.2010 von Kirchenpräsident Dr. Volker Jung

Predigt im Eröffnungsgottesdienst der 4. Hessischen Landesgartenschau
am Sonntag, den 25. April 2010, 12 Uhr in Bad Nauheim
von Kirchenpräsident Dr. Volker Jung

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!

Liebe Gemeinde,
ich möchte eine Geschichte erzählen: vom Licht und vom Garten und vom Menschen und von Gott. Es ist eine alte Geschichte. Und sie ist noch nicht zuende.

Die Geschichte geht so:

Am Anfang war eine große Dunkelheit. Eigentlich war nichts. In die Dunkelheit hinein sprach Gott: „Es werde Licht! Und es ward Licht.“ Und mit dem Licht schuf Gott die Welt. Und die Welt wurde wie ein Garten – ein wunderschöner Garten: mit Erde und Wasser. Mit Gräsern und Sträuchern. Mit Blumen und Bäumen. Und in diesen Garten hinein setzte Gott die Tiere und den Menschen.

Die Bibel erzählt den Anfang der Geschichte noch viel ausführlicher. Wir wissen längst: Was da erzählt wird, ist kein naturwissenschaftlicher Bericht über die Entstehung der Welt. Es ist ein großes Bekenntnis des Glaubens. Und es ist damit ein großer Dank an Gott, den Schöpfer, und ein großes Lob des Schöpfers. Die Menschen, die diese Geschichte erzählten, die haben gesagt: Was ist diese Welt für ein großes Wunder! Wie wunderbar ist diese Welt! Macht die Augen auf! Schaut hinein in den Garten des Lebens! Seht das satte Grün des Grases und der Bäume und die Farben der Blumen! Seht das Wunder des Lebens – die Tiere im Wasser und auf der Erde, die kleinen und die großen! Spüre das Wunder des Lebens! Schau dich an und den Menschen neben dir! Es ist nicht selbstverständlich, dass alles so ist! Es ist auch kein Zufall! Gott, der Schöpfer, hat es so gewollt und hat es euch geschenkt! Er wollte nicht die Dunkelheit und das Nichts. Er hat das Licht gemacht und mit dem Licht das Leben!

Die Menschen, die diese Geschichte zuerst erzählt haben, haben genauso wie wir gespürt: Wir brauchen das Licht! Ohne Licht kein Leben! Wie wunderbar waren die ersten Frühlingstage, die hellen und warmen Tage nach dem langen und harten Winter! Wie schön ist es, wenn die Natur erwacht! Das weckt auch unsere Lebensgeister.

Die alte biblische Geschichte sagt aber noch mehr: Die Welt, der Garten Gottes, ist so schön. Sie könnte ein Paradies sein. Aber sie ist es nicht.

Die Menschheit lebt in einem wunderschönen Garten. Aber der Garten ist kein Paradies mehr. Es gelingt den Menschen nicht, friedlich in dieser Welt zu leben. Es gelingt den Menschen nicht, was Gott schenkt, gut und gerecht zu verteilen. Tief im Menschen ist die Angst, es könnte nicht genug da sein. Er könnte zu kurz kommen. Das ist wie Gift. Es bringt Hass und Streit und den Tod. Man kann es auch anders sagen: Das macht das Leben dunkel.

Gewiss: es gibt den normalen Wechsel zwischen hell und dunkel. Es gibt einen Rhythmus des Lebens mit Tag und Nacht. Aber es gibt auch eine Dunkelheit, die das Leben zerstört. Es gibt die Dunkelheit, die Menschen selbst einander bereiten – weil es ihnen nicht gelingt, im Frieden zu leben – im Frieden miteinander und im Frieden mit Gott ihrem Schöpfer.

Die alte Geschichte der Bibel erzählt dies in der Geschichte von Adam und Eva. Vom Baum des Lebens im Paradies. Von der Schlange. Und vom Misstrauen gegenüber Gott. Sie erzählt, dass die Menschen damit etwas Ursprüngliches verloren haben. Bald geht es dann so weiter, dass Kain seinen Bruder Abel erschlägt. Weil er findet, dass er gegenüber seinem Bruder zu kurz kommt.

Warum wurde das erzählt?

Mit diesen Geschichten wird erzählt: Das Paradies, der Garten des Anfangs, ist verloren! Aber die Welt hat nicht aufgehört, Gottes Welt zu sein. Die Welt hat nicht aufgehört, schön zu sein. Gott hat die Welt nicht zurück ins Dunkel fallen lassen. Und im Menschen ist so etwas geblieben, wie eine Sehnsucht nach dem Paradies, nach dem Leben, nach dem Licht!

Es lohnt sich wirklich sehr, darüber nachzudenken, wo diese Sehnsucht zu spüren ist. Ein Garten zum Beispiel ist dafür ein guter Ort. Warum haben Menschen zu allen Zeiten Gärten angelegt?

Ich denke: Weil es diese Sehnsucht gibt! Die Sehnsucht nach einem schönen Ort. Nach einem Ort, wo es wächst, wo Gottes Schöpferkraft zu sehen und zu riechen ist. Die Sehnsucht nach einem Ort des Lichtes und der Farben und des Friedens. Ich denke, dass viele Menschen mit irgendeiner Form dieser Sehnsucht im Herzen in den nächsten Monaten auch hierher kommen werden. Wir sind deshalb als evangelische Kirchen auch sehr bewusst hierher gekommen: in den großen Garten der Landesgartenschau. Und wir sind mit einer Kirche hierher gekommen. Wir haben eine Kirche in den Garten gestellt, damit Menschen die Sehnsucht neu entdecken können – die Sehnsucht nach Licht und Leben und nach dem Frieden in Gottes Garten!

Aber das ist nicht alles. Es gibt noch einen weiteren Grund. Es gibt noch einen weiteren Grund, weil die Geschichte Gottes mit den Menschen noch weitergegangen ist und weitergeht.

Wer die Geschichte Gottes mit den Menschen in der Bibel weiter liest, wird dort auch auf Jesus von Nazareth stoßen. Er ist deshalb so besonders, weil er den Faden vom Anfang wieder aufnimmt. Vom Anfang, wo von der großen Dunkelheit die Rede war, und vom Licht, das Gott schuf. Über ihn wird erzählt, dass er in der Dunkelheit der Nacht geboren ist. Und das plötzlich, mitten in der Nacht, der Himmel hell erleuchtet war. Und es wird über ihn gesagt: „Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen, und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes ist ein Licht aufgegangen.“ (Mt 4,16) Und er selbst hat einmal gesagt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12)

Es wird erzählt: In diesem Menschen ist das Licht Gottes auf eine ganz besondere Weise in diese Welt gekommen. Es ist gekommen in einem Menschen, damit die Dunkelheit nicht das Leben zerstört. Damit die Menschen die Kraft finden, dem zu widerstehen, was das Leben kaputt macht. Damit Menschen sich nicht zerfressen lassen von Hass und Neid und Gewalt. Mehr noch: damit der Tod seine Macht verliert und Menschen Kraft finden, sich dem Gott des Lichts und des Lebens anzuvertrauen.

Es ist kein Zufall, dass Jesus in einem Garten betet und in einem Garten verhaftet wird. Das gehört zu dieser großen Geschichte vom Licht, vom Garten, von den Menschen und von Gott. Es ist kein Zufall. Er wird verhaftet. Er wird sterben. Er wird auferstehen. Und damit wird erzählt: Das Paradies bleibt nicht auf ewig verloren. Gottes Licht ist stärker als jede Dunkelheit.

Und es ist wird zugleich verkündigt: Nehmt dieses Licht in euch auf! Nehmt es auf in euer Leben! Es erfüllt euch! Gebt es weiter. Hier an die Menschen in der Landesgartenschau, die voller Neugier und Sehnsucht her kommen. Zuhause in euren Familien, in der Nachbarschaft. Und wo immer ihr es leuchten lassen könnt. Es tut euch gut und den Menschen in dieser Welt!

Wer über dieses Licht der Welt nachsinnen und nachdenken will, dem bieten wir hier einen Ort an Wir laden hier in dieser Kirche Menschen ein, über sich nachzudenken: über ihr Leben, über den Garten dieser Welt, über das, was das Leben dunkel macht und über das, was das Leben hell und schön macht. Wir laden sie ein, ihren Blick auf Gottes Garten und sein Licht zu richten. Wir laden sie ein, darauf zu vertrauen, dass Jesus sein Licht weitergegeben hat und weitergibt. Wir laden ein, seine Worte neu zu hören. Er hat den Menschen zugerufen: „Ihr seid das Licht der Welt!“

Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen

zur Einführung des Kirchenvorstands 2009 von Pfarrer Dr. Ulrich Becke

Liebe Gemeinde,

„ja, ist euch denn gar nichts mehr heilig?“ schimpft Udo Steimle, ostdeutscher Kabarettist und  110-Kommissar in seinem Kleinkunstprogramm. Seine Rolle: er stellt einen ehemals hohen SED-Funktionär dar, jetzt Museums- und Kirchenführer für Touristen, der mit auffällig unauffälligen Spickzetteln eine Schlosskapelle erläutern muss. So lange hat er der Partei gedient, und jetzt das: „Ja, ist euch denn gar nichts mehr heilig?“

Was ist Ihnen, liebe Gemeinde, was ist uns denn heilig? Die Würde des Menschen? unser Privateigentum? mein Privatleben? meine Familie? meine Freizeit?

Was ist uns denn heilig? Komische Frage? Heute ist Allerheiligen, und damit fing es an. Luther wusste, was los war in der Schlosskirche in Wittenberg, Allerheiligen 1517: die Heiltumssammlung Friedrichs des Weisen wurde wie jedes Jahr an diesem Tag feierlich ausgestellt,

Reliquien en masse, en gros und en detail. Keine Fetische für Nekrophile sollten das sein, keine Horrorshow wie der überaus geschmacklose Pestzug der Friedberger Einzelhändler gestern Abend in unserer Nachbarstadt. Ursprünglich stand der Respekt vor den Heiligen dahinter, so etwa wie eigentlich wie bei einer Ikone: ein eindringlicher Blick in die Welt von Menschen, die uns exemplarisch Glauben vorgelebt haben, Männer und Frauen, von denen wir lernen können

Mit den Armen teilen, was wir haben: vom heiligen Martin, der für den Bettler seinen Mantel zerschneidet; Tiere als Mitgeschöpfe achten: vom heiligen Franziskus von Assisi, der den bösen Wolf von Gubbio durch einen Friedensvertrag zähmt.

In Friedrichs Heiltumssammlung in Wittenberg ist leider der respektvolle Blick auf Glaubensvorbilder auf den Hund gekommen. Um Ablass geht es dort, um Nachlass, also Rabatt auf Sündenstrafen im Jenseits, wenn jemand durch die Heiltumssammlung geht. Wo bleibt da der Gedanke an Buße?

Die ist Luther heilig, die Buße, die Demut vor Gott je und je, das konzentrierte Nachdenken über sich selbst vor dem Angesicht Gottes

hier: der Mensch – und da: Gott – einander unmittelbar gegenüber, ohne Vorzimmerdamen und –herren, wie Priester, Päpste und Heilige. Das ist der Blickwinkel der 95 Thesen, das ist der Blickwinkel der Reformation!

Heute ist Allerheiligen – und es bleibt die Frage: was ist uns heilig? Oder stimmt das: uns ist nichts mehr heilig….?

Heute wird unser neuer Kirchenvorstand eingeführt – allesamt sicher keine Heiligen, oder? Ich höre hier vorne keinen Widerspruch…

Ganz unterschiedliche Männer und Frauen sind das, unterschiedlich im Alter, im Beruf, in der Frömmigkeit, im Denken, in den Hobbies. Und das ist gut so! Gemeinde braucht in ihrem höchsten Gremium Verschiedenheit, gewissermaßen versöhnte Verschiedenheit, nicht nur hohe Sachkenntnis und Engagement über eigene Grenzen hinaus, auch Schlichtheit und Liebenswürdigkeit, nicht nur Glaubensüberzeugung, sondern auch suchende Skepsis.

Ich möchte Ihnen allen heute Morgen etwas über zwei Männer erzählen, beides Katholiken (also Menschen wie du und ich, oder?).

Der eine heißt Filippo Neri, von Beruf Stadtstreicher in Rom im Jahrhundert der Reformation. Er schläft in Schuppen und unter Tiberbrücken, seit er mit 17 Jahren von zuhause abgehauen ist.

Seine Besonderheit, sein Alleinstellungsmerkmal, wie wir heute zu sagen pflegen, unter anderen Stadtstreichern: er ist fromm, glühend fromm. Er sagt selbst von sich: ich bin wund vor Liebe zu Gott.

Er lacht und springt und tanzt durch römische Kirchen.

Eigentlich und ursprünglich wollte er auf der Gottsuche nach Indien –ein sehr moderner Zug, oder? Doch ein alter Mönch rät ihm: bleib hier in Rom. Le tue Indie sono a Roma. dein Indien liegt hier mitten in Rom, am Tiber.

Und dieser Filippo Neri, dessen Herz wund ist vor Liebe zu Gott, er erlebt religiöse Ekstasen bis an den Rand seiner Erlebnisfähigkeit und anschließend zieht er mit seinen Kumpels wieder witzereißend durch Rom, Witze über Päpste und Kardinäle und nicht zuletzt über sich selbst.

Wie geht die maßlos weise und gelegentlich wenig fehlbare römisch-katholische Kirche mit solchen Störern und schrägen Vögeln um? Richtig: sie integriert sie in den riesigen Apparat, um sie zu neutralisieren.

1551 wird Filippo Neri zum Priester geweiht, ohne nennenswerte Vorbereitung, also Hals über Kopf, unter einer einzigen Bedingung: er muss einen festen Wohnsitz nachweisen.

Dort in seiner winzigen Bude, feiert er spontane Andachten, wo jeder und jede zu Wort kommt und viel gesungen wird und nennt das Oratorium, die Andacht und die Lebens- und Wohngemeinschaft.

Zur gleichen Zeit lebt ein anderer bedeutender Katholik in Rom, ein spanischer Ex-Offizier, Don Inigo de Loyola, ein Meister der straffen Kirchendisziplin, der Planung und Organisation, ein Soldat Gottes will er sein, kein Narr Gottes wie Filippo Neri.

Wo Ignatius von Loyola, wie er in Rom heißt, der Gründer des Jesuitenordens, von seinen Anhängern Kadavergehorsam verlangt, sagt Filippo Neri: Gehorsam verschaffe ich mir dadurch, dass ich keine Befehle erteile. Gefragt, was sein Lebensprinzip sei, antwortet Neri: Ich überlege mir jedes Mal, was jetzt Ignatius von Loyola täte – und tue dann das Gegenteil

Er wird 80 Jahre alt – der Narr Gottes-

Und jetzt einen Moment Pause, denn es kommt ein großartiger Witz der Kirchengeschichte (und jetzt geht es an Allerheiligen auch wieder um Heilige): Am gleichen Tag, am 12. März 1622, spricht Papst Gregor XV. im Petersdom zu Rom zwei Männer heilig: den Soldaten Gottes Ignatius von Loyola – und den Narren Gottes Filippo Neri.

Was lernen wir daraus: egal, wem unsere Sympathien gelten: Kirche braucht Soldaten und Narren (und selbstverständlich, gerade nach dieser Woche gesagt: auch Soldatinnen und Närrinnen…). Das gilt auch und besonders für unseren Kirchenvorstand: die sachkundigen und fleißigen und engagierten Macher und Macherinnen und Manager und Managerinnen sind unendlich wichtig – und die, die fröhlich und ansteckend lachen und glauben.

Beide unter einen Hut zu bekommen und je und je zu versöhnen, das ist nun die Aufgabe des Vorsitzenden: viel Glück und Gottes Segen, lieber Rainer, und viel Glück und Segen, liebe neue Mitglieder im Kirchenvorstand!

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn! Amen.

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